Polen im Emsland

Displaced Persons, Befreier und Besatzer nach dem Zweiten Weltkrieg


Seminararbeit, 2007

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Befreiung der Emslandlager
2.1 Die Arbeits- und Gefangenenlager im Emsland
2.2 Die ehemaligen polnischen Kriegsgefangenen im Emsland
2.3 Die Frage der Heimkehr

3 Die Displaced Persons nach dem Zweiten Weltkrieg
3.1 Wege aus Zwangsverschleppung und Zwangsarbeit
3.2 Displaced Persons im Emsland
3.3 Die Repatriierung durch die Alliierten

4 Die polnische Besatzung im Emsland
4.1 Die Übernahme des Besatzungsdienstes
4.2 Eine Kleinstadt wird polnisch: Haren (Ems) wird Maczków
4.3 Besatzer und Besetzte: Die Haltung nach der Umkehr der Rollen

5 Resümee

6 Quellen- und Literaturverzeichnis
6.1 Bibliographie
6.2 Internetquellen

7 Anhang

1 Einleitung

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann ein neues Kapitel der deutsch-polnischen Beziehungen, das zunächst durch eine vielen unbekannte Episode zwischen 1945 und 1947 eingeleitet wurde: Dem Einsatz polnischer Truppen in Nordwestdeutschland im Rahmen des Besatzungsdienstes der britischen Armee. Diese Arbeit versucht, die Kenntnisse über das Geschehen in den Nachkriegswirren zusammenzutragen, welche im Besonderen die befreiten Insassen der Strafgefangenen- und Arbeitslager im Emsland[1], die Besatzung des Emslandes durch die polnischen Streitkräfte sowie die Probleme bei der Repatriierung nach Polen betreffen. Ferner beschäftigt sich diese Arbeit mit der Frage, inwiefern die Bevölkerung im Emsland als Teil des Täterstaates nach der Kapitulation mit der sich nun ergebenden Rollenumkehrung des Besatzers und des Besetzten umging.

Nach dem Ende der Kampfhandlungen und mit der Befreiung der Emslandlager richteten sich neben den polnischen Truppen auch Displaced Persons, d.h. Menschen, die von den Nationalsozialisten verschleppt, interniert und zu harter Arbeit gezwungen wurden sowie befreite Kriegsgefangene und polnische Flüchtlinge im Emsland ein. Während die Befreiten eine „polnische Enklave“ schufen und ein kulturelles Leben nach dem Vorbild des Vorkiegspolens anstrebten, waren die polnischen Streitkräfte, die der Exilregierung der Republik Polen in London unterstanden, einer Konfliktsituation ausgesetzt, die sich durch den in Polen aufstrebenden Kommunismus ergab. Im Laufe der Zeit stellte sich für viele Polen die Frage nach der Heimkehr in das nun kommunistische Land.

Als quellen- und literaturbezogene Grundlage zu diesem Thema diente insbesondere die Monographie Jan Rydels über die polnische Besatzung im Emsland[2], die 2003 in die deutsche Sprache übersetzt wurde und in der der Autor versuchte, sich dem bisher in der deutschen Geschichtsforschung entwickelten einseitigen Bild durch die Kenntnisnahme polnischer und britischer Quellen zu entziehen. Ausserdem wurden vor allem Zeitschriftenartikel und Artikel auf Internetseiten der jüngeren Zeit zur Erarbeitung herangezogen.

2 Die Befreiung der Emslandlager

2.1 Die Arbeits- und Gefangenenlager im Emsland

Das erste Konzentrationslager Preußens wurde im Juni 1933 im Emsland belegt: das KZ Börgermoor südöstlich der Stadt Papenburg. Bis zum Untergang des NS-Regimes und der alliierten Befreiung im April 1945 bestanden auf dem Gebiet der heutigen Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim fünfzehn Straf-, Militärstraf- und Kriegsgefangenenlager (siehe Abb. 1). Zunächst für politische „Schutzhäftlinge“ eingerichtet, wurden die KZ Börgermoor, Neusustrum und Esterwegen bis 1936 für die Reichsjustizverwaltung in Militärstraf- und Strafgefangenenlager umgewandelt. Bis 1938 kamen zwölf Lager entlang eines 60 km langen Streifens links der Ems hinzu. Das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) übernahm Ende 1939 neun von ihnen als Kriegsgefangenenlager (Mannschaftsstammlager (Stalag) und Offizierslager (Olag)).[3] Die Lager IX (Versen) und XII (Dalum) wurden zudem 1944 zu Aussenlagern des Konzentrations- und Vernichtungslagers Neuengamme umgewidmet.[4] Insgesamt etwa 180.000 Häftlinge (über 100.000 von ihnen aus besetzten europäischen Ländern) saßen in der Nazi-Zeit in den Emslandlagern ein und wurden gezwungen, mit ihrem Arbeitseinsatz die wirtschaftlich unterentwickelte Region am Rande großer Hochmoorgebiete agrarisch zu kultivieren. Von Schikanen und Terror seitens der Wachmannschaften begleitet, fanden mindestens 30.000 Inhaftierte durch die entkräftende schwere Arbeit im Moor, durch mangelhafte Nahrungsmittelversorgung, durch Unterkühlung und durch epidemische Krankheiten den Tod.[5]

Nachdem am 2. Oktober 1944 der Warschauer Aufstand der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa, AK) gegen die deutsche Besatzung von der Wehrmacht niedergeschlagen wurde, mussten etwa 3.000 meist junge polnische Soldatinnen ihren Weg u.a. in das Lager VI (Stalag Oberlangen) antreten.[6] Dort wurde ihre Inhaftierung zum Ausbau einer Lagerorganisation ausgenutzt, die sich auch den religiösen und medizinischen Bedürfnissen der Inhaftierten annahm, so dass nur noch Lagerbewachung und –verwaltung in den Händen der Deutschen lag. Anfang April 1945 wurden die Emslandlager schließlich von den vorrückenden britischen, kanadischen und polnischen Truppen befreit. Z.B. erfuhr Oberst Koszutski, Kommandeur des 2. Polnischen Panzerregiments der AK während des Feldlagers auf niederländischer Seite von einem Arbeitslager im emsländischen Moor, in dem sich polnische Kriegsgefangene befänden. Nach unverzüglichem Aufbruch nach Oberlangen (Stalag VI) mit einer kleinen, zehn Mann starken Einheit, traf er dort auf geringen Widerstand der Wachmannschaften und befreite 1.736 polnische Soldatinnen und 42 polnische Kinder.[7] Alle befreiten Inhaftierten wurden von den Alliierten in den sog. Displaced-Persons-Camps untergebracht.

2.2 Die ehemaligen polnischen Kriegsgefangenen im Emsland

Ein Haupthindernis der deutschen Kriegswirtschaft stellte neben der Ressourcen-knappheit der Rohstoffe vor allem der Mangel an Arbeitskräften dar. Der Arbeitskräftemangel im Emsland war dem entsprechend auf den Abzug des Reichs-arbeitsdienstes (RAD) für den Fronteinsatz zurückzuführen. Die nach dem deutschen Überfall auf Polen in den Emslandlagern untergebrachten Kriegsgefangenen sollten also zunächst in gewerblichen und landwirtschaftlichen Betrieben im Emsland zur Arbeit gezwungen werden. Nachdem die Lagerkapazitäten mit dem deutschen Angriff auf Frankreich, die Niederlande, Belgien und Luxemburg und dem von dort einsetzenden Strom neuer Kriegsgefangener schnell an ihre Grenzen gerieten, wurden einige polnische Inhaftierte entlassen, jedoch gezwungen, sich polizeilicher Kontrolle zu untergeben und jede zugewiesene Beschäftigung anzunehmen: sie bekamen den sog. Zivilarbeiterstatus und wurden so zu Zwangsarbeitern gemacht.[8] Da die Kriegsgefangenenlager im Emsland auch als Durchgangslager dienten, wurden viele polnische Kriegsgefangene auf andere Lager im Deutschen Reich verteilt. So wurden die Polen z.B. gezwungen, während der Rübenernte südlich Hannovers oder in der Rüstungsindustrie in Wilhelmshaven zu arbeiten.[9]

Als sich Anfang 1945 die Nachrichten über alliierte Erfolge gegen die Wehrmacht häuften, gerieten die polnischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen verstärkt in Unruhe, und auch in den Emslandlagern konnte die polnische Widerstandsbewegung nun öfter Informationskanäle zu den Insassen erschließen. Mit der fortschreitenden Erosion der nationalsozialistischen Ordnung in den letzten Kriegsmonaten und dem alliierten Heranrücken formierten sich bald Gruppen von Zivilarbeitern verschiedener Nationalitäten. Gruppen, deren Ziel es war, sich zu den heranrückenden Befreiern durchzukämpfen und „(...) deren Ziel die Befriedigung jahrelang aufgestauter Rachegefühle war und die in zunehmender Zahl die ihnen erreichbaren Protagonisten des verhaßten Zwangs umbrachten – Polizisten, Lagervorstände und deutsche Soldaten. (...)“[10] Diese Entwicklung der Zerstreuung der zukünftigen Displaced Persons (DP) stellte für die alliierte Planung einerseits ein Problem dar – man konnte eine spätere effektive Versorgung der DPs nur durch eine organisierte Unterbringung gewährleisten –, andererseits sah man in ihr zur Verminderung der Abwehrkraft des Deutschen Reiches militärtaktisch durchaus eine Chance.[11]

2.3 Die Frage der Heimkehr

Mit dem schnellen Vorrücken der alliierten Einheiten und mit der Konzentration der kommandantur-strategischen und feldmilitärischen Kräfte auf den weiteren Vormarsch, geriet die Verantwortung für die Verwaltung der besetzten Gebiete und somit auch für die Organisation der Versorgung und Betreuung der Befreiten ausländischer Nationalitäten, die zunächst in den Händen der Truppenkommandeure gelegen hätte, in die Vernachlässigung. Daher machten sich die Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen unmittelbar nach der Befreiung eigenmächtig und unorganisiert auf den Weg: „(...) Bald füllten sich die Straßen mit ‚wandernden Horden’ von DPs (...) auf der Suche nach Bett und Brot – wo dieses fehlte, wurde es durch Überfall und Plünderung beschafft (...)“[12]. Nachdem die polnische Exilregierung in London das britische Angebot für eine umfassende Beteiligung an der Besatzung Deutschlands als utopisch und unrealistisch abgelehnt hatte, behandelten die Briten die komplizierte Frage der Repatriierung der Polen mit Vorrang. Der Kommandeur des 2. Korps der 1. kanadischen Armee stellte jedoch fest, dass „(...) aus seinem Gebiet ohne Rücksicht auf die Umstände rund 30 Prozent der Polen repatriiert werden wollten, weitere 20 bis 30 Prozent würden nach Polen zurückkehren, wenn sie dort Unterstützung bei der Ansiedlung erhielten. Die übrigen 40 bis 50 Prozent (...) würden eine Rückkehr von einem Abzug der Sowjets aus Polen abhängig machen (...)“[13]. Trotzdem herrschte noch ein allgemeiner Drang zur Rückkehr nach Polen, da die Versorgungslage in den befreiten Lagern immer prekärer wurde und die Stimmung dort nahezu am Boden lag.[14]

[...]


[1] Die Landschaftsbezeichnung (niedersächsisches) Emsland ist von dem gleichnamigen Landkreis , gebildet aus den früheren Kreisen Aschendorf-Hümmling, Meppen und Lingen , zu unterscheiden und umfasst neben diesen noch den Landkreis Grafschaft Bentheim sowie Teile des Oldenburger Münsterlandes und des Landkreises Leer.

[2] Rydel, Jan (2003): Die polnische Besatzung im Emsland 1945 – 1948. Osnabrück: Fibre-Verlag.

[3] Knoch, Habbo (2005): Die Emslandlager 1933 – 1945. In: BENZ, Wolfgang / DISTEL, Barbara (Hrsg./2005): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 2: Frühe Lager, Dachau, Emslandlager. München: Beck. S. 533-540.

[4] Albers, Pieter (2005): Gevangen in het veen. De geschiedenis van de Emslandkampen. Vijftien onbekende Duitse concentratiecampen langs de grens van Groningen en Drenthe. Groningen: Noordboek. S. 13 – 38; 64f.; Knoch: a.a.O., S. 536.

[5] Knoch: a.a.O., S. 533f;

Schneider, Ullrich (1980): Britische Besatzungspolitik 1945. Besatzungsmacht, deutsche Exekutive und die Probleme der unmittelbaren Nachkriegszeit, dargestellt am Beispiel des späteren Landes Niedersachsen von April bis Oktober 1945. Genehm. Dissertation. Universität Hannover. Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften. Hannover. S. 169 – 195.

[6] Lembeck, Andreas (1997): Befreit, aber nicht in Freiheit. Displaced Persons im Emsland 1945 – 1950. Unter Mitarb. v. Klaus Wessels. In: DIZ-Schriften. Hrsg. v. Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager. Papenburg. Band 10. Bremen: Edition Temmen. S. 27f.

(„Lembeck: Freiheit“ in den Anm.)

[7] Meemken, Hermann (1987): Wege aus dem Chaos. Das Emsland und Niedersachsen 1945 – 1949. Hrsg. v. Landkreis Emsland. Meppen: Goldschmidt. S. 99 – 103.

[8] Lembeck: Freiheit, S. 13.

[9] Lembeck: Freiheit, S. 13f.

Pfahlmann Hans (1968): Fremdarbeiter und Kriegsgefangene in der deutschen Kriegswirtschaft 1939 – 1945. Darmstadt: Wehr & Wissen. S. 25ff.

[10] Jacobmeyer: a.a.O., S. 36.

[11] Jacobmeyer: a.a.O., S. 36-38; Schneider: a.a.O., S. 19-25.

[12] Jacobmeyer: a.a.O., S. 37

[13] Rydel: a.a.O., S. 172

[14] Meemken: a.a.O., S. 104-116; Lembeck: enclave, S. 3 – 5; Rydel, a.a.O., S, 172f.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Polen im Emsland
Untertitel
Displaced Persons, Befreier und Besatzer nach dem Zweiten Weltkrieg
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
„Noch ist Polen nicht verloren“. Die Geschichte Polens im „kurzen“ 20. Jahrhundert 1918-1989
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V88334
ISBN (eBook)
9783638034296
ISBN (Buch)
9783638936897
Dateigröße
572 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Polen, Emsland, Polen, Geschichte, Polens, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Ingo Roetgers (Autor:in), 2007, Polen im Emsland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88334

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