Stadtmarketing - Erfahrungen eines neuen kooperativen Ansatzes in der Stadtentwicklungspolitik am Beispiel der Stadt Überlingen


Diplomarbeit, 1996

101 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung
1.1 Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit
1.2 Aufbau der Arbeit

2 Empirisches Vorgehen und methodische Grundlagen
2.1 Forschungsbedarf
2.2 Vorgehen und methodische Begründung

3 Einordnung des Themas in den theoretischen Hintergrund
3.1 Stadtmarketing als postfordistisches Phänomen
3.1.1 Regulationstheoretischer Ansatz
3.1.2 Der lokale Staat
3.1.3 Der lokale Raum im Postfordismus
3.2 Planungskultur in den Neunzigern

4 Stadtmarketing: Entwicklungen und Inhalte
4.1 Gründe für das Aufkommen von Stadtmarketing
4.1.1 Interkommunale Konkurrenz
4.1.2 Komplexität und Differenziertheit innerkommunaler Aufgaben und Prozesse
4.1.3 Demokratiebewußtsein und Verwaltungsverdrossenheit
4.2 Vielzahl von Definitionen und Erfahrungen
4.3 Von der Absatzwirtschaft zum ganzheitlichen Stadtmarketing
4.3.1 Entwicklung des Marketingbegriffes
4.3.2 Unterschiede zwischen einem Unternehmen und einer Stadt
4.3.3 Formen des Stadtmarketing
4.3.3.1 Pauschaltransfer von betriebswirtschaftlichen Marketingdenken auf die Stadt
4.3.3.2 Stadtmarketing als Werbestrategie
4.3.3.3 Stadtmarketing als projektbezogene Kooperation
4.3.3.4 Stadtmarketing als Dienstleistungsmarketing
4.3.3.5 Stadtmarketing als politische Neuinterpretation
4.3.4 Einordnung bestehender Interpretationen
4.4 Stadtmarketing als „kommunikative Stadtentwicklungspolitik“
4.5 Frage zur Begrifflichkeit

5 Kennzeichen typischer Stadtmarketingprojekte
5.1 Vorreiterstädte in Sachen Stadtmarketing und Citymanagement
5.2 Vorgehensweise bei Stadtmarketingprojekten
5.2.1 Problemdruck und Initiierung
5.2.2 Organisationsform
5.2.3 Ablaufphasen
5.2.3.1 Situationsanalyse
5.2.3.2 Leitbildentwicklung
5.2.3.3 Maßnahmenfestsetzung
5.2.3.4 Umsetzung, Erfolgskontrolle
5.3 Chancen und Risiken
5.3.1 Chancen
5.3.2 Risiken

6 Fallstudie Überlingen am Bodensee
6.1 Empirisches Vorgehen
6.1.1 Inhaltsanalyse
6.1.2 Teilnehmende Beobachtung
6.1.3 Leitfadeninterviews
6.1.4 Schriftliche Anfragen bei Nachbarstädten
6.2 Charakteristik von Überlingen
6.3 Projektverlauf
6.3.1 Anfangssituation
6.3.2 Situationsanalyse und Befragungen
6.3.3 Leitbilddiskussion
6.3.4 Arbeitskreisphase
6.3.5 Jetzige Situation
6.4 Bewertung
6.4.1 Versuch einer Klassifizierung der verschiedenen Meinungen
6.4.2 Erfolge
6.4.3 Defizite
6.4.4 Bewertung durch die Nachbarstädte
6.4.5 Zusammenfassende Bewertung
6.5 Empfehlungen für das Projekt Überlingen
6.5.1 „Bewußtsein schaffen“ 66
6.5.2 „Motivator stärken“
6.5.3 „Vorgehen bekannt machen“
6.5.4 „Begriff Stadtmarketing relativieren“
6.5.5 „Erarbeitete Erkenntnisse beachten und neue Ideen entwickeln“

7 Zusammenfassung
7.1 Verallgemeinerungen
7.2 Fazit

8 Literatur

9 Anhang
9.1 Informationsliefernde Städte, Beratungsunternehmen und Institutionen
9.2 Liste der befragten Personen
9.3 Stärken-Schwächen-Analyse von Überlingen
9.4 Übersichts- und Vergleichsdaten von Überlingen
9.5 Presse

Abbildungen

Abb. 1: Methodisches Vorgehen

Abb. 2: Theoretische Rahmenbedingungen für das Entstehen von Stadtmarketing

Abb. 3: Verbreitung des Marketing-Begriffes

Abb. 4: Austauschprozesse im System Stadt

Abb. 5: Probleme der öffentlichen Verwaltung

Abb. 6: Formen des Stadtmarketings

Abb. 7: Stadtmarketing im System Stadt

Abb. 8: Kurzleitfaden.

Abb. 9: Vorgehensweise beim Stadtmarketingprojekt Überlingen

Abb. 10: Leitbild für den Bereich Jugend, Bildung und Soziales

Abb. 11: Sitzverteilung im Überlinger Stadtrat nach den Kommunalwahlen v. 12.6.1994

Abb. 12: Neues Logo der Stadt Überlingen

Abb. 13: Problemfelder in Überlingen, ihre Zusammenhänge und Einflußmöglichkeiten

Tabellen

Tabelle 1: Vergleich zwischen qualitativen Fallstudien und quantitativem Forschungsdesign

Tabelle 2: Übersichts- und Vergleichsdaten von Überlingen

Tabelle 3: Befragungen in Überlingen während der Analysephase

Fotos

Foto 1: Altstadt von Überlingen am Bodensee

Foto 2: Schrägluftaufnahme der Überlinger Altstadt und angrenzender Baugebiete 46

Foto 3: Verkehrsproblematik in der Überlinger Altstadt (Christophstraße)

Foto 4: Verkehrsaufkommen im Herzen der Altstadt (Münsterstraße)

Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Die letzte Chance individueller Freiheit, die uns verbleibt, ist die der Planung. Warum ergreifen wir sie nicht mit aller Entschiedenheit? Man hat Hemmungen: Planung ist für viele durchaus ein Angstwort. In der Tat kennen wir ja noch kaum eine andere Art von Planung, die schöpferische Art, die nicht verbietet, sondern verlockt, Anreize in die Welt setzt und so, indem sie sich den natürlichen Eigennutz der Leute zu­nutze macht, das Gewollte entstehen läßt; die schöpferische Planung sagt nicht: ‘Hier darfst Du nicht!’, sondern ‘Dort darfst Du!’ Sie verhindert nicht, sie stiftet! Sie personifiziert sich nicht in einem Polizisten, sondern in einem Pionier; sie eröffnet Möglichkeiten, sie befreit, sie begeistert, und ihre Macht ist die einzig annehmbare, nämlich die Macht der pro­duktiven Idee.“

Max Frisch 1953 (zitiert nach Speer 1992: 37)

1 Einleitung

1.1 Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit

Eine Innovation erfaßt immer mehr Städte in Deutschland: es geht um neue Begriffe wie Stadtmarke­ting oder Citymanagement. Was Ende der Achtziger mit einzelnen Stadtmarketingprojekten in Städten wie Frankenthal, Schweinfurt oder Wuppertal begann, soll heute auch immer mehr anderen Städten, vor allem den mittleren und kleineren Kommunen, zur zukunftsträchtigen Entwicklung verhelfen. Der Begriff Stadtmarketing hat Hochkonjunktur: die Zahl der Veröffentlichungen steigt stetig an, Bera­tungs­­­firmen widmen sich zunehmend dem wachsenden Markt, veranstalten Tagungen und Symposien zu diesem Thema und erstellen kostspielige Konzepte für interessierte Kommunen. Je mehr sich Städte mit diesen Ansätzen um eine Entwicklung ihrer Stadt „am Markt“ bemühen, desto größer wird selbst­verständlich auch für die anderen Kommunen der Zugzwang, sich neuer erfolg­versprechender Strategien zu bedienen, um im Nullsummenspiel der interkommunalen Konkurrenz nicht plötzlich als Verlierer dazustehen.

Was steckt nun hinter diesen neuen Begriffen wie Stadtmarketing oder Citymanagement? Handelt es sich nur um geschickte wirtschaftsrhetorische Umschreibungen für bestehende Stadt­ent­wicklungs­planung oder Wirtschaftsförderung, um „alten Wein in neuen Schläuchen“? Oder ist die traditionelle Stadtent­wicklungspolitik tatsächlich in Bewegung geraten und versucht mit neuartigen Konzepten auf die ge­änderten kommunalen Rahmenbedingungen zu reagieren? Trotz zahlreicher Projekte und wissen­schaft­licher Veröffentlichungen besteht nach wie vor ein großer Bedarf an empirischen Unter­such­ungen, um die Bedeutung von Stadtmarketing zu bewerten.

Ziel der vorliegenden Arbeit soll somit sein, einen kleinen Teil dieses Forschungsdefizites abzubauen. Dies soll jedoch weder dadurch geschehen, daß ein lückenloser Überblick über die gesamt vorliegende Literatur wiedergegeben wird, noch daß versucht wird, alle Stadtmarketingprojekte in Deutschland (oder einer anderen Raumeinheit) zu untersuchen und somit einen Stand der Ausbreitung dieser Inno­vation zu bestimmen. Vielmehr ist beabsichtigt, anhand einer Fallstudie die Erfahrungen, Möglich­keiten und Grenzen dieses neuen Ansatzes konkret aufzuzeigen. Auch soll durch die Beschäftigung mit den - oft widersprüchlichen - Auffassungen der Stadtmarketingliteratur versucht wer­den, bestimmte Definitionen (z.B. von Helbrecht 1994) zu untermauern oder eher zu widersprechen. Insofern geht es um (nicht unbedingt neue) Schwerpunktsetzungen innerhalb der Diskussion um Stadt­marketing.

Stadtmarketing ist Thema vielerlei Fachrichtungen wie der Verwaltungs-, Politik-, Wirtschafts-, Kom­munikations-, Raum- oder Planungswissenschaften. Das macht die Beschäftigung, z.B. mit verschiede­nen Fachveröffentlichungen und diversen Fachtermini, nicht unbedingt leichter. Andererseits ist es gerade dieser interdisziplinäre Aspekt, der die Beschäftigung mit diesem Thema besonders reizvoll macht und speziell für Geographen eine willkommene Aufgabe darstellt.

Innerhalb der Geographie kann das Thema den Bereichen der Sozial- und Wirtschaftsgeographie, der Stadtgeographie, aber auch der Angewandten Geographie zugeordnet werden. Passender wären hier­für vielleicht die Begriffe ‘Kommunalwissenschaft’ oder ‘Urbanistik’ (Töpfer 1993a: 15), die den interdisziplinären Aspekt der politisch-administrativen Einheit Stadt besser treffen würden.

1.2 Aufbau der Arbeit

Nachdem das empirische Vorgehen und die methodischen Grundlagen in Kapitel 2 erläutert werden, soll das Thema Stadtmarketing zuerst theoretisch angegangen werden. Es ist die Frage zu beantworten, inwieweit Stadtmarketing den Anforderungen postfordistischer Regulation (3.1) und ‘neuer Planungs­kultur’ (3.2) entspricht. Danach sollen in Kapitel 4 die Entstehungsgründe sowie die Entwicklung des Marketingbegriffes und seine verschiedenen Übertragungen auf die Stadt beschrieben werden, um schließlich zu einer umfassenden Beschreibung von Stadtmarketing als „kommunikative Stadt­entwicklungs­politik“ (Helbrecht 1994) zu kommen. Kapitel 5 betrachtet Beispiele vorhandener Stadt­marketingkonzepte, bevor dann konkret das Stadtmarketingpro­jekt Überlingen am Bodensee als Fallstudie untersucht wird und die dabei gemachten Erfahrungen auf­gezeigt werden (Kapitel6).

2 Empirisches Vorgehen und methodische Grundlagen

2.1 Forschungsbedarf

Was ist nun am Phänomen Stadtmarketing untersuchenswert? Wo besteht Forschungsbedarf? Zur Literatur­lage läßt sich sagen, daß zwar in letzter Zeit immer mehr über dieses Thema geschrieben wird, aber ob man die Vielzahl von Quellen als wissenschaftliche Literatur auffassen kann, bleibt fraglich. Oft sind es Artikel aus Marketingzeitschriften, Organen von Institutionen wie der IHK (Fischer 1989), der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe e.V. ( z.B. Gortan, Wölfel 1995) o.ä., aber auch Handbücher oder Leitfäden, die von den Beratungsfirmen verkauft werden.

In Verwaltungsfachzeitschriften - allen voran der „Städtetag“ (hrsg. v. Deutschen Städtetag) - kann man wichtige und aktuelle Erfahrungsberichte zum Thema Stadtmarketing aus erster Hand finden. Auch beschäftigt sich die Verwaltungswissenschaft mit „Konfliktbewältigung durch Verhandlungen“ ganz allgemein, wobei Stadtmarketing explizit meist nicht genannt wird (Hoffmann-Riehm 1990). Speziell geographische Literatur gibt es nur wenige, wenngleich die wichtigsten Veröffentlichungen zu diesem Thema hier zu finden sind. Das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS) hat 1991 Erfahrungsberichte gesammelt und ausgewertet; 1994 wurde dann die Dissertation von Ilse Helbrecht „Stadtmarketing: Konturen einer kommuni­kativen Stadtentwick­lungspolitik“ veröffentlicht, das z.Zt. mit Abstand fundierteste Werk überhaupt. Die vorliegende Arbeit wird deshalb stark Bezug auf diese Doktorarbeit nehmen. In jüngster Zeit be­schäftigt sich die Angewandte Geographie auch vermehrt mit Themen wie Stadtmarketing (DVAG-Fachtagungen), Moderationsverfahren (Priebs 1995) und sonstigen ‘diskursiven Strategien’, wie bei­spielsweise auf dem 50. Deutschen Geographentag in Potsdam geschehen.

Außer einer Vielzahl ergänzender Literatur gibt es auch Widersprüchliches und Diffuses zum Thema Stadtmarketing, was wohl auch mit der Vielzahl von Auffassungen und Definitionen zu tun hat (vgl.4.2). Folglich ist eine reine Literaturarbeit im Vergleich zu klassischen Themen mit klaren Begrif­flich­­keiten schwierig und auch nicht unbedingt anzuraten (wie beispielsweise Pollotzek 1993 dies ver­sucht). Desweiteren werden in der Literatur eher die Anforderungen an ein ganz­heitliches Stadt­marketing beschrieben, die jedoch in der Praxis oft (noch) nicht mit Inhalt gefüllt werden konnten (Honert 1991a: 98; Helbrecht 1994: 94).

Eine Untersuchung über die Verbreitung von Stadtmarketingprojekten und deren Inhalte wäre zwar interessant, aber wegen der unterschiedlichen Auffassungen ist der Vergleich schwierig (Helbrecht 1994: 46). Eine flächendeckende Untersuchung würde auch den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Im übrigen gibt es bereits Untersuchungen von Töpfer (1993c) zum Stadtmarketing, von Lalli; Kartte (1992) zur Verbreitung von Corporate-Identity-Konzepten (vgl. 4.2) und die bereits erwähnte ILS-Studie über Nordrhein-Westfalen (Müller 1991). Ein weiteres Problem stellen die oft erst in Konzeptionsform vorliegenden Projekte bzw. deren dürftige Dokumentation dar. Solch ein unzu­längliches Informationsmaterial kann höchstens für die explorative Phase Verwendung finden, nicht aber für die Untersuchung an sich (wie bei Schäflein 1994). Hier wäre eine genauere Untersuchung über Inhalt und Wirkung von Stadtmarketing gefordert, denn der Stand an empirischen Erfahrungen ist nach wie vor unbefriedigend (Bertram 1995: 30). Letztendlich ist die praxisrelevante Einschätzung der Innovation Stadtmarketing entscheidend. Deshalb soll das Ziel der vorliegenden Arbeit sein, eine Fall­studie genauer zu untersuchen und an diesem Einzelfall Stadtmarketing einer kritischen Bewertung zu unterziehen.

In diesem Rahmen eine konkrete Stadtmarketingkonzeption für eine Kommune zu erarbeiten, erscheint m.E. nicht sinnvoll und realistisch zu sein. Meist erstrecken sich die bestehenden Projekte über mehrere Jahre und sind von Beratungsunternehmen mit hohem personellen und zeitlichen Aufwand erarbeitet (vgl. 5). Außerdem ist gerade eine Konzepterarbeitung im Sinne eines ‘Externen-Gutachtens’ das, was man durch kommunikatives Stadtmarketing eben verhindern will (vgl. 3.2, 4.4 und 5.3.1).

2.2 Vorgehen und methodische Begründung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ergebnis: unter bestimmten Rahmenbedingungen kann Stadtmarketing erfolgreich sein

+

Empfehlungen für das Stadtmarketingprojekt Überlingen

Abb. 1: Methodisches Vorgehen

Das empirische Vorgehen dieser Arbeit kann in mehrere Phasen unterteilt werden (vgl. Abb. 1): die erste Phase sollte die theoretischen Grundlagen und den Überblick über Projekte und den Stand der Diskussion liefern. Außer der obligatorischen Literaturanalyse wurde eine Fachtagung des DVAG besucht sowie eine Reihe von Städten, Beratungsunternehmen und sonstigen Institutionen, die sich in irgendeiner Weise mit Stadtmarketing beschäftigen, angeschrieben (vgl. Anhang 9.1). Ergebnis dieser explorativen Phase war die Festlegung der generellen Zielsetzung dieser Arbeit: die Einzelfallstudie sollte in den Mittelpunkt der Untersuchung gestellt werden und nicht etwa die ‘Breitenschau’ bestehender Stadtmarketingprojekte. Dies leitete sich aus den Charakteristika des Themas ab, die auf die Neuig­keit dieser Innovation gründen: es liegen kaum langfristige Erfahrungen vor und die Ansätze und Auf­fassungen, was denn Stadtmarketing sei, sind ziemlich diffus und teils widersprüchlich (Helbrecht 1994: 46). Gerade bei empirischen Untersuchungen besteht Forschungsbedarf (vgl. 2.1).

Ein anderes Ergebnis dieser ersten Untersuchungsphase war das Ausmachen einer geeigneten Stadt als Fallstudie. Die Suche nach einer solchen Stadt erwies sich jedoch als problematisch. Zum einen waren bestimmte Voraussetzungen an sie geknüpft, daß heißt sie sollte noch relativ gut erreichbar sein, also in etwa in Baden-Württemberg liegen, über die Anfangsphase hinaus bereits erste Erfahrungen mit dem Projekt gemacht haben und schließlich den Anspruch eines ganzheitlichen Stadtmarketings zum Inhalt haben. Dies grenzte die Anzahl der in Frage kommenden Städte schon erheblich ein. Zum anderen kamen etliche praktische Probleme bei der Kontaktaufnahme mit den Städten hinzu. So waren viele Ansprechpartner nicht gewillt oder interessiert, daß ihr Stadtmarketingprojekt zum Thema einer Erfolgs­kontrolle im Rahmen einer Diplomarbeit gemacht wird. Hierbei unterschied sich die kommunale Praxis oft genug extrem von den Ansprüchen vorliegender Stadtmarketingkonzepte wie z.B. Offenheit, Information und Transparenz (vgl. 4.4).

Zu Anfang war geplant, eventl. zwei oder drei Projekte mit verschiedenen Ansätzen zu untersuchen und zu vergleichen, was aufgrund der beschriebenen Probleme jedoch nicht möglich war. So hat letztend­lich nur die Stadt Überlingen am Bodensee die genannten Voraussetzungen erfüllt: seit drei Jahren läuft dort ein Stadtmarketingprojekt mehr oder weniger erfolgreich (was hier noch zu unter­suchen ist), die durch die CIMA Stadtmarketing GmbH erarbeitete Konzeption erhebt den Anspruch auf Ganzheitlichkeit und die beteiligten Personen zeigten sich interessiert und kooperativ.

Dieses Vorgehen, d.h. die Beschäftigung mit einer Einzelfallstudie (Kap. 6), erfordert die qualitative Sozialforschung als Forschungsansatz (approach). Nur durch seine Prinzipien der Offenheit und der Kommunikativität (Lamnek 1993b: 17) sind neue Phänomene wie Stadtmarketing zu erfassen. Deshalb ist es durchaus auch legitim, einen eher idealtypischen Fall zu untersuchen, denn die Grundfrage­stellung ist die nach den Möglichkeiten von Stadtmarketing und den erforderlichen Rahmenbedin­gungen. Gescheiterte Projekte gibt es viele, „Stolpersteine genug“ (Töpfer 1991: 26). Außerdem wird in der qualitativen Sozialforschung kein Anspruch auf statistische Repräsentativität erhoben, sondern vielmehr auf theoretische Repräsentativität, d.h. es gilt, extrem-, ideal- oder durchschnittstypische Muster zu identifizieren (Lamnek 1993b: 16). Auch das praktische Forschungsinteresse an der Inno­vation Stadtmarketing zielt in dieselbe Richtung: die Vorreiter sind gesucht, die „eine angemessene Antwort auf die gegenwärtigen planerischen, politischen und raumstrukturellen Umbrüche“ finden (Helbrecht 1994: 47). Beck meint dazu: „In Zeiten strukturellen Wandels geht Repräsentativität ein Bündnis mit der Vergangenheit ein und verstellt den Blick auf die Spitzen der Zukunft, die von allen Seiten in den Horizont der Gegenwart hineinragen“ (1986: 13).

Die Einzelfallstudie in der qualitativen Sozialforschung bedient sich verschiedener Methoden oder Erhebungstechniken, um Meßartefakte zu vermeiden. Diese ’Methodentriangulation’ wird durch den Einsatz von Interviews, Beobachtung, Inhaltsanalysen o.ä. gewährleistet (Lamnek 1993b: 24).

Im vorliegenden Fall sollen qualitative Interviews (Experteninterviews), Inhaltsanalysen (Auswerten von Aktenmaterial und Pressemitteilungen) sowie teilnehmende Be­obachtung die Erhebungstechniken für die Untersuchung der Fallstudie darstellen. Wie dies genauer von statten geht, wird in Kapitel 6.1 beschrieben. Ziel dabei ist, das Stadtmarketingprojekt durch eine Ex-Post-Analyse einer Bewertung zu unterziehen. Am konkreten Fall sollen also die Erfahrungen aufgezeigt werden: Was hat sich zum Positiven geändert? Welche Fehler wurden gemacht? Würde man es heute wieder so machen?

Tabelle 1: Vergleich zwischen qualitativen Fallstudien und quantitativem Forschungsdesign

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Lamnek (1993b: 8)

Die Nachvollziehbarkeit ist bei qualitativen Methoden stets problematisch und oft Angriffspunkt der Kritiker. Inhaltsanalysen und Interviews sind interpretationsabhängig und nicht standardisierbar. Aber auch quantitative methoden wären bei diesem Thema nicht aussagekräftiger, da die verschiedenen Definitionen und Auffassungen von Stadtmarketing ungleiche Voraussetzungen mit sich bringen und so Verzerrungen und Meßartefakte zur Folge hätten. Deshalb wird im qualitativen Forschungsprozeß die ‘Explikation’ gefordert, d.h. die Einzelschritte der Untersuchung müssen offen gelegt und transparent gemacht werden. Nur so kann die Akzeptanz und die Glaubwürdigkeit der Forschung und auch der Forschungs­ergebnisse erhöht werden (Lamnek 1993a: 26 und 1993b: 124). In der vorliegenden Arbeit soll dieser Forderung Rechnung getragen werden, indem alle Arbeitsschritte, Überlegungen und auch Probleme genannt werden.

Ergebnis dieser Arbeit wird einerseits die Überprüfung bzw. Untermauerung der in der wissen­schaftlichen Literatur beschriebenen Grenzen und Möglichkeiten des Instrument Stadtmarketing anhand der speziell in Überlingen gemachten Erfahrungen sein. Andererseits sollen der Stadt durch die Heraus­arbeitung der projektspezifischen Defizite Empfehlungen für das weitere Vorgehen gegeben werden.

3 Einordnung des Themas in den theoretischen Hintergrund

Im folgenden soll versucht werden zu klären, weshalb seit Ende der Achtziger neue Begriffe wie Stadtmarketing oder Citymanagement aufgetreten sind. Sind es nur kurzlebige Modeerscheinungen oder Teil genereller Umstrukturierungen in Staat und Gesellschaft zu Beginn einer neuer Epoche, die oft als Postfordismus bezeichnet wird? In diesem Kapitel werden die theoretischen Grundlagen erläutert, um damit zu klären, inwieweit sich das neuartige Phänomen Stadtmarketing in diese Um­bruchsdynamik einordnen läßt. Danach wird der Blick von der Theorie auf die Praxis erfolgen, um darzustellen, inwie­weit von seiten der Planungswissenschaften der Bedarf nach neuen Formen der Stadt­entwicklungs­planung besteht. Diese beiden Sichtweisen bilden somit die Rahmenbedingungen für das Phänomen Stadt­marketing; die konkreten Gründe für dessen Entstehen, die in der Literatur genannt werden, werden erst im folgenden Kapitel genauer beschrieben.

3.1 Stadtmarketing als postfordistisches Phänomen

Dies soll nicht der Ort sein, den Postfordismus mitsamt seinen Inhalten, Ursachen und Folgen theo­retisch zu erörtern. Dies würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und auch zu weit vom eigentlichen Thema wegführen. Verwiesen sei hier auf die zahlreiche Literatur zu diesem Thema wie z.B. Borst (1990) und v.a. Helbrecht (1994: 6-45), die auf das Verhältnis Stadtmarketing - Postfordismus viel ex­akter eingeht, als dies hier erfolgen kann.

Helbrecht (1994: 43f.) sieht auf seiten der Theorie drei Hauptbereiche, die für das Entstehen von Stadtmarketing verantwortlich sind: die Regulationstheorie, den local-state-Ansatz und das post­for­distische Raummodell. Im folgenden sollen die genannten Ansätze kurz erläutert werden.

3.1.1 Regulationstheoretischer Ansatz

Das Konzept der Regulationstheorie befaßt sich mit der Diskontinuität und Konflikthaftigkeit von Gesell­schafts­entwicklungen. Im Vergleich zu anderen Gesellschaftstheorien betont die Regulations­schule den historischen und nicht-linearen Aspekt. Hierbei werden die Phasen der Stabilität und Labilität in­nerhalb der Weltwirtschaft nicht als Ergebnis ‘langer Wellen’ thematisiert, es werden vielmehr auch die gleichzeitigen Krisen im politischen, sozialen und kulturellen Kontext erkannt. Dieser integrative Ge­sichtspunkt ist, im Vergleich zu den eher ökonomisch-technologischen Erklärungsmustern der Theorie der langen Wellen, der Kernpunkt der Regulationstheorie. Demnach sind bestimmte Strukturen wirt­schaftlicher Produktion (Massenproduktion) auf die entsprechenden Formen der politischen (Sozialstaat), sozialen (Massenkonsum, Mittelstand), kulturellen (Moderne) und admini­strativen (zentralistisch-korporativen) Organisationen angewiesen und umgekehrt (Helbrecht 1994: 8f.). Wenn all diese Faktoren untereinander in einem sinnvollen funktionalen Zusammenhang stehen, befindet sich die Gesellschaft in einer stabilen Entwicklungsphase, die man historische Formation oder historischen Block nennt. Diese ‘hegemoniale Struktur’ wird von zwei Kategorien geprägt, dem Akkumulations­regime und der entsprechende Regulationsweise. Ersteres ist die Gesamtheit aller öko­no­mischer Struk­turen und Regeln, d.h. die Produktionsformen, die Wettbewerbsstrukturen, die Lohn­verhältnisse oder der technologische Stand. Die Regulationsweise umfaßt dagegen alle andern politi­schen, sozialen und kulturellen Muster wie Normen, Gesetze, kulturelle Spielregeln oder Praktiken. „Das Zustandekommen gesellschaftlicher Arrangements zur Regulationsweise oder dem Akkumu­lations­regime ist ein historisch offener Prozeß, der in Form permanenter Aushandlungsprozesse und sozialer Konflikte ausgetragen und entschieden wird“ (ebd.:10). Zur Zeit befinden wir uns in einer Phase der Durchsetzung einer neuen hegemonialen Struktur, und zwar dem Übergang vom Fordismus zum Postfordismus. Problematisch ist bei solchen Umbruchsituationen jedoch die Ungleichzeitigkeit der Anpassungsleistungen seitens verschiedener Bereiche der Gesellschaft. Das Hauptproblem in solchen Krisenzeiten ist somit die Integration von Akkumulationsregime und Regulationsweise.

Wir haben den Fordismus - Stichworte Massenproduktion, Massenkonsum, sozialer Wohlfahrtsstaat - hinter uns gelassen und erleben heute eine Vielzahl von Umbrüchen, die v.a. durch die Dynamik der Wirt­schaft bestimmt wird (Rationalisierungen, Flexibilität, Globalisierung etc.). Es hat sich folglich ein neues Akkumulationsmodell herausgebildet, das mit tiefgreifenden Folgen andere gesellschaftliche Bereiche erfaßt. Zu nennen sei hier beispielsweise die soziale Spaltung (Zweidrittel-Gesellschaft), das Her­aus­bilden von zahlreichen Lebens­stilgruppen (postmoderne Individualisierung) oder der Wandel im Staatsverständnis (z.B. Public-Private-Partnership). Charakteristisch ist der Zeitvorsprung der wirt­schaft­­­lichen Entwicklung, der die Politik vollständig hinterher hinkt. D.h. die Politik hat sich von Wirtschaft und Gesellschaft entkoppelt und ist gemessen am Regulationsbedarf handlungsunfähig geworden, was heute oft als Staatsversagen, Krise des Wohlfahrtsstaates oder als Politikverdrossenheit beschrieben wird (ebd.: 18ff.).

Lösungsmuster sind wenige in Sicht, es bleibt vor Ort nur das Experimentieren mit neuen Ansätzen. Stadtmarketing ist ein solcher, der in den Neunziger für eine Neuorientierung kommunalpolitischen Handelns steht: „Stadtmarketing stellt (...) einen der wenigen Ansätze zur dringend erforderlichen An­pas­sung der Politik an die geänderten Rahmenbedingungen dar“ (ebd.: 43f.).

Stadtmarketing ist somit nicht isoliert als Mode oder zufällige Neuigkeit zu betrachten, sondern fügt sich nahtlos in den gesellschaftlichen Trend ein. Es ist eine der wenigen Antworten auf das Innovations­defizit der Politik. Ob sie letztendlich die richtige Antwort ist, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Das macht jedoch die Beschäftigung mit diesem Thema um so interessanter, da m.E dieser neue Ansatz im kommunalpolitischen Bereich, in welcher Form auch immer, eine ständig wichtigere Rolle spielen wird.

3.1.2 Der lokale Staat

Die sich zunehmend polarisierende Gesellschaft sowie die flexiblere und international agierende Wirt­schaft machen eine zentral gesteuerte Politik ‘für alle’ immer schwieriger. Der postfordistische Staat wird zunehmend dezentraler, segmentierter und unterliegt immer mehr dem Einfluß von Initiativen, neuen Lobbyisten und sozialen Bewegungen. Selbsthilfe, Privatinitiative, Netzwerke und intermediäre Verhandlungssysteme besitzen eine immer größere Bedeutung. Das Abwälzen öffentlicher Verant­wortung durch Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und die Expansion freiwilliger Organisa­­tionen im Bereich der sozialen Fürsorge kann jedoch laut Kritikern zu einer Erosion des Sozialstaates führen (ebd.: 22ff.). Dabei finden die meisten staatlichen Umstrukturierungen auf lokaler Ebene statt: Helbrecht meint, „das Versagen zentralstaatlicher Steuerung führe notwendig zu einer Dezen­trali­sierung akkumulations- und regulationsbezogener Entscheidungen. Die größere Lernfähig­keit und Flexibilität vor Ort ermögliche eine effizientere Anpassung an die Erfordernisse der Restrukturierung“ (1994: 25). Somit ist Stadtmarketing ein Teil dieses lokalen Staates, der nach maßge­schneiderten Politik­formen und lokalen Arrangements zur Konfliktbearbeitung sucht (ebd.: 44). Ob diese Mischform zwischen Staat und Markt, die ‘Stadt als Unternehmen’ dem notwendigen Regulierungsbedarf ent­spricht, bleibt fraglich. Jedenfalls wird eine besondere Aufwertung der lokal­staatlichen Dimension als Austragungsort sozialer Auseinandersetzungen zu erwarten sein. Dies erhöht die Aktualität und Brisanz des Phänomens Stadtmarketing. Die Betonung der regionalen oder lokalen Gegebenheiten in der post­fordistischen Politik wird unter dem Begriff des ‘lokalen Staates’ (local state) diskutiert (ebd.: 26).

3.1.3 Der lokale Raum im Postfordismus

Auch das gesellschaftliche Raummodell betont im Postfordismus den lokalen Aspekt. Die klassischen Standortfaktoren haben immer weniger Einfluß auf das Akkumulationsregime (footlose industry), die räumlichen Grenzen sind am verschwinden (Globalisierung, EU-Binnenmarkt), weshalb plötzlich die Qualitäten der Standorte wieder wichtiger und die Inhalte der Räume bedeutender werden. „Dieser Wider­spruch zwischen gesteigerter Raumüberwindungsfähigkeit einerseits und erhöhter Auf­merksamkeit für räumliche Qualitäten andererseits ist die innere Paradoxie im Raummodell des Post­fordismus“ (Helbrecht 1994: 31).

Damit haben aber auch die lokalen Akteure verstärkt Einfluß auf die Entwicklungschancen vor Ort, sie können sich für den Standort engagieren und ihn so profilieren. Dies ist v.a. in Klein- und Mittel­städten möglich, wo die Verhältnisse noch überschaubar und lokalpolitische Experimente leichter durchführbar sind. Und gerade hier können wir z.Zt. vermehrt die Ausbreitung von Stadtmarketing als solch einen Profilierungsversuch beobachten (ebd.: 32f.).

Aber der Raum ‘Stadt’ hat neuerdings auch eine wichtigere Funktion als „Träger von Bedeutungen“ (ebd.: 34), die durch Zeichen, Symbole und Design ausgedrückt werden. Der Stadtraum ist nicht mehr nur als Fläche relevant, sondern wird semiotisch umgerüstet und seine lokalen Qualitäten durch Ästhetisierung und Inszenierung hervorgehoben. Außer dem Bedarf an räumlichen Besonderheiten gibt es somit auch einen Bedarf nach Symbolen und Repräsentation. Dieser Bedarf nach Symbolen und Zeichen als Be­deutungsträger hat seine Ursache in der Herausbildung von Lebensstilen (Singles) als weiteres differenzierendes Gruppenmerkmal zu den traditionellen Kennzeichen wie Sozialschicht (Mittelstand) o.ä., die heute zur eindeutigen Unterscheidung nicht mehr ausreichen. Zur Kennzeichnung dieser Lebensstilgruppen die­nen immer mehr Symbole - die Waffen zwischen den Gruppen sind praktisch feinteiliger geworden. Die symbolischen Auseinandersetzungen finden wir in allen Bereichen der Gesellschaft, auch in der Wirt­schaft, wo symbolisches Kapital (Vertrauen, Prestige, Ansehen) den wirtschaftlichem Erfolg steigert. So wird auch für das Städtische Symbolik, Bedeutung und Image immer wichtiger, möchte sie dem Bedarf nach ‘Urbanität’ nachkommen (ebd.: 34ff.). Dadurch wird die Vermarktung durch Werbung als eine Möglichkeit der Selbstdarstellung oft in den Vordergrund gerückt, die dann in In­szenierungen oder Installationen mündet (vgl. auch Feldtkeller 1994). Großkinos, historische Stadtfeste, Großereignisse wie Musicals, Messen oder andere ‘events’ und ‘happenings’ sind nur einige Beispiele dafür. So ist Stadtmarketing im Sinne von Stadtwerbung schnell zur populären Vokabel ge­worden, obwohl dies selbst dem betriebswirtschaftlichen Marketingbegriff nicht gerecht wird (vgl. 4.3.1).

3.2 Planungskultur in den Neunzigern

Im folgenden soll nun eher die Praxis der Stadtplanung im Vordergrund stehen, um aufzuzeigen, in­wieweit Stadtmarketing eine Reaktion auf die Defizite der bisherigen Stadtentwicklungsplanung dar­stellt. Schließlich wird durch die Forderung nach einem neuen Instrument das bisherige direkt oder auch indirekt kritisiert. Stadtplanung war immer schon eine Form staatlichen Krisenmanagements, welches die gesellschaftlichen Funktionen sichern sollte. Insofern ist Stadtplanung stets „Gegenstand und Produkt eines gesellschaftlichen Erfahrungs- und Diskussionsprozesses, der sich weniger an fach­lich-disziplinären Vorstellungen orientiert, als an dem gesellschaftlichen Bedarf nach einer staatlichen, raumordnungspolitischen Interventionstätigkeit“ (Helbrecht 1994: 38). Hier soll nun die Stadtent­wicklungsplanung als solche nicht nur kritisiert werden, denn sie hat in der Praxis viele Erfolge aufzuweisen und sicher die Städte teilweise wieder erklärbar und regierbar gemacht (Göb 1989: 292). Es ist aber für die Erklärung von Stadtmarketing wesentlich, die Schwachpunkte der bisherigen Planung genauer aufzuzeigen.

Um diese Defizite zu klären, muß man sich die Entwicklung der Stadtplanung der letzten Jahrzehnte in Deutschland vor Augen halten. In den 50er Jahren, die von Wiederaufbau und Wirtschaftswachstum geprägt waren, herrschte eher eine Abneigung gegen Planung und alles Regelndes: wichtiger war vielmehr der schnelle und unbürokratische Aufbau. Doch in den 60er Jahren, die Rahmenbe­dingungen hatten sich mittlerweile normalisiert (Sozial- und Wohlfahrtsstaat), setzte eine heftige Kritik an dem Erscheinungsbild der Städte ein. Man warf den Städten Chaos und Monotonie vor und beklagte die exakte planerische Festlegung menschlicher Funktionen. Es war die Rede von der ‘Krise’ und ‘Unregierbarkeit’ der Stadt, die als „unwirtlich“ empfunden wurde (Mitscherlich 1965). Diesen Zustand führte man auf ungenügendes Wissen und mangelnde Planungskoordination zurück. „All dies rief nach Rationalität und Verwissenschaftlichung der Planung, nach Zielformulierungen und Zieler­reichungsstrategien“ (Göb 1989: 291). Das war der Beginn der Stadtentwicklungsplanung: mit Hilfe wissenschaftlich exakter Methoden versuchte man die Ressource Raum und damit auch die Stadt flächendeckend und langfristig zu steuern. Diese ‘politische Planung’ sollte alle Politikbereiche inte­grativ umfassen, sie sollte die ordnungsgesetzlichen „Aufbaugesetze“ der Nachkriegszeit ablösen (Ganser 1991: 55). Es war die Zeit der großen Planwerke, der großen Utopien und der großen Bau­vorhaben: Alles war machbar. Ab den 70er Jahren trat jedoch Skepsis an die Stelle der Planungs­euphorie. Viele Planungen wurden aufgrund ihrer Maßstabslosigkeit und Monotonie kritisiert, Umwelt­ver­­schmutzung, Überbevölkerung und die Ölkrise taten ein Übriges in dieser Zeit: Technik und Wissen­schaft konnten die Probleme dieser Welt nur bedingt lösen.

Auch die umfassende Stadtentwicklungsplanung scheiterte an ihrem Anspruch, flächendeckend über alle Politikbereiche hinweg und trotzdem wissenschaftlich exakt die Gesellschaft über die Ressource Raum planen zu können. Sie konnte weder die Integrations-, noch die politische Steuerungsfunktion erfüllen (Göb 1989: 291). Die angestrebte systematische Planung erwies sich als Utopie. Als Gründe für das Scheitern führt Göb (1989: 292) die Trendbrüche an, die langfristige Prognosen nicht zuge­lassen haben, die politischen Entscheidungsträger, die mit den wissenschaftlichen Bewertungsverfahren oft nichts an­zu­fangen wußten, sowie den Umstand, daß die ‘Verweigerungsmacht’ größer sei als die ‘Durch­setzungs­macht’. Ganser (1991: 58) nennt als externe Gründe u.a. die Konkurrenz der Fach­planungen sowie die unstete öffentliche Finanzpolitik. Die unzureichende Planungsmethodik bzw. die riesigen Plan­werke, die schon bei ihrer Verabschiedung veraltet waren, taten ein Übriges. Die Stadt­entwicklungs­planung war „autoritär und informationell überfordert“ (Helbrecht 1994: 41); ihre großflächigen und zentral formulierten und gesteuerten Programme zielten an regionalen und lokalen Unterschiedlichkeiten vorbei und erwiesen sich durch ihre standardisierten Lösungen als suboptimal (Göb 1989: 293).

Die Planungseuphorie schlug also um in Ernüchterung. Es gab Autoritätsverfall und Selbstkritik (Göb 1990: 593). Die Planung zog sich traumatisch von ihrem Gestaltungsanspruch zurück: große Visionen, Leitbilder und Utopien kamen aus der Mode. Dieser ‘Planungsschock’ der 70er ist heute noch durch die allgemeine Ablehnung der Bauwerke und Fehlplanungen dieser Zeit erkennbar (Helbrecht 1994:41).

Im den folgenden Achtzigern wurde man infolgedessen bescheidener: anstelle der flächendeckenden Reißbrettplanung setzte man auf Pragmatismus, auf feinkörnige Engpaßplanung und ad hoc-Maß­nahmen, die v.a. Themen wie Stadterneuerung, Wohnumfeldverbesserungen und Verkehrsbe­ruhigungen umfaßten. Diese Detailverbesserungen waren durchaus wichtig und sinnvoll, aber eine langfristige Neuorientierung der Stadtentwicklungsplanung wurde mit Blick auf die vergangenen Erfahrungen gar nicht erst versucht. Auch aufgrund der wirtschaftlichen Krisen- und Stagnationszeiten beschränkte man sich auf kleinteilige durchführbare Projekte. Ganser (1991: 59) spricht von einer „konservativen Zu­kunftsplanung“, Albers (1995: 883) von einer „Veränderungsfeindlichkeit“. Es kam zu einer Strategie des ‘muddling through’, des ‘Durchwurstelns’, deren Funktionalität von der Nostalgiewelle des post­modernen Historismus getragen wurde (Helbrecht 1994: 41). Diese Vermeidungslogik, die auf Dauer „Utopie- und Gestaltungsabstinenz“ gleichkommt (Wentz 1992: 17) und dem heutigen Handlungs­bedarf nicht mehr gerecht wird, ist der eigentliche Kern der aktuellen Kritik und damit ein Grund für das Aufkommen von Formen wie Stadtmarketing und ähnlichem.

Hier sollen v.a. Planer zu Wort kommen, die Anforderungen an eine ‘neue Planungskultur’ beschrei­ben, ohne daß explizit der Begriff Stadtmarketing fällt. In den folgenden Kapiteln wird dann zu zeigen sein, ob und inwieweit Stadtmarketing diese Forderungen im Idealfall erfüllt.

Im Vergleich zu früher, wo „die normenintegrierende Identität von Staat und Gesellschaft die politische Zielfindung erleichterte“ (Göb 1989: 292), ist die Gesellschaft pluralistischer und vielschichtiger geworden. Es gibt anstatt einem eindeutigen ‘Entweder-Oder’ eine farbige Palette ausdifferenzierter Posi­tionen: „Die Zahl der Anhänger wird kleiner, der Mut zur Entscheidung in der Regel ebenso“ (Wentz 1992: 16). Jede Entscheidung eröffnet in unserem komplexen sozialen System eine ganze Reihe von Ungewißheiten. So verwundert es nicht, daß langfristige und umfassende Konzeptionen von Verant­wortlichen gerne vermieden werden und eher dazu tendiert wird, kurzfristige politische Effekte zu pro­duzieren (Wentz 1992: 16f.). Auch die bessere Ausnutzung von Rechtsmittel und politischen Druck hat Bürgern und Gruppen geholfen, ihre eigenen Interessen besser durchzusetzen. So werden über den Rechtsweg häufig Projekte verhindert, die für die städtische Entwicklung im Ganzen sogar notwendig wären. „Trotz immer größeren Problemdrucks in den Städten gibt es immer weniger Entscheidungen; Resignation und Stagnation sind die Folgen“ (Honert 1991c: 63). Partei­ange­hörig­keit und deren An­spruch auf Solidarität vermischen sich immer mehr mit Problem­lösungsverfahren. Es werden im Planungs­prozeß keine Gespräche mehr geführt, sondern Standpunkte deklamatorisch ver­kündet (Wiese-von Ofen 1992: 33f.). „Es wird viel geredet, aber nicht kommuniziert, diskutiert und ent­schieden“ (Speer 1992: 37). Die oft knappen und instabilen Mehrheitsverhältnisse in den Kom­munal­­parlamenten führen immer öfter zu Entscheidungsunfähigkeit oder zur Vertagung von Problemen. „Das lähmende Starren auf den nächsten Wahltermin oder der ‘kleine Städtebau’ (...) reichen aber nicht aus, um sich verantwortungsbewußt mit den Zukunftsproblemen auseinander­zusetzen. Eine langfristige und schöpferische Planung ist notwendig“ (Speer 1992: 37).

Es ist nötig, Planung v.a. als Dialog- und Kooperationsform zu interpretieren, als „interaktiven Planungs­prozeß“ (Göb 1989: 289). Damit ist auch eine geänderte Sichtweise von Bürgerbeteiligung ge­fordert: nicht mehr das ‘Abspulen’ routinierter Alibiveranstaltungen (Wentz 1992: 18), sondern die aktive Einbeziehung endogener Potentiale ist in den Mittelpunkt gerückt. Die früher tief im politischen System stattfindenden Planungs- und Entscheidungsprozesse wurden Stück für Stück an die Öffent­lichkeit geholt. Beim ersten Schritt ging es darum, den Zugang zu den Prozessen zu schaffen, also um Information und Transparenz; in den 70er Jahren folgten dann erstmals Mitwirkungsrechte, die dann nach und nach durch das fachliche Wissen von Bürgerinitiativen in Bemühungen um Kooperation übergingen (Selle 18992: 28). Durch solche ‘Konsensmechanismen’ könnten Widerstand und recht­licher Widerspruch frühzeitig umgangen werden (Wentz 1992: 15). Auch laut Selle (1992: 23) sind diese lokalen Potentiale grundlegend für ortsspezifische Lösungen und eine ‘fehlerfreundliche und lernfähige’ Politik, die nur über integrative Konzepte den Städtebau der Zukunft gestalten kann: „An die Stelle technokratischer, segmentierter und monologischer Entscheidungsverläufe treten prag­matische, auf Problemzusammenhänge gerichtete, dialogische Prozesse“ (Selle 1992: 24). Aber diese Einsicht hat sich bisher nur zum geringsten Teil durchgesetzt. Die Politik verharrt in Planungsabstinenz und die Verwaltung erweist sich als innovationsresistent (Göb 1989: 293). „Kleinkariertes, provinzielles Kirch­turm­denken bestimmt das politische Geschehen in unseren Städten und Gemeinden“ schreibt Speer (1992: 37) über die „statisch denkende Verweigerungsgesellschaft“.

Durch das Verständnis von Planungsprozessen als „kooperative Entwicklung von Problemlösungen“ (Selle 1992: 24) ändert sich somit auch das Selbstverständnis der Planer: sie werden vom ‘Pläne-Macher’ am Reißbrett zum Vermittler, Moderator oder Manager von Konsensfindungsverfahren. Selle (1991: 34) sprich sogar von einem Paradigmenwechsel in der Stadtplanung, seiner Meinung nach heißt es zukünftig „statt Regulation Moderation, statt Planung vom Schreibtisch aus Handeln vor Ort, statt Planen für... Kooperation mit...“. Und Hoffmann-Riehm (1990: 41), der sich mit Verhand­lungs­lösungen in der öffentlichen Verwaltung auseinandersetzt, folgert:

„Umfassende Verhandlungslösungen setzen eine neue Kultur breiter Partizipation und des administrativen Kompromisses voraus, die sich nur allmählich entwickeln wird. Deutsche Ver­waltungspraktiker, Wirtschaftsunternehmen, Verbände, Wissenschaftler und andere Beteiligte werden noch viel zu lernen haben. Ziel zukünftiger Bemühungen muß es sein, das kooperative Aushandeln so in die Praxis und die Rechtsordnung zu integrieren, daß die Fähigkeit zur Lösung komplexer Probleme erhöht wird, ohne daß die bisherigen rechts- und sozialstaatlichen Sicherungen verloren gehen. Vermutlich wird dies auf Dauer grundlegende Reformen des deut­schen Verwaltungsrechts erfordern.“

Mit all den genannten Forderungen würde sich Stadtmarketing einschließlich seinen Ansprüchen (vgl.4.4 und5) exakt in diese ‘neue Planungskultur’ einfügen. Interessant ist, daß in der aufgeführten Litera­tur über neue Planungskulturen und diskursive Strategien viele Beispiele wie Mediations­ver­fahren, Verkehrsforen o.ä. genannt werden (Sinnig 1995), der Begriff Stadtmarketing aber in diesem Zusam­menhang explizit fast nie fällt. Die Literatur über Stadtmarketing hingegen nimmt selten Bezug auf andere kooperative Verfahren in der Stadt- und Regionalplanung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Theoretische Rahmenbedingungen für das Entstehen von Stadtmarketing

Auch wenn der Trend zur „marktgerechten Stadt“ (Heinz 1990a und 1992) bedenkenswert ist, scheint Stadtmarketing letztendlich eine längst überfällige Antwort auf die neuen Herausforderungen der Stadtplanung. Laut Helbrecht (1994: 42) ist es trotz aller Vorsicht gegenüber Politikansätzen mit marktwirtschaftlichen Terminologien entscheidend, daß „mit der Galionsfigur Stadtmarketing (...) erst­malig seit fast zwanzig Jahren überhaupt wieder neue Konzepte zu einer integrierten lokalen Ent­wicklungspolitik diskutiert werden“. Nach Phasen der allumfassenden Planung der Sechziger und Siebziger und dem Rückzug ins Kleinräumige in den Achziger Jahren stellt Stadtmarketing in den Neunziger somit eine dritte Phase der Stadtentwicklung dar, die auf die veränderten Rahmen­be­din­gungen reagiert: „Je umfassender der gesellschaftliche Strukturbruch wird und je tiefer die Strudel der Restrukturierung reichen, um so mehr erhöht sich der Bedarf der politischen und ökonomischen Ent­scheider nach langfristigen, strategischen Konzepten. Aktive Steuerungs- und Koordinations­leistungen sind wieder gefragt“ (ebd: 42). Stadtmarketing ist z.Zt. vielleicht die einzige Antwort, die praktiziert und mit der experimentiert wird. Ob sie auch die richtige ist und dem Handlungsbedarf gerecht wird, bleibt trotz allem noch offen und muß abgewartet werden. Selbst für die hier untersuchte Fallstudie kann das nur eine vorläufige und keine endgültige Bewertung sein. „Es können also pla­nungspolitische Hoffnungen einer modernen Neuorientierung sowie Zerrbilder des Ausverkaufs von Planung an den Markt gleichermaßen mit dem Phänomen Stadtmarketing verbunden sein“ (Helbrecht 1994: 42f.). Aber auch dies macht die Beschäftigung mit diesem neuen Ansatz um so interessanter. In Abb. 2 werden die Rahmenbedingungen für das Entstehen von Stadtmarketing zusammenfassend aufgezeigt.

4 Stadtmarketing: Entwicklungen und Inhalte

4.1 Gründe für das Aufkommen von Stadtmarketing

Welches sind nun die geänderten Rahmenbedingungen, die neue Herausforderungen mit sich bringen und neue planungspolitische Innovationen notwendig machen? In der Stadtmarketing-Literatur werden zahlreiche Entwicklungstendenzen, sogenannte ‘Megatrends’ aufgezählt, die jedoch allzuoft additiv und eklektizistisch verwendet werden (Helbrecht 1994: 78). Beim Versuch einer Systematisierung (in Anlehnung an Schäflein 1994: 150 und Honert 1991: 91f.) könnte man drei Hauptmotive aus­machen, die jedoch stark miteinander verflochten sind:

1. Die interkommunale Konkurrenz
2. Wachsende Komplexität und Differenziertheit innerkommunaler Aufgaben und Prozesse
3. Verändertes Demokratiebewußtsein und Verwaltungsverdrossenheit

Ob diese allgemeinen Gründe auch dem Problemdruck vor Ort entsprechen und zur Initiierung von Stadt­marketingprojekten führen, sei jedoch dahingestellt und soll für die Fallstudie noch genauer betrach­tet werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 101 Seiten

Details

Titel
Stadtmarketing - Erfahrungen eines neuen kooperativen Ansatzes in der Stadtentwicklungspolitik am Beispiel der Stadt Überlingen
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Geographisches Institut)
Note
1,5
Autor
Jahr
1996
Seiten
101
Katalognummer
V88
ISBN (eBook)
9783638100649
Dateigröße
2116 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der Autor erhielt für diese Arbeit den Walter-Christaller-Preis.
Schlagworte
Stadtmarketing, Erfahrungen, Ansatzes, Stadtentwicklungspolitik, Beispiel, Stadt
Arbeit zitieren
Robert Schuster (Autor:in), 1996, Stadtmarketing - Erfahrungen eines neuen kooperativen Ansatzes in der Stadtentwicklungspolitik am Beispiel der Stadt Überlingen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88

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