Das "sprachgebundene Verhältnis" von Benn und Nietzsche anhand der beiden Gedichte "Ein Wort" und "Das Wort"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Forschungslage und Vorgehensweise

2. Das „sprachgebundene Verhältnis“ von Benn und Nietzsche

3. Der Artistikbegriff
3.1 Der Zwiespalt im Nietzsche-Bild Benns

4. Interpretation der Gedichte „Ein Wort“ und „Das Wort“
4.1 Benn: „Ein Wort“
4.2 Nietzsche: „Das Wort“
4.3 Sprachlicher und inhaltlicher Vergleich der beiden Gedichte

5. Kritische Schlussbemerkung

6. Literaturverzeichnis

1. Forschungslage und Vorgehensweise

In den vergangenen Jahren hat sich die Forschung vermehrt der Kunsttheorie Benn und Nietzsches zugewandt. Vor allem Bruno Hillebrand erforschte die Kunsttheorie, welche die beiden Dichter verband.[1] Doch auch Gerhard Loose untersuchte die Ästhetik Gottfried Benns, die Benn auf Nietzsche zurückführte, und der damit in einem „sprachlichen Verhältnis“ zu Nietzsche stand.[2]

Besonders den Artistikbegriff übernahm Benn von Nietzsche. In seinen kunsttheoretischen Äußerungen hat Benn keinen Namen so oft genannt wie den Nietzsches. Jedoch lässt sich auch ohne direkte Hinweise, durch die immer wiederkehrenden Andeutungen und Zitate, das einflussreiche Vorbild erkennen.[3]

Es gibt jedoch auch Abweichungen im Nietzsche-Bild Benns.[4] Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die Benn und Nietzsche in ihrem Kunstbegriff und ihrer Sprache hatten, will ich in meiner Seminararbeit aufzeigen.

Die Vorgehensweise in dieser Hauptseminararbeit ist folgendermaßen:

Im ersten Schritt stelle ich das „sprachgebundene Verhältnis“ von Benn und Nietzsche dar. Im nächsten Gliederungspunkt stelle ich den Kunstbegriff der Artistik vor. Darauf aufbauend werde ich im nächsten Punkt auf den Zwiespalt, der im Nietzsche-Bild Benns vorhanden war, eingehen.

Anschließend werde ich zunächst das Benn-Gedicht „Ein Wort“ und darauf aufbauend im nächsten Punkt das Nietzsche-Gedicht „Das Wort“ vorstellen und analysieren.

Ein Problem beim Nietzsche-Gedicht stellt allerdings die Quellenlage dar, denn es gibt bisher keine umfassende Gedichtanalyse dieses Textes, so dass ich mich nur bei wenigen Einzelelementen einer Sekundärliteratur bedienen konnte.

Im vorletzten Punkt werde ich auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den beiden Gedichten zu sprechen kommen. Besonders auf die Unterschiede werde ich genauer eingehen, da diese auch die unterschiedlichen Auffassungen der Künstler verdeutlichen.

Die Arbeit findet ihr Ende in einer kritischen Schlussbemerkung.

2. Das „sprachgebundene Verhältnis“ von Benn und Nietzsche

„Was bei Nietzsche Philosophie ist, ist bei Benn Stil und Gestalt geworden.“[5] Benn hatte ein „sprachgebundenes“ und nicht ein spezifisch weltanschauliches philosophisches Verhältnis zu Nietzsche. In diesem Sinne unterscheidet sich Benn von der expressionistischen Bewegung, welche die allgemein weltanschauliche Rezeption Nietzsches verfolgte.[6]

„Es ist die Leidenschaft zum der Wirklichkeit entfremdeten Wort, das als Ausdruck und Faszination sich selbst zum Ziel setzt, die Nietzsche und Benn verbindet.“[7] In Benns Motiven der Einsamkeit, Entfremdung und seinem Monologstil spiegelt sich Nietzsche wider. Benn drückt mit seinem monologischen Stil die Erfahrung des Ich- und Welt-Zerfalls aus. Dieser Stil ist an die Theorie der monologischen Kunst Nietzsches angelehnt.

Nietzsche hat ein neues Sprachbewusstsein geschaffen und die Sprache in ihren Grundelementen entscheidend revolutioniert. Benn ist nicht nur bloßer Nachahmer Nietzsches, sondern ein radikaler Fortführer einer sprachlichen Revolutionierung. Der von Nietzsche hervorgebrachte Prozess des Realitätszerfalls und der Verlust des Inhaltlichen mündet bei Benn in eine absolute „Wirklichkeitszertrümmerung“. Er verzichtet auf die Mitteilungsfunktion der Sprache und hält die Autonomie von Form und Rhythmus dagegen.[8] Beide Dichter favorisierten das Zurücktreten des Semantischen zu Gunsten des Magisch-Suggestiven und Rhythmischen.[9]

Benn fasste in seinem Vortrag „Nietzsche nach 50 Jahren“ die Leistung Nietzsches zusammen:

„Eigentlich hat alles, was meine Generation diskutierte, innersich sich auseinander dachte, man kann sagen: erlitt, man kann auch sagen: breittrat – alles das hatte sich bereits bei Nietzsche ausgesprochen und erschöpft, definitive Formulierung gefunden, alles Weitere war Exegese. Seine gefährliche stürmische blitzende Art, seine ruhelose Diktion, sein Sichversagen jeden Idylls und jeden allgemeinen Grundes, seine Aufstellung der Triebpsychologie, des Konstitutionellen als Motiv, der Physiologie als Dialektik – „Erkenntnis als Affekt“, die ganze Psychoanalyse, der ganze Existenzialismus, alles dies ist seine Tat.“[10]

Zusammenfassend kann man sagen, dass Benn fünf Ideen von Nietzsche übernommen hat. Die erste Idee spiegelt sich in der Rechtfertigung des Daseins und der Welt als ästhetisches Phänomen wider. Auch sieht er, wie Nietzsche, die Kunst als höchste Aufgabe, die eigentlich metaphysische Tätigkeit des Lebens, betrachtet sie aber gleichzeitig als „Olymp des Scheins“. Mit dieser Aussage beruft er sich direkt auf Nietzsche, der eine „spöttische, leichte, flüchtige, göttlich unbehelligte, göttlich künstliche Kunst“ forderte. Der Künstler müsse an der Oberfläche der Dinge bleiben, den Schein anbeten, an Formen, an Worte und damit an den „ganzen Olymp des Scheins“ glauben.[11] Damit teilen beide den wichtigsten Aspekt der Dichtung: die Leidenschaft in Fragen der Form.[12] Auf diesen wichtigsten Aspekt wird im Folgenden genauer eingegangen.

3. Der Artistikbegriff

Artistik bedeutet, die Form anstelle des Inhalts zu setzen. Laut dieser Theorie gibt es durch den Realitäts- und Wertezerfall keine haltbare substanzielle Wahrheit mehr, weshalb sich die Kunst als Artistik auf „die Wahrheit der Sprache selbst, ihre Form, ihre Anordnung in Sätzen, Worten, Vokabeln,“[13] zurückzieht. Diese Forderung nach Form, Abstraktion und Ausdruck ist demnach als Reaktion auf den Zerfall des Inhaltlichen zu sehen.[14]

Die Desorientierung des Menschen ist ein Charakteristikum in der Moderne. Benn versucht sich mit dem Festhalten an der Form einen Bezugspunkt zu holen, von dem aus die Welt gegliedert und geordnet werden kann.[15] Die neue Welt, die er entstehen sieht, ist „eine Welt der Formen, der Beziehungen, der Funktionen“. Diese Welt nennt er „Ausdruckswelt“, d.h., dass es sich um „eine Welt klar verzahnter Beziehungen, des Ineinandergreifens von geschliffenen Außenkräften, gestählter und gestielter Oberflächen-, Nichts, aber darüber Glasur“ handelt. „Ausdruck“ bedeutet nicht nur Schrei nach Expressionismus, sondern ist konstruktives, formendes, geistiges Prinzip.[16]

[...]


[1] Vgl. Hillebrand: Artistik und Auftrag. Zur Kunsttheorie von Benn und Nietzsche, S. 13.

[2] Vgl. Loose: Die Ästhetik Gottfried Benns, S. 33.

[3] Vgl. Hillebrand: Artistik und Auftrag, S. 13.

[4] Ebd., S. 106.

[5] Rumold: Gottfried Benn und der Expressionismus. Provokation des Lesers; absolute Dichtung, S. 117.

[6] Ebd., S. 118.

[7] Vgl. Wirtz: Die Sprachstruktur Gottfried Benns. Ein Vergleich mit Nietzsche, S. 5.

[8] Vgl. Wirtz, S. 5.

[9] Ebd., S. 6.

[10] Vgl. Wirtz, S. 7.

[11] Vgl. Hillebrand: Gottfried Benn und Friedrich Nietzsche, S. 196.

[12] Vgl. Loose, S. 33.

[13] Vgl. Hillebrand: Artistik und Auftrag, S. 768.

[14] Vgl. Wirtz, S. 21.

[15] Ebd., S. 25f.

[16] Ebd., S. 21.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das "sprachgebundene Verhältnis" von Benn und Nietzsche anhand der beiden Gedichte "Ein Wort" und "Das Wort"
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Deutsche Philologie)
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V88187
ISBN (eBook)
9783638029544
ISBN (Buch)
9783638927994
Dateigröße
507 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine originell, wenn auch in Teilen manchmal etwas "schräge" Arbeit. Eng an der Forschung orientiert. Im Ganzen aber - gut (2).
Schlagworte
Verhältnis, Benn, Nietzsche, Gedichte, Wort
Arbeit zitieren
Katrin Eberle (Autor:in), 2007, Das "sprachgebundene Verhältnis" von Benn und Nietzsche anhand der beiden Gedichte "Ein Wort" und "Das Wort", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88187

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