Der ursprüngliche Buddhismus und sein erstes Schisma

Ein Unterrichtsversuch in Klasse 11 über die Entwicklung einer Religion und ihrer Lehren am Beispiel des Buddhismus


Examensarbeit, 2008

42 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Einleitung und Motivation

1. Sachanalyse
1.1 Vorbemerkung
1.2 Der ursprüngliche Buddhismus
1.2.1 Quellen
1.2.2 Buddha
1.2.3 Dharma
1.2.4 Sangha
1.3 Das erste Schisma
1.3.1 Schismen in Christentum und Islam

2. Didaktische Analyse
2.1 Bedingungsanalyse
2.1.2 Äußere Rahmenbedingungen
2.1.3 Klassenanalyse
2.2 Legitimation durch den Bildungsplan
2.3 Didaktische Schwerpunkte und Konzeption der Unterrichtseinheit
2.3.1 Die Textarbeit

3. Dokumentation der Unterrichtseinheit
3.1 Aufbau der Unterrichtseinheit
3.2 Übersicht
3.3 Dokumentationen und Evaluationen ausgewählter Stunden
3.3.1 3. + 4. Stunde (09.11.2007): Die erste edle Wahrheit
3.3.2 5. Stunde (16.11.2007): Die zweite edle Wahrheit
3.3.3 11. + 12. Stunde (07.12.2007): Schismen in Christentum, Islam und Buddhismus

4. Beschluss

Literaturverzeichnis

Internetquellen

Sonstige Quellen

Einleitung und Motivation

„Der Buddhismus schaut nicht auf Andersdenkende hinab, er predigt keinen Dünkel. Das Unterscheidet ihn von anderen Weltreligionen. Seine Geschichte kennt keine Kreuzzüge, keinen Dschihad. Er war über die Jahrhunderte nicht eifernd missionarisch.“[1]

Die Lehre Buddhas hat auch nach über 2500 Jahren nichts an Popularität verloren. Im Gegenteil: Während in die christlichen Freikirchen in Europa unter immer größer werdenden Mitgliederverlusten zu leiden haben[2], zieht der Buddhismus mit seiner Leidenslehre immer mehr Menschen in seinen Bann. Buddhistische Schulungsstätten boomen in Deutschland und der ganzen Welt[3]. Und jeder dritte Bundesbürger hält den Dalai Lama „für den weisesten Menschen der Gegenwart“[4]. Aus welchen Gründen erscheint die viertgrößte Weltreligion in der heutigen Zeit so attraktiv? Welche Lehren scheinen den Sinnsuchenden so einleuchtende Antworten zu geben? Und was ist der Buddhismus überhaupt?

Der Buddhismus (und all seine Gruppierungen und Abspaltungen) weist eine für Religionen fast schon atypisch zu nennende Toleranz gegenüber Andersgläubigen auf. Während der Koran klare Regeln zur Tötung Ungläubiger angibt[5], der Talmud den Besitz von Nichtjuden als frei verfügbar für Juden ansieht und zum Betrug an den sogenannten „Gyoims“ aufruft[6], während sogar die christliche Bibel deutliche „Justizregeln“ vorweist, die das Gebot „Du sollst nicht töten“nicht tangieren[7], da es sich auch dort um Ungläubige handelt, da steht der Buddhismus in einer einzigartigen Friedfertigkeit und Toleranz entgegen. Die Begründung hierfür liegt in einem zweiten, atypischen Unterschied zu anderen Religionen: Das buddhistische Weltbild kennt keinen Schöpfergott im Sinne der jüdischen, christlichen oder muslimischen Tradition. Es gibt keine allmächtige, omnipräsente Instanz, die das Weltgeschehen führt. Der Mensch ist für sich und sein Handeln selbst verantwortlich. Er muss sich nicht nach dem Tode vor einem omnipotenten Wesen rechtfertigen, um daraufhin die Ewigkeit in Freuden oder Schmerzen erleben zu müssen. Nicht die Gnade eines Gottes, vor dem alle Menschen allein aufgrund ihres Daseins Sünder sind, sondern nur die eigene Tatkraft, der Wille Gutes zu tun und die Anstrengung, sich selbst zu finden und zu überwinden, sind ausschlaggebend.

Wohl stellt sich hier eine grundsätzliche Frage: Wie viel weiß der westliche Laie über die buddhistischen Lehren? Alleine die Schwierigkeiten, zentrale Begriffe wie „karma“ oder „nirvana“ in eine nicht-asiatische Sprache zu übersetzen, werfen bis heute große Probleme bei der Vermittlung der Lehre Buddhas auf. Ja selbst für einige buddhistische Gruppierungen schien der negativ konnotierte Nirvana-Begriff solche Schwierigkeiten zu beinhalten, dass er im Laufe der Zeit eine paradiesische, also positiv bewertete, Bedeutung zugesprochen bekam.

Solche „Schlüsselstellen“ sind nicht nur fruchtbar für das Thema dieser Zulassungsarbeit, sondern gleichsam motivierend für die Schülerinnen und Schüler, sich mit den Lehren des Buddhismus und ausgewählten Schulsystemen zu beschäftigen. Eine Vielfalt an Themen verschiedenen Schwierigkeitsgrades lässt weder die „schwächeren“ Schüler hängen, noch die „stärkeren“ unterfordert zurück. Ein beständig parallel ablaufender Vergleich mit den Religionen Christentum und Islam soll den Schülerinnen und Schülern helfen, sowohl ethische wie auch metaphysische Stärken und Schwächen jedweder Richtung objektiv zu erkennen und zu reflektieren. Buddhistische Toleranz und buddhistische Ethik sind für Gläubige aller Religionen erleb- und ausführbar, ohne dabei gegen eigene Dogmen zu verstoßen. Nicht zuletzt in der heutigen pluralistischen Gesellschaft und den im Zuge der Globalisierung immer wieder auftretenden Wertekollisionen verschiedener Kulturen kann die Lehre Buddhas eine (idealistische) Zielvorstellung sein. Schließlich hat der Buddhismus etwas erreicht, was das Christentum bis vor wenigen Jahrhunderten und der Islam bis heute nicht geschafft haben: Eine friedliche Aufspaltung in verschiedene Glaubensrichtungen und ein konstruktives Nebeneinander.

1. Sachanalyse

1.1 Vorbemerkung

Der ursprüngliche Buddhismus richtet sich nur nach den Schriften des Pali-Kanons. Deshalb müssten eigentlich auch alle buddhistischen Fachbegriffe in Pali genannt werden. Da sich aber im heutigen Sprachverständnis in Deutschland grundsätzlich die Wiedergabe in Sanskrit eingebürgert hat, werden im Folgenden alle Begriffe im Sanskrit wiedergegeben. Ein weiterer Grund hierfür ist, dass sich auch das im Unterricht verwendete Schulbuch sowie ein Großteil der verwendeten Texte und Sekundärliteratur die Sanskritbegriffe nutzt.

1.2 Der ursprüngliche Buddhismus

1.2.1 Quellen

Die Kenntnisse über den ursprünglichen Buddhismus finden sich im sogenannten Pali-Kanon. Drei Mönchskonzilien (zwischen vermutlich 483 v. Chr. und 252 v. Chr.) versuchten schon kurz nach Buddhas Tod die Worte Ihres Meisters zu bewahren. Allerdings wurde das Bewahren von Buddhas Lehren nicht in schriftlicher Form bewältigt, sondern einzelne Mönchsgruppen lernten bestimmte Teile dieser „Wortmassen“ (Schumann, S. 56) auswendig. Erst im 1. Jahrhundert v. Chr. wurde auf Geheiß des Königs Vattagamani Abhaya eine Verschriftlichung durchgeführt. Nach neuerer Buddhismusforschung enthält nur der Pali-Vinaya- und Suttapitaka echte Aussprüche Buddhas; die sachlichen Abweichungen des restlichen Kanons betreffen jedoch keine zentralen Stellen der Lehre Buddhas[8].

Der Pali-Kanon ist in drei „Körbe“ (pitaka) unterteilt:

1. Pitaka: Vinayapitaka à Regeln für Mönche (vinaya), historisches Material über Buddha und den Orden.

2. Pitaka: Suttapitaka à fünf Sammlungen (nikaya) von verschiedenen Suttas, nach Länge und Thematik unterteilt.

3. Pitaka: Abhidhammapitaka à „Korb der Scholastik“ (Schumann, S. 61); Analyse der Lehrer und der zentralen Begriffe.

1.2.2 Buddha

Siddharta Gautama wurde im Tiefland von Terai vermutlich 566 v. Chr.[9] geboren. Vermutlich gehörte seine Familie der zweithöchsten Kaste, der aristokratischen Kriegerkaste ksatryias, an. Das gesellschaftliche, familiäre und auch religiöse Leben war durchdrungen von dem Kastenwesen auf der einen, und dem vedischen Opferkult auf der anderen Seite. Einstimmig bestätigen alle bekannten Quellen, dass Siddharta in Luxus und Reichtum aufwuchs. Im Alter von 28 oder 29 Jahren, nach der Heirat mit seiner Kusine Yasodhara und der Geburt seines Sohnes Rahula verließ Siddharta seinen Wohnistz und zog in die sogenannte „Hauslosigkeit“. Wie auch seine eigene Geburt, so wurde auch der Auszug Siddhartas im Laufe der Zeit immer weiter ausgeschmückt und mit mystischen Elementen versehen, so dass vor allem in den späteren Schriften des Buddhismus kaum noch Mythos und Wahrheit unterschieden werden kann. Einer der älteren Texte jedoch gilt als relativ objektive und wahrheitsgetreue Wiedergabe dieser Ereignisse (Suttanipata III, 1; vgl. Mylius, S. 22).

Während den Jahren der „Hauslosigkeit“ versuchte sich der spätere Buddha in harter Askese und Selbstkasteiung. Zwei Wandermönche und Asketen waren seine Lehrer, bei denen er mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Techniken der Meditation erlernte. Aber ebenso wenig, wie er in Luxus und Pracht glücklich wurde, gelang ihm dies durch die vedische Askese. (Obzwar er in der Meditation schon höhere Stufen der Trance (jhana als seine Meister erreichte[10] ).

Bei Uruvela, unter einem Feigenbaum[11], erkannte Siddharta, dass keiner der extremen Wege zum Ziel führen würde. In tiefer Meditation erlangte er nun die Erleuchtung: Eine Einsicht, die heute als „Die vier edlen Wahrheiten“ bekannt ist (Buddha = der Erleuchtete).

Interessanterweise wollte der Buddha seine Erkenntnis und seine Lehre nicht verbreiten:

„Da nun entstand im Geist des ins Verborgene gegangenen, einsamen Erhabenen so die Überlegung: Gefunden habe ich diese Lehre, (die) tief, schwer zu erkennen, schwer zu begreifen ist, friedvoll, erhaben, […] nur den Weisen zugänglich. Am Anhangen jedoch freuen sich die Leute, über das Anhangen sind sie froh, am Anhangen ergötzen sie sich. […] Wenn ich also nun die Lehre verkünde und die anderen mich nicht verstehen, wird das für mich (nur) Ermüdung sein, wird das für mich (nur) Ärger sein.“ (Vinayapitaka, Mahavagga, I,5)

Erst dem Gott Brahma Sahampati gelang es, den Buddha zu überreden, seine Lehre zu verkünden.

Der Same der Lehre fiel auf einen fruchtbaren Boden. Nicht die Geburt in eine bestimmte Kaste oder der Reichtum für große Opfergaben waren Voraussetzungen für die „Erlösung“, sondern jeder Mensch konnte durch eigenes Handeln Erlösung finden. Auch stand der „Mittlere Weg“ diametral den extremen brahmanischen Ideen gegenüber. Religionshistorisch betrachtet findet sich hier eine starke Parallele zum Christentum: Denn auch Jesus hatte Armen, Prostituierten und anderen „Verstoßenen“ das Himmelreich versprochen (Vgl. Matthäusevangelium). Im Gegensatz aber zu der frühchristlichen Gemeinde, die noch Jahrhunderte lang Verfolgungen ausgesetzt war, geschah dem Buddha ein „bahnbrechendes Ereignis“ (Schumann, S: 26): Der König von Magdha, Bimbisara, schloss sich als Laie dem Buddhismus an und stiftete einen Klosterhain. Schumann sieht darin nicht nur religiöse Gründe, sondern wollte eben die bereits in der Einleitung erwähnten Besonderheiten dieser Lehre für sich und sein Volk nutzen:

Er (Bimbisara, Anm. d. A.) hatte erkannt, dass die neue Lehre friedfertige Menschen erzog und geeignet war, heterogene Bevölkerungsgruppen zu einträchtigem Nebeneinander und Miteinander anzuleiten. (Schumann, S. 26)

Bis zu seinem Tode, vermutlich im Jahre 486 v. Chr. durch eine Lebensmittelvergiftung hervorgerufen, lebte Buddha als wandernder Prediger.

1.2.3 Dharma

(Der Begriff „Dharma“ ist in seinen verschiedenen Bedeutungsnuancen in der Buddhologie umstritten. Im Folgenden soll er einfach „die Lehre Buddhas“ bedeuten.)

Nach seiner Erleuchtung zog der Buddha nach Benares, um seine Lehre zu verkünden. Im Kern sind dies die „Vier edlen Wahrheiten“, aus denen sich fast das ganze Grundgerüst des buddhistischen Dharmas ableiten lässt:

Dies nun, o Mönche, ist die edle Wahrheit vom Leiden. Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden; […] die Vereinigung mit Unliebem ist Leiden, die Trennung von Liebem ist Leiden; […] kurz gesagt, die fünf Arten am Festhaltens am Sein ist Leiden.

Dies nun, o Mönche, ist die edle Wahrheit von der Leidensentstehung. Es ist dieser „Durst“, der zur Wiedergeburt führt, verbunden mit Vergnügen und Lust, an dem man sich befriedigt, nämlich der Liebestrieb, der Selbsterhaltungstrieb, die Sucht nach Reichtum.

Dies nun, o Mönche, ist die edle Wahrheit von der Aufhebung des Leidens. Es ist ebendieses Durstes Aufhebung durch (seine) restlose Vernichtung […].

Dies nun, o Mönche, ist die edle Wahrheit von dem zur Aufhebung des Leidens führenden Pfad. Es ist dieser edle achtgliedrige Weg […].

(Suttapitaka, Samyuttanikaya, LVI, 11, 5 – 8)

In der ersten edlen Wahrheit versteckt sich eine buddhistische Grunderkenntnis, die dieser Religion oftmals den Vorwurf pessimistisch zu sein eingebracht hat: Das gesamte Dasein ist Leiden. Diese „Leiden“ wird unterteilt in drei Arten: 1. Leiden aus dem Leiden; 2. Leiden aus der Veränderung; 3. Das allem Zusammengesetzten innewohnende Leiden. Die ersten beiden Arten bergen kaum Verständnisprobleme: Leidet der Mensch an einem Problem und kommt ein weiteres hinzu, fühlt er dieses neue Leid noch schwerer; man kann also nicht von einer „Summierung“ sprechen – die Qualität ändert sich. Die zweite Art birgt schon einen etwas komplexeren Sachverhalt. Denn zum Leiden durch Veränderung gehört auch das Glück (Glücksgefühl), das bei Veränderungen eine leidhafte Leere hinterlässt. Die dritte Art des Leidens ist dem Menschen inhärent. Es ist ständig präsent, jedoch so subtil, dass es nur von bereits fast erleuchteten Personen wahrgenommen werden kann. Erst wenn die ersten beiden Arten überwunden wurden, kann man die dritte Art wahrnehmen bzw. erkennen.

Leiden ist also alles, was dem Kreislauf von Werden und Vergehen unterworfen ist. Da aber wiederum alles diesem Kreislauf unterworfen ist, ist alles „nicht Erlöste“ dem Leiden unterworfen. Erlösung wird hier also klar definiert als „nicht mehr leiden“. Wie bei dem Begriff des Nirvanas (s.u.) handelt es sich also um eine negative Definition. Erst das Durchbrechen des samsarischen[12] Kreislaufes erlöst die empirische Person: und nichts anderes als diese ist mit den „fünf Arten am Festhalten am Sein“ gemeint.

Der Buddha hat in vielen seiner Lehrreden definiert, was eine empirische Person konstituiert: die fünf Aneignungsgruppen (Skhandhas):

Und welche sind, Mönche, in Kürze die Fünf Aneignungsgruppen, die leidhaft sind? (Es sind):

(1) Die Aneignungsgruppe Körper (rupa)
(2) die Aneignungsgruppe Empfindung (vedana)
(3) die Aneignungsgruppe Wahrnehmung (sanna)
(4) die Aneignungsgruppe Geistesregung (sankhara)
(5) die Aneignungsgruppe Bewusstsein (vinnana)

(Majjhimanikaya 141 III, zit. n.: Schumann, S. 66)

Die Lehre von den fünf Skhandhas enthält den wohl größten Unterschied des Buddhismus zu den anderen Weltreligionen. Denn keine dieser fünf Gruppen ist beständig, alle sind dem Zerfall anheim gegeben. Die Prämisse war ja, dass alles dem Prozess des Vergehens unterliegt. Die Konklusion ist, dass es dann auch nichts geben kann, was den Tod überdauert. Die Lehre von Anatman, dem Nicht-Selbst“ des Menschen (und allen anderen Lebewesen, seien sie natürlich oder übernatürlich) stand natürlich auch im krassen Gegensatz zu der Atman Lehre der Upanishaden. Deren Theorie von der Wiedergeburt gemäß den Taten hatte Buddha zwar übernommen, nicht aber einen Wesenskern oder eine Seele, die die Folgen einer Wiedergeburt zu „ertragen“ hätte. Die Schwierigkeiten, die die Anatman Lehre mit sich brachte und bis heute bringt, werden später noch genauer beleuchtet.

Von den Fünf Gruppen abhängig ist auch die zweite edle Wahrheit. Der Wahrnehmungsprozess eines Menschen verläuft über die Fünf Gruppen: Der Körper (rupa), gemeint ist der physische Organismus mit den sechs Sinnesorganen Auge, Ohr, Nase, Zunge, Tastsinn und Denkvermögen, konstituiert die Empfindungen (vedana): Die Sinnesorgane nehmen die sinnlichen Eindrücke und Reize der Umgebung auf. Diese Wahrnehmungen (sanna) wiederum lassen die Sinneseindrücke zu Widerspiegelungen der Objekte im Geist des Betrachters werden. Aus den Wahrnehmungen entstehen die Geistesregungen (sankhara), nämlich Begierden, Sehnsüchte, Handlungsabsichten. Beispielsweise will man von einem gesehenen Objekt Besitz ergreifen. Die Vorstellung soll in die Realität umgewandelt werden. Tatabsichten entstehen. Aus dem Vorangegangenen ergibt sich unter Hinzunahme des Verstandes ein Bewusstwerden (vinnana) der wahrgenommenen Objekte und den damit verbundenen Absichten. Das Gesamtresultat dieser geistigen Prozesse bezeichnet der Buddha als „Durst“. Dass sich dieser Durst vornehmlich auf Lustbefriedigung richtet und dies somit verwerflich ist, ist auch aus anderen Religionen bekannt. Allerdings sind die Folgen im Buddhismus fundamental: Während das Christentum den Geschlechtsakt zur Lustbefriedigung zwar ablehnt, aus Gründen der Selbsterhaltung (unter dem Sakrament der Ehe) aber durchaus befürwortet, lehnt Buddha in der zweiten edlen Wahrheit konsequent auch den Selbsterhaltungstrieb ab[13]. Dies muss er auch zwingend, um die logische Konsequenz seiner Lehre aufrecht zu erhalten.

Wer sich aber seinen Dürsten hingibt, erfährt Tatabsichten und vollzieht Handlungen. Hier kommen nun zwei weitere Grundpfeiler der buddhistischen Lehre ins Spiel: Das Gesetz von Ursache und Wirkung und das Gesetz des Karma.

Das Gesetz von Ursache und Wirkung spielt in allen großen Religionen eine wichtige Rolle. Schon im Alten Testament ist das bis heute als Sprichwort erhaltene Zitat zu finden: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten.“ (Hosea 8,7) Diese, noch im Diesseits verhaftete Weisheit wurde dann in eine metaphysische Sphäre gehoben. Von Aristoteles begründet, von Thomas von Aquin ebenfalls ausformuliert, dient das Ursache – Wirkungs – Gesetz nun als Kontingenzbeweis für die Existenz Gottes (causa prima). Der Buddha dehnte den Begriff jedoch quasi ins Unendliche aus. Bei ihm gibt es keine erste Ursache, sondern der gesamte Kosmos ist diesem Gesetz unterworfen. Nur ein verlassen dieses Kreislaufes kann den „Gläubigen“ befreien: Beenden aber kann diesen Kreislauf niemand.

Die Auswirkungen dieses Kreislaufes sind zweifach. Zuerst einmal begründet sich in Ursache und Wirkung unser Charakter. Lässt eine Person A z.B. das (negative) Gefühl des Neides auf den Besitz einer Person B so groß werden, dass die Tatabsicht zu stehlen entsteht, der Diebstahl erfolgt und Person A sich an ihrem neuen Besitz erfreut, so wird die Hemmschwelle zu stehlen (und das Gefühl des Neides aufkommen zu lassen) immer geringer. Genauso verhält es sich auch mit guten Tatabsichten und Handlungen. Gleich wie Aristoteles, wenn auch mit anderen Begründungen, lässt sich tugendhaftes Handeln also „lernen“. Während jedoch Aristoteles den Schwerpunkt auf die „Gewohnheit“ legt, sieht der Buddha das Gesetz der „Wiedererinnerung“ für ausschlaggebend an. Nicht die beständige „Übung“ lehrt gutes Handeln, sondern schon eine einzige schlechte Handlung legt einen Samen in den karmischen Kern des Menschen, der in bestimmten Situationen sofort ersprießt und Nahrung fordert, um seinen Durst zu stillen.

In einem umfassenderen Bereich wird das Gesetz von Ursache und Wirkung auch das „karmische Gesetz“ genannt. Es ist nun nicht mehr nur für eine Charakterbildung zuständig, sondern determiniert den gesamten Kreislauf des Werdens und Vergehens: die Wiedergeburt.

Wiewohl der Buddha zu Anfang seiner Lehrtätigkeit nur den „Durst“, also die Gier, als Grund für den samsarischen Kreislauf nannte, fügte er bald die Unwissenheit als zweiten Faktor ein. Unwissenheit bedeutet die „Nichterkenntnis des Leidens und der vier edlen Wahrheiten“ (vgl. Schumann, S. 84). In weiteren Texten des Pali - Kanons findet sich als Ursache weiter ausformuliert Hass, Verblendung und Begehren; im Majjhimankaya 51 I schlussendlich findet sich der Sammelbegriff „Einflüsse“ (Schumann, S. 85). Das karmische Gesetz bereitet vor allem dem westlichen Laien große Probleme. Eine Rede des Buddha soll das erste Problem verdeutlichen:

„Ich erinnerte mich an mancherlei Vorexistenzen, die ich durchlebt hatte. […] Mit dem Himmlischen Auge sah ich, wie die Wesen vergehen und (wieder) entstehen, sah ich, wie ihnen je nach ihren Taten (karma) günstige oder schlechte Wiederverkörperung zuteil geworden war. Ich erkannte: „Die Wesen, die von Körper, Rede und Denken schlechten Gebrauch machen, die erlangen nach dem Tode schlechte Wiedergeburt, sinken ab, verderben. Jene Wesen hingegen, die von Körper, Rede und Denken guten gebrauch machen, die erlangen nach dem Tode gute Wiedergeburt […]“

(Majjhimankaya 36 I, zit. n. Schumann, S. 86)

Auffällig an diesem Text erscheint vor allem: Trotz durchweg guter Taten und Handlungsabsichten ist keine Erlösung zu erlangen. Höchstens eine Art „Belohnung“ im Sinne einer besseren Wiedergeburt. Aber auch diese „Belohnung“ ist nicht von Dauer: der Kreislauf des Werdens und Vergehens herrscht auch hier.

Der Buddha gibt sechs Existenzbereiche für die Wiedergeburten an[14]. Die himmlische Region der Götter[15], die Welt der eifersüchtigen Götter, die Lebenswelt des Menschen, die Höllenregion, das Reich der Hungergespenster und das Reich der Tiere. Erstrebenswert ist jedoch nur die Menschenwelt, da der Mensch als einziges Wesen die Möglichkeit hat, ins Nirvana zu gelangen. Nur er ist fähig, selbstverantwortlich zu handeln. Die Götter schwelgen in Luxus und vergessen dabei religiöse Handlungen. In den unteren Sphären herrscht Triebhaftigkeit und Unwissenheit. Das angesammelte Karma, ob gut oder schlecht, wird hier quantitativ betrachtet: Es braucht sich auf.

Der Karmabegriff birgt weitere Schwierigkeiten. Manche buddhistische Richtungen sehen das Karma bereits im Leben als rein quantitative Substanz. Wer also gutes Karma spendet, bekommt mehr gutes Karma „verzinst“ zurück[16]. Der ursprüngliche Buddhismus würde dieser Theorie klar widersprechen. Karma ist lediglich ein „Nebenprodukt“ (Keown) zu guten Taten. Eine Handlung, die als Handlungsursache das Sammeln von Karma zugrunde liegen hätte, wäre egoistisch und damit schlecht. Damit ist eine weitere Theorie angesprochen: Für den Buddha ist nicht die Tat an sich, sondern die Motivation für diese Tat („Handlungsabsicht“) das ausschlaggebende Moment. Eine Idee, die über 2000 Jahre später mit Kants „gutem Willen“ deutliche Übereinstimmungen aufweist.

So tötete der Buddha einer Legende nach ein Seeungeheuer, das im Begriff war, ein voll bemanntes Boot zu verschlingen. Die Handlungsabsicht war, das Leben der Besatzung zu retten. Die Tat selber war Totschlag. Aber aufgrund der Motivation, leben zu retten, war dies eine durchweg gute Tat.[17]

Die große Schwäche der buddhistischen Lehre jedoch ist nach Ansicht namhafter Buddhologen (vg. Mylenius) die Verbindung von karmisch bedingter Wiedergeburt und der Nicht-Seelenhaftigkeit des Menschen. Um diese Schwierigkeit zu umgehen, lässt der Buddha die Frage nach einem Subjekt der Wiedergeburt nicht zu. Denn dann müsste er einen ewigen Wesenskern postulieren. Also lehnt er das „Denken in Begriffen der Substanz“ (Schumann) ab. Aber die Antwort des Buddhas ist nicht befriedigend. Denn nur die Tatsache, dass eine Wiedergeburt eine weitere bedingt, erklärt immer noch nicht den Zusammenhang zwischen Karma und Träger der dadurch bedingten Wiedergeburt. Der große buddhistische Meister Nagasena[18] erklärte diesen Vorgang folgendermaßen:

(Lehrgespräche eines Königs mit dem großen buddhistischen Meister Nagasena)

Der König sprach: „Vollzieht sich wohl, ehrwürdiger Nagasena, die Wiedergeburt ohne eine Seelenwanderung?“

„Gewiss, o König.“

„Wieso aber, o Herr, kann es eine Wiedergeburt geben ohne eine Seelenwanderung? Erkläre mir dies!“

„Wenn zum Beispiel, o König, ein Mann eine Lampe mit einer anderen Lampe anzündet, würde da wohl das Licht der einen Lampe zur anderen Lampe hinüberwandern?“

„Nicht doch, o Herr.“

„Ebenso auch, o König, wird man wiedergeboren, ohne das dabei irgendetwas hinüberwandert.“

(Milindapanha III)

Schumann bringt als Beispiel das Anstoßen einer Billardkugel, die dann eine nächste anstößt usf. (s. S. 87) Lama Karta vergleicht es mit einer Energieladung, die weitergegeben wird (s. dort). Befriedigend sind diese Beispiele aber nicht. Die Konsequenz, die der Buddhismus aus der Nichtexistenz einer Seele ziehen musste, war die Ablehnung eines Subjetivitätsbegriffes, die „Ablehnung des Begriffes Individuum“ (Mylenius, S. 31f). Den Weg zur Erlösung sieht der ursprüngliche Buddhismus dann auch tatsächlich in der Befreiung von dem „Ich – Wahn“ (Mylenius, S. 30):

„[…] Glück ist die Einsamkeit des Zufriedenen, der die Lehre gehört (und) erschaut hat. Nichtschädigen ist Glück in der Welt; gegenüber den Lebewesen (Selbst-) Zügelung. Glück ist Leidenschaftslosigkeit in der Welt, der Begierden Überwindung. Des Ichbewußtseins Beseitigung ist fürwahr das höchste Glück. (Herv. d. A.)

(Vinayapitaka, Mahavagga, I, 3, 4)

Festzuhalten ist also: Es gibt KEINE unsterbliche Seele, die die Existenten im samsarischen Kreislauf belebt. Also ist es auch nicht dieselbe „Person“, die die „karmischen Samen der vergangenen Daseinsformen als Früchte erntet“ (Schumann, S. 96). Die, wenn auch immer noch nicht unanfechtbare und überzeugende, Erklärung liegt in den „zwölf Gliedern des abhängigen Entstehens“. Diese in ihrer Fülle und Komplexität zu erklären, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Die Buddhologen (vgl. Schumann,. Mylenius, Conze) bezeichnen diese Lehre als „Konditionalnexus“: Jede Existenzform ist durch die karmischen Taten ihrer Präexistenzform bedingt, also konditional abhängig.

[...]


[1] Spiegel special, S. 97

[2] Quellen: Homepages der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz; Statistisches Bundesamt Wiesbaden;

[3] vgl. Spiegel spezial, S. 97f

[4] s.o., S. 97

[5] Sure 9, 5 (at-tauba): Und wenn nun die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Heiden, wo (immer) ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf (wa-q`uduu lahum kulla marsadin)! Wenn sie sich aber bekehren, das Gebet (salaat) verrichten und die Almosensteuer (zakaat) geben, dann lasst sie ihres Weges ziehen! Allah ist barmherzig und bereit zu vergeben.

[6] Über die Zitate gegen Nichtjuden aus dem Talmud wird bis heute gestritten; viele dieser Zitate sollen aus antisemitischen Gründen verfälscht worden sein; auch dieses Zitat sollte deshalb mit Vorbehalt aufgefasst werden. Ich habe es deshalb gewählt, weil es von dem linksliberalen Dieter Hildebrandt zitiert wird. S. dazu im Literaturverzeichnis „Sonstige Quellen“.

[7] Vgl. 4. Mo. 25,5; 4. Mo. 35,11; 5. Mo. 17,7

[8] Vgl.: Schumann: S. 55 - 61

[9] Die genauen Lebensdaten sind umstritten. Vgl. Keown, S. 24f und Mylius, S. 20f

[10] vgl.: Keown, S. 104ff

[11] Deshalb heißt dieser Baum bis heute auch Boddhi-Baum

[12] Samsara bezeichnet den Kreislauf der Existenzen, die Gesamtheit der sechs „Daseinsklassen“

[13] Der Tantrismus des Vajrayana hingegen sieht eben im lustvollen Vollzug des Geschlechtsaktes einen der Wege zur Erleuchtung.

[14] a.A. zu den Existenzbereichen aus: Ethik 11, S. 194ff

[15] „Götter“ in der buddhistischen Terminologie sind keinesfalls unsterblich! Sie leben aber sehr lange.

[16] Für ähnliche Ausführungen vgl. Keown, S. 54f

[17] vgl. Lama Karta, S. 32

[18] vermutl. 1. Jhd. v. Chr.

Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Der ursprüngliche Buddhismus und sein erstes Schisma
Untertitel
Ein Unterrichtsversuch in Klasse 11 über die Entwicklung einer Religion und ihrer Lehren am Beispiel des Buddhismus
Autor
Jahr
2008
Seiten
42
Katalognummer
V88224
ISBN (eBook)
9783638027977
Dateigröße
1021 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Buddhismus, Schisma
Arbeit zitieren
Heiko Wenzel (Autor:in), 2008, Der ursprüngliche Buddhismus und sein erstes Schisma, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88224

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