Braucht Fachberatung ein Gesicht?

Richtlinien für ein klares, professionelles und bundeseinheitliches Berufsbild der Fachberatungen für Kindertagesstätten mit kurz-, mittel- und langfristigen Perspektiven


Bachelorarbeit, 2008

127 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

Vorspann

1 Einleitung

2 Geschichte der Fachberatung im pluralen Trägersystem
2.1 Das „Berliner Modell“ im Vergleich mit anderen Fachberatungsmodellen
2.2 Fachberatung in katholischen Kindertagesstätten am Beispiel des Deutschen Caritasverbandes
2.3 Fachberatung in evangelischen Kindertagesstätten am Beispiel des Diakonischen Werkes
2.4 Vorbildliche Zusammenarbeit zweier Bundesverbände

3 Fachberatung in der „Klemme“
3.1 Kein objektiv definiertes Berufsbild
3.2 Die eingequetschte Funktion der Fachberatung
3.3 Die unterschiedlichen Strategien des Zwischen-den-Stühlen-Phänomens
3.4 Ziele, Aufgaben und Schlüsselfunktionen von Fachberatung
3.4.1 Das Dilemma Ziele von Fachberatung ohne ein einheitliches Beratungskonzept zu formulieren
3.4.2 Definition von Beratung
3.4.3 Aufgaben der Fachberatung auf sechs verschiedenen Ebenen
3.5 Weitere Kompetenzen von Fachberatung

4 Die Methode der qualitativen Sozialforschung
4.1 Vorstellung der Hypothesen
4.2 Kriterien der Fragebögen für die vier Zielgruppen
4.3 Die Auswertungsmethode

5 Zusammenfassung der qualitativen Interviews
5.1 Perspektive der Fachberatung
5.2 Perspektive der Träger
5.3 Perspektive der ErzieherInnen
5.4 Perspektive der Politik
5.5 Das etwas andere Interview
5.6 Die unvorhergesehenen Interviews

6 Auswertung der Interviews
6.1 Perspektive der Fachberatung
6.2 Perspektive der Träger
6.3 Perspektive der Einrichtungen
6.4 Perspektive der Politik
6.4.1 Spärlich, aber dennoch vorhanden – Empirische Befunde zu Fachberatungseffekten
6.4.2 Axiome zur Sensibilisierung der Politik
6.5 Hypothesenreflexion

7 Perspektiven
7.1 Kurzfristige Perspektive
7.1.1 Landesweite Kommunikationsinitiative starten
7.1.2 Interkommunale Zusammenschlüsse (Verbünde) für Fachberatungsstellen
7.1.3 Schaffung von überregionaler Transfer- und Vernetzungsprozessen
7.2 Mittelfristige Perspektiven
7.2.1 Verbesserung der Rahmenbedingungen der Fachberatung
7.2.2 Verbesserung der Rahmenbedingungen in den Einrichtungen
7.3 Langfristige Perspektive
7.3.1 Errichtung von kommunalen und interkommunalen Fachdienststellen
7.3.2 Bundes- oder landeseinheitliche Regelungen
7.3.3 Errichtung einer intermediären Dienstleistungsstelle „Fachberatung für Fachberatung (FfF)“

8 Fazit

Nachtrag

„Wenn das Management des Unternehmens keine offizielle Qualitätspolitik festlegt,

dann wählt sich die Belegschaft ihre eigene – und zwar jeder eine andere.“

Philip B. Crosby

Vorspann

Aus dem Coverdesign kann eine entscheidende Symbolik herausgelesen werden. Der in Genderperspektive gestaltete Punkt symbolisiert das i-Tüpfelchen der Fachberatung für Kindertagesstätten. In der spärlichen Literatur ist von Gesichts- und Geschichtslosigkeit[1] der Fach-beratung* zu lesen. Das Berufsbild Fachberatung ist undefiniert, diffus und willkürlich. Ihr Gesicht ist hauptsächlich trägerkonform und überwiegend regional strukturiert. Im sozialpolitischen Handeln von Fachberatung fehlt noch das gewisse Etwas - das i-Tüpfelchen! Schon 1995 entflammte auf der ersten Bundeskongresstagung, der vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge organisiert wurde, unter Fachberatungen eine kontroverse Diskussion auf, ob Fachberatung ein Konterfei braucht oder nicht.[2] Ist diese polarisierende Profildebatte immer noch aktuell? Wenn ja, wie hat sich das Verhältnis von damals zu heute verändert? Wie würde die Fachöffentlichkeit, aber auch die Öffentlichkeit, eine gut aufgestellte Fachberatung mit überregionaler Wirkung und mit Gesicht wahrnehmen? Welche Folgen hätte es, wenn Fachberatung trägerübergreifender, offensiver, sozialpolitisch engagierter und definierter wird? Wie könnte Fachberatung den Schritt von der Hinterbühne auf die Vorderbühne schaffen? Ist die Zeit dafür reif? Welche Perspektiven, Aufgabengebiete, Rahmenbedingungen, Vernetzungspotentiale, Möglichkeiten würden sich durch eine deutlichere Gesichtsgebung herauskristallisieren?

Hauptziel dieser Arbeit ist herauszuarbeiten, ob Fachberatung die Notwendigkeit einer stärkeren Profilierung für sich selbst beansprucht, ob sie diese wünscht und wie ihre Interessengruppen sich dazu positionieren. Ziel ist herauszufinden, ob Fachberatungen sich ein einheitliches Berufsbild wünschen, auf das sie sich berufen können, wenn sie im Dschungel der Interessensmühlen das Gefühl haben, sich zu verirren. Die Notwendigkeit der stärkeren Profilierung könnte sich gerade durch die neuen Anforderungen der Trias „ Bildung, Erziehung und Betreuung[3] inhärent ergeben. „ Zu keiner Zeit waren die Anforderungen höher !“[4] schluss-folgerte in einem Interview eine langjährige Fachberatung. Trotz gestiegener Anforderungen stellt sich die Frage, ob die im Hintergrund lodernde Profildebatte[5] überhaupt politisch gewollt ist? Kann es sein, dass das Ungenaue an Fachberatung, ihre Profillosigkeit, für die Politik angenehmer und bequemer ist? Könnte ein einheitlich definiertes Berufsbild und eine berufsständische Vertretung das fehlende i-Tüpfelchen „Fachberatung“ vor den Toren einer postmodernen Kindertagesstättenpädagogik darstellen?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ich bedanke mich bei allen, die sich mit mir auf den Weg gemacht haben, nach Antworten zu suchen und in z. T. langen Interviews die aktuelle Situation der Fachberatung reflektiert haben. Von Interview zu Interview konnten Synergieeffekte geschaffen werden, die in dieser Arbeit dargestellt werden. Ich bedanke mich auch bei den Wenigen, die aus unterschiedlichsten Gründen heraus, nicht bereit waren, sich zu diesem Thema zu positionieren, da auch durch diese Haltung Erkenntnisse gewonnen wurden. Lieben Dank an Rebekka Fedorov, die mir unterstützend zur Seite gestanden hat. Ganz besonders bedanke ich mich bei meinem Mann, der mich in dieser Zeit, entlastet hat. Einen lieben Dank möchte ich meinen beiden Söhnen Timon (7 Jahre) und Marcel (10 Jahre) aussprechen, die zwar nicht immer, aber meistens, Verständnis hatten, weil Mama ihre Bachelorarbeit schreiben musste. Theresia Friesinger

1 Einleitung

In unserer von gesellschaftlichen Umbrüchen gezeichneten Zeit ist eine gute qualifizierte Fachberatung für Kindertagesstätten, besonders in ihrer Scharnierfunktion zwischen Träger­system und Kindertagesstätten, wichtiger denn je. Kinderta­gesstätten sind für Kinder in ihrem Alltag wichtige Lebensräume, in denen sie viel und wertvolle Zeit verbringen. Die Beziehungs-, Spiel-, Lebens- und Bildungserfahrungen, die sie dort sammeln, sollten von einer unübertroffenen Qualität sein. „ Die Qualität vorhandener Bildungseinrichtungen von der Krippe an ist zu sichern und weiterzuentwickeln, dazu ist ein unterstützendes System von Fachberatung für alle Bildungsstufen zu installieren.“[6] Immer mehr Hochschulen übernehmen den schwedischen Bildungs­slogan: „ Die Besten für die Jüngsten ![7] Das sind Anforderungen in einem noch nie gekannten Ausmaß, die das fachliche Herz höher schlagen lassen. Dennoch scheitern allzu oft die hohen fachlichen Ansprüche der Bildungskongresse nicht am Willen der einzelnen Vertreter von politischen Parteien oder Trägern, sondern an der finanziellen Umsetzung. Aber auch auf Grund mangelnder Ressourcen bei der Konzeptualisierung und Konkretisierung des Bildungsauftrages war Deutschland lange Zeit ein „Entwicklungsland“[8]. Die Basis, d.h. die ErzieherInnen, ist jetzt auf­gefordert den Bildungsauftrag in den Einrichtungen zu konkretisieren, das verlorene Bildungsimage zu retten, ohne dass wirkliche Standards für verbesserte Rahmenbedingungen vom Bund, Land oder von den Trägern folgen. Die Stadt Stuttgart hat für die Implementierung des anspruchs-vollen innovativen „ Infans-Konzeptes“[9] zwanzig Prozent mehr Stundendeputat vorgesehen. Dafür waren die Laborkindergärten in der Pflicht, auf­wändige Hospitationen durchzuführen und Multiplikatoren für andere Kindertagesstätten zu werden. Sind diese ausgedünnten Rahmenbedingungen auf Dauer in der Praxis tragbar? Kommunalisierung, neue Finanzierungssysteme, Personaleinsparungen bei steigender Qualitätsanforderung, die Verschuldung von Städten und Gemeinden zeugen von einem großen Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Hemmen rigide und föderalistische Strukturen den fachlichen Motivations- und Entwicklungsdrang? Steckt Fach­beratung durch die gestiegenen Anforderungen in der Klemme? Wie muss sie sich zukünftig positionieren? Führt das Stadt-Land-Gefälle in Bezug auf Fachberatung (je ländlicher, desto dünner ist Fachberatung gesät), zu Bildungs- und Chancenungleichheit?

Die individuelle und gesellschaftliche Bedeutung frühkindlicher Bildungsprozesse ist zu groß, um ihre Förderung allein vom Engagement einzelner Personen in den Kinder-tageseinrichtungen oder einzelner Träger abhängig zu machen, auch wenn dies im Einzelfall noch so unterstützenswert ist.[10] Reichere Städte und starke Träger leisten sich mehr denn je den Luxus der Fachberatung; bei den ärmeren Städten und schwächeren Trägern sind in der Regel Verwaltungsangestellte zuständig für Kindertagesstättenangelegenheiten, die dem fachlichen Niveau einer fundierten Fachberatung nicht mehr standhalten können. Auf Fachberatung, wenn der Landkreis dafür überhaupt eine Stelle vorgesehen hat, wird selten bis gar nicht zurückgegriffen. Stellenreduzierung und -abbau sowie das Austreten aus den konfessionellen Landesverbänden, weil die Kommunen sich die Fachberatung nicht mehr leisten können, sind nicht nur im ländlichen Bereich keine Seltenheit mehr. Die aktuelle Bildungsdebatte wird immer wieder auf Grund des wiederholten schlechten Abschneidens der Pisa-Studie zum Dauerbrenner. Die nun schon in die Jahre gekommene Diskussion über das neue Bild vom Kind, inszeniert durch die neuen Erkenntnisse der Hirnforschung, tragen permanent dazu bei, dass neue Baustellen eröffnet werden. Kontroverse Bildungskonzepte zum postmodernen Kind sind auf dem Bildungsmarkt. Von den Vertretern der Reggio-Pädagogik oder Freinet-Pädagogik, die Bildung als Selbstbildungsprozess betrachten, bis zum Gegenpol von Fthenakis und Gisbert, die den Bildungsbegriff ausschließlich im „ Sozialkonstruktivismus“[11] sehen, gibt es einige Bildungskonzepte zur Auswahl. Der Bildungsbegriff von Laewen und Andres und das Bildungskonzept von G. Schäfer sehen Bildung als ein Selbstbildungsprozess im sozialen Kontext[12] (Ko-Konstruktivismus) an. Wenn der Bildungsbegriff nun auch noch in der Kombination des Beziehungsaspektes (sichere Bindung) von Laewen und des Verständigungsaspektes[13] (zwischen Erwachsenen/LernbegleiterInnen und Kind) von G. Schäfer verstanden wird, steht den Uneinigkeiten nicht mehr viel im Wege, da gerade diese divergenten Ansichten zum Bildungsbegriff und seine Umsetzung in der Praxis ein Grund sein könnten, warum die Resistenz gegenüber Bildungsreformen (ErzieherInnenausbildung auf Hochschulniveau umfunktionieren) immer noch anhält. Die puritanische sozialkonstruktivistische Sichtweise könnte soziale Konstruktionsprozesse mit subjektiven Konstruktionsprozessen koppeln.[14] Der Verständigungsaspekt bei Schäfer sollte auch in Relation zu den Erwachsenen untereinander gesetzt werden und demnach auch unter den VertreterInnen der polarisierenden Bildungskonzepten, da der Bildungsbegriff sich weder nur im Sozialkonstruktivismus erschöpft noch allein im radikalen subjektiven Konstruktivismus. Sagt nicht die Postmoderne, dass Unsicherheit die Chance zu neuen Möglichkeiten birgt?

In knapper Form soll auf diesen wichtigen Verständigungsaspekt von G. Schäfer eingegangen werden, um nachvollziehbar zu machen was darunter zu verstehen ist. Wir müssen lernen, Kinder zu beobachten, um sie nicht dauernd misszuverstehen. Wie oft kommt es vor, dass ein Kind das eine denkt und der Erwachsene etwas ganz anderes versteht. Um Ursprungsgedanken und bereits Vorhandenes beim Kind verstehen zu können, ist Beobachten unabdingbar. Ansonsten übersehen Erwachsene die Denkweise und den Ursprungszusammenhang des Kindes. Auch umgekehrt haben wir Verständigungsprobleme; wir erkennen das relativ schnell am Verhalten der Kinder. Ein Praxisbeispiel: Ein Kind wollte morgens helfen, Tee für die Gruppe vorzubereiten. „ Du brauchst acht Löffel Tee “, sagte die Erzieherin. Kurze Zeit später lagen acht kleine Löffelchen fein säuberlich nebeneinander auf dem Tisch. G. Schäfer sagt treffend: „ Der Bildungsprozess erschöpft sich also weder in einer Art von Selbstbildung aus eigener Kraft […]. Genauso wenig vollzieht er sich aber allein durch die Interaktionsprozesse […]. Mit-Denken, was soziokulturell bereits vorstrukturiert wurde, ist die Voraussetzung und der Beginn eines inneren Auseinandersetzungsprozesses, in dem das Mit-Gedachte mit dem biografisch bereits Vorhandenen in Verbindung und in Auseinandersetzung gebracht wird.“[15]

Alle pädagogischen postmodernen Konzepte von Laewen und Andres bis Fthenakis und Gisbert, sowie die weit verbreiteten ausländischen Konzepte von M. Carr[16], die EEC[17], Reggio[18] usw. sollen nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung des Wissens über Kinder betrachtet werden. Fthenakis betonte in seinem Vortrag mit dem Titel, „ Bildungsprozesse zwischen Subjektorientierung und Systembedingungen“ in Tübingen am 18. Mai 2001, dass die Welt aus unterschiedlichen perspektivischen Realitäten bestünde und die Komplexität und Unsicherheit als reichhaltige Quelle von Möglichkeiten bejaht werden müsse.[19] Er plädiert für einen Bildungsbegriff, der sich von der Moderne zugunsten der Postmoderne verabschieden müsse. Alle im Bildungsbereich tätigen Personen sollen sich, getragen durch ein postmodernes reformiertes Ausbildungssystem, mit dem Bild des Kindes befassen, welches ihnen dann inhärent zugrunde läge.[20]

Das derzeit stark frequentierte Wort Bildung muss in der Praxis mit dem Wissen über das postmoderne Kind, mit verbesserten Rahmenbedingungen, mit entsprechendem Entgelt, mit Materialien und Qualitätsinstrumenten, mit Supervision und qualifizierter Fachberatungsleistung umgesetzt werden. Experten und Trägerverbände dulden bereits seit langem die starke politische Zurückhaltung zur Wichtigkeit der Bildung in der Frühen Kindheit zu dem ohne solides und finanzielles Depot. Die Katholische Erziehungsgemeinschaft Deutschland (KEG) setzt sich gemeinsam mit Bildungsministerin Annette Schavan für bundeseinheitliche Mindeststandards in der frühkindlichen Bildung ein. Dazu schreibt der KEG in einer Pressemitteilung am 03.08.2007: „ Bundeseinheitliche Mindeststandards im frühkindlichen Bereich müssen somit zur Folge haben, dass die Rahmendbedingungen angepasst werden. Geschieht dies nicht, so ist die Ernsthaftigkeit und vor allen Dingen die Glaubwürdigkeit einer solchen Maßnahme in Frage zu stellen.“[21] Bund, Länder und Kommunen haben im Bildungsbereich unterschiedliche Zuständigkeiten und verteilen je nach ihrer Kompetenz und Priorität die finanziellen Mittel. Forderungen von einzelnen PolitikerInnen, Verbänden, Gewerkschaften, WissenschaftlerInnen, Fachberatungen u. a. versickern im Wirrwarr des föderalistischen Systems. Wäre hier ein azyklisches, inkonsequentes Strukturdenken gefordert? Sollten im gesamten Bildungsbereich die Länder oder noch unrealistischer der Bund die Zuständigkeitshoheit erhalten? Der angedachte nationale Bildungsplan könnte bundesweit den Rahmen für die Legitimationsgrundlage der Weiterentwicklung der Kindertagesstätten vor Ort bieten, dadurch wären einheitliche und qualitativ hochwertige Bildungsstandards flächendeckend gewährleistet. Ganz aktuell hat der Pestalozzi-Fröbel-Verband (pfv) am 28.09.2007 an seine Mitglieder die von Heribert Mörsberger eingebrachte Erklärung „ Qualität der Kindertagesbetreuung gefährdet[22] verschickt. Anhand von fünf exemplarischen Themen wird aufgezeigt, wie die wachsende Schere zwischen den Rahmenbedingungen und den zurecht formulierten Ansprüchen an eine gute Kindertagesstättenbetreuung immer größer wird. Die Erklärung soll über die Mitglieder an MultiplikatorInnen, Organe der Öffentlichkeitsarbeit und politische EntscheidungsträgerInnen verschickt werden. Im Anhang dieser Arbeit können die fünf Themen, die auf der pfv-Mitgliederversammlung einstimmig verabschiedet wurden, nachgelesen werden. Was können politisch Verantwortliche unternehmen, um diese sich weiter öffnende Schere zu schließen?

Würde die in der politischen Grauzone wandelnde Schnittstelle der Fachberatung, wäre sie besser definiert, auf Bundes-, Landes-, Landkreis- und kommunaler Ebene anders wahr-genommen werden? Leben uns nicht andere Länder vor, dass ein zentralistisch geführtes Bildungssystem gut funktionieren kann? Falls langfristig diese wichtige Reformen nicht durchzusetzen sind, wie könnten Kompromisse aussehen? In welchen Bereichen würde es genügen, wenn der Bund oder das Land nur Richtlinien empfiehlt und in welchen Bereichen müsste der Bund oder das Land Vorgaben machen, weil anderenorts Entwicklungen stagnieren oder verzögert werden? Die Tendenz der Kommunalisierung ist stärker denn je. In Baden-Württemberg werden auf Gemeinde- und Städtetagsebene immer wieder umstrittene Debatten über eine komplette Auflösung des Landesjugendamtes geführt. Demnach könnten die letzten Vorgaben vom Land abbrechen und die Kommunen könnten ihre Gesamtverantwortung[23] ohne irgendwelche Standards und Richtlinien vom Land ausführen. Alles aus einer Hand und doch in der falschen Hand? Auf der einen Seite nehmen Kommunen die Gesamtverantwortung durchaus sehr ernst und die Qualität vor Ort ist durch die Kommunalisierung sichtbar gestiegen. Auf der anderen Seite gab es schon durch die Abschaffung der Kindergartenaufsicht in manchen Kommunen starke Qualitätseinbrüche. Der Einschätzung einer Leitungsangestellten des Landesjugendamtes nach, sind es oft die weniger reichen Kommunen, welche herausragende Kindertagesstätten vor Ort präsentieren können. Bei den reicheren Städten und Kommunen, hänge es stark von den zuständigen Personen ab und wie sie sich für diesen Bereich einsetzten.[24] Dennoch fehlt es, wie erwähnt, an vielen Stellen an der Umsetzung von ganzheitlichen Bildungskonzepten, da die teuerste Variante von den Gemeinderäten oft nicht getragen wird. Die Vorbildfunktion vieler Städte wie Stuttgart, Heilbronn, Böblingen, Sindelfingen, Reutlingen usw., welche die ganzheitlichen Bildungskonzepte vorbildlich[25] implementieren, wird von vielen Kommunen nicht akzeptiert und anerkannt. Es wird selbst von Fachleuten dementiert, dass diese Städte „ krank “ seien und deshalb teure Bildungskonzepte bräuchten. Auf dem Land sind diese aufwändigen ganzheitlichen Konzepte nicht notwendig, da dort noch die Welt in Ordnung wäre.[26] Wenn die Qualität in den Kindertagesstätten überall gleich sein soll, unabhängig ob vor der Türe ein Bauernhof oder ein Asylantenheim angesiedelt ist; der Wert der Kinder, was eine Kindertagesstätte kosten darf, überall derselbe sein sollte, dann ist diese Aussage nicht wirklich zu rechtfertigen. Pluralität der Konzeptionen und Träger ist wichtig, sie dürfen sich nur nicht so extrem unterscheiden, dass sie sich gegenseitig ausstechen. Es sollten gemeinsame Überlegungen angestrebt werden, wie Qualitätsdefizite flächen-deckend vermieden werden können.

Wenn eine flächendeckende Qualität gefordert wird, dann stellt sich die Frage, welches postmoderne Unterstützungssystem für Deutschland denkbar und passend wäre? Nur auf überprüfbare Standards zu setzen, würde der Komplexität des Alltags in den Kindertagesstätten nicht gerecht werden. Das Unterstützungssystem müsste die Konstruktionen und De-Konstruktionen der Einrichtungen berücksichtigen. Bis dahin ist es noch ein langer Weg, weil in allen Qualitätssicherungssystemen Qualität als etwas bezeichnet wird, was überprüfbar ist und somit universell gültig. Doch das ist es eben nicht und es lässt sich auch nicht darauf simplifizieren. Qualität muss auf menschlicher Erfahrung basieren, nicht auf Kategorisierung. Die Qualität muss über einen dialogisch reflexiven Prozess geschehen, der Sinn ermöglicht, bzw. Sinnkonstruktionen zulässt. Im Qualitätsentwicklungsprozess wird aus den Ko-Konstruktionen der Anderen gelernt, da in Beziehung mit anderen die Welt/Gesellschaft konstruiert wird. Wie genannt, kann der Bildungsbegriff sich nicht ausschließlich im Sozialkonstruktivismus erschöpfen, sondern Bildung kann nur beides sein: Selbstbildung in dem sozialen Kontext. Trotzdem ist das Gedankengut von Fthenakis für die Weiterentwicklung des Evaluationsbereichs beflügelnd. Evaluation kann nicht nur von außen bestimmt werden, sondern muss immer auch Introspektion bedeuten. Nach seiner Auffassung kommt eine entscheidende Bedeutung dem Kontext zu, somit kann Qualität nicht wie bisher als ein dekontextualisiertes Konzept[27] verkauft werden. „ Evaluation ist demnach mit Prozessen der Reflektion (sic!), der Debatte und Rekonstruktionen verknüpft.“[28] Warum ist die Sichtweise der Postmoderne, auch wenn der Begriff nicht besonders sympathisch klingt, für diese Arbeit wichtig? Es wird deshalb darauf Bezug genommen, weil diese Sichtweise zukunftsweisend auch für die Ausbildung der ErzieherInnen sein sollte. Mit dieser Sichtweise wird die Einschätzung von Fthenakis geteilt, dass die gegenwärtigen Institutionen und Denkweisen mehr der Logik der Moderne als der Logik der Postmoderne folgen.[29] In der Postmoderne werde die Verabsolutierung des Vernunftbegriffs in Frage gestellt, die wissenschaftliche Methodik und das Postulat der Wertfreiheit in einer angeblich objektiven Welt. In der Postmoderne gebe es keine universellen Gesetzmäßigkeiten und Erfahrungen mehr.[30] Es gebe demnach nicht das typische Kind von Locke, Rousseau, Bowlby oder Piaget. Dahlberg, Moss und Pence hätten darauf hingewiesen, berichtet Fthenakis, dass diesen Auffassungen von Kind und Kindheit die Annahme eines „ armen “ Kindes zugrunde liege. In der Postmoderne hätte das Kind keinen Namen und solle auch keinen haben. Das Kind aus der Perspektive der Postmoderne[31] konstruiere sich mit seinen eigenen Konstruktionen von der Welt und den Ko-Konstruktionen der anderen selbst. Es sei Mit-Gestalter von Wissen und Kultur von Anfang an. Es sei rundum kompetent; die moderne Säuglingsforschung spräche von einem „ kompetenten Säugling[32] “. Von Anfang an gestalte er aktiv in Interaktion mit den anderen seine Welt und seine Umwelt mit. Kind und Kindheit müssten lt. Fthenakis als eigenständige soziale Gruppe mit eigenen Themen und Interessen betrachtet werden. Diese Stufe dieser Entwicklung hätte genau so viel Bedeutung wie alle anderen Entwicklungsstufen. Fthenakis fordert diese Autonomie des postmodernen Kindes und sieht deren Abstinenz, nach der Verabschiedung der UN-Konvention über die Rechte der Kinder, in dem noch zu geringen Stellenwert in unserer Gesellschaft.[33]

Alle sprechen zwar von dem neuen Stellenwert, von einer neuen pädagogischen Haltung und vom neuen Bild vom Kind, aber noch zu wenige handeln danach. In der ErzieherInnenausbildung fehlen nach wie vor Handlungsansätze dieser neuen Pädagogik. Wie werden die Fragen des Kindes beantwortet, die so vielfältig sein können, damit nachhaltig und nach seinem Interesse das Kind gefördert wird? Haltungsresistenzen sind rigide. Wenn selbst ErzieherInnen nach absolvierten Fortbildungen zum neuen Bild vom Kind noch Schwierigkeiten mit diesem haben, wie sollen es dann die Eltern verstehen? Ist es in der Praxis schon angekommen, dass Erziehungspartnerschaft nicht nur bedeutet, Eltern als Experten zu gewinnen, sondern auch die Aufgabe der Erziehungspartnerschaft darin besteht, Eltern wertschätzend in dem postmodernen Prozess der Erziehung ihrer Kinder zu begleiten, um ihnen behilflich zu sein, sie besser verstehen zu lernen? Was nützt die Theorie, wenn sie in der Praxis nicht gelingend umgesetzt wird?

Aus o.g. Blickwinkel heraus, sind die aufgestellten sieben Hypothesen (Kap. 4.1), die als Vorlage für die qualitative Sozialforschung dienten, zu verstehen. Diese Arbeit hat nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, da das System Fachberatung nur aus der Außenperspektive wahrgenommen werden konnte. Innen- und Außenperspektiven zusammenzuführen, ist die denkbare Vervollständigung dieser Situationsanalyse.

Mit dieser Arbeit soll nicht nur ein Stimmungsbild zum professionellen Berufsbild von Fachberatung eingefangen werden, sondern die Politik soll für die vorhandenen Fach-beratungsmissstände sensibilisiert werden, da diese als Entscheidungsträgerin und Finanzier für den flächendeckenden Ausbau von Fachberatung mit verantwortlich sind. „ Insgesamt ist die Zahl der internen Fachberatungsstellen zurückgegangen: Weil die Zahl der Kinder-tagesstätten wegen des Geburtenrückgangs gesunken ist und die finanziellen Ressourcen rückläufig sind, wurden Fachberatungsstellen gestrichen oder in Halbtagsstellen umgewandelt. Doch zeigen Umfragen, dass der Beratungs- und Qualifizierungsbedarf der MitarbeiterInnen in den Einrichtungen eher wächst.“[34] Durch diesen Zuwachs an Beratungsbedarf ist die Relation zwischen Fachberatung und Einrichtung, wie es auch der OECD-Bericht[35] mitteilt, in Deutschland nicht stimmig. Durch die gestiegenen Anforderungen und die Vielfalt der undefinierten Aufgaben kommt Fachberatung in ein Überforderungsschemata und institutionsintern wird nicht mit ausgleichenden Maßnahmen kompensiert. In einem solchen Fall ist Fachberatung gezwungen, sich mit ihren Stärken zu profilieren, um weiterhin zu bestehen. Aus dieser Not heraus legt Fachberatung keinen Wert auf Innovation, sondern ist im Konkurrenzkampf mit anderen KollegInnen, Einrichtungen und Institutionen nur darauf bedacht, irgendwie zu überleben.

In den Städten und Gemeinden, die in fachberaterischen und ganzheitlichen konzeptionellen Zusammenhängen investieren, entstehen nach und nach Einrichtungen, die auf euro-päischem Niveau mithalten können. Trotz allem kann durch qualifizierte Persönlichkeiten vor Ort und durch beste Konzeptionsentwicklung die Arbeit am Kind auf Grund der vorhandenen Minimalstandards „hungern“! Auch das sind Erfahrungen, die ich schon während meiner Erzieherinnenzeit beobachtet habe. Es waren nicht immer nur die Rahmen-bedingungen verantwortlich, sondern die Unzufriedenheit rührte auch aus den uneinheit-lichen Vorgaben und Erwartungen vor Ort. Treffend sagte dazu ein/e ErzieherIn: „ Ich fühle mich vor- und zurückgeworfen! In diesem Arbeitskreis haben wir Qualitätsmanagement, im anderen Arbeitskreis haben sie noch nicht einmal damit begonnen.“[36] Ebenso konnte ich während des Fachberatungspraktikums Ansätze von Überforderung bei den Leitungen und ErzieherInnen erkennen, obwohl sie von Fachberatungsseite bestens bedient wurden. Fachberatung kann ihr Bestes und Möglichstes tun, kann jedoch niemals alles auffangen, was systemisch, strukturell und sozialpolitisch im Argen liegt. Und übrigens, wer fängt Fachberatung auf? Wie geht sie mit all den neuen Erwartungen und Anforderungen um? Wie zufriedenstellend kann die Arbeit unter den Sparzwängen der Politik/Gemeinden sein, trotz all der neuen Anforderungen? Wie hilft sie sich selbst?

Wirkt sich nicht das Kriterium der Mitarbeiterzufriedenheit positiv auf alle Arbeitsbereiche und in den Kindertagesstätten besonders auch auf die Förderung der Kinder aus? Wie müssen Träger, Fachberatung und ErzieherInnen kooperieren und kommunizieren, um das Optimum an MitarbeiterInnenzufriedenheit zu erreichen? Wird durch eine stärkere Lobby von Fachberatung, die primär als Lobby für Kinder verstanden werden sollte, der ganze Bereich „Frühe Kindheit“ anders wertgeschätzt werden? Wie könnte sich dieses Mehr an Wertschätzung in der Praxis wiederfinden? Wird der Personalschlüssel pro Kind steigen? Werden mehr Fachberatungsstellen geschaffen werden? Werden flächendeckend alle Einrichtungen mit ihren Einverständnissen akkreditiert werden bzw. einem postmodernen Qualitätsmonitoring[37] unterzogen werden? Werden Bundes- oder Landesmittel dafür bereitgestellt werden, weil die Kommunen allein die Kosten nicht bewältigen können? Was muss Fachberatung für dieses Mehr an Wertschätzung der eigenen Profession und der ihrer Einrichtungen unternehmen?

Was wollen sie?

Was wollen die Einrichtungen, die Fachberatung betreut?

Was wollen die Träger?

Was will die Politik?

Um dies herauszufinden habe ich mich auf den Weg gemacht.

Sensibilisiert zum Einen durch meine vorhergehende Erzieherinnenpraxis, durch mein Hochschulpraktikum bei der Fachberatung eines freien Trägers, durch die Belegung des fast einmaligen Wahlbereichs Fachberatung an der Hochschule Esslingen, durch viele Vorgespräche mit Fachberatungen, die bei unterschiedlichen Trägern angestellt sind und durch persönliche Beobachtungen in größeren, mittleren und kleineren Städten und Gemeinden. Zum Anderen war ich berührt durch die Feststellung, dass es zu diesem Thema keine neuere Literatur gibt, dass die Rolle der Fachberatung, selbst in der Bildungsdiskussion so gut wie nie auftaucht und die Tatsache, dass Studenten höheren Semesters, Elternbeiratsvorsitzende, Freunde und Bekannte mir oft die Frage stellen: „ Fachberatung, was ist das überhaupt, was macht die eigentlich ?“ und letztendlich, das für mich ausschlaggebende Schlüsselwort von Beate Irsken, in der sie von der Gesichtslosigkeit der Fachberatung sprach. Diese Metapher war der Anlass dieser Nische nachzugehen, das Thema zu vertiefen und in diesem Bereich eine qualitative Sozialforschung im Rahmen dieser Bachelorarbeit durchzuführen. Der Titel dieser Arbeit: „ Braucht Fachberatung ein Gesicht?“ ist nur der Umkehrschluss dieses Schlüsselwortes.

Am Anfang dieser Arbeit wird die noch relativ junge Geschichte von Fachberatung mit ihrer heterogenen Trägerschaft und die daraus entwachsenen unterschiedlichen Fachberatungsmodelle vorgestellt. Das Geschichts- und Kollektivbewusstsein der eigenen Berufsgruppe ist für die Identifikation mit dem eigenen Beruf von großer Bedeutung. Der Schwerpunkt wird auf dem geschichtlich in Berlin gewachsenen „ Berliner Modell[38] liegen. Anhand dieses Modells sollen im Vergleich Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Modelle kurz angeschnitten werden. Gleich im Anschluss wird auf die Problematik des diffusen Berufsbildes von Fachberatung aufmerksam gemacht. In diesem Zusammenhang wird auf das „Zwischen-den-Stühlen-Phänomen“ eingegangen, welches in dem Fachberatungsmodell mit Delegation der Fach- und Dienstaufsicht[39] und Beratung[40] (Linienfunktion) inhärent auftritt. Weiter soll die Schwierigkeit, ohne ein einheitliches Beratungskonzept und Berufsbild Ziele und Aufgaben zu definieren, Thema des nächsten Kapitels sein. Durch den Versuch, die Aufgaben von Fachberatung auf sechs Ebenen zu setzen, bei denen zum ersten Mal (da aus der Literatur so nicht ersichtlich) die persönliche, geschichtsbiografische Ebene als eigenständiger Aufgabenbereich besonders berücksichtigt wird; durch die Zusammenstellung weiterer notwendiger Kompetenzen, die sich auf Grund der neuen Anforderungen unabdingbar ergeben, soll nicht nur für die Wichtigkeit, sondern mittlerweile für die Unverzichtbarkeit von Fachberatung geworben werden.

Bevor die einzelnen Stellungnahmen der Interviews zusammengefasst werden, wird die Methode der qualitativen Sozialforschung vorgestellt. Die sieben aufgestellten Hypothesen werden in Verbindung mit den Fragestellungen der jeweiligen Hypothese vorgestellt. Die Fragestellungen dienten als Gerüst für den Fragebogen der Fachberatung und der drei weiteren ausgewählten Zielgruppen, die für die Schnittstelle der Fachberatung relevant sind. Das sind Träger, ErzieherInnen und die Politik. Im Anschluss wird auf die unterschiedliche Herangehensweise bei der Konzipierung der vier Fragebögen Bezug genommen und die jeweiligen Kriterien der Fragebögen zielgruppenspezifisch dargestellt.

Im nächsten Schritt wird auf die Prozessentwicklung bei der Paraphrasierung der Interviews hingewiesen und begründet, warum die anonymisierten Interviews nicht in den Anhang gestellt wurden.

In der Zusammenfassung der qualitativen Interviews werden die Antworten der vier Zielgruppen hintereinander gerafft dargestellt. Dazu wird das Frageraster der einzelnen Fragebögen herangezogen. Dennoch wird nicht jede Frage berücksichtigt werden können. Es werden in der Zusammenfassung nicht nur Highlights dargestellt, sondern auch die in so einem Prozess erfahrenen kleinen Rückschläge. In Erzählform wird ein Konfliktgespräch mit einem freien Träger verfasst, der grundsätzlich nicht die Notwendigkeit einer Fachberatung anerkennen konnte. Obwohl zuvor ein Termin mit der Kirchenpflegerin feststand, sie im Vorfeld über das Thema informiert wurde und noch eine Stunde vor dem Termin, dieser nochmals bestätigt werden konnte, war der Dienst habende Pfarrer plötzlich vor Ort und erkundigte sich, um was es ginge. Nachdem er über das Thema des Interviews informiert wurde, war dieser zu einem Interview nicht mehr bereit. Diesem Rückschlag werde ich mich bewusst stellen, um einerseits selbst daraus zu lernen, wie man solchen Widerständen begegnen kann, aber auch, um an diesem Beispiel, auf das z. T. noch vorhandene Klischeedenken aufmerksam zu machen. In der Auswertung werden Möglichkeiten gesucht, wie es sinnvoll gelingen könnte, das noch vorhandene Rest-Klischeedenken etwas aufzuweichen. Es müssen nicht nur Hürden im Kindertagesstättenbereich abgebaut werden, sondern eine Aufgabe ist es, zu verhindern, dass nicht noch weitere Hürden aufgebaut werden. Mit einer derartigen Trägerhaltung sehe ich diese erfahrene Realität von Hürdenaufbau als Fakt an, dem man sozial- und verbandspolitisch mit Gegenmaßnahmen begegnen müsste. In der Zusammenfassung sollen auch Besonderheiten, die während der qualitativen Interviews aufgetreten sind, berücksichtigt werden. Der Hinweis einer Leitung, sie hätte über Arbeitskreise erfahren, dass die Nachbarsgemeinde eine Fachberatung vor Ort wünsche, hat mich zu Mehrarbeit veranlasst, die zunächst so nicht geplant war. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit wurde dieser Hinweis als wichtig eingestuft und bin, nach Abwägung der Zeitkontingente, der Bitte nachgekommen (s. Kap. 5.6 „ Die unvorhergesehen Interviews “). Ganz sicher wird in der Zusammenfassung der eine oder andere wichtige Standpunkt zu kurz kommen, jedoch ist das Ziel, alle Interviews in einen fairen, authentischen und objektiven Gesamtzusammenhang zu bringen.

Die Auswertung der Interviews erfolgt nach Zielgruppen. Besonderheit ist, dass nicht auf jede Frage Bezug genommen wird. Es sollen lediglich, die aus der Zusammenfassung herauszulesenden Einschätzungen, Tendenzen und Erkenntnisse kompakt nach Zielgruppen, so gut wie möglich unterteilt, dargestellt und interpretiert werden. Da sich manche Standpunkte überschneiden und um Wiederholungen zu vermeiden, können sich in der Zielgruppenauswertung der Fachberatung evtl. auch mal Standpunkte von ErzieherInnen oder Trägern vermischen. Diese werden später nicht mehr getrennt dargestellt. Die in manchen Fällen konträr verlaufenden Positionen, Standpunkte und Einstellungen werden schwerpunktmäßig ihre Berücksichtigung finden und es sollen Überlegungen angestellt werden, wie diese überwunden werden könnten. Welche Veränderungen müssen einsetzen, um Haltungsresistenzen zu durchbrechen? Wie können Nein-Stimmen überwunden werden? Bei der Auswertung werden auf Grund der Aussagen Möglichkeiten aufgezeigt, wie z. B. ein festgestellter Qualitätseinbruch oder der Mangel an Öffentlichkeit vom System selbst behoben werden kann. Es wird zu manchen Momenten bewusst eine konstruktiv kritische Haltung eingenommen, da nur durch eine kritische Auseinandersetzung mit Themen und Gegebenheiten, die immer schon so waren (und weil sie so waren, müssten sie so bleiben), sich neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten ergeben. Niklas Luhmann spricht in seiner Systemtheorie von einer doppelten Kontingenz, die in der Kommunikation beachtet werden müsse, von einer notwendigen Anschlussfähigkeit in der Kommunikation, die auf Verständnis basiere. Denn es könne immer auch anders sein, als zuvor gedacht… Kommunikation höre niemals auf, es gebe kein letztes Wort.[41]Verstehen generiert nachträglich Kommunikation.“[42] Bei den ausgewerteten Stellungnahmen und Kommentaren einzelner Personen setze ich auf dieses Verstehen und die daraus resultierende Anschluss- kommunikation bzw. auf ein weiteres Anschlusswort der Auswertungen und den vorgestellten Perspektiven und Möglichkeiten.

Vor der Hypothesenreflexion werden die spärlichen vorhandenen empirischen Befunden zu Fachberatungseffekten vorgestellt. Fachberatungen und Trägerverbände werden anschließend aufgefordert sich Verbündete zu suchen, stärkere Vernetzungen untereinander einzugehen, damit eine flächendeckende Sensibilisierung der Politik zu diesem Thema gelingen kann. Es werden drei Axiome für eine gelingende Sensibilisierung aufgestellt. Diese sollen als Anregungen für eine organisiert angesetzte Sensibilisierung dienen und darauf aufmerksam machen, dass der lebensweltorientierte Kontext einer/s Politikerin/Politikers bei ihren/seinen politischen Entscheidungen eine nicht unwesentliche Rolle spielt, die bei der Sensibilisierung mit berücksichtigt werden müsste.

Am Ende der Auswertung soll den sieben aufgestellten Hypothesen die Hypothesen-reflexion gegenübergestellt werden. Die in der Auswertung erkannten Richtungen und Tendenzen werden nun nochmals zu den bereits aufgestellten Hypothesen reflektiert. Welche Hypothesen könnten politisch verwirklicht werden? Welche waren zu illusorisch und müssten verworfen werden? Die gesamte Auswertung soll dahingehend gelingen, inwiefern die aufgestellten Hypothesen durch die Expertenaussagen mehr, weniger oder gar nicht unterstützt werden konnten. Welche Hypothesen wurden fachpolitisch als absolut notwendig angesehen? Wann wurden sie als überzogen betrachtet und in welchen Bereichen oder auf welcher politischen Ebene konnten sie sogar widerlegt werden? Ein besonderer Stellenwert wird der siebten Hypothese zur Notwendigkeit eines postmodernen Unterstützungssystems eingeräumt. In diesem Zusammenhang werden die aktuellen pädagogischen Entwicklungen und philosophischen Annahmen zum Kind, wie sie im „ Projekt der Postmoderne[43] von Fthenakis beschrieben werden, als Anregung zur weiteren Vertiefung des Gedankenguts aufgezeigt.

Die gewonnenen Erkenntnisse und Tendenzen und die herausgearbeiteten Lösungs-möglichkeiten sollen im Kapitel Perspektiven dargestellt werden. Die Perspektiven werden

in sozialpolitische Empfehlungen oder Vorgaben verfasst und in kurz-, mittel- und langfristige Perspektiven unterteilt. Diese sollen einen Ansporncharakter haben, die formulierten fachlichen Wünsche, Vorstellungen, Zukunftsszenarien, besonders die der Fachberatungen und ErzieherInnen, in absehbarer Zeit im kollektiven Miteinander (Fachberatung, Träger, ErzieherInnen, Politik und Wissenschaft) Wirklichkeit werden zu lassen.

Im Fazit werden einzelne Hypothesen nochmals kurz reflektiert und im Zusammenhang mit den wichtigsten Positionen kompakt dargestellt. In einem darauffolgenden Schritt werden Forschungsdesiderate aufgezählt, die in diesem Bereich notwendig wären. Im letzten Abschnitt des Fazits wird ein Appell an alle, die den Stellenwert der Elementarbildung flächendeckend auf höchstem Niveau ansetzen wollen, gerichtet. Es könnte gerade jetzt die richtige Zeit sein, sich stärker für die Profilierung des Berufsbildes der Fachberatung ein-zusetzen. Eine Erzieherin hat die Profilierungsfrage so ausgedrückt: Sie müssten „ lauter rufen![44] Mit einer Metapher aus dem Kinderbuch „ Momo[45] wird mein persönlicher Appell ein ähnlicher und dennoch ein ganz anderer sein, da nur „ rufen“ allein nicht ausreicht, wenn das Rufen auf taube Ohren stößt.

Die visionären Zukunftsentwürfe des Nachtrags können nur tragen, wenn das schon Vorhandene mit dem gedanklich Entworfenen kompatibel gemacht werden kann.

In der gesamten Arbeit wird die paritätische Schreibweise unterstützt, um die postulierte Öffnung des Fachberatungs- und ErzieherInnenberufs für Männer konsequent sprachlich zu berücksichtigen. Nur in den Zitaten, in denen ursprünglich die weibliche Schreibform gewählt wurde, wird diese so wiedergegeben.

Durch die vielen Interviews hat sich mir ein besonderer Zugang zu diesem Thema erschlossen und es ist mir bewusst, dass ich mich nicht immer im erforderlichen Maße vom Thema distanzieren kann. Hieraus wurde an einigen Stellen auf die Ich-Form zurückgegriffen. Diese Arbeit kann im Fluss der Zeit, in einem sich ständig verändernden Anforderungsprofil der Fachberatung, nur als Momentaufnahme angesehen werden. Sie soll als Anregung zur Weiterentwicklung der Profession von Fachberatung verstanden werden.

2 Geschichte der Fachberatung im pluralen Trägersystem

Beate Irskens und Renate Engler sprechen in ihrem Fachbeitrag: „ Von der Hinterbühne auf die Vorderbühne – Schlüsselrolle der Fachberatung in Transfer- und Vernetzungs- prozessen.“ von „Ges(ch)ichtslosigkeit der Fachberatung“.[46] Bei der Jahrestagung 2004 vom Pestalozzi-Fröbel-Verband wurde festgestellt, dass die meisten anwesenden Fachberatungen, die in der Vergangenheit vorhandenen Vernetzungs- und Kooperationsversuche gar nicht kannten. Es scheint kein kollektiv gepflegtes Gedächtnis des Berufsstandes zu geben, vielleicht nicht einmal einen Berufsstand mit gemeinsam zu verortenden Identitäten.[47] Beate Irskens (ehemalige Referentin des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge und heute Mitarbeiterin der Bertelsmann Stiftung) und Renate Engler bedauern auch, dass es keine fachliche und öffentliche Resonanz findet, wenn Stellen für Fachberatungen
abgebaut, gekürzt oder umstrukturiert werden. Sie bedauern ebenso immer wieder feststellen zu müssen, wie Fachberatung an ihre Trägerorganisation geknebelt wird und berufliche
Netzwerke bis zu einem Aktionsverbot behindert werden. [48]

[...]


[1] vgl.: Irskens, Engler 2005, 150-152.

[2] vgl.: von Devivere, Irskens 1996.

[3] § 22 SGB VIII.

[4] Interview Nr. 7.

[5] Irskens 1995, 9 u. vgl.: BAG der Landesjugendämter 2003 „Empfehlungen zur Fachberatung“.

[6] GEW - Landesverband Thüringen – GEW Konzept „Bildung von Anfang an“.

[7] Bauer 2005.

[8] Diskowski 2005, 11.

[9] vgl.: Landeshauptstadt Stuttgart Jugendamt 2006.

[10] Gemeinsamer Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertagseinrichtungen 2005, 3.

[11] vgl.: Schäfer 2004, 49-51.

[12] Schäfer 2004, 63 und vgl.: Laewen, Andres 2002.

[13] vgl.: Schäfer 2004, 53-56.

[14] vgl.: Schäfer 2004, 55.

[15] Schäfer 2004, 54.

[16] Carr 2001, Learning Stories – ein Bildungs- und Lernkonzept aus Neuseeland, welches die Lerndisposition der Kinder
berücksichtigt.

[17] British Council 2004 , Early Excellence Centre (EEC)

[18] Lingenauber 2007 – Handlexikon der Reggio-Pädagogik.

[19] vgl.: Fthenakis Vortrag am 18..05.2001 in Tübingen.

[20] vgl.: Fthenakis 2002,18-19.

[21] KEG 2007.

[22] Anhang A.

[23] Anhang B.

[24] Telefongesprächsprotokoll Nr. 3 auf CD.

[25] Neuß 2007, 97

[26] vgl.: Interview Nr. 5.

[27] Fthenakis 2002, 31.

[28] Fthenakis 2002, 33.

[29] vgl.: Fthenakis 2002, 19.

[30] vgl.: Fthenakis, 2001.

[31] vgl.: Schäfer 2005, 40-43.

[32] Schäfer 1995, 33.

[33] vgl.: Fthenakis 2002, 22-23.

[34] Impuls Soziales Management 2007, 4.

[35] OECD-Bericht 2004

[36] Interview Nr. 34.

[37] Tietze 2004, 416.

[38] Irskens, Engler 1992, 39.

[39] Fachaufsicht: Gewährleistung der Recht- und Fachmäßigkeit der fachlichen Standards.
Dienstaufsicht: Vorgesetztenstatus - Gewährleistung der arbeitsvertraglichen Bedingungen.
Bei Nicht-Einhaltung können Abmahnungen und Kündigungen ausgesprochen werden.
Beides wird in Linienfunktion in der Regel durchgeführt.

[40] Beratung: wird in der Regel in Stabfunktion durchgeführt. Anwendungsspezifische, subjektorientierte, prozesshafte und
unterstützende Methode zur Umsetzung von fachlichen und trägerspezifischen Ziele und Standards.

[41] vgl.: Luhmann 2004.

[42] Luhmann 1997, 72.

[43] vgl.: Fthenakis 2001, Folie 7.

[44] Interview Nr. 27.

[45] Ende 1973.

[46] Irskens/Engler 2005, 150.

[47] Irskens/Engler 2005, 151.

[48] vgl.: Irskens, Engler 2005, 151.

Ende der Leseprobe aus 127 Seiten

Details

Titel
Braucht Fachberatung ein Gesicht?
Untertitel
Richtlinien für ein klares, professionelles und bundeseinheitliches Berufsbild der Fachberatungen für Kindertagesstätten mit kurz-, mittel- und langfristigen Perspektiven
Hochschule
Hochschule Esslingen
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
127
Katalognummer
V88230
ISBN (eBook)
9783638009119
ISBN (Buch)
9783638914642
Dateigröße
6186 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Hervorragende Arbeit. Dies ist die mit Abstand bisher beste Benotung die ich für eine Bachelorarbeit vergeben habe." (Zitat des Professors)
Schlagworte
Braucht, Fachberatung, Gesicht
Arbeit zitieren
Theresia Friesinger (Autor:in), 2008, Braucht Fachberatung ein Gesicht?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88230

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