Systemimmanenz von systemkritischem Theater - Prolegomena zur politischen Wirkung von Theater


Magisterarbeit, 2005

161 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. GRUNDLAGEN EINER MATERIALISTISCHEN BETRACHTUNG VON SYSTEMIMMANENZ UND SYSTEMKRITIK IN DER KUNST NACH KARL MARX
1. Begriffsklärung, Fragestellung und Methodik
2. Kunst als gesellschaftlicher Prozess
3. Der Warencharakter von Kunst
4. Gebrauchswert, Tauschwert und Fetischcharakter
5. Die doppelte Erzeugung von Gebrauchs- und Tauschwert in der Kunst
6. Staatliche Eingriffe in den Warenwert von Kunst
7. Der Tauschwert des Theaters
8. Der Gebrauchswert des Theaters
8.2 Der Inhalt
9. Momente der Systemkritik in der Dialektik von Gebrauchswert und Tauschwert im Theater

II. UTOPISCHE KUNSTFORMEN, IHRE SYSTEMKRITISCHE WIRKUNG UND DIE VERBINDUNG ZUR BESTEHENDEN GESELLSCHAFT
1. Eine kurze historisch-philosopische Einordnung der Situationistischen Internationale
2. Zur Eingrenzung der Positionen
3. Die Trennungen in der Welt und ihr Ausdruck im Spektakel
4. Die Zerstörung des Spektakels durch die Befreiung des wirklichen Subjektes
5. Die Grundlagen einer revolutionären Funktion von Kunst und Kultur
5.1 Bedürfnisse und Begierden als Zugang zum revolutionären Subjekt
5.2 Aufhebung der getrennten Kommunikation und der Trennung zwischen Kunst und Leben durch die revolutionäre Poesie
5.3 Spiel als Handlungsmodus
6. Künstlerisch-revolutionäre Praxisformen in der S.I
7. Gedanken über subversive Momente von Kunst
7.1 Generelle Grenzen subversiver Kunst
7.2 Zur Trennung von bürgerlicher Kunst und revolutionärer Kunst
8. Freie, erzeugende Tätigkeit

III. VERSUCHE ÜBER SYSTEMKRITISCHE WIRKUNG IN DER REZEPTION VON BÜRGERLICHEM THEATER UND VERÄNDERUNGEN IN DER WAHRNEHMUNG DES MÖGLICHKEITSRAUMES
1. Stochern im Möglichkeitsraum
2. Beispielhafte Annäherung an systemkritisch wirksames Theater
2.1 Die direkte Einbindung des Zuschauers in das Bühnengeschehen
2.2 Dokumentarische Theaterformen
3. Ansätze zur Systemkritik im derzeitigen, bürgerlichen Theater

SCHLUSSBETRACHTUNG

Literaturliste

EINLEITUNG

Die vorliegende Untersuchung widmet sich der Frage, ob Theater in seiner bestehenden oder einer zukünftigen Form in Opposition zur gesellschaftlichen Produktions- und Lebensordnung, die es umgibt und prägt, treten kann. Können durch Kunst Perspektiven auf eine andere Gesellschaft eröffnet oder eine grundlegende Kritik an der bestehenden Gesellschaft übermittelt werden? Wie sähen potentielle systemkritische Tendenzen innerhalb einer bürgerlichen Kunst aus und wodurch könnten sie vermittelt werden?

Im ersten Abschnitt der Arbeit werden theoretische Grundlagen anhand der marxschen Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie gelegt; die abgeleiteten Unterscheidungen und Kategorien liefern für die folgende materialistische Auseinandersetzung mit Kunstwirkung insgesamt die Grundlage.

Die erste Annäherung an systemkritische Kunst erfolgt als negative Annäherung von Seiten ihrer systematischen Funktion her. Kunst wird als Ware bestimmt und in ihrer Eigenschaft als Ware einerseits als Teil des gesamten Prozesses zwischen Produktion und Konsumtion definiert, andererseits wird die Besonderheit der Ware Kunst im Gegensatz zu anderen Waren einer Betrachtung unterzogen.

Anstatt Kunst mittels eines sich historisch wandelnden Kunstbegriffes zu fassen, erfolgt eine Bestimmung von Kunst als Kunstprozess, mit dessen Hilfe Kunst in ihren polit-ökonomischen Beziehungen und unter den jeweiligen historischen Bedingungen ihrer Produktion oder Konsumtion auch im Wandel der Zeit verstanden werden kann. Durch die Betrachtung der Beziehungen, in denen Kunst steht, werden Besonderheiten von Kunst in ihrem doppelt erzeugten Gebrauchs- und Tauschwert durch die Produktion von Kunst als Ware und durch den gesellschaftlich bestimmten ideologischen Kunstcharakter und in der staatlichen Beeinflussung von Kunst als Mittel zur Ideologieerzeugung aufgedeckt. Besonderes Augenmerk wird dem Widerstreit gewidmet, in welchem Kunst als Produkt eines Gesellschaftssystems steht, gegen das es versucht, Wirksamkeit zu entfalten. Dieser Widerstreit offenbart sich in der Dialektik zwischen Gebrauchswert und Tauschwert von Kunst und derjenigen zwischen Kunstform und Kunstinhalt.

Abschließend sollen die für die Erzeugerebene gewonnenen Erkenntnisse auf die Kunstproduktion übertragen werden. Dabei zeigen sich die Schwierigkeiten, die sich in der Produktion systemkritischer Kunst innerhalb von Gesellschaften ergeben, die durch mehrwerterzeugende Warenproduktion bestimmt sind. Eine Erweiterung auf die Rezeptionsebene und den Rezipienten erfolgt im zweiten Abschnitt der Arbeit durch die Auseinandersetzung mit der Theorie der Situationistischen Internationale (S.I.). Aufgrund ihrer relativen Unbekanntheit erfolgt eine recht umfangreiche Darstellung derjenigen Bereiche situationistischer Theorie, die für eine Untersuchung von Kunstwirkung sinnvoll erscheinen. Deutlicher als bei Marx findet eine Trennung in derzeitige „spektakuläre“ Kunstproduktion und utopische, revolutionäre Kultur und Kunstformen, die es zu erreichen gilt, statt. Indem die Trennung zwischen kontemplativem Konsum von Kultur und aktivem Prozess des Erzeugens und Erlebens von Kunst mitgedacht wird, erfolgt eine Auseinandersetzung mit zukünftig möglichen Tendenzen systemkritischer Kunst, denen eine tragende Position in Bezug auf den revolutionären Prozess zugesprochen wird. Dabei wird Kunstwirkung als über das Individuum und seine Bedürfnisse und Begierden vermittelt verstanden und ein spielerisches Verhalten in der Kunst vorausgesetzt.

Die von der S.I. beschriebene revolutionäre Wirkung einer zukünftigen Kunst wird durch einen freien Zugriff in den Raum gesellschaftlicher Möglichkeiten begründet. Das utopische Moment des situationistischen Kunstbegriffes ergibt sich demnach aus der Kraft der Kunst, bisher Ungedachtes oder Unmögliches durch die Kunst direkt zu verwirklichen.

Im letzten Abschnitt der Arbeit erfolgt eine beispielhafte Untersuchung systemkritischer Kunstwirkung anhand von vier Inszenierungen. Zugrunde gelegt werden die aus der bisherigen Untersuchung hervorgegangenen Voraussetzungen von systemkritischer Kunstwirkung: Der Kunstprozess tritt an die Stelle des Kunstwerkes, Kunstwirkung wird als veränderbar durch den jeweiligen raum-zeitlichen Kontext und die betroffenen Individuen angesehen und systemkritische Wirkung resultiert aus der Verbindung zwischen Kunst und gesellschaftlichem Möglichkeitsraum. Die systemkritische Wirkung von Theater auf Individuen wird als Zusammenspiel zwischen emotionalen und rational-inhaltlichen Faktoren begriffen und entwickelt sich durch die Verstärkung von Differenzen und Spannungen.

Durch die beispielhafte Betrachtung wird systemkritische Kunstwirkung in ihren Möglichkeiten und ihren Grenzen erfasst. Aus der Formenvielfalt praktischer Ausdrücke wird die Schwierigkeit ersichtlich, auf die die Suche nach einem klaren Regelsystem für systemkritische Kunstwirkung stößt.

Die Arbeit liefert keine hinreichende Untersuchung systemkritischer Theaterformen, es kann lediglich gelingen, gewisse Tendenzen freizulegen. So werden beispielsweise weder die verschiedenen Akteursebenen, noch die Interaktion zwischen Ihnen erschöpfend behandelt, bilden aber im Wechsel ihrer Betrachtung die verschiedenen Ebenen für die Untersuchung.

Ausgangspunkt der Untersuchung über systemkritisches Theater ist die Suche nach Positionen, die vom gesamtgesellschaftlichen Konsens abweichen. Innerhalb einer Gesellschaft, in der die grundlegende Rationalität des bestehenden Gesellschaftssystems nur selten angezweifelt wird und die einer permanenten, in diese Richtung wirkenden Medieneinwirkung unterliegt, könnte es reizvoll sein, im Theater letzte Widerstände aufzuspüren. Auch wenn diese sich vielleicht nur halten können, weil Theater bisher aufgrund seiner fehlenden gesellschaftlichen Relevanz einer eindeutigen Nutzbarmachung entgehen konnte.

I. GRUNDLAGEN EINER MATERIALISTISCHEN BETRACHTUNG VON SYSTEMIMMANENZ UND SYSTEMKRITIK IN DER KUNST NACH KARL MARX

1. Begriffsklärung, Fragestellung und Methodik

Zu Beginn dieses Kapitels sollen einige Begriffbestimmungen vorgenommen werden, die ein gemeinsames Verständnis der gesellschaftlichen und systematischen Voraussetzungen erleichtern.

Wenn in dieser Arbeit von Systemkritik und Systemimmanenz die Rede ist, so immer in Bezug auf den von Karl Marx in „Das Kapital“[1] entwickelten Begriff des kapitalistisch ökonomischen Systems, welches die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft bildet. Marx weist den Kausalzusammenhang zwischen Ökonomie und gesellschaftlich-sozialen Prozessen nach, denen die Arbeitsteilung und die darauf aufbauenden Produktionsverhältnisse als Grundlage dienen, wenn er davon spricht, „daß also die jedesmalige ökonomische Struktur der Gesellschaft die reale Grundlage bildet, aus der der gesamte Überbau der rechtlichen und politischen Einrichtungen, sowie der religiösen, philosophischen und sonstigen Vorstellungsweise eines jeden geschichtlichen Zeitabschnitts in letzter Instanz zu erklären sind“[2].

Produktion wird von Marx immer als Produktion auf einer gewissen gesellschaftlichen Entwicklungsstufe gefasst. In diesem Sinne sind die in dieser Arbeit als System gefassten ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen Voraussetzung auch jeder künstlerischen Produktion. „Es könnte daher sein, daß, um überhaupt von Produktion zu sprechen, wir entweder den geschichtlichen Entwicklungsprozeß in seinen verschiedenen Phasen verfolgen müssen oder von vorneherein erklären, daß wir es mit einer bestimmten historischen Epoche zu tun haben, also z. B. mit der modernen bürgerlichen Produktion, die in der Tat unser eigentliches Thema ist.“[3] Die kapitalistische Warenproduktion ist von der vorkapitalistischen Warenproduktion dadurch grundlegend verschieden, dass in ihr Produktion auf den Kaufwert und nicht auf den Gebrauchswert ausgerichtet ist.

Untersuchungsgegenstand ist in diesem Sinne die künstlerische Produktion der bürgerlichen Gesellschaft der kapitalistischen Warenproduktion. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass Produktion innerhalb marxscher Theorie nicht als getrennter Bereich verstanden wird, sondern einerseits als Glied der Kette von Produktion, Distribution, Austausch und Konsumtion zu verstehen ist, die sich gegenseitig beeinflussen, andererseits als prägendes Moment dieses gesamten Prozesses[4].

Als systemkritisches Theater ist ein solches zu verstehen, dass sich mit den ökonomischen Grundlagen gesellschaftlichen Lebens und deren Folgen kritisch befasst, also Grundlagenkritik betreibt.

Gerade bei der Betrachtung von Kunst ergeben sich durch die Übernahme der marxschen materialistischen Geschichtsbetrachtung Besonderheiten, weil an die Stelle einer Kulturgeschichte, die dem gesellschaftlichen Leben zugrunde liegt, die Ökonomie gesetzt wird. Ideen treten als Ausdruck ökonomischer Realität auf, nicht als dessen Ursprung. „Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.“[5] Von dieser Grundlage ausgehend erscheint es fraglich, ob Kultur eine Sonderstellung innerhalb gesellschaftlicher Prozesse einnimmt. Kunst auf materialistischer Grundlage zu untersuchen heißt, die Wechselbeziehungen zu betrachten, in denen Kunst mit dem jeweiligen Gesellschaftssystem und seinen vielfältigen Ausdrücken steht.

Kritik am Kapitalismus durch das Theater umfasst in dieser marxschen Konzeption sowohl theatrale Ausdrucksformen, die dem Kapitalismus als Ganzes feindlich gegenüberstehen, als auch solche, die lediglich einzelne Funktionsweisen des Kapitalismus hinterfragen. Ihnen gemeinsam ist eine Kritik an den Grundlagen gesellschaftlichen Seins. Zur eindeutigen Bezeichnung dient in dieser Arbeit die begriffliche Trennung in systemhinterfragendes und systemfeindliches Theater, wobei das systemfeindliche Theater eine systemtranszendierende Perspektive in sich trägt und direkt auf die Aufhebung des Kapitalismus abzielt, unter systemhinterfragendem Theater hingegen alle theatralen Formen zu fassen sind, die partielle Kritik an einzelnen Ausdrücken des Systems formulieren. Bei beiden erwähnten Formen der Systemkritik handelt es sich jedoch nur um Tendenzen, die nicht in Reinform, sondern jeweils als dominante oder untergeordnete Funktion auftreten und im Regelfall zeitgleich auszumachen sind. Interessant ist diese schematische Trennung, weil sich in ihr bereits eine Unterteilung in inhaltliche und formgebundene Wirkungsmöglichkeiten abzeichnet, die die Betrachtung einer möglichen gesellschaftlichen Wirkung von Kunst begleitet. Während der Inhalt eines Theaterabends unabhängig von seiner Form systemhinterfragend sein kann, muss Systemfeindlichkeit sich auch in der Form von Kunst ausdrücken. Feindlichkeit tritt als aktive, körperlich aktivierende Vorgehensweise auf, während das Hinterfragen rein geistig ist und auch auf der Wirkungsebene geistig bleibt. Systemkritik auf dem Theater wird demzufolge als Zusammenspiel zwischen systemfeindlichen und systemhinterfragenden Ausdrücken gesehen, sie entsteht in einem Wechselspiel zwischen inhaltlicher Kritik in traditionellen Formen und durch das Aufbrechen gewohnter Formen vermittelter Kritik. Als allen betrachteten systemkritischen Theaterformen gemeinsames wird der in ihrer Produktion intendierte Wille zur Veränderung oder Abschaffung der auf kapitalistischem Warenaustausch basierenden gesellschaftlichen Struktur gesetzt. Die häufig fehlende Eindeutigkeit von systemkritischer Wirkung kritischer Kunst und ihre fehlende Messbarkeit werden zu umgehen versucht, indem der intendierte Wille zur systemkritischen Wirkung als Definitionskriterium gesetzt wird. Der verwendete Begriff des systemkritischen Theaters bezeichnet an dieser Stelle ein Theater, das auf gesellschaftliche Veränderungen hinarbeitet. In diesem Sinne können systemkritisches und subversives Theater gleichgesetzt werden, beide Begriffe beinhalten ein klandestines Moment, da ihre Wirkung gegen das derzeitig herrschende System angeht und somit im Untergrund verbleiben muss. Solange die herrschende Ordnung direkte Aufrufe zum Umsturz des bestehenden ökonomischen Systems nicht zulässt, muss Systemkritik auch in der Kunst verdeckt stattfinden, um überhaupt stattfinden zu können.

Allen systemkritischen Theaterformen ist gemeinsam, dass sie Grundlagenkritik betreiben und sich nicht ausschließlich mit der Kritik von Symptomen beschäftigen, dass sie eben auch ein systemfeindliches Moment beinhalten. Wirkliche Veränderung des gesellschaftlichen Zusammenlebens wird an den Quellen der Symptome angesetzt, nicht an den Symptomen. Wenn eine Veränderung der Gesellschaft im marxschen Sinne nur durch eine Veränderung des ökonomischen Systems erreicht werden kann, muss demzufolge ein systemkritisches Theater eine Kritik an den kapitalistischen Produktionsbedingungen leisten, will es wirksam sein. Die Produktion systemkritischen Theaters setzt eine Erkenntnis voraus. Dabei tritt als hemmend auf, dass Theater auch ein spezieller Ausdruck des Systems ist, in welchem die Bedingungen seiner Produktion, Distribution, Zirkulation und Konsumtion liegen, dass Kunst im Allgemeinen eine systemstabilisierende Wirkung hat, da sie durch die in ihr ausgedrückten Bedingungen ihrer Produktion Repräsentant ihrer jeweiligen Gesellschaftsordnung und der sie hervorbringenden Wirtschaftsordnung ist. Die gesellschaftlich bestehenden Verhältnisse von Produktion, Distribution, Zirkulation und Konsumtion werden durch ihre Wiederholung in der Kunst als notwendige Formen menschlicher Interaktion bestätigt. Voraussetzung einer Untersuchung von systemkritischem Theater ist es, zu beleuchten, auf welche Weise Theater sich gegen das System stellen kann, in welchem es erzeugt wird.

Dabei kann Theater als ein Faktor unter vielen in einem Zusammenspiel stehen, das letztendlich zur Systemveränderung führt. „Die politische, rechtliche, philosophische, religiöse, literarische, künstlerische etc. Entwicklung beruht auf der ökonomischen. Aber sie alle reagieren auch aufeinander und auf die ökonomische Basis. Es ist nicht, dass die ökonomische Lage Ursache, allein aktiv ist und alles andere nur passive Wirkung. Sondern es ist die Wechselwirkung auf Grundlage der in letzter Instanz stets sich durchsetzenden ökonomischen Notwendigkeit.“[6] Die Angriffsflächen des Kapitalismus, an denen eine Systemkritik ansetzen kann, ergeben sich aus dessen vielfältigen und selbst erzeugten Widersprüchen. Es sei auf die Zerstörung der Quelle des Mehrwerts durch die kapitalistische Produktion[7] und die gleichzeitig auftretenden, widersprüchlichen Tendenzen zur Mehrwertakkumulation und zur Reduktion der variablen Arbeitskraft[8] verwiesen.

Wie sich die Widersprüche der kapitalistischen Warenproduktion aus der Warenform des Arbeitsproduktes als „ökonomischer Zellform“[9] entwickeln und dass die Grundlage aller Widersprüche im ökonomischen Bereich zu finden ist, wird im folgenden Kapitel dargestellt werden. Die Widersprüchlichkeit ist Voraussetzung für die Suche nach einem systemkritischen Theater. Wäre der Kapitalismus so hermetisch, wie er erscheint, könnte nichts in ihm produziertes gegen ihn wirken.

Für die Frage, ob und wie Kunst systemkritisch sein kann, spielt die Unterscheidung von Kunstformen zunächst keine große Rolle. Untersucht wird, ob die spezifischen Eigenarten von Kunst im Allgemeinen eine mögliche Wirksamkeit von Kunst eröffnen. Zentral ist, wie eingangs bemerkt, die Frage nach der Besonderheit von Kunst, danach, wodurch sich Kunst von anderen Waren trennen ließe. Obwohl meine Beispiele vermehrt aus dem Theaterbereich stammen, beanspruchen die Thesen dennoch für sich, auf andere Kunstformen übertragbar zu sein.

2. Kunst als gesellschaftlicher Prozess

Für eine Auseinandersetzung mit der Besonderheit künstlerischer Darstellungen und ihrem Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Bereichen der Produktion, muss der Betrachterstandpunkt bestimmt werden, von dem aus in dieser Arbeit auf die Kunst Bezug genommen wird.

Zunächst werden die Positionen von Wolfgang Heise[10] und Anselm Jappe[11] kurz vorgestellt, die sich mit einer Veränderung in der Beziehung zwischen künstlerischer Darstellung und Lebensrealität befassen. An den Betrachtungen eines jeweils angenommenen Paradigmenwechsels zwischen Kunst und Lebensrealität zeigt sich die Verschiedenheit des zugrunde liegenden Kunstbegriffes und die Dominanz der Wechselbeziehungen, in denen Kunst steht. Brechts Schema der Abbauproduktion folgend wird sodann der Paradigmenwechsel zwischen Kunst und gesellschaftlichem Handeln näher untersucht und die Betrachtung von Kunst als Kunstprozess, auf einer 1978 in „Ästhetik heute“[12] vorgenommenen Zuordnung aufbauend, begründet.

Ausgangspunkt bildet die Annahme einer Veränderung der vielfältigen Beziehungen, in denen Kunst und Gesellschaft stehen, durch die Erweiterung des Kunstbegriffes, unter den im Folgenden ebenso wie bildende Kunst, Schriftstellerei und Musik auch Architektur, Film und Design gefasst werden.

Heise betrachtet den allgemeinen Kunstbegriff als eine im achtzehnten Jahrhundert entstandene Abstraktion, eine Bezeichnung eines Ensembles von Künsten „in der relativen Gesamtheit seiner Produktion durch künstlerische Intelligenz, Marktvermittlung, ideologische Funktion und gesellschaftlichen Gebrauch, in deutlicher Abhebung von Arbeit, Alltag, etc“[13]. Dabei lässt sich nach Heise ein allgemeiner Kunstbegriff nur aufrechterhalten, wenn er als Abstraktion, als gesellschaftlich bedingte Trennung, begriffen wird.

Ausgehend von diesem Konzept eines seit der Renaissance entstandenen Ensembles von Künsten, stellt Heise ein Anwachsen des Bereiches „ästhetisch relevanter, formprägender Tätigkeiten, die ein spezifisches Wertungsverhalten auslösen und dadurch Beziehungen organisieren“[14] vor dem Hintergrund der Industrialisierung fest. Durch die technische Entwicklung löse sich der in der klassischen Autonomieästhetik gebildete Kunstbegriff auf, ästhetische Tätigkeiten erstreckten sich bis in das Alltagsleben und eine klare Trennung würde unmöglich. Es entstehe eine Diskrepanz zwischen dem theoretischen weiteren Festhalten am alten Kunstbegriff und dem tatsächlichen Erobern aller gesellschaftlichen Felder durch erweiterte ästhetische Handlungen.

Der traditionelle, spezialisierte Kunstbegriff muss Heise zufolge entweder um gesellschaftliche Bereiche, wie beispielsweise die Gestaltung des täglichen Lebensraumes oder der eigenen optischen Persönlichkeitsdarstellung, erweitert werden oder gegen diesen Bereich eine sinnvolle Abgrenzung finden. Die gesellschaftliche Konnotation von Kunst im traditionellen Sinne als System der fünf schönen Künste spiegelte eine gesellschaftliche Kunstdefinition wieder, die nicht länger der gesellschaftlichen Realität entspräche. Heise entwickelt den Bruch zwischen Realität und Kunstbegriff aus dem Anspruch, Kunst und ästhetisches Handeln in eins zu setzen. Um einen allgemeinen Kunstbegriff aufrechtzuerhalten, schlägt Heise vor, Kunst und ästhetisches Handeln in der Moderne zu trennen. Heise zufolge müsste das System der Künste heute relativiert bzw. modifiziert und zugleich von der kybernetischen Systemtheorie abgegrenzt werden: „als eine Abstraktion, die ein keineswegs analog selbstbewegtes System meint, sondern ein Gemeinsames der ästhetischen Produktions-, Widerspiegelungs- und Kommunikationsformen ganz unterschiedlicher realer geschichtlicher Systeme, Gesellschaften umfasst – ein strukturell und funktional unterschiedenes Ensemble von Künsten“[15].

Die Abstraktion verstärke sich in der Moderne, Kunst würde zu einem Sammelbegriff verschiedener Künste, die nicht in Methode, Eigenschaft und Funktion übereinstimmten. Das vereinende Moment verschiedener Kunstprodukte läge nicht mehr in der Kunst, sondern sei in ihre gesellschaftliche Funktion verlagert.

Nach Anselm Jappe, der keine Betrachtung des Kunstbegriffes vornimmt, sondern sich direkt mit dem Zusammenhang zwischen Kunst und gesellschaftlicher Realität beschäftigt, lösen sich gesellschaftliche Realität und Kunstbegriff voneinander, wenn die wertförmige Vergesellschaftung sich gesellschaftlich total durchgesetzt hat. Kunst wird hier als Ausdruck gesellschaftlichen Seins und als Kommunikationsform zwischen Individuen aufgefasst. Sie habe ausgedient, weil die gesellschaftliche Kommunikation als soziale Selbstverständigung durch ein Warenverhältnis abgelöst worden sei. Jappe stellt fest: „Der Leerlauf und der Perspektivmangel der modernen Kunst entsprechen dem Leerlauf und dem Perspektivmangel der Warengesellschaft, die alle ihre Karten ausgespielt hat.“[16]

Sowohl Heise, als auch Jappe decken auf, dass der gesellschaftlich verwendete Kunstbegriff nicht den Realitäten entspricht, dass ein alter Begriff eine neue Entwicklung nur noch verdeckt. Beide verwenden die Untersuchung der Wechselbeziehungen von Kunst dazu, sich dem Kunstbegriff überhaupt anzunähern. Sowohl das von Heise beschriebene vereinende Moment der Kunstproduktion in ihrer gesellschaftlichen Funktion als auch die von Jappe verwendete Bezeichnung der Kunst als Kommunikationsprozess weisen auf eine Annäherung an den gesellschaftlichen Prozess von Interaktionen hin, welcher sich gemeinsam mit den gesellschaftlich bestimmten Lebensbedingungen wandelt. Ein für die folgende Auseinandersetzung fruchtbarer Ansatz findet sich in der beiden Ansätzen gemeinsamen Infragestellung des Kunstbegriffes überhaupt und der Suche nach einem anderen Begriff im ästhetischen Handeln bei Heise oder einem völlig neuen Ansatz in der allgemeinen, gesellschaftlichen Kommunikation bei Jappe. Es zeigt sich, dass der bürgerliche Kunstbegriff weitenteils nur ein Konstrukt bürgerlicher Ideologie ist, dem kein in klaren Grenzen erfassbares Reales mehr gegenüber steht.

Während Heise eine Ausweitung des Ästhetischen auf die gesamte Lebenssphäre ausmacht, stellt Jappe eine Trennung zwischen Kunst und Realität durch die nicht mehr in den Formen der Kunst darstellbare Realität heraus. „Anscheinend steckt also die Kunst überhaupt in der Krise – sowohl hinsichtlich der Erneuerung der Formsprache als auch, was ihre Fähigkeit angeht, bewusster Ausdruck der gesellschaftlichen Entwicklung zu sein.“[17] Die spezielle Wertigkeit von Kunst sei mit dem Verlust des Bezugs der Menschen zu ihrem Leben verloren gegangen. Hierin stimmen Heise und Jappe überein, während Heise allerdings gemeinsame Kommunikationsformen im System bzw. im Ensemble der verschiedenen Künste aufzuspüren meint, spricht Jappe vom Ende der gemeinsamen Kommunikation, dass heißt eines kollektiven sozialen Selbstverständigungsprozesses und somit vom Ende der Kunst.

Sowohl Heise als auch Jappe entwerten den Kunstbegriff für weitere materialistische Untersuchungen, wenngleich dies bei Jappe direkter geschieht, indem er die Kunst in vergangene Epochen verbannt, nicht ohne diese zeitgleich als Epochen der Kommunikation und der Kunst zu glorifizieren. Heise hingegen zerstört den direkten Bezug zwischen Kunst und bestehender Gesellschaftsform, den er doch selbst als Index ästhetischen Handelns gesetzt hat. Er weicht die spezielle Bindung von Kunst an die Gesellschaft ihrer Produktion auf, indem er verschiedene historische Formen des Kunstprozesses ungeachtet der bestehenden Unterschiede unter einen allgemeinen Kunstbegriff zusammenfasst.

Beide Auseinandersetzungen erkennen eine Verbindung zwischen Kunst und gesellschaftlicher Realität als Bedingung für Kunstproduktion an, sperren sich allerdings vor der letzten Konsequenz dieser Einsicht. Jappe behauptet neben der durch Kommunikation an die gesellschaftliche Realität gebundenen Kunst eine weitere, nicht mehr mit der Gesellschaft verbundene Kunst, Heise löst die Verbindung zwischen Kunst und ihrem unmittelbaren historischen Produktions- oder Rezeptionsmoment im allgemeinen Kunstbegriff auf.

Auch Bertolt Brecht analysiert in seinem „Dreigroschenprozess“ eine Verschiebung der Kunstproduktion durch die Anforderungen des Marktes, das heißt, eine Veränderung der Kunst durch die Veränderung der sie hervorbringenden und konsumierenden Gesellschaft. „Wir sehen den unaufhaltsamen und daher zu billigenden Verfall des individualistischen Kunstwerkes. Es kann nicht mehr als Einheit den Markt erreichen; der Spannungszustand seiner widerspruchsvollen Einheit muß zerstört werden.“[18] Damit geht Brecht, ähnlich wie Jappe, von einer ehemals freieren Kunstproduktion aus. Er fährt mit seiner Kunstbestimmung fort, die den Ausweg aus der bestehenden Problematik anzeigt. „Kunst ist eine Form des menschlichen Verkehrs und damit abhängig von den den menschlichen Verkehr im Allgemeinen bestimmenden Faktoren.“[19] Kunst wird hier nicht als die Summe individueller Ausdrücke gefasst, sondern als menschlicher Verkehr, dass heißt sie wird als Prozess begriffen und ist als solcher nicht nur Ausdruck einer bestimmten Zeit und der in ihr herrschenden gesellschaftlichen Beziehungen, sondern Kunst verändert sich beständig, weil sich die gesellschaftlichen Beziehungen, in denen sie steht, verändern.

Dies führt zu einer Kunstdefinition, die gesellschaftliche Veränderungen als Prozess umfasst, anstatt sie zu negieren. Es wird nicht das allen Gesellschaftsformen Gleiche in der Kunst gesucht, sondern Kunst wird als durch den gesellschaftlichen Wandel bestimmter Prozess verstanden. In der Kunstproduktion finden sich als Teil der gesellschaftlichen Produktion deren Gesetzmäßigkeiten. „Alle Produktion ist Aneignung der Natur von Seiten des Individuums innerhalb und vermittels einer bestimmten Gesellschaftsform.“[20] Kunst gewinnt in diesem Sinne den ihr eigenen Charakter nicht in totaler Abgrenzung zum allgemeinen Produktionsprozess, sondern erst als dessen Bestandteil.

In diese Richtung argumentieren auch die Autoren von „Ästhetik heute“, die sich für einen „konkreten Historizismus“ einsetzen, der sowohl die historischen Bedingungen eines Kunstwerkes als auch dessen gesellschaftliche Funktion fasst, indem Kunst und Kunstwirkung als Prozess zwischen unterschiedlichen Faktoren begriffen wird. Das Spezifische der Kunst kann demzufolge nicht durch die Untersuchung eines der getrennten Momente von Kunstproduktion oder Kunstrezeption begriffen werden, „weil über einer solchen Verabsolutierung […] eben die dialektische, je geschichtliche Einheit des Gesamtzusammenhanges des sozialen ‚Verhältnisses Kunst’ verloren geht“.[21]

Die Besonderheit von Kunst besteht demnach darin, dass ihre Aneignung und die Aneignung der Welt durch Kunst im gesamten Prozess zwischen Produktion, Distribution, Zirkulation und Konsumtion als produktive Kraftentfaltung verstanden werden. Kunst besteht, verstanden als Kunstprozess, nicht als singulärer Bereich neben anderen gesellschaftlichen Prozessen, sondern steht in permanenten Wechselbeziehungen mit ihnen, sie kann nur deswegen Wirklichkeit abbilden, weil sie Teil der Wirklichkeit ist. „Kunstproduktion ist Vergegenständlichung subjektiver gesellschaftlicher Kräfte, als geistige Produktion ist sie auf spezifisch abbildende Weise Reproduktion des ‚wirklichen Gemeinwesens’.“[22]

So wie Produktion im Allgemeinen auf Produktivkräften beruht, diese aber zugleich auch weiterentwickelt, beruht künstlerische Produktion auf ästhetischen Produktivkräften, deren Entwicklung ebenso in der künstlerischen Produktion vorangetrieben wird. Diese Produktivkraftentwicklung in der Produktion birgt per se ein revolutionäres Moment[23]. Es besteht eine Verbindung von Kunst und Ökonomie als wechselseitige Durchdringung, weil Kunst an der allgemeinen Produktivkraftentwicklung teilhat.

Sicherlich erleichtert die Definition der Kunst als Kunstprozess eine Betrachtung von Kunst nicht, sondern erschwert diese, indem Kunst als Geflecht gegenseitiger Wirkungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren und dem Kunstprodukt verstanden wird und eine Betrachtung von Kunst demnach eine Vielfalt von Beziehungen einbinden muss. Die Begriffsbestimmung von Kunst als Kunstprozess erweitert den zu betrachtenden Gegenstand, aber Kunst und Kunstwirkung sind nur über ihre gesellschaftlichen Wechselwirkungen fassbar. Wie bei Jappe und Heise beispielhaft zu sehen ist, beschneiden Einschränkungen der zu betrachtenden Wechselwirkungen zwischen Kunst und gesellschaftlichem Prozessen den Betrachtungsgegenstand, das heißt, dass eine solche Einschränkung zum Zirkelschluss führt, weil sie das Ergebnis bereits vor der Untersuchung eingrenzt.

Die Definition von Kunst als Kunstprozess liefert eine außerordentlich flexible Untersuchungsgrundlage. Kunst kann als Produkt ihrer Zeit und ihrer Gesellschaftsform untersucht werden, ohne in ihrer Wirkung auf diese reduziert zu werden. Durch die Wechselbeziehungen, die zwischen Kunstwerken, ihrer Produktionszeit, dem Produzenten, den verschiedenen Konsumtionszeiten und verschiedenen Konsumenten bestehen, kann Kunst zeitgleich in verschiedenen Gesellschaftsformen verankert sein, ihre unmittelbare Wirkung aktualisiert sich jeweils in aktuellen Beziehungen. Im Kunstprozess werden Vielfalt und Wirksamkeit der sozialen Bedingtheit von Kunst deutlich.

Mit der Untersuchung des Kunstwerkes in seinen sozialen Strukturen lässt sich auch eine Untersuchung der Bedeutung und Funktion des ästhetischen Eigenwertes in kapitalistischen Gesellschaften unternehmen. Wie bereits mit Heise und Brecht konstatiert, umfasst der Begriff der Kunst in kapitalistischen Gesellschaften eine Vielzahl verschiedener Formen und Ausdrücke. Die künstlerische Praxis vom Kunstprozess her zu fassen, erlaubt, die künstlerischen Ausdrücke trotz ihrer Verschiedenheit mittels desselben Werkzeuges zu untersuchen, dies gilt sowohl für künstlerische Ausdrücke, die einen ästhetischen Eigenwert für sich beanspruchen, als auch für solche, die keine Geschlossenheit als Kunstwerk propagieren.

Es ist augenfällig, dass innerhalb der kapitalistischen Kunstproduktion eine tendenzielle Vereinfachung des von der Kunst geforderten Rezeptionsmodus eintritt. Im Bereich des ästhetischen Handelns nehmen die rein kontemplativ zu konsumierenden Produkte einen wachsenden Anteil ein. Auch Kunst vorkapitalistischer Epochen wird in ihrem Rezeptionsmodus der gesellschaftstypischen passiven Konsumtion unterworfen. Brecht beschreibt diese Einordnung aller Kunst in die Kontemplation kapitalistischer Gesellschaften mit seinem „Schema der Abbauproduktion“[24], welches die Zergliederung von Kunstwerken in ihre Bestandteile zum Zweck der Markttauglichkeit in kapitalistischen Gesellschaften darstellt. In der Zergliederung würde das Kunstwerk als „Ausdruck einer Persönlichkeit“ zerstört, unter anderem werden Sinn und Inhalt isoliert, dem Kunstwerk würde so jegliche Tendenz ausgetrieben und der Kunstschaffende auf einen Markennahmen reduziert. Brecht beschreibt diesen Vorgang als Notwendigkeit kapitalistischer Bedingungen. „Um den Markt zu erreichen, muß ein Kunstwerk, das in der bürgerlichen Ideologie der adäquate Ausdruck einer Persönlichkeit ist, einer ganz bestimmten Operation unterzogen werden, die es in seine Elemente zerspaltet; die Elemente kommen in gewisser Weise einzeln auf den Markt.“[25]

Dieser Vorgang zeigt, wie sich Veränderungen in der gesellschaftlichen Funktion von Kunst durch eine Betrachtung der Kunst als Kunstprozess begreifen und darstellen lassen. Der Wandel des Rezeptionsprozesses aller Kunst in einen Prozess der reinen Kontemplation von inhalts- und tendenzfreien Bruchstücken der Kunst, der durch kapitalistische Marktprozesse vorangetrieben wird, bedeutet auch die gesellschaftliche Negation des ästhetischen Eigenwertes. In der kapitalistischen Ökonomie wird der ästhetische Eigenwert auf einen Kontemplationswert reduziert. Diesen Prozess zu erkennen, bedeutet auch, der bürgerlichen Ideologie, die Kunstwerke als individuellen Ausdruck eines künstlerischen Genies, das aus sich heraus schöpft, begreift, entgegenzutreten und sie als eine Verstellung von Tatsachen zu begreifen.

Die Betrachtung von Kunst als gesellschaftliches Beziehungsgeflecht führt zu einer direkten Erkenntnis über die gesellschaftliche Funktion der Kunst als Ware innerhalb des Kapitalismus, die substantiell unverändert erscheint, strukturell aber eine veränderte Funktion einnimmt. Diese zeitgleiche Kontinuität und Veränderung wurde sowohl von Heise als auch von Jappe aufgrund der Statik der ihren Gedanken zugrunde liegenden Modelle übersehen.

3. Der Warencharakter von Kunst

Zweck einer Betrachtung der Warenförmigkeit von Kunst ist es, Kunst in ihren politischen und ökonomischen Beziehungen zu begreifen. Die Zuordnung von Kunst in den Bereich der Waren soll durch eine Absetzung von gegenteiligen Positionen gerechtfertigt werden.

Die in den siebziger Jahren im Anschluss an die marxsche Warenanalyse entwickelten Positionen zum Warencharakter der Kunst versuchen mehrheitlich, einen Warencharakter von Kunst auszuschließen und die Eigenständigkeit von Kunst aus ihrer Existenz als Nicht-Ware zu begründen. Beispielhaft für dieses Vorgehen sollen hier die Hauptthesen zum Warencharakter der Kunst aus dem Aufsatz „Kritik eines Klischees: ‚Das Kunstwerk als Ware’[26] “ von Hannelore Schlaffer herangezogen werden.[27] In der Auseinandersetzung mit der von Schlaffer vorgenommenen Zurückweisung des Warencharakters der Kunst soll der Warencharakter von Kunst näher bestimmt werden. Ebenso wird in der Zurückweisung der schlafferschen Argumente verständlich, warum Kunst in der Betrachtung ihrer gesellschaftlichen Bedingungen und Zusammenhänge als Ware begriffen werden muss.

Grundlegend für die Ablehnung des Warencharakters von Kunst ist bei Schlaffer ein reduzierter Kunstwerkbegriff, der sich aus einer Trennung zwischen Produktion und Distribution von Kunst einerseits und einer aus dieser vorgenommenen Differenzierung resultierenden Trennung zwischen materiellem und geistigem Substrat eines als Kunstwerk produzierten Dinges andererseits ergibt.

Die künstlerische Produktion geht laut Schlaffer der Zuschreibung des Warencharakters an den materiellen Gehalt von Kunst in der Distribution als hiervon unabhängiger Vorgang voraus. „Kapitalistische Bedingungen werden dem Kunstwerk bei seiner Distribution oktroyiert, denn zu einem großen Teil geschieht die Verbreitung von Kunst über den Markt. Die dingliche Seite, die Medium der geistigen Aneignung sein sollte, kann sich in der Reproduktion in der Tat verselbstständigen und wie eine Ware gehandhabt werden.“[28] Kunst werde nicht als Ware produziert, ihr werde der Warencharakter erst in der Distribution zugeschrieben.

Unterschiede zwischen Warenproduktion und Kunstproduktion sieht Schlaffer darin, dass der Künstler im Schaffensprozess Handwerker bleibt, statt Arbeiter zu werden, da er seinem Produkt unentfremdet gegenübersteht, welches er selbsttätig und als Ganzes geschaffen hat. Er verkaufe demzufolge seine Arbeitszeit nicht im Vorhinein, sondern gebe das materielle Produkt gegen eine gewisse Belohnung ab, die keine Bezahlung oder Entlohnung sein könne, da sie nicht anhand des investierten Arbeitsaufwandes gemessen werde. Künstlerische Arbeit, so Schlaffer, kann nicht auf abstrakte Arbeit reduziert werden, weil die zu investierende Arbeitszeit nicht vor der Produktion errechnet werden kann. Bei ästhetischen Produktivkräften könne es keine Produktivkraftsteigerung geben, da ästhetische Produktion singulär sei.

Die hier zusammengetragenen Besonderheiten in der Produktion von Kunst, über die sich sicherlich noch im Einzelnen streiten ließe, stellen kleinteilig Differenzen in den Vordergrund, ohne auf die Gemeinsamkeiten zwischen Kunstproduktion und Warenproduktion einzugehen: Beide sind produktive Arbeit, sobald sie für die Kapitalverwertung produzieren[29]. Auch künstlerische Arbeit wird zur produktiven Arbeit, das heißt zur Produktion im ökonomischen Sinne, sobald der kapitalistische Produktionsprozess eine bestimmte ökonomische Entwicklungsstufe erreicht hat. So hat Marx darauf verwiesen, dass im Hinblick auf die Funktion in der Produktion kein Unterschied zwischen künstlerischer und anderer Tätigkeit liegt. „Schauspieler sind produktive Arbeiter, nicht sofern sie das Schauspiel produzieren, sondern increase their employers wealth. Doch welche Sorte von Arbeit geschieht, also in welcher Form die Arbeit sich materialisiert, ist absolut gleichgültig für dies Verhältnis.“[30]

Darüber hinaus vernachlässigt Schlaffer, dass auch die Arbeitskraft des Künstlers zunächst nach dem Wert der zum Erhalt ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel bemessen wird[31], bevor weitere Marktmechanismen zur Steigerung des Verkaufspreises beitragen können. Erst eine Produktion um ihrer selbst Willen, außerhalb des Marktes, würde Kunstproduktion von allgemeiner, Kapital erzeugender, Warenproduktion trennen. Diese Beschränkung von Kunst auf durch die kapitalistische Marktlogik nicht betroffene Tätigkeiten und deren Produkte ist ein spannender Ansatz, der im Zentrum der Kunsttheorie der Situationistischen Internationale steht.[32]

Diese Einschränkung des Kunstbegriffes umgeht Schlaffer dadurch, dass sie eine Trennung zwischen geistigem und materiellem Substrat vollzieht und nur das geistige Substrat als Kunstwerk setzt. Die Trennung zwischen Kunst und Ware ergibt sich bei Schlaffer demzufolge nicht aus den begründeten Differenzen zwischen künstlerischer Produktion und Warenproduktion, sondern wird in der Reduktion des Kunstwerkes auf einen ideellen Gehalt vorausgesetzt.

Kunstwerke werden so als rein durch ihre Sinnlichkeit bestimmt beschrieben, wobei Sinnlichkeit nicht im materialistischen Sinne als mit den Sinnen Wahrnehmbares, Gegenständliches, sondern als aus der Bedeutung, dem Sinn oder der Idee Entstandenes definiert ist. Das Material ist nur auswechselbarer Träger der Sinnlichkeit, Träger des Kunstwerkes. „Die kapitalistische Form der Distribution und die gleichzeitig beibehaltene Produktion in vorkapitalistischer Weise spiegeln sich in der Trennung des Kunstwerks in eine äußerliche materielle Marktgestalt und in das eigentliche ästhetische Objekt.“[33]

Durch diese Trennung in die Idee des Kunstwerkes und ihren materiellen Gehalt, die unabhängig voneinander produziert werden, führt Schlaffer ihre eigene Untersuchung von Unterschieden zwischen künstlerischer Produktion und Warenproduktion ad absurdum. Die Spaltung zwischen Waren als einem sich in Produktion, Distribution, Austausch und Konsumtion gleich bleibendem und Kunst als Geistigem in der Produktion und der geistigen Aneignung, Materiellem in der Distribution und der materiellen Aneignung, erscheint willkürlich und lediglich durch das Bedürfnis nach einer Besonderheit von Kunst begründet. Zwischen Produktion und Konsumtion wechselt Schlaffer den Betrachtungsgegenstand und spricht dem materiell produzierten und reproduzierten Warencharakter zu, während die Sinnlichkeit zum Kunstwerk oder ästhetischen Gegenstand stilisiert wird. „Das Kunstwerk ist bestimmt durch Sinnlichkeit. Darin besteht seine Eigenart, dass diese Sinnlichkeit nicht dinglich-materiell ist: sie entsteht aus Bedeutung, Sinn, Idee.“[34]

Hier wird vernachlässigt, dass Produktion immer Produktion eines bestimmten Dinges ist und den Gang zwischen Produktion und Konsumtion bestimmt, sich also nicht einzelne Bereiche des Prozesses als getrennt betrachten lassen und das sich an einem Produkt nur das an ihm produzierte auffinden lässt.

An dieser Stelle lohnt es, auf die „unmittelbare Einheit“, die nach Marx, auf dessen Warenanalyse Schlaffer sich bezieht, zwischen Produktion und Konsumtion besteht, näher einzugehen. Marx sieht zwischen Produktion und Konsumtion eine Beziehung der gegenseitigen Abhängigkeit. So wie die Produktion die Konsumtion produziert „1. indem sie ihr das Material schafft; 2. indem sie die Weise der Konsumtion bestimmt; 3. indem sie die erst von ihr als Gegenstand gesetzten Produkte als Bedürfnis im Konsumenten erzeugt“[35], produziert die Konsumtion die Produktion „ 1. indem erst in der Konsumtion das Produkt wirkliches Produkt wird […]; 2. indem die Konsumtion das Bedürfnis neuer Produktion schafft, also […] ihre Voraussetzung“[36]. Marx vernachlässigt dabei, dass Bedürfnisse nicht ausschließlich in der dauernden Konsumtion reproduziert werden müssen, sondern bereits bekannte Bedürfnisse auch durch den Entzug einer Ware verstärkt werden können und geht in der Behauptung einer ausschließlichen Beeinflussung zu weit. Am Bestehen einer Wechselwirkung zwischen Produktion und Konsumtion ändert dies jedoch nichts. Zwischen Produktion und Konsumtion stehen Distribution und Austausch in der Kette der sich gegenseitig beeinflussenden und durch die Produktion bestimmten Verhältnisse. „In der Produktion eignen die Gesellschaftsmitglieder die Naturprodukte menschlichen Bedürfnissen an; die Distribution bestimmt das Verhältnis, worin der einzelne teilnimmt an diesen Produkten; der Austausch führt ihm die besondren Produkte zu, in die er das ihm durch die Distribution zugefallne Quotum umsetzen will; endlich in der Konsumtion werden die Gegenstände des Genusses, der individuellen Aneignung.“[37]

Produktion ist für Marx derjenige Faktor, der die Art von Distribution, Austausch und Konsumtion und ihre Verhältnisse zueinander bestimmt. Wenn der materiellen Seite von Kunst Warencharakter zukommt, so muss dieser in der Produktion bereits vorhanden sein.

Das ein Kunstwerk bei Schlaffer kein materielles Substrat hat, sondern nur in eines hineinverlegt werden kann[38], komplettiert die vorgenommene Trennung zwischen Kunstinhalt und Kunstform. Wenn Kunst nur in den Formen des Geistes anzutreffen ist, ist jede materielle Kunstgestaltung nur Instantiierung einer bereits geistigen vorhandenen Kunstform. In dieser Definition würde Kunst zur idealistischen Bastion in einer ansonsten materiell bestimmten Welt.

Der materiellen und der geistigen Ausprägung von Kunst kommen bei Schlaffer jeweils eigene Aneignungsmethoden zu: Aneignung von Kunst ist Internalisierung, Aneignung von Ware ist Kauf. Kunst kann demnach den Besitzer wechseln, ohne erworben worden zu sein. „Wissen ist das Resultat einer Aneignung von Kunst.“[39]

Kunst taucht in diesem Zusammenhang nicht mehr als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Praxis auf, sondern steht als Immaterielles außerhalb gesellschaftlicher Strukturen. Aus der Besonderheit von Kunst ist eine Sonderstellung geworden, die die Kunst außerhalb der jeweiligen gesellschaftlichen Struktur verortet. Selbst wenn der Kunst aber ein solcher Status zugeordnet werden würde, so müsste er sich spätestens in der Konsumtion auflösen, da die konsumierenden Individuen Erkenntnis jeweils nur in den Kategorien des aktuellen Systems gewinnen können.

In dieser Kunstdefinition sind Bedeutung, Idee und Sinn als außerhalb der gesellschaftlichen Bedingungen stehende Kategorien die einzige Möglichkeit, Widerstand zu entwickeln, der nur auf einer immateriellen, nicht greifbaren Ebene erfolgt. Schlaffer erkennt die bestehenden Gesellschaftsstrukturen offenbar als so hermetisch an, dass innerhalb ihrer materiellen Grenzen keine wirksame Kritik mehr formuliert werden kann. „Dass aber das geistige Substrat von der Vermarktung zwar berührt, nicht aber völlig aufgesogen werden kann, ist die Bedingung der Möglichkeit einer kritischen Kunst.“[40] Kritikfähigkeit wird in eine Sphäre außerhalb kapitalistischer Warenprozesse verlegt, über die materielle Kunst kann Kritik hier nicht vermittelt werden, da Material nur unbeteiligter Transporteur des geistigen Substrates ist.

Im Gegensatz zu dieser Position könnte eine Untersuchung der Kunst als Warenförmiges ermöglichen, eine Region des Widerstandes innerhalb der Bedingungen der gesellschaftlich-ökonomischen Ebene eines Systems zu finden. Wenn Kunst als Ware Teil des Systems ist, stellt sich die Frage, inwiefern sie dennoch kritisch sein kann, oder gerade die Erkennbarkeit als Teil des Systems ihr eine Kritikmöglichkeit im Widerstand geben kann.

Hier besteht das Interesse gerade darin, Kunst und Ware in ihren gesellschaftlichen Funktionen zu betrachten, als Vergegenständlichung gesellschaftlicher Beziehungen, als die sie sich gleichen. Auch Kunst kann nur auf den Verhältnissen aufbauen, die sie vorfindet: Produktion, Distribution, Austausch und Rezeption von Kunst finden ihre Bedingungen, ihren Gegenstand und ihre Konsumenten als geprägt durch die herrschende Gesellschaftsordnung vor.

Erst Kunst als Einheit von Form und Inhalt zu betrachten, ermöglicht es, auch die potentielle Wirksamkeit des Zusammenhanges von Kunstform und Kunstinhalt zu untersuchen.

Etwas als Ware zu betrachten, heißt, es in polit-ökonomischen Beziehungen zu setzen, in seine Funktion innerhalb der Gesellschaft, denn: „Ware benennt keinen Gegenstand, sondern ist ein polit-ökonomischer Terminus.“[41]. Hat die Kunst Warencharakter, heißt das nicht notwendig, dass sie sich in dieser Funktion erschöpft, oder dass sie ihrer eigenen Funktion nicht durch weitere gesellschaftliche Funktionen etwas entgegensetzen könnte.

Damit Kunst in dieser Konstellation eine gesellschaftliche Wirkung entfalten könnte, müsste entweder Ware generell ein subversives Moment bergen, oder das Auszeichnungskriterium gegenüber anderen Waren der Ausgangspunkt künstlerischer Subversion sein, es in der Kunst eine Widersprüchlichkeit zwischen Warencharakter und gegen den eigenen Warencharakter wirkenden Tendenzen und Funktionen geben.

Bevor ich auf die Warenförmigkeit von Kunst eingehen werde, folgen zunächst einige Grundlagen, die zur weiteren Betrachtung der Eigenart von Kunst aus den marxschen Schriften übernommen werden.

4. Gebrauchswert, Tauschwert und Fetischcharakter

Die Einordnung von Kunst als Ware fordert eine tiefgehende Betrachtung der Wert- und Warenform bei Marx, bevor die Ware Kunst einer präziseren Analyse unterzogen werden kann. Als Vorbereitung zum Verständnis des situationistischen Begriffes des Spektakels im zweiten Abschnitt des Textes werden zugleich der Fetischcharakter der Ware und seine Entstehung beschrieben.

Die Analyse der Ware beginnt bei Marx mit der Erkenntnis, dass sich in ihr Gebrauchswert und Tauschwert vereinen. Der Gebrauchswert findet sich in der Naturalform der Ware und ist das Ergebnis nützlicher Arbeit, während der Tauschwert, als Erscheinungsform des in der Ware enthaltenen Wertes, Resultat der abstrakt menschlichen Arbeit ist. Nützliche Arbeit ist hierbei jede Arbeit in ihrer konkreten Form, abstrakte Arbeit ist die gemeinsame Form, die die verschiedenen Arbeiten auf dem Markt als gemeinsame Größe der Werterzeugung und somit auch Wertdefinition annehmen.

Durch den Warenaustausch werden die Arbeitsprodukte und ihre Produzenten in gesellschaftliche Beziehung gesetzt, die Arbeitsprodukte erhalten eine von ihren Gebrauchseigenschaften getrennte Wertgegenständlichkeit. Für den Produzenten haben die Arbeitsprodukte, die für den Warenaustausch produziert werden, ausschließlich Tauschwert, für den Konsumenten realisiert sich ausschließlich Gebrauchswert.

Um den Wert einer Ware zu bestimmen, wird als einfachste aller Wertformen die allgemeine Äquivalentform verwendet: „x Ware A ist y Ware B wert“[42]. Der Tauschwert einer Ware wird in dieser Form durch den Gebrauchswert einer von ihr verschiedenen Ware ausgedrückt. „Vermittels des Werteverhältnisses wird also die Naturalform der Ware B zur Wertform der Ware A oder der Körper der Ware B zum Wertspiegel der Ware A.“[43] Wenn der Gebrauchswert einer Ware den Tauschwert einer anderen Ware widerspiegeln kann, so folgt daraus, dass alle Waren die Fähigkeit haben, sich wechselseitig als Wertgrößen zu spiegeln. Waren treten als Tauschwerte nur in ein quantitatives Verhältnis zueinander; zeigt ein Gebrauchswert ein rein quantitatives Verhältnis an, so verliert er zugleich seinen spezifischen Gebrauchswertcharakter.

Das Besondere an dieser Wertspiegelung in der Äquivalentform ist, dass sich hier eine Grundform der Verkehrung durch Repräsentationen ergibt, die in verschiedenen Formen die gesamte kapitalistische Produktionsform und die ihr zugehörige Gesellschaftsform durchsetzt. Die sich ineinander widerspiegelnden Waren verdecken die gesellschaftlichen Verhältnisse von Personen, sie werden als sachliche Verhältnisse wahrgenommen. Die Vertauschung von Personen und Objekten beginnt in der Darstellung des Wertes durch den Gebrauchswert, der abstrakt-menschlichen Arbeit durch die konkrete und der Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form durch Privatarbeit.

Das hier auftretende System der Verkehrung von menschlichen in sachliche Verhältnisse wird auch als Verdinglichung bezeichnet. „Indem daher überall einerseits dem Menschen in der Gesellschaft die gegenständliche Wirklichkeit als Wirklichkeit der menschlichen Wesenskräfte, als menschliche Wirklichkeit und darum als Wirklichkeit seiner eigenen Wesenskräfte wird, werden ihm alle Gegenstände als die Vergegenständlichung seiner selbst, als die seine Individualität bestätigenden und verwirklichenden Gegenstände, als seine Gegenstände, d.h. Gegenstand wird er selbst.“[44]

In der Verkehrung der Verhältnisse treten Menschen vor allem als Funktionsträger im Produktionsprozess auf, die zwischen den Menschen bestehenden Verhältnisse können nur als sachliche, notwendige Beziehungen von Produzenten untereinander verstanden werden. Hierin liegt der viel beschworene Fetischcharakter der Ware, der von Marx mit einem Rückgriff auf die Religion näher zu bestimmen versucht wird: „hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbstständige Gestalten“[45].

Die Fetischisierung verschleiert die wirklichen Prozesse und zeigt ihr Gegenteil, hierbei ist die Wert- und Warenform nur die Grundform für weitere Fetische, zum Beispiel den Kapitalfetisch. Das Kapital, das seine Fähigkeit zur Mehrwerterzeugung nur aus dem produktiven Konsum menschlicher Arbeitskraft ziehen kann, tritt als selbstständig werterzeugend auf, es entsteht eine Verkehrung von toter und lebendiger Arbeit – das Produkt der eigenen Arbeit tritt den Produzenten als fremdes entgegen, die eigene lebendige Arbeit erscheint als fremde Macht. Mit steigender Entfremdung von sich selbst werden letztlich auch die Bedürfnisse entfremdet und dienen in der Verkehrung von Zweck und Mittel nunmehr der Produktion von Mehrwert. Den verkehrten Verhältnissen entsprechend, bildet sich ein verkehrtes Bewusstsein heraus.

Die Kritik an der Fetischisierung muss, will sie wirksam sein, darauf abzielen, die scheinbar naturhafte Struktur als geschichtlich gewordenes gesellschaftliches Ereignis darzustellen. Auch Marx beginnt erst mit der Analyse der wirklichen Mehrwertproduktion, nachdem er den fetischisierenden Schein der Verkehrung zerstört hat.

Wenn auch Kunst Ware ist, umfasst sie, wie jede Ware, die Gegensätze Gebrauchswert und Wert. Dieser doppelte Warencharakter tritt erst durch die im Kapitalismus perfektionierte Arbeitsteilung und den Produktenaustausch klar zutage. „Die historische Ausweitung und Vertiefung des Austausches entwickelt den in der Warennatur schlummernden Gegensatz von Gebrauchswert und Wert.“[46] Der Gebrauchswert ist der stoffliche Träger des Inhaltes des Reichtums und der stoffliche Träger des Tauschwertes, der Tauschwert erscheint als das quantitative Verhältnis, in welchem verschiedene Gebrauchswerte austauschbar sind.

Die Betrachtung der Ware Theater lässt sich demnach in eine Betrachtung ihrer beiden Pole unterteilen, die schlussendlich wieder zusammengeführt werden sollen, damit die gegenseitigen Wechselwirkungen betrachtet werden können.

5. Die doppelte Erzeugung von Gebrauchs- und Tauschwert in der Kunst

Gebrauchswert und Tauschwert von Kunst werden nicht allein in der Produktion der Kunst als Ware erzeugt, sondern stehen auch im Zusammenhang mit dem ideologischen Kunstcharakter. Wenngleich der hier angesetzte ideologische Kunstcharakter nicht in dem Kunstprodukt per se liegt, sondern in dem gesellschaftlichen Charakter von Kunst, so beeinträchtigt er dennoch sowohl Kaufentscheidung als auch Konsum des jeweiligen Produktes. Neben einem möglichen ursprünglichen Gebrauchswert als Ding haben Kunstgegenstände einen gesellschaftlichen Gebrauchswert als Kunstwerk. Dieser muss dem materiellen Ding schon anhängen und wird nur durch seine Entdeckung gesellschaftliche Realität. „Jedes solches Ding ist ein Ganzes vieler Eigenschaften und kann daher nach verschiedenen Seiten nützlich sein. Diese verschiedenen Seiten und daher die mannigfachen Gebrauchsweisen der Dinge zu entdecken, ist geschichtliche Tat.“[47]

Der spezifisch gesellschaftliche Charakter von Kunst, der auch von seinem ursprünglichen Gebrauchswert, der bereits gesellschaftlich vermittelt ist, verschieden sein kann, verdoppelt den Gebrauchswert in praktischen und künstlerischen Gebrauchswert. Mit dem doppelt erzeugten Gebrauchswert tritt auch ein doppelt erzeugter Tauschwert auf, je nachdem, ob ein Gegenstand als Kunstwerk oder als Gebrauchsgegenstand wahrgenommen wird.

Die doppelte gesellschaftliche Funktion künstlerischer Gegenstände wird von Lothar Kühne in seiner Untersuchung der ästhetischen Gestalt[48] als Resultat eines doppelten Gestaltungsprozesses beschrieben: der technisch-praktischen und der ästhetischen Gestaltung. Dabei ist die ästhetische Gestaltung solange gegenüber der technisch-praktischen sekundär, wie technische oder praktische Gesichtspunkte primär die Produktion beeinflussen. Bei Kunstwerken lässt sich von einer primär-ästhetischen und sekundär-technisch-praktischen Gestaltung sprechen. Auf Gegenstände, deren wesentliche Struktur durch technische oder praktische Faktoren bestimmt ist, wirkt die sekundär-ästhetische Gestaltung ein, auf Gegenstände, die primär-ästhetisch gestaltet sind, wirkt die sekundär-technisch-praktische Gestaltung ein. Solange die Logik der Verwendung einen Gegenstand bestimmt, wirken technisch-praktische und ästhetische Gestaltung auf dieser Grundlage zusammen, auch wenn ihre Ausdrücke gegeneinander konkurrieren. Selbst wenn die ästhetische Gestalt bestimmend in der Verwendung wird, bleibt die technisch-praktische Grundlage erhalten. „So kann das bestimmte Gefäß im eigentlichen Sinne aufhören, ein solches zu sein, indem es zum Gegenstand der bloßen Anschauung wird. Aber durch seine wesentliche Bildungsgesetzlichkeit bleibt es mit der Gruppe der realen und damit funktionellen Gefäße verbunden und ist weitgehend mit diesen auswechselbar.“[49] Der Gebrauchswert und damit verbunden auch der Tauschwert eines Produktes ästhetischer Gestaltung können sich demzufolge mit seiner gesellschaftlichen Bedeutung wandeln, auch wenn das Kunstprodukt sich in seiner Form nicht verändert. Diese Veränderung entspringt dem gesellschaftlichen Kunstprozess, in welchem Tausch- und Gebrauchswert ausgeprägt werden.

Es ergeben sich Schwierigkeiten dabei einen, alle Kunstwerke auszeichnenden, Gebrauchswert zu fassen. Lothar Kühne versucht, einen speziell künstlerischen Gebrauchswert über die Vermittlung der emotionalen Voreinstellung des Künstlers durch das Kunstprodukt zu begründen. „In der Kunst wird nicht nur über Gefühl und Phantasie gesprochen, sie sind hier in Form und Gestalt, in Begrifflichkeit und Erkenntnis und in den Schein von Wirklichkeit selbst gefasst.“[50] In der Übertragung der psychischen Eigenschaften des Künstlers durch die Kunst auf andere Menschen vermeint Kühne ein „historisches Wertekontinuum“ von Kunst zu entdecken, wenngleich er seinen Bemühungen um einen spezifischen Gebrauchswert von Kunst die Bedenken voranstellt, dass „der Begriff der Kunst eine weitgehende Abstraktion gegenüber den einzelnen künstlerischen Gattungen und gegenüber den unterschiedlichen historischen Funktionsweisen derselben ist“[51].

An Kühnes Ansatz bleibt zu kritisieren, dass sich aus emotionalen und individuellen Reaktionsweisen keine objektiven Kriterien für einen speziellen Gebrauchswert von Kunst ableiten lassen und dass in jeder Form menschlicher Kommunikation der Sprecher neben dem sinnlichen Material auch eine emotional-geistige Reaktion vermittelt, ja sogar Industrieprodukte nicht ausschließlich durch dem Material entspringende Produktionskriterien geprägt sind, sondern selbst in diese eine menschliche Reaktion auf die Umwelt eingeflossen ist. Auf das bisher nicht geklärte Problem einer Bestimmung des spezifischen Gebrauchswertes von Kunst soll an dieser Stelle allerdings lediglich verweisen werden.

Nicht aus einem spezifisch ästhetischen Gebrauchswert von Kunst soll der doppelt erzeugte Gebrauchs- und Tauschwert von Kunst abgeleitet werden, sondern aus der besonderen Funktion, die der Zirkulationsprozess von Kunst als ein Moment der Produktion einnimmt. Der Gebrauchswert von Kunst und der diesem anhängende Tauschwert entstehen, der Arbeitswertlehre folgend, aus der in der Produktion veräußerten Arbeitszeit. Nach Marx gilt die Warenproduktion und mit ihr die werterzeugende Surplusarbeit nicht als mit der Beendigung des direkten Produktionsprozesses abgeschlossen. Die Zirkulation der Waren kann als ein Moment des Produktionsprozesses gewertet werden. „Eine Bedingung der auf dem Kapital basierten Produktion ist daher die Produktion eines stets erweiterten Zirkels der Zirkulation, sei es, daß der Kreis direkt erweitert wird oder daß mehr Punkte in demselben als Produktionspunkte geschaffen werden. Erschien die Zirkulation zunächst als gegebene Größe, so erscheint sie hier als bewegte und durch die Produktion selbst sich ausdehnende.“[52] Der Gebrauchswert einer Ware als Kunstgegenstand ist in der Produktion erzeugt, wächst aber in gesellschaftlichen Prozessen. Wertsteigerung von Kunstprodukten liegt im Prozess von Produktion, Distribution, Zirkulation und Konsumtion der Kunstprodukte.

Der Kunstprozess, der von Lothar Kühne als Bereich ästhetischer Gestaltung begriffen wird, erzeugt einen Geltungswert, welcher neben dem praktischen Funktionswert die Gegenstände bestimmt. „Aber es sollte bedacht werden, daß der Geltungswert gegenständlicher Lebensbedingungen von der gesellschaftlichen Einstellung der Individuen bestimmt wird und nicht von dekorativem Schmuck der Gegenstände abhängt. Zweifellos gibt es für praktische Gegenstände oder Raumbedingungen eine Tendenz der funktionalen Optimierung. Aber zugleich gibt es eine Variabilität von Gegenständen und Räumen, die unter diesem Gesichtspunkt der Optimierung überhaupt nicht zu begreifen ist, weil sie die gesellschaftliche Veränderung der Menschen ausdrückt. Und das ist die eigentliche Dimension des Ästhetischen.“[53] Dieser Geltungswert entsteht im Zirkulationsprozess der Ware Kunst.

Trotz der Verfälschung des Warenwertes von Kunst durch staatliche Eingriffe[54] und der in der wissenschaftlichen Literatur bestehenden Zweifel an der Verwendbarkeit der Arbeitswertlehre zur Erklärung dynamischer Wirtschaftssysteme, soll die Entstehung des durch den Kunstprozess erzeugten Wertes durch die in ihr geronnene gesamtgesellschaftliche Arbeit dargestellt werden, um die Vielzahl der hinter dem Kunstprozess stehenden Akteure fassbar zu machen.

Die direkte Anwendbarkeit der Arbeitswertlehre auf künstlerische Produkte ist vielfach in Frage gestellt worden, weil neben der reinen Produktionszeit die Reputation des Künstlers und die Knappheit der Originale als wertsteigernd angesehen wurden. Ein Versuch der Anwendung der Arbeitswertlehre in allen relevanten Einzelfragen auf Kunstproduktion im Allgemeinen und Theater im Besonderen würde die Grenze dieser Arbeit sprengen. Es soll daher lediglich kurz auf einige Probleme hingewiesen werden, die in den sechziger und siebziger Jahren zu Versuchen der Modifikation und Weiterentwicklung der Arbeitswertlehre geführt haben.

Als besonders problematisch für eine Anwendung der Arbeitswertlehre auf den entwickelten Kapitalismus galten die mangelnde Messbarkeit des Arbeitswertes durch die Preise, die Schwierigkeiten bei der Umrechnung von komplizierter in einfache Arbeit, die Veränderung der gesellschaftlich notwendigen Durchschnittsarbeitszeit je nach Produktionszweig und historischer Entwicklungsstufe und vor allem die steigende Wertübertragung von technischen Produktionsanlagen und die damit verbundene Veränderung der Zusammensetzung des Produktionskapitals.

Karl Kühne[55] wendet sich der Wachstumsdynamik des Kapitalismus und der mit dieser verbundenen veränderten organischen Zusammensetzung des Kapitals zu. „Die zurückdatierte Arbeit gewinnt im Wachstumsprozess eine relativ immer größere Bedeutung gegenüber der lebendigen Arbeit, und gerade zu ihrer Erfassung erweist sich die Werttheorie nicht eben als ausgesprochen handlich.“[56] Er konstatiert ein auseinanderklaffen von Wert- und Preissumme durch die Steigerung der Produktivität: die Preise würden steigen, statt sich der sinkenden Wertsumme anzupassen. Kühne schlägt vor, die Summe der gesellschaftlich notwendigen Arbeitsstunden mit einem Produktivitätsfaktor zu multiplizieren und somit den Wert der Arbeitsstunden zu korrigieren, die als aus einer wechselnden Anzahl von „Effizienzeinheit“ zusammengesetzt betrachtet werden sollen. Er sieht hierin die Möglichkeit zu einer Anwendung der Arbeitswertlehre auf dynamische Wirtschaftssysteme: „Die Produktionssteigerung, das Wachstum lassen sich durchaus auch nach der Wertrechnung messen – vorausgesetzt, dass man mit potenzierten Arbeitsstunden rechnet.“[57]

Eine Anwendung der Arbeitswertlehre auf das Theater könnte interessante Ergebnisse zutage fördern, auch weil Theater sich als Produktionszweig durch seine konstante Kapitalzusammensetzung auszeichnet: Theaterproduktion hat nach wie vor einen hohen Anteil an lebendiger Arbeit.

Ob sich aus dieser oder aus anderen Modifikationen Verbesserungen der Arbeitswertlehre ergeben, soll an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Im Folgenden wird als Grundlage aller Produktion betrachtet, dass Wertschöpfung grundsätzlich auf menschliche Arbeit zurückgeht, ohne die Möglichkeiten der Arbeitswertlehre voll auszuschöpfen, oder mögliche Fehler einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.

Der Werttheorie folgend entsteht der Mehrwert innerhalb des Produktionsprozesses aus der in ihm veräußerten abstrakten Arbeit. Abstrakte Arbeit ist bei Marx als gesellschaftlich gleichgesetzte Arbeit innerhalb der warenproduzierenden Gesellschaft definiert. Die Gleichsetzung verschiedener Arbeiten wird durch den Markt erzwungen. „Was nur für diese besondre Produktionsform, die Warenproduktion, gültig ist, daß nämlich der spezifisch gesellschaftliche Charakter der voneinander unabhängigen Privatarbeiten in ihrer Gleichheit als menschliche Arbeit besteht und die Form des Wertcharakters der Arbeitsprodukte annimmt […].“[58] Wert leitet sich nach Marx in warenproduzierenden Gesellschaften direkt aus der abstrakten Arbeit ab. „So ist die im Warenwert vergegenständlichte Arbeit nicht nur negativ dargestellt als Arbeit, worin von allen konkreten Formen und nützlichen Eigenschaften der wirklichen Arbeiten abstrahiert wird. Ihre eigne, positive Natur tritt ausdrücklich hervor. Sie ist die Reduktion aller wirklichen Arbeiten auf den ihnen gemeinsamen Charakter menschlicher Arbeit, auf die Verausgabung menschlicher Arbeitskraft.“[59] Das alle Wertschöpfung auf menschliche Arbeit zurückgeht, gilt auch für künstlerische Produktion.

Der Kunstprozess erzeugt zeitgleich die Grundlage einer gesellschaftlichen Bewertung von Kunst als Kategoriensystem und die Einordnung des jeweils einzelnen Kunstwerkes.

Wird dieser Prozess als durch abstrakte Arbeit erzeugt begriffen, so wird die abstrakte Arbeit im Kunstprozess als durch zahllose Akteure gemeinsam aufgewendete Arbeit verstanden. Im Prozess zwischen Produktion und Konsumtion von Kunst wird auf die Erzeugung und Entwicklung des Kunststatus eines bestimmten Werkes sowie die gesellschaftliche Funktion von Kunst im Allgemeinen beständig durch verschiedenste Akteure Einfluss genommen. Beispielsweise wird neben der reinen Produktionszeit einer Inszenierung auch Arbeit in die Erzeugung ihres ideologischen Kunstcharakters investiert. Hierzu werden etwa bekannte Parameter eingesetzt, die die gesellschaftliche Zuordnung der Inszenierung zu der Sphäre der Kunstwerke befördern, wie die Wahl des richtigen Ortes, des richtigen Textes, der richtigen Darsteller und der richtigen Darstellung, die Distribution in den richtigen Zeitungen und auf den richtigen Festivals. Ebenso nehmen Klassenzugehörigkeit des Publikums und Art und Ort der über die Inszenierung geführten Gespräche Einfluss auf den Kunstprozess.

Der Tauschwert des Kunstproduktes entsteht und erhöht sich, wie sichtbar geworden ist, in besonderem Maße in der Zirkulationssphäre. Die Zirkulation hat im Theater einen spezifischen Charakter, der Produktionsprozess der Ware Theater kann erst in ihrer Zirkulation als abgeschlossen betrachtet werden.

Dies führt zu der These von doppelt erzeugtem Tauschwert von Kunst, der auf der einen Seite durch die im Produktionsprozess veräußerte Arbeit auf der anderen Seite in der gesellschaftlich veräußerten Arbeit gebildet wird. Die Arbeitswertlehre findet Verwendung, um die gasamtgesellschaftliche Produktionsleistung im Kunstprozess herauszustellen. Die veräußerte gesellschaftliche Tätigkeit lässt sich nicht einem bestimmten Akteur oder Produzenten zuweisen, sie entfaltet sich zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren und bildet auch einen gemeinsamen Boden, auf welchem Einzelkunstwerke sich erst entfalten können.

Geltungswert und Funktionswert wirken in allen produzierten Dingen zusammen, nur nimmt in der Kunst der Geltungswert einen höheren Anteil der Produktion ein. Gesellschaftliche Produktion und Konsumtion ist immer durch das bestehende gesellschaftliche System und die in ihm stattfindende Kommunikation geprägt, damit ist jedes Produkt nicht nur Erzeugnis einer Produktion, sondern auch durch den für die Produktion grundlegenden gesellschaftlichen Zirkulationsprozess geprägt.

Zur weiteren Untersuchung der Kunst werden die doppelt erzeugten Gebrauchs- und Tauschwerte als Einheit betrachtet, als die sie im Warenaustausch auch auftreten. Der Prozesscharakter der Kunst wird durch die Erkenntnis gestärkt, dass der Tauschwert von Kunst sich erst durch gesellschaftliche Zirkulationsprozesse vollständig entfaltet, wie auch im Folgenden an den Wechselbeziehungen zwischen staatlichen Institutionen und Kunst gezeigt werden soll. Eine Betonung der gesellschaftlichen Seite von Kunst zieht auch eine Betonung der Verwurzelung von Kunstwirkung im jeweiligen gesellschaftlichen System nach sich.

[...]


[1] Karl Marx/ Friedrich Engels: Werke (MEW), Berlin 1981 f., Bd. 23 – 25.

[2] MEW, Bd. 19, S. 208, aus: Friedrich Engels: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft.

[3] MEW, Bd. 42, S. 20, aus: Einleitung zu den Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie.

[4] Vgl. Abschnitt I, Kap. 3.

[5] MEW, Bd. 23, S. 27, aus: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie.

[6] MEW, Bd. 39, S. 206, aus: Engels an W. Borgius, 1894.

[7] „Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (MEW, Bd. 23, S. 528 -530, aus: Das Kapital).

[8] Vgl. MEW, Bd. 23, S. 324.

[9] MEW, Bd. 23, S. 12, aus: Das Kapital.

[10] Die Position Heises wird in ihrer Darstellung dabei übernommen aus: Michael Franz: Vom allgemeinen Kunstbegriff zur ‚mehrstelligen Ästhetik’. Philosophische Ästhetik in den Weimarer Beiträgen., aus: Weimarer Beiträge 1/2005.

[11] Anselm Jappe: Sic transit gloria artis, aus: Krisis 15, (www.krisis.org.).

[12] Joachim Fiebach, Michael Franz, Heinz Hirdina, Karin Hirdina, Günter Mayer, Erwin Pracht, Renate Reschke: Ästhetik Heute, Berlin 1978.

[13] Franz, a.a.O., S. 72.

[14] Ebenda, S. 73.

[15] Zitiert nach: Franz, a.a.O., S. 71.

[16] Anselm Jappe, a.a.O., S. 17.

[17] Ebenda, S. 1.

[18] Bertold Brecht: Der Dreigroschenprozeß, aus: Schriften zur Literatur und Kunst I, Weimar / Berlin 1966, S. 213.

[19] Ebenda, S. 213 f..

[20] MEW, Bd. 42, S. 9, aus: Ökonomische Manuskripte.

[21] Joachim Fiebach u.a., a.a.O, S. 475.

[22] Ebenda, S. 472.

[23] Näheres zur Produktivkraftentwicklung in subjektiv-menschlicher und technisch-sachlicher Hinsicht in dieser Arbeit in Abschnitt II, Kapitel 5.1.

[24] Bertold Brecht, a.a.O., S. 216 f.

[25] Ebenda, S. 212.

[26] Hannelore Schlaffer: Kritik eines Klischees: Das Kunstwerk als Ware, aus: Heinz Schlaffer (Hrsg.): Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften 4. Erweiterung der materialistischen Literaturtheorie durch Bestimmung ihrer Grenzen., Berlin 1974.

[27] Weiterführende Literatur u.a.: Hans Heinz Holz: Vom Kunstwerk zur Ware, Neuwied, 1972.

Berthold Hinz : Säkularisation als verwerteter ‚Bildersturm’. Zum Prozeß der Aneignung der Kunst durch die bürgerliche Gesellschaft, aus: Martin Warnke (Hrsg.): Bildersturm, München 1973.

Hermann Pfütze (Hrsg): Die Schwierigkeit, Kunst zu machen – Antriebe ihrer Vergesellschaftung, Frankfurt 1973.

[28] Hannelore Schlaffer, a.a.O., S. 274.

[29] „Produktive Arbeit ist bloß die, die Kapital produziert.“ (MEW, Bd. 42, S. 226, aus: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie.) Die Gemeinsamkeiten von Kunst und Ware beginnen bereits darin, dass sie beide für den Verkauf produziert werden, ob sie nun Mehrwert erzeugen oder bloße Revenue.

[30] MEW, Bd. 42, S. 247, aus: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie.

[31] „Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel.“ (MEW, Bd. 23, S. 185, aus: Das Kapital.)

[32] Siehe Abschnitt II dieser Arbeit.

[33] Schlaffer, a.a.O., S. 278.

[34] Ebenda: S. 271.

[35] MEW, Bd. 42, S. 27f., aus: Einleitung [zu den Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie].

[36] Ebenda. S. 26 f.

[37] Ebenda, S. 24.

[38] Schlaffer, a.a.O., S. 272.

[39] Ebenda, S. 272.

[40] Ebenda, S. 275.

[41] Ebenda, S. 267.

[42] MEW, Bd. 23, S. 63, aus: Das Kapital.

[43] Ebenda, S. 67.

[44] MEW, Ergänzungsband: Erster Teil, S. 541, aus: Karl Marx: Ökonomische-philosophische Manuskripte.

[45] MEW, Bd. 23, S. 86, Aus: Das Kapital.

[46] Ebenda, S. 102.

[47] Ebenda, S. 49f.

[48] Lothar Kühne: Gegenstand und Raum. Über die Historizität des Ästhetischen, Dresden 1981.

[49] Ebenda, S. 53.

[50] Ebenda, S. 94.

[51] Ebenda, S. 92.

[52] MEW, Bd. 42, S. 321, aus: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie.

[53] Lothar Kühne, a.a.O., S. 62.

[54] Vgl.: Abschnitt I, Kapitel 6.

[55] Karl Kühne: Ökonomie und Marxismus II. Zur Dynamik des Marxschen Systems, Neuwied und Berlin 1974.

[56] Ebenda, S. 18.

[57] Ebenda, S. 20.

[58] MEW, Bd. 23, S. 88, aus: Das Kapital.

[59] Ebenda, S. 81.

Ende der Leseprobe aus 161 Seiten

Details

Titel
Systemimmanenz von systemkritischem Theater - Prolegomena zur politischen Wirkung von Theater
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Theaterwissenschaften / Kulturelle Kommunikation )
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
161
Katalognummer
V88295
ISBN (eBook)
9783638028080
ISBN (Buch)
9783638926249
Dateigröße
959 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Konzentriert auf die Rolle von Kunst in der kapitalistischen Warenproduktion als einem, oder dem Kernprozess unseres Gesellschaftssystems, entwickelt Frau Kautter stringent ihre Thesen, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen Theater nur sehr begrenzt systemkritisch wirken kann. (...) Die Arbeit ist eine durchaus wichtige, über den akademischen Anlass hinaus begrüßenswerte Einlassung zu grundlegenden Fragen nach der gesellschaftskritischen Relevanz des Theaters." (Gutachter)
Schlagworte
Systemimmanenz, Theater, Prolegomena, Wirkung, Theater
Arbeit zitieren
M.A. Inken Kautter (Autor:in), 2005, Systemimmanenz von systemkritischem Theater - Prolegomena zur politischen Wirkung von Theater, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88295

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Systemimmanenz von systemkritischem Theater - Prolegomena zur politischen Wirkung von Theater



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden