Risikofaktoren für die Entstehung von Schulangst in der Grundschule- Interventions- und Präventionsmöglichkeiten für Schüler, Lehrer und eltern


Examensarbeit, 2007

141 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

TABELLENVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

2 GRUNDLEGENDE ASPEKTE BEZÜGLICH ALLGEMEINER ÄNGSTE ALS BASIS FÜR DAS VERSTEHEN DER SCHULANGSTPROBLEMATIK
2.1 Angst als Kombination primärer Emotionen
2.2 Definitionen von Angst
2.3 Psychische, physische und verhaltensbestimmende Auswirkungen der Angst
2.4 Ein Einblick in die Funktionen der Angst
2.5 theoretische Strömungen der Ängstlichkeitsforschung
2.5.1 Der psychoanalytische Ansatz
2.5.2 Behavioristische Ansätze
2.5.3 Stresstheorien
2.6 Angststörungen

3 GRUNDSCHULRELEVANTE ÄNGSTE UND IHRE GENESE
3.1 Definitionen von Schulangst
3.2 Schulphobisches und schulängstliches Verhalten unter dem Gesichtspunkt des Schulvermeidens - eine Abgrenzung
3.3 Erhöhte Ängstlichkeit als übergeordneter Risikofaktor
3.4 Zur Genese einer ängstlichen Schülerpersönlichkeit unter dem Schwerpunkt der Erziehungswirkung
3.5 Zur Genese einer ängstlichen Schülerpersönlichkeit unter Berücksichtigung Entwicklungspsychologischer Phasen

4 ORIENTIERUNGSHILFEN FÜR MÖGLICHE INTERVENTIONSFELDER
4.1 Angstformen und deren Stellenwert in der Grundschule
4.1.1 Soziale Angst
4.1.2 Leistungs- beziehungsweise Prüfungsangst
4.1.3 Trennungsangst.
4.1.4 Vorläufiges Fazit für den Umgang mit Ängsten in der Grundschule
4.2 Zur Messbarkeit von Schulangst
4.2.1 Bewertung der Messinstrumente
4.2.2 Exemplarische Darstellung geeigneter Messinstrumente zur Erfassung von Schulangst
4.3 Häufung und Verteilung der Ängste von Kindern im Grundschulalter
4.4 Ebenen der Schulangstreduktion

5 BEDINGUNGSZUSAMMENHÄNGE FÜR DAS ENTSTEHEN VON SCHULÄNGSTEN ANHAND BEDEUTSAMER EINFLUSSFAKTOREN
5.1 Das Familienklima
5.1.1 Orientierung an sozial akzeptablen Normen
5.1.2 Mangelnde Unterstützung
5.1.3 Sanktionstechniken
5.1.4 Kommunikationsstrukturen
5.1.5 Übertragung der eigenen Ängste und Bewältigungsstrategien
5.1.6 Sozialer Status
5.1.7 Zusammenfassung möglicher negativer Faktoren bezüglich der elterlichen Erziehung
5.2 Die Lehrerpersönlichkeit und ihr Einfluss auf das Unterrichtsklima
5.2.1 Der Lehrer als Bezugsperson
5.2.2 Lehrerverhalten und Befindlichkeit der Schüler
5.2.3 Soziale Distanz zwischen Lehrer und Schüler
5.2.4 Indirekte Risikofaktoren, die ein positives Lehrerverhalten erschweren
5.2.5 Zusammenfassung möglicher übergeordneter negativer Einflüsse des Lehrerverhaltens
5.3 Angst im Zusammenhang mit Schulleistung bzw. dem Leistungsgedanken
5.3.1 Zur Notenproblematik
5.3.2 Beurteilungsmaßstab
5.3.3 Angstfaktor Lern- und Prüfungsbedingungen
5.3.4 Die Einstellung zu Fehlern
5.3.5 Lehrerängste als Risikofaktor
5.3.6 Zusammenfassung der angstauslösenden Einflüsse in der Leistungsbewertung
5.4 Schulkultur als übergeordneter Risikofaktor

6 WEGE DER INTERVENTION ZUM ABBAU VON SCHULANGST
6.1 Grundsätzliches zu präventiven und korrektiven Interventionsformen
6.2 Präventive und korrektive Interventionsformen innerhalb der eingegrenzten angstauslösenden Einflussbereiche
6.2.1 Präventive und korrektive Elternarbeit
6.2.1.1 Präventive Überprüfung der eigenen Erwartungen, Ängste und Vorbildfunktionen
6.2.1.2 Elternverhalten, das korrektiv gezielt zum Abbau erhöhter Ängstlichkeit beitragen kann
6.2.1.3 Korrektive Maßnahmen bei speziellen Ängsten
6.2.2 Präventive und korrektive Maßnahmen durch Lehrer
6.2.2.1 Verständnisvolles und partnerzentriertes Lehrerverhalten als präventive Basis
4.2.2.2 Gezielte Verstärkung und Bestätigung ängstlicher Schüler als korrektive Maßnahme
6.2.2.3 Die Dimension der Reversibilität als präventive Größe
6.2.2.4 Klassenführung
6.2.2.5 Offenheit und Eigenreflexion als Basis für das Einbeziehen nicht klassischer Lerninhalte
6.2.3 Zur Leistungsbewertung
6.2.3.1 Die persönliche Bezugsnorm als präventiver und korrektiver Grundsatz
6.2.3.2 Gestaltung von Lern- und Prüfungssituationen
6.2.4 Maßnahmen, die die Schule als Institution betreffen

7 ABSCHLIEßENDE ZUSAMMENFASSUNG / FAZIT

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Formen der Schulverweigerung (Nissen, 1989, S. 159)

Tabelle 2: Idealtypische Interventionsformen (Krohne & Hock, 1994, S. 3)

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Beziehungen zwischen elterlicher Erziehung, aktuellem Erleben und Verhalten des Kindes und der Ausbildung von Persönlichkeitsmerkmalen beim Kind (Krohne & Hock, 1994, S. 53)

Abbildung 2: Physiologische Angstentwicklung und pathologische Angstsyndrome bei Kindern (Nissen, 1989, S. 158)

Abbildung 3: Ebenen Modell zur Schulangst Vermeidung/Verminderung (Oldenburg, 2001, S. 43)

1 Einleitung

Der Begriff Schulangst scheint ein Schlagwort, ein Sammelbegriff, die Beschreibung von nega­tiv bewerteten Zuständen zu sein, die offenbar individuell mit Inhalten gefüllt werden müssen. Aus welchen Ängsten speist er sich und in welchem Ausmaß sehen sich schon Grundschüler mit deren Erscheinungsformen und negativen Folgen konfrontiert? Wie können diese Ängste ermittelt und wahrgenommen werden? Welche Faktoren begünstigen die Entstehung von Schul­angst in der Grundschule und sind damit als Risikofaktoren einzustufen? Ist es gerechtfertigt Eltern, Lehrer und die Einzelinstitution Grundschule als primäre Einflussgrößen zu betrachten, welchen unabhängig von bildungspolitischen und gesellschaftlichen Einschränkungen eine entscheidende Verantwortung bezüglich der Schulangstentstehung zugesprochen werden muss? Welche Rückschlüsse können daraus sowohl für eine präventive Zielsetzung als auch für einen produktiven Umgang mit Ängsten sowie für einen systematischen Abbau von Ängsten in der Grundschule gezogen werden?

Die Bearbeitung der Themenstellung hat zum Ziel diese Fragen, mit Hilfe einer umfassenden Auswertung der einschlägigen Literatur, zu klären beziehungsweise zur Aufklärung dieser Fra­gen beizutragen. Erstaunlicherweise entstanden die meisten Publikationen zu diesem Themen­komplex zwischen 1970 und 1980. Oldenburg kritisiert insoweit stark, dass die öffentliche Schulangstdiskussion in den neunziger Jahren zunehmend in den Hintergrund getreten sei ohne dass der Sachverhalt beziehungsweise das Phänomen Schulangst verschwunden sei oder an Bedeutung im schulischen Alltag verloren habe (Oldenburg, 2001, S. 9). Dass die Schulangst heute nach wie vor als aktuelles Thema betrachtet werden kann und auch die Grundschulen in diese Thematik miteinbezogen werden müssen, wird exemplarisch daran deutlich, dass die ös­terreichische pädagogische Zeitschrift Erziehung & Unterricht im Jahre 2004 ein Heft mit dem Themenschwerpunkt: „Angst - immer noch Thema in der Schule?“ herausbrachte, in dem zahl­reiche Autoren[1] nach teilweise eigenen Untersuchungen diese Frage einstimmig bejahen. Dabei behandeln sie nicht etwa überwiegend solche Probleme, die auf die österreichische Schulstruk­tur zurückzuführen wären, sondern thematisieren in erster Linie vielfältige Bedingungszusam­menhänge im pädagogischen Alltag von Eltern und Lehrern, die auch auf die deutsche Praxis zu übertragen sind.

Auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft betont in den sich alljährlich wiederho­lenden Einschulungstagen, dass sie sich für Kinder einen Schulanfang ohne Druck und Ängste wünsche. So empfiehlt Dahlem (2006), den Eltern dieser Kinder einen ungezwungenen Start in die Schule zu bereiten. Diesen Aufruf begründet Dahlem insbesondere mit der Aussage, dass etwa jedes zehnte Kind unter Schulangst leide. In Familien, in denen der Schulbesuch als Ein­tritt in „den Ernst des Lebens“ dargestellt wird, erzeuge man unnötigen Leistungsdruck auf „die Kleinen“, was oft Isolation und schlechte Leistungen zur Folge habe. Daher sollten Eltern die Befürchtungen ihrer Kinder ernst nehmen und sie auch über die ersten Schultage hinaus moti­vierend begleiten (Dahlem, 2006). Unabhängig davon, ob Schulangst in der Grundschule insge­samt stark ausgeprägt ist oder nicht, kann dem Aufrufs Dahlems nur zuzustimmen sein.

So soll die Auseinandersetzung mit den eingangs aufgeworfenen Fragen in ihrer Gesamtheit dazu beitragen, der heutigen Schulangstproblematik ein „Gesicht“ zu geben, dem Eltern, Lehrer und Kinder sich vorbeugend schon in der Grundschule stellen können.

Ein Anspruch auf Vollständigkeit liegt der Analyse nicht zugrunde, denn die komplexe Thema­tik lässt solch einen erschöpfenden Anspruch in diesem Rahmen nicht zu. Es werden vielmehr besonders grundschulrelevante Aspekte der Themenstellung erörtert, mit welchen sich Lehrer, Eltern und Schulen bezüglich der Schulangst konfrontiert sehen können und welche gleichzeitig Veränderungspotential bieten.

So erfolgt unter dem Oberpunkt 2 zunächst eine systematische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Angst, um folgend sukzessiv mehr über ihre allgemeinen Erscheinungsformen, Auswirkungen, Funktionen und Entstehungsbedingungen zu erfahren. Diese theoretische Basis wird eine Einsicht in die Vielfältigkeit und Komplexität „der Angstfamilie“ bieten und dazu beitragen, die besondere Problematik der Schulangst und seiner Auswirkungen besser nachvoll­ziehen zu können.

Auf dieser Grundlage erfolgt unter dem Oberpunkt 3 die übergeordnete Auseinandersetzung mit solchen Ängsten, die sich auf das Grundschulalter beziehen. Zunächst werden Definitions­ansätze verschiedener Autoren vorgestellt, deren Auswertung erste Konkretisierungen bezüglich der Schulangst erlauben. Darauf folgen wird die Auseinandersetzung mit dem verwandten Beg­riff der Schulphobie, die zum Ziel hat, sowohl Gemeinsamkeiten als auch die Notwendigkeit einer Abgrenzung zu verdeutlichen. Hierauf aufbauend wird besonders auf die Problematik einer allgemein erhöhten Ängstlichkeit von Kindern eingegangen, da der Schulbesuch für diese Kinder oft eine besondere Herausforderung darstellt und sie somit als besonders gefährdet für die Entwicklung von Schulangst gesehen werden können. Um solche Ursachen zu ermitteln, die für eine hohe Ängstlichkeit verantwortlich zu machen sind und als Risikofaktoren bezeichnet werden können, folgt eine übergeordnete Auseinandersetzung mit den Entstehungsbedingungen einer ängstlichen Schülerpersönlichkeit unter dem Schwerpunkt der Erziehungswirkung. Ergän­zend wird sodann auch Bezug auf besonders kritische Entwicklungsphasen genommen, welche die Wirkung von Erziehung sowohl in negative als auch in positive Richtung verstärken kön­nen. Diese Ausführungen bilden eine übergeordnete Orientierung, die helfen soll an späterer Stelle formulierte, konkretere Risikofaktoren in ein Gesamtgefüge einzubetten.

Unter dem Oberpunkt 4 werden solche Kinderängste eingegrenzt, die speziell in Verbindung mit dem Grundschulbesuch stehen, also jene für deren Entstehung sich nicht nur Eltern, sondern auch Lehrer verantwortlich fühlen können. Sie bilden den groben Rahmen für das Aufspüren von konkreten Risikofaktoren und Interventionsmaßnahmen. Da das Feststellen von Ängsten als erste unumgängliche Maßnahme gesehen werden muss, auf derer erst Spekulationen über Aus­löser und wirkungsvolle Gegenmaßnahmen vollzogen werden können, werden nachfolgend mögliche Messinstrumente zur Ermittlung von Angst vorgestellt und bewertet. Im Anschluss daran werden Untersuchungsergebnisse einiger Studien, die sich auf die Angstmessung bei Grundschulkindern beziehen, dargestellt, um abschließend die Ebenen, auf denen sich die Risi­kofaktoren für die Entstehung von Schulangst ansiedeln können und auf denen demzufolge auch Schulangstreduktion geschehen muss, zu skizzieren und einer persönlichen Gewichtung zu un­terziehen.

Unter dem Oberpunkt 5 erfolgt die differenzierte Darstellung der bedeutsamsten als negativ zu bewertenden Risikofaktoren, die die Entstehung und Aufrechterhaltung von Schulangst begüns­tigen und konkret mit dem elterlichen Erziehungsverhalten und den schulischen Gegebenheiten in Verbindung stehen. An erster Stelle wird auf die Rolle eines risikobehafteten Familienklimas eingegangen. Die darauf folgenden Ausführungen rücken die Lehrerpersönlichkeit in den Fo­kus. Auf die spezielle Thematik des Leistungsgedanken und der damit verbundenen Bewertung und Prüfungsgestaltung wird im Anschluss daran gesondert eingegangen. Abschließend erfolgt die Auseinandersetzung mit der Schule als Einzelinstitution mit dem Ziel, mögliche übergeord­nete Risikofaktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Schulangst herauszuarbeiten, welche nicht auf das Schulsystem als solches zurückzuführen sind.

Die vorangegangene Eingrenzung der größten Risikofaktoren bezüglich der Schulangstentste­hung gilt es unter dem Oberpunkt 6 bezüglich präventiver und auch korrektiver Perspektive zu überdenken, um daraus für Lehrer, Eltern und Schule zu realisierende wirksame Gegenmaß­nahmen abzuleiten. Die herausgearbeiteten Möglichkeiten werden, wie auch unter Oberpunkt 5, zunächst für die Eltern und darauffolgend für Lehrer, gesondert bezüglich des Leistungs- und Bewertungsaspekts und letztlich in Bezug auf die Institution Schule dargestellt.

Abschließend erfolgt eine kurze Zusammenfassung der erarbeiteten Ergebnisse, welche im Hin­blick auf die eingangs aufgeworfenen Fragen ausgewertet werden.

2 Grundlegende Aspekte bezüglich allgemeiner Ängste als Basis für das Verstehen der Schulangstproblematik

Der Begriff Angst ist in unserer Kultur wohl jedem Menschen geläufig. Dennoch gibt es be­trächtliche Unterschiede bezüglich der Bereitschaft, erlebte Angstgefühle zuzugeben und dar­über zu kommunizieren. Generell kann die gesellschaftliche Tendenz wohl eher dahingehend beschrieben werden, dass Angst als negatives, häufig mit Schamgefühlen verbundenes und eher zu verbergendes Gefühl betrachtet wird. Dass dieses subjektive, durch so verschiedene Auslöser und durch so vielfältige Auswirkungen in Erscheinung tretende Gefühl alle Menschen betrifft und nicht nur negative Assoziationen damit verbunden sein sollten, werden die folgenden Aus­führungen verdeutlichen. Gleichzeitig werden auch berechtigte durch Angst ausgelöste Gefah­ren thematisiert. Nur ein solches Vorgehen schafft die notwendige differenzierte Sicht auf den Begriff Angst mit seinen Vor- und Nachteilen.

2.1 Angst als Kombination primärer Emotionen

Angst kann zunächst als eine allen Menschen bekannte Emotion betrachtet werden, deren uni­verselles Vorkommen zwar nicht in Frage gestellt wird, deren Ausprägung und Verknüpfung mit anderen Gefühlen jedoch äußerst unterschiedlich ausfallen kann. Diese Annahme lässt sich durch Ausführungen unterschiedlichster Autoren stützen, von denen im Folgenden einige darge­stellt werden. In diesem Sinne beschreibt Tunner , „dass einige Gefühlstheorien Furcht als Ba­sisemotion bezeichnen, während Angst als Kombination der Furcht mit anderen Grundgefühlen wie beispielsweise Neugierde, Überraschung, Kummer, Wut und Scham verstanden wird“ (Tunner, 2000, S. 82).

Nach diesem kategorischen Verständnis gehört Furcht auch nach Plutchik zu den acht grundle­genden angeborenen Emotionen des Menschen, die aus vier Gegensatzpaaren bestehen. Folgen­de primäre Emotionen werden nach Plutchik unterschieden (Plutchik, 1980, S. 3 ff.):

Freude und Traurigkeit

Furcht und Wut

Überraschung und Vorahnung

Akzeptanz und Ekel

Plutchik nimmt an, dass es sich bei allen anderen Emotionen um Varianten, Abkömmlinge oder Mischungen dieser acht grundlegenden Emotionen handelt. So sei beispielsweise die Scheu als eine Kombination von Furcht und Überraschung zu sehen, Liebe setzte sich aus Akzeptanz und Freude zusammen.[2]

In Bezug auf die Begriffe Furcht und Angst hatte sich lange Zeit eine Unterscheidung durchge­setzt, die Furcht als klar auf äußere Gefahr hin ausgerichtete und Angst als unbestimmtere, gegenstandslose, nicht so klar nachzuvollziehende Emotion definiert (Tunner, 2000, S. 82; Kel­ler & Novak, 1993, S.26). Selbst bei Zugrundelegung dieses Verständnisses fällt die Abgren­zung der Begriffe vielfach schwer, denn sie werden umgangssprachlich oft synonym verwendet und es scheint nicht immer einfach nachvollziehbar zu sein, wovor sich Kinder beispielsweise im Dunkeln fürchten. Demgegenüber scheint die Angst vor der Klassenarbeit oft sehr gegen­ständlich und zielgerichteter Natur. Nissen beschreibt die Problematik treffend wie folgt:

Weil die Furcht aber aus der Angststimmung des Individuums entspringt und weil auch in der frei flottierenden Angst selten Furcht fehlt, lässt sich diese hermeneutisch fruchtbare Differenzie­rung schon bei Erwachsenen nicht immer und bei Kinder nur selten praktisch durchführen. Das Kind hat in Folge seiner Geschichtslosigkeit meist noch nicht die Fähigkeit, zwischen inneren und äußeren, realen und phantasierten Gefahren zu unterscheiden (Nissen, 1989, S. 156).

Für die vorliegende Untersuchung ist die genaue Unterscheidung der beiden Begriffe nur inso­fern von Relevanz, als dass hieraus Parallelen zur Abgrenzung der Begriffe Angst und Phobie gezogen werden können. Auch letzterer werden im Gegensatz zu dem Begriff der Angst objekt- und situationsbezogenere Auslösereize zugesprochen. Da parallel zu der Thematisierung von Schulangst auch regelmäßig der Begriff der Schulphobie fällt, wird unter Punkt 3.2 eine Ab­grenzung der Begriffe Schulangst und Schulphobie vorgenommen. Zunächst ist Angst aber ü­bergeordnet als eine von vielen Emotionen zu betrachten, wobei das Erleben von Emotionen und somit auch die Erfahrung des Angsthabens durch ein innerliches „Bewegtsein“ in Situatio­nen von psychologischer Bedeutung gekennzeichnet ist. Umfassend und doch klar strukturiert ist folgende Definition, die beschreibt, dass „Emotion ein komplexes Muster von Veränderun­gen ist, das physiologische Erregung, Gefühle, kognitive Prozesse und Verhaltensweisen ein­schließt, die in Reaktion auf eine Situation auftreten, welche ein Individuum als persönlich be­deutsam wahrgenommen hat“ (Hoppe-Graff & Keller, 1992, S. 380).

Nachfolgende Definitionen von Angst und Ausführungen über deren Auswirkungen werden verdeutlichen, dass die oben beschriebene Sichtweise auf Emotionen den vielfältigen Erschei­nungsformen der Angst am ehesten gerecht wird, denn die übergeordneten Merkmale der Emo­tion lassen sich zunächst ohne Einschränkungen auf die Emotion Angst übertragen, weil sie nur solche Bereiche beschreiben, in denen es bei Personen, die Emotionen erleben zur Veränderun­gen kommen kann.

Folgt man wie hier den Emotionstheorien und betrachtet Angst als ein in größere Zusammen­hänge eingebettetes Gefühl, welches nicht in Reinform von anderen Gefühlen abzugrenzen ist, sondern viel mehr eine flexible Kombination aus verschiedenen Gefühlen darstellt, die ein komplexes Muster an Veränderungen auslösen, so wird die Vielschichtigkeit der Angst deutlich. Um diesen Zusammenhang stärker herauszustellen, wird im folgenden Abschnitt die Emotion Angst und deren Begriffsbestimmung näher untersucht.

2.2 Definitionen von Angst

Der Begriff Angst hat seinen Ursprung nach Tunner in dem Wort „ayxw und bedeutet drosseln, würgen; lateinisch angor Beklemmung; angustia Enge“ (Tunner, 2000, S. 82).

Nahezu alle neueren Definitionen des Begriffs lassen Verbindungen zu dem oben beschriebenen semantischen Ursprunges des Wortes zu, indem sie den Zustand der Angst als einen beengen­den, beklemmenden und hilflosen darstellen. Im Brockhaus der Psychologie findet sich folgen­de Definition, die eine umfassende Übersicht bietet.

Unter Angst versteht man allgemein eine Stimmung oder ein Gefühl der Beengtheit, Beklem­mung oder Bedrohung, einen unangenehmen, spannungsreichen, oft quälenden emotionalen Zu­stand. Die Angst ist einer der elementarsten Affekte und zugleich ein zentrales Symptom seeli­scher Störungen. Angst erfasst den ganzen Menschen als Reaktion auf überwältigende oder als überwältigend vorgestellte Reize. Sie wurzelt letztlich in der Todesangst und hängt entwick­lungsgeschichtlich mit Flucht- und Vermeidungsreaktionen zusammen, die man auch bei vielen Tieren beobachten kann (Lexikonredaktion d. F.A. Brockhaus, 2001, S. 38).

Das Wörterbuch für psychologisches Grundwissen für Schule und Beruf liefert eine weiterge­hende Definition, die verdeutlicht, warum viele Ansätze nicht ohne die Beschreibung der kör­perlichen, seelischen und verhaltensbestimmenden Symptome bei einer Definition von Angst auskommen. Die oben beschriebene, den ganzen Menschen erfassende Reaktion, wird hier auf diese spezifischen Bereiche bezogen. So wird Angst als eine Reaktion „auf eine empfundene Bedrohung mit körperlichen, gefühlsmäßigen und verstandesmäßigen Komponenten und ver­schiedenen Auswirkungen auf das Verhalten“ verstanden. Weiterhin heißt es: „Menschen un­terscheiden sich sehr darin, wovor sie Angst haben, aber sie ähneln sich in der Art und Weise, wie sie Angst haben. D.h., es gibt unterschiedliche Arten und Ursachen, aber sehr einheitliche Symptome und Wirkungen von Angst“ (Dietrich & Rietz, 1996, S. 29).

Auslegungen anderer Autoren umschreiben zwar auch die körperlichen, seelischen und verhal­tensbestimmenden Reaktionen bezüglich der Angst, betonen aber überzeugend, dass gerade diese Reaktionen nicht einheitliche, sondern sehr individuelle Ausprägungen erreichen können. Tunner führt beispielsweise aus:

Es zeigen sich jedoch große interindividuelle Unterschiede in den Reaktionen. Während bei­spielsweise die eine Person sich muskulär stark verkrampft, reagiert eine andere mit Beschleuni­gung der Atemtätigkeit. Es scheint also jede Person ihr eigenes physiologisches Reaktionsmuster der Angst zu besitzen (Tunner, 2000, S. 82).

Versucht man den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ der beschriebenen Ansätze herauszustellen, so bleibt festzuhalten, dass man von einer durch Angst ausgelösten Bandbreite an Reaktionen sprechen kann, welche eine genauere Betrachtung verdienen, da sie bei nahezu allen Angstfor­men in Erscheinung treten. Diese Sichtsweise wird auch bezüglich der Schulangst insofern rele­vant, als dass man die hieraus resultierenden Verhaltensweisen auf diese Weise handhabbarer einordnen, nachvollziehen und beeinflussen kann.

2.3 Psychische, physische und verhaltensbestimmende Auswirkungen der Angst

Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass schon das Begriffsverständnis der Angst überwiegend durch ein „Sammelsurium“ ihrer Auswirkungen geprägt ist. Diese werden nahezu von allen Autoren, die sich zum Thema Angst äußern, in mannigfaltiger Form aufge­führt.

So beschreiben Nolting & Paulus Angst als eine Emotion, deren Gefühl durch starke Beunruhi­gung, Beengtheit, Nervosität, Unsicherheit und Anspannung charakterisiert sei. Der Betroffene beschäftige sich gedanklich mit der Einschätzung einer Bedrohung; Ausgang und Bewälti­gungsmöglichkeiten scheinen ihm ungewiss, was wiederum zu dem Erleben eines Kontrollver- lustes führe (Nolting & Paulus, 2004, S. 104).

Auch Hülshoff führt ähnliche Symptome auf. Neben Schmerzen und Engegefühlen in der Brust komme es oft zu subjektiven Atemschwierigkeiten bis hin zu dem subjektiven Gefühl ersticken zu müssen. Betroffene beklagten das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, unter Schwindel und Müdigkeit zu leiden und ein Gefühl der Ohmacht zu spüren (Hülshoff, 1999, S. 61 f.).

Intensive und chronische emotionale Erregung wie ständige Angst und das Ausmalen von Ge­fahren, insbesondere in neuen Situationen, können schwächend wirken und die Entwicklung hemmen, weil die Angst entscheidende Schritte im Leben nicht zulässt (s. Eingangszitat). Der Eindruck, die Kontrolle zu verlieren, kann zu Veränderungen im Selbstbild und Selbstbewusst­sein führen, das Selbstwertgefühl wird erniedrigt und das Wissen um eigene Ressourcen und Kräfte wird eingeschränkt. Dies kann nicht nur gesundheitliche Probleme mit sich ziehen, son­dern den gesamten Alltag beeinträchtigen und sich zu ausgeprägten Angststörungen bis hin zu Phobien entwickeln. Auf solche Angststörungen mit Krankheitscharakter wird unter Punkt 2.7 gesondert eingegangen.

Oft entsteht ein Teufelskreis, in dem die Zuordnung von Folge und Ursache nicht mehr einfach zu klären ist. So führt z.B. ständige Selbsteinschränkung bezüglich sozialer Situationen für den Betroffenen dazu, dass keine positiven Selbstwirksamkeitserfahrungen gemacht werden können, woraufhin die Situation uneinschätzbar und angstbesetzt bleibt. Das niedrige Selbstwertgefühl kann zum einen die Folge von Ängsten sein, aber auch die Ursache für neue Ängste darstellen.[3] Hülshoff sieht zum Beispiel einen engen Zusammenhang zwischen Furcht[4] und Scham, der ins­besondere mit den Erziehungsmitteln der Demütigung und des Beschämens auftritt. Solche Me­thoden können dazu führen, so Hülshoff dass man sich vor Scham fürchtet und sich seiner Ängste schämt. Im Extremfall komme es zu paranoiden Zuständen (Hülshoff, 1999, S. 76).

Das permanente Ausweichen vor ängstigenden Situationen führt daher nur scheinbar zum Er­folg. Personen, die eine derartige Lebensführung praktizieren, erfahren erstens nie, ob die Ängste berechtigt waren und zweitens entwickeln sie einen Teil ihrer problemlösenden Res­sourcen nie. Unter Punkt 2.6 wird deutlich, dass insbesondere Angststörungen, wie die Phobie, Betroffene zu dem Ausbau von Vermeidungsverhalten verleiten. Zu welchem, Verhaltenswei­sen wie beispielsweise das Schuleschwänzen oder Bauchweh bei Schulangst, mit denen Angst vermieden wird zählen und welche bei Erfolg immer häufiger angewendet würden (Keller, Novak, 1993, S. 27).

Die Einengung und Ausweglosigkeit, die dazu führen, dass die eigenen Kräfte und Lösungs­möglichkeiten nicht mehr gesehen werden, können die in der Literatur als „Scheuklappeneffekt“ bezeichnete Auswirkung haben. Diesen bezeichnet Hülshoff als „Skotomisierung“. Auf psychi­scher Ebene zeige sich, was auch auf vegetativer Ebene vorliegen könne. Paradoxerweise könn­ten, so Hülshoff, sowohl aktivierende als auch lähmende Kräfte freigesetzt werden und einander behindern (Hülshoff, 1999, S. 62).

Dieser Vorgang wird im Zusammenhang mit den körperlichen Auswirkungen der Angst im folgenden Abschnitt noch einmal ausführlicher beschrieben, weil er insbesondere in Bezug auf die Entwicklung von Kindern zu großen Einschränkungen bezüglich ihres Selbstwerts und ihrer Explorationsmöglichkeiten führen kann.

Wie schon in der Definition der „Emotion“ deutlich wurde (Hoppe-Graff & Keller, 1992, S. 380) und im vorangegangenen Abschnitt aufgezeigt worden ist, sind neben den emotionalen Empfindungen auch physiologische Reaktionen einhergehend mit Angst festzustellen. Nolting & Paulus führen hierzu einen beschleunigten Herzschlag, den Anstieg des Blutzuckergehalts, die Erweiterung der Pupillen und das vermehrte Auftreten von Harndrang oder Durchfall an. Die aufgeführten Symptome führten zu einem Verhalten, das von Flucht- und Schutzversuchen dominiert werde. Weglaufen, sich anklammern, sich niederkauern, aber auch weinen und zittern werden von Nolting & Paulus als typisch physiologische Verhaltensreaktionen bei Angst be­schrieben (Nolting, Paulus, 2004, S. 104).

Hülshoff spricht in diesem Zusammenhang von der Aktivierung der „Flight- and- Fight- reacti­on“ durch das sympathisch-vegetative Nervensystem, welche durch entsprechende Hormon­ausschüttungen, insbesondere Noradrenalin und Adrenalin, verstärkt werde (Hülshoff, 1999, S.61). Der Körper werde durch den erhöhten Blutdruck und die erhöhte Herzfrequenz auf Flucht oder Kampf vorbereitet. Anschaulich beschreibt er ebenso, dass bei andauernden Angst­situationen und scheinbarer beziehungsweise tatsächlicher Ausweglosigkeit auch das parasym­pathische Nervensystem aktiviert wird. Die „Flight- and- Fight- reaction“ (ergotrope Reaktion) könne teilweise, so Hülshoff, durch eine thropothope, parasympathische und damit gegensätzli­che körperliche Reaktion aufgehoben werden. Demnach könne es passieren, dass Puls und Blut­druck sinken, es zu Ohnmachtsanfällen kommt, die Stimmung gedrückt ist, die Muskeln aber weiterhin angespannt und die Pupillen erweitert bleiben (Hülshoff, 1999, S. 62).

Solche von Hülshoff beschriebenen antagonistischen Erregungsmuster führen zu lähmender Angst, in der der Betroffene auch psychisch die Ausweglosigkeit und den Kontrollverlust auf besondere Weise erlebt. Sogenannte „Blackouts“ in Prüfungssituationen sind auf solche Erre­gungsmuster zurückzuführen. Diese Zustände seien mit der vermehrten Ausschüttung von Cor- ticorsteroiden verbunden und auf eine Übererregung des Nervensystems zurückzuführen (Hüls­hoff, 1999, S. 62). Da die evolutionäre Reaktion des Kampfes oder der Flucht nicht mehr über­lebenswichtig ist, fällt auch die körperliche Gegenreaktion zum Abbau der ausgeschütteten Hormone weg, was dazu führt, dass sich der betroffene Körper permanent auf einem hohen Stresslevel, welcher auch als hohes Aktivierungsniveau bezeichnet wird befindet. Hinzu kom­men meist Gedanken, die von Sorgen geprägt sind, wie folgende Ausführungen deutlich ma­chen.

Der durch Angst ausgelöste Zustand ähnelt dem körperlichen Stresszustand und könne in Ma­ßen, etwa vor einer wichtigen Prüfung, anregend und motivierend wirken (Spielberger, 1980, S. 126). Die Fachsprache benutzt in diesem Fall den Begriff Eustress. Leichte Angstzustände kön­nen also die Bewältigung von Herausforderungen unterstützen. Kommen aber zahlreiche zu bewältigende Anforderungen hinzu, könne sich dieser positive Stress in einen negativen Stress, den sogenannten Disstress verwandeln (Spielberger, 1989, S. 7; Hoppe-Graff & Keller, 1992, S. 479).

Wenn keine eigenen Bewältigungs- und Lösungsmöglichkeiten gesehen werden, kommt es also zu einer oft schlagartigen Veränderung des Stressempfindens. Betroffene, die keine Ressour­cen zum Abbau solch körperlicher Stresssymptome besitzen, können beispielsweise ihren Span­nungszustand durch Aggressivität zum Ausdruck bringen und ebenso könne die ständige Be­schäftigung mit Sorgen zur völligen Erschöpfung führen (Spielberger, 1980, S. 54 f.). Dass Stresstheorien im engen Zusammenhang mit Angsttheorien zu betrachten sind, wird in dieser Arbeit noch aufgegriffen.

Die voranstehenden Ausführungen zu den körperlichen Symptomen von Angst lassen darauf schließen, dass neben Interventions- und Präventionsmaßnahmen, die das psychische Empfin­den von Kindern positiv beeinflussen, auch solche Maßnahmen von Bedeutung sind, die sich auf das körperliche Wohl beziehen. Hier ist ein umfassender Gesundheitsbegriff anzulegen, welcher von der Weltgesundheitsorganisation treffen formuliert wurde und wegweisend in der Grundschule genutzt werden sollte. Demnach kann Gesundheit als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“ definiert werden (Brodtmann, 1991, S. 17). Da Angst als eine allen Menschen bekannte Emotion mit vielfältigen psychischen, physi­schen und verhaltensbestimmenden Auswirkungen betrachtet werden kann, stellt sich zunächst die Frage nach ihrer Funktion, denn unter Einbezug dieses Wissens ist es unwahrscheinlich, dass Angst als eine überflüssige Laune der Natur betrachtet werden kann. Zur Beantwortung dieser Fragestellung können folgende Ausführungen beitragen.

2.4 Ein Einblick in die Funktionen der Angst

Den gegenwärtigen Emotionstheorien liegt die Darwinsche Grundannahme zugrunde, nach welcher Emotionen die Funktion hätten einen Organismus darauf vorzubereiten und dazu zu motivieren, Umweltanforderungen adaptiv zu bewältigen (Spielberger, 1980, S. 63 f.; Hoppe- Graff & Keller, 1992, S. 381).

Hülshoff beschreibt Angst in diesem Sinne als überlebenswichtiges Warnsystem an der Schnitt­stelle körperlicher Überlebensprogramme und bewussten Erlebens (Hülshoff, 1999, S. 60). Angstauslöser sind demnach notwendigerweise Situationen beziehungsweise Ereignisse, die als bedrohlich oder unsicher in ihrem Ausgang eingeschätzt werden.

Angst besitzt damit in erster Linie zwei wichtige Funktionen. Sie warnt zum einen vor bedrohli­chen Ereignissen, bereitet zum anderen aber auch den Körper darauf vor, sich der Bedrohung zu stellen beziehungsweise sich dieser zu entziehen. Hülshoff sieht etwa die Funktion des Angst­schweißes in der verstärkten Wärmeabfuhr während des Weglaufens, die Gänsehaut als Über­bleibsel der Drohgebärden bei den Primaten, das Weiten der Pupillen als Reaktion für eine bes­sere Übersicht der Situation und die vermehrte Atmung als Gewährleistung der optimalen Sau­erstoffversorgung (Hülshoff, 1999, S. 61). Die schon von Nolting & Paulus (2004, S. 104) be­schriebene Neigung des Stuhl- und Harndrangs erklärt Hülshoffmit der Funktion, sich überflüs­sigen Ballasts zu entledigen, bevor es zur Flucht oder zum Kampf kommt.

Bedrohungen können vielfältig wahrgenommen werden. Ereignisse oder Prozesse aus der Um­welt, aber auch eigene Emotionen und Triebe sowie Erinnerungen, Vorstellungen und Denkin­halte und ebenso soziale Faktoren können individuell bedrohlich wirken und Angst auslösen. Diese Vielfalt wird bei der Thematisierung verschiedener Theorien zur Angstentstehung noch deutlicher herausgearbeitet (s. Punkt 2.5 Theoretische Strömungen der Ängstlichkeitsforschung; Punkt. 3.4, 3.5: Zur Genese einer ängstlichen Schülerpersönlichkeit). Nach Hülshoff neigten Menschen evolutionär dazu, insbesondere bei Dunkelheit, in großer Höhe und bei starker Ab­folge akustischer oder visueller Reize mit Angst zu reagieren (Hülshoff, 1999, S. 64).

Auch Tunner beschreibt diese „Typischen Auslöser der Angst“ und erwähnt zusätzlich weitere evolutionärbedingte Angstdispositionen wie „aggressive Szenen“, „fremde Personen“, „manche Tiere“ und „unbekannte Geräusche“ (Tunner, 2000, S. 83). Generell lösen nach diesem Ansatz neue Situationen, soweit sie vom Individuum noch nicht richtig einzuordnen sind, extreme Wachheit aus, weil wir sie als potentiell gefährlich bewerten.

Es gibt also evolutionsbedingte angeborene Auslöser, die Angst in uns auslösen, ohne dass wir speziell darauf geschult wurden. Auf die Kombination von gefletschten Zähnen und einem fi­xierenden Augenpaar reagieren schon Kinder beispielweise mit Angst. Es gibt folglich Real­ängste, die durch biologisch angelegte Dispositionen begünstigt werden, wohingegen andere gefährliche Situationen - wie der Straßenverkehr- erst als solche erlernt werden.

Nicht nur die direkte warnende Angst hat sich in ernsthaften Situationen im Laufe der Evoluti­on als nützlich erwiesen, sondern auch die kognitive Konstruktion möglicher Gefahrenkonstel­lationen ist evolutionär von hohem Wert gewesen. Das Durchspielen gefährlicher Konstellatio­nen in Gedanken und die Vorwegnahme zukünftiger bedrohlicher Ereignisse können bereits Angst auslösen und ihre Warnfunktion erfüllen.

Hülshoff sieht in der Angst als Warnsignal die Chance, das eigene Denken und Handeln in neue Richtungen zu lenken. Angst könne beflügeln, starre Krusten aufbrechen und Kräfte freisetzen (Hülshoff, 1999, S. 66). Die Flexibilität des Menschen profitiert demnach von der Angst. Ähnli­ches lässt zunächst folgende Definition vermuten, die zwar auf Emotionen im übergeordneten Sinn ausgerichtet ist, damit aber gleichzeitig auch der Emotion Angst einen Beitrag für das flexible Verhaltensrepertoire des Menschen zugesteht.

Eine der wichtigsten Funktionen von Emotionen liegt in der Steigerung der Flexibilität des Verhaltens bei der Reaktion auf Reize aus der Umwelt. Wir müssen auf einen gege­benen Reiz nicht instinktiv reagieren, denn wir sind frei von rigiden, festgelegten Hand­lungsmustern, weil unsere Emotionen eine Auffassung vom Kontext des Reizes sowie unserer aktuellen Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen zusammenstellen (Hoppe- Graff & Keller, 1992, S. 381).

Bezüglich der Emotion Angst ist es dennoch problematisch, solche Aussagen zu generalisieren, denn Angst kann das Individuum ebenso gefangen halten und das freie Verhalten behindern. Sie kann so weit ansteigen, dass sich nicht mehr nur Vorschläge für das Verhalten ergeben, sondern dass sie wegbereitend und richtungslenkend wird, ohne dass sich das Individuum daraus befrei­en kann. Das Verhaltensrepertoire der Spezies Mensch wird dadurch eventuell sogar vielfältiger und bereichert, der Einzelne erlebt aber eine Einschränkung seines flexiblen Verhaltens. Dies gilt Insbesondere dann, wenn sich Ängste verselbstständigen, denen keine objektive Gefahr gegenüber gestellt werden kann, die Funktion des Warnens sich also verliert.

Diese Funktion ist bei den im Folgenden beschriebenen Ängsten hilfreich, denn als „Realängs­te“ bezeichnet Hülshoff solche, die sich auf Notsituationen, wie Verletzung, Hunger, Krieg, Vereinsamung und Trennung beziehen. Vereinsamungs- und Trennungsängste des Kindes ha- ben nach Schellhaus eine spezielle adaptive Funktion. So sollen sie als Signal an den Versorger des Kindes, das Bindungsverhalten aktivieren und verstärken. So betont Schellhas treffend: „Angst kann Bindungsverhalten anregen, bis schließlich die Gegenwart der Bindungsfigur zur Reduktion der Angst und des damit verbundenen Distresses führt“ (Schellhas, 1993, S. 51).

Den Funktionen des Warnens und der Fluchtvorbereitung sowie der Funktion eines flexibleren Verhaltens ist also auch eine bindungsstabilisierende Funktion hinzuzufügen. Die Liste der Funktionen lässt sich ebenso durch eine zukunftslenkende Funktion ergänzen, die sich nach Hülshoff insbesondere aus Existenzängsten speist. Denn „Existenzangst“ tritt laut Hülshoff nur beim Menschen in Erscheinung. Sie resultiere aus dem „Schwindel der Freiheit“ und hänge wesentlich mit der Fähigkeit zusammen, die Zukunft antizipieren zu können. Hierzu zählt er Ängste, die den Tod, den Lebensweg oder das eigene Ansehen betreffen. Solche Ängste seien normaler Bestandteil des menschlichen Erlebens und träten insbesondere in der Pubertät ver­stärkt auf (Hülshoff, 1999, S. 60).

Eine weitere Funktion der Angst kann als sozial-korrigierende bezeichnet werden. So wird Angst in sozialen Gemeinschaften bewusst und unbewusst zum Erhalt gültiger Verhaltensregeln und Normen eingesetzt, die das Fortbestehen bestimmter Gefüge sichern. Schuldgefühle seien beispielsweise oft mit der Angst vor Bestrafung gekoppelt, die durch Liebesentzug, Ausstoß aus der Gemeinschaft oder Erniedrigung zum Ausdruck kommen kann (Hülshoff, 1999, S. 77).

Fasst man die vielfältigen Funktionen der Angst zusammen, so wird ihre Janusgesichtigkeit deutlich. Das „Geschenk“ der Flexibilität birgt demnach zum einen auch immer die Gefahr der Manipulation und wie bei vielen anderen Charaktereigenschaften gilt bezüglich der Angstbereit­schaft im besonderen Maße, dass die Ausprägung und die auslösenden Situationen entschei­dend mitbestimmen, ob von einer Bereicherung oder von einer das Leben einschränkenden Emotion zu sprechen ist. Letztere Auswirkungen sind in ihrer intensivsten Form Angststörun­gen zu zuschreiben, die noch einen gesonderten Platz einnehmen werden. Aber auch immer wiederkehrende Ängste, die noch nicht als krankhaft bezeichnet werden können, bergen die Gefahr starker Einschränkungen, die, wie noch deutlich wird, insbesondere die Entwicklung bei Kindern intensiv beeinträchtigen können.

Neben der Frage nach den Funktionen von Angst wird die Frage nach den Entstehungsbedin­gungen bedeutsam. Hülshoff betont notwendigerweise: „Letztlich sind Ängste natürlich nicht mehr nur auf dem Hintergrund unserer biologischen Wurzeln, sondern im sozio-kulturellen Kontext, im Lichte unserer bisherigen Lebenserfahrung und unserer persönlichen Reifung zu sehen“ (Hülshoff, 1999, S. 64).

Die Frage danach, welche Faktoren für die Angstentstehung verantwortlich gemacht werden können, lässt sich aber nicht pauschal beantworten. Viel mehr bieten die theoretischen Strö­mungen der Ängstlichkeitsforschung, die ihren Fokus auf jeweils unterschiedliche Schwerpunk­te diesbezüglich legen, eine Vielfalt an Theorien. Im Folgenden werden einige führende Positi­onen dargestellt, die einen wesentlichen Beitrag zum heutigen Verständnis des Angstphänomens leisteten und auch im Hinblick auf die Unterrichtspraxis relevante Erkenntnisse bieten.

2.5 Theoretische Strömungen der Ängstlichkeitsforschung

2.5.1 Der psychoanalytische Ansatz

Für die intensive Auseinandersetzung mit der Angst war Freud ein wichtiger Wegbereiter. So beschrieb er erstmals 1895 die Angstneurose als Syndrom, welches er von der Neurasthenie unterschied (Freud, 1895, S. 25 ff.) Die frühen Formulierungen Freuds, in denen er Angst aus psychoanalytischer Sicht zunächst als Folge unterdrückter sexueller Spannungen und später als Signal für Gefahr definierte, dass er in objektive Angst (Furcht) und neurotische Angst unter­schied, stellen erste Erklärungsansätze zur Angstentstehung dar.

In der Psychoanalyse wird die Realangst als eine auf tatsächliche Gefahren ausgerichtete Angst verstanden und von der neurotischen Angst, deren Ursprung dem Betroffenen nicht zugänglich ist, abgegrenzt. Letztere solle von unbewusst gebliebenen seelischen Verletzungen beziehungs­weise von Konflikten zwischen Über-Ich und Triebansprüchen herrühren (Michel & Novak, 2004, S. 29).

In der Tradition des psychoanalytischen Denkens stehen beispielsweise Sarason, Davidson, Lighthall, Waite & Ruebush, (1971). Nach ihnen würde die bewusste Verarbeitung solcher unbewusster Inhalte und Triebansprüche ein noch gefährlicheres Verhältnis zur Außenwelt mit sich bringen und werde daher vom Individuum abgewiesen oder unterbunden. So könne bei­spielsweise das permanente Abwerten der eigenen Leistungen und Handlungen seitens der El­tern eine feindselige Haltung ihnen gegenüber auslösen. Diese Haltung könne dazu führen, dass das Kind zusätzlich Schuldgefühle aufbaue und in einen Ambivalenzkonflikt gerate. Um diese Gefahr zu unterdrücken wende es Abwehrmechanismen an. Dieser Vorgang wird folgenderma­ßen beschrieben: „In dem Maße, wie diese Feindseligkeit unbewusst gehalten werden kann, vermeidet das Kind die lähmende Erfahrung von Schuld, d.h. das Bewusstsein davon, wie böse es ist“ (Sarason et al., 1971, S. 23).

Die beiden zentralen Aspekte dieser Ängstlichkeitsgenese sind also der subjektive Eindruck des Bewertetwerdens und die Abwehr von Kognitionen mit feindseligen Inhalten. Die Bewertung durch andere Personen könne nach Schellhas nur dann zur Ängstlichkeitsbildung beitragen, wenn wichtige Aspekte des Selbstwerts berührt würden. Hier sieht er einen großen, von Sarason et al. geleisteten Beitrag, denn indem diese die Interaktion mit den Eltern für die Selbstwert­entwicklung des Kindes betonen, hätten sie zentrale theoretische Elemente für weitere spätere Ängstlichkeitskonzepte vorgelegt (Schellhas, 1993, S. 28).

Aussagen anderer Autoren relativieren die Relevanz psychoanalytischer Konzepte. Rost führt an, dass die tiefenpsychologische Sichtweise in der aktuellen Forschung eine untergeordnete

Rolle spiele, es seien lediglich in dem Bereich der Bewältigungsstrategien psychoanalytische Gedanken fruchtbar aufgenommen und empirisch analysiert worden (Rost, 2006, S. 407). Gera­de in Bezug auf Erkenntnisse über den Umgang mit Ängsten kann aber die geleistete Vorarbeit in Bezug auf die Beschäftigung mit dem Phänomen der Angst nicht unerwähnt bleiben, denn auch wenn die Einflüsse nicht mehr direkt beobachtbar und durch andere Sichtweisen zu ergän­zen sind, so haben Überlegungen, wie die von Freud und Sarason et al. doch einen entschei­denden Impuls zur weiteren Forschung gegeben.

2.5.2 Behavioristische Ansätze

Psychoanalytischen Ansätzen stehen behavioristische Ansätze gegenüber, die Angst zusammen­fassend als erworbene Reaktionstendenz auf bedrohliche Reize erklären. Diese Tendenzen kön­nen sowohl durch respondentes-, operantes-, und soziales Lernen[5] als auch als Kombination der Lernformen gebildet werden, wobei eine unterschiedliche Konditionierbarkeit angenommen wird (Rost, 2006, S. 407).

Konditionierungsreaktionen sind oft im Zusammenhang mit Phobien zu beobachten, aber auch das Phänomen, dass Kinder nicht immer so genau wissen, was bei ihnen die Angst ausgelöst hat, könnte im Zusammenhang mit dem Mechanismus der Konditionierung stehen. Lerntheore­tiker schließen die Bedeutung der Konditionierung zwar nicht aus, betonen aber zusätzlich die Relevanz von Vermeidungsreaktionen und fassen diese zwei Komponenten in der „Zwei- Faktoren-Theorie“ zusammen (Michel & Novak, 2004, S. 29). Im engen Zusammenhang dazu steht auch Seligmanns Theorie der „erlernten Hilflosigkeit“, die in den Fünfzigerjahren durch Versuchsreihen mit Hunden entstand, welche in zwei Gruppen unterteilt wurden.

Eine Gruppe wurde mit Hilfe eines akustischen Vorsignals und darauffolgende Elektroschocks in einer speziellen Apparatur auf unvermeidbare Angst konditioniert. Vierundzwanzig Stunden später wurden sie mit der anderen Gruppe von Hunden zusammen in einer Lernapparatur unter­gebracht, die Vermeidungsverhalten ermöglichte. Während die nicht vorbehandelten Tiere schnell lernten, der Gefahr nach ertönen des Signals auszuweichen, zeigte die erste Gruppe trotz Reizkonditionierung durch bevorstehende Elektroschocks kein Vermeidungsverhalten. Aus diesem Verhalten wurden Schlussfolgerungen gezogen, die zusammenfassend dahingehend zu interpretieren sind, dass Situationen, die unabhängig von gezeigten Verhalten auftreten und das eigene Verhalten wirkungslos machen, zu einer Hilflosigkeitsannahme führen und operantes Konditionieren verhindern. (Seligmann, 1979, S. 21 ff.).

Hilflosigkeit steht also im engen Zusammenhang mit Unkontrollierbarkeit. Die Annahme, dass das eigene Verhalten keine einzuschätzende Wirkung auf die Umgebung habe, führe zu motiva­
tionalen (Antriebsschwäche), kognitiven (Leistungsverschlechterung) und emotionalen (Depres­sionen) Folgen (Schellhas, 1993, S. 36).

Abgesehen von der Frage, ob derartige Versuche an Tieren eine zu vertretende Forschungsme­thode darstellen, welches ohne weiteres bezweifelt werden kann, so hat die Theorie der erlern­ten Hilflosigkeit dennoch Bausteine zu weiterführenden aktuellen Interventionsprogrammen vorgelegt. Insbesondere der fördernde Umgang mit sozialängstlichen Kindern partizipiert von ihr (zur Übersicht: Petermann & Petermann, 1996, S. 25 f.).

2.5.3 Stresstheorien

Es wurde schon aufgeworfen, dass sich Angst und Stress wechselseitig beeinflussen, wobei insbesondere der negative Stress (Disstress) Angst auslösen kann oder auch in Folge von Angst auftritt. Daher stehen in enger Verbindung zu voranstehenden Modellen, die die Entstehung von Ängstlichkeit erklären, auch Stresstheorien, zu welchen beispielsweise das „Trait - State Mo­dell“ von Spielberger (1988) zu zählen ist, welchem Schellhas einen wichtigen Platz in der Ängstlichkeitsforschung zugesteht.

Angst, so Schellhas werde, hier als reaktives Verhalten dargestellt. Dabei bestimme die „trait anxiety“ die Bereitschaft einer Person, eine Situation als gefährlich oder bedrohlich wahrzu­nehmen und die Bereitschaft auf eine Bedrohung mit einem Angstausbruch zu reagieren, wel­cher als „state anxiety“ bezeichnet wird (Schellhas, 1993, S. 29).

In der Beschreibung von Stressentstehung finden sich deutliche Parallelen zur Angst. Nach Schellhas entsteht Stress dann, „wenn die Fähigkeiten oder Fertigkeiten einer Person von den Anforderungen aus der Umwelt überfordert bzw. in Frage gestellt werden oder eine Überforde­rung antizipiert wird. [...] Die Wahrnehmung von speziellen Situationsmerkmalen (Stressoren) und deren kognitive Einschätzung (Bewertung) könne zu einer subjektiven Charakterisierung der Situation als psychisch (selbstwertrelevant) oder physisch bedrohlich führen“ (Schellhas, 1993, S. 29). Menschen, die eine Stresssituation als für sich bedrohlich wahrnehmen, verspürten Angst. Der Begriff Angstzustand beziehe sich dabei auf eine emotionale Reaktion, die sowohl durch subjektive Empfindungen von Spannung, Angst, Nervosität und Bedrückung gekenn­zeichnet sei, sich aber ebenso durch gesteigerte Aktivität des autonomen Nervensystems aus­drückt. Der gesamte Prozessablauf werde als Stress bezeichnet (Spielberger, 1980, S. 23).

Physiologisch zeigen sich innerhalb dieses Prozessablaufs die, schon unter Punkt 2.3, beschrie­benen Angstsymptome in unterschiedlicher Ausprägung. Schellhaus nimmt Bezug auf Liebert & Morris (1967) und beschreibt die physischen Komponenten des Angstzustandes unter dem Begriff Aufgeregtheit (emotionality), welche hauptsächlich die subjektiv erlebte Aktivierungs­komponente der Angstemotion kennzeichneten. Zusätzlich werde der Angstzustand von Be­sorgtheitskognitionen begleitet, die physische oder psychische potentielle Verletzungen zum Inhalt hätten und aus realen oder vorgestellten Gefahren resultierten (Schellhas, 1993, S.29).

Diesen Besorgtheitskognitionen wird in der empirischen Forschung ein besonderer Stellenwert auf den Einfluss von Leistung eingeräumt. Experimentell konnte nachgewiesen werden, dass Angst intellektuelle Leistungen bei schwierigen oder komplexen Aufgabenstellungen reduziert (Seipp & Schwarzer, 1991, S. 85; Pekrun, 1991, S. 99). Gründe werden darin gesehen, dass Angst die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses beansprucht und so alle kontrollierten nicht kog­nitiven Prozesse potentiell beeinträchtigt würden (Pekrun, 1991, S. 99). Die Zusammenhänge von Angst und Leistung sind aber nicht als Kausalrichtung zu verstehen, denn diverse Studien legen die Vermutung nahe, dass man von einer wechselseitigen Beeinflussung ausgehen kann, in welcher sowohl die Angst Auswirkungen auf die Leistung hat, als auch die tatsächliche Leis­tungsrückmeldung auf die Angstentstehung (Pekrun, 1991, S. 100).

Eine Darstellung der Beziehung zwischen Angst und Leistung könnte also in einem Kreislauf­modell erfolgen. Parallelen sind auch zur Beziehung zwischen der oben beschriebene trait an­xiety als Eigenschaftsangst und der state anxiety als sogenannter Zustandangst zu ziehen. So moderiere die trait anxiety, die interindividuellen Unterschiede der Intensität und Häufigkeit von Angstzuständen, wobei angenommen wird, dass sie ebenso mit der Intensität und Häufig­keit vergangener Angstzustände in einem direkten Verhältnis stehe (Schellhas, 1993, S. 30). Die kognitive Bewertung eines Stressors und auch die Einschätzung der eigenen Ressourcen, die zur Bewältigung zur Verfügung stehen, werden auch als „Moderatorvariablen“ bezeichnet. Sie bestimmen den Einfluss der Stressoren auf das Verhalten (Hoppe-Graff & Keller, 1992, S. 478 f.).

Ähnlich wie bei Sarason et al. würden auch bei Spielberger (1988) die Ursprünge individueller Ängstlichkeit in der Kindheit gesehen, wobei speziell die Eltern-Kind Interaktionen, insbeson­dere Liebesentzug, aber auch negative Bewertungen von Gleichaltrigen und Lehrern dafür verantwortlich gemacht werden (Schellhas, 1993, S.30).

Aus den vorgestellten Strömungen lässt sich keine explizit betonen und herausstellen, auf deren Basis Interventions- und Präventionskonzepte geplant werden können. Viel mehr leistet jede einen sinnvollen Teilbeitrag zur Erforschung der Angstentstehung. Eine multilaterale Sichtwei­se unter zur Hilfenahme dieser Ansätze ist angebracht. Geht man zu Beispiel im Sinne des psy­choanalytischen Denkens davon aus, dass Angst auf der Basis unbewusster nicht verarbeiteter Verletzungen, Versagenserlebnisse und Triebansprüchen entstehen kann, die mit einem ernied­rigten Selbstwert einhergehen, kann diese Sichtweise Erklärungen für mögliche Ursachen man­cher Ängste geben und es ist ebenso nicht auszuschließen, dass solche Zustände in Stresssituati­onen erneut aktualisiert werden. Andererseits können ebenfalls behavioristische Konzepte zum Tragen kommen im Rahmen derer die Reaktion auf Stresssituationen oder Angstauslöser als gelernte Konditionierung betrachtet wird, die je nach Disposition unterschiedlich stark ausge­prägt ist. Auf spezielle Angstsituationen, die durch spezifische Auslöser aktiviert werden mag auch dies zutreffen. Versagenserlebnisse, Unsicherheit und Enttäuschungen, können wiederum das Ausmaß der Angstbereitschaft im Sinne von trait anxiety beeinflussen, welches dann be­stimmt wie oft und wie stark man in Stresssituationen mit state anxiety (Zustandangst) reagiert. Die verschiedenen Strömungen geben also Aufschluss über die Vielfältigkeit der möglichen Perspektiven und Zusammenhänge, ohne sich direkt zu widersprechen.

Für Untersuchung der Fragestellung, welchen Einfluss die Schule oder auch die elterliche Er­ziehung haben kann, bieten solche Ansätze aber zu wenig Anhaltspunkte, also ist es sinnvoll, auch kognitive Ansätze zur Beurteilung des Angstphänomens heranzuziehen. Solche Positionen betonen insbesondere die Bedeutung von subjektiven Erwartungen und persönlicher Bewertun­gen von Reizen und Situationen im übergeordneten Zusammenhang der persönlichen Selbstein­schätzung (Rost, 2006, S. 407; Kluge & Kornblum, 1980, S. 36; Persy, 1990, S. 34 f.). Die Be­deutsamkeit der Kognition für die Angstentwicklung unterstreicht folgendes Zitat:

Ängstlichkeit verhindert direkt oder indirekt die optimale Nutzung persönlicher Ressourcen. Im Unterschied zur Zustandsangst ist Eigenschafts- oder manifeste Angst eine mehr oder weniger ständig präsente behaviorale und kognitive Bereitschaft des Individuums im Sinne potentieller Angstabwehr. Ängstlichkeit könnte einen primären kognitiven Stil repräsentieren, unter denen sich andere Funktionsbereiche einordnen lassen (Schellhas, 1993, S. 178).

Für die vorliegende Thematik wird besonders das Zwei-Prozeß-Modell elterlicher Erziehungs­wirkung zur Ängstlichkeitsentwicklung von Krohne relevant, da es gezielt sowohl Anhaltspunk­te für das Verhalten von Erziehern als auch für das Verhalten von Lehrern liefert, welches die Kognition und somit die Entstehung von Angst beim Kind beeinflusst. Daher wird unter Punkt 3.4 besonders auf dieses Modell eingegangen, um den Zusammenhang zur Schulangst herzustel­len.

Fasst man die beschriebenen theoretischen Strömungen in einer vorläufigen Schlussfolgerung für eine angstmindernde Arbeit in der Schule zusammen, sollte der Schwerpunkt also in der Stärkung des Selbstwertgefühls der Schüler liegen, indem Stressoren gering gehalten werden und gleichzeitig Ressourcen zur Bewältigung aufgebaut werden. Gelingt die Bewältigung der Stresssituationen dem Betroffenen nicht, ist es möglich, dass Abwehrmechanismen ausgelöst werden, die die Intensität der Angstreaktion reduzieren. Solchen „intrapsychischen Abwehrme­chanismen“ komme, so Schellhas, die an Freud angelehnte Funktion zu, das Aufkommen von Kognitionen oder Erinnerungen, die mit Gefahren assoziiert werden, zu verhindern oder zu mo­difizieren. Sie schützten die Person davor, von der Angstreaktion überflutet zu werden und wür­den dementsprechend häufiger von Personen mit einer hohen Ängstlichkeit verwendet. (Schell- has, 1993, S. 30 f.).

Die Entwicklung wird durch kontinuierliche Anwendung solcher Abwehrmechanismen aber behindert, der positive Effekt tritt also nur scheinbar ein. Abwehrressourcen müssen also durch Bewältigungsressourcen ersetzt werden. Diese Notwendigkeit wird noch mehrfach deutlich werden.

Wie der weitere Verlauf der Arbeit ebenfalls zeigen wird, ist die Unterscheidung zwischen der Genese von klinischer und normativer Angst sinnvoll, deren Entstehung durch entwicklungs­psychologische Faktoren in Verbindung mit erzieherischen Einflüssen betrachtet werden sollte. Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Intervention und Prävention von Schulangst liegt, die nicht von Psychologen und ähnlichen Experten geleistet werden soll, sondern vorrangig von Eltern, Lehrern und Schulen, ist es notwendig klinische Formen der Angst kurz zu skizzieren, ohne sie übermäßig zu thematisieren. Der kurze Einblick bietet ergänzende Anhaltspunkte, um bei der Konfrontation mit klinisch relevanten Angstformen, wie sie auch die Schulphobie dar­stellt, Fachleute hinzuzuziehen, die bei der Bewältigung helfen, denn solch eine Bewältigung würde den Aufgabenbereich von Lehrern und Eltern übersteigen.

2.6 Angststörungen

Angst ist eine zunächst als normal einzustufende menschliche Emotion anzusehen die, wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, nützliche Funktionen übernimmt und einen Beitrag zum Fortbestehen der Menschheit und der individuellen Entwicklung leistet.

Steht die Angst aufgrund ihrer Dauer oder Intensität aber im groben Missverhältnis zu den aus­lösenden Faktoren, wird von einer Störung mit Krankheitscharakter gesprochen. Nach Michel & Novak litten im Jahre 2004 ungefähr 10 bis 30 Prozent der Bevölkerung an einer Angststö­rung (Michel & Novak, 2004, S. 28). In einer „repräsentative Studie“ an 826 Achtjährigen im Jahre 2000 wurde festgestellt, dass fast 10 Prozent der Kinder an einer behandlungsbedürftigen Angststörung litten. 2,5 Prozent dieser Kinder litten an einer spezifischen Phobie (Federer, Margraf & Schneider, 2000, S. 205). Kriterien für eine Angststörung können sowohl nach Hüls­hoff (1999, S. 79) als auch nach Nissen (1989, S. 156) eine Verselbstständigung der Angstbe­reitschaft, eine sich anbahnende emotionale, soziale oder sogar kognitive Entwicklungshem­mung, eine zunehmende Einschränkung des Beziehungsgefüges und des Aktionsradius sein. Zur Übersicht über die Vielfalt von Angststörungen im Kindes- und Erwachsenenalters befindet sich eine Tabelle im Anhang (s. Anhang Nr.1, S. 119).

In Bezug auf das Diagnostic and Statistic Manuel (DSM IV) der American Psychiatric Associa­tion unterscheidet Hülshoff in klinischer Hinsicht folgende drei große Gruppen von Angststö­rungen (Hülshoff, 1999, S. 79 f.):

- Generalisierte Ängste
- Panikattacken
- gerichtete Angst (Phobien)

Generalisierte Ängste sind im Wesentlichen durch „frei flottierende Ängste“ gekennzeichnet. Angst beschreibt Hülshoff in diesem Zusammenhang als das alles beherrschende Grundgefühl, auch wenn ängstigende Ereignisse zunächst nicht ausgemacht werden können (Hülshoff, 1999, S.79). Die Angst sucht sich demzufolge ihre Gründe. Frei flottierende Ängste neigen zur Gene­ralisierung und können sich auf alle Lebensbereiche ausbreiten. Die körperlichen und seelischen Symptome gleichen denen in Punkt 2.3 beschriebenen und können in heftigster Ausprägung auftreten. Zusätzlich könnten, so Hülshoff, eine Reihe von psychosomatischen Beschwerden, wie z.B. Brechreiz, Übelkeit, Gefühlsstörungen und subjektive Wahrnehmungsstörungen auftre­ten (Hülshoff, 1999, S. 80).

Tritt ein solches Angstsyndrom als Folge einer neurotisch unzureichenden Verarbeitung eines intrapsychischen Konfliktes auf, spricht Bassler von einer Angstneurose. Diese diffuse Angst wechselnder Stärke könne sich bis zu manifesten Angstanfällen steigern. Ein Quantum Angst sei frei flottierend vorhanden und jederzeit bereit sich mit einem passenden Vorstellungsinhalt zu verbinden. Die Angstneurose werde im Wesentlichen von den Krankheitsbildern „generali­sierte Angststörung“ und „Panikstörung“ repräsentiert (Bassler, 2000, S. 62 f.). Hülshoff be­zeichnet letztere als Angst vor der Angst, die sich zu der diffusen Angstbereitschaft geselle. Unter Panikattacken verstehen sowohl Hülshoff (1999, S. 80) als auch Bassler (2000, S. 63) einige Minuten andauernde Zustände maximaler Angst und Erregung.

In Verbindung mit dem Angstbegriff ist ein synonymer Gebrauch des Phobiebegriffs weit ver­breitet. Dieses Phänomen kommt immer dann zum Tragen, wenn es um die Thematik der Schulangst geht und der Begriff Schulphobie im selben Atemzug genannt wird. Zwischen die­sen beiden unterschiedlichen Ausprägungen von Angst muss aber notwendigerweise unter­schieden werden, denn sie müssen nicht zwingend auf dieselben Ursachen zurückzuführen sein können aber in Verbindung zu einander stehen und sich wechselseitig beeinflussen. Eine Ausei­nandersetzung mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Schulangst und der Schulpho­bie erfolgt daher gesondert unter Punkt 3.2. Zunächst erfolgt ein kurzer Einblick in die wesent­lichen Merkmale der Phobie im Allgemeinen.

Phobien beziehen sich, so Bassler, im Gegensatz zu der diffus erlebten körpernahen Angst auf bestimmte Objekte, Situationen oder auch auf Reaktionen, die subjektiv als sehr bedrohlich wahrgenommen werden (Bassler, 2000, S. 63). Die Betroffenen sehen die Unangemessenheit ihrer Furcht oft ein, sehen sich aber trotzdem nicht dazu in der Lage, ihre Angst zu mindern. Phobien können sich auf vielfältige Objekte (z.B. Hunde, Spritzen), Situationen (z.B. offene Plätze, Schule, Party) und Reaktionen (z.B. Erröten, Erbrechen) beziehen. Bassler nimmt fol­gende Systematisierung vor:

Die Gruppe der Agoraphobie, der sozialen und der isolierten (einfachen) Phobien wird von der Gruppe der Krankheits- bzw. Zwangsphobien unterschieden. Ersterer Gruppe werden überwie­gend externe auslösende Reize zugeschrieben, währen in der zweiten Gruppe interne Reize be­deutsam sein sollen (Bassler, 2000, S. 65).[6] In Bezug auf Freud spricht Bassler von einer deut­lich verbesserten Angstbindung als bei der Angstneurose, da prinzipiell ein Angstausbruch durch gezieltes Vermeidungsverhalten abgewehrt werden könne (Bassler, 2000, S. 63).

Wie schon erläutert, kann aber dieses Vermeidungsverhalten zu Entwicklungsschwierigkeiten und Störungen führen. Neben Vermeidungsverhalten wie „Schulschwänzen“ oder dem Bauch­weh bei Schulangst führen Keller & Novak beispielsweise mögliche Angstabwehrreaktionen wie Zwangshandlungen, Lügen, Stottern und Aggressionen an. Letztere treten, so Keller & No­vak, vor allem dann auf, wenn Vermeidungsverhalten nicht möglich ist (Keller, Novak, 1993, S. 27).

Hülshoff macht im Wege einer kategorisierenden Differenzierung deutlich, dass eine Reihe phobischer Zustände leichter Art sind und nicht immer therapeutischer Behandlung bedürfen, weil sie das soziale Leben nicht massiv beeinträchtigen müssen. Häufig hätten Phobien aber stellvertretende Funktion für unbewusste, zugrundeliegende, ängstigende Konflikte (Hülshoff, 1999, S. 81). Im Zusammenhang mit dem Begriff Schulphobie unter Punkt 3.2 wird dieser Aspekt ausführlicher betrachtet und dargestellt, denn auch schulphobisches Verhalten kann auf ängstigende Konflikte zurückzuführen sein, deren Ursachen nicht unbedingt in der Institution Schule zu finden sind.

Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass sowohl Ängste als auch Angstkrankheiten das Ergebnis komplexer Konstellationen sind und auf den unterschiedlichsten Ebenen betrachtet werden müssen. So weisen sie sowohl biologische als auch biographische, umweltbedingte und soziale Komponenten auf. Es wird nicht möglich sein, allen diesen Ebenen innerhalb dieser Arbeit bezüglich der Schulangst das gleiche Ausmaß an Betrachtung zu widmen, dennoch wer­den möglichst viele Aspekte aufgegriffen und berücksichtigt. Die krankhafte Ausprägung von Ängsten soll dabei nicht primär im Mittelpunkt stehen, sondern vielmehr als warnende Kompo­nente, der es früh entgegenzuwirken gilt, betrachtet werden. Gerade im Grundschulalter sind die Chancen der Angstvermeidung und Ressourcenbildung, also frühzeitiger Prävention, besonders einträglich und sinnvoll, da in diesem Alter die Weichen für die Angstausprägung im Jugendli­chen- und Erwachsenenalter gestellt werden.

3 Grundschulrelevante Ängste und ihre Genese

Im Folgenden werden solche grundschultypischen Ängste thematisiert, die bei allen Kindern in unterschiedlicher Ausprägung vorkommen und deren Umgangsweise entscheidend die weitere Schullaufbahn beeinflussen kann. Die vorangegangenen Ausführungen zu der Frage des allge­meinen Angsterlebens und deren Auswirkungen sollen nun näher auf Angstgefühle bezüglich der Schule eingegrenzt werden, zumal die Schulangst die Anspannung und die negativen Emp­findungen mit allen anderen stark ausgeprägten Ängsten gemein hat.

3.1 Definitionen von Schulangst

Bei der Begriffsbestimmung von Schulangst finden sich ähnlich heterogene Ansätze wie in Be­zug auf die allgemeinen Angstdefinitionen. Während einige Autoren sich auf wesentliche Merkmale beschränken, versuchen andere die vielfältigen Aspekte der Schulangst zu betonen. Exemplarisch wurden Auslegungen ausgesucht, welche die angesprochene inhaltlich weite Spanne der Definitionsversuche verdeutlichen.

Die Definition der Schulangst von Strittmatter betont den Leistungsaspekt bezüglich der Schul­angst und liest sich folgendermaßen: „Schulangst wird als eine relativ überdauernde Bereit­schaft angesehen, schulische - hier vor allem Leistungssituationen - als persönliche Bedrohung zu empfinden“ (Strittmatter, 1993, S. 14).

Schmidts Bestimmung von Schulangst erfasst neben diesem Leistungsaspekt auch einen sozia­len Aspekt. Er bezieht den Begriff Schulangst im „engeren Sinne des Wortes auf den Wunsch die Schule wegen unangenehmer Begleiterscheinungen im Leistungsbereich und /oder im Kon­taktbereich mit Lehrern bzw. Mitschülern, zu vermeiden“ (Schmidt, 1987, S. 102).

Folgende Auslegung von Makowski macht die Vielfalt und damit auch die Schwierigkeit deut­lich, Schulangst auf einen „einheitlichen Nenner“ zu bringen. Ihrer Meinung nach könne Schul­angst „als eine persönlich erlebte Bedrohung der Schüler durch die Schule oder durch, die mit ihr verbundenen Personen, Situationen, Prozesse, Anforderungen und Ereignisse“ definiert wer­den (Makowski, 2003, S. 12).

Nach Walter betreffe der Terminus Schulangst insbesondere Schüler mit dispositioneller Ängst­lichkeit, wobei sich, allgemeine Grundängstlichkeit und Leistungsangst meist überlagerten (Walter, 1977, S. 23).

Festzuhalten ist demzufolge, dass sich Schulangst insbesondere auf den Leistungsaspekt und soziale Aspekte bezieht, wobei die Ausbildung hoher dispositioneller Ängstlichkeit als besonde­rer Risikofaktor für die Entstehung von Schulangst gesehen werden kann, was die noch fol­genden Ausführungen verdeutlichen werden. Auf die übergeordneten Entstehungsbedingungen einer erhöhten Angstbereitschaft bei Kindern wird daher besonders eingegangen, um im Fol­genden Möglichkeiten der Diagnose als Grundlage für Interventions- und Präventionsmaßnah­men sowie die Ausprägung von Ängsten bei Grundschülern zu thematisieren. Diese werden dann hinsichtlich ihrer Entstehung mit Blick auf bedeutsame Einflussfaktoren, wie die Familie, den Lehrer und die Schule untersucht. Bezüglich der Ängstlichkeitsgenese muss diesen Ein­flussgrößen eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen.

Zunächst ist im Zusammenhang mit den oben genannten Definitionen von Schulangst eine Abgrenzung zu dem Begriff der Schulphobie vorzunehmen, was zugleich die Möglichkeit bietet Angstsymptome von Beginn an besser kategorisieren zu können.

3.2 Schulphobisches und schulängstliches Verhalten unter dem Gesichtspunkt des Schulvermeidens - eine Abgrenzung

Schulangst sei, so Schmidt, Ausdruck von Schulschwierigkeiten und eine Form der mehr oder minder ausgeprägten Schulverweigerung. Im Extremfall komme es zu einem Fernbleiben von der Schule (Schmidt, 1987, S. 101). Schulängstliche Kinder gehen zwar meist zur Schule, ver­lassen aber häufiger den Unterricht, um nach Hause zugehen. Begründet werden diese Ausfälle oft mit körperlichen Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen, die oft psychosomatischen Ursprungs sind. Parallelen könnten zum Unterrichtsfach Sport gezogen werden, in welchem, auffällig oft einzelne Kinder unter Vorwänden den Unterricht vermeiden aber auch anstehende Klassenarbeiten fordern solche Vermeidungsversuche von schulängstlichen Kindern heraus. Schulvermeidung kann aber sowohl ursächlich auf Schulangst als auch auf eine Schulphobie zurückzuführen sein, denn „beiden gemeinsam ist, dass die Schüler nicht zur Schule gehen wol­len und Ängste äußern“ (Nissen, 1999, S. 70). Die Schulvermeidung betreffend gibt es unter­schiedliche begriffliche Abgrenzungen. Einige Autoren trennen den Begriff des Schuleschwän- zens als delinquente Form der Verweigerung von den Begriffen Schulangst und Schulphobie, während andere alle drei Formen der Verweigerung zu dem Oberbegriff Schulvermeidung zäh­len (Schmidt, 1987, S.101).

Allein letzteres Verständnis scheint sinnvoll, da alle drei Formen sich wechselseitig beeinflus­sen können und nicht immer leicht voneinander zu unterscheiden sind. Im Folgenden wird ein Abgrenzungsversuch unter Berücksichtigung von möglichen Zusammenhängen unternommen.

Während schulängstliche Kinder sich in der Regel vor realen Leistungsschwierigkeiten und damit verbundenen Überforderungen, Demütigungen oder vor sozialen Konfliktsituationen ängstigen, wird die subjektiv erlebte Angst vor der Schule bei schulphobischen Kindern als Ausdruck tieferer, zugrundeliegende Verlassensängste gesehen. Der Angst vor der Schule steht also keine objektiv ängstigende Konstellation gegenüber (Hülshoff, 1999, S. 70; Nissen, 1989, S. 159 f.; Schmidt, 1987, S. 102 f.; Makowski, 2003, S.10 f.). Die Ängste würden sich viel mehr aus unbewussten Separationsängsten speisen. Als ursächlich könnten symbiotische oder über­behütete Eltern - Kindbeziehungen, die angststabilisierend wirken, in Frage kommen, aber auch vermeintliche oder tatsächlich drohende Trennungen könnten Elternverlustängste auslösen. Schließlich könnten auch Ängste durch Geschwisterrivalität ausgelöst werden, etwa wenn das Kind befürchtet, es würde mit dem Schulbesuch an Bedeutung verlieren (Hülshoff, 1999, S. 70). Schmidt und Nissen sprechen von einer Verschiebung der phobischen Ängste auf das Objekt Schule (Schmidt, 1987, S. 102; Nissen, 1989, S. 159). Charakteristisch sei hier, dass die inneren Widerstände mit dem Ausmaß der Fehlzeiten wachsen und es zu oft wochen- oder monatelan­gen Fehlzeiten komme (Oelsner & Lehmkuhl, 2004, S. 16).

Im Gegensatz zu dem schulängstlichen Kind habe das schulphobische Kind keine Probleme mit schlechten Leistungen oder mit sozialen Konflikten, zeige also keine Lern- und Verhaltens­schwierigkeiten in der Schule. Oelsner & Lehmkuhl beschreiben die Schulphobie als „hochgra­dige, existentiell bedrohlich erlebte Angst, die eine Trennung von zu Hause und damit den Schulbesuch unmöglich macht“ (Oelsner & Lehmkuhl, 2004, S. 16). Die reine Schulphobie sei aber selten (Nissen, 1989, S. 159) und stelle hauptsächlich ein Angstsyndrom der frühen Kind­heit dar (Oelsner & Lehmkuhl, 2002, S. 16). Daher wird ihr wie folgendes Zitat deutlich macht, nicht besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt: „Die Schulphobie wird oft als klinische Son­derform der Schulverweigerung verstanden und wegen ihrer geringen Auftretenshäufigkeit in der allgemeinbildenden Schule, praktische vernachlässigt“ (Kaiser, 1983, S. 13).

Schulangst und Schulschwänzen treten häufiger auf als die Schulphobie. Dennoch könnten die Schulphobie und das Schuleschwänzen nach Nissen pathogene Faktoren der Schulangst in sich tragen (Nissen, 1989, S. 159). Die Verbindung der Vermeidungsformen wird auch durch fol­gende Ausführungen von Schmidt deutlich: „Wichtig ist, dass bei längerem Bestehen einer Schulphobie aufgrund der Versäumnisse häufig zunehmende Schulangst, die letztlich das Schulschwänzen begünstigt, entsteht“ (Schmidt, 1987, S. 102). Andererseits kann der Kreislauf auch von der Schulangst ausgehen. Bekommen schulische Probleme einen irrrelevant erhöhten Stellenwert, dann kann eine Schulvermeidung im Sinne einer Schulphobie aus der Schulangst entstehen. Bezwecke der Rückzug vorerst ein Ausweichen von der Schule, könne er jedoch zu einer pathologisch engen Bindung an die Familie führen (Schmidt, 1987, S. 103). Es besteht demnach auch hier die Gefahr eines negativen Kreislaufes, der für das Phänomen Angst als typisch betrachtet werden kann. Während das Schulschwänzen in der Grundschule kaum Rele­vanz besitzt, weil hier das Fernbleiben vom Unterricht meist mit dem Wissen der Eltern ge­schieht, wird es auf weiterführenden Schulen als großes Problem gesehen. Charakteristisch ist hier, dass der Aufenthaltsort während der Schulzeit einen lustbetonteren Stellenwert zuge­schrieben bekommt, also als interessantere Alternative gesehen wird. Im Gegensatz zu Eltern von schulängstlichen und schulphobischen Kindern sind Eltern von Schulschwänzern in der Regel also nicht über den Aufenthaltsort ihrer Kinder informiert.

Auch wenn damit zunächst keine Verbindung zwischen Schulschwänzen und Schulangst in der Grundschule ersichtlich wird, können aber auch die Schule schwänzende Schüler eine Schul­vermeidungskarriere hinter sich haben, deren Wurzeln in der Grundschulzeit beginnen. Dieser Aspekt darf bei der Thematisierung von Grundschulangst nicht außer Acht gelassen werden. So könne es sein, dass das die Schule schwänzende Kind die Abwesenheit vom Unterricht bejaht, sich aber Ängste diesbezüglich nicht eingesteht (Nissen, 1989, S. 160). Es kann also zum Schul­schwänzen kommen, weil potentielle Ängste nicht früh genug erkannt wurden. Sieht man sich in der Schule mit einer Schulphobie konfrontiert, ist es unerlässlich, fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zur besseren Übersicht folgt eine dreigliedrige nach Ursachen unterscheidende Klassifikationstabelle.

Tabelle 1: Formen der Schulverweigerung (Nissen, 1989, S. 159)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bei einem Vergleich dieser drei Formen der Schulverweigerung miteinander wird deutlich, dass die Möglichkeit einer Verbindung zwischen den Begriffen der Schulangst und der Schulphobie besteht, indem sich eine aus der anderen entwickeln kann. Dennoch sind sie vorerst als zwei voneinander unabhängige Ausprägungen der Angst zu betrachten, die unterschiedliche Heran­gehensweisen erfordern. Die Notwendigkeit der Ursachenforschung für eine Schulvermeidung sollte ebenso deutlich geworden sein. Da der Fokus dieser Arbeit aber hauptsächlich auf den Problemen schulängstlicher Kinder liegt, ist es sinnvoll sich mit der Entwicklung von Ängst­lichkeit bei Kindern zu beschäftigen, da die starke Ausprägung von Ängstlichkeit als ein Haupt­risikofaktor für die Entstehung von Schulangst im Allgemeinen und insbesondere in Bezug auf Schulangst in der Grundschule gedeutet werden kann. Folgende Ausführungen werden dies verdeutlichen.

3.3 Erhöhte Ängstlichkeit als übergeordneter Risikofaktor

Ängstlichkeit wird in der Fachsprache nach Michel & Novak auch als Angstneigung bezeichnet (Michel & Novak, 2004, S. 28). Es wurde thematisiert, dass sowohl angeborene als auch erlern­te Faktoren aus den bisherigen Erfahrungen eines Kindes die Angstneigung beeinflussen. Der Grad der Angstneigung bestimmt, wie oft, wie stark und in welchen Situationen Angst empfun­den wird, die eigenen Ressourcen der Bewältigung also als unzureichend eingeschätzt werden. Dementsprechend hoch ist die Gefahr, dass Kinder mit einer hohen Angstneigung durch die Konfrontation mit schulischen Gegebenheiten vermehrt Ängste entwickeln. Damit sind diese Kinder besonders in ihrer Entwicklung gefährdet. Schellhas betont in diesem Zusammenhang berechtigterweise, dass Personen mit hohen Ängstlichkeitswerten sensibler und verletzbarer seien und zu einer Herabstufung der eigenen Selbstwerteinschätzung tendierten (Schellhas, 1993, S. 30). Besonders in ihrer chronischen Verlaufsform sei kindliche Ängstlichkeit ein er­höhter psychologischer Risikofaktor für die individuelle Entwicklung. Dies betreffe nicht nur die Entwicklung eines negativen Selbstkonzeptes, sondern gleichzeitig bestehe ein deutlicher

Zusammenhang zwischen Ängstlichkeit und Schulleistung. So könne festgestellt werden, dass Kinder mit hoher Ängstlichkeit schlechtere Zensuren erhielten als niedrigängstliche (Schellhas, 1993, S. 177). Auch Czeschlik weist darauf hin, dass dispositionell ängstliche Kinder besonders empfindlich auf das Lehrerverhalten, auf Druck der Mitschüler, der Eltern und im Allgemeinen auf sozial - evaluative Situationen reagierten (Czeschlick, 2000, S. 221). Walter hebt hervor, dass ängstliche Kinder die schulische Umwelt eher als feindlich, „ichbedrohend“ und belastend empfänden (Walter, 1977, S. 112).

Da also unterstellt werden kann, dass Kinder mit einer allgemein stark ausgeprägten Angstnei­gung auch häufiger an Ängsten leiden, die im Zusammenhang mit dem Schulbesuch stehen, weil sie dazu neigen ihre Umwelt permanent nach Gefahren „abzusuchen“, deren Bewältigung sie nicht leisten können, wird es im Folgenden primär um Kinder mit einer erhöhten Angstbe­reitschaft gehen. Hierbei darf allerdings nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, dass auch situationsspezifische, spontan ausgelöste Angstzustände von Kindern, die nicht offensichtlich zu einer erhöhten Angstbereitschaft neigen, zu berücksichtigen und in der Schule zu vermeiden sind. So betonen Nolting & Paulus unabhängig von der Frage, ob von einer erhöhten oder nor­malen Angstbereitschaft gesprochen werden kann zu Recht, dass alle Kinder gewöhnliche Ängste in ihrer Entwicklung erleben, die sich in der Regel innerhalb weniger Wochen und Mo­nate wieder reduzierten. Sie helfen ihnen, sich in der noch „weitgehend unbekannten, chancen­aber auch gefahrenreichen Welt vorsichtig zu orientieren“ und sind demgemäss zunächst einmal als positiv und normal einzustufen (Nolting & Paulus, 2004, S. 104). Werden diese Ängste al­lerdings nicht ernstgenommen und erkannt, kann sich eine immer stärker werdende Angstbereit­schaft entwickeln.

Übereinstimmend unterscheiden auch Dieterich & Rietz, wie auch schon Schellhas in Anleh­nung an Spielberger (Schellhas, 1993, S.30), zwischen Angst als individuelle Eigenschaft, also als „konstanten Wesenszug Ängstlichkeit“ (trait-anxiety) und Angst als momentan ausgelösten psychischen Zustand (state-anxiety) (Dieterich & Rietz, 1996, S. 30). Ebenso hebt auch Walter den Unterschied zwischen state - anxiety, die eine wichtige biologische Funktion übernehme und trait - anxiety, die den Zustand relativ situationsunabhängiger dispositioneller Ängstlichkeit kennzeichne, deutlich hervor (Walter, 1977, S. 24). Letztere werde dann zum erzieherischen Problem, wenn ein Individuum, die Umwelt durchgängig auf Gefahrensignale hin absuche und überwiegend als bedrohlich erlebe (Walter, 1977, S. 22).7 Keller & Novak betonen insbesondere die Bedeutung der Unterscheidung zwischen „Angst als Erlebnis und Ängstlichkeit als Bezeich­nung für mehr oder weniger stark ausgeprägte Angstbereitschaft“ in der Erziehungswissenschaft (Keller & Novak, 1993, S. 26). Einerseits müsse sich die Erziehung nach der bereits vorhande- 7 Es stellt sich die Frage, was aber passiert, wenn ein solches Individuum in der Gestalt eines sechsjähri­gen Kindes in der Schule auf wirkliche Gefahrenquellen, wie z.B. undurchsichtige Bewertung, autoritäre Lehrer/innen, aggressive Mitschüler usw. trifft. Ohne dem Inhalt dieser Arbeit zu weit vorgreifen zu wol­len, dürfte sich die Problematik nicht nur in Bezug auf die Gefährdung des Schulerfolgs sondern auch auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes erahnen lassen. nen Ängstlichkeit des Kindes richten, gleichzeitig solle aber auch die zukünftige Ausbildung von Ängstlichkeit vermieden werden (Keller & Novak, 1993, S. 26).

Damit wird es an dieser Stelle vorerst nötig, typische Ängste im Kindesalter zu skizzieren, die je nach Angstneigung und Häufigkeit der auslösenden Situationen, welche je auch durchaus berechtigt Ängste heraufbeschwören können, auftreten. In diesem Zusammenhang beschreiben Keller & Novak alles neuartige, fremde, undurchschaubare, dem Kinder nicht ausweichen kön­nen, als beängstigend (Keller & Novak, 1993, S. 27). Insbesondere im Vorschulalter können solche Ängste auch in Bezug auf die Schule entstehen. Angstauslösend wirken könnten aber auch Isolation oder drohender Liebesentzug, Überforderung und die damit verbundenen Gefühle der Unzulänglichkeiten, Orientierungslosigkeit und das Fehlen verlässlicher Normen, die mas­sive Einengung der kindlichen Aktivitäten und die Unsicherheit der Bezugspersonen (Keller & Novak, 1993, S. 27).

Nolting & Paulus stellen in den Vordergrund, dass sich Ängste bei Kindern vor allem auf Kon­flikte mit den Eltern, Geschwistern und Freunden, aber auch auf körperliche oder sexuelle Misshandlungen auf chronische Erkrankungen und „nicht zuletzt“ auf die Leistungen in der Schule bezögen (Nolting & Paulus, 2004, S. 104). Auch Phobien als spezifische Ängste vor bestimmten Situationen seien nach Nolting & Paulus bei Kindern und Jugendlichen weitverbrei­tet.

Nach Makowski hätten Kinder, die Angst vor der Schule entwickeln, im Rückblick fast immer schon lange vor ihrer schulischen Laufbahn Verhaltensbesonderheiten gezeigt, doch diesen Auffälligkeiten im Vorschulalter, so kritisiert Makowski zutreffend, werde oft keine Aufmerk­samkeit geschenkt. Schulängstliche Kinder seien „oft ruhig, folgsam und nicht selten gehemmt“ (Makowski, 2003, S. 6) und zeigten auch meist schon im Kindergarten Angstsymptome, die besonders in Form von Schwierigkeiten bei der Trennung von den Eltern zum Ausdruck kämen (Makowski, 2003, S. 7). Auch Schellhas beschreibt ängstliche Kinder als häufig schüchterne, im sozialen Annäherungsverhalten gehemmte und im Kommunikations- und Interaktionsverhalten eingeschränkte Kinder (Schellhas, 1993, S. 64).

Die Ausführungen der verschiedenen Autoren machen deutlich, dass umgangssprachliche For­mulierungen wie „das verwächst sich noch“ nicht nur generell zu überdenken, sondern in Bezug auf Ängste ohne Ausnahme unangemessen sind. Viel eher sollten schon früh Gründe und An­lässe für Ängste beobachtet werden, um daraus wirksame und konstruktive Bewältigungsmaß­nahmen abzuleiten. Wie sich noch zeigen wird, kommt Für Eltern und Lehrer dabei auch immer die Notwendigkeit zum Tragen, ihr eigenes Verhalten im Umgang mit Ängsten sowie die Be­ziehung zum Kind überdenken zu müssen.

In der Schulangst können sich demnach die verschiedensten Kinderängste, wie zum Beispiel vor Personen, Konflikten, Bestrafungen, Verlusten, Ablehnung und versagen, vermischen. Makows­ki betont aber berechtigterweise, dass nicht die schulische Gegebenheiten an sich die Schulangst auslösen, „sondern die Befürchtungen oder das Erleben ihnen nicht gewachsen zu sein, überfor­dert, beschämt und gedemütigt zu werden, ohnmächtig, ausgeliefert und wehrlos zusein, zu versagen und zu leiden“ (Makowski, 2003, S. 12).

Wie die vorangegangenen Ausführungen deutlich gemacht haben, leiden Kinder im Vergleich zu Erwachsenen an einer ähnlichen Fülle von Ängsten. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins bei ihnen jedoch noch stärker zum Tragen kommt als bei einem erwachsenen Menschen, ist groß und damit auch die von Makowski angesprochene Gefahr der Überforderung, des Beschämtseins und der Wehrlosigkeit. Um dem zu entgehen, müssen Bezugspersonen wie die Eltern oder auch die Lehrer Verständnis für Ängste aufbrin­gen und Wege zum Aufbau effektiver, stabiler Angstbewältigungsmechanismen bei Kinder­ängsten aufzeigen. Walter betonte schon vor knapp dreißig Jahren in diesem Sinne, dass insbe­sondere Kinder im Grundschulbereich ohne die eben erwähnten Bewältigungsmechanismen den „regelmäßig auftretenden, angstinduzierenden Prüfungssituationen mehr oder weniger hilflos ausgeliefert“ seien (Walter, 1977, S. 23). In welcher Form nun die Erziehungswirkung negativ oder positiv in Bezug auf Angstentstehung und Angstbewältigung wirken kann, lässt sich zu­sätzlich zu den in Punkt 2.5 aufgeführten theoretischen Strömungen der Ängstlichkeitsfor­schung, durch die folgenden Erkenntnisse von Krohne & Hock ergänzen und eingrenzen.

3.4 Zur Genese einer ängstlichen Schülerpersönlichkeit unter dem Schwerpunkt der Erziehungswirkung

Krohne bietet mit seinem „Zweiprozess - Modell“ elterlicher Erziehungswirkung ein plausibles Erklärungsmodell für die Entstehung von Ängstlichkeit, welches versucht, Konzeptionen und empirische Befunde aus drei Quellen zu einer Erziehungsstiltheorie zu verbinden (Krohne & Hock, 1994, S. 48).

Es bezieht dabei zum einen zentrale Vorstellungen des Zweikomponenten - Modells von Her­mann als auch Annahmen Heilbruns zu den Entwicklungsbedingungen unterschiedlicher, anta­gonistisch gerichteter Anpassungsstile sowie Ergebnisse der experimentellen Forschung zur Auslösung von Angst und Bewältigungsreaktionen mit ein: „Grundlage der Modellbildung sind einerseits kognitive soziale Lerntheorien wie sie von Bandura, Rotter und Mischel entwickelt wurden, andererseits kognitive Angst- Angstbewältigungstheorien, wie sie Epstein, Lazarus und unser eigener Kreis vorgelegt haben“ (Krohne & Hock, 1994, S. 48 f.).

Basis solch handlungstheoretischer Modelle ist die Annahme einer reziproken Beziehung zwi­schen Person, Situation und Verhalten, wobei bestimmte kognitive Faktoren als Vermittler zwi­schen diesen drei Einflussbereichen fungieren (zur Übersicht s. Anhang Nr.2, S. 120 : Schema einer dynamisch- interaktiven Personen- Umwelt- Beziehung). Nach Krohne gehören zu diesen kognitiven Faktoren Kompetenzen, Codiermerkmale, Erwartungen, Motive und Werte sowie Pläne und selbstregulierende Systeme. Sowohl aktuell ausgelöste kognitive Aktivitäten als auch die sie fundierenden zeitlich länger erstreckten Strukturen als habitualisierte Erwartungen könn­ten zu den kognitiven Faktoren gezählt werden (Krohne & Hock, 1994, S. 49). Persönlichkeits­eigenschaften wie eine hohe Ängstlichkeit lassen sich in diesem Sinne als ein spezifisches Aus­prägungsmuster dieser kognitiven Strukturen beschreiben, wobei die individuelle Ausprägung solcher Strukturen im Wesentlichen den sozialen Erfahrungen des Individuums und daher im besonderen Maße der elterlichen Erziehung unterliegt.

Die zentrale Aussage des Modells ist der Umstand, dass sich aus bestimmten Mustern elterli­cher Erziehungsvariablen personenspezifischen Ausprägungen bezüglich habitueller Merkmale vorhersagen lassen. Darunter verstehen Krohne & Hock die Bewältigungsmodi Ängstlichkeit, Nichtdefensivität, Repression (Vermeidung der Gefahr) und Sensitization (verstärkte Aufmerk­samkeit auf Gefahrensignale), die je nach Kombination untereinander und bezüglich ihrer Aus­geprägtheit innerhalb der Dimensionen Vigilanz und kognitive Vermeidung kategorisiert wer­den könnten (zusammenfassend Krohne & Hock, 1994, S. 25 f.; zur besseren Übersicht s. An­hang Nr.3, S. 121: Das Zweidimensionale Modell der Bewältigungsmodi). Während sich die nichtdefensiven Kinder überwiegend durch den Einsatz eines flexiblen offenen Bewältigungs­verhalten auszeichneten und auch als Niedrigängstlich bezeichnet werden könnten, dürften hoch ängstliche Kinder starke Probleme mit einem flexiblen Bewältigungsverhalten aufweisen. Denn sowohl die Einleitung vigilanten als auch vermeidenden Verhaltens sei bei ihnen mit jeweils nicht tolerierbaren Folgen verbunden. Dies müsste wiederum ein flukturierendes Bewältigungs­verhalten auslösen (Krohne & Hock, 1994, S. 33).

Der familiären Sozialisation wird hier also der größte Einfluss auf die Angstentstehung und entsprechender Bewältigungsmodi eingeräumt, dennoch kann dieses Modell auch Anhaltspunk­te für Erzieher und Lehrer bieten, die insbesondere im Grundschulalter zu einer wichtige Be­zugsperson neben dem Elternhaus werden. Auch auf sie lässt sich die zentrale These Krohnes übertragen, denn Ausgangpunkt ist die Hypothese, dass sich Ängstlichkeit und dispositionelle Modi der Angstbewältigung auf der Basis einer länger erstreckten Konfrontation mit den glei­chen Ereignissen entwickeln, die auch als kurzfristig auftretende zur Auslösung von Angst und Bewältigungsakten führen (Krohne & Hock 1994, S. 51).

Im Sinne des Konzepts reziproker Interaktion stellt das jeweils aktuelle Verhalten des Kindes und die daraus resultierenden Konsequenzen auch Bedingungen für das weitere Erziehungsver­halten und damit auch für die weitere Entwicklung (Verfestigung oder Veränderung) von Dis­positionen beim Kind dar. Zur Veranschaulichung dieses Zusammenspiels aktueller und habitu­eller Faktoren eignet sich folgende Abbildung, die eine Beziehung zwischen elterlicher Erzie­hung, aktuellem Erleben und Verhalten des Kindes und der Ausbildung von Persönlichkeits­merkmalen beim Kind herstellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Beziehungen zwischen elterlicher Erziehung, aktuellem Erleben und Verhal­ten des Kindes und der Ausbildung von Persönlichkeitsmerkmalen beim Kind (Krohne &

Hock, 1994, S. 53).

Nach Krohne & Hock seien besonders drei Situationsaspekte für die Auslösung von Angst und bestimmten Bewältigungsakten verantwortlich (Krohne & Hock, 1994, S. 51):

1. Vorliegen von Gefahrenreizen (umfasst alle Aspekte, die auf eine aversive Situation hindeuten oder Teil dieser Situation sind)
2. Hohe Mehrdeutigkeit (bezieht sich auf fehlende Informationen hinsichtlich der Art und des Ausgangspunktes sowie der Dauer dieser Situation)
3. Blockierung instrumenteller Reaktionen (meint Reaktionen zur Gefahrenabwehr, ohne die eine Situation als nicht beeinflussbar erlebt wird)

Die Situationsaspekte und die sich aus ihnen ergebenden möglichen Muster von Kontrolle in Gefahrensituationen zeigen auf, wie diejenigen Erziehungsstile theoretisch bestimmt werden müssten, die beim Kind vermehrt Angst und spezifische Bewältigungshandlungen auslösen.

[...]


[1] Wenn im Folgenden durchgängig der maskuline Terminus verwendet wird, geschieht dies mit Leser­freundlichem Hintergrund, die feminine Form ist gedanklich enthalten.

[2] Eine ausführlichere Darstellung der Dimensionen von Emotionen bietet Plutchik (1980). Seine Theorie der Emotionen liefert zwar eine akzeptable Übersicht, um die Angst in einen groben Rahmen zu betten, sie muss aber durch neuere Positionen der ergänzt werden, die nicht nur den angeborenen, sondern auch erlernten Faktoren einen Einfluss auf die Entwicklung von Emotionen einräumen.

[3] Ähnlich verhält es sich mit dem Kreislauf der durch aggressives Verhalten ausgelöst wird, welches auch als Ausdruck für Hilflosigkeit und darunter liegende soziale Ängste gesehen werden kann. Aggressives Verhalten wehrt solche beängstigenden Situationen/Erfahrungen ab, so dass beispielsweise die Angst nicht geliebt zu werden durch das eigene Verhalten verstärkt wird.

[4] Furcht wird von Hülshoff als eine zielgerichtete, auf ein konkretes Objekt bezogene Angst definiert, die oft mit Ekel verwechselt wird.

[5] Erklärung der angesprochenen Lernformen bei Schermer (2006, S. 573 f., S. 507 f., S. 664 f.).

[6] Eine weitere Einteilung von Ley unterscheidet in angstauslösende Objekte oder Situationen die allge­mein nicht für angstauslösend gehalten werden, wie z.B. Fahrstühle oder Haustiere, und solche, die auch im Normalfall einen gewissen Grad von Furcht auslösen, so z.B. der Zahnarzt oder auch anstehende Ope­rationen (Ley, 1980, S.1628). Es stellt sich die Frage, zu welcher Art angstauslösender Objekte die Schu­le zu zählen ist.

Ende der Leseprobe aus 141 Seiten

Details

Titel
Risikofaktoren für die Entstehung von Schulangst in der Grundschule- Interventions- und Präventionsmöglichkeiten für Schüler, Lehrer und eltern
Hochschule
Universität Lüneburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
141
Katalognummer
V88123
ISBN (eBook)
9783638071475
Dateigröße
3173 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Risikofaktoren, Entstehung, Schulangst, Grundschule-, Interventions-, Präventionsmöglichkeiten, Schüler, Lehrer
Arbeit zitieren
Jana Wiedeking (Autor:in), 2007, Risikofaktoren für die Entstehung von Schulangst in der Grundschule- Interventions- und Präventionsmöglichkeiten für Schüler, Lehrer und eltern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88123

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