Vertrauenskonzeptionen und politische Kommunikation


Magisterarbeit, 2006

141 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Öffentlichkeit und Politische Kommunikation
1.1 Öffentlichkeit
1.1.1 Bedeutungen von Öffentlichkeit
1.1.2 Entstehungsbedingungen und Notwendigkeit von Öffentlichkeit
1.1.3 Definitionen und Merkmale politischer Öffentlichkeit
1.1.4 Funktionen von Öffentlichkeit
1.2 Konzeptionen von Öffentlichkeit
1.2.1 Das normative Modell von Öffentlichkeit
1.2.1.1 Merkmale von Öffentlichkeit
1.2.1.2 Funktionen von Öffentlichkeit
1.2.1.3 Beschränkungen und Erweiterungen des Modells
1.2.1.4 Theoretische Konsequenzen
1.2.2 Politische Öffentlichkeit als Verbindung von System- und Akteurstheorie
1.2.2.1 Die Verbindung von System- und Akteurstheorie
1.2.2.2 Öffentlichkeit als Teilsystem moderner Gesellschaften
1.2.2.3 Grundmerkmale und Ebenen von Öffentlichkeit
1.2.2.4 Funktion der Massenmedien
1.2.2.5 Politik als Teilsystem der Gesellschaft
1.2.2.6 Notwendigkeit politischer Kommunikation
1.2.3 Die Öffentlichkeit der Public Relations
1.3 Politische Kommunikation
1.3.1 Begriff und Gegenstand politischer Kommunikation
1.3.2 Kommunikation als zentraler Mechanismus von Politik
1.3.3 Funktionen politischer Kommunikation in demokratischen Informationsgesellschaften
1.3.4 Politische Öffentlichkeitsarbeit

2. Die Rolle des Journalismus
2.1 Das Verhältnis von Politik und Journalismus
2.1.1 Dependenzthese versus Instrumentalisierungsthese
2.1.2 Funktionaler und kausaler Erklärungsansatz
2.1.3 Das Input-Output-Modell
2.1.4 Wahlen und politisches Marketing
2.2 Das Verhältnis von Journalismus und Public Relations
2.2.1 Die Determinationsthese
2.2.2 Das Vier-Akteurs-Modell
2.2.3 Das Intereffikationsmodell
2.2.3.1 Ziele
2.2.3.2 Ausgangspunkt
2.2.3.3 Darstellung des Modells
2.2.3.3.1 Induktionen
2.2.3.3.2 Adaptionen
2.2.3.3.3 Sach-, Zeit- und psychisch-soziale Dimensionen
2.2.3.4 Diskussion des Intereffikationsmodells
2.2.3.5 Erweiterung des Modells
2.2.4 Intereffikation in der Aufmerksamkeits-Ökonomie
2.3 Politik - Public Relations - Journalismus

3. Konzeptionen von Vertrauen
3.1 Vertrauen in der Soziologie
3.1.1 James S. Coleman: Vertrauen und Rationales Handeln
3.1.2 Diego Gambetta: Vertrauen und kooperatives Handeln
3.1.3 Zusammenfassung der Ansätze von Coleman und Gambetta
3.1.4 Anthony Giddens: Vertrauen in Expertensysteme
3.1.5 Niklas Luhmann: Systemvertrauen
3.1.6 Piotr Sztompka: Vertrauen und Vertrauenskultur
3.1.7 Charakteristika soziologischer Vertrauenskonzeptionen
3.2 Vertrauen in der Politikwissenschaft
3.2.1 Politisches Vertrauen als implizites Vertrauen
3.2.2 Kantisches horizontales und vertikales Vertrauen
3.2.2.1 Vertrauen zwischen Bürgern (horizontales Vertrauen)
3.2.2.2 Vertrauen zwischen Bürgern und den Trägern staatlicher Herrschaft (vertikales Vertrauen)
3.2.2.3 Vertrauen zwischen Staaten
3.2.3 Hegel: Vertrauen und Misstrauen, Personenvertrauen und politisches Systemvertrauen
3.2.4 Zintl: Dimensionen politischen Vertrauens
3.2.5 Die „Stufentheorie“ des Vertrauens
3.2.5.1 Vertrauen auf Personen - Vertrauen auf Institutionen
3.2.5.2 Symbole und Symbolisches Handeln
3.2.5.3 Die „Stufentheorie“
3.2.6 Vertrauensbildung in Mehrebenensystemen
3.3 Vertrauen in der Kommunikationswissenschaft
3.3.1 Glaubwürdigkeit und Medienglaubwürdigkeit
3.3.2 Die Theorie Öffentlichen Vertrauens
3.3.2.1 Definition und Prozess öffentlichen Vertrauens
3.3.2.2 Vier Typen öffentlichen Vertrauens
3.3.2.3 Vertrauensfaktoren und Vertrauensmechanismen
3.3.2.4 Kommunikative Diskrepanzen
3.3.3 Vertrauen in die Public Relations

4. Zusammenführende Überlegungen zu Vertrauen und Politischer Kommunikation - Resümee

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

„Ebenso klar muss auch sein, dass dort, wo Vertrauen nicht mehr vorhanden ist, öffentlich nicht so getan werden darf, als gäbe es dieses Vertrauend Gerhard Schröder

Mit diesem Satz, den Bundeskanzler Gerhard Schröder am 1.7.2005 in seiner [1] Rede zur Vertrauensfrage formulierte, bekräftigte er den Eindruck, dass das öffentliche Vertrauen in die „Rot - Grüne - Regierung,, nicht mehr gegeben sei. Mit dem Stellen der Vertrauensfrage zog er die Konsequenz aus dem sinkenden Vertrauen in seine Partei und deren Parteiprogramm. Gerhard Schröder stellte sich der Frage, ob unter diesen Bedingungen die Handlungsfähigkeit für ihn und seine Politik noch gegeben sei, denn ein stetiges Vertrauen, welches nach Artikel 68 des Grundgesetzes gefordert ist, schien nicht mehr vorhanden.[2] So wurde ihm am gleichen Tag durch den Bundestag das Vertrauen entzogen. Nur 151 Abgeordnete sprachen sich für den Bundeskanzler und 296 gegen ihn aus. 148 Bundestagsabgeordnete enthielten sich der Stimme.[3]

Am 21.7.2005 löste Bundespräsident Horst Köhler den 15. Deutschen Bundestag auf und setze für den 18. September Neuwahlen an.[4] Gerhard Schröder hatte auf dieses Ergebnis spekuliert, um seine begonnenen Reformen, durch eine Legitimation seiner Politik durch die Bevölkerung, fortsetzen zu können,[5] dass dies allerdings nicht ganz gelang, zeigten die Bundestagswahlen vom 18. September 2005.

Festzustellen bleibt bei diesen Ereignisse eines: Bei der Vertrauensfrage, die Gerhard Schröder den Bundestagsabgeordneten gestellt hatte, ging es nicht nur um das Vertrauen in seine Person, sondern auch in die Regierungsfähigkeit seiner Partei bzw. der Regierungskoalition SPD - Bündnis 90 / Die Grünen. Die Frage nach Vertrauen rückte wieder in den Mittelpunkt öffentlicher Diskussionen.

Unter den heutigen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen sind die zu bewältigenden Aufgaben sehr schwierig und ohne Hilfe von politischer Kommunikation, im Besonderen politischer Öffentlichkeitsarbeit, kaum zu bewältigen. Im Vordergrund dabei steht der Aufbau von Vertrauen. Und zwar nicht nur in die Partei oder einzelne Personen, sondern auch in das demokratische System selbst.

Die Magisterarbeit beschäftigt sich nun mit der theoretischen Betrachtung der in der wissenschaftlichen Literatur zu findenden Vertrauenskonzeptionen. Dabei findet, insbesondere die politische Öffentlichkeitsarbeit spezielle Beachtung.

Es soll demnach geklärt werden, welche Konzepte über Vertrauen sowie Glaubwürdigkeit es in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung gibt sowie welche Erklärungskraft sie, bei der Frage „Was mit Hilfe Politischer Kommunikation getan werden kann, um Vertrauen zu generieren ?“, besitzen.

Im ersten Teil der Ausarbeitung stehen theoretische Grundlagen im Vordergrund, um die verschiedenen Konzepte des Vertrauens systematisch einordnen zu können. Dies geschieht auf Grundlage einer umfangreichen interdisziplinären Literaturbestandsaufnahme. Dabei sollen Vertrauenskonzepte aus der PR- Forschung, solche politikwissenschaftlicher Perspektive sowie soziologische Vertrauenstheorien betrachtet werden.

Um die aufgezeigten Ansätze mit den Prozessen Politischer Kommunikation in Verbindung bringen zu können, werden im ersten Teil der Arbeit Konzeptionen von Öffentlichkeit skizziert und der Begriff der Politischen Kommunikation[6] bestimmt.

Da die politische Arbeit in besonderem Maße mit den Medien verbunden ist, soll das Verhältnis zwischen Politik und Journalismus sowie zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus näher betrachtet werden. Dies ermöglicht einen differenzierteren Blick auf die Rahmenbedingungen der politischen Öffentlichkeitsarbeit.

Im zweiten Teil der Ausarbeitungen steht die Betrachtung des Konstrukts Vertrauen, wie sie sich in den Sozialwissenschaften darstellt.

Vertrauen soll dabei in dieser Untersuchung vor allem in Form „Öffentlichen Vertrauens“ betrachtet werden. Bentele definiert diesen Begriff in Anlehnung an Luhmann als einen „ [...] kommunikativen [kommunikativer] Mechanismus zur Reduktion von Komplexität, in dem öffentliche Personen, Institutionen und das gesamte gesellschaftliche System in der Rolle des „ Vertrauensobjekts “ fungieren. Öffentliches Vertrauen ist ein medienvermittelter Prozeß, in dem die Vertrauenssubjekte zukunftsgerichtete Erwartungen haben, die stark von vergangenen Erfahrungen geprägt sind. “[7] In seiner „Theorie Öffentlichen Vertrauens“ geht er noch genauer auf die unterschiedlichen Typen öffentlichen Vertrauens sowie auf Vertrauensfaktoren und -mechanismen ein.

Auch wenn die Betrachtung der Theorien, wie sie sich in der Kommunikationswissenschaft darstellen einen zentralen Stellenwert in der Arbeit einnimmt, so werden auch soziologische Vertrauenstheorien und das Vertrauen, wie es in der Politikwissenschaft analysiert wird, betrachtet und diese miteinander verglichen, um den zweiten Teil der gestellten Frage beantworten zu können.

Innerhalb der Betrachtungen des verschiedenen Konzeptionen von Vertrauen, soll also deutlich werden, wie der Vertrauensbegriff in den jeweiligen sozialwissenschaftlichen Disziplinen definiert und verwendet wird. Es sollen die unterschiedlichen Herangehensweisen und Perspektiven erkannt werden.

Als Ergebnis der Arbeit entsteht ein Überblick über die zu findenden theoretischen Vertrauenskonzeptionen, die relevant erscheinen, mit Hilfe politischer Öffentlichkeitsarbeit bzw. innerhalb des Systems Politischer Kommunikation, Vertrauen zu generieren und aufrecht zu erhalten.

Abschließend sollen einige Fragen formuliert werden, die im Hinblick auf empirische Studien zur Untersuchung des Vertrauensaspektes in politischen Beziehungen bzw. innerhalb des politischen Systems als Ansatzpunkte dienen können.[8]

1. Öffentlichkeit und Politische Kommunikation

1.1 Öffentlichkeit

Nach Friedhelm Neidhardt ist „Moderne Öffentlichkeit [...] ein relativ frei zugängliches Kommunikationssystem, in dem „Sprecher“ mit bestimmten Thematisierungs- und Überzeugungstechniken versuchen, über die Vermittlung von „Kommunikateuren“ bei einem „Publikum“ Aufmerksamkeit und Zustimmung für bestimmte Themen und Meinungen zu finden.[9] Strukturiert wird diese Kommunikation durch politische und ökonomische Interessen der Akteure sowie durch die Unterhaltungs- und Orientierungsbedürfnisse des Publikums. Allerdings reicht diese, doch recht allgemein gehaltene, erste Begriffsbestimmung nicht aus, um zu klären, wie politische Öffentlichkeit die ihr zugeschriebenen Transparenz-, Validierungs- und Orientierungsfunktionen erfüllen und dabei „Öffentliche Meinungen“ herstellen kann, um dann direkt oder indirekt, also über demoskopisch bestimmbare „Bevölkerungsmeinungen“, das Publikum und politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Dazu ist eine systematische Analyse des Zusammenhangs von Öffentlichkeit und Politik nötig.

1.1.1 Bedeutungen von Öffentlichkeit

Innerhalb der symbolischen[10] Struktur moderner Sozialordnungen tritt der Begriff „Öffentlichkeit“ in dreierlei Weise auf. So dient „öffentlich“ zu erst einmal als Abgrenzung und Bezeichnung von sozialen Handlungs- und Verantwortungsbereichen und zwar zusammen mit dessen Gegenbegriff „privat“. Man kann hier von institutionalisierten Handlungssphären sprechen. Als erste fundamentale Grenzziehung für moderne, liberale politische und rechtliche Ordnungen unterscheidet man öffentliche Ämter, welche mit besonderen Kompetenzen, Pflichten und Verantwortlichkeiten ausgestattet sind, von privaten Rollen. Dabei ist allerdings festzustellen, dass eine Grenzziehung nicht immer ganz eindeutig vorgenommen werden kann und daher oftmals eine breite Übergangszone zwischen privaten und öffentlichen Handlungs- und Verantwortungsbereichen gibt.

Zweitens kann man „öffentlich“ außer mit „privat“ noch mit den Gegenbegriffen „vertraulich“ und „geheim“ verbinden, was der sozialen Grenzziehung im Bereich von Kommunikation und Wissen fungiert. Als öffentlich kann demnach jedes Wissen genannt werden, dass für jedermann zu beobachten ist oder von dem jeder wissen kann. Ähnliches gilt für öffentliche Kommunikation, an der sich jeder beteiligen kann. Anders sieht es im privaten Bereich aus. Hier sind die Sachverhalte oder Aktivitäten von unbefugten Beobachtern abgeschirmt. Nicht jeder kann und darf an der Kommunikation bzw. am Wissen teilhaben. Geheimhaltung geht hier noch einen Schritt weiter und bedarf daher der besonderen Rechtfertigung, so lassen sich legitime und illegitime Geheimnisse unterscheiden. Im politischen Bereich muss besonders darauf geachtet werden, dass hier eine klare Trennung erfolgt, da moderne Auffassungen von Demokratie die Publizität aller öffentlichen Angelegenheiten verlangen.

Und schließlich ist von den beiden ersten beiden Bedeutungen von Öffentlichkeit die im emphatischen Sinn zu unterscheiden, die drittens eine Art Kollektiv mit einer bestimmten Kommunikationsstruktur darstellt, in der sich eine „öffentliche Meinung“ bilden kann.

1.1.2 Entstehungsbedingungen und Notwendigkeit von Öffentlichkeit

Um die Struktur von Öffentlichkeit[11] und dessen gesellschaftliche Funktionen nachvollziehen zu können, ist die Betrachtung der Entwicklung moderner Gesellschaften im Zusammenhang mit der Sonderstellung des politischen Systems unabdingbar, da beide eng miteinander verbunden sind.

Moderne Gesellschaften kennzeichnen sich vor allem durch funktionale Differenzierung in verschiedenartige Teilsysteme, welche jeweils andere Sinnorientierungen und Strukturen aufweisen. Dabei sind sie auf verschiedene Bezugsprobleme der Gesellschaft spezialisiert und erfüllen somit spezifische gesellschaftliche Funktionen. Diese Teilsysteme, wie es Politik eines ist, sind dahingehend autonom, dass sich die Handlungen im System vorwiegend an den systemischen Kriterien des jeweiligen Systems orientiert und nicht an der Rationalität eines anderen. So können in einigen Teilsystemen eigene Codes, als innere Struktur, oder Organisationen mit spezifischen Rollen herausgebildet werden. Die Leistungssteigerung moderner Gesellschaften kann auf diese Ausdifferenzierung spezifischer Sinnsysteme und die Institutionalisierung von Expertenrollen in den Teilsystemen zurück geführt werden.

Dem politischen System kommt hier eine besondere Stellung innerhalb einer funktional differenzierten Gesellschaft zu. Es erfordert eine besondere Klientel ori enti erung, die die Eigendynamik der Leistungsrollen mit der gesellschaftlichen Nachfrage des Publikums verbindet. Die Ausdifferenzierung politischer Öffentlichkeit und deren Funktion ist also nur im Zusammenhang mit dieser Sonderstellung des Systems Politik und dessen spezifischen Bürgerbezug zu verstehen. Als Funktion des politischen Systems, im Rahmen der Gesamtgesellschaft, wird in der sozialwissenschaftlichen Literatur zumeist die Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen genannt.

Gerhards und Neidhardt gehen in ihrer Konzeption von politischer Öffentlichkeit dazu von einer doppelten Sonderstellung des politischen Systems innerhalb einer funktional differenzierten Gesellschaft aus. Politik fungiert demnach als Problemadressat (Probleminput), als auch als Problemlösungssystem (Lösungs­output). Sie ist für alle Probleme zuständig, die von anderen Teilsysteme nicht gelöst werden können und durch diese entsprechend herangetragen werden. Um die Aufgabe als Problemadressat lösen zu können, braucht Politik besondere Zugriffsrechte auf alle anderen Teilsysteme, die dieses Steuerungsrecht nicht haben. Diese Monopolisierung legitimer Gewalt in der Hand des Staates ermöglicht es, die Rahmenbedingungen der anderen Systeme, primär durch Entscheidungen, die verbindlich durchsetzbar sind, zu schaffen.

Es stellt sich hier die Frage, wie das politische System selbst kontrolliert werden kann? Dies soll durch Bindung der Entscheidungsträger an die Meinungen und Wünsche der Bürger sichergestellt werden, also durch Demokratie. So müssen also die Interessen der Bevölkerung von der Politik wahrgenommen, operationalisiert und mit Hilfe allgemein verbindlicher Entscheidungen durchgesetzt werden. In dieser gesamtgesellschaftlich zentralen Rückkopplungs­schleife bekommt ein ausdifferenziertes Kommunikationssystem Öffentlichkeit seine intermediäre Funktion. Es hat hier die Aufgabe Informationen, Meinungen und Interessen aufzunehmen, zu verarbeiten und zu artikulieren. ··

1.1.3 Definition und Merkmale politischer Öffentlichkeit

„Vom politischen System aus gesehen stellt Öffentlichkeit [12] den Bereich dar, in dem sich die Parteien und Interessengruppen präsentieren, für sich werben und den Bürger von sich überzeugen müssen. Umgekehrt brauchen sie zur wahlwirksamen Ausrichtung ihrer Entscheidungen und Programme Informationen über Themen und Meinungen, die sich in der Öffentlichkeit konstituieren und als öffentliche Meinungen ihren Ausdruck finden.“[13]

Dem folgend kann Öffentlichkeit als System angesehen werden, in dem die Agenda des politischen Systems mit definiert wird. Es können Themen gesetzt und Meinungen gebildet werden. Besonders deutlich wird dies zu Wahlen, bei denen die Interessen der Bürger im Wahlakt artikuliert werden. Mit Hilfe dieser allgemein gleichen und freien Wahl werden befristete Herrschaftschancen verteilt und so die Bindung des politischen Systems an die Interessen der Bürger[14] gewährleistet. Dennoch muss hier eingeräumt werden, dass ohne ein System Öffentlichkeit die Vermittlung von Themen, Interessen und Meinungen nur begrenzt möglich ist, da sich Wahlpräferenzen im Bereich der Öffentlichkeit bilden, auch wenn der Wahlakt selbst ein nicht öffentlicher ist. Der Wahlakt kann also nur als Vermittlung von komplexen Interessenbündeln betrachtet werden.

Der Öffentlichkeit wird eine besondere Funktion zugeschrieben: Sie nutzt die substantielle Offenheit des politischen Systems bezüglich der Themen und Probleme, die bearbeitet werden sollen, zugunsten bestimmter Präferenzen. Verschiedene Öffentlichkeitsakteure versuchen hier ihre Themen und Meinungen einzubringen und als verallgemeinerbare Meinungen zu bestätigen bzw. durchzusetzen. Auf diese Weise entsteht ein vielfältig differenziertes Feld von Themen und Meinungen zu diesen Themen.

Politische Öffentlichkeit soll demnach als vermittelndes Medium zwischen Gesellschaft und Politik fungieren, dass nach beiden Seiten Orientierung und Kontrolle gewährleistet. Dies ist möglich, da die öffentlichen Themen- und Meinungsbildungsprozesse auf die individuellen Präferenzen der Wähler zurückwirken, die dann ihre Wahl danach ausrichten und entsprechend die Besetzung von Regierung und Opposition bestimmen. Eine solche funktionierende Rückkopplung trägt zur Demokratisierung der Herrschaftsverhältnisse bei und ermöglicht die Legitimation von Politik.

1.1.4 Funktionen von Öffentlichkeit

Aus Sicht der Öffentlichkeitssoziologie[15] gehört Öffentlichkeit zur verfassungsrechtlich gesicherten Grundausstattung von Demokratien, aus der sich die politischen Funktionen des Begriffs ableiten. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass Öffentlichkeit normativ aufgeladen ist und deshalb die Ansprüche an sie, die Teil öffentlicher Meinungsbildung sind, auch eine Wirkung auf die Öffentlichkeit selbst haben.

In welchem Umfang Öffentlichkeit nun Demokratiefunktionen tatsächlich erfüllt, kann nur geklärt werden, wenn die Bedingungen, die für dessen Leistungsfähigkeit wichtig sind, empirisch geprüft werden. Diese werden aus einem Öffentlichkeitsmodell abgeleitet, das durch zwei Grundannahmen bestimmt wird:

1. Öffentlichkeit stellt ein intermediäres System dar, das zwischen dem politischen System einerseits und den Bürgern sowie den Ansprüchen anderer Teilsysteme der Gesellschaft vermittelt.
2. Öffentlichkeit wird als ein Kommunikationssystem gesehen, das eine bestimmte Art von Wissen produziert, die öffentlichen Meinungen.

Öffentliche Meinung[16]

Unter „öffentlicher“ Meinung wird eine Meinung verstanden, die in öffentlichen Kommunikationen mit breiter Zustimmung rechnen kann, eine Meinung, die sich in den Arenen öffentlicher Meinungsbildung durchgesetzt hat und insofern „herrschende“ Meinung darstellt.“[17]

Als kollektive Größe ist „öffentliche“ Meinung allerdings von der Bevölkerungsmeinung zu unterscheiden, die durch Meinungsforschungsinstitute über Personenbefragungen als statistisches Aggregat individueller Meinungen ermittelt wird. Diese ist nicht öffentlich und somit in öffentlichen Kontexten nicht kommunizierbar, wie es die öffentliche Meinung aufweist, die zudem hier mit öffentlicher Zustimmung rechnen kann.[18]

Um die Leistungsfähigkeit von Öffentlichkeit überprüfbar zu machen, sieht Amitai Etzioni Öffentlichkeit, ganz im Sinne der Theorie „kybernetischer Fähigkeiten“, als ein Kommunikationssystem, welches Themen und Meinungen sammelt, diese verarbeitet und weitergibt. Aus diesen drei Prozeßstufen (a) Input, (b) Throughput und (c) Output lassen sich normative Ansprüche mit den drei nachfolgenden Prinzipien und Funktionen politischer Öffentlichkeit in Verbindung bringen.[19]

Transparenzfunktion[20]

Öffentlichkeit besitzt Transparenzfunktion, wenn das Prinzip der Offenheit erfüllt wird. Das bedeutet, dass Öffentlichkeit für alle gesellschaftlichen Gruppen und alle Themen und Meinungen, die kollektive Bedeutung besitzen, offen sein muss.

Validierungsfunktion [21]

Wird das Prinzip der Diskursivität beachtet, kann öffentliche Kommunikation die Validierungsfunktion leisten. Die Akteure der Öffentlichkeit sollen also mit den Themen und Meinungen der an der Kommunikation Beteiligten diskursiv umgehen und bereit sein, den eigenen Standpunkt im Meinungsbildungsprozess zu überdenken und gegebenenfalls zu revidieren.

Orientierungsfunktion [22]

Politisch wirksame Orientierungsfunktion wird in einer Demokratie durch Öffentlichkeit erreicht, wenn öffentliche Kommunikation „öffentliche Meinungen“ erzeugt, die vom Publikum als überzeugend wahr- und angenommen werden.

1.2 Konzeptionen von Öffentlichkeit

Dieses kurz vorgestellte dreistufige[23] normative Modell, wie es Etzioni konzipiert, ist allerdings längst nicht das einzige theoretische Programm, das in der Öffentlichkeitssoziologie erörtert wird. Die anspruchsvolleren Modelle von Niklas Luhmann und Jürgen Habermas dominieren die gegenwärtige wissenschaftliche Diskussion.

Das „Spiegelmodell“ von Öffentlichkeit, das von Niklas Luhmann skizziert wird, versucht Jürgen Gerhards dabei dahingehend weiterzuführen, dass eine Vermittlung zwischen system- und akteurstheoretischer Positionen möglich wird. Normativ noch anspruchsvoller ist das „Diskursmodell“ öffentlicher Meinungsbildung von Jürgen Habermas. Um die heuristische Leistungsfähigkeit dieses Modells zu verbessern, expliziert Bernhard Peters die normativen Elemente und prüft die strukturellen Einschränkungen ihrer empirischen Geltung.

Das Diskursmodell enthält, entsprechend den Ausführungen der genannten Wissenschaftler, die Grundannahmen des Spiegelmodells und geht noch darüber hinaus.

Im Folgenden sollen die beiden Modelle mit ihren jeweiligen Erweiterungen kurz dargestellt werden, um ein tiefgründiges Verständnis von Öffentlichkeit und deren Funktionen zu erhalten.

1.2.1 Das normative Modell von Öffentlichkeit

1.2.1.1 Merkmale von Öffentlichkeit

Hier wird Öffentlichkeit [24] im emphatischen Sinn, durch die Kommunikation des „Publikums“, also der Akteure, die sich außerhalb des Privaten über Themen[25] von allgemeinem Interesse verständigen, verstanden.

Das Publikum bezeichnet im Rahmen der politischen Theorie eine politische Öffentlichkeit von Staatsbürgern, die auch als eine internationale Öffentlichkeit in Erscheinung treten kann, die dann als solche neben die Pluralität nationaler Öffentlichkeiten tritt.

Wie eben schon angedeutet, sind Angelegenheiten von kollektivem Interesse, die zumeist schon einer politischen Regelung unterliegen, Gegenstand der Kommunikationsformen im emphatischen Sinn von Öffentlichkeit. Praktische Fragen des kollektiven Zusammenlebens sind demnach Inhalt öffentlicher Diskurse, bei denen die Akteure aber auch die Gelegenheit bekommen sollen, ihre eigenen privaten Interessen und Ansprüche zu reflektieren bzw. zu revidieren. So sollen Meinungen gebildet und Motive geprägt werden, die zur kollektiven Willensbildung beitragen.

Die drei folgenden Merkmalsgruppen des normativen Modells von Öffentlichkeit betreffen die besonderen Qualitäten der den öffentlichen Raum aufspannenden Kommunikationsformen.

1. Gleichheit und Reziprozität der kommunikativen Beziehungen
2. Die prinzipielle Offenheit für Themen und Beiträge sowie eine adäquate Kapazität für ihre Verarbeitung
3. Die diskursive Struktur von Kommunikationen Gleichheit und Reziprozität[26]

Öffentlichkeit soll Gleichheit und Reziprozität aufweisen, was bedeutet, dass die Beteiligung an der öffentlichen Kommunikation im Prinzip jedermann offen steht, der die Bereitschaft und Fähigkeiten dazu aufweist. Allerdings sollen dabei die Möglichkeiten zuzuhören und sich ein privates Urteil zu bilden sowie sich in der Öffentlichkeit zu äußern bzw. Gehör zu finden unter den Hörer- und Sprecherrollen gleich verteilt sein. Herkunft, Status, Vermögen, Ämter und Bildungsniveau beeinflussen die faktischen Teilnahmechancen an der öffentlichen Kommunikation. Diese Einflüsse sollten aber gemäß des Kriteriums Gleichheit und Reziprozität möglichst neutralisiert werden.

Offenheit und adäquate Kapazität[27]

Da Themen von allgemeinem Interesse behandelt werden sollen, gilt als weitere Grundbedingung im normativen Modell von Öffentlichkeit eine generelle Offenheit für Themen und Beiträge. So sollen also von vornherein keine Themen, ausgeschlossen werden. Deren Relevanz wird dann erst in der öffentlichen Diskussion selbst festgelegt. Damit dies geschehen kann, ist eine adäquate Kompetenz und Verarbeitungskapazität der öffentlichen Sphäre vorausgesetzt.

Diskursive Struktur[28]

Im normativen Modell von Öffentlichkeit sollen Kommunikationsabläufe eine diskursive Struktur haben, das heißt, dass die Debatten mit Argumenten geführt werden, die eine kollektive Akzeptanz aufweisen, welche auf geteilten, zwanglos erzielten Überzeugungen beruhen. Um Kritik und deren Entkräftung jederzeit möglich zu machen, ist gegenseitige Achtung der Kommunikationspartner Voraussetzung. Dies spezifiziert die Bedingung der Gleichheit.

1.2.1.2 Funktionen von Öffentlichkeit

Öffentliche Kommunikation, die die[29] genannten Merkmale aufweist, soll zu reflektierten Überzeugungen und Urteilen des Publikums im Hinblick auf relevante kollektive Probleme führen. Dies kann insbesondere nur durch öffentlichen Diskurs erreicht werden, unabhängig davon ob sich „wahre“ öffentliche Meinungen oder bloße Meinungen einstellen, die im Gegensatz zum „Wissen“ stehen.

Die Konzeption von Öffentlichkeit soll das Problem der Demokratietheorie lösen, welches mit der Frage umschrieben werden kann, wie in einer Demokratie zu gewährleisten ist, dass es zu einer Einigung auf freiwillige und vernünftige Entscheidungen kommt. Und das ist eben nur durch diskursive Prozesse in der Öffentlichkeit möglich, die auf kollektive Probleme der Meinungs- und Willensbildung bezogen sind. Öffentlichkeit hat also die Funktion, den beteiligten Akteuren Informationen verfügbar zu machen, mit deren Hilfe diese ihre Strategien und Wahlentscheidungen optimieren können. In einem diskursiven Modell, wie dem des normativen Modells von Öffentlichkeit, geht es darüber hinaus um eine Reflexion vorgegebener Interessendefinitionen, um eine mögliche Transformation und Weiterentwicklung, um die Definition kollektiver bzw. allgemeiner Interessen und Aspirationen sowie um normative Prinzipien und Regeln.

Da der Begriff Öffentlichkeit wie er in diesem Modell benutzt wird, also im emphatischen Sinn, eher als antiinstitutionell begriffen wird, stellt sich die Frage, wie Öffentliche Meinungs- und Willensbildung in institutionalisierte Beschlußfassung integriert werden kann, da die Transformationsmechanismen nicht ganz klar zu erfassen sind. Diese Eigenschaften von Öffentlichkeit implizieren eine Außenposition, von der aus über politische Entscheidungen geurteilt wird, dies wird auch bei der historischen Betrachtung des Begriffs „öffentliche Meinung“ deutlich.[30]

1.2.1.3 Beschränkungen und Erweiterung des Modells

Das vorgestellte normative Modell von Öffentlichkeit[31] muss als idealtypisch angesehen werden.

Peters betrachtet Öffentlichkeit im normativen Sinn nun als variables Element der Realität heutiger Gesellschaften. Um zu analysieren, welche Beschränkungen der Realisierung und Realisierbarkeit des normativen Modells bestehen, gibt er diesem eine heuristische Funktion. So kann geprüft werden, wie sich reale Kommunikationsbedingungen zu diesem normativen Modell von Öffentlichkeit als Idealmodell verhalten.

Gleichheit und Reziprozität [32]

Es ergeben sich erste Schwierigkeiten, das idealtypische normative Modell der Öffentlichkeit umzusetzen. Während in Dialogen oder kleinen Gruppen Gleichheit und Reziprozität noch gewährleistet werden können, ist dies in größeren Versammlungen und Veranstaltungen schon schwieriger, hier bilden sich spezielle Rollenverteilungen mit einer Minderheit von Diskutanten und einer Mehrheit von Zuhörern. Besonders die ständige Entwicklung der technischen Möglichkeiten von Kommunikation, die es einer immer größeren Anzahl von Akteuren ermöglicht an der öffentlichen Kommunikation aktiv teilzunehmen erzwingt eine Asymmetrie von Sprecher- und Hörerrollen.

Für große Öffentlichkeiten muss das Prinzip der Gleichheit also revidiert bzw. modifiziert werden.

Ungleichheiten und Asymmetrien in Kommunikationsverhältnissen [33]

Neben der extremsten Form der Ungleichheit, dem Ausschluss von Kommunikationsbeziehungen, sind drei verschiedene Grundformen von Ungleichheiten voneinander unterscheiden: Ungleichheiten der Sichtbarkeit, des Einflusses und asymmetrische Wissensvoraussetzungen sind variable bzw. graduierbare Asymmetrien.

Die erste Grundform ist am einfachsten zu erkennen und betrifft den Fakt, dass hinter den Sprechern, die mehr Aufmerksamkeit und Raum in der öffentlichen

Sphäre erhalten, meist weniger sichtbare oder unsichtbare Akteure stehen, die dennoch den Zutritt zur Öffentlichkeit, z.B. durch die Kontrolle der Massenmedien, beeinflussen.

Die zweite Asymmetrie, die des Einflusses, ist dagegen schon schwieriger zu erkennen. Die Akzeptanz von Aussagen, die eher auf Wahrnehmungen der Person oder des Status des Sprechers gegründet ist, obwohl die Überzeugungskraft der vorgetragenen Argumente bevorzugt gewürdigt werden sollten. Habermas expliziert den Begriff des Einflusses ganz ähnlich und bemerkt, dass er sich ganz wesentlich auf einen Vorschuß von Vertrauen stützt.[34] Persönliche Glaubwürdigkeit des jeweiligen Sprechers, die vor allem durch Kompetenzzuschreibungen wie Sachkompetenz, Autorität, moralische oder intellektuelle Führerschaft und persönliches Charisma in Erscheinung tritt, hat demnach auch Einfluss auf Akzeptanz seiner Äußerungen.

Im dritten Fall, der unterschiedlichen Wissensvoraussetzungen, bleibt die im normativen Modell der Öffentlichkeit geforderte Reziprozität von Kommunikationschancen solange gewahrt, bis die normal auftretenden Unterschiede zu strukturellen Asymmetrien der Wissensverteilung werden. Denkbar ist dies erstens bei Informationsmonopolen, die von den Teilnehmern, die über dauerhafte Informationsvorsprünge verfügen, zur strategischen Meinungsbeeinflussung eingesetzt werden. Meist betrifft das bestimmte Themengebiete, deren Informationen von anderen Kommunikationsteilnehmern nicht unmittelbar nachgeprüft werden können und deshalb zumeist so hingenommen werden müssen.

Um eine zweite Möglichkeit der strukturellen Asymmetrien des Wissens handelt es sich beim Monopol an spezialisiertem Wissen, dessen Kenntnis besondere Fähigkeiten verlangt. Trotz Veröffentlichung ist es dem Laien nicht ohne weiteres zugänglich. Er muss sich auf die Ausführungen von Spezialisten verlassen bzw. deren Aussagen vertrauen können.

Zu bemerken ist, dass die genannten Asymmetrien häufig kombiniert auftreten und interne Zusammenhänge zu beobachten sind.

Einflüsse der gesellschaftlichen Umwelt von Öffentlichkeit [35]

Zu den Einflüssen der gesellschaftlichen Umwelt von Öffentlichkeit gehören soziale Stratifikations- und politische Machtstrukturen sowie die gesellschaftliche Verteilung des Wissens.

So ist davon auszugehen, dass unterschiedliche Positionen im gesellschaftlichen Leben zu ungleichen öffentlichen Einflüssen führen. Besonders politische und ökonomische Vorteile können als Machtmittel angesehen werden.

Politische Macht kann Vorzüge für die „Öffentlichkeitsarbeit“ bieten, denn staatliche Organisationen verfügen über weite Informationsmonopole, die unter bestimmten Bedingungen auch zur Beeinflussung der Öffentlichkeit eingesetzt werden können. Ähnlich sieht es bei der Begleitung öffentlicher Ämter aus, deren Inhaber eine erhöhte Aufmerksamkeit genießen, sie sind als Nachrichtenproduzenten beliebte Nachrichtenlieferanten.

Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen machen. So verschaffen hohe Statuspositionen, Autoritätsfunktionen oder Repräsentantenrollen auch in der Wirtschaft, in Vereinen oder anderen sozialen Bewegungen Aufmerksamkeitsvorteile. Dabei kommen ökonomische, politische und organisatorische Ressourcen zum Einsatz, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen. Je ungehinderter dies geschieht, desto schwieriger wird es, die Forderung nach gleichen Kommunikationschancen zu erfüllen. Verschiedene rechtliche Regulierungen, wie beispielsweise Mediengesetze, müssen helfen, die Einflüsse so gering wie möglich zu halten.

Die unterschiedliche Verteilung des Wissens hat ebenfalls einen beachtlichen Einfluss auf die öffentliche Kommunikation und die Gleichheitsbedingungen. Vor allem durch die fortschreitende Spezialisierung des Wissens, werden besondere Kenntnisse und Kompetenzen von Nöten, die nicht von jedem Kommunikationsteilnehmer gefordert werden können, da dies, wenn auch der demokratischen Gleichheit entgegenkommend, kaum zu erreichen ist. Das Publikum muss sich daher zumeist auf die Urteile und Empfehlungen von Experten verlassen, wobei es sich hauptsächlich auf die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Expertenurteile stützt.

Es geht also nicht nur um die bloße Verteilung des Wissens aus quantitativer Sicht, sondern auch um unterschiedliche Formen des Wissens und den Umgang damit. So müssen oft erst Spezialsprachen erworben werden, um an bestimmten Diskursen teilnehmen zu können, was die Übertragung von Spezialthemen in die öffentliche Debatte erschwert.

Interne Differenzierungen der öffentlichen Sphäre[36]

Auch innerhalb der öffentlichen Sphäre lassen sich Strukturbildungen ausmachen, die negative Auswirkungen auf die Gleichheitsforderung haben. Dazu gehören Formen der Stratifikation und Differenzierung des Publikums sowie um die Herausbildung eines sozialen Systems von Massenmedien mit speziellen Rollen und Funktionen.

Von einem einheitlichen Publikum kann in der Realität nicht ausgegangen werden, vielmehr bilden sich in der Öffentlichkeit, je nach Themen und Meinungen, mehrere Teilöffentlichkeiten. Auch wenn nur ein Teil der Beiträge eine größere Öffentlichkeit erreicht, so ermöglicht diese Struktur ein höheres Maß an aktiver Partizipation. Dennoch besteht hier die Gefahr einer horizontalen Differenzierung in immer mehr spezialisierte Interessengruppen, die von bestimmten Stratifikationsmustern des Publikums überlagert wird. So unterscheiden sich die Mitglieder im Hinblick auf Kompetenz, Engagement, Interesse und den Grad ihrer Aktivität innerhalb öffentlicher Debatten, was zur Herausbildung spezialisierter Kommunikationsrollen führt, welche besondere Sichtbarkeit und Einfluß besitzen können. Als die wichtigsten Typen sind Repräsentanten, Experten, Advokaten und öffentliche Intellektuelle zu nennen. Innerhalb der öffentlichen Sphäre bildet der Bereich der Massenmedien ein spezialisiertes Teilsystem mit eigenen komplexen Strukturen, welches vielschichtige Funktions- und Rollendifferenzierungen aufweist. Als eine der wichtigsten Funktionen ist die journalistische zu nennen, die die Berichterstattung und die Beteiligung an der öffentlichen Auseinandersetzung gewährleisten soll. Hier ergibt sich, durch die Produktion von Beiträgen und die Aufnahme bzw. Anpassung, von Beiträge der Akteure außerhalb des Mediensystems, nach den Kommunikationsbedingungen der Massenmedien, eine Doppelrolle der Einrichtungen der Massenkommunikationen. Es ist also neben der ökonomischen Funktion des Verlegers noch die Rolle des „Veranstalters“ bzw. „gatekeepers“ zu finden, der sich noch einmal vom Journalisten im engeren Sinn unterscheiden lässt. Dabei entscheiden Gatekeeper über die Beschaffung, Bearbeitung und Darstellung extern produzierter Beiträge und begleiten somit eine Art Sortierfunktion. Diese wird von Kriterien bestimmt, welche die Auswahl von Themen und Beiträgen mit bestimmten Merkmalen steuert, so dass sie die Gleichheit von Kommunikationschancen beeinflußt.

Weitere strukturelle Asymmetrien der Kommunikation hängen eng mit der Unterscheidung von Journalisten in Teilrollen, z.B. Chronisten, Kommentatoren und Reporter, zusammen. Hier spielt die Vertrauenswürdigkeit der

Berichterstattung eine entscheidende Rolle, denn der Rezipient muss sich auf die Berichte verlassen, da er ihre Korrektheit und Angemessenheit nicht selbst überprüfen kann.

Deutlich wird, dass die modernen Massenmedien nicht ohne spezialisierte Kommunikationsrollen denkbar sind. Neben dieser Bedingung macht der Umstand der asymmetrischen Wissensverteilung eine Revision des Gleichheitsprinzips nötig.

Die Forderung nach gleichem Gehör kann beispielsweise in eine Chancengleichheit der Konkurrenz um Redezeit und Aufmerksamkeit umgewandelt werden. Diese Betrachtung führt meist zu pluralistischen Repräsentationsmodellen in denen ebenfalls deutlich wird, dass es in der Öffentlichkeit auch um unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven geht, die allerdings alle eine Artikulationschance haben sollten.

Durch bestimmte Kontrollmechanismen können die beschriebenen Beschränkungen und Voraussetzungen der öffentlichen Sphäre in Einklang mit den Forderungen der Gleichheit und Reziprozität gebracht werden. Dazu gehören unter anderem wechselseitige Kontrolle unter Experten oder Journalisten[37], institutionelle bzw. rechtliche Vorkehrungen und die Teilspezialisierung des Publikums. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle die Wichtigkeit sozialen Vertrauens, ohne das Kommunikation unter den genannten Bedingungen nicht möglich scheint. Fehlt es, schrumpft die öffentliche Sphäre erheblich.

Offenheit und adäquate Kapazität[38]

Die zweite schon erwähnte Grundforderung des normativen Modells der Öffentlichkeit ist die generelle Offenheit für Themen und Beiträge. Diese Bedingung unterstellt, dass die Öffentlichkeit fähig ist, die wichtigsten Probleme zu identifizieren und die nötigen Kapazitäten bereit zu stellen, um die relevanten Themen angemessen zu behandeln. Allerdings sind Kompetenz und Aufmerksamkeit nicht unendlich vorhanden und hier ist die erste Beschränkung zu finden. So stehen z.B. politische Angelegenheiten in Konkurrenz zu anderen möglichen Beschäftigungen, die die Freizeit des Publikums einnehmen. Es wird demnach notwendig aus der Fülle von Angeboten zu selektieren, zumal der Gegenstandsbereich öffentlicher Kommunikation weiter wächst. Und obwohl der Bildungsgrad gestiegen ist und damit wohl auch die Kompetenz des Publikums, so sind auf der anderen Seite die öffentlichen Themen immer komplexer und schwieriger zu erfassen geworden.

Um aus der großen Menge an Themen, die relevanten auszusuchen, müssen Selektionsmechanismen gefunden werden, die auch die Aufmerksamkeit auf diese lenken. In der wissenschaftlichen Literatur können zu diesem Problem Analysen der Entwicklung bzw. Konstruktion von „sozialen Problemen“, die agenda setting“ Forschung, die sich mit dem Problem der Plazierung von Themen beschäftigt, und Untersuchungen über die Verarbeitungsmechanismen im System der Massenmedien gefunden werden.

Das Postulat der Offenheit muss also unter den beschriebenen Bedingungen, der Knappheit von Aufmerksamkeit und Kompetenz, die Beschränkung des Platzes auf der öffentlichen „agenda“ und der Existenz von Selektionsmechanismen, als Merkmal des Auswahlprozesses gesehen werden. So werden dann die Themen auf die oberen Plätze der öffentlichen Debatte gesetzt, die die größte Aufmerksamkeit bzw. das größte Publikum gewinnen können. Es werden also keine bestimmten Themen systematisch unterdrückt oder benachteiligt.

Diskursive Strukturen und symbolische Verständigungs-schranken [39]

Das dritte Postulat des normativen Modells lautet, dass Öffentlichkeit im emphatischen Sinn auf diskursiver Verständigung beruht. Diese Forderung kann aber nicht immer eingehalten werden, denn auch nichtdiskursive Kommunikationsformen spielen eine Rolle in der Öffentlichkeit. Gefahr für die diskursive Kommunikation geht vor allem von expressiver Kommunikation, Verhandlungen, symbolischer Gewalt, Abschneiden von Negationsmöglichkeiten, der Fragmentierung des symbolischen Universums und pluralistischer Differenzierung aus.

Für das normative Modell der Öffentlichkeit ergibt sich daraus, dass eine Reflexion der Anwendungsbedingungen diskursiver Kommunikation nötig ist. Eine solche Konzeption müsste institutionelle Strukturen beschreiben, welche die diskursive Auseinandersetzung mit Themen und Problemen in der Öffentlichkeit fördert. Darüber hinaus ist es notwendig Regeln für den Fall eines Scheiterns eines Diskurses zu entwickeln.

1.2.1.4 Theoretische Konsequenzen

Aufgrund der erkannten Einschränkungen des[40] normativen Modells, stellt sich natürlich die Frage, ob eine so verstandene Öffentlichkeit die von ihr geforderten Beiträge für politische und soziale Innovationen und Lernprozesse sowie politische Legitimation erfüllt. Oder entspricht es eher der Wirklichkeit, Öffentlichkeit lediglich, wie es Luhmann schreibt, als Mechanismus der Selbstbeobachtung des politischen Systems zu beschreiben?

Trotz des fraglichen Beitrags ist zu beobachten, dass diese Konzeption eine wichtige Rolle in der symbolischen Verfassung moderner Gesellschaften spielt, da eben auch zu sehen ist, wie der öffentliche Argumentationsaufwand um politische Auseinandersetzungen immer umfangreicher wird.

Obwohl also deutlich geworden ist, wie das idealisierte normative Modell von Öffentlichkeit revidiert werden sollte, muss man bedenken, dass viele der genannten Beschränkungen in modernen Gesellschaften strukturell gefestigt sind. Diese Erkenntnis macht es nötig, die festgelegten normativen Merkmale um ein weiteres normatives Element zu ergänzen, welches in der komplexer werdenden

Welt immer wichtiger wird. Es handelt sich hier um den Fakt, dass eine funktionierende Öffentlichkeit Vertrauen erfordert. Vertrauen in Rollenträger und Institutionen sowie in Experten und spezialisierte Handlungssysteme wie die Massenmedien bzw. den Journalismus.

Zusammenfassend charakterisiert Neidhardt das Diskursmodell öffentlicher Meinungsbildung nach Peters so:[41] „Öffentlichkeit erfüllt ihre gesellschaftlichen und politischen Funktionen nur in dem Maße, in dem sie (A) offen ist sowohl für alle gesellschaftlichen Akteure (bzw. deren Repräsentanten) als auch deren Themen und Meinungen, (B) die diskursive Verarbeitung von Themen und Meinungen durch die Öffentlichkeitsakteure in kollektiven Lernprozessen gewährleistet und dadurch (C) „ zu begründeten, kritisch geprüften, in diesem Sinne vernünftigen gemeinsamen Einsichten, Problemlösungen und Zielsetzungen“ beiträgt, die in Gestalt „öffentlicher Meinung“ nach außen argumentativen Druck entfalten.“

1.2.2 Politische Öffentlichkeit als Verbindung von Systemtheorie und Akteurstheorie

Um die Politische Öffentlichkeit[42] näher untersuchen zu können, soll der verbindende Ansatz von Jürgen Gerhards näher betrachtet werden. Er versucht die Systemtheorie Luhmanns mit der Theorie rationalen Handelns zu verbinden, um Struktur und Funktion politischer Öffentlichkeit darzustellen. Erstens wird hier massenmediale Öffentlichkeit als ein ausdifferenziertes System beschrieben, welches als oberstes Ziel die Erhöhung von Aufmerksamkeit definiert. In einem zweiten Betrachtungsschritt wird Politik als ein System gedeutet, dass zur Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen dient und als oberstes Ziel die Besetzung von Regierungspositionen sieht. In einem dritten zusammenführenden Schritt wird schließlich politische Öffentlichkeit als ein Teil der politischen Handlungen betrachtet, die in der massenmedialen Öffentlichkeit für das politische System beobachtbar sind.

1.2.2.1 Die Verbindung von System- und Akteurstheorie

Uwe Schimank hat nach Ansicht Jürgen Gerhards den gelungensten Ansatz der Verbindung von Systemtheorie und Akteurstheorie erarbeitet.[43] Hierbei sollen vor allem die zu findenden Defizite beider paradigmatischer Ansätze aufgehoben bzw. neutralisiert werden.

Das Defizit der Systemtheorien liegt dabei darin, dass diese Gesellschaften zwar beschreiben, aber nicht erklären können. Sie beantworten also nicht die Frage, warum sich Gesellschaften und Strukturen entwickeln und wandeln. Dies wird erst möglich, wenn man handelnde Akteure systematisch einführt. Die Systemtheorie muss also durch eine Akteursperspektive ergänzt werden.

Auf der anderen Seite haben Akteurstheorien ein Makro-Beschreibungsdefizit. Sie vernachlässigen also die allgemeinen Strukturen einer Gesellschaft und deren Auswirkungen auf die Handlungen der Akteure. Daneben beschreiben sie nur sehr unzulänglich worin der substantielle Nutzen dieser Akte besteht.

Mit dem Begriff der „constraints“, die strukturelle Restriktionen der Wahlakte beschreiben, wird innerhalb der Theorie rationalen Handelns versucht die erkannten Defizite zu kompensieren und eine Verbindung zur Systemtheorie zu schaffen. Schimank macht hier den Vorschlag, die Systemtheorie und die Theorie rationalen Handelns zu integrieren, indem mit Hilfe der Systemtheorie eine bestimmte Klasse von „constraints“ als systematische Beschränkungen beschrieben werden. Genauer gesagt bedeutet dies, dass Teilsysteme, wie z.B. Politik oder Ökonomie, generalisierte Handlungsorientierungen von Akteuren sind, durch die substantielle Ziele und Mittel der Akteure extern definiert werden und somit keine freiwilligen Präferenzen darstellen. Es müssen also innerhalb der „constraints“, die durch Systeme vorgegeben sind, diejenigen Handlungen gewählt werden, die versprechen, spezifische Ziele mit dem geringsten Aufwand zu erreichen.

Kann man dieses Theorieangebot nun auch auf den Bereich der politischen Öffentlichkeit beziehen und nutzbringend machen?

1.2.2.2 Öffentlichkeit als Teilsystem moderner Gesellschaften

Innerhalb der Systemtheorie sind moderne Gesellschaften als funktional [44] differenziert beschrieben, die sich in relativ autonome Teilsysteme gliedern lassen.

Als Grundmerkmale moderner funktional differenzierter Gesellschaften gelten: „Spezialisierung auf eine Funktion, Entwicklung einer spezifischen Sinnstruktur, strukturelle Absicherung des Systems durch spezifische Leistungsrollen und deren Einbindung in Organisationen einerseits und die Ausdifferenzierung von Publikumsrollen andererseits sowie die Verknüpfung der verschiedenen Teilsysteme durch Leistungsbezüge zwischen ihnen, ,..“.[45]

Dem entsprechend, kann von Öffentlichkeit auch als einem spezifischen Teilsystem gesprochen werden, das sich vor allem an den systemeigenen Kriterien orientiert und weniger an der Rationalität anderer Systeme, obgleich es dennoch von diesen mit beeinflusst wird.

1.2.2.3 Grundmerkmale und Ebenen von Öffentlichkeit

Öffentlichkeit als Teilsystem ist ein spezifisches Kommunikationssystem,[46] das sich von anderen Sozialsystemen abgrenzt. Es ist für alle Mitglieder einer Gesellschaft offen und somit nicht mit Zugangsbedingungen wie sozialer Status oder Expertentum verbunden.

Im Teilsystem Öffentlichkeit lassen sich als historisch-systematische Typologisierung, nach den Ausdifferenzierungsprozessen, die meist als situative Ausdifferenzierung von spezifischen Kommunikationen, hier öffentlicher Kommunikation, beginnen, drei verschiedene Ebenen und Stufen von Öffentlichkeit entwickeln, die sich nach der Menge der Kommunikationsteilnehmer und dem Grad der strukturellen Verankerung unterscheiden. Sie repräsentieren somit verschiedene Schritte der Ausdifferenzierung des Systems Öffentlichkeit und zeigen dazu unterschiedliche Arten der Informationssammlung, -Verarbeitung und -Verwendung an.

„Encounters“ - einfache Interaktionssysteme [47]

Einfache Interaktionssysteme bilden sich, wenn Menschen verschiedener Herkunft zufällig aufeinander treffen und miteinander kommunizieren. Obwohl sie zumeist über eine kommunikative Kontinuität und thematische Zentrierung verfügen, sind sie doch durch Zerbrechlichkeit und relative Strukturlosigkeit charakterisiert. Diese sogenannten Encounters bilden die unterste Ebene der Öffentlichkeit, die durch die Meinungs- und Redefreiheit konstituiert wird. Sie haben eine öffentlichkeitsstiftende Rolle und eine wichtige politische Bedeutung.

Öffentliche Veranstaltungen

Öffentliche Veranstaltungen [48] stellen thematisch zentrierte Interaktionssysteme dar, die organisiert werden müssen und somit voraussetzungsvoller als bloße Encounters sind. Da das strukturbildende Merkmal das Thema ist und deshalb nur Akteure teilnehmen, die sich für dieses interessieren, kann sich hier eine homogene öffentliche Meinung bilden.

Die Versammlungsfreiheit und die Demonstrationsfreiheit sind wichtige Voraussetzung für die Durchführung öffentlicher Veranstaltungen, die ähnlich wie bei den Encounters von Meinungsführer als Testbühne für ein breiteres Publikum genutzt werden.

Massenmedienkommunikation [49]

In modernen Gesellschaften vollziehtsich Kommunikation allerdings am bedeutungsvollsten als Massenkommunikation, die sich in mehreren Punkten von den zuerst betrachteten Ebenen der Öffentlichkeit unterscheidet. Hier ist eine hoch entwickelte technische Infrastruktur Voraussetzung, damit spezialisierte Kommunikatoren eine mediale Öffentlichkeit herstellen können, um so die öffentliche Meinung breitflächig und kontinuierlich beeinflussen zu können. Es besteht eine Differenzierung zwischen Leistungs- und Publikumsrollen, welche dahingehend verändert sind, dass das Publikum größer und abstrakter ist, aber Handlungsmöglichkeiten aber eingeschränkt sind.

Ohne die Massenmedien läßt sich keine öffentliche Meinung herstellen, die vom politischen System wahrgenommen wird. Erreicht wird dies aber nur durch Pressefreiheit, die eine Pluralität der Massenmedien ermöglicht. Allerdings brauchen die Massenmedien Informationen aus den unteren beiden Ebenen, um sich an deren Themen und Meinungen zu orientieren und so ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren.

1.2.2.4 Funktion der Massenmedien

Die Massenmedien ermöglichen die [50] Selbstbeobachtung der Gesellschaft, indem sie das Beobachtungssystem darstellen, welches durch die eigene Rationalität ein selektiertes Bild der Gesellschaft zeichnet und dieses der Gesellschaft wieder zur Verfügung stellt, und zwar für alle Bürger, wodurch sie deren Teilhabe an der Gesellschaft insgesamt absichern können. So spiegelt sich in der medialen Kommunikation die Gesellschaft selbst. Die Teilsysteme, wie Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft, können sich selbst und andere Teilsysteme über die Öffentlichkeit beobachten.[51] Dieser Vorgang wird als die vorrangige Funktion von Öffentlichkeit angesehen.

Nachrichtenwerte [52]

Durch einen spezifischen Sinnzusammenhang, der als Leitorientierung für Handlungen dient, lassen sich Teilsysteme nach innen kennzeichnen und von anderen abgrenzen. In den meisten Teilsystemen, wie also auch der Öffentlichkeit, lassen sich, nach Niklas Luhmann, binäre Codes finden, die Mechanismen der Steuerung von Selektionen darstellen. Mit Aufmerksamkeit / Nicht-Aufmerksamkeit kann der zentrale binäre Code des Mediensystems ausgemacht werden. Da dieser Code, um Steuerungsfunktion haben zu können, spezifiziert werden muss, erfolgt eine Operationalisierung. Hierzu werden die Kriterien der Massenkommunikationsforschung, die Nachrichtenwerte, zu Hilfe gezogen. Systematisch kann man diese in Dimensionen unterordnen: Zeitdimension, Sozialdimension und Sachdimension.[53]

In der Zeitdimension ist als wichtigster Nachrichtenwert der Neuigkeitswert zu nennen. Nachrichten sollten nach diesem neu sein und dürfen nicht schon einmal veröffentlicht worden sein.

Innerhalb der Sozialdimension sind besonders Konflikte zwischen Akteuren und der Status des Absenders von großer Bedeutung bei der Auswahl von Nachrichten.

Die Zu- und Abnahme von Quantitäten, beispielsweise von Wählerstimmen, Aktienkursen oder Arbeitslosenzahlen, bestimmen die Auswahlkriterien der öffentlichen Kommunikation in der Sachdimension. Daneben spielt der Bezug zum Publikum eine besondere Rolle, also lokale Nähe oder der „Human-Interest“ ‘ Charakter.

Galtung und Ruge entwerfen in diesem Zusammenhang einen Katalog von zwölf Nachrichtenfaktoren[54], von denen acht als kultur-unabhängig betrachtet werden und vier als kulturabhängige Selektionsmechanismen. Zur ersten Gruppen zählen: die Frequenz, die Aufmerksamkeitsschwelle, die Eindeutigkeit, die Bedeutsamkeit, die Konsonanz, die Überraschung, die Kontinuität und die Variation. Zu den vier letzten Faktoren gehören: der Bezug auf Elite-Nationen, der Bezug auf Elite-Personen, die Personalisierung und die Negativität. [55] Insgesamt kann festgehalten werden, dass sich bei der Auswahl von Informationen an den Nachrichtenwerten orientiert wird, was letztlich bedeutet, das sich die Selektion von Nachrichten am Publikum ausrichtet und an dessen Nutzenorientierungen.

1.2.2.5 Politik als Teilsystem der Gesellschaft

Das politische System kann im Sinne der Systemtheorie[56] von Luhmann ebenfalls als funktionales Teilsystem moderner Gesellschaften betrachtet werden. Die spezielle Funktion der Politik besteht darin kollektiv verbindliche Entscheidungen herzustellen. Dies übernehmen Regierung und Parlament. Neben der Herstellung gehören auch die Formulierung und Aggregation, die durch Interessengruppen und Parteien erfüllt wird, sowie die Durchsetzung durch die politische Administration, dieser Entscheidungen dazu. Um diese Funktionen erfüllen zu können, ist allerdings eine Monopolisierung der Gewalt als strukturelle Voraussetzung von Nöten. Politische Akteure müssen also Positionen erreichen und besetzen können, um Macht ausüben zu können. Nach Luhmann kann man hier den binären Code des politischen Systems finden: Regierung / Opposition.[57] Die Handlungen der Akteure im politischen System richten sich demnach darauf, Regierungspositionen zu erlangen, da nur dadurch die Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen möglich ist. Dieser Code des politischen Systems wird mit Hilfe der durch Akteure angebotenen Themen, z.B. in Partei- und Wahlprogrammen, spezifiziert. Hier können Bürger bzw. Wähler erkennen, was die einzelne Partei oder der Politiker als erstrebenswert oder verhinderungswürdig ansieht, um so deutlich zu machen, welche Entscheidungen nach ihrer Meinung getroffen werden sollten.

Innerhalb des politischen Systems kommt es, wie in anderen Teilsystemen, zur Ausdifferenzierung von spezifischen Leistungs- und Publikumsrollen, wobei die Wähler die wichtigste und machtvollste Publikumsrolle bilden, da diese in regelmäßigen Zeitabständen mit ihrer Stimme darüber entscheiden, welche politischen Akteure die Regierung stellen. Sonst weist die Publikumsrolle eher das Merkmal der Generalisierung und Universalisierung auf, da alle Staatsbürger die Möglichkeit der Partizipation haben.

Leistungsrollen dagegen sind berufsförmig strukturiert, in Organisationen eingebunden und bilden somit die kollektiven Akteure des Teilsystems. Diese lassen sich, entlang der Funktionsbestimmung von Politik, in drei Klassen unterteilen.[58] Alle genannten kollektiven Akteure des politischen Systems sind in unterschiedlichem Maße auf die Zustimmung des Publikums angewiesen. Daraus lässt sich ihr oberstes Ziel ableiten, nämlich die Maximierung bzw. Optimierung der Wählerstimmen. Die Administration bleibt dagegen weitestgehend indifferent gegenüber dem Publikum.

Das politische System als Teilsystem kann nun innerhalb der Theorie rationalen Handelns reformuliert werden, indem davon ausgegangen wird, dass durch das System die „constraints“ von Akteurshandlungen definiert werden. So müssen, ausgehend vom obersten Ziel, der Stimmenmaximierung und der damit verbundenen Besetzung von Regierungspositionen, die Akteure ihre Entscheidungen und Programme so gestalten, dass die Interessen und Erwartungen der Bürger bzw. Wähler befriedigt werden. Im Sinner der Theorie rationalen Handelns ist also diejenige Handlung zu bevorzugen, die mit dem geringsten Einsatz von Mitteln den höchsten Zusatz an Unterstützung in der Bevölkerung ermöglicht. Es muss sich also an den Nutzenerwartungen der Bürger orientiert werden. Dies führt dazu, dass Regierung und Parteien das Allgemeinwohl gegenüber Partikularinteressen eher zu vertreten bzw. ihre Politik öffentlich so darzustellen.

1.2.2.6 Notwendigkeit politischer Kommunikation

Wie bereits erkannt, ermöglicht Öffentlichkeit [59] die Selbstbeobachtung der Gesellschaft. Diese Funktion wird vor allem durch das Mediensystem für alle gesellschaftlichen Teilsysteme sicher gestellt. Dabei ist die Bedeutung der Öffentlichkeit für einzelne Teilsysteme recht unterschiedlich. Begründet ist dies durch den Grad der Abhängigkeit der Leistungsrollen von der Zustimmung durch ein breites Publikum.

Innerhalb des politischen Systems sind es nun die Interessengruppen und Parteien, die Exekutive und das Parlament sowie die Administration, die sich selbst und die jeweils anderen, vor allem über das Mediensystem, beobachten können, im Wissen, dass das Publikum dies ebenfalls macht. Handlungen ist demnach dann rational, wenn sie an den Beobachtungen des Systems ausgerichtet sind.

Mit politischer Öffentlichkeit wird also ganz allgemein der Teil an politischen Handlungen bezeichnet, der in der massenmedialen Öffentlichkeit, nach den Regeln des Öffentlichkeitssystems selektiert, für das politische System beobachtbar ist.[60] Dabei kommunizieren die Akteure des politischen Systems in Hinblick auf dieses Beobachtungssystem, in dem sie selbst auch beobachtet werden, und versuchen mit ihren Handlungen das Bild von sich und anderen politischen Akteuren in den Medien, möglichst zu ihren Gunsten, zu gestalten. Rational wird dieses Verhalten besonders in der immer komplexer werdenden Gesellschaft, in der es sehr zeitaufwendig und kostspielig für die Bürger bzw. Wähler ist, sich Informationen selbst zu beschaffen, um auf ihrer Grundlage entscheiden zu können, welche Partei bzw. Politiker für sie den größeren Nutzen bei der Besetzung von Regierungspositionen bringen kann. Eine Strategie diese Informationskosten niedrig zu halten, ist demnach die Beobachtung des politischen Systems über die Massenmedien. Dabei dienen diese vor allem als Orientierungspunkt für die Ausbildung von Wählerpräferenzen.

Kollektive Akteure, wie Regierung oder Parteien, orientieren sich ebenfalls am Code des politischen Systems. Damit sie Regierungspositionen erreichen oder erhalten können, wählen sie demnach die Entscheidungen und Programme, die ihnen die meisten Wählerstimmen einbringen. Dabei müssen die Akteure die Präferenzen der Wähler berücksichtigen und sich von anderen alternativen Anbietern abgrenzen. Über das System der Beobachtung können die Themen und Präferenzen der Bürger und die Programme der konkurrierenden Akteure in Erfahrung gebracht werden. Die politische Öffentlichkeit dient hier als Ersatzindikator.

[...]


[1] Schröder: „REGIERUNGonline - Rede von Bundeskanzler Schröder zur Vertrauensfrage“

(Fr. 1.7.2005) <http://www.bundesregierung.de/-,413.853450/rede/Rede-von-Bundeskanzler- Gerhard.htm > 5.7.2005.

[2] Vgl. Schröder ebd.

[3] Manager Magazin „Vertrauensfrage: Schröder gelingt das Scheitern“ <http://www.manager- magazin.de/unternehmen/artikel/0,2828.363167.00.html> 5.7.2005.

[4] Vgl. Köhler 2005.

[5] Vgl. Schröder: „REGIERUNGonline - Rede von Bundeskanzler Schröder zur Vertrauensfrage“ (Fr. 1.7.2005) <http://www.bundesregierung.de/-,413.853450/rede/Rede-von-Bundeskanzler- Gerhard.htm > 5.7.2005.

[6] Politische Kommunikation ist jegliche Form der Kommunikation zwischen politischen und anderen Akteuren oder jegliche Kommunikation über politische Themen. (Bentele, 1998)

[7] Bentele 1994, S.141.

[8] Vgl. Neidhardt 1994, S. 7.

[9] Neidhardt 1994, S. 7.

[10] Vgl. Peters 1994, S. 42ff.

[11] Vgl. Peters 1994, S. 42ff.

[12] Vgl. Gerhards / Neidhardt 1991, S. 39ff.

[13] Gerhards / Neidhardt 1991, S. 39.

[14] Klientelorientierung

[15] Vgl. Neidhardt 1994, S. 8 - 9 und Gerhards / Neidhardt 1991, S. 41ff.

[16] Vgl. Gerhards / Neidhardt 1991, S. 41ff.

[17] Gerhards / Neidhardt 1991, S. 42.

[18] Siehe dazu auch Noelle - Neumann 1989, S. 84ff.

[19] Siehe dazu auch Etzioni 1969, S. 157.

[20] Vgl. Neidhardt 1994, S. 8 - 9.

[21] Vgl. ebd.

[22] Vgl. ebd.

[23] Vgl. Neidhardt 1994, S. 9f.

[24] Vgl. Peters 1994, S. 45ff.

[25] Vgl. Peters 1994, S. 45ff.

[26] Vgl. Peters 1994, S. 46ff.

[27] Vgl. Peters 1994, S. 47.

[28] Vgl. Peters 1994, S. 47ff.

[29] Vgl. Peters 1994, S. 47ff.

[30] Siehe hierzu Gunn 1983 und Koselleck 1959.

[31] Vgl. Peters 1994, S.51ff.

[32] Vgl. ebd.

[33] 33 Vgl. Peters 1994, S.52ff.

[34] Vgl. Habermas 1992, S. 439.

[35] Vgl. Peters 1994, S.54ff.

[36] Vgl. Peters 1994, S.52ff.

[37] Z.B. Presserat oder Pressekodex. Siehe hierzu www.presserat.de .

[38] Vgl. Peters 1994, S.61ff.

[39] Vgl. Peters 1994, S. 65ff.

[40] Vgl. Peters 1994, S. 70ff.

[41] Neidhardt 1994, S. 9.

[42] Vgl. Gerhards 1994, S. 77ff.

[43] Siehe hierzu besonders Schimank 1985 und 1988.

[44] Vgl. Gerhards 1994, S. 82ff.

[45] Gerhards 1994, S. 83. Siehe hierzu auch Luhmann 1964 sowie Luhmann und Schorr 1979.

[46] Vgl. Gerhards 1994, S. 84 und Gerhards / Neidhardt 1991, S. 44ff und S. 49ff.

[47] Vgl. Gerhards / Neidhardt 1991, S. 50ff.

[48] Vgl. Gerhards / Neidhardt 1991, S. 52ff.

[49] Vgl. Gerhards / Neidhardt 1991, S. 54ff.

[50] Vgl. Gerhards 1994, S. 87ff.

[51] Im Sinne von Luhmann kann man hier vom Spiegelmodell der Öffentlichkeit sprechen. Siehe hierzu Luhmann 1990.

[52] Vgl. Gerhards 1994, S. 89ff.

[53] Siehe hierzu auch Luhmann 1990.

[54] Siehe hierzu vor allem Galtung / Ruge 1965.

[55] Vgl. Staab 1990, S. 57ff.

[56] Vgl. Gerhards 1994, S. 93ff.

[57] Vgl. Luhmann 1986, S. 170.

[58] Weiter oben im Abschnitt zur Funktionsbestimmung des politischen Systems. Und siehe hierzu Fuchs 1993, S. 47ff.

[59] Vgl. Gerhards 1994, S. 97ff.

[60] Nach Gerhards 1994, S. 97.

Ende der Leseprobe aus 141 Seiten

Details

Titel
Vertrauenskonzeptionen und politische Kommunikation
Hochschule
Universität Leipzig
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
141
Katalognummer
V88103
ISBN (eBook)
9783638023689
ISBN (Buch)
9783656208891
Dateigröße
1517 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vertrauenskonzeptionen, Kommunikation
Arbeit zitieren
M.A. Katja Seidel (Autor:in), 2006, Vertrauenskonzeptionen und politische Kommunikation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88103

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Vertrauenskonzeptionen und politische Kommunikation



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden