Ethnomethodologie - Theorie und Empirie


Hausarbeit, 1997

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitungsteil
1.1 Einführung
1.2 Überblick über die Gestaltung der Hausarbeit

2. Hauptteil
2.1 Harold Garfinkel
2.2 Begriff der Ethnomethodologie
2.3 Was ist Ethnomethodologie
2.4 Erkenntnisinteresse der Ethnomethodologie
2.5 Theorie zur Konstruktion der sozialen Wirklichkeit
2.6 Soziale Wirklichkeit
2.6.1 Alltagswirklichkeit und Alltagswelt
2.6.2 Krisenexperimente
2.6.3 Alltagswissen
2.6.4 Die bewußte Aneignung von Alltagswissen
2.6.5 Methoden der Ethnomethodologie
2.6.6 Handlungen
2.6.7 Alltagsdenken

3. Schlußteil
3.1 Kritik an der Ethnomethodologie

1. Einleitungsteil

1.1 Einführung

Die Grundproblematik dieser Hausarbeit beschäftigt sich mit der Ethnomethodologie. Sie ist eine Forschungsrichtung der Soziologie und gilt als eine der schwerverständlichsten soziologischen Lektüre:

"Der Sprecher erwartet, der andere werde seinen Bemerkungen den vom Sprecher intendierten Sinn zuschreiben, und gerade dadurch erlaube der andere ihm, dem Sprecher, die Annahme, dass beide wüssten, worüber der Sprecher gerade spreche - und zwar ohne dass irgendeine Überprüfung erforderlich sei." (Garfinkel 1973, S. 205)

Harold Garfinkel schuf mit der Ethnomethodologie einen Ansatz, der eine Gegenbewegung zum Strukturfunktionalismus ausprägen sollte.

1.2 Überblick über die Gestaltung der Hausarbeit

Das folgende Textmaterial widmet sich kurz dem Urheber der Ethnomethodologie, Harold Garfinkel, und seiner Bedeutung für diese außergewöhnliche Forschungsrichtung in der Soziologie. Die Ausarbeitung beschäftigt sich dann mit den Fragen zur Beschreibung und zum Ziel der Ethnomethodologie. Anschließend stellt dieser Text besondere Begriffe und deren Anwendung dar. Zusätzlich erfolgt dann ein Einblick in verschiedene Forschungsexperimente und abschließend werden Kritiken zur Ethnomethodologie vorgestellt.

2. Hauptteil

2.1 Harold Garfinkel

Harold Garfinkel machte 1954 die spezielle Forschungsrichtung der Soziologie erstmals bekannt. Der Urheber studierte ab 1952 an der Harvard Universität und war ein Schüler von Talcott Parsons. An dieser Universität lernte er Schütz kennen und wurde durch jenen in seiner weiteren Arbeit sehr beeinflußt. In seiner Dissertation unternahm Garfinkel eine detaillierte Studie über die unterschiedlichen handlungstheoretischen Grundvorstellungen von Parsons und Schütz sowie ihren gedanklichen Hintergründen.

2.2 Begriff der Ethnomethodologie

"... Ethnomethodologie... gilt als Spezialdisziplin, die sich im Rahmen einer kognitiven Soziologie einordnet, einer Soziologie des Zustandekommens sozialen Wissens..." (Weiss 1993, S. 121)

Der Begriff Ethnomethodologie setzt sich aus "ethno" und "methodology" zusammen. Die Silben "ethno" verweisen auf Ethnos und Ethnographie, d.h. die Praxis von gewöhnlichen Menschen und eine beschreibende Völkerkunde. Die Silben "methodology" verweisen auf die Methodik, nach der die praktische Aktivität aufgebaut ist. Garfinkel war sich über sein außergewöhnliches Forschungsinteresse im klaren. Er prägte den Ausdruck Ethnomethodologie, weil er auf keine soziologischen Fachbegriffe zurückgreifen konnte.

(vgl. Weiss 1993, S.111)

2.3 Was ist Ethnomethodologie

"... Ethnomethodologie enthüllt das soziale Leben als eine Reihe solch beeindruckender Leistungen der Wirklichkeitskonstruktion, völlig abgehoben vom aktuellen Verhalten, Inhalten und Emotionen." (Weiss 1993, S. 120)

Das Lexikon beschreibt Ethnomethodologie als eine Forschungsrichtung, die versucht, Methoden ausfindig zu machen, mit denen der Mensch sich seinen Alltag erschafft.

Das Ziel dieser Wissenschaft ist es, so nah wie möglich die Einzelheiten zu erforschen, die das soziale Leben von Moment zu Moment ausmachen. Es sind die Methoden, mit denen die Gesellschaftsmitglieder tägliche Routinearbeiten, selbstverständliche Handlungen und Interaktionen, also zwischenmenschliche Unternehmungen, bewältigen.

(vgl. Lexikon der Soziologie 1994, S.186)

2.4 Erkenntnisinteresse der Ethnomethodologie

Garfinkel will mit der Ethnomethodologie Methoden untersuchen, mit denen Handelnde ihren Alltag erzeugen und ihrer Welt einen Sinn, eine Bedeutung, geben. Er will aber auch zeigen, daß die untersuchte Alltagswelt zerbrechlich und selbständig ist. Die Ethnomethodologie beschäftigt sich intensiv mit Schemata, die das Wesen des Menschen verändern können. Das Erkenntnisinteresse richtet sich demzufolge auf die Eigenschaften der Methoden, die zur Erschaffung und Zerstörung der sozialen Wirklichkeit eingesetzt werden. Antworten auf diese Fragen finden die Forscher nur durch Erarbeitung und Überprüfung individueller Wirklichkeiten.

Empirische ethnomethodologische Forschung wird in einer Vielzahl von verschiedensten Handlungsfeldern durchgeführt, da ein konkreter Untersuchungsbereich nicht eingrenzbar ist.

(vgl. Patzelt 1987, S. 11)

2.5 Theorie zur Konstruktion der sozialen Wirklichkeit

Garfinkel hält sich bei seinen theoretischen Betrachtungen an Heideggers Aussagen, der die Existenz- angst des Menschen als Grundlage dafür sieht, daß sich das Individuum ständig im Alltag einen Sinn erzeugt. Dieser beliebige Sinn wird durch Mitmenschen weitergeführt. Garfinkel betrachtet die soziale Wirklichkeit aus der Sichtweise eines Forschers. Er sieht die Wirklichkeit als gegeben und entworfen. In den Augen des Alltagsmenschen ist die Wirklichkeit allerdings eine Selbstverständlichkeit. Diese Selbstverständlichkeit herrscht vor, da bei einer Hinterfragung des alltäglichen Lebens eine mysteriöse Unbegründbarkeit auftaucht. Mit diesen Aussagen stützt sich

Garfinkel auf Schützsche Behauptungen, daß diese Unbegründbarkeit für den Mensch mysteriös erscheint und mit verschiedensten Auslegungen überdeckt und verschleiert werden muß. (vgl. Weiss 1993, S. 111)

2.6 Soziale Wirklichkeit

Die soziale Wirklichkeit setzt sich aus Alltagswirklichkeit, Alltagswelt, Alltagswissen und All- tagsdenken zusammen. Sie wird durch aufeinander bezogene Handlungen konstruiert. Der Handelnde erzeugt ständig seine Wirklichkeit. Permanent arbeitet er an dieser und versucht, soziale Ordnungen zu konstruieren und aufrechtzuerhalten. Die soziale Wirklichkeit besteht für alle aus verschiedensten Sinnzusammenhängen und gängigen Definitionen. Diese Wirklichkeit ist selbstverständlich und wird durch Reflexivitätsprozesse hervorgebracht und aufrechterhalten. Das bedeutet in dem jeweiligen Kontext, daß eine Abstimmung von Sinndeutung und Handlung erfolgen muß.

(vgl. Patzelt 1987, S. 101-103)

2.6.1 Alltagswirklichkeit und Alltagswelt

Der Begriff Alltagswirklichkeit wird nicht durch kennzeichnende Inhalte gedeutet, er gilt als die Wirklichkeit schlechthin. Von ihm aus sind alle anderen zugänglichen Wirklichkeiten erreichbar. In den Bereich kehrt man zurück, wenn alle anderen gestreiften Wirklichkeiten vergangen oder verfallen sind. Die Alltagswelt ist das soziale Feld in dem Alltagswirklichkeit erfahren und aufrechterhalten wird. Sie gilt als Lebenswelt und wird als historisch empfunden. Bei jedem war diese Welt bereits vor der Geburt vorhanden, wurde also damals schon von anderen gelebt, interpretiert und gestaltet. Im Augenblick also, m Jetzt, erlebt man sie selber, interpretiert und gestaltet hier nach eigenen Vorstellungen. Nach dem Tode wird diese Alltagswelt weiterhin von anderen gelebt, interpretiert und gestaltet.

Die Basis des Alltagslebens ist die gegenseitige Normalitätserwartung, auch Reziprozität genannt. Sie wird nicht in Frage gestellt, denn sie ist der Rahmen für gemeinsame Sinndeutungen und Handlungen.

Ebenso wird in einer Ethnie die Hintergrundserwartung als selbstverständlich angenommen und nicht verletzt. Ethnie wird von Ethnomethodologen definiert als:

"... eine beliebig große Gruppe von Menschen, die eine spezifische soziale Wirklichkeit gemeinsam hervorbringen, aufrecht erhalten und handlungsleitend benutzen." . (Patzelt 1987, S. 59)

Ethniemitglieder sind in der Lage, Wirklichkeitsmerkmale, Ereignisse, Äußerungen und Handlungen selbst zu erklären. Dadurch geben sie ihrer sozialen Wirklichkeit einen Sinn.

Solche Hintergrundserwartungen ermöglichen die Erstellung und die Wiedergabe sozialer Strukturen. Das Verhalten des Menschen wird durch Wissensbestände beeinflußt. Diese Bestände können ständig verwandt, variiert und auch vernichtet werden. Den Akteur beeinflussen augenblickliche und denkbare Handlungen sowie Handlungsumstände im alltäglichen Leben. In der Alltagswelt werden so vorwiegend Informationen gesucht, die brauchbar und in aktuellen Augenblicken notwendig sind. Solches Wissen ist individuell.

Da die Alltagswelt in verschiedenen Ausprägungen auftritt, hat das zur Konsequenz, daß "Ego" und "Alter" diese reale Welt ohne zu zweifeln annehmen. "Ego" und "Alter" stellen das "Ich" und den "Anderen" - also den Akteur und die Person auf die sich seine Handlung richten oder die mit ihm interagiert - dar. Mit diesen Voraussetzungen gibt es in der Kommunikation kaum Probleme. Dank der Verständigung ist es Akteuren möglich, Sinndeutungen und Handlungen zu besprechen bzw. durchzuführen. Hier helfen Zeichen.

Zu den Zeichen zählt die Ethnomethodologie nicht nur Worte, Tonfälle, Gesten, Mimik und Handlungen, sondern auch Gegenstände, Orte sowie Zeitpunkte. Sie sind wichtig für eine verständliche und gewinnbringende Kommunikation. Durch Zeichen wird in der Situation der Sinn, also die Bedeutung, übermittelt. Das Verstehen solcher Zeichen bezieht sich auf die Wissensbestände einer Ethnie. Durch mehrere Zeichen wird dann auf unterschiedlichste Kontexte - Bedeutungszusammenhänge - verwiesen, wo dann je nach Situation der richtige Zusammenhang herausgefunden wird. Die Möglichkeit des Zeichens auf vielfältige Handlungsumstände, innerhalb der Wissensbestände von Ethniemitgliedern hinzuweisen, wird als Indexikalität bezeichnet.

Ein Beispiel soll die Erklärung zur Indexikalität noch etwas verdeutlichen. Ego trifft Alter auf der Straße und benutzt ein Zeichen, das auf verschiedene Kontexte hinweist - ein indexikales Zeichen - indem er Alter zulächelt. Mit diesem Verhalten beginnt Ego mehr oder weniger bewußt ein Grußritual. Alter nimmt dieses Lächeln wahr und muß nun diesen Kontext richtig interpretieren. Diese Leistung ist möglich, da Ego und Alter Mitglieder einer Ethnie sind und über gleiche Wissensbestände verfügen. Nun müßte Alter, um diesen Kontext nicht zu stören, der Handlung den Sinn des Grußritual geben. Alter kann diese Situation aber auch anders definieren. Zum Beispiel könnte dieses Lächeln auf Ironie, Verachtung, Spott, Mitleid, Zufall, Annäherungsversuch, Gedankenlosigkeit oder auch Schizophrenie des Egos hindeuten. Diese Indexikalität „... begreift Garfinkel ... als ‘unheilbar’, als Eigenschaft jeder Aeusserung also.“ (Eberle 1984, S. 449)

Weiterhin zählt die Reflexivität zu den zentralen Konzepten. Sie wird als die stetige Wider- und Rückspiegelung von situationsbezogenen Deutungen indexikaler Zeichen bezeichnet. Das Beispiel zur Indexikalität kann hier fortgesetzt werden.

Ego hat Alter zugelächelt, hat damit das Grußritual ausgelöst und setzt jetzt als selbstverständlich voraus, daß Alter das Ritual aufgreift und weiterführt. Nun hat Alter verschiedene Situationsde- finitionen zur Verfügung, d. h. er kann dieses Lächeln, wie auch im obigen Beispiel, auf Ironie, Verachtung, Spott, Mitleid, Zufall, Annäherungsversuch, Gedankenlosigkeit bis hin zur Schizophrenie des Egos auslegen. Was dieses angedeutete Lächeln aber nun genau bedeuten soll, kann nicht eindeutig geklärt werden. Das entscheidet die augenblickliche Situation, in der sich Ego und Alter befinden.

Beide Interaktionspartner besitzen die gegenseitige Normalitätserwartung. Wenn nun Alter ebenfalls lächelnd auf Ego reagiert, so wird aus der Kontextfülle eine Teilmasse heraus genommen, und zwar diejenige, in der das Lächeln den Gruß beginnt. Wenn dieser Kontext dann entschlüsselt ist, sind die Folgehandlungen wie das gegenseitige Aufeinander-Zugehen, das Händeschütteln, das Austauschen von indexikalischen Wortkombinationen ohne Probleme ausführbar. Dieses Gesamtverhalten formiert sich zu einem Bild und erstellt die als selbstverständlich aufgefaßte Wirklichkeit einer mehr oder weniger intensiven Bekanntschaft.

Wenn Alter allerdings nicht auf Egos Lächeln in beschriebener Weise reagiert, so ist der Kontext des Grußrituals nicht entschlüsselt worden. Nun beginnt Ego die Handlung von Alter zu interpretieren. Hier ist zum Beispiel möglich, daß Ego sich die Situation damit erklärt, daß Alter ihn nicht gesehen hat oder das Alter ihn ignoriert. Aus der Menge anwendbarer Kontexte sucht nun Ego aus. Möglich wäre, daß Ego die Sache vorerst auf sich beruhen läßt und beim nächsten Treffen Alter auf diesen Kontext anspricht und dann erst die Deutung vornimmt. Es wäre auch möglich, daß Ego beschließt, seine Deutung nicht aufzuschieben und somit festlegt, daß Alters Handlung Absicht war. (vgl. Patzelt 1987, S. 66)

2.6.2 Krisenexperimente

Die Krisenexperimente sollten die Kategorie der Alltagswelt offenlegen und bestätigen. Das Anliegen war es, die durchgängig regulären Strukturen der natürlichen Einstellung im Alltag herauszufinden und den Aufbau des eigenen Bewußtseins kennenzulernen. Garfinkels Krisenexperimente sind Demonstrationen. Mit denen kann er deutlich zeigen, wie der normale Alltag gestört wird. Die als normal angesehene Oberfläche des Alltagslebens wird damit massiv aufgewühlt. Es kommt zur Erschütterung der Wirklichkeit. Harold Garfinkel demonstriert so die gegenseitige Hintergrundserwartung als grundlegende Haltung des Alltagslebens. Bestätigende Beispiele sind Garfinkels Studenten, die die Aufgabe hatten, sich zu Hause wie Fremde zu benehmen und dazu ein Protokoll zu erstellen. Das ungewohnte Verhalten eines jeden Studenten löste in den Familien und auch beim Studenten selbst, Reaktionen wie tiefstes Erstaunen, Peinlichkeit, Entsetzen, Angst und Zorn aus. Die Angehörigen bemühten sich, durch eigene Interpretationen, die Zweckmäßigkeit ihrer Handlungen wieder herzustellen. Es kam dort zu Aussagen, daß der Student zum Beispiel mit Arbeit überlastet wäre oder eventuell krank sei. Er könnte auch die Absicht haben, allen etwas mitteilen zu wollen, würde sich aber nicht trauen.

Damit kommt Garfinkel zu dem Ergebnis, daß diese Störungen des Alltags Verwirrung und Hilflosigkeit auslösen. Die Hilflosigkeit tritt auf, wenn gewohnte Alltagsrituale geraubt werden und die Selbstverständlichkeit einer Rolle zerbricht. In den Experimenten schienen sich die Strukturen des Alltags empirisch zu bestätigen. Wenn solche Störungen längerfristig auftreten, kann dies sogar zu sozialem Wandel führen oder Wirklichkeiten auf Dauer zerstören.

(vgl. Weiss 1993, S. 112)

[...]

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Ethnomethodologie - Theorie und Empirie
Hochschule
Technische Universität Chemnitz  (Soziologie)
Veranstaltung
Mikrosoziologie Übung
Note
1,7
Autor
Jahr
1997
Seiten
16
Katalognummer
V8783
ISBN (eBook)
9783638156684
ISBN (Buch)
9783640645886
Dateigröße
397 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ethnomethodologie, Garfinkel, Alltagsforschung
Arbeit zitieren
Claudia Braun (Autor:in), 1997, Ethnomethodologie - Theorie und Empirie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8783

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