Der Beller'sche Entwicklungsbogen in einer Kinderkrippe

Die Anwendbarkeit des Bogens aus Erziehersicht


Magisterarbeit, 2007

155 Seiten, Note: 2,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Ausgangslage (Problem) und Zielstellung der Arbeit
1.2. Die Fragestellung der Arbeit
1.3. Die theoretischen und empirischen Gegenstandsbereiche der Arbeit
1.3.1. Der „Entwicklungsbogen“ von Kuno und Sabine Beller
1.3.2. Pädagogischer Auftrag und Rahmenbedingungen der Kinderkrippe
1.3.3. Die Anwendung des „Entwicklungsbogens“ in der Kinderkrippe
1.4. Die Methodik
1.5. Die Erwartungen an die Arbeit
1.6. Die Anlage der Arbeit

2. Die Gegenstandsbereiche und deren theoretischer Hintergrund
2.1. Der „Entwicklungsbogen“ von Kuno und Sabine Beller
2.1.1. Der Hintergrund des „Entwicklungsbogens“
2.1.1.1. Das Berliner Modell der Kleinkindpädagogik
2.1.1.2. Der theoretische Hintergrund des „Entwicklungsbogens“
2.1.2. Der „Entwicklungsbogen“
2.1.2.1. Aufbau und Inhalt des Bogens
2.1.2.2. Funktionen und Zielsetzungen des Instrumentes
2.1.2.3. Die Anwendung sowie deren Voraussetzungen
2.1.3. Praxiserfahrungen mit dem „Entwicklungsbogen“
2.2. Pädagogischer Auftrag und Rahmenbedingungen der Kinderkrippe
2.2.1. Leistungen, Funktionen und Charakteristik einer Kinderkrippe
2.2.2. Erziehung und Bildung im frühkindlichen Kontext
2.2.3. Die konstruktivistische Sicht auf das Kind
2.2.4. Der Hintergrund des Bildungsauftrages in Kindertageseinrichtungen.
2.2.4.1. Der Impetus zur Einführung eines Bildungsauftrages
2.2.4.2. Das Bundesmodellprojekt als Vorläufer des sächsischen Modellprojektes
2.2.4.3. Das Modellprojekt: „Implementierung des Bildungsauftrages in die Kindertagesstätten der Stadt Leipzig“
2.2.4.4. Wie kann aus einer Kindertagesstätte eine Bildungseinrichtung werden?
2.2.5. Rahmenbedingungen in der pädagogischen Praxis
2.3. Die Anwendung des Beobachtungsinstrumentes „Entwicklungsbogen“ in der Kinderkrippe
2.3.1. Die Charakteristik der Beobachtung
2.3.1.1. Was heißt beobachten?
2.3.1.2. Welche Merkmale hat eine Beobachtung?
2.3.1.3. Was unterscheidet eine zufällige Alltagsbeobachtung von einer wissenschaftlichen Beobachtung?
2.3.1.4. Welche Zielstellungen kann eine Beobachtung verfolgen?
2.3.2. Der Stellenwert der Beobachtung im pädagogischen Alltag
2.3.3. Die Anwendung des „Entwicklungsbogens“ als Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis
2.3.3.1. Die Beobachtungen anhand strukturierter Beobachtungsbögen.
2.3.3.2. Die teilnehmende Beobachtung als sozialer Prozess im pädagogischen Alltag
2.3.4. Die Problematik der Beobachtung
2.3.4.1. Was beeinflusst die Beobachtung?
2.3.4.2. Fehlerquellen und Probleme bei der Beobachtung
2.3.5. Konsequenzen aus den Beobachtungen

3. Methodik
3.1. Der Methodenteil im Rahmen der Gesamtarbeit
3.2. Qualitative Daten
3.3. Die Erhebungsverfahren
3.3.1. Die Spezifik und Erstellung des Fragebogens
3.3.2. Die Spezifik und Erstellung des qualitativen Interviews
3.4. Die Stichprobe (Auswahlkriterien und Zusammensetzung)
3.5. Die Durchführung der Erhebung
3.5.1. Die schriftliche Erhebung mittels Fragebogen
3.5.2. Die mündliche Befragung mittels Einzelinterview
3.6. Die Auswertung der Erhebung
3.6.1. Die Auswertung der Fragebögen
3.6.2. Die Auswertung der Interviews

4. Die Ergebnisse der Erhebung
4.1. Zur Darstellung der Ergebnisse
4.2. Die Ergebnisdarstellung der Interviews
4.2.1. Die Einzelinterviews
4.2.1.1. Das Interview mit Frau Alpha
4.2.1.2. Das Interview mit Frau Beta
4.2.1.3. Das Interview mit Frau Gamma
4.2.1.4. Das Interview mit Frau Delta
4.2.1.5. Das Interview mit Frau Epsilon
4.2.2. Die Zusammenfassung aller Interviews
4.3. Die Ergebnisdarstellung der Fragebögen

5. Die Diskussion der Erhebung
5.1. Die Diskussion im Rahmen der Gesamtarbeit
5.2. Die Kinderkrippe und ihre Rahmenbedingungen als Grundlage für die Anwendung des „Entwicklungsbogens“
5.2.1. Allgemeine Einschätzungen der Erzieherinnen über die Anwendung des „Entwicklungsbogens“
5.2.2. Die Aus- und Weiterbildung der Erzieherinnen
5.2.3. Die Informationsgewinnung fachlich relevanter Informationen sowie der fachliche Dialog in der untersuchten Einrichtung
5.2.4. Die Rahmenbedingungen und die Beschäftigungssituation in der konsultierten Einrichtung
5.2.5. Die Beobachtungspraxis der untersuchten Einrichtung
5.2.6. Die Anwendung des Entwicklungsbogens mit seiner Spezifik
5.2.7. Die Antwort auf die im Rahmen dieser Arbeit gestellten Frage
5.3. Die Diskussion der Methode
5.3.1. Die empirischen Methoden Fragebogen und Interview
5.3.2. Die durchgeführte Erhebung

6 Die Reflexion der Arbeit und Ausblick
6.1 Die Reflexion der Arbeit
6.2 Der Ausblick- Die Situation vor und nach der Betrachtung der Fragestellung

Abstract

Im Rahmen der Umwandlung der Kindertagesstätten in Bildungseinrichtungen findet auch die Anwendung des „Entwicklungsbogens“ von Kuno und Sabine Beller in einer Leipziger Kinderkrippe statt. Die vorliegende Arbeit eruiert die Anwendungserfahrungen der beteiligten Erzieherinnen. Dabei besteht die vor Beginn der dazu durchgeführten empirischen Untersuchung gefühlte Problemlage auch nach der Erhebung fort.

Der hier beschriebene „Entwicklungsbogen“ soll die individuelle Förderung der Kinder unter Einbeziehung konkret zu beobachtender Verhaltensweisen ermöglichen, erfordert allerdings eine Einführung in die zeitaufwändige Instrumentenanwendung und auch die Motivation der beteiligten Fachkräfte. Die Anwendung des Beobachtungsinstrumentes „Entwicklungsbogen“ wird unter den hier angesprochenen Aspekten als eher fragwürdig eingestuft, zumal die Fachkräfte mit dem Instrument arbeiten müssen und keine gezielte Einweisung in dessen Anwendung erfolgt ist. Es scheinen wichtige Voraussetzungen für eine adäquate Anwendung des hier beschriebenen Instrumentes noch nicht vollständig vorzuliegen, zumal dessen theoretische und methodische Fundierung in der Literatur nicht auszumachen war.

Ein weiteres Ziel der Arbeit ist es, weitere Evaluationsstudien zur adäquaten und reflektierten Anwendung des „Entwicklungsbogens“ anzuregen.

1. Einleitung

1.1. Ausgangslage (Problem) und Zielstellung derArbeit

Mein Sohn besucht eine Kindertageseinrichtung, in der das Beobachtungsinstrument „Entwicklungsbogen“von Kuno und Sabine Beller verwendet wird. Als uns Eltern dieser vorgestellt wurde, äußerten die Erzieherinnen erste Zweifel daran, ob sich dieses Instrument problemlos in die Arbeit der Kindertagesstätte einbauen lässt. Neben dieser gefühlten Problemlage stellt aber auch die aktuelle gesellschaftliche und politische Präsenz des Themas „Frühkindliche Bildung“ den Impetus dar, die Anwendungserfahrungen mit dem neu in die Arbeit der Kindertageseinrichtung zu implementierenden „Entwicklungsbogen“ zu verfolgen. Parallel zu dem persönlichen Bezug und der in Wissenschaft und Gesellschaft konstatierten Bedeutung der frühen Kindheitsphasebildet auch die Tatsache, dass die Erzieherinnen mit dem speziellen Bogen arbeiten müssenden Anlass, sich mit dessen Anwendung zu beschäftigen. Dabei soll die Verfolgung der Fragestellung aufzeigen, ob sich die Anwendung des Bogens im Kinderkrippenalltag bewährt oder nicht.Es haben sich im Laufe der durchgeführten Untersuchung aber nicht nur einige seiner Vorzüge sondern auch problematische Anwendungsaspekte gezeigt, womit hier besonders die zeitaufwändige Handhabung gemeint ist.

1.2. Die Fragestellung derArbeit

Die verfolgte Fragestellung lautet: „Wie bewerten die Erzieher einer Kinderkrippe die Anwendung des Beller'schen Entwicklungsbogens?“ Die Bearbeitung der Frage stützt sich auf die drei Pfeiler: 1. Der „Entwicklungsbogen“ von Kuno und Sabine Beller; 2. Pädagogischer Auftrag und Rahmenbedingungen der Kinder­krippe und 3. Die Anwendung des Beobachtungsinstrumentes in der Kinderkrippe. Diese Pfeiler stellen die Unterfragen der Hauptfragestellung dar und werden einerseits theoretisch erläutert und andererseits als empirischer Forschungsgegenstand im Rahmen einer Befragung der Erzieherinnen verfolgt.

Die Ausführungen des Theorieteiles beziehen sich auf das Zusammenwirken von in der Kinderkrippe vorliegenden Rahmenbedingungen und der Anwendung des „Entwicklungsbogens“. Eine dafür notwendige Grundvoraussetzung stellt die Beobachtung dar, zu der ebenfalls Ausführungen im Theorieteil gemacht werden. Die empirische Untersuchung erfragt mittels eines Fragebogens und eines Interviews neben konkreten Rahmenbedingungen auch die in der konsultierten Einrichtung vorliegende Beobachtungspraxis sowie schließlich die Einschätzungen der Erzieherinnen über die Anwendung des „Entwicklungsbogens“.

Die Reichweite der Fragestellung umfasst also keine Einschätzung über die Anwendung des „Entwicklungsbogens“ in anderen Kindertageseinrichtungen oder die Anwendungseigenschaften anderer Beobachtungsinstrumente. Andere Kindertageseinrichtungen verfügen über andere Rahmenbedingungen und andere Beobachtungsinstrumente.

1.3. Die theoretischen und empirischen Gegenstandsbereiche derArbeit

Die Betrachtung der Fragestellung und ihrer Pfeiler schließt drei theoretisch untersuchte Gegenstandsbereiche ein, die in ihrer Schnittmenge die empirisch untersuchte Anwendung des „Entwicklungsbogens“ ausmachen. Dabei klingen neben Ausführungen zu dessen Grundlagen auch solche zur Spezifik der institutionellen Kinderbetreuung und der Methode Beobachtung an. Diese drei Gegenstandsbereiche bilden also nicht nur die theoretische Basis der Arbeit sondern auch die empirisch ermittelten Anwendungsaspekte des „Entwicklungsbogens“.

Das Folgende beinhaltet einen kurzen Ausblick auf die einzelnen Gegenstandsbereiche. Die theoretischen Aspekte entstammen der kritisch reflektierten Literatur zum Thema und stellen die Grundlage der empirisch untersuchten Anwendungserfahrungen dar. Dazu gehören neben den Anwendungseigenschaften des „Entwicklungsbogens“ auch die Rahmenbedingungen und die praktizierte Beobachtungspraxis in der Einrichtung.

1.3.1. Der„Entwicklungsbogen“ von Kuno und Sabine Beller

Das strukturierte Beobachtungsinstrument „Entwicklungsbogen“ erfasst die kindlichen Entwicklungsveränderungen in acht Kompetenzbereichen in den ersten sechs Lebensjahren anhand konkreter Handlungsweisen. Diese Arbeit macht Ausführungen zu Aufbau, Inhalt, Funktionen und Zielsetzungen des Beobachtungsinstrumentes, das konkrete Items mit realem Bezug enthält. Diese Items müssen in bestimmten Abständen durch die Erzieher beurteilt werden. Darüber hinaus bilden bestimmte Kennwerte das individuelle Entwicklungsprofil eines Kindes, welches die Ausprägung der Kompetenzen in den Entwicklungsbereichen anschaulich darstellt.

Die Darlegung der theoretischen Fundierung des Instrumentes stellt sich allerdings aufgrund einer nicht eindeutigen und dünnen Literaturlage als problematisch dar, zumal sich die Autoren des „Entwicklungsbogens“ vom Prinzip der „essentiellen Grenzsteine“distanzieren. Dieses Prinzip betrachtet die vom Alter der Kinder abhängigen Fähigkeiten und deren relativer Position zur jeweiligen Bezugsgruppe. Der „Entwicklungsbogen“ ist aber eher auf die Darlegung eines individuellen Entwicklungsprofils aus, dessen Tief- oder Höhepunkte weder Retardierung noch Akzeleration bedeuten. Trotz dass sich die Autoren des „Entwicklungsbogens“ vom Prinzip der „essentiellen Grenzsteine“ abgrenzen, scheinen dennoch Parallelen zwischen jenem und dem

„Entwicklungsbogen“ in der altersabhängigen Einschätzung bestimmter entwicklungsbezogener Kompetenzen zu liegen.Darüber hinaus sollen sowohl der „Entwicklungsbogen“ als auch das Prinzip der „essentiellen Grenzsteine“ eine individuelle Einschätzung und Förderung der Kinder ermöglichen. Es war nicht eindeutig zu ermitteln, welches Prinzip dem „Entwicklungsbogen“ zugrunde liegt. Die empirische Untersuchung zum „Entwicklungsbogen“ erfragt dessen eingeschätzte Anwendungsfreundlichkeit sowie Vor- und Nachteile.

1.3.2. Pädagogischer Auftrag und Rahmenbedingungen der Kinderkrippe

Dieser Gegenstandsbereich der Arbeit wird damit eingeleitet, welche Aufgaben eine professionelle institutionelle Kinderbetreuung hat, nämlich nach modernem Verständnis auch Erziehung und Bildung. Eine vornehmliche Aufgabe liegt demnach darin, aus den ehemaligen „Verwahranstalten“ Bildungseinrichtungen zu machen.Die institutionelle Kindererziehung, wenn sie auch in Deutschland nicht flächendeckend zur Verfügung steht, soll eine Ergänzung zur familiären Erziehung darstellen.

Der Elementarbereichverfügt über eine eigene Spezifik, die mit den Ausführungen zur Erziehung und Bildung im frühkindlichen Kontext zum Ausdruck kommt.Diese setzt an dem frühen Bildungspotential der Kinder an und muss sowohl zwischen gesellschaftlichen als auch individuellen Interessen vermitteln, was sie zu einer komplexen Angelegenheit macht. Die moderne Sicht der Gesellschaft auf das Kind als ein aktives und selbst bestimmendes Individuum zieht eine komplementär dazu neu definierte Erzieherrolle als Unterstützer und Begleiter nach sich. Diese Überlegungen sind handlungsleitend für ein neues Erziehungsverständnis und geben neben den aktuellen politischen Bildungsdiskussionen und Erkenntnissen aus der Wissenschaft Anlass zur Erstellung eines Bildungsauftrages, der nun mittels eines Bildungscurriculumsumgesetzt werden soll. Bereits in einem Modellprojekt auf Bundesebene wurde versucht, einen für den Elementarbereich gültigen Bildungsbegriff zu erarbeiten, der nun didaktisch umgesetzt werden muss. Dabei soll in den folgenden Ausführungen auch anklingen, wie aus einer Kindertagesstätte unter entsprechenden Voraussetzungeneine Bildungseinrichtung werden kann.

Die Kinderkrippe mit ihren vorliegenden Rahmenbedingungen, in denen sich die Anwendung des „Entwicklungsbogens“ vollzieht, stellt einen weiteren Teil der in der empirischen Untersuchung ermittelten Anwendungserfahrungen dar.

1.3.3. Die Anwendung des „Entwicklungsbogens“ in der Kinderkrippe

Die Ausführungen dazu beginnen damit, was unter „Beobachten“ verstanden werden kann resp. über welche Merkmale eine Beobachtung verfügt. Ohne Beobachtung ist die Anwendung des „Entwicklungsbogens“ unmöglich, so dass Überlegungen dazu unumgänglich sind. Dabei stellt sich die Beobachtung als komplexer selektiver und sensorischer Vorgang dar, der alltäglich stattfindet. Deswegen wird des Weiteren auf eine Unterscheidung zwischen Alltags- und wissenschaftlicher Beobachtungeingegangen. Der Beobachtungsvorgang geht zudem mit einem gewissen Maß an Aufmerksamkeit und Interesse an den zu beobachtenden Sachverhalten einher, so dass sich hohe Anforderungen für den Beobachter ergeben.

Die Beobachtung im pädagogischen Kontext, die sich hierbei zumeist als sozialer und wechselseitig beeinflussender Prozess zwischen Kind und Erzieher darstellt, hat einen hohen Stellenwert. Die Methode der Beobachtung macht das grundlegende professionelle Rüstzeug der Erzieher aus, um Informationen über das einzelne Kind zu bekommen und daran eine adäquate Förderung anschließen zu können.

In dieser Darstellung über die Charakteristik der Beobachtung dürfen Aussagen zu Fehlerquellen resp. Einflussfaktoren deshalb nicht fehlen, weil sich die Beobachter nicht gänzlich von diesen potentiellen Störgrößen frei machen können und diese kennen sollten, um die Beeinflussung der Beobachtung zu reduzieren.

Eine Beobachtung erfordert besonders in Hinsicht des einzuführenden Bildungsauftrages sich anschließende Reflexionen, weil eine Beobachtung allein noch keine Zustandsänderung hervorruft. Die Auswertung der Beobachtungen sollte sowohl die Dokumentation der Ergebnisse als auch einen fachlichen Dialog und letztlich zu ziehende Konsequenzen umfassen. Die Beobachtungsmethode und schließlich die Anwendung des „Entwicklungsbogens“ als Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis stellen eine letzte hier theoretisch und empirisch betrachtete Komponente derAnwendungserfahrungen der Erzieherinnen dar.

1.4. Die Methodik

Die hier zum Einsatz kommenden Methoden der empirischen Sozialforschung sind zum einen die schriftliche Erhebung mittels eines Fragebogens und zum anderen die mündliche Erhebung mittels eines Interviews, wobei es sich jeweils um teilstrukturierte Instrumente handelt, die qualitative Daten erfassen und damit Einstellungen und gefühlte soziale Zusammenhänge in ihrer Ganzheit besser verstehen lassen. Die ermittelten qualitativen Anwendungsaspekte des „Entwicklungsbogens“ zeigen die erlebte pädagogische Realität der Erzieherinnen besser als quantitative Häufigkeiten und können eher Hinweise auf zu ziehende Konsequenzen geben. Der Methodikteil beginnt deswegen zunächst mit einer Erklärung dessen, was unter qualitativen Daten zu verstehen ist.

Die Auswahl der Befragungsinstrumente Fragebogen und Interview begründet sich mit deren Spezifik. Fragebögen erreichen ohne Beeinflussung des Erhebenden viele Personen gleichzeitig. Interviews können zudem durch den persönlichen Kontakt zwischen Fragendem und Befragtem Hintergrundinformationen verlauten lassen. Die durchgeführten Interviews haben die Fragebögen ergänzt, zumal es eine qualitative Übereinstimmung hinsichtlich der Beantwortung gibt.

Neben der Begründung der Instrumentenauswahl finden sich aber auch Überlegungen allgemeiner Art zur Methode „Fragebogen“ und „Interview“. Zunächst wird also theoretisch beschrieben, was diese Methoden ausmacht und darüber hinaus fließt die Erstellung der im Rahmen der empirischen Untersuchung entwickelten Instrumente ebenso in die Darstellung mit ein. Die verwendeten Instrumente sind eigens für die Verfolgung der Fragestellung unter Bezugnahme der im Vorfeld gemachten theoretischen Überlegungen entwickelt worden.Des Weiteren finden sich neben Ausführungen zur Auswahl der Stichprobe auch solche zur Durchführung und Auswertung der empirischen Untersuchung in der Kinderkrippe. Schließlich folgen die Darstellung der Ergebnisse ohne Wertung einerseits und deren Interpretation andererseits. Dabei stellen sich zunächst die Einzelinterviews in verkürzter und daran anschließend alle ausgefüllten Fragebögen in zusammengefasster Form dar.

Natürlich darf im Rahmen der Ergebnisinterpretation eine Diskussion der Methodik in theoretischer und praktischer Hinsicht nicht fehlen.

1.5. Die Erwartungen an die Arbeit

Einerseits soll die Fragestellung mit ihren Unteraspekten beantwortet werden. Die Bedeutung der frühkindlichen Bildung und die gefühlte Problemlagestellen wie erwähnt den Impetus zur Erkundung der Anwendungserfahrungen mit dem „Entwicklungsbogen“ dar. Auch wenn der Blick einer Untersuchung sowohl für positive als auch negative Aspekte eines zu betrachtenden Gegenstandes offen bleiben muss, gehen Vorannahmen mit in die Darstellung ein. Diese betreffen die persönlichen Erfahrungen mit dem Thema ebenso wie die aktuellen bildungspolitischen Diskussionen um den frühkindlichen Bereich.

Andererseits besteht die Erwartung resp. der Wunsch nach Anregung weiterer Evaluationsstudien zum Thema der professionellen frühkindlichen Bildung, eben weil ihr eine große Bedeutung zukommt und die Kindertageseinrichtungen erst am Anfang der Umwandlung in Bildungseinrichtungen sind. Darüber hinaus gibt es zwar zahlreiche Publikationen etwa zur Früherziehung. Allerdings fehlen gerade bezüglich der hier dargestellten „Entwicklungsbogen“ Evaluationsstudien, die dieses Instrument kritisch einordnen.

1.6. Die Anlage derArbeit

Den ersten Teil der vorliegenden Arbeit bilden theoretische Betrachtungen der oben genannten Gegenstandsbereiche. In den Ausführungen des Theorieteiles finden sich neben Aussagen zum „Entwicklungsbogen“ auch solche zur Institution Kinderkrippe mit ihren Rahmenbedingungen und zur Beobachtungsmethode. Die Einleitung führt zu diesen Gegenstandsbereichen hin.

Der sich an den Theorieteil anschließende Teil der Arbeit ist die empirische Untersuchung der Fragestellung in einer Kindertageseinrichtung. Dabei baut dieser zweite Teil auf der Theorie auf und soll diese letztlich ergänzen. Es werden nicht nur die Erstellung der durchgeführten Untersuchung sondern auch deren Ergebnisse und Interpretation aufgeführt.

Den Abschluss der Arbeit bildet die Zusammenfassung, die sich in reflektiver Weise in Bezug auf die erstellte Arbeit mit deren Anteilen darstellt.

Darüber hinaus befinden sich im Anhang der Arbeit die Bibliografieder verwendeten Literatur, der in der empirischen Untersuchung verwendete Fragebogen und neben dem Interviewleitfaden auch die einzelnen Interviewtranskripte aller durchgeführten Interviews.

2. Die Gegenstandsbereiche und deren theoretischer Hintergrund

2.1. Der „Entwicklungsbogen“ von Kuno und Sabine Beller

2.1.1. Der Hintergrund des „Entwicklungsbogens“

2.1.1.1. Das Berliner Modell der Kleinkindpädagogik

Im Folgenden sollen Angaben zum Berliner Modell der Kleinkindpädagogik aus den 1980er Jahren gemacht werden, in dem der „Entwicklungsbogen“ bereits Anwendung fand.

In der „Enzyklopädie Erziehungswissenschaft“finden sich folgende Angaben zum Modell: Das Berliner Modell der Kleinkindpädagogik ist einer von zwei Modellversuchen der 1980er Jahre. Dabei ging es bei diesem Modell um die „pädagogische Intervention mit Betreuern und Kindern in Krippen (...). Dazu heißt es weiter: „Beller u.a. (...) führten ein Modell der Kleinstkindpädagogik mit Erziehern in 25 Krippen durch. (...) Wichtige Ziele der ersten Erprobung des Modells in Krippen waren, die Pflege pädagogisch zu erweitern und die pädagogische Kompetenz der Erzieherinnen zu erhöhen. (...) Ein individualisiertes Eingehen auf das Kind und seine aktive Position wurden betont, um Selbstvertrauen, Neugierde, Empathie und Kooperation zu ermöglichen und dadurch die kognitive und sozial- emotionale Entwicklung des Kindes zu fördern. Dieser Modellversuch war schon ein Vorläufer der aktuellen Bemühungen, aus Kindertageseinrichtungen professionelle Bildungsanstalten zu machen und sollte außerdem die „(...) pädagogische Funktion der Krippe und ihre fördernde Wirkung auf die Entwicklung des Kleinstkindes (...) herausstellen. Die aktive Position des Kindes steht dabei ebenso im Vordergrund wie die zu fördernde pädagogische Kompetenz der Erzieher. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den Ablauf des benannten Modellversuches5: Die involvierten pädagogischen Fachkräfte wurden in der systematischen Beobachtung mit dem Ziel der Erstellung individueller Entwicklungsprofile sowie pädagogischer Erfahrungsangebote im Ansetzen an den Stärken unter Ausgleich der Defizite geschult. Das Procedere des Versuches umfasste drei Stufen und schloss neben einer Interventionsgruppe mit umfassender fachlicher Begleitung auch eine Kontrollgruppe mit geringerer fachlicher Betreuung ein. An dem sechs Jahre dauernden Modellversuch nahmen insgesamt 101 Erzieher und 193 Kinder im Alter zwischen 14 und 17 Monaten teil. Die Auswertung der Ergebnisse stützte sich auf drei Pfeiler: pre- und post­Zeitstichproben, den „Entwicklungsbogen“ selber und auch die „Bayley-Infant- Development-Scale“. Die Erzieher der Interventionsgruppe waren denen der Kontrollgruppe beispielsweise im Ausdruck positiver Gefühle oder dem Fördern autonomer Aktivitäten überlegen, währenddessen die Kinder der Interventionsgruppe unter anderem in der Selbstständigkeit der Körperpflege oder auch in der sozial- emotionalen Entwicklung überlegen waren. Ein weiteres Ergebnis kommt im folgenden Zitat zum Ausdruck: „Ein anderer qualitativer Schluss aus den Ergebnissen betrifft die unterschiedliche Wirkung der Intervention auf die Qualität des Erzieherverhaltens, das durch Intervention mehr oder weniger verändert wurde. So fanden wir, dass sich signifikante Veränderungen fast ausschließlich auf die Erhöhung positiver Verhaltensweisen beschränkten. Negative Verhaltensweisen wurden von der Intervention kaum verändert. Fazit: In einer kurzen (6monatigen) Intervention ist es kaum möglich, negative pädagogische Verhaltensweisen (...) kurzfristig abzubauen. Das relativiert die konstatierten Effekte (Kompetenzsteigerung im Verhalten der Kinder und Erzieher), zumal fraglich bleibt, wie sich die Verhaltensweisen der Erzieher und Kinder nach dem Ende der Intervention gestalten.3 Parallelen zu dem in der untersuchten Kinderkrippe angewendeten „Entwicklungsbogen“ liegen in der Betonung der aktiven Position des Kindes und der Zielstellung, eine den Stärken und Defiziten der Kinder angepasste Entwicklungsförderung zu ermöglichen.

Es war der Literatur nicht zu entnehmen, welche Konsequenzen aus dem Modellversuch gezogen wurden, auch wenn der „Entwicklungsbogen“ im Rahmen der aktuellen Erziehungs- und Bildungsdiskussionen sowie in einigen wenigen Publikationen im Bereich der frühkindlichen Pädagogik präsent ist.

2.1.1.2. Der theoretische Hintergrund des „Entwicklungsbogens“

Im Folgenden wird auf das dem „Entwicklungsbogen“ vermutlich zugrunde liegende Prinzip eingegangen.

Ein Ziel des „Entwicklungsbogens“ ist „(...) ein differenziertes Bild über die Entwicklung eines Kindes (...). Ausschlaggebend war dabei eher, wie sich die Kompetenzen oder Entwicklungsstände im betreffenden Kind verteilen als ihre Bewertung nach Altersnormen. Ein Profil oder Muster von Entwicklungsstärken und Schwächen eines Kindes gibt mehr Aufschluss über die Persönlichkeit des Kindes und eignet sich besser für individuelles differenziertes pädagogisches Planen als die relative Position des Kindes bezüglich dessen Altersnorm.“] Die Zielsetzung besteht also aus der Erstellung eines individuellen Entwicklungsprofils des einzelnen Kindes und nicht aus dem Vergleich mit einer Altersnorm. Der „Entwicklungsbogen“ ist dennoch in Altersphasen eingeteilt, die eine Orientierung für die Erzieher darstellen. Wenn diese an einem bestimmten Punkt feststellen, dass das Kind eine Kompetenz noch nicht erworben hat, sollte an dieser Stelle wiederholt beobachtet werden, was sich an bei allen Kindern innerhalb einer bestimmten Zeitspanne auftretenden konkreten Verhaltensweisen orientiert. Zudem müssen die Beobachtungsergebnisse in einem Kontext interpretiert werden.

Schaut man auf die Definition der „essentiellen Grenzsteine der Entwicklung“ kann man in der Literatur Folgendes lesen: „Meilensteine (Grenzsteine) der Entwicklung geben zu erwerbende Fähigkeiten innerhalb eines bestimmten Entwicklungsverlaufes an, die zu einem definierten Zeitpunkt von einem Kind erreicht werden. Absolviert ein Kind einen entsprechenden Meilenstein nicht, muss die Entwicklung eines solchen Kindes genauer überprüft werden. Weiter ist dort zu finden: „Grenzsteine der frühen kindlichen Entwicklung können als Screeningmethode des Entwicklungsstandes eines individuellen Kindes benutzt[28] [29] werden. (...) Grenzsteine sind definiert, in dem 90- 95% einer definierten Population von Kindern einen bestimmten Grenzstein passiert haben. “ Das deckt sich mit der Zielsetzung des „Entwicklungsbogens“, den Entwicklungsverlauf vom Kind in einer bestimmten Altersphase zu ermitteln, um ggf. noch weiter zu beobachten und auch geeignete Maßnahmen anschließen zu lassen. In einer anderen Quelle kann man außerdem weiter zum Prinzip der „essentiellen Grenzsteine“ lesen, dass dieses das Potential hat, Entwicklungs- oder Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern festzustellen.2 Das will der „Entwicklungsbogen“ auch leisten. Das individuelle Entwicklungsprofil soll Stärken und Schwächen herausstellen, wobei es durchaus möglich ist, dass ein Kind die Verhaltensweisen nicht oder viel später als in der jeweils beschriebenen Phase zeigt. Dann obliegt es den Erziehern, in Orientierung an den anderen Kindern dieses Alters erneut zu beobachten und ggf. entsprechende Förderungsmaßnahmen einzuleiten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Datenlage zu den theoretischen Grundlagen des „Entwicklungsbogens“ sehr eng ist und laut Aussage einer persönlichen Email von Frau Beller dazu nur ein Manuskript in italienischer Sprache existiert und sonst keine weiteren Veröffentlichungen vorliegen.Letztlich erschließt sich nicht, womit das Beobachtungsinstrument theoretisch und methodisch fundiert begründet wird. Wie die enge Datenlage zu interpretieren ist, sei an dieser Stelle ausgeklammert, so wird hier noch einmal festgehalten, dass sich die Autoren des „Entwicklungsbogens“ vom so genannten Prinzip der „essentiellen Grenzsteine“ abgrenzen, allerdings Parallelen dazu bestehen. Darüber hinaus war es leider nicht möglich, andere Informationen über die theoretische und methodische Fundierung des hier zu beschreibenden Instrumentes zu gewinnen.

2.1.2. Der „Entwicklungsbogen“

2.1.2.1. Aufbau und Inhalt des Bogens

Der Beschreibung des „Entwicklungsbogens sind dazu folgende Informationen zu entnehmen: Der Bogen besteht aus acht Kompetenzbereichen der kindlichen Entwicklung: Körperpflege, Umgebungsbewusstein, Sozial-Emotionale

Entwicklung, Spieltätigkeit, Sprache, Kognition sowie Grob- und Feinmotorik. Diese sind jeweils in 14 Phasen eingeteilt, wobei das erste Lebensjahr insgesamt vier Abschnitte zu je drei Monaten und das zweite bis zum sechsten Lebensjahr zehn Abschnitte zu je sechs Monaten enthalten. Insgesamt erstreckt sich der Anwendungsbereich des Instrumentes von der Geburt bis zum 72. Lebensmonat. Die Altersphasen enthalten konkrete Handlungsweisen der Kinder (insgesamt 649 Items), wie zum Beispiel im Bereich Grobmotorik in der Phase 1 (0-3 Monate): „1. Schlägt mit den Armen, zeitweise sehr heftig. “ oder „4. Hält den Kopf, wenn es senkrecht gehalten wird, hebt ihn für mehrere Sekunden, Minuten in Bauchlage hoch. Es handelt sich dabei um „Items oder Verhaltensweisen, die als charakteristisch für eine bestimmte Altersstufe dargestellt wurden (...). Dabei stützt man sich auf internationale Literatur4, die über die Platzierung der Items Konsens zeigt. Auf der Webseite5 der Autoren des „Entwicklungsbogens“ ist zu lesen, dass die Items „in alltäglichen Verhaltensweisen des Kindes konkret und anschaulich dargestellt (...)“werden. Denn um die Zielsetzungen des Instrumentes verfolgen zu können, ist der reale Bezug zum Verhalten der Kinder wichtig, damit die Erzieher dieses im natürlichen Kontext beobachten und dokumentieren können. Konkret formulierte Items lassen sich zudem besser beobachten, einschätzen und verbalisieren als allgemeine Items wie etwa „Das Kind hat gute motorische Fähigkeiten“.

2.1.2.2. Funktionen und Zielsetzungen des Instrumentes

In der Beschreibung des „Entwicklungsbogens“ finden sich nachstehende Funktionen und Ziele:

- Das wichtigste Ziel ist die entwicklungsangemessene Förderung des einzelnen Kindes. Dabei soll das Instrument „Entwicklungsbogen“ „(...) verschiedene Entwicklungsbereiche erfassen, die ein differenziertes Bild über die Entwicklung des Kindes geben. Dieses individuelle Profil soll helfen, das einzelne Kind besser einschätzen und darüber hinaus auch gezielte pädagogische Maßnahmen einleiten zu können.

- Es sollen aber auch die Entwicklungsveränderungen erfasst werden, da die kindliche Entwicklung ein dynamisches Geschehen ist. „Jedes Kind kann sich in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich entwickeln. Zum Beispiel ist es möglich, dass sich ein Kind weiter in seiner sprachlichen Kompetenz als in seinen motorischen Fähigkeiten entwickelt. Solche Unterschiede liegen zumeist in den Grenzen normaler Entwicklung und sind das Ergebnis des Zusammenspiels von Fähigkeit, Motivation und Lernmöglichkeiten. Die Verteilung der Kompetenzen in den acht Bereichen ergibt das dem Kind zugehörige individuelle Entwicklungsprofil. Es werden auch klinisch bedeutsame Entwicklungsrückstände oder auch Fortschritte sichtbar, da sich in dem Entwicklungsprofil auch sogenannte Tief- und Gipfelpunkte abzeichnen können.3

- Verwendet die beobachtende Fachkraft den Bogen regelmäßig, wird sie die individuellen Entwicklungsschritte erkennen und kann so einmal gemachte Beobachtungen revidieren. Beobachtungsergebnisse sind nie endgültig und sollten durch den fachlichen Dialog einer Überprüfung unterzogen werden, um Stigmatisierungen und Fehlverhalten auszuschließen.

Im „Leipziger Werkbuch“findet sich eine Ergänzung zu den Zielen des „Entwicklungsbogens“: „Der Einsatz des Instrumentes ermöglicht es den Erzieherinnen, sich mit Kenntnissen von frühen Entwicklungsprozessen und Entwicklungsveränderungen von Krippenkindern vertraut zu machen. Sie lernen, die Entwicklung der Kinder individuell einzuschätzen, ein Entwicklungsprofil zu erstellen und Kompetenzbereiche eines Kindes herauszufinden. Die Erkenntnisse helfen der Erzieherin, jedes einzelne Kind in ihrer Gruppe besser zu verstehen und ausgehend von seinen Kompetenzen angemessen zu unterstützen.“[43] Letztlich stellt der Einsatz des „Entwicklungsbogens“ einen Schritt in Richtung der Umsetzung des Bildungsauftrages in den Kindertageseinrichtungen dar. Dafür nötige Bedingungen bezüglich der Beobachtung als Grundvoraussetzung für diesen Prozess oder auch in punkto Rahmenbedingungen werden noch anklingen.Ob der „Entwicklungsbogen“ immer erfolgreich anzuwenden ist, hängt sicherlich vom Zusammenspiel dieser Faktoren ab. Der empirische Teil lässt Erfahrungen in der dazu konsultierten Kinderkrippe verlauten.

2.1.2.3. Die Anwendung sowie deren Voraussetzungen

Eine Voraussetzung für die Anwendung des „Entwicklungsbogens“ ist zunächst, dass die Erzieher Informationen über die acht Entwicklungsbereiche sowie über mögliche Entwicklungsveränderungen und darüber hinaus auch über die Zielsetzungen des Instrumentes erhalten. Eine Schulung in den Grundlagen und Anwendungen ist das nötige Rüstzeug, welches die Erzieher für die Arbeit mit dem „Entwicklungsbogen“ brauchen. Eine weitere Voraussetzung für dessen Anwendung ist die Beobachtung. „Die Information, die mit der Entwicklungstabelle über ein Kind gesammelt wird, stützt sich auf die Wahrnehmung der BetreuerIn des Kindes, d.h. die BetreuerIn wird über die Entwicklung des Kindes befragt. An die Beobachtungen sollten sich Reflexionsphasen resp. ein fachlicher Dialog zwischen den Beteiligten anschließen. Ob das immer gelingen kann, muss offen bleiben und kann nur im Falle der konsultierten Kinderkrippe beleuchtet werden.

Die Anwendung beginnt nach der Schulung über die Voraussetzungen also mit der Befragung. Dabei müssen die Erzieher anhand der Altersphasen einschätzen, ob das Kind eine bestimmte Verhaltensweise zeigt oder nicht. Dafür gibt es folgende Ausprägungen: „tut es“ (regelmäßiges Auftreten des Verhaltens in relevanten Situationen), „tut es teilweise“ (unregelmäßiges oder problematisches Auftreten), „tut es nicht“ (ein Verhalten wird nicht gezeigt) und schließlich „weiß nicht“ (es gab keine Beobachtungsgelegenheit für das relevante Item). Eine Einstufung des kindlichen Verhaltens anhand der konkreten Items dürfte kein Problem darstellen, zumal im „Entwicklungsbogen“ Beispiele für das jeweilige Item aufgeführt sind, um Fehlbeurteilungen zu vermeiden. Der Fokus ist wohl auf einen häufigen Rückgriff auf „weiß nicht“ zu legen, was auch bedeuten kann, dass das Kind aufgrund des Fehlens entsprechender Materialien keine Gelegenheit zur Performanz von bestimmten Handlungsweisen hatte. Dann müsste dafür gesorgt werden, dass das Kind die Gelegenheit dazu bekommt, das Item zeigen zu können. Die Antworten auf die Fragen, ob das Kind etwas tut oder nicht sind im Protokollbogen zu vermerken, was in der Zuordnung zur jeweiligen Phase des entsprechenden Bereiches erfolgt.

In der Erstellung des individuellen Entwicklungsprofils anhand der Ausprägungen der Items kristallisiert sich zum einen eine sogenannte „Basis“ und zum anderen eine sogenannte „Decke“ heraus. Unter der Basis des Kindes ist Folgendes zu verstehen; „Die Basis ist immer die höchste Phase, in dem das Kind noch volle Kompetenz besitzt.“' Man beginnt die Befragung stets eine Phase unter dem chronologischen Alter des Kindes. Es kann auch vorkommen, dass man in eine oder mehrere Phasen unter der zu Beginnenden zurückgehen muss. Gibt es eine Phase, in der alle Items mit „tut es“ beantwortet werden können, stellt das die Basis dar, unter der es also zurückliegende Phasen gibt, in denen noch Items mit „tut es teilweise“ oder „tut es nicht“ auftauchen. Somit ist die Basis die erste Phase mit allen kompetent beherrschten Items. Die Decke ist analog die Phase: „(...) in der das Kind keine Kompetenz mehr besitzt, d.h. alle Fragen mit „tut es nicht“ beantwortet wurden. Somit ist die Decke, d.h. die obere Grenze der Entwicklung des Kindes in diesem Bereich ermittelt. Die Decke eines Bereiches beginnt immer mit der ersten Phase, in der das Kind keine Kompetenz mehr zeigt. Dabei sind in den verschiedenen Bereichen auch unterschiedliche Basis- und Deckenphasen möglich.

Nun müssen die Entwicklungsdurchschnittswerte der einzelnen Bereiche für die Ermittlung des individuellen Entwicklungsprofils berechnet werden. Dabei gilt:

- Den Kategorien der Fragenbeantwortung werden verschiedene Werte zugeordnet. „Tut es“ erhält den Wert 1, „tut es teilweise“ den Wert 0,5 und „tut es nicht“ den Wert 0, wobei die Einschätzungen „weiß nicht“ gar nicht in die Berechnung einfließen.

- Nun werden für jede Phase die entsprechenden Phasenwerte ermittelt.2 Das geschieht, indem man diese Werte addiert und durch die Summe der Fragenanzahl dividiert. Das heißt beispielsweise, dass eine Phase, die zwei mal „tut es“, einmal „tut es teilweise“, zwei mal „tut es nicht“ und schließlich zwei mal „weiß nicht“ enthält, einen Gesamtphasenwert von 0,5 erhält (die Summe der Itemwerte beträgt 2,5 und muss durch 5 Items geteilt werden). „Wichtig zu beachten ist, dass alle Phasen, die unter der ermittelten Basis liegen- ebenso wie die Basis-Phase selbst- den Wert 1 erhalten und in die Addition der Phasenwerte mit einbezogen werden. Die Deckenphase erhält den Wert 0.‘e

- Der nächste Schritt nach der Ermittlung der Phasenwerte eines Bereiches (ein Bereich enthält 14 Phasen) ist die Berechnung dessen Entwicklungsdurchschnittswertes. Die Entwicklungsdurchschnittswerte aller Bereiche sind dann in eine grafische Darstellung auf dem

Entwicklungsprofilbogen zu überführen. „Wenn alle drei Werte für alle Entwicklungsbereiche errechnet und in die Profilgrafik (...) eingetragen sind, werden die Werte der Basis in den acht Bereichen durch eine Linie miteinander verbunden, ebenso wird mit den

Entwicklungsdurchschnittswerten und den Werten der Decke vorgegangen. Die so entstandenen drei Linien des Profils, Basis, Entwicklungsdurchschnitt und Decke, über die acht Bereiche ergeben das[46]

Entwicklungsprofil des Kindes, auf dem sofort ablesbar ist, wo sich das Kind in seiner Entwicklung befindet.“'

Diese Berechnungen erscheinen auf den ersten Blick nicht besonders einfach. Die Erzieher müssen sich nicht nur mit den Grundlagen des „Entwicklungsbogens“ und seiner Zielsetzung vertraut machen, sondern auch wiederholte Einschätzungen sämtlicher Items vornehmen und genaue Berechnungen durchführen. Der damit verbundene Zeitaufwand wird sich als Teil der untersuchten Anwendungserfahrung wiederspiegeln.1Schließlich sind noch zwei Motivationsprinzipien des Instrumentes zu benennen, denen die Erzieher bei dessen Anwendung begegnen werden. Diese Prinzipien betreffen grundlegende Anwendungsbereiche, d.h., die mittels Beobachtung gewonnenen Informationen sollen in sogenannte Anregungs- oder Erfahrungsangebote an die Kinder umgesetzt werden:

- Motivationsprinzip 1 : „Das Motivationsprinzip besteht darin, dass der am wenigsten entwickelte Bereich des Kindes mit dem am weitesten entwickelten Bereich des Kindes verknüpft wird. In dem am weitesten entwickelten Bereich ist es wahrscheinlich, dass das Kind relativ viele Erfolgserlebnisse hat, während es in dem am wenigsten entwickelten Bereich wahrscheinlich viel Misserfolgserlebnisse- oder Angst vor Misserfolgen hatte. Durch die Kombination der beiden Bereiche kann das Kind Motivation und Zuversicht aus dem Bereich schöpfen, in dem es Kompetenz, Erfolg und Lust erfahren hat und auf den Bereich übertragen, in dem es relativ wenig Erfolgserlebnisse hatte. So wird für das Kind ein neuer Lernkontext geschaffen (...)“ Dabei erfolgen die Erfahrungsangebote (individuelle pädagogische Handlungen und Lernangebote) an das Kind in drei Stufen: die „Vertrauens- oder Sicherheitsstufe“ (Tätigkeiten, die das Kind kompetent beherrscht), die „Anregungsstufe“ (Tätigkeiten, die beim Kind selten beobachtet wurden) und die dritte Stufe, die solche Tätigkeiten umfasst, die das Kind bisher noch nicht gezeigt hat.

- Motivationsprinzip 2: Dieses ist mit dem ersten verknüpft und hat sowohl die Vertrauensstärkung von Kind und Erzieher als auch die Stärkung deren gegenseitiger Beziehung zum Ziel. „Es werden zur Gestaltung des Erfahrungsangebotes aus beiden Bereichen, der Stärke sowie der Schwäche des Kindes, nur Items aus der jeweiligen Basis, d.h. aus der Phase in der das Kind volle Kompetenz besitzt, ausgewählt.‘Q Die schrittweise Erarbeitung des Vertrauens des Kindes in seine Fähigkeiten, die es anhand kompetent beherrschter Verhaltensweisen erleben kann, soll schließlich dessen Bereitschaft anheben, Misserfolge zu ertragen.

Diese Prinzipien enthalten die Idee, ohne Leistungsdruck sowohl an der Motivation als auch an der Eigenaktivität des Kindes anzusetzen. Offen bleibt zunächst allerdings, ob sich diese Prinzipien in der Praxis anwenden lassen und ob die Verknüpfung der Stärken und Schwächen tatsächlich einen Lerneffekt bedeutet und dem Kind die Angst vor Misserfolgen nimmt.3

2.1.3. Praxiserfahrungen mit dem „Entwicklungsbogen“

Leider finden sich in der gesichteten Literatur nur sehr wenige Angaben dazu, ob sich der „Entwicklungsbogen“ bewährt hat, d.h., ob die erwünschten Effekte eingetreten sind und welche Vor- und Nachteile dessen Anwendung aufzeigen.An dieser Stelle kommen dazu zwei Anwendungen des „Entwicklungsbogens“ zur Sprache. Zunächst geht es um das Projekt „Erzieherqualifikation zur Erhöhung des sprachlichen Anregungsniveaus in Tageseinrichtungen für Kinder: eine Interventionsstudie“ der Freien Universität Berlin.Die Zielstellung des Projektes war die Erhöhung der Bildungschancen von Kindern aus sozial schwachen- sowie

Migrantenfamilien. Dabei soll eine Stärkung sowohl kognitiver als auch sprachlicher Kompetenzen durch die Erhöhung des sprachlich- kognitiven Anregungsniveaus erreicht werden. Der „Entwicklungsbogen“ diente dabei zur Erhebung des Entwicklungsstandes der Kinder in den Bereichen Sprache und Kognition. Begleitend wurden außerdem Familienvariablen wie zum Beispiel der sozioökonomische Status erhoben.Die Erzieher der Interventionsgruppe erhielten eine Einweisung in die Beobachtung und den „Entwicklungsbogen“, während die Kontrollgruppe keiner Intervention ausgesetzt war. Die Erfahrungen der Erzieher mit der pädagogischen Intervention lassen sich wie folgt kurz zusammenfassen: Neben der konstatierten Möglichkeit zur Selbstreflexion und intensiveren Wahrnehmung und Beobachtung der Kinder nannten die Erzieher auch folgende Veränderungen: „Unter der Rubrik im Fragebogen, was den Erziehern am meisten gebracht hat, antworteten die Erzieher: die gute Zusammenarbeit mit den Interventionistinnen; die Videoaufnahmen und die Auswertung; die Reflexion der eigenen Verhaltensweisen; die Anwendung der Entwicklungstabelle. Auf die Frage, was ihnen gefehlt habe in der pädagogischen Intervention, wurde geantwortet: Zeit zur Auswertung, eine zweite Kollegin in der Gruppe, Verständnis für Dinge des Alltags. Als wertvolle Erfahrung bezeichneten sie die Einschätzung der Kinder anhand der Entwicklungstabelle (...).i!2 Offen bleibt, was konkret unter der wertvollen Erfahrung mit dem Instrument zu verstehen ist. Wie geht das Fehlen von Zeit und Verständnis für alltägliche Dinge mit dem Anspruch und der Zielsetzung des „Entwicklungsbogens“ einher? Ist Zeit neben einer gezielten Anleitung und Betreuung durch Fachleute nicht eine Voraussetzung, diesen adäquat einsetzen zu können? Die Erzieher der Kontrollgruppe äußerten dagegen folgende Erfahrungen: „(...) dass die Einschätzung der Kinder anhand der Entwicklungstabelle zwar sehr anstrengend gewesen sei, dass es aber ein Anstoß war genauer zu beobachten.‘e Ist der Einsatz des Instrumentes anstrengend, weil die Zeit oder umfassende Betreuung wie in der Interventionsgruppe nicht gegeben war?

Im „Leipziger Werkbuch“wird im Rahmen des Leipziger Modellprojektes ebenfalls die Einführung des „Entwicklungsbogens“ als ein Beobachtungsinstrument beschrieben. Auch dort fand eine Schulung in der Bogenanwendung und den darin enthaltenen Entwicklungsbereichen statt. Dazu heißt es: „Mit großer Motivation setzten sich die Erzieherinnen theoretisch mit dem Instrument auseinander. Dabei wurden die Erzieherinnen ermutigt, alle Kinder in der Gruppe individuell zu beobachten, deren Entwicklungsprozesse nachzuvollziehen und ein Entwicklungsprofil zu erstellen, um einen routinierten Umgang mit dem Instrument zu erlangen. (...) Es bestätigte sich die Vermutung, dass das Instrument nach einer anfänglichen „Gewöhnungszeit“ in der Praxis leicht handhabbar sei und die Erzieherinnen wichtige Informationen über die Entwicklung der Kinder erhalten. ‘Q Auch wenn die leichte Handhabbarkeit anhand der konkreten Items einfach nachzuvollziehen ist, bleibt dennoch offen, was leichte Handhabbarkeit ist und unter welchen Bedingungen diese evident ist.

Abschließend für diesen Abschnitt folgt ein kritisches Zitat: „(...) Angaben zur Messgüte liegen nicht vor, so dass unbekannt ist, wie objektiv und zuverlässig die für ein Kind ermittelten Einstufungen zu betrachten sind; ebenso liegen bislang keine Studien darüber vor, inwieweit durch die motivationspsychologische Verbindung verschiedener Entwicklungsbereiche Förderungseffekte erzielt werden. “[60]

2.2. Pädagogischer Auftrag und Rahmenbedingungen der Kinderkrippe

2.2.1. Leistungen, Funktionen und Charakteristik einer Kinderkrippe

Im Folgenden werden die Aufgaben einer Kindertagesstätte skizziert, da die Anwendung des „Entwicklungsbogens“ im institutionellen Kontext stattfindet und einleitend erklärt wird, was diesen ausmacht.

Der Kinderkrippenbereich, der dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (Sozialgesetzbuch VIII) untersteht, richtet sich an Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren, wobei in Deutschland weder ein Rechtsanspruch noch eine flächendeckende Versorgung mit Kinderkrippenplätzen besteht.

Im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) §22 Abs. 2 werden die Aufgaben einer Kindertagesstätte wie folgt benannt: „Die Aufgabe umfasst die Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes. Das Leistungsangebot soll sich pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien orientieren.“[61] Die erste Kinderkrippe in Deutschland gab es 1851 in Dresden, wobei die institutionelle Kinderbetreuung vor über 150 Jahren zunächst als „Verwahranstalt“ startete. Der Sinn in dieser reinen Betreuung lag vornehmlich darin, den Müttern die Geburt weiterer Kinder zu ermöglichen oder zu erleichtern. Heute dagegen wandelt sich die ehemalige „Verwahranstalt“ zu einer Bildungseinrichtung, die eben nicht nur betreut, sondern auch bildet und erzieht. Zu den Aufgaben einer Kindertageseinrichtung heißt es weiter: „Die öffentliche Kinderbetreuung hat es sich zur vorrangigen Aufgabe gemacht, das Kind in seiner Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu unterstützen. (...) Förderung wird hierbei als ganzheitlicher Prozess verstanden, der auf die gesamte Persönlichkeit gerichtet ist, Betreuung, Bildung und Erziehung zu integrieren und Benachteiligungen zu vermeiden bzw. abzubauen sucht.“[63] Was kann man unter diesen Bausteinen „Betreuung, Bildung und Erziehung“verstehen? Die folgenden Angaben dazu stammen aus dem Buch „Pädagogik der frühen Kindheit“:

- Betreuung: Diese soll eine Alltagsbewältigung ermöglichen und schließt eine Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit sowie eine Bedürfnisbefriedigung ein. Des Weiteren geht es um ein partnerschaftliches und wechselseitiges Miteinander der Akteure.
- Bildung: Bildung bedeutet die konstruktive Aneignung von Welt, die mit einem Kompetenzerwerb einhergeht. Das Kind bringt Entwicklungsmöglichkeiten mit, die durch eine interessen- und motivationsgemäße Förderung ausgebaut werden können.
- Erziehung: Diese bedeutet, gesellschaftlich legitimierte Ziele, Werte und Normen an die Kinder weiterzugeben. Diese sollen es ermöglichen, aus den Kindern gesellschafts- und zukunftsfähige Individuen werden zu lassen. Die Umwelt und Interaktion mit den Kindern wird gestaltet.

Diese Bausteine der institutionellen Erziehung sollen eine Ergänzung (keinen Ersatz!) der familiären Erziehung darstellen. Sie bilden eine Einheit und orientieren sich an der subjektiven Weltsicht, dem Kindeswohl, humanistischen Werten sowie individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnissen.

Im „Sächsischen Bildungscurriculum“steht zu den Anforderungen an eine Kindertageseinrichtung Folgendes: „Damit wird die Frage von zentraler Bedeutung, wie Bildung und Erziehung in einer Welt gestaltet werden kann, die immer weniger prognostizierbar ist und in der das Heranwachsen von Kindern und Jugendlichen zunehmend von Übergängen und Brüchen begleitet wird. Kinder von heute müssen auf lebenslanges Lernen in einer medienbestimmten Welt vorbereitet werden. Dabei müssen sie zunehmend mit Diskontinuität umgehen und die aus Übergängen resultierenden Anforderungen bewältigen. Demnach ist dem Erwerb von Kompetenzen zur Aneignung und Erschließung von Wissen ebenso wie zur individuellen Lebensbewältigung eine zunehmende Bedeutung einzuräumen.“ Das Zitat drückt sehr umfassend aus, worauf Kindertagesstätten heute vorbereiten sollen. Eine Gesellschaft, die zunehmend pluralisierte und heterogene Lebensformen hervorbringt und einem steten Wandel unterlegen ist, birgt Anforderungen an das Individuum, denen sich mit einer alleinigen Betreuung nicht mehr begegnen lässt. Somit müssen bereits die Einrichtungen im Elementarbereich den sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung tragen und diese in die pädagogische Arbeit einbeziehen, zu der auch die Anwendung des „Entwicklungsbogens“ gehört.

Die Kindererziehung im institutionellen Kontext hat diese Aufgaben in einer bestimmten pädagogischen Qualität zu erbringen, damit der Auftrag der Kindertageseinrichtungenumgesetzt werden kann. In der Literaturfindet man dazu Ausführungen zur Bestimmung der pädagogischen Qualität in fünf Aspekten, wobei im Rahmen dieser Arbeit weder der Begriff „Qualität“ definiert noch eine umfassende Beschreibung dieser Qualitätsaspekte stehen kann. Es soll lediglich Folgendes zum Ausdruck kommen: „Die These des Beitrages lautet, dass Kriterien aller fünf Perspektiven der Qualitätsermittlung von Erziehungs- und Betreuungsmaßnahmen für Kleinkinder Beachtung finden sollten.“[70] Die pädagogische Qualität setzt sich aus Merkmalen der Einrichtung und des Personales sowie der Sicht des Kindes und auch der Beziehung zwischen Eltern und Erziehern zusammen.

Abschließend folgt noch der auszugsweise Gesetzestext aus dem „Sächsischen Kindertagesstättengesetz“ (SächsKitaG) vom 01.01.20 02. Darin heißt es zu den Aufgaben und Zielen von Kindertageseinrichtungen (§2 Abs. 1-6):

- das Angebot ist familienbegleitend,
- der Bildungs- und Erziehungsauftrag rückt stärker in den Mittelpunkt,
- der Erwerb von Schlüsselkompetenzen wird definiert,
- alters- und geschlechtsspezifische Arbeit ist ein Schwerpunkt,
- der Anspruch, die Arbeit an aktuellen Erkenntnissen aus Forschung und Wissenschaft auszurichten, wird formuliert,
- die Zusammenarbeit mit den Schulen ist ausgewiesen,
- die Integration behinderter Kinder ist zu fördern,
- für die Tagespflege sollen die Ziele und Aufgaben „sinngemäß und unter Berücksichtigung der spezifischen Erziehungssituation“ gelten und
- für Horte ist kein separater Bildungs- und Erziehungsauftrag mehr ausgewiesen.

Die im Rahmen der empirischen Untersuchung konsultierte Einrichtung ist von diesen Zielsetzungen ebenfalls betroffen und muss ihre Arbeit daran ausrichten.

2.2.2. Erziehung und Bildung im frühkindlichen Kontext

Die nachstehenden Ausführungen zur frühkindlichen Erziehung und Bildung beinhalten die Idee der frühen Bildsamkeit der Kinder, die aufgegriffen werden sollte. Das schlägt sich auch in der Anwendung des „Entwicklungsbogens“ nieder. Dieser soll zum einem die individuellen Entwicklungsstände und Bildungsbedürfnisse der Kinder herausstellen und zum anderen eine individuelle Förderung ermöglichen.

Die Aufgaben und Ziele der Erziehung und Bildung in der frühen Kindheitsphase wurden schon angesprochen. Sowohl die Familie als auch die institutionelle Kinderbetreuung wollen an Stärken ansetzen und Defizite ausgleichen, um letztlich ein gesellschaftsfähiges Individuum hervorzubringen. Dass der frühkindlichen Erziehung und Bildung ein hoher Stellenwert zukommt, lässt sich neben etlichen Publikationen zum Thema auch den aktuell geführten Diskussionen mit den sich anschließenden Bemühungen entnehmen, die Kindertagesstätten mit einem Bildungsauftrag zu versehen. Was ist nun aber das Besondere an der Erziehung und Bildung der frühen Kindheitsphase, die sich an Säuglinge, Kleinst- und Kleinkinder richtet?

Die folgenden ausgewählten und kommentierten Ausführungen1 machen dies transparent:

- „Der Elementarbereich ist ein eigenständiger Bildungsbereich“: „(...) mit eigenen Aufgabenstellungen, Institutionen und eigener Professionalisierung (...).
- „Orientierung am kindlichen Bildungsbedarf“: Sämtliche pädagogische Bemühungen müssen sich an den Interessen, Bildungsbedürfnissen und Präferenzen der Kinder orientieren, d.h. an deren „Themen“.3
- „Frühkindliche Bildung ist komplex.“ Die Bildung umfasst mehrere Kompetenzbereiche, wie zum Beispiel soziale, moralische, kognitive und emotionale Fähigkeiten. Allerdings sind diese Bereiche nicht strikt voneinander zu trennen, sondern treten in Wechselwirkung miteinander. Kinder müssen durch selbstständige Problemlösung lernen, welche Bereiche auf welche Art und Weise zu bewältigen sind.
- „Lernen lernen“: „Lernen kann man zwar auch dadurch, dass man etwas von einem anderen übernimmt, der etwas besser weiß oder kann. Das Lernen lernen- und nur dies bereitet auf eine unbestimmte Zukunft vor­kann man nur da, wo man Probleme löst, die sich in einem Lebenszusammenhang stellen, und nicht da, wo man übernimmt (...). Die aktive und konstruktive Komponente des kindlichen Lernens wird hier betont, d.h. es sollen Problemlösefähigkeiten vermittelt werden.

Die Aussagen machen transparent, dass frühkindliche Erziehung und Bildung einerseits sozialen und gesellschaftlichen Erwartungen Rechnung tragen und andererseits an den spezifischen Bildungsbedürfnissen der Kinder (deren Themen) ansetzen müssen. Diese sogenannten Themen beinhalten die (aktuellen) Interessen der Kinder, d.h. Gegenstände, Handlungen und Vorgänge, denen sie Beachtung schenken und die sie mit Interesse aufnehmen. Damit Erzieher wissen, wie sie Kinder interessengemäß fördern können, müssen siediese Interessen lagen kennen1. Dabei werden die Erzieher vornehmlich die Themen der Kinder aufgreifen, denen sie selbst Beachtung schenken und die sie persönlich wichtig nehmen. Hierein fallen die subjektive Wahrnehmung der Erzieher und deren gesellschaftliche und individuelle Normvorstellungen, was für die Kinder bedeutsam ist oder sein könnte.

Frühkindliche Erziehung und Bildung mit ihren Chancen, die Individualität der Kinder zu erkennen und zu fördern ist ein wichtiger Baustein in der noch anzusprechenden Umsetzung des Bildungsauftrages in den Kindertagesstätten. Der „Entwicklungsbogen“ soll dazu dienen, ebendiese Individualität herauszustellen und zu fördern.

2.2.3. Die konstruktivistische Sicht auf das Kind

Im Rahmen des einzuführenden Bildungsauftrages in den Kindertagesstätten findet auch die Vermittlung einer bestimmten Sicht auf das Kind statt, die in die pädagogische Arbeit mit dem „Entwicklungsbogen“ einfließt.

Unter einem pädagogischen Ansatz ist ein definiertes System pädagogischer Überzeugungen in einem ganzheitlichen Konzept zu verstehen.2 Diese Überzeugungen stützen sich auf folgende vorstellungs- und handlungsleitenden Wertvorstellungen: anthropologische Vorstellungen vom Kind; Vorstellungen, wie die Entwicklung der Kinder gefördert werden kann; Vorstellungen der „guten“ Erzieher und ihrer professionellen Rolle; wünschenswerte soziale Interaktionen sowie Werte, Normen und Regeln für den Kindertagesstättenalltag. Diese pädagogischen Werthaltungen formen Vorstellungen über das Bild vom Kind. Daraus resultieren wiederum abgeleitete Handlungsweisen. Diese betreffen konkrete Förderangebote an die Kinder, deren Individualität unter anderem auch mit dem „Entwicklungsbogen“ ermittelt werden soll.

Die moderne Sicht auf das Kind beinhaltet ein aktives und eigenverantwortliches Subjekt, dass seine Umwelt auf ebendiese Weise erschließt. Es handelt sich um ein bildungsbedürftiges und bildungsfähiges Kind, das bereits zur Geburtgrundlegende Lernkompetenzen mitbringt.Die moderne Pädagogik muss diese Aktivität der Kinder in der Verfolgung der ihnen eigenen Interessen und Bedürfnisse aufgreifen, um die angesprochenen Erziehungs- und Bildungsziele zu erlangen. Die konstruktivistische Sicht auf das Kind wird wie folgt beschrieben: „Wir meinen dieses selbsttätige Bemühen des Kindes um Weltaneignung und Handlungskompetenz, wenn wir von Bildung als Selbstbildung im doppelten Sinn sprechen: (...) Bildung- so verstanden- wäre also der Anteil des Kindes an seiner eigenen Entwicklung."[79]

2.2.4. Der Hintergrund des Bildungsauftrages in Kindertageseinrichtungen

2.2.4.1. Der Impetus zur Einführung eines Bildungsauftrages

Die Anwendung des „Entwicklungsbogens" findet im Rahmen des neu in die Kindertagesstätten zu implementierenden Bildungsauftrages statt. Nachstehend wird dargestellt, warum dieser Bildungsauftrag überhaupt eingeführt werden soll.

Dass der frühkindlichen Pädagogik ein eigenständiger Bildungsauftrag zuteil wird, ist schon angeklungen.Warum aber besteht überhaupt eine Diskussion um die Einführung eines Bildungsauftrages in die Kindertagesstätten, die traditionell dem Sozialwesen und eben nicht dem Bildungswesen unterstellt sind? Der Bedarf an frühkindlicher Erziehung und Bildung lässt sich zum einen mit der erkannten frühen Bildungsfähigkeit der Kinder und zum anderen mit den komplexen Anforderungen der heutigen Gesellschaft an die Individuen erklären. Das heißt, frühe Bildungspotentiale müssen ausgeschöpft und den komplexen gesellschaftlichen Anforderungen muss mit einer professionellen Erziehung und Bildung Rechnung getragen werden. Die PISA-Studie attestiert dem deutschen Erziehungs- und Bildungswesen zudem ein schlechtes Zeugnis.Sich daran anschließende Überlegungen beziehen unter anderem Befunde der Hirnforschung mit ein, die auf die frühe Bildungsfähigkeit der Kinder und deren sensible Phasenzu sprechen kommen, in denen besonders schnell und nachhaltig gelernt werden kann. Das heißt, zukunftsfähige Erziehung und Bildung muss bereits in der frühen Kindheit ansetzen, da diese Phase von raschen Entwicklungsfortschritten und Veränderungen geprägt ist, die sich nachhaltig auf das gesamte Leben auswirken.Dabei geht es um eine ganzheitliche Erziehung und Bildung, die nicht nur auf kognitive Aspekte im Sinne einer Wissensanhäufung beschränkt bleibt. Vielmehr sollen neben sozialen Kompetenzen auch Problemlösungsfähigkeiten erlangt werden.

Das „Leipziger Werkbuch“konstatiert außerdem ein gewachsenes öffentliches Interesse an frühkindlichen Erziehungs- und Bildungsprozessen. Wenn festgestellte Mängel und Probleme in das öffentliche Bewusstsein gelangen, wird die Forderung nach Veränderungen unüberhörbar, auch wenn dem Bereich der Frühpädagogik lange genug kein übermäßiges Interesse gegenüberstand. Um so erfreulicher ist es, dass der Handlungsbedarf erkannt wurde.

2.2.4.2. Das Bundesmodellprojekt als Vorläufer des sächsischen Modellprojektes

Dem in Sachsen aktuell einzuführenden Bildungsauftrag liegt ein Bundesmodellprojekt zugrunde. Die Beweggründe des einzuführenden Bildungsauftrages einschließlich des „Entwicklungsbogens“ kommen nachfolgend zur Sprache.

Es gab bereits 1999 vom „Forum Bildung“ (eine Initiative von Bund und Ländern) eine Empfehlung für die pädagogische Praxis, die eine stärkere Orientierung an den Bildungsinteressen der Kinder vorsieht. Das Modellprojekt „Zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen“ wurde vom 01.07.1997 bis zum 30.06.2000 in Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein durchgeführt. Fördernde Institutionen waren das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die jeweiligen Ministerien auf Landesebene. Das Institut für „angewandte Sozialisationsforschung / Frühe Kindheit e.V“ war der Projektträger. Insgesamt haben zwölf Einrichtungen aus den drei Bundesländern teilgenommen, denen fachliche Berater zur Seite standen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 155 Seiten

Details

Titel
Der Beller'sche Entwicklungsbogen in einer Kinderkrippe
Untertitel
Die Anwendbarkeit des Bogens aus Erziehersicht
Hochschule
Universität Leipzig
Note
2,8
Autor
Jahr
2007
Seiten
155
Katalognummer
V87651
ISBN (eBook)
9783638067881
ISBN (Buch)
9783638953634
Dateigröße
4010 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Entwicklungstabellen Beller/Beller nicht enthalten. Material nicht bei GRIN erschienen. Erhältlich: www.beller-kkp.de
Schlagworte
Analyse, Anwendung, Beller`schen, Entwicklungsbogens, Kinderkrippe
Arbeit zitieren
Anne Missbach (Autor:in), 2007, Der Beller'sche Entwicklungsbogen in einer Kinderkrippe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87651

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