Entlohnung von "Berufenen"

Zur Entlohung im Krankenpflegesektor


Seminararbeit, 2007

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Fragestellungen

2 Die Argumentation von Heyes
Erläuterung der ersten These
Erläuterung der zweiten These

3 Kritische Betrachtung des Modells von Heyes
Kritik an den Annahmen von Heyes
Alternative Erklärungsansätze im Pflegesektor
Relativierung der Annahmen Heyes’
Erweiterung des Modells

4 Schlussfolgerungen

A Mathematische Herleitungen
Erste These
Zweite These

Zusammenfassung

Unter dem Begriff „wage penalty in care work“ hat der empirische Nachweis der vergleichsweise geringen Entlohnung von Arbeitnehmern im Pflegesektor Eingang in die wirtschaftswissenschaftliche Literatur gefunden. Diese Beobachtung kann mit- hilfe eines Modells erklärt werden, das die „Berufung“ des Pflegepersonals in den Mittelpunkt seiner Argumentation stellt. Die Modellergebnisse wirken provokant: Ein höherer Lohn würde die Pflegequalität verschlechtern; zur Erreichung des Pro- duktivitätsoptimums im Pflegesektor ist vielmehr eine weitere Senkung des Lohnni- veaus erforderlich.

Das zugrunde liegende Modell wird in dieser Arbeit einer kritischen Betrachtung unterzogen und alternativen Erklärungsansätzen für den Lohnnachteil im Pflegesek- tor gegenübergestellt. Am Ende der Arbeit steht eine Relativierung und Erweiterung der Modellannahmen mit dem Ziel, die Übertragbarkeit des Modells auf andere Be- rufungen, wie beispielsweise die Arbeit als Lehrer, Arzt oder Seelsorger, anzudeuten

1 Fragestellungen

Der Ausgangspunkt dieser Hausarbeit ist der Artikel „The Economics of Vocation or ‘Why is a Badly Paid Nurse a Good Nurse?’“ von Anthony Heyes (2005). Heyes geht in seinem Aufsatz zunächst der impliziten Frage nach, warum die Entlohung im Kran- kenpflegesektor verhältnismäßig gering ist, obwohl ein Nachfrageüberhang nach Pflege- personal beobachtet werden kann. Legt man das bekannte klassische Arbeitsmarktmodell zu Grunde, so sollte sich unter diesen Voraussetzungen eigentlich ein höherer Lohn ein- stellen.

Heyes findet diese Beobachtung darin begründet, dass die Arbeit als Krankenschwester bzw. Krankenpfleger für die einzelne Person eine „Berufung“ darstellen kann. Im Durchschnitt sind Berufene demzufolge bereit, für die gleiche Arbeit und unter sonst gleichen Voraussetzungen einen geringeren Lohn zu akzeptieren als Nicht-Berufene. Seine Argumentation mündet in einer ersten These (Heyes, 2005, S. 563):

„Increasing the wage will decrease the proportion of employed nurses who have a vocation.“

In einer zweiten These formuliert Heyes beispielhaft für einen monopolistisch organisierten nationalen Gesundheitsservicesektor eine erste Konsequenz in Bezug auf die Gestaltung des Arbeitsumfeldes (Heyes, 2005, S. 568):

„If nursing is a vocation [...] then nurses should be (a) paid less and (b) spend more time ‘at the bedside’ than standard analysis would predict.“

Dabei kann „standard analysis“ übersetzt werden mit „allgemeine Lehrmeinung“. Gemeint ist damit das Ergebnis, wenn man den von Heyes postulierten Einfluss der Berufung auf das Berufsumfeld nicht berücksichtigen würde.

Aus der individuellen Eigenschaft der Berufung leitet Heyes somit allgemeine Aussa- gen zum Lohnniveau, zur Qualität der Pflege und zum Job-Design im Krankenpflegesek- tor ab. Die beiden Thesen sind provokant und bieten reichlich Diskussionspotenzial, denn während seine Schlussfolgerungen bei Arbeitgebern auf großes Interesse stoßen dürften, sind seitens der Arbeitnehmer eher empörte Reaktionen zu erwarten. Die Aufgabe dieser Arbeit ist es daher, die Mechanismen des Modells zu erläutern, um eine objektive Aus- einandersetzung mit den Thesen Heyes’ zu ermöglichen. Es stellen sich die folgenden Fragen:

1. Warum kann die Berufung eines Arbeitnehmers Auswirkungen auf seine Entloh- nung und sein Berufsumfeld haben?
2. Wie robust sind die von Heyes’ gemachten Annahmen gegen vorgebrachte Kritik?
3. Mit welchen alternativen Erklärungsansätzen konkurrieren die Thesen von Heyes zur Erklärung empirischer Beobachtungen im Pflegesektor?
4. Sind die Ergebnisse Heyes’ auf andere Berufungen, wie beispielsweise die Arbeit als Lehrer, Arzt oder Seelsorger, übertragbar?

Zur Beantwortung der Fragen ist dieser Aufsatz folgendermaßen aufgebaut: Im zweiten Kapitel wird die Argumentation aus dem Einstiegsartikel von Heyes erläutert. Das dritte Kapitel beinhaltet eine kritische Auseinandersetzung mit dem Modell von Heyes und führt alternative Erklärungen für empirische Beobachtungen im Pflegesektor auf. Das Kapitel schließt ab mit einer Relativierung und Erweiterung der Annahmen Heyes. Am Ende des Aufsatzes werden im vierten Kapitel Schlussfolgerungen gezogen.

Um im Folgenden die Doppelnennung „Krankenschwester bzw. Krankenpfleger“ zu vermeiden, wird im weiteren Verlauf der Arbeit ausschließlich die Bezeichnung „Kran- kenpfleger“ verwendet. Gemeint ist damit gleichberechtigt sowohl das weibliche wie auch das männliche Krankenpflegepersonal. Gleiches gilt für andere Berufsbezeichnungen, die in diesem Text auf Vereinfachungsgründen in der männlichen Form genannt werden.

2 Die Argumentation von Heyes

Im Einstiegsartikel beschränkt sich der Autor Anthony Heyes in seiner Argumentation im Wesentlichen auf den Sektor der Krankenpflege. Seine zweite These versteht sich so- gar als Handlungsempfehlung für diesen Bereich. Gleichwohl ist der Überschrift und den Schlussfolgerungen des Artikels zu entnehmen, dass das beschriebene Modell für alle Berufsfelder Anspruch auf Gültigkeit erhebt, in denen Berufung ein Rolle bei der Berufs- wahl spielt.

Erläuterung der ersten These

Unter dem Begriff Berufung (engl.: vocation) fasst Heyes zwei Inhalte zusammen: Erstens die Bereitschaft einer Person zur Ausübung ihres Berufs über das allgemeine Maß an Pflichtbewusstsein hinaus und zweitens „Leidenschaft“ oder „innere Bestimmung“ als Motiv für die Ausübung ihres Berufs. Berufung ist in dem Modell definiert als eine binäre Variable, d.h. als eine Variable mit zwei sich gegenseitig ausschließenden Ausprägungen. Die einzelne Person hat demnach die Berufung zur Ausübung einer bestimmten Aufgabe, oder sie hat diese Berufung nicht. Berufungen sind vor allem in Bereichen anzutreffen, die die Fürsorge für andere Menschen zum Inhalt haben, z.B. im Schulsektor, in der Seelsorge oder in der Krankenpflege.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Änderung des Anteils Berufener bei Lohnanstieg (Eigene Darstellung)

Sowohl Berufene als auch Nicht-Berufene erhalten als Gegenwert für ihre Arbeit den gleichen Lohn w. Zusätzlich aber ziehen Berufene einen nicht-monetären Zusatznutzen, die Berufungsprämie (engl.: vocational premium) aus der „leidenschaftlichen“ Ausübung ihres Berufs, deren monetärer Gegenwert v in dem Modell dem Lohn hinzugerechnet wird. Die Berufswahl hängt im Modell davon ab, ob die Vergütung w bei Nicht-Berufenen bzw. w + v bei Berufenen über dem individuellen Reservationslohn r liegt, d.h. über dem Lohn, zu dem eine Person gerade noch bereit ist, ihre Arbeitskraft anzubieten. Bezogen auf die Bevölkerung wird die Verteilung des Reservationslohns als logarithmisch konkave Dichtefunktion f angenommen. Der unter diesen Annahmen der ersten These zugrunde liegende Mechanismus kann mithilfe der Abbildung 1 veranschaulicht werden. Die ma- thematische Herleitung der These ist im Anhang aufgeführt.

Die linke Seite der Abbildung zeigt die Ausgangssituation bei einem verhältnismäßig geringen Lohnniveau w0, die rechte Seite die Situation nach einem Lohnanstieg auf w1. Die Anzahl berufener Krankenpfleger ist als schraffierte Fläche unterhalb der Dichtefunktion symbolisiert, während die Anzahl der nicht berufenen Kollegen als gelbe Fläche dargestellt ist. Da sich gelbe und schraffierte Flächen überlagern, wurden die Flächen zur Verdeutlichung unter der Funktionsdarstellung versetzt ein zweites Mal dargestellt. Das Verhältnis von schraffierter zu gelber Fläche entspricht dem zahlenmäßigen Verhältnis von berufenen Krankenpflegern zu den nicht berufenen.

An der Grafik ist gut zu erkennen, dass ein Anstieg des Lohns w zwar zu einem Anstieg des Arbeitsangebots insgesamt führt, denn die insgesamt markierte Fläche ver- größert sich. Gleichzeitig aber nimmt der Anteil der gelb markierten Fläche relativ zur schraffierten Fläche zu. Somit verschiebt sich das Verhältnis zu Gunsten der nicht beru- fenen Krankenpfleger. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass sich bei Lohnanstieg der Anteil der Krankenpfleger mit einer Berufung verringert. Letzteres ist die Aussage der ersten These Heyes’, formal:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abzulesen ist dies auch an der Ableitung f′ der Dichtefunktion, die in der Abbildung blau dargestellt ist und die momentane Änderungsrate des Funktionswertes abbildet. Aufgrund der Annahme einer logarithmisch konkaven Dichtefunktion hat die Ableitung einen stetig fallenden Verlauf. Da der Lohn der berufenen Krankenpfleger um die Berufungsprämie aufgewertet ist und dem Lohn der nicht berufenen Krankenpfleger quasi „vorauseilt“, ist die mit dem Lohnanstieg verbundene marginale Änderungsrate der Anzahl berufener Krankenpfleger stets geringer (sb < sn). Mit anderen Worten: Die Anzahl der neu hinzu- kommenden Krankenpfleger ohne Berufung nimmt mit Lohnanstieg schneller zu als die Anzahl derer mit einer Berufung.

Erläuterung der zweiten These

In der weiteren Argumentation führt Heyes mit der Variable γ eine Veränderliche für den Berufsinhalt (engl.: job content) ein. Sie beziffert den Anteil der Arbeitszeit, in der ein Krankenpfleger im direkten Kontakt mit dem Patienten (wörtlich: „at the bedside“) steht. Diese Variable ist für die folgende Argumentation von Bedeutung, weil die „Leiden- schaft“ für seinen Beruf allein vom Dienst am Menschen herrührt. Den Rest der Zeit 1 − γ verbringt er annahmegemäß mit ungeliebten administrativen Dingen. Die Berufungsprämie v ist somit positiv linear vom Berufsinhalt γ abhängig, weshalb auch der Anteil der Krankenpfleger mit einer Berufung positiv von γ abhängig ist, formal:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Desweiteren setzt Heyes die Annahme voraus, dass berufene Krankenpfleger produktiver (im Sinne von besseren Heilungsquoten ihrer Patienten o.ä.) sind als ihre nicht berufenen Kollegen, also

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Basierend auf der Theorie unvollständiger Verträge ist dieses zusätzliche Maß an Quali- tät der Pflege vertraglich jedoch nicht vereinbar, sondern vielmehr Resultat der eingangs beschriebenen höheren Leistungsbereitschaft eines Berufenen bei der Ausübung seines Berufes. Zudem kann die Qualität der Pflege in Analogie zur Principal-Agent-Theorie vom Arbeitgeber (Prinzipal) oder einen neutralen Dritten weder beobachtet noch über- wacht werden.

Bezeichnet nun die Gleichung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

die Durchschnittsproduktivität Ω eines Krankenpflegers, so gelangt man nach Ableitung von Ω nach w unter Beachtung der Vorzeichen in (1) und (3) zu dem Zwischenergebnis, dass mit steigendem Lohn die Durchschnittsproduktivität sinkt, was in diesem Fall gleichgesetzt werden kann mit einer qualitativen Verschlechterung der Pflege. Wie man anhand folgender Gleichung sehen kann, ist hierfür allein der mit steigenden Löhnen fallende Anteil berufener Krankenpfleger ursächlich:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein Lohnanstieg im Krankenpflegesektor verursacht somit zweifache Kosten: Einerseits direkte Lohnkosten und andererseits indirekte Kosten in Form einer Produktivitäts- bzw. Qualitätsverschlechterung. Dieser Effekt erschwert eine positive Lohnentfaltung.

Für die Formulierung der zweiten These geht Heyes in Anspielung auf das Gesund- heitssystem in Großbritannien schließlich von einem monopolistisch organisierten Ge- sundheitssystem mit einem einzigen Anbieter für Pflegedienstleistungen aus. Dieser ist als alleiniger Arbeitgeber bestrebt, den Lohn w und die Berufsinhaltsvariable γ so zu wählen, dass das Produkt aus Arbeitsangebot L und der Durchschnittsproduktivität Ω maximal wird. Dabei hat er die Budgetbedingung wL(w, γ) ≤ B einzuhalten. Auf Basis der oben gemachten Annahmen hätte die Lagrange-Funktion damit folgendes Aussehen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der entscheidende Punkt bei der Herleitung der zweiten These ist nun, dass der Arbeitge- ber den Einfluss der Berufung nicht kennt und deshalb auch nicht in seine Optimierungs- überlegungen einbezieht. Weder der Lohn noch der Berufsinhalt hat nach Vorstellung des Arbeitgebers einen Einfluss auf den Anteil der Krankenpfleger mit einer Berufung. Für sein Optimierungskalkül gilt deshalb pw = pγ = 0. Damit haben auch seine Lagrange- Funktion und die darin enthaltene Durchschnittsproduktivität Ω ein anderes Aussehen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vergleicht man nun die Optimierungsbedingungen des Arbeitgebers mit denen des Mo- dells, so stellt man fest, dass sich wegen G′w = 0 und G′γ =0 folgendeSituationeinstellt (die Details zur mathematischen Herleitung können wieder dem Anhang entnommen wer- den):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aufgrund der Konvexität des Optimierungsproblems bedeutet dies, dass w′ > w* bzw. γ′ < γ* gilt. Im Vergleich zu dem Lohn, der sich unter Berücksichtigung des Einflusses von Berufung als Optimum einstellen würde, hält der Arbeitgeber also einen höheren Lohn für optimal. Die Berufsinhaltsvariable setzt er vergleichsweise zu niedrig. Ihm sei daher geraten, den Lohn zu senken und den Berufsinhalt anzuheben. Dies ist die Aussage der zweiten These Heyes’.

[...]

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Entlohnung von "Berufenen"
Untertitel
Zur Entlohung im Krankenpflegesektor
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V88777
ISBN (eBook)
9783638071086
ISBN (Buch)
9783638956192
Dateigröße
762 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entlohnung, Berufenen, Berufung, Berufene, Pflegesektor, Pflege, Krankenpflege, Krankenpfleger, care work, wage penalty, Krankenpflegesektor
Arbeit zitieren
Dipl.-Betriebswirt (FH) Holger Sandker (Autor:in), 2007, Entlohnung von "Berufenen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88777

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