Kinder und Jugendliche im Leistungssport

Eine Untersuchung am Beispiel des Triathlons


Examensarbeit, 2005

92 Seiten, Note: 1.5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der sportpädagogische Erkenntnisstand zu Kindern und Jugendlichen im Leistungssport
2.1. Die Position von Brettschneider und Richartz (1996)
2.1.1. Belastungskomplexe
2.1.2. Objektive Ressourcen
2.1.3. Subjektive Ressourcen
2.1.4. Bewältigungsprozesse
2.1.5. Fazit von Brettschneider und Richartz
2.2. Die Position von Brettschneider und Gerlach (2004)
2.2.1. Das Evaluationsobjekt: Die Paderborner Talentsichtung
2.2.2. Ergebnisse von Brettschneider und Gerlach
2.3. Chancen und Risiken im Spitzensport, Hrsg.: Digel (2001)
2.3.1. Die Position von Digel (2001)
2.3. 2. Die Position von Moegling (2001)
2.3. 3. Die Position von Delow (2001)
2.4. Grundlagen und Facetten der Pädagogik des Leistungssports, Hrsg. : Prohl/ Lange (2004)
2.4.1. Die Position von Prohl (2004)
2.4.2. Die Position von Güllich, Emrich und Prohl (2004)
2.4.3. Die Position von Elflein (2004)
2.5. Fazit zum sportpädagogischen Erkenntnisstand

3. Kinder und Jugendliche im Triathlon
3.1. Die Diskussion im Verband
3.1.1. Das Nachwuchstrainingskonzept der DTU (2004)
3.1.2. „Triathlon im Schulsport“ – Ein Leitfaden der DTU für Lehrerinnen und Lehrer (2004)
3.2. Eigene Erfahrungen

4. Zum empirischen Teil
4.1. Die Untersuchungsmethode
4.2. Auswahl der Probanden und Durchführung der Interviews
4.3. Die Methode der Datenauswertung
4.4. Auswertung der Interviews
4.4.1. Einstieg und Einstiegsalter
4.4.2. Trainingsumfang
4.4.3. Die Rolle der Schule
4.4.4. Die Doppelbelastung von Schule und Sport
4.4.5. Die Rolle der Eltern
4.4.6. Die Rolle des Trainers
4.4.7. Das soziale Umfeld
4.4.8. Gefahren und Ausstieg
4.5. Fazit der Interviewauswertung

5. Schlussbetrachtung

6. Literaturverzeichnis

1.Einleitung

Das Thema „Leistungssport im Kindes- und Jugendalter“ löst in der Gesellschaft oft kontroverse Diskussionen aus. Gerade dieser Bereich des Leistungssports hat viele Kritiker von außen, wie der Öffentlichkeit und den Medien, innerhalb aber viele Befürworter. Es geht zumeist darum, ob diese Art des Sporttreibens den Heranwachsenden mehr schadet oder nützt, bzw. gut für sie ist. Triathlon ist eine extrem anspruchsvolle Sportart, da sie aus drei Einzeldisziplinen, Schwimmen, Radfahren und Laufen, besteht und aufgrund dessen mehr Training als andere verlangt. Aber Triathlon ist auch eine sehr junge Sportart, die zusehenst bei jung und alt an Attraktivität gewinnt.

Das Thema „Leistungssport“ beschäftigt mich schon seit langer Zeit, anfangs als aktives Mitglied in dem System, nun als kritischer Beobachter von außen.

Ich habe selbst fünfzehn Jahre lang, von meinem fünften bis zum zwanzigsten Lebensjahr, Leistungssport betrieben und somit dieses System von jüngster Kindheit bis ins Erwachsenenalter durchlaufen. Bevor ich mit dem Triathlon begonnen habe, bin ich zehn Jahre leistungsmäßig geschwommen und habe dann sieben Jahre Triathlon wettkampfmäßig ausgeübt.

Sport spielte in unserer Familie schon immer eine wichtige Rolle und ein Elternteil ist seit vielen Jahren Leistungssportler. Im Alter von fünf Jahren bin ich auf das Engagement meiner Eltern hin, in einen Schwimmverein eingetreten. Die Freude an der Bewegung und das Schwimmen mit anderen Kindern standen hier anfangs im Mittelpunkt. Doch der Leistungsgedanke zeigte sich relativ schnell in der Erhöhung des Trainings und dem Beginnen von Wettkampfteilnahmen. Der Übergang zum Triathlon verlief schleichend. Bedingt durch eine Triathlonsparte im Verein, die anfangs nur für Erwachsene ausgelegt war, kam das Interesse für diese Sportart auf und diesbezügliche Trainingseinheiten wurden immer häufiger absolviert. Der gesamte Trainingsumfang nahm schnell zu und mit fünfzehn Jahren kam es zum kompletten Wechsel in den Triathlonbereich. Da aber mit zunehmendem Alter auch die schulischen Anforderungen wuchsen und für deren Erfüllung immer weniger Zeit blieb, wandelte sich der Spaß an dem Sport langsam in Stress um. Zudem wurde der Zwang offensichtlich, der vom Trainer ausging, im sportlichen Bereich ständig die eigene Leistungsgrenze zu überschreiten. Somit erhöhten sich auch meine Anforderungen an mich selbst. Schule und Training bestimmten den Tagesablauf, weitere Hobbys sowie Freunde außerhalb des Sports traten in den Hintergrund oder verschwanden ganz. Doch wenn man einmal angefangen hat, ist das Aufhören nicht ganz einfach. Ab einer gewissen Leistungsgrenze hat man Verpflichtungen gegenüber der Mannschaft und dem Verein. Man ist ständig hin und her gerissen, zwischen Training und dem Leben außerhalb des Sports, den Freunden aus der Schule und anderen Aktivitäten. Das Gefühl, etwas zu verpassen, in dem einen wie anderen Bereich, beschäftigt einen ständig. Auch der finanzielle Aspekt dieser Sportart ist nicht zu unterschätzen. Aus all den genannten Gründen und nicht zuletzt aus gesundheitlichen, kam es bei mir zu einem relativ plötzlichen Ausstieg aus dem Leistungssport. Heute betreibe ich die drei Disziplinen des Triathlon nur noch aus Spaß an der Sportart und als Ausdauersport, teilweise in einem neuen Verein.

Nach der aktiven Zeit in meinem Heimatverein, habe ich dort für ein Jahr die Gruppe der jüngsten Schwimmer, im Alter von fünf bis zehn Jahren, trainiert. Auf diese Weise konnte ich die Situation aus einer anderen Perspektive betrachten. Hier kommen die meisten Kinder noch mit Spaß zum Training, Leistung steht nicht im Vordergrund, doch die Grundsteine werden gelegt. Auch schon bei den Jüngsten sieht man Kinder, die überfordert sind, keine Lust zu diesem Sport haben und nur auf die Initiative der Eltern hin, am Schwimmtraining teilnehmen.

Ich habe positive wie negative Facetten des Leistungssports bei Kindern und Jugendlichen kennen gelernt und blicke heute mit kritischen Augen auf meine Laufbahn und das System zurück.

Mit dieser Arbeit möchte ich untersuchen, wie andere Jugendliche, Trainer und die Wissenschaft den leistungssportlichen Bereich im Kindes- und Jugendalter sehen, ihre Erfahrungen und eigenen Meinungen zum und über das System herausfinden. Mich interessieren der aktuelle Forschungsstand zu diesem Thema und hier mögliche bestehende Lücken. Ich möchte versuchen die Frage zu klären, ob in jungen Jahren überhaupt schon so extrem Sport getrieben werden sollte oder ob dieses eher schädlich für die Kinder und Jugendlichen ist und eher einen Bereich für Erwachsene darstellt. Zudem sollen die Beweggründe für das sportliche Engagement der Jugendlichen gefunden und aufgezeigt werden. Weiter möchte ich herausfinden, wie die heutige junge Generation mit der Doppelbelastung aus Schule und Sport zu Recht kommt und was junge Leistungssportler insgesamt über das Training und den Raum denken, den es in ihrer gesamten Zeit einnimmt.

Ich habe mir zur Aufgabe gemacht, die genannten Aspekte an der Sportart „Triathlon“ zu erforschen.

Diese Punkte werden mit Hilfe eines wissenschaftlichen und eines empirischen Teils untersucht.

Den Erkenntnisstand in der Sportpädagogik bezüglich Kinder und Jugendlicher im Leistungssport, stelle ich in Kapitel 2 dar. Die existierenden Forschungen werden hier aufgezeigt und miteinander verglichen.

In Kapitel 3 folgt die Diskussion im Verband für den Kinder- und Jugendbereich im Triathlon. Der Stellenwert des Nachwuchses wird anhand der Materialien und Hilfen, die der Verband für Trainer, Aktive und die Öffentlichkeit zur Verfügung stellt, aufgezeigt. Diese Ergebnisse finden durch eigene Erfahrungen, als Aktiver im Jugendbereich sowie als Trainer und Beobachter, Ergänzung.

Der umfassende empirische Teil dieser Arbeit besteht in Kapitel 4 aus qualitativen Interviews mit einem Trainer und drei Betroffenen aus dem leistungssportlichen Bereich des Triathlon. Die verschiedenen Positionen werden dargestellt und durch Zitate der Probanden gestützt.

In der Schlussbetrachtung, welche Kapitel 5 folgt, ziehe ich Vergleiche zwischen den empirischen Ergebnissen und dem sportpädagogischen Erkenntnisstand. Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden herausgearbeitet und gegen einander gestellt um zu erkennen, ob diese empirische Untersuchung den aktuellen Stand der Sportpädagogik stützt oder einen neuen, noch nicht wissenschaftlich untersuchten Aspekt aufwirft.

Kapitel 6 stellt das Literaturverzeichnis vor.

Als Letztes möchte ich darauf hinweisen, dass ich nur aus Lesbarkeitsgründen ausschließlich die männliche Form, zum Beispiel Schüler, verwendet habe. Die weibliche Form ist aber stets mitgemeint, nur nicht aufgeführt.

2. Der sportpädagogische Erkenntnisstand zu Kindern und Jugendlichen im Leistungssport

2.1. Die Position von Brettschneider und Richartz (1996)

Das Problem der Doppelbelastung bei Kindern und Jugendlichen im Leistungssport wird seit einiger Zeit mit großem Interesse in der Sportpädagogik beobachtet. Brettschneider und Richartz stellen in ihrem Werk „Weltmeister werden und die Schule schaffen“ (1996) die Doppelbelastung von Schule und Sport für jugendliche Hochleistungssportler, mit allen beteiligten Aspekten dar. Die gesamte Persönlichkeitsentwicklung wird als wichtiger Faktor für das Empfinden und Bewältigen der Doppelbelastung gesehen und mit Bezug auf die Lebensbereiche Schule und Sport untersucht. Mit ihrem Projekt auf der Grundlage einer Querschnittstudie, haben sich Brettschneider und Richartz zur Aufgabe gemacht, die Lebenswelt jugendlicher Hochleistungssportler mit all ihren Problemen durch charakteristische Situationen realistisch darzustellen. Hierzu wurden alltägliche äußere Belastungen aus Schule und Training, objektive und subjektive Ressourcen sowie Bewältigungsmechanismen festgestellt und untersucht. Viele Interviewpassagen leistungssportlicher Jugendlicher sind abgedruckt und geben einen genauen Einblick in deren Alltag. Die hier untersuchte Personengruppe befindet sich weitgehend in einer wichtigen Phase des Lebens, die von Veränderungen bestimmt ist. Zu den sportlichen Anforderungen kommen hier alterstypische Entwicklungsaufgaben hinzu, die von den Jugendlichen ebenfalls viel Energie erfordern. Subjektiv geschieht dies in der Ausbildung der eigenen Identität und objektiv in dem Aufbauen und der Verankerung von und in einem eigenen sozialen Umfeld.

Als Probanden standen Jugendliche aus drei Berliner Schulen mit sportlichem Schwerpunkt zur Verfügung. Es handelt sich hierbei um das Coubertin-Gymnasium, eine Ganztagsschule mit angeschlossenem Internat, welche elf Sportarten vertritt, die Flatow-Oberschule mit wassersportlichem Schwerpunkt, die aus Gymnasium und Realschule besteht und vier Sportarten beherbergt und die Werner-Seelenbinder-Schule, eine Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe ist die größte der drei genannten Schulen. Diese Schulen sind aus vier ehemaligen Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) der DDR hervorgegangen. Sie unterscheiden sich in der Schulform, der Anzahl und dem Spektrum der vertretenen Sportarten sowie in den personellen und materiellen Rahmenbedingungen. Diese Institutionen laufen seit ihrer Gründung 1991 als „Modellversuchsschulen“ mit wissenschaftlicher Begleitung. Das Ziel haben diese sportbetonten Schulen von den KJS übernommen: die Förderung jugendlicher Leistungssportler. Dieses Ziel ist nun aber an das Berliner Schulrecht gebunden, wodurch bedeutende charakteristische Merkmale der DDR-Sportschulen wegfallen. Hierzu zählen die Priorität für den Sport, die privilegierte Lehrer-Schüler-Relation und die mögliche Verlängerung der Schulzeit um ein Jahr (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 50- 53).

Exkurs: Bei den Kinder- und Jugendsportschulen der DDR handelte es sich um Ganztagsschulen, mit angeschlossenen Internaten, so dass Schule, Wohnung und Trainingsstätte in unmittelbarer Nähe lagen. Sie hatten den rechtlichen Status von „Spezialschulen“, die zur Hochschulreife führten, vorrangig aber eine optimale Entwicklung der sportlichen Leistungen garantierten. In der DDR gab es ein flächendeckendes System zur Sichtung und Auswahl der jungen Talente, wodurch der Schulzugang geregelt war. Entscheidend für die Aufnahme an eine KJS waren viel versprechende Leistungsprognosen, die Entsprechung von Eignungsnormen, sportmedizinische Tauglichkeit und gute Schulleistungen. Auch politische Unbedenklichkeit war eine Voraussetzung (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 51).

2.1.1. Belastungskomplexe

Der Alltag von Kindern und Jugendlichen, die Leistungssport betreiben, ist weitgehend vom Sport bestimmt. Aus diesem Grund sind die jugendlichen Athleten weit mehr Belastungen ausgesetzt als ihre Altersgenossen, die keinen Leistungssport betreiben. Der wichtigste Punkt ist hierbei der Zeitfaktor. Jugendlichen Leistungssportlern bleibt weniger Zeit für Freunde, Hobbys, Kultur sowie für schulische Aufgaben. Im Vergleich zu ihren Altersgenossen, haben Jugendliche im Leistungssport, neben dem Zuhause und der Schule, ein entscheidendes zusätzliches Handlungsfeld: das Training.

Im Unterschied zu erwachsenen Leistungssportlern, die ihren Sport als Beruf betreiben können, ist es Kindern und Jugendlichen nicht erlaubt, ausschließlich Sport zu treiben. Durch das Gesetz sind sie zum Besuch der Schule verpflichtet. Somit haben sie zwei „Arbeitsbereiche“, die ihre volle Konzentration fordern: die Schule und den Sport. Ein entscheidender Aspekt ist, dass die Trainingsumfänge in den letzten Jahren zugenommen haben und auch in Zukunft weiter steigen werden. Das Einstiegsalter ist zudem in einigen Sportarten bezüglich des Leistungssports gesunken und verringert sich weiter. Die Kinder und Jugendlichen sind in einem immer geringeren Alter, indem sie die Belastungen durch den zusätzlichen „Arbeitsplatz“ Sport zu bewältigen haben. Der Hochleistungssport läuft nach dem Überbietungsprinzip, welches stetige Grenzüberschreitungen voraussetzt, um immer bessere Leistungen erbringen zu können. Hier besteht die Gefahr der Überanstrengung für die Kinder und Jugendlichen, sowohl im physischen als auch im psychischen Bereich. Der häufig erwähnte „Stress-Begriff“ kommt hier zum Tragen, den die pädagogischen und öffentlichen Kritiker am Kinder- und Jugendleistungssport immer wieder aufwerfen. Durch die zunehmend hektischer und schneller werdende Umwelt, sind die Menschen im Alltag vielen Stress erzeugenden Belastungen ausgesetzt. Die sportlich bedingten Stressfaktoren kommen hier hinzu. Um diese Faktoren aufzudecken und Hilfen anzubieten, müssen die vielfältigen Anforderungen in ihrer Gesamtheit gesehen und verstanden werden, da sie in der Lebenswelt der Jugendlichen zusammen vorkommen (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 13/ 14, 64, 278).

Die Doppelbelastung aus Schule und Sport besteht nicht aus eng begrenzten Ereignissen, sondern aus dauerhaften Belastungen. Die einzelnen Belastungssituationen werden von den Jugendlichen nicht nur im individuellen Kontext erfahren, sondern auch in sozialen Gruppen wie der Schulklasse, der Trainingsgruppe und in der Familie. Im Bezug auf das Belastungsspektrum betonen Brettschneider und Richartz immer wieder, dass die jugendlichen Leistungssportler nicht nur als Sportler zu sehen sind, sondern als Kinder und Jugendliche, welche die gleichen Bedürfnisse, Wünsche, Ziele, Ängste und Konflikte haben, wie ihre Altersgenossen (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 13, 53).

Die äußeren Anforderungen für die leistungssportlichen Kinder- und Jugendlichen, kommen im Wesentlichen aus den Bereichen Schule und Training. In der Schule, welche einen allgemeinen Bildungs- und Unterrichtsauftrag hat, sind die inhaltlichen Leistungsanforderungen durch gesetzliche und verwaltungsrechtliche Bestimmungen festgelegt. Im Training hingegen, wachsen die Anforderungen aus kurz- und langfristigen Handlungssituationen, d. h. aus den Zielen der Athleten. Diese sind jederzeit zu variieren, während die Ziele für das jeweilige Schuljahr unabänderbar sind. Hieraus ergibt sich, dass der Freiheitsgrad beim Training höher ist als in der Schule. Für das Training gibt es keine gesetzlichen Auflagen, jedoch gewisse Orientierungen bezüglich der Leistungsanforderungen. Die Rahmentrainingspläne der Landestrainer dienen zur Information über den Umfang, die Struktur und Rhythmisierung des Trainings sowie der Leistungen. Die Aufgaben der Schule und deren Erfüllung werden durch das Gesetz und auch durch die Eltern kontrolliert, anders als beim sportlichen Training. Genießt ein Trainer das Vertrauen seiner Athleten und deren Eltern, werden zumeist keine Fragen bezüglich der Rahmenpläne gestellt (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 39).

Um den gesamten Umfang der Anforderungen jugendlicher Leistungssportler zu umfassen, sind nicht nur die Schul- und Trainingsstunden zu rechnen. Die Wege zur Schule und wieder nach Hause, zum Training und zurück, sind ebenso den zeitlichen Anforderungen zuzurechnen wie die Wettkämpfe und auch hier die entstehenden Fahrzeiten. Eine weitere leistungssportliche Anforderung ist die unterschiedliche Rhythmisierung der Trainingsbelastungen im Jahr aufgrund der Wettkampfsaison und der diesbezüglich angestrebten Ziele. Zudem spielen das Alter, das Geschlecht und die unterschiedlichen Leistungsstärken ebenfalls wichtige Rollen. Für das Belastungsempfinden ist zudem entscheidend, ob die freie Zeit im Tagesablauf zusammenhängend verfügbar ist. Wenn die Freizeit in mehrere kurze Abschnitte zerteilt ist, bietet sie kaum Möglichkeiten zur Aufnahme sowie Pflege von sozialen Kontakten, kulturellen Angeboten und zur Entspannung. Fehlende Ruhepausen im Tages- und Wochenverlauf, zeitweiliger geballter Schulstress, beispielsweise durch mehrere Klausuren innerhalb kurzer Zeit sowie viel Stress innerhalb des Wettkampfes, zum Beispiel durch mehrere Starts, werden von den Jugendlichen zusätzlich als sehr belastend empfunden. Die Angst, den Erwartungen der Eltern, der Lehrer und Trainer an die eigenen Leistungen in der Schule und im Sport nicht entsprechen zu können, trägt ebenfalls erheblich zum Belastungsempfinden bei (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 71- 80).

Es gibt auch Belastungen, die auf komplexe psychologische Zusammenhänge zurückzuführen sind und zum Einbruch des Selbstwertgefühls führen können. Ein Leistungsabfall in der Schule beispielsweise, ist bei den Jugendlichen nicht immer auf sportliche Ursachen zurückzuführen. Dieser kann ebenso durch andere äußere Ursachen, wie beispielsweise die Scheidung der Eltern, Streit mit Lehrern und Freunden oder durch andere Ängste ausgelöst werden. Leistungssport ist nicht nur physisch, sondern auch psychisch sehr belastend. Hinzu kommt, dass der wichtige Energielieferant für beide Bereiche, die Freizeit, bei diesen Jugendlichen stark eingeschränkt ist. Der Austausch mit Gleichaltrigen, gemeinsame Gespräche und Unternehmungen außerhalb des Sports und der Trainingsgruppe, kommen bei den Jugendlichen oft zu kurz. Es gibt zudem individuelle Phasen bezüglich des Empfindens der Doppelbelastung. Stehen gerade Erfolge im Vordergrund, fühlen sich die Jugendlichen nicht übermäßig beansprucht. Wenn diese aber beispielsweise schon seit längerem nicht mehr eingetreten sind und kein Lohn für die Mühen erkennbar ist, werden die Anforderungen noch intensiver erlebt. Die Doppelbelastung wird immer in einer persönlichen Weise erfahren, welche von den sozialen Beziehungen, der psychischen und physischen Verfassung sowie der allgemeinen Lebenslage abhängt. Manche Jugendliche finden einen Weg, beide Anforderungsbereiche in Einklang zu bringen. Andere finden für sich nur eine zeitweilige oder gar keine Lösung, was zum Ausstieg aus dem Leistungssport führen kann (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 75- 82).

Leistungssporttreibende Jugendliche empfinden die gleichen Situationen als belastend, wie ihre Altersgenossen. Allerdings sind sie den anderen gegenüber vielfältigeren und intensiveren Belastungen ausgesetzt. Entscheidend ist, wie sie mit diesen umgehen, welche Unterstützung ihnen zur Verfügung steht und welche sie davon nutzen.

2.1.2. Objektive Ressourcen

Es gibt bestimmte Ressourcen, die den Jugendlichen zur Unterstützung und Bewältigung der Doppelbelastung zur Verfügung stehen können. Das sind zum einen die objektiven Ressourcen, welche das Mobilisieren und Erhalten von sozialer Unterstützung beinhalten. Im engeren Sinne umfassen diese:

- emotionale Unterstützung
- instrumentelle Unterstützung
- informelle Unterstützung
- Bewertungs- und Einschätzungsunterstützung
- Unterstützung durch positive Sozialkontakte

Entscheidend sind hier die Qualität und Struktur der aktuellen Beziehungen, welche die Jugendlichen zu wichtigen Bezugspersonen wie Eltern, Freunden und dem Partner sowie zu wichtigen Bezugsgruppen, wie der Clique, Trainingsgruppe und der Schulklasse, aufgebaut haben. Die Hilfe und Zuwendung von Bezugspersonen können als Puffer zu den Belastungen wirken und sie auf diese Weise erträglicher werden lassen, so der Grundgedanke der sozialen Unterstützung. Die größte emotionale Bedeutung für die Jugendlichen in dieser schwierigen Lebensphase haben Eltern und gleichaltrige Freunde (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 83- 85).

Die Qualität der Beziehung zu den Eltern als Unterstützung, bekommt in der Adoleszenz eine neue Bedeutung, da in der gesamten Familie ein Veränderungsdruck entsteht. Bei den Jugendlichen vergrößert sich der Wunsch nach Ablösung und Selbständigkeit und die unterschiedlichen Erwartungen an und von den Eltern über soziale Nähe, Macht, Streit, Kontrolle und Anerkennung werden auf die Probe gestellt. Das Stützsystem durch die Eltern ist bei der Bewältigung von Belastungen eine wichtige Ressource, da es seine Bedeutung für verschiedene Aspekte in der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen hat: für die Regulierung des Selbstwertgefühls, als kognitive Orientierung für Problemlösungen und für die materielle Unterstützung. Weiterhin zeichnet sich diese Beziehung als Unterstützungsressource darin ab, welche Funktion die Sportkarriere in der Eltern-Kind-Beziehung einnimmt. Hier gibt es verschiedene Modelle. Einige Eltern stecken ihre eigenen Wünsche und Erwartungen in die sportliche Karriere der Kinder, da sie diese in der eigenen sportlichen Laufbahn nicht erfüllen konnten. Dieses kann zu Stolz über die Kinder, aber auch zu einem Zwang führen, welcher die jungen Sportler unter einen zusätzlichen Druck setzt. Andere Eltern nehmen den Sport des Kindes erst dann ernst, wenn große Erfolge erzielt werden. Ihre Aufmerksamkeit für das Kind steigt und sinkt mit den Ergebnissen seiner Leistungen. So kommt es zu der Erkenntnis für das Kind, dass dieses über sportlichen Erfolg und Misserfolg die Anerkennung und Zuwendung von den Eltern für sich steuern kann. Auch Loyalitäts- und Leistungserwartungen können hierdurch organisiert und zum Ausdruck gebracht werden. Die daraus entstehenden Überforderungen und Schuldgefühle bei Nichterfüllung der eigenen und vor allem der elterlichen Erwartungen, können zu einer Störung der Eltern-Kind-Beziehung führen. Dieses kann sich zum Beispiel dadurch auswirken, dass das Kind sein Gefühl der Sicherheit und der Orientierung verliert, welches die Eltern ihm im Normalfall vermitteln sollten. Durch all diese genannten Gefahren kann das Selbstwertgefühl des Kindes erheblich geschwächt werden. Auch eine unzureichende oder instabile Unterstützung der Eltern kann sich hierauf negativ für den Jugendlichen auswirken. Andererseits kann der Stolz der Eltern über den erbrachten Erfolg und ihre so gesteigerte Aufmerksamkeit von den Jugendlichen auch positiv wahrgenommen werden, welches dann wiederum zu einer Stärkung des Selbstwertgefühls führen kann. Bei zu hohen Leistungserwartungen der Jugendlichen an sich selbst oder durch einen Elternteil müssen die Eltern bzw. der andere Elterteil diese abfedern.

Für die Jugendlichen ist das Verhältnis bezüglich der elterlichen Unterstützung wichtig, welches zwischen ihren eigenen Wünschen und der tatsächlich erlebten Unterstützung besteht. Jugendliche mit einer festen und guten Beziehung zu den Eltern, haben große Chancen auf ein stabiles und gut funktionierendes elterliches Stützsystem bezüglich der Belastungen. Bei Jugendlichen ohne oder mit nur einer schwachen Elternbeziehung, besteht die Gefahr eines schlechten oder gar keines Stützsystems. Wichtig zu betonen ist an dieser Stelle, dass es bei der Bewertung und Feststellung von sozialen Bindungen und Beziehungen keine normativ festgelegten Idealwerte gibt. Den jeweiligen Schicksalen der Personen muss sich individuell zugewendet werden und sie müssen auch als individuell gesehen werden, um pädagogisch vertretbar zu handeln (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 86- 130).

Einen weiteren wesentlichen Raum im sozialen Umfeld jugendlicher Leistungssportler nehmen deren gleichaltrige Freunde ein. Dieser Kontakt ist besonders im Jugendalter ein prägendes Erfahrungsfeld. In dessen Aufbau besteht eine wichtige Entwicklungsaufgabe, die sich parallel zur Ablösung von den Eltern vollzieht. In der Beziehung zu Gleichaltrigen erproben die Jugendlichen Konkurrenzverhalten, Vertrauen in und von anderen und suchen Orientierung sowie Unterstützung in allen Lebenslagen. Die Geselligkeit und die vielseitigen Austauschprozesse sind für die Jugendlichen von großer Wichtigkeit, ebenso haben die gemeinsamen Interessen in der Freizeit und der Vorbildcharakter der Freunde einen hohen Stellenwert. Für das Selbstwertgefühl und somit für das gesamte Lebensgefühl, ist auch die Inanspruchnahme eigener sozialer Leistungen durch Andere von großer Bedeutung. Das Gefühl „gebraucht zu werden“ ist für jeden Menschen wichtig, egal welchen Alters und unerheblich ob Sportler oder Nichtsportler. Doch aufgrund der Tatsache, dass leistungssportliches Engagement das soziale Bezugssystem einengen kann, bekommt dieser Punkt im Leben der jungen Sportler eine besondere Position.

Unter den vielen Beziehungen, die Jugendliche aufbauen können, sind Freundschaften die wichtigsten. Hier ist allerdings ein Unterschied zwischen den Geschlechtern festzustellen. Mädchen schaffen sich für diese Beziehungen meist bessere Bedingungen, in denen ihre sozialen Netzwerke meist weit über den Sport hinausgehen. Bei den Jungen werden diese fast ausschließlich innerhalb der Trainingsgruppe gespannt (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 131- 153).

Neben Eltern und Freunden kann und sollte auch die Schule eine Rolle im Stützsystem einnehmen, so Brettschneider und Richartz. In erster Linie wird die Schule von Jugendlichen als ein Ort von Anforderungen wahrgenommen. Sie hat darüber hinaus aber noch weitere Aufgaben und Ziele. Sie sollte zum einen die Interessen der Kinder und Jugendlichen wecken, diese fördern und stabilisieren, zum anderen die Schüler im sozial-kognitiven Bereich anregen und diese Entwicklung unterstützen.

Das Lehrerbild der Jugendlichen ist sehr verschieden. Es gibt positive Schilderungen aber auch viele negative Erlebnisse, die ihnen in Erinnerung bleiben. Als besonders kritische Situation wird hier das Nacharbeiten von versäumtem Unterrichtsstoff genannt. Die Jugendlichen fühlen sich bei diesem Problem oft von den Lehrern zu wenig unterstützt und allein gelassen, ein wesentlicher Unterschied zu den früheren KJS der DDR. Diesbezüglich wird von einer Verringerung der Kontaktdichte im Unterricht zwischen Lehrern und Schülern berichtet, vom Verlust der Schule an sozialem Prestige insgesamt und einer eher negativen Veränderung in der Machtbalance zwischen Trainern, Lehrern und Athleten. Für ehemalige Schüler der KJS hat sich somit die Lage bezüglich der Koordination von Schule und Sport verschlechtert.

Eine wichtige Position kommt in diesem Stützsystem dem jeweiligen Klassenlehrer zu. Von ihm erwarten die meisten Schüler besondere Betreuung was die persönliche und pädagogische Begleitung betrifft. Diese kann die sportbetonte Schule allein nicht leisten. Auch die individuellen, sozialen und persönlichen Bedürfnisse verlangen in der Schule nach Befriedigung. Der Lehrer soll die Jugendlichen als Individuum wahrnehmen, ihre schulischen Probleme erkennen und helfen, diese zu lösen. Von der Lehrkraft wird gefordert, dass diese sich ernsthaft mit den Problemen, die aus der Doppelbelastung für die jugendlichen Leistungssportler entstehen, auseinandersetzt. Nur wenn die Schüler das Gefühl haben, hier ernst genommen und anerkannt zu werden, erleben sie Lehrer und andere schulische Kontaktpersonen als Unterstützung (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 172- 176).

Internate können eine weitere stützende Funktion bei der Bewältigung der Doppelbelastung einnehmen. Um ihren pädagogischen und psychosozialen Aufgaben für die jugendlichen Leistungssportler gerecht zu werden, wird von den Internatsmitarbeitern persönliches Engagement und eine fundierte pädagogische Ausbildung verlangt. Von den Schülern und der Öffentlichkeit wird erwartet, diese als Pädagogen anzuerkennen. Für die Jugendlichen gehören zu den größten Vorteilen der Internate, die Art der Organisation sowie die spezifischen Förderungs- und Unterrichtsleistungen, mit deren Hilfe die Doppelbelastung reduziert werden kann. Durch die Unterbringung in einem Internat verkürzen sich die Wege zur Schule und zum Training. Der Tagesablauf der jugendlichen Sportler bekommt dadurch mehr zusammenhängende Freizeit, die für wichtige Sozialkontakte genutzt werden kann. Weiterhin kann die Unterbringung in einem Internat wesentlich zur eigenen Identitätsfindung beitragen. Hier können Ablösungsschritte von den Eltern erprobt und vollzogen werden, ohne die Beeinflussung durch Loyalitätsverpflichtungen. Doch es gibt auch einen entscheidenden negativen Punkt, der hier zu nennen ist. Die frühe Trennung von den Eltern durch das Leben im Internat, kann besonders von Jüngeren als zusätzliche Belastung erlebt werden (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 177- 184).

Die eingangs genannten sportbetonten Schulen bieten Jugendlichen viele Vorteile und Hilfen bei der Bewältigung der Anforderungen durch die Doppelbelastung, doch ein gänzliches Abstellen ist auch hierdurch nicht möglich. An diesen Schulen müssen die Sportler beispielsweise nicht um Freistellungen für Wettkämpfe und Lehrgänge kämpfen und zum Teil können Trainingsphasen in den Schulalltag integriert werden. Andererseits ist der Besuch dieser Schulen für einige Athleten mit langen Fahrzeiten verbunden und Versäumnisse des Schulstoffes sind, wie auch auf Regelschulen, selbständig nachzuholen.

2.1.3. Subjektive Ressourcen

Bei den subjektiven Ressourcen handelt es sich um eigene, interne, personale Hilfen. Es geht hier um die Selbstwahrnehmung der eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen im schulischen sowie im sportlichen Bereich. Die Schule hat sowohl bei jugendlichen Leistungssportlern, als auch bei Nicht-Sportlern unterschiedliche Stellenwerte.

Die schulischen Leistungen können für erfolgreiche Sportler große Bedeutung haben und so mit hoher Aufmerksamkeit von diesen betrachtet werden. Diese Jugendlichen haben insgesamt ein stabiles, positives Selbstbild ihrer intellektuellen Fähigkeiten und somit gute Voraussetzungen für die Bewältigung der Doppelbelastung. Aber auch eine begrenzte Bedeutung der Schule kann ein befriedigendes, stabiles Selbstbild der eigenen schulischen Kompetenzen ausmachen, inklusive einer günstigen Ausgangslage für die Belastungsbewältigung. Wenn die Schule als notwendiges Übel angesehen und die Aufmerksamkeit in großem Maße auf die Sportkarriere gelenkt wird, können die Schulleistungen für das Selbstbild unbedeutend sein. Hier besteht die Gefahr der Vernachlässigung der Schule und die daraus resultierende Vergabe zukünftiger Berufschancen. Die ebend genannte Gefahr kann auch bei der Überschätzung der eigenen Kompetenzen und der Unterschätzung der Anforderungen aufkommen. Einige Schüler behalten ein positives Selbstbild bezüglich ihrer schulischen Leistungen und Fähigkeiten, obwohl diese eher unzureichend ausfallen. Diese Jugendlichen sind der Meinung, dass aufgrund der Doppelbelastung bestimmte Einschränkungen, hier die mangelnden Schulleistungen, normal sind. Diese Überzeugung dient als Schutz vor einem Einbruch des Fähigkeitsselbst. Auf diese Weise unterbleiben notwendige Anstrengungen zur Verbesserung der schulischen Lage oder werden lange hinausgezögert. Andere Jugendliche geben ihren schulischen Leistungen für ihr Selbstwertgefühl eine große Bedeutung, allerdings in einem für sie eher negativen Sinn. Sie haben kein gefestigtes und wenig positives Selbstbild der eigenen Fähigkeiten und begegnen Anforderungen im Allgemeinen mit Unsicherheit. Dadurch sind diese jungen Sportler für negative Auswirkungen der Doppelbelastung besonders anfällig und erleben sie besonders intensiv. Die schulischen Leistungen können auch in einer starken Abhängigkeit zur sozialen Umwelt stehen. Die Qualität der sozialen Beziehungen zum Lehrer und den Klassenkameraden ist bei diesen Jugendlichen entscheidend. Hier liegt ein instabiles und bei Misserfolgen besonders verletzliches Bild der eigenen Fähigkeiten vor (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 195- 238).

Sportliche Leistungen werden von den Jugendlichen anders erlebt als die schulischen. Im Sport werden die Leistungen an Sieg und Niederlage gemessen und der Konkurrenzfaktor spielt eine große Rolle. Die jungen Athleten haben auch sehr viel früher ein klares, individuelles Bild für den sportlichen Bereich in ihrem Leben als für die Schul- und Berufslaufbahn. Das positive Bild über die eigenen sportlichen Fähigkeiten muss und kann auch im Alltag durch mehrere Aspekte bestätigt werden. Der Fortschritt der Leistungen und der Vergleich mit der Konkurrenz in der Trainingsgruppe sind ebenso wichtig wie die Wertschätzung durch andere Personen. Das Selbstbild der sportlichen Kompetenzen und Fähigkeiten ist, wie das der schulischen, eine sehr wirkungsvolle Ressource zur Bewältigung der Doppelbelastung. Jugendliche, die über kein ausreichendes Selbstwertgefühl bezüglich der sportlichen Leistungen verfügen, sich dementsprechend keine hohen Erfolge zutrauen und allgemein kein Vertrauen in sich selbst haben, geben den Sport früher oder später auf. Das Selbstbild der sportlichen Fähigkeiten ist ständig unter Spannung. Es lässt keine dauerhaften Sicherheiten zu, fordert ständige Anstrengungen sowie Überprüfungen und ist meist auf sehr hochrangige Erfolgserwartungen bezogen (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 242- 274).

2.1.4. Bewältigungsprozesse

Ressourcen sind in der Realität eng mit Bewältigungsmechanismen verbunden. Diese geschehen langfristig während der Sportkarriere. Zusätzlich beeinflussen gesetzte zukünftige Ziele und einschlägige Erfahrungen die Bewältigung. Beim Verstehen der individuellen Bewältigungskonzepte sind immer die subjektiven Einschätzungen der Jugendlichen sowie die sozialen und biographischen Kontexte der jeweiligen Belastungssituation von Bedeutung.

Um die Doppelbelastung erträglicher zu machen, steht die Bewältigung des streng festgelegten Zeitsystems an erster Stelle. Dieses fordert von den Jugendlichen genaue Planung, starke Disziplin und Verzichtsleistungen bezüglich Wünschen und Bedürfnissen. Sie müssen für sich selbst einen Weg finden, mit diesen Forderungen umzugehen. Gelingt dieses nicht, bleibt der Betroffene selbst auf der Strecke und wird keinerlei Befriedigung erfahren. Bei vielen Athleten steht trotz des hohen Stellenwertes, welchen der Sport in ihrer Zeit und in ihrem gesamten Leben einnimmt, die Schule an erster Stelle. Gute Leistungen in der Schule sind demnach wichtig, um die volle Aufmerksamkeit auf das Training lenken zu können. Für den Erfolg in dem einen, wie in dem anderen Bereich werden Verzichtsleistungen in Kauf genommen. Die Meinung, dass leistungssportliche Jugendliche disziplinierter, engagierter und besser in der Schule sind als nicht sportliche Gleichaltrige, ist auch unter den jungen Sportlern verbreitet. Doch hierzu gibt es weder aus der Psychologie noch aus der Forschung einschlägige Befunde. Hingegen ist sicher, dass die körperliche Funktionsfähigkeit für leistungssportliche Jugendliche eine andere Rolle als für Nichtsportler einnimmt. Gesundheitliche Probleme haben eine viel schwerwiegendere Bedeutung, so dass durch sie das positive Selbstwertgefühl in Gefahr geraten kann. Denn aufgrund körperlicher Beeinträchtigung, kann die wichtige Bestätigung der sportlichen Leistungen zeitweise ausbleiben. Athleten stehen oft in einem Konflikt zwischen möglichem sportlichen Erfolg und körperlichen Beschwerden und nehmen in diesem hohe Risiken auf sich. Wie hoch der Stellenwert des sportlichen Erfolges für die Identitätsentwicklung jugendlicher Leistungssportler ist, kann man gerade an der Bereitschaft, Schmerzen auszuhalten und die Signale des Körpers nicht zu beachten, erkennen (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 285- 298).

Die Jugendlichen gehen auf verschiedene Weisen mit den konkurrierenden Anforderungen aus Schule und Sport um. In schulischen Krisen wird meist das Arbeitspensum am Wochenende, in der Freizeit oder am Abend erhöht. Wenn diese Maßnahme nicht den gewünschten Erfolg erzielt, wird das Training gekürzt um noch mehr Zeit für das Lernen zur Verfügung zu haben. Es gibt aber auch Jugendliche, die den Sport auch in diesem Fall vor die Schule setzten. Andere wiederum differenzieren nach Situationen, ob gerade ein wichtiger Wettkampf ansteht oder eher wichtige Klausuren in der Schule zu schreiben sind. In Krisensituationen, schulischer oder sportlicher Natur, besteht die wichtigste Bewältigungsstrategie in der Erhöhung des Arbeitspensums. Allerdings haben diese Bewältigungsversuche für das Erleben von Belastungen eher negative Auswirkungen. Vor allem männliche Jugendliche laufen in Krisensituationen Gefahr, sich auf diese Weise zu überlasten. Mädchen und Jungen unterscheiden sich auf der Leistungssportebene auch in der Bedeutungszuschreibung ihrer schulischen wie sportlichen Kompetenzen. Die Jungen setzen eine weitaus größere Bedeutung in die Erfüllung ihres sportlichen Traumziels und erleben eine größere Befriedigung durch ihre sportlichen Erfolge als die Mädchen (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 304- 310).

2.1.5. Fazit von Brettschneider und Richartz

Brettschneider und Richartz haben in diesem Projekt festgestellt, dass die Anforderungen und Belastungen an jugendliche Leistungssportler breit gefächert sind. Sie weisen in ihrer Qualität große Unterschiede auf und werden auf verschiedene Weisen erlebt. Spezifische und allgemeine Belastungen sind nicht klar voneinander abzugrenzen, sie hängen immer eng zusammen und besitzen individuell verschiedene Bedeutungen. Die individuelle Erfahrung der Anforderungen aus Schule und Sport ist in großem Maße von der eigenen Bedeutungszuschreibung, Zielsetzung, eigenen Wünschen und den verfügbaren Ressourcen zur Bewältigungsunterstützung abhängig.

Für die Bewältigung der Doppelbelastung sind keine klaren Aussagen zu machen oder wirkungsvolle Rezepte zu nennen. Es wurden hier nur einige individuelle Beispiele vorgestellt. Allgemein kann man sagen, dass die Bewältigung der Belastungen aus Schule und Sport immer von der Persönlichkeit des Athleten, der aktuellen Lebenslage sowie dem Entwicklungsstand abhängt. Weiterhin ist zu beachten, dass die Bewältigung in jeweils unterschiedlichen Formen und Zusammenhängen geschieht.

Insgesamt sind in diesem Werk sowohl kritische als auch zustimmende Positionen zum Leistungssport im Kindes- und Jugendalter zu finden. Viele negative und positive Seiten sind hier beschrieben und am Ende wird eine allgemein zusammenfassende Ansicht dargestellt. Die Belastungen und auch die Risiken sind für die Kinder und Jugendlichen aufgrund des leistungssportlichen Engagements hoch. Doch es gibt Wege, mit diesen umzugehen und sie abzumildern. Eine leistungssportliche Karriere bringt für die jungen Sportler einerseits oft Schwierigkeiten und Probleme mit sich. Andererseits erleben sie auch besonders befriedigende und glückliche Momente, wie beispielsweise durch die Überschreitung eigener Leistungsgrenzen, die ihre Altersgenossen auf diese Weise nicht kennen lernen. Die Gespräche mit den jungen Athleten in diesem Werk zeigen, dass sie sich den Problemen, welche der Leistungssport für sie mitbringt, bewusst sind und sich zum Teil auch ernsthaft damit auseinandersetzen. Brettschneider und Richartz betonen aber, dass man die hier gezeigten aktuellen Lebenswelten und Beziehungsstrukturen nicht als festgefahren und maßgebend ansehen darf, da sich die Sportler noch in der Entwicklung befinden und diese viele Veränderungen bereithält (vgl. Brettschneider/ Richartz (1996), S. 311- 313).

2.2. Die Position von Brettschneider und Gerlach (2004)

Diese Studie befasst sich im Gegensatz zu der vorherigen, bei der Jugendliche im Mittelpunkt der Betrachtung standen, mit Kindern im Sport. Zur Diskussion steht die Frage, ob sportliche Betätigung in der Kindheit einen Einfluss auf die Entwicklung hat.

Brettschneider und Gerlach wollen zudem mit dieser Arbeit das negative Bild über das Sportengagement der heutigen Kinder, welches in der Öffentlichkeit und der Sportpädagogik besteht, korrigieren. Dort wird gesagt, dass sich die psychosoziale wie körperliche Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit der Kinder durch immer höheren Medienkonsum und die Modernisierung der gesamten Lebenswelt, in den letzten Jahren stark eingeschränkt habe (vgl. Brettschneider/Gerlach, 2004, S. 10- 23).

Brettschneider und Gerlach merken an, dass der Freizeit und deren Gestaltung in der Kindheit und Jugend eine wichtige Rolle zukommt. Sport hat in diesem Lebensbereich für heutige Heranwachsende eine hohe Bedeutung und nimmt den größten Raum ihrer Freizeit ein. Dieser Aspekt wird auch in den wenigen der bestehenden Studien zu diesem Thema, wie der Bielefelder Kinder- und Jugendstudie (Brinkhoff und Sack, 1999), deutlich. Allerdings sind die bereits existierenden Untersuchungen schwer zu vergleichen, da sie zumeist schon älter sind und sich auf unterschiedliche Altersgruppen beziehen. Aufgrund dessen ist die Befundlage zum körperlichen und motorischen Zustand der heutigen Kinder alles andere als eindeutig, aber keineswegs so dramatisch, wie es die Sportpädagogik und die Öffentlichkeit sieht, so Brettschneider und Gerlach. Zu diesem Punkt wird auch der Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung kritisiert. Dieser beschäftigt sich zwar viel mit der Freizeit von Heranwachsenden, doch die ihrer Meinung nach so wichtigen Themen wie Sport und Bewegung, bleiben fast gänzlich außen vor (vgl. Brettschneider/Gerlach, 2004, S. 29- 36).

Es ist nicht nur der organisierte Sport in der Schule und dem Verein, der bei den Heranwachsenden ins Gewicht fällt, so Brettschneider und Gerlach. Kinder betreiben auch viel selbständigen Sport mit Gleichaltrigen und der Familie, wie Rad fahren, Minigolf und immer neu entstehende Trendsportarten.

Doch das Gewicht soll hier auf den Vereinssport gelegt werden, welchen Brettschneider und Gerlach separat darstellen:

Über 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben irgendwann einmal Kontakt zu einem Sportverein. Allerdings hat sich dieser Zeitpunkt stark nach vorn verlagert. Der heutige Beginn für eine Vereinskarriere liegt bei einem Alter zwischen drei und sechs Jahren. Der Verein hat besonders in dieser frühen, aber auch über die gesamte Lebensphase erstreckt, eine wichtige Bedeutung als Sozialisationsinstanz. Doch aufgrund des frühen Eintritts kann es in der Kindheit auch frühzeitig zu Sportarten- und Vereinswechseln kommen, welches ebenfalls einen Wechsel der Sozialkontakte bedeutet. Als Gründe hierfür werden einmal zu hohe Leistungserwartungen an die Kinder genannt, welche zu schnell gefordert werden und weiterhin Konflikte mit den Betreuungspersonen oder den Vereinskameraden. Ein weiterer Kritikpunkt von Brettschneider und Gerlach am Vereinssport, ist die soziale Begrenzung. Nicht allen Kindern sind die gleichen Möglichkeiten für einen Vereinseintritt gegeben. Aufgrund finanzieller und ethnischer Hintergründe werden so schon in der Kindheit soziale Mauern aufgebaut und gefestigt (vgl. Brettschneider/Gerlach, 2004, S. 38- 42).

[...]

Ende der Leseprobe aus 92 Seiten

Details

Titel
Kinder und Jugendliche im Leistungssport
Untertitel
Eine Untersuchung am Beispiel des Triathlons
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Note
1.5
Autor
Jahr
2005
Seiten
92
Katalognummer
V88730
ISBN (eBook)
9783638030380
ISBN (Buch)
9783638948265
Dateigröße
711 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kinder, Jugendliche, Leistungssport
Arbeit zitieren
Jacqueline Straube (Autor:in), 2005, Kinder und Jugendliche im Leistungssport , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88730

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