Standardisierung und Destandardisierung der deutschen Schriftsprache


Seminararbeit, 2007

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 – Einleitung

2 – Zur Standardisierung der deutschen Schriftsprache
2.1 Die Auswirkungen des Buchdrucks
2.2 Die Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache

3 – Destandardisierungstendezen
3.1 Nonstandard
3.2 Die Chatkommunikation
3.2.1 Anglizismen
3.2.2 Sprachökonomie
3.2.3 Ausdrücken von Handlungen, Zuständen und Emotionen
3.3 Netspeak?

4 – Fazit

Literaturverzeichnis

1 – Einleitung

„Die Frage nach der Sprache ist Teil der Frage nach der Identität des Menschen.“[1]

Dass das Kommunizieren durch gesprochene Sprache einen elementaren Teil des menschlichen Daseins ausmacht ist unbestreitbar. Daher liegt es nahe, sich auch reflexiv mit ihr auseinanderzusetzen. Bereits im 8. Jahrhundert v. Chr. beschäftigte sich in Indien ein gewisser Sakatayana mit ihr, um 360 v. Chr. war es der Grieche Sokrates, der in Platons ‚Kratylos‘ die Frage nach der Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem diskutierte.

Stand zunächst die gesprochene Sprache im Zentrum der Betrachtung, so hat sich im Laufe der Zeit eine geschriebene Sprache, welche Informationen ‚konservieren‘ und den Empfängerradius des ‚Sprechers‘ vergrößern kann, als nötig erwiesen. Wohl jedes Kind hat bereits von ‚Hieroglyphen‘, einer sehr frühen Form der Schrift, gehört und auch die traditionsreichen chinesischen Schriftzeichen zählen zu den allgemein bekannten. Jedoch waren diese Zeichen, wie auch jede andere Form der Schrift, nicht seit jeher einheitlich und wurden erst in einem langen Standardisierungsprozess zur schriftsprachlichen Norm der jeweiligen Sprachgemeinschaft.

Eine solche Entwicklung hat auch die deutsche Sprache erlebt. So bestand sie zunächst aus einer großen Anzahl einzelner Nuancierungen, der Schriftverkehr zwischen Mitgliedern verschiedener ‚Dialektgemeinschaften‘ bedurfte im Normalfall einer Übersetzung, wie sie heute beispielsweise vom Niederländischen ins Deutsche nötig wäre. Der Weg zur neuhochdeutschen Schriftsprache war ein langer und soll in dieser Arbeit, wenn auch nur sehr gerafft, dargestellt werden. Der Fokus soll hierbei zunächst auf der Entwicklung und Bedeutung des Buchdrucks, im Anschluss daran auf Luthers Einwirken auf eine Standardisierung der deutschen Schriftsprache liegen.

Der zweite Teil der Hausarbeit soll eine gegenläufige, destandardisierende Tendenz beschreiben, welcher die deutsche Schriftsprache seit einigen Jahren unterliegt. Dies soll anhand des Beispiels ‚Chatkommunikation‘ geschehen, welches sich aufgrund des häufigen Auftreten von Anglizismen, Sprachökonomie und weiteren ‚Anomalien‘ bezüglich der schriftsprachlichen Norm besonders eignet. Unter diesem Punkt soll ebenfalls eine Definition von ‚Nonstandard‘ gegeben und die Frage, ob es sich bei der Chat-Sprache um einen solchen oder eher eine eigene ‚Netspeak‘ handelt, geklärt werden.

Zuletzt wird ein Fazit folgen, welches alle Ergebnisse der vorangegangenen Untersuchung zusammenfasst und einen möglichen Ausblick gibt.

2 – Zur Standardisierung der deutschen Schriftsprache

Der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit lässt sich auf das 15. Jahrhundert datieren. Zu diesem elementaren Wandel trugen lange Entdeckungsreisen zur See, die ersten Tendenzen in Richtung des Humanismus und eine Reihe technischer Innovationen bei.[2] An dieser Stelle muss zwangsläufig der Buchdruck Erwähnung finden, da er möglicherweise die ausschlaggebendste Erfindung dieser Übergangszeit darstellt. Durch die neue Technik konnten „die alten Schriften aufs schnellste verbreitet, [und] eine ‚allgemeine Vervollkommnung der Wißenschaften‘ [sic] herbeigeführt“[3] werden. Da nun Informationen eine erheblich größere Anzahl von Menschen erreichen konnten, wurden weitläufige Alphabetisierung und die Vereinheitlichung der deutschen Schriftsprache begünstigt, neues (akademisches) Fachwissen konnte schnell verbreitet werden und auch soziale und politische Verhältnisse wurden durch dieses erste ‚Massenmedium‘ stark verändert. Zusätzlich wurde eine thematische Ausdehnung, „also die ‚Versprachlichung, Verschriftlichung und Veröffentlichung des nicht-akademischen Fachwissens der Handwerker, Kaufleute, Apotheker, Landwirte etc.‘“[4] möglich.

Mit dieser Thematik soll sich der erste Teil des Punktes befassen. Im zweiten Teil soll genauer auf die weitere Entwicklung von einer Vielzahl einzelner Dialekte zu einer deutschen Standardsprache eingegangen werden. Ein besonderer Fokus wird hierbei auf den Theologen Martin Luther gerichtet werden, hat er doch entscheidend zum Entstehen unserer heutigen Schriftsprache beigetragen.

2.1 Die Auswirkungen des Buchdrucks

Schon vor der Erfindung der Gutenberg’schen Druckmaschine existierten Verfahren zum Herstellen von Drucken und damit die Möglichkeit, Informationen an eine Vielzahl von Menschen zu übermitteln. Im Folgenden soll geklärt werden, wieso ausgerechnet die Methode Gutenbergs als eine solch revolutionäre betrachtet wird und was sein Wirken von dem früherer Erfinder unterscheidet.

Bereits im dritten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung beschäftigte man sich mit der Herstellung von Drucken. Auf erste Stempel mit Druckseite und Griff aus dem Orient[5] folgten „chinesische Abreibungen und Abklatsche von Steininschriften, die eine gezielte Verbreitung von Texten ermöglichten.“[6] Diese Methode, welche als Vorform der heutigen Drucke gilt, wurde um 175 n. Chr. entwickelt, ursprünglich um die Hauptwerke der klassischen chinesischen Literatur zu vervielfältigen.[7] Rund 400 Jahre später wurde ein weiteres Verfahren entwickelt – der so genannte Holztafeldruck. Dieses Verfahren stellte für viele Jahrhunderte „die Drucktechnik für religiöse und profane Bücher, für Spielkarten, Kalender, Papiergeld und Bilderdrucke“[8] dar. Um 1040 n. Chr. kam eine neue Methode auf, bei der einzelne Stempel aus Keramik verwendet wurden. 300 Jahre später ging man dazu über, die Formen aus Holz herzustellen.

In Korea wurden „1434 [n. Chr.] 200.000 Zeichen gegossen und [so] eine Druckleistung von 40 Blatt am Tag erreicht.“[9] Jedoch setzte sich das Verfahren im gesamten asiatischen Raum wegen des erheblichen Aufwands, entstehend durch die Vielzahl an Schriftzeichen, nicht durch.

In Deutschland wurde erstmals 1119 n. Chr. in einem Kloster bei Regensburg mit der asiatischen Technik gearbeitet,[10] welche sich für die deutsche Sprache besser eignete.

Den sowohl für ‚Vervollkommnung der Wissenschaften‘ als auch die Entwicklung der standardisierten Schriftsprache relevanten Schritt kann man dem Mainzer Johannes Gensfleisch zu Gutenberg zuschreiben. Der um 1400 geborene Sohn einer Patrizierfamilie begann 1440 in Straßburg mit seinen ersten Druckversuchen, über die jedoch kaum Informationen erhalten sind. Den einzigen Anhaltspunkt für Gutenbergs Schaffen stellt eine Reihe von Darlehen, welche er in Straßburg aufnahm, für sein zunächst ‚geheimes‘ Projekt dar. Im Jahr 1452 nahm Gutenberg einen weiteren Kredit in Höhe von 800 Gulden bei dem Mainzer Juristen Johannes Fust auf. Dieser wurde infolgedessen zum Teilhaber an Gutenbergs Projekt.[11] Das Leihen solch einer hohen Summe lässt darauf schließen, dass Gutenberg sich des Erfolgs seines Projekts, der Druckmaschine, zum damaligen Zeitpunkt bereits sicher war.

Als sein erstes künstlerisch vollkommenes Werk und gleichzeitig die Krönung seiner Druckkunst wird heute die 42-zeilige Bibel betrachtet, welche Gutenberg von 1452 bis 1454 druckte. Er verwendete auf seiner Druckmaschine insgesamt 290 Typen, also erheblich weniger, als die Chinesen oder Koreaner ursprünglich. In einer Auflage von ca. 180 Stück wurde die Gutenberg-Bibel im Herbst 1454 ungebunden auf dem Frankfurter Reichstag verkauft.[12]

Sie legte den Grundstein für die Standardisierung einer deutschen Schriftsprache und damit auch der Massenmedien, worauf später näher eingegangen werden soll. Heute existieren noch 48 Exemplare und das Meisterwerk Gutenbergs zählt auch heute noch zu „den schönsten gedruckten Büchern der Welt“.[13]

2.2 Die Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache

Bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts handelte es sich bei der deutschen Sprache vornehmlich um eine gesprochene, weniger um eine Schriftsprache.[14] Es wurden zwar bereits im 8. Jahrhundert n. Chr. Texte in deutscher Sprache verfasst, bei ihnen kann man jedoch kaum von einer einheitlichen, in ganz Deutschland verständlichen Sprache sprechen. Texte waren anfangs eher lokal, später vor allem regional geprägt und auch wenn die Grenzen im Laufe der Zeit stark erweitert wurden, war man von einer gesamtdeutschen Schriftsprache weit entfernt. Diese ‚Sprachbarrieren‘, im wahrsten Sinne des Wortes, stellten besonders für den frühen Buchdruck eine Komplikation dar. Laut Hugo Moser sollen um 1500 noch acht verschiedene Druckersprachen in Deutschland koexistiert haben, welche mit ihren jeweiligen Nuancierungen und den teilweise stark voneinander abweichenden Regelungen in Morphologie, Lexik und Orthographie bei ‚Export‘ eines Schriftstücks im Normalfall einer Übersetzung bedurften.[15] Eine weniger aufwendige, aber nur in kleinem Umfang mögliche und daher nicht als gleichwertige Alternative erkennbare Möglichkeit bestand in der Vornahme von Sprachangleichungen. Man unterscheidet hierbei 3 Praktiken:

1. Die Meidung sehr spezieller Regionalmerkmale, 2. Schreibsprachliche Addition, insbesondere im Wortschatz (quade oder bose; künne oder geschlecht; bekorung oder versuchunge [sic]); 3. Partielle oder weitgehende Sprachübernahme (etwa hochdeutsche Texte im niederdeutschen Gebiet).[16]

Der dritte Fall kann hierbei als Extremfall betrachtet werden, da er eine Anpassung der Sprache unter „Aufgabe des eigenen Schreibusus“[17] bedeutete. Im Gegensatz zu Variante eins und zwei, welche ebenfalls nur eine sehr begrenzte Wirkung hatten, kann hier zusätzlich keine vergleichbar hohe Nutzung nachgewiesen werden.[18]

Der tatsächlichen Standardisierung der Dialekte zu einer neuhochdeutschen Schriftsprache gingen allerdings, neben der Angleichung, zwei weitere Erscheinungen voraus. Hierbei handelte es sich um die so genannte ‚Hansesprache‘ und das ‚Gemeine Deutsch‘. Erstere wurde vorwiegend in Norddeutschland und den angrenzenden Gebieten Nordeuropas verwendet, jedoch auch dort überwiegend in schriftlicher Form. Ein frühes Ende fand sie bereits zu Anfang des 17. Jahrhunderts, vermutlich aufgrund der Tatsache, dass „eine entsprechend breite Grundlage in der gesprochenen Sprache des Volkes“[19] nicht vorhanden war. Die zweite angesprochene Variante, das so genannte Gemeine Deutsch, ist weniger gut erforscht. Es existieren Aufzeichnungen

aus dem hochdeutschen, insbesondere auch donauländischen Raum des 14. – 17. Jh.s […], [welche] teils eine stilistische Deutung (gemein = gewöhnlich, nicht herausgehoben, vulgaris) teils eine verkehrssprachliche zu[lassen] (gemein = allgemein verbreitet) und dementsprechend gibt es auch zwei Lager bei den Interpreten.[20]

Laut neuerer Forschungen, auf welche diese Arbeit sich im Folgenden stützen wird, soll eher die zweite Definition die verwendete gewesen sein und somit eine Art süddeutsches Pendant zur schriftsprachlichen ‚Koine‘ des Nordens, also der Hansesprache, dargestellt haben.[21]

[...]


[1] Linke, Angelika; Nussbaumer, Markus; Portmann, Paul R.: Studienbuch Linguistik. 5. Erweiterte Auflage. Tübingen 2004 (= Reihe Germanistische Linguistik 121), S. 2

[2] Vgl. Gutenberg-Archiv von Mainz Online: Gutenberg und seine Zeit: Einleitung. http://www.mainz.de/gutenberg/zeit.htm (9.9.2007)

[3] Schmidt, Günter: Von Gutenberg zu Bertelsmann: kleine Medien- und Kommunikationsgeschichte der Neuzeit. Hg. v. Thüringer Forum für Bildung und Wissenschaft e.V. Jena 2002, S. 15

[4] Ebd., S. 17

[5] Die Geschichte des Buchdrucks: Inkunabelzeit.

http://www.destinationdesign.de/die-geschichte-des-buchdrucks/ (9.9.2007)

[6] Gutenberg-Archiv von Mainz Online: Die Erfindung Gutenbergs – Vor Gutenberg. http://www.mainz.de/gutenberg/erfindu2.htm (9.9.2007)

[7] Vgl. Ebd.

[8] Ebd.

[9] Die Geschichte des Buchdrucks: Inkunabelzeit.

http://www.destinationdesign.de/die-geschichte-des-buchdrucks/ (9.9.2007)

[10] Vgl. Ebd.

[11] Vgl. Die Geschichte des Buchdrucks: J. Gutenberg.

http://www.destinationdesign.de/die-geschichte-des-buchdrucks/ (9.9.2007)

[12] Vgl. Gutenberg-Archiv von Mainz Online: Gutenberg und seine Zeit: Zeitleiste Gutenberg. http://www.mainz.de/gutenberg/zeitgutb.htm (9.9.2007)

[13] Vgl. Gutenberg-Archiv von Mainz Online: Die Gutenberg Bibel. http://www.mainz.de/gutenberg/bibel.htm (9.9.2007)

[14] Vgl. Schmidt, Günter: Von Gutenberg zu Bertelsmann: kleine Medien- und Kommunikationsgeschichte der Neuzeit, S. 17

[15] Vgl. Besch, Werner: Deutsche Sprache im Wandel. Kleine Schriften zur Sprachgeschichte. Frankfurt am Main 2003, S. 259

[16] Ebd.

[17] Ebd.

[18] Vgl. Ebd.

[19] Ebd., S. 260

[20] Ebd.

[21] Vgl. Ebd.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Standardisierung und Destandardisierung der deutschen Schriftsprache
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
Proseminar
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V88816
ISBN (eBook)
9783638032261
ISBN (Buch)
9783638930093
Dateigröße
477 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Standardisierung, Destandardisierung, Schriftsprache, Proseminar
Arbeit zitieren
Alice Fleischmann (Autor:in), 2007, Standardisierung und Destandardisierung der deutschen Schriftsprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88816

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