Die Einführung der staatlichen Arbeitslosenhilfe und -versicherung in der Weimarer Republik

Eine politisch-ökonomische Analyse


Seminararbeit, 2007

23 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der Weg zur Arbeitslosenversicherung

3 Das „Gesetz über Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung“
3.1 Organisationsaufbau
3.2 Versicherungsleistungen

4 Die Interessensvertretung und politische Diskussion zum AVAVG
4.1 Arbeitgeber und Gewerkschaften
4.2 Regierungsparteien und Opposition
4.3 Reichsregierung, Länder und Gemeinden

5 Die Rückentwicklung der Arbeitslosenversicherung

6 Schlussbetrachtungen

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Einführung der Arbeitslosenversicherung in der Weimarer Republik ist ein wichtiges Element der deutschen Sozialpolitik gewesen[1]. Es wurde eine zusätzliche Absicherung der Bevölkerung vor unerwarteten Risiken wie zuvor bei der Kranken- oder Unfallversicherung geschaffen.

Die „lebensnotwendige Ergänzung der Sozialversicherung“[2] hat einen langen Weg durch die Weimarer Republik gemacht. Angefangen mit der Erwerbslosenfürsorge und den Notstands­arbeiten durch die Demobilmachung nach dem Ersten Weltkrieg hin zu einer Weiterentwick­lung der Erwerbslosenfürsorge als Versicherung mit Bedürftigkeitsprüfung, der Krisenunter­stützung als ergänzende Arbeitslosenhilfe bis zu der Verkündung des Gesetzes zur Arbeits­vermittlung und Arbeitslosenversicherung am 16. Juli1927[3]. Der Zusammenbruch der Versiche­rung geht einher mit dem Zusammenbruch der Weimarer Republik zu Beginn der dreißiger Jahre.

Die Einführung der Arbeitslosenversicherung lässt sich nicht betrachten ohne die geschichtli­chen Rahmenbedingungen zu kennen. Die Jahre der Weimarer Republik lassen sich in drei Phasen einteilen[4]. Es ist zu unterscheiden zwischen den Nachkriegsjahren (1918 – 1923), den „Goldenen Zwanziger Jahre“ (1924 – 1928) und der Weltwirtschaftskrise (1929 – 1933).

Die Nachkriegsjahre sind geprägt von der Entstehung der parlamentarischen Demokratie und den wirtschaftlich schweren Zeiten durch hohe Inflationsraten. Die zurückkehrenden Soldaten und die Umstellung von der Kriegswirtschaft auf Friedenswirtschaft erzeugten hohe Über­hänge auf dem Arbeitsmarkt im Vergleich zu den Jahren vor dem Krieg[5], die durch die kriegsbe­dingte geringe Wirtschaftsleistung nur schwer aufgefangen werden konnten. So lag die Zahl der unterstützten Erwerbslosen im Februar 1919 bei 1,1 Millionen[6]. Die Erwerbslo­sen wurden dann durch die Demobilmachungsverordnung in Lohn und Brot gebracht, so dass im Juni 1920 nur noch 270.000 Erwerbslose gezählt wurden. Die Inflationsprobleme sorgten jedoch für einen erneuten Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Mit der Währungsreform 1923 endete diese Phase.

Die „Goldenen Zwanziger Jahre“ sind geprägt durch starkes Wachstum auf Grund von relativ hohen Investitionsquoten und der Entfaltung kultureller Vielfalt vornehmlich in Großstädten wie Berlin und München. Die Jahre der Stabilisierung (außenpolitisch wie innenpolitisch) sorgten trotz wirtschaftlichen Wachstums nicht für einen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Man konnte vielmehr von einer Entwicklung zu einer „chronische(n) Arbeitslosigkeit“[7] sprechen. So stieg die Arbeitslosigkeit im Winter 1925/26 auf über zwei Millionen Arbeitslose an.

Das Ende der Weimarer Republik ist durch die Weltwirtschaftskrise gekennzeichnet. Die durch den Börsenkrach vom Oktober 1929 ausgelöste Weltwirtschaftskrise trifft die Weima­rer Republik besonders hart. Die exportabhängige deutsche Wirtschaft bricht zusammen und dementsprechend folgte die Massenarbeitslosigkeit. Am Ende der Weimarer Republik wurde mit fast 6 Millionen Menschen ohne Arbeit der Höhepunkt erreicht. Der Zusammenbruch der noch jungen Arbeitslosenversicherung war bei diesem schnellen Anstieg und enorm hoher Arbeitslosigkeit unabwendbar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbbildung 1[8]

Die Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen von 1921 bis 1934 in der Weimarer Republik wieder. Man erkennt deutlich die ansteigende Arbeitslo­sigkeit in den „Goldenen Zwanziger Jahren“ mit dem Höhepunkt im Winter 1925/26 und dem rapiden Anstieg der Erwerbslosenzahlen verursacht durch die Weltwirtschaftskrise ab 1929 bis hin zum Höhepunkt 1932.

2 Der Weg zur Arbeitslosenversicherung

Eine Arbeitslosenversicherung entsteht nicht in einem Augenblick. Schon während des Ersten Weltkrieges gab es Planungen und Diskussionen im Zusammenhang mit den Demobilma­chungsplanungen für eine Arbeitslosenunterstützung und –vermittlung[9]. Zum Beginn der Dis­kussionen erlag man der Fehleinschätzung nach Beendigung des Krieges nur mit einer gerin­gen Arbeitslosigkeit konfrontiert zu sein[10]. Erst kurz vor Kriegsende erkannte man die Notwen­digkeit einer Arbeitslosenunterstützung.

Die Erwerbslosenfürsorge wurde per Verordnung vom 13. November 1918[11] eingeführt. Die Verordnung verpflichtete die Gemeinden zum Aufbau und zur Durchführung der Fürsorge, die eine Unterstützungsdauer von maximal 26 Wochen versprach. Die Finanzierung wurde zwischen dem Reich (3/6), den Ländern (2/6) und den Gemeinden (1/6) aufgeteilt[12].

Den Gemeinden oblag die genauere Ausgestaltung (Art, Dauer und Höhe der Unterstützung) der Erwerbslosenfürsorge, sie sollte jedoch nicht den Rechtscharakter einer Armenfürsorge haben und sich am jeweiligen Ortslohn orientieren. Die Bedürftigkeitsprüfung war wesentli­cher Bestandteil der Erwerbslosenfürsorge. Die Unterstützung bekam nur eine ‚arbeitswillige’ und ‚arbeitsfähige’ Person über 14 Jahren[13], die infolge des Krieges ‚nicht mehr imstande ist .. den notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten’[14].

Anlässlich der stark steigenden Arbeitslosigkeit im Winter 1918/19 durch zurückkehrende Soldaten und freigesetzte Arbeiter der Rüstungsindustrie wird die Überforderung der Er­werbslosenfürsorge deutlich. Die freien Gestaltungsmöglichkeiten der Gemeinden führen zu höchst unterschiedlichen Unterstützungssätzen mit Sogwirkung auf Großstädte wie z.B. Ber­lin, die höhere Unterstützungssätze boten als ländliche Regionen. Die im November 1918 herausgegebene Verordnung wurde bereits im Dezember verändert und im Jahre 1919 vier weitere Male überarbeitet[15]. Im Wesentlichen wurden Verschärfungen eingeführt, so wurde der Zwang zur Annahme von geeigneten Arbeiten auch an anderen Wohnorten verstärkt und ausgeweitet. Die Festsetzung von Unterstützungshöchstsätzen wurde vereinheitlicht, jedoch inflationsbedingt häufig geändert.

Im Oktober 1919 wurde eine weitere Verordnung eingeführt, die sich mit Notstandsarbeiten, die auch produktive Erwerbslosenfürsorge genannt wurde, befasste[16]. Der Zwang für Arbeits­lose Arbeiten anzunehmen wurde vergrößert und zusätzlich wurde der Ausbau öffentlich ge­förderter Arbeitsbeschaffung vorangetrieben, somit entstanden Arbeitsplätze die ohne Förde­rung nicht zu stande gekommen wären.

Der ursprüngliche Plan, dass die Erwerbslosenfürsorge nur für ein Jahr bestehen sollte, konnte nicht eingehalten werden. Die finanzielle Belastung der öffentlichen Haushalte sorgte für die Forderung einer Neuregelung in Form einer Arbeitslosenversicherung. Die ersten Überlegun­gen dazu begannen im September 1919 im Kabinett Bauer[17]. Zunächst wurde im Mai 1920 die Erwerbslosenunterstützung auf 26 Wochen begrenzt[18].

Der erste Entwurf war stark an die bereits bestehenden Krankenkassensysteme angepasst. Die neu zu schaffenden Kassenverbände, die aus einem Bezirk stammender zusammengelegter Krankenkassen hervorgingen, sollten sich mit der Durchführung der Arbeitslosenversicherung beschäftigen. Die Finanzierung sollte durch Arbeitgeber (2/6), Arbeitnehmer (2/6), dem Reich (1/6) und den Gemeinden (1/6) aufgeteilt werden.

Dieser Entwurf der zunächst Zustimmung im Kabinett fand, wurde im Laufe der Beratungen im Jahre 1920 immer heftiger kritisiert. Federführend war das Reichsfinanzministerium, das die zu hohe Belastung für die Reichskasse beanstandete. Durch den Regierungswechsel im Juni 1920 kam es zur Neubesetzung des Reichsarbeitsministers mit Dr. Heinrich Brauns, Mit­glied der Zentrumspartei, der bis Juni 1928 in dieser Position bleiben sollte. Durch den Wech­sel des Reichsarbeitsministers kam es zu einem Strategiewechsel. Es wurden andere Abtei­lungen im Ministerium, die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und weitere Interessensgrup­pen gebeten Verbesserungsvorschläge einzureichen. Im weiteren Verlauf des Jahres wurde ersichtlich, dass eine vollständige Überarbeitung des Entwurfes notwendig war. So wurde der ursprüngliche Entwurf im November 1920 vom Reichsarbeitsminister Brauns zurückgezo­gen[19].

Beim zweiten Anlauf die Arbeitslosenversicherung zu etablieren und die Erwerbslosenfür­sorge abzulösen, wurden bereits im Vorfeld die Interessensgruppen mit eingebunden. Es wurde zunächst ein Referentenentwurf veröffentlicht zu dem jeder eine Stellungnahme abge­ben konnte. Somit konnte gewährleistet werden, dass der endgültige Gesetzesentwurf eine breite Zustimmung finden wird. Wesentlicher Bestandteil des neuen Entwurfes war die pari­tätische Finanzierung der Versicherung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die innen- und außenpolitischen Probleme sorgten für eine Zurückstellung der Beratung und es kam le­diglich zu einer Überarbeitung der Erwerbslosenfürsorge.

[...]


[1] Syrup, Friedrich: Hundert Jahre staatliche Sozialpolitik, S. 311

[2] Vorstand der SPD: Kampf um die AV, 1929, Sonderausgabe 2 der Sozial. Parteikorrespondenz, S. 3

[3] RGBl. I, 1927, S. 187 ff.

[4] Lampert / Althammer: Lehrbuch der Sozialpolitik, S. 91

[5] Lewek, Peter: Arbeitslosigkeit u. Arbeitslosenvermittlung in der W.R. 1918 – 1927, S. 210

[6] Preller, Ludwig: Sozialpolitik in der Weimarer Republik, S. 236

[7] Lewek, Peter: a.a.O., S. 210

[8] Quelle: Petzina, Dietmar: Materialien zur Statistik des Deutschen Reiches 1914 – 1945, S.119 f.

[9] Lewek, Peter: a.a.O., S. 38

[10] Lewek, Peter: a.a.O., S. 41

[11] RGBl. I, 1918, S. 1305 ff.

[12] Frerich, Johannes: Sozialpolitik, S. 93

[13] Syrup, Friedrich: a.a.O., S. 328

[14] § 6 der Verordnung über Erwerbslosenfürsorge; zitiert bei Lewek, Peter: a.a.O., S. 57

[15] Preller, Ludwig: a.a.O., S. 236

[16] Frerich / Frey: Handbuch d. Geschichte d. Sozialpolitik in Deutschland Bd. 1, S. 196

[17] Lewek, Peter: a.a.O., S. 162 f.

[18] Syrup, Friedrich: a.a.O., S. 289

[19] Lewek, Peter: a.a.O., S. 170

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Einführung der staatlichen Arbeitslosenhilfe und -versicherung in der Weimarer Republik
Untertitel
Eine politisch-ökonomische Analyse
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für öffentliche Finanzen, Wettbewerb und Institutionen)
Veranstaltung
Sozialpolitik
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
23
Katalognummer
V88552
ISBN (eBook)
9783638024969
ISBN (Buch)
9783638924955
Dateigröße
457 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einführung, Arbeitslosenhilfe, Weimarer, Republik, Sozialpolitik
Arbeit zitieren
Andre Hintz (Autor:in), 2007, Die Einführung der staatlichen Arbeitslosenhilfe und -versicherung in der Weimarer Republik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88552

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