Möglichkeiten der Integration von Altenbetreuungsleistungen in das Konzept der Wohnbaugenossenschaften


Diplomarbeit, 2007

86 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Problemstellung und Zielsetzung
1.2. Aufbau der Diplomarbeit

2. Die österreichische Wohnbaugenossenschaft
2.1. Geschichte der österreichischen Wohnbaugenossenschaft
2.2. Die Rechtsform der Wohnbaugenossenschaft
2.3. Eigenschaften der Wohnbaugenossenschaft
2.3.1 Wesensmerkmale der Wohnbaugenossenschaft
2.3.2 Zuordnung innerhalb der Genossenschaften

3. Motive für die Integration von Serviceleistungen
3.1. Externe Faktoren
3.2. Interne Faktoren
3.3. Mitgliederakzeptanz

4. Möglichkeiten der Integration von Altenbetreuungsleistungen in österreichische Wohnbaugenossenschaften
4.1. Gesetzliche Rahmenbedingungen
4.1.1 Wohnbegleitende Dienstleistungen im WGG
4.1.2 Die Seniorenwohnung im Mietrechtsgesetz
4.2. Bauliche Vorraussetzung für die Integration von Altenbetreuungsleistungen
4.2.1 Barrierefreies Wohnen
4.2.2 Adaptierung barrierefreier Wohnungen
4.2.3 Anpassbarer Wohnbau
4.2.4 Die seniorengerechte Wohnhausanlage
4.3. Formen der Altenbetreuung im Rahmen von Wohnbaugenossenschaften
4.3.1 Grundservicedienste
4.3.1.1 Haus-Service
4.3.1.2 Beratungsleistungen
4.3.1.3 Pflegehilfsmitteldepots
4.3.1.4 Nachbarschaftstreffs
4.3.2 Wahlservicedienste
4.3.2.1 Reparaturdienst
4.3.2.2 Besuchsdienst
4.3.2.3 Hauswirtschaftliche Dienstleistungen
4.3.2.4 Gästewohnungen
4.3.2.5 Teilstationäre Betreuungseinrichtungen
4.3.2.6 Kurzzeitpflege
4.3.3 Organisierte Heimpflege
4.3.4 Exkurs: „Generationen-Wohnen“
4.4. Auswahl von Betreuungsleistungen
4.5. Festlegung der Trägerschaft für Dienstleistungsangebote
4.5.1 Alleinangebot von Betreuungsleistungen
4.5.2 Kooperation mit Drittanbietern
4.5.3 Vermittlung
4.5.4 Übertragung der Leistungserstellung auf die Mitglieder

5. Finanzierung der Betreuungsleistungen
5.1. Finanzierung von Grundservicediensten
5.2. Finanzierung von Wahlservicediensten
5.3. Finanzierung der Pflege und Krankenpflege
5.4. Innovative Finanzierungsformen
5.4.1 Zeittauschsystem
5.4.2 Seniorengemeinschaften
5.5. Preisfindung für das Betreuungsangebot

6. Vermarktung der Betreuungsleistungen von Wohnbaugenossenschaften
6.1. Marktbearbeitungsstrategie
6.2. Das Kundensegment der Senioren
6.3. Differenzierung innerhalb des Kundensegments der Senioren
6.4. Exkurs: Co-Branding

7. Integrationshürden

8. Praxisbeispiele
8.1. Integration einer Altenbetreuung in die Wohnbaugenossenschaft
„Freie Scholle“
8.2. Betreubares Wohnen am Beispiel der „Oberwarter Siedlungsgenossenschaft“
8.3. Projekt „Wohnen für Generationen“ der gemeinnützigen
Wohnbaugesellschaft „Neue Heimat“

9. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Abbildung 1: Verhältnis der Bevölkerung im Rentenalter zu Personen im Erwerbsalter

Abbildung 2: Wohnpräferenzen von Senioren

Abbildung 3: Barrierefreies Bad mit schwellenloser Dusche und Haltegriffen

Abbildung 4: Anpassbarer Wohnbau

Abbildung 5: Pflege- und Hilfsbedürftigkeit in verschiedenen Altersklassen

Abbildung 6: Vor- und Nachteile des Generationen-Wohnens

Abbildung 7: Höhe des Pflegegeldes in Österreich

Abbildung 8: Pflegegeldbezieher in der Pensions- und Unfallversicherung

Abbildung 9: Durchschnittspensionen nach Geschlecht in Euro

Abbildung 10: Marketing bei Wohnungsgenossenschaften

Abbildung 11: Marketingkonzept für eine Wohnbaugenossenschaft

Abbildung 12: Marktbearbeitungsstrategien

Abbildung 13: Finanzvermögen pro Haushalt nach Altersklassen in Deutschland

Abbildung 14: Konsumausgaben je Erwachsenen-Äquivalent nach Altersgruppen

Abbildung 15: Werbefolder der gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft OSG

Abbildung 16: Altersstruktur der Mitglieder der "Freien Scholle"

Abbildung 17: Betreubare Wohnung

Abbildung 18: Betreubare Wohngemeinschaft

Abbildung 19: Finanzierungsbeispiel einer betreubaren Wohnung

Abbildung 20: Projekt „Wohnen für Generationen“

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

1.1. Problemstellung und Zielsetzung

Aufgrund des demographischen Wandels wird sich das Gesellschaftsbild der westlichen Welt in den nächsten Jahrzehnten stark verändern. Eine höhere Zahl an Pensionisten wird weniger Erwerbstätigen gegenüber stehen und es ist bereits jetzt erkennbar, dass alternative Formen der Altenbetreuung gefunden werden müssen, will man eine Kostenexplosion im Gesundheitssystem und einen Engpass in der Altenpflege vermeiden.

Senioren sind heutzutage nicht nur agiler und gesünder, sie verfügen auch über mehr Kaufkraft und stellen dadurch inzwischen ein lukratives Marktsegment für die Wirtschaft dar. Aktuelle Studien zeigen, dass Pensionisten gerne so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben möchten, um dabei ihre eigene Selbständigkeit beizubehalten.[1] Dies ist jedoch oft nicht möglich, da die Wohnungen durch Barrieren wie Stiegen, schmale Türen oder enge Sanitärräume nicht für Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung gestaltet sind. So müssen ältere Menschen oft einen frühzeitigen Umzug in eine Pflegeanstalt oder einen Verlust der eigenen Lebensqualität wegen fehlender Betreuung in der eigenen Wohnung in Kauf nehmen.

Nachdem Genossenschaften traditionell als „Kinder der Not“[2] bezeichnet werden und überall dort besonders erfolgreich waren, wo der Staat und die Gesellschaft Probleme nicht zufriedenstellend lösen konnten, stellt sich die Frage, ob Wohnbaugenossenschaften geeignet sind, um eine Altenbetreuung effizient in ihr Genossenschaftssystem zu integrieren. Das Ziel sollte demnach sein, durch Adaption von Wohnraum auf die Bedürfnisse älterer Menschen einzugehen und durch das Anbieten von speziellen Betreuungsleistungen den Verbleib in einer eigenen Wohnung so lange wie möglich und mit einer hohen Lebensqualität zu ermöglichen.

Die nachfolgende Diplomarbeit soll deswegen aufzeigen, wie österreichische Wohnbau-genossenschaften effektiv Altenbetreuungsleistungen in ihr Konzept integrieren können, welche Möglichkeiten der Integration es gibt und wie diese finanziert und vermarktet werden können. Zusätzlich wird auf die Motive eingegangen, die seitens der Genossenschaft und der Mitglieder für eine Kooperation in diesem Bereich sprechen.

1.2. Aufbau der Diplomarbeit

Um einen kurzen Einblick in das System der Wohnbaugenossenschaften zu vermitteln, beschäftigt sich diese Diplomarbeit in Kapitel 2 mit den geschichtlichen Hintergründen, den Grundprinzipien und den gesetzlichen Bestimmungen von Wohnbaugenossenschaften. Zusätzlich wird in Kapitel 3 erläutert, welche Motive Wohnbaugenossenschaften für eine Erweiterung ihres Geschäftsfeldes auf die Altenbetreuung haben und inwieweit hier auf die Akzeptanz der Mitglieder Rücksicht zu nehmen ist.

In Kapitel 4 befasst sich die Diplomarbeit mit der Frage, wie Altenbetreuungsleistungen in österreichische Wohnbaugenossenschaften integriert werden können. Dazu werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen vor allem im Bereich Gemeinnützigkeitsgesetz sowie Mietrechtsgesetz erläutert. Bevor in Abschnitt 4.3. Beispiele für Betreuungsleistungen angeführt werden, wird in Abschnitt 4.2. gezeigt, welche baulichen Grundvoraussetzungen eingehalten werden müssen, um Senioren ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben zu ermöglichen. Nicht nur die Art der Betreuungsleistung, sondern auch die Trägerschaft ist eine wichtige Integrationsentscheidung. Möglichkeiten der Trägerschaft werden deswegen in Abschnitt 4.5. aufgezeigt.

Im Anschluss an die Möglichkeiten der Betreuung betrachtet Kapitel 5 die verschiedenen Arten der Finanzierung von Betreuungsleistungen, welche von Wohnbaugenossenschaften zur Verfügung gestellt werden können. Besonderes Augenmerk wird dabei auf innovative Finanzierungsformen gelegt, welche sich besonders für Genossenschaften eignen.

Die Vermarktung von Altenbetreuungsleistungen seitens der Wohnbaugenossenschaft wird in Kapitel 6 behandelt. Hier wird das Kundensegment der Senioren durchleuchtet und Marktbearbeitungsstrategien im Rahmen von wohnbegleitenden Dienstleistungen angeführt.

Nachdem es bei der Integration neuer Geschäftsfelder in Wohnbaugenossenschaften auch durchaus zu Problemen kommen kann, weist Kapitel 7 auf mögliche Integrationshürden hin und zeigt so, welche Fehler es bei der Integration speziell von Altenbetreuungsleitungen zu vermeiden gilt.

Beispiele von Wohnbaugenossenschaften, welche bereits erfolgreich Betreuungskonzepte für Senioren in ihr Geschäftsfeld integriert haben, werden in Kapitel 8 vorgestellt. Behandelt wird eine burgenländische Siedlungsgenossenschaft, welche sich auf den Bau betreuter Wohnungen spezialisiert hat, ein generationenübergreifendes Bauprojekt in Wien sowie eine deutsche Wohnbaugenossenschaft, welche seit Jahren erfolgreich auf die Bedürfnisse ihrer älteren Mitglieder eingeht.

Die Ergebnisse der Arbeit sowie ein Zukunftsausblick werden schlussendlich im Fazit in Kapitel 9 zusammengefasst.

2. Die österreichische Wohnbaugenossenschaft

Wohnbaugenossenschaften haben in Österreich eine lange Tradition. Jede fünfte seit 1945 errichtete Wohnung wurde von einer gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft errichtet, in den Städten – der Domäne des Mehrgeschoßwohnbaues – war es sogar jede dritte Neubauwohnung.[3] Die Hintergründe für die Beliebtheit von Genossenschaftswohnungen sind dabei vielschichtig. Zum einen sind Genossenschaftswohnungen meistens verhältnismäßig günstig, da sie staatlich gefördert werden und die Genossenschaft selbst keinen Profit anstrebt. Zum anderen unterliegen Genossenschaften der Revision und sind ausschließlich der Förderung ihrer Mitglieder verpflichtet, wodurch der Schutz von Interesse und Kapital der Mieter gewährleistet wird.

2.1. Geschichte der österreichischen Wohnbaugenossenschaft

Die Anfänge der genossenschaftlichen Wohnformen in Österreich liegen bereits 150 Jahre zurück und haben ihren Ursprung in der Wohnungsnot des 19. Jahrhunderts. So bemerkt etwa Ludl in seinem Diskurs über Wohnbaugenossenschaften: „Das durch enorme Bevölkerungszunahme bewirkte Wohnungselend in den Städten ab Mitte des 19. Jahrhunderts war auslösendes Moment für das Auftreten von Wohnreformern, deren Ideen wiederum Wegbereiter für das Entstehen der Wohnbaugenossenschaften waren.“[4] Ursache der steigenden Bevölkerungszahlen in den Städten war die Landflucht, herbeigeführt durch die zunehmende Industrialisierung. Alleine in Wien betrug die Wachstumsrate Mitte des 19. Jahrhunderts aufgrund von Zuwanderungen aus den überbevölkerten Agrargebieten Südböhmens und Mährens etwa 30.000 Einwohner pro Jahr.[5]

Trotz drückender Wohnungsnot scheiterten die ersten Versuche, billige Wohnungen zu errichten, an den fehlenden finanziellen Mitteln. Freies Kapital floss nicht in gemeinnützige Bauvereinigungen, da andere Anlagemöglichkeiten einen höheren Anreiz boten. Stattdessen verfolgten vereinzelte Wohnbaugenossenschaften eine Marktnischenpolitik für wohlhabende Bevölkerungsschichten, die selbst über ausreichend Kapital für eine Selbsthilfe im Wohnungsbau verfügten. Erst zur Jahrhundertwende führten indirekte staatliche Förderungen wie Kredithilfen und die Übernahme von Bürgschaften zu einem sprunghaften Anstieg von Genossenschaftsgründungen.[6]Zählte man 1904 nur 56 Baugenossenschaften, so waren es 1908 bereits 141, 1910 waren es 299 und letztlich 1912 waren es 601 Baugenossenschaften.“[7]

Die erste in diesem Zusammenhang erwähnenswerte staatliche Unterstützung stellte das 1. Arbeiterwohnungsgesetz vom 8.7.1892 dar. Die Förderung des Wohnbaus erfolgte noch indirekt, indem eine vierundzwanzigjährige Befreiung der Gebäudesteuer gewährt wurde.

Erst 1907 wurden im Rahmen des „Kaiser Franz Josef I-Regierungsjubiläumsfonds“ direkte finanzielle Mittel für den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt. Die Zuschüsse wurden ausschließlich an Wohnbaugenossenschaften ausbezahlt, welche sich den Bau von günstigen Wohnungen zum statuarischen Ziel gesetzt hatten. Diese politische Maßnahme legte den Grundstein für eine wirkungsvolle Arbeit von Wohnbaugenossenschaften und bewirkte eine Gründungswelle, welche die Anzahl der Wohnbaugenossenschaften beinahe verzehnfachte.[8] Schon damals war das Vertrauen des Staates in österreichische Wohnbaugenossenschaften, aber auch deren finanzielle Abhängigkeit von staatlichen Institutionen, ersichtlich.

Die Baugenossenschaften erkannten bald die Notwendigkeit des Zusammenschlusses zu einem Dachverband. 1915 kam es nach Gründung erster Landesverbände in den Kronländern bei einer „Kriegstagung“ der gemeinnützigen Baugenossenschaften zum Beschluss der Gründung eines „Reichsverbandes der gemeinnützigen Bauvereinigungen Österreichs“.[9]

Die Zahl der Genossenschaften stieg durch weitere Maßnahmen wie die Einführung des Mietschutzes 1917 und die Gründung von neuen Siedlungsfonds weiter an. Ab diesem Zeitpunkt griff der Staat aktiv in den Wohnungsbau ein und ermöglichte eine drastische Senkung der Wohnlastquote gegenüber Marktverhältnissen.[10]

Die Schaffung des autoritären Staates 1934 brachte zahlreiche einschränkende Maßnahmen für die „roten“ und politisch sehr aktiven Baugenossenschaften. Teils wurden beamtete „Überwachungspersonen“ bestellt, die bei allen Leitungsbeschlüssen über ein Einspruchsrecht verfügten, teils wurden einzelne Vorstandsmitglieder oder ganze Vorstände ihrer Funktion enthoben. Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme begann der Kampf der Baugenossenschaften um das nackte Überleben. Demokratische Willensbildung und faschistisches Führerprinzip waren unvereinbar. Der Zentralverband “gemeinnütziger Baugenossenschaften Österreichs“ wurde 1938 völlig aufgelöst. An seiner Stelle wurden von Amts wegen zwei neue Prüfverbände errichtet. Viele Baugenossenschaften wurden aufgelöst, andere zwangsfusioniert. Einschränkungen der genossenschaftlichen Autonomie waren an der Tagesordnung, Wohnbauförderungsmittel wurden nun ausschließlich an regimetreue Wohnbaugesellschaften verteilt.[11]

Trotz der schwierigen Zeit für Wohnbaugenossenschaften gehen die wesentlichen organisatorischen Prinzipien der Wohnungsgemeinnützigkeit in Österreich in ihrer heutigen Form auf die Zeit des zweiten Weltkrieges und die unmittelbare Nachkriegszeit zurück. Das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz stammt aus 1940 und wurde 1945 in die österreichische Rechtsordnung übernommen.[12] 1946 kam es zur Gründung des „Österreichischen Verbandes gemeinnütziger Bauvereinigungen – Revisionsverbandes“, welcher noch heute besteht.[13]

In der Phase des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg wurden die gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen zu weitgehend staatlich beeinflussten und staatsabhängigen Institutionen. Sie bekamen Baurechte auf öffentlichen Grundstücken und beträchtliche öffentliche Mittel, um leistbare Mietwohnungen für die städtische Arbeiterschicht bereit zu stellen.[14]Wieder kann die Abhängigkeit der genossenschaftlichen Entwicklung von der Erhöhung der staatlichen Förderung festgestellt werden.[15]

Nach der Inkraftsetzung eines neuen Wohnbauförderungsgesetzes 1954 erreichte die Anzahl der Wohnbaugenossenschaften 1955 einen historischen Höchststand von 248 Genossenschaften. Seitdem besteht - vornehmlich durch Fusionen ein durchgehender Trend zur Verringerung der Anzahl gemeinnütziger Wohnbaugenossenschaften, wodurch die Wirtschaftskraft der einzelnen Genossenschaften verbessert wurde.[16]

Waren Genossenschaftswohnungen in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg noch ein Symbol für den Wiederaufbau, so wurden sie nun ein Zeichen des wachsenden persönlichen Wohlstandes der Mitglieder, die bereits erhebliche finanzielle Eigenleistungen in Form von Finanzierungsbeiträgen zu erbringen hatten. In dieser Zeit kam es auch zu einer gewissen Politisierung in „rote“ und „schwarze“ Wohnbaugenossenschaften, da Lokalpolitiker und Funktionäre versuchten, die günstigen Förderungsmittel nutzbringend für den eigenen Bereich einzusetzen.[17]

Ab den 70er Jahren kann man von einer Phase der Vermarktwirtschaftlichung des Wohnungsmarktes sprechen. Aufgrund einer ständig wachsenden Kaufkraft der österreichischen Bevölkerung entwickelte sich der Wohnbau gemeinnütziger Genossenschaften vom reinen Bau sozialer Wohnungen zu einer günstigen Alternative für den Mittelstand. Durch eine überdurchschnittlich hohe Förderung des Staates, gemessen an anderen europäischen Ländern, kamen so auch Haushalte in den Genuss staatlich geförderter Wohnungen, welche diese zwar nicht unbedingt benötigten, die jedoch trotzdem die günstige Finanzierungsform nutzen wollten.

Trotz stetiger Neubauten stieg der Bedarf an Wohnungen Anfang der 90er Jahre wieder an. Grund dafür waren zum einen die geburtenstarken Jahrgänge der späten 60er Jahre, der Trend zum „Single-Haushalt“ sowie der Zustrom von Zuwanderern aus Osteuropa.[18]

Heute gibt es in Österreich etwa 100 Wohnbaugenossenschaften, welche an die 300.000 Wohnungen verwalten.[19] Sie sind Teil des wohnpolitischen Systems in Österreich geworden und aus der österreichischen Wohnungswirtschaft nicht mehr weg zu denken.

2.2. Die Rechtsform der Wohnbaugenossenschaft

Die Gesellschaftsform der Genossenschaft ist in Österreich im Gesetz über Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften oder auch Genossenschaftsgesetz geregelt. Dieses Gesetz gilt laut § 1 Abs. 1 für: „Vereine von nicht geschlossener Mitgliederzahl, die im wesentlichen der Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder dienen.[20]

Sie ist also eine Personengesellschaft mit demokratischer Willensbildung, deren Geschäftsbetrieb die Verbesserung der Lage ihrer Mitglieder anstrebt.[21] Der Hauptzweck der Wohnbaugenossenschaft liegt in der Versorgung der Mitglieder mit kostengünstigem Wohnraum. Eine Wohnbaugenossenschaft, die dabei dem Gemeinwohl dienende Aufgaben des Wohnungs- und Siedlungswesens erfüllt, gilt als gemeinnützig im Sinne des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes.[22]

Die gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft unterscheidet sich von anderen Genossenschaften vor allem dadurch, dass sie der staatlichen Anerkennung bedarf, staatlicher Aufsicht unterliegt und eine Mindestanzahl von sechzig Mitgliedern aufzuweisen hat. Ein Aufsichtsrat ist zwingend einzurichten. Die Genossenschaft verfügt über einen sehr eingeschränkten Geschäftskreis, unterliegt einer Baupflicht und ist an detaillierte Preisbildungsvorschriften gebunden. Sie hat vom Baugewerbe unabhängig zu sein und unterliegt einer als Gebarungsprüfung ausgebildeten Pflichtprüfung.[23]

2.3. Eigenschaften der Wohnbaugenossenschaft

Die Genossenschaft dient, ihrem Rechtsbegriff nach, der Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder. Ihr fehlt es also im Mitgliedergeschäft an Gewinnerzielungsabsicht, an ihre Stelle tritt bloßes Überschussstreben.

Wohnbaugenossenschaften stellen einen wesentlichen Teil der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft Österreichs dar. Durch das mit der Mitgliedschaft verknüpfte Nutzungsrecht und die gesetzlich vorgeschriebene Baupflicht haben die Wohnbaugenossenschaften einen stetigen Anstieg ihrer Mitglieder zu verzeichnen. Insgesamt werden in Österreich über 300.000 Wohnungen von etwa 100 Wohnbaugenossenschaften verwaltet und damit etwa 400.000 Mitglieder betreut.[24]

Im Gegensatz zu Kapitalgesellschaften herrscht in Genossenschaften das Demokratieprinzip. Jedes Mitglied hat das gleiche Stimmrecht, unabhängig vom einbezahlten Kapital. Die demokratische Mitwirkung wird in Wohnbaugenossenschaften mittels Bewohner-versammlungen gefördert. Durch die Doppelnatur der Genossenschaft sind ihre Mitglieder Kapitalgeber und Leistungsempfänger gleichzeitig.[25] So können die Mieter selbst bei Entscheidungen über Gestaltung, Verwaltung und Instandhaltung ihrer Wohnungen mitwirken. Bei Wohnbaugenossenschaften steht also nicht – wie das bei anderen Wohnbauträgern der Fall ist – das Interesse der Eigentümer im Gegensatz zum Interesse der Mieter, da diese in einer Wohnbaugenossenschaft ident sind.[26]

Im Gegensatz zu den Genossenschaften anderer Sektoren sind Wohnbaugenossenschaften stets auf Fremdhilfe angewiesen, da die meist kapitalschwachen Mitglieder aus eigener Kraft nicht die erforderlichen Mittel für den Wohnungsbau aufbringen können. Dies erklärt die enge Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen und örtlichen Behörden sowie die starke Abhängigkeit von staatlicher Förderung.[27]

Diese staatlichen Subventionen stellen ohne Zweifel einen Eingriff in die Genossenschaftsautonomie dar.[28] Nachdem Wohnbaugenossenschaften keinen Profit anstreben und sich hauptsächlich mit dem Bau von Klein- und Mittelwohnungen befassen – beides Grundkriterien der Gemeinnützigkeit, ist es für sie jedoch in den meisten Fällen günstig, sich den Regeln des Gemeinnützigkeitsgesetzes zu unterwerfen, um die damit verbundene staatliche Unterstützung an die Mitglieder weitergeben zu können. Solche Unterstützungen bestehen zum Beispiel aus Abgabenbegünstigungen in Form von Steuer- und Gebührenbefreiung sowie Steuerermäßigungen. Zusätzlich erhalten gemeinnützige Genossenschaften Wohnbauförderungsmittel in Form von Krediten und direkten Zuschüssen.[29]

Neben der finanziellen Abhängigkeit schränken das Wohngemeinnützigkeitsgesetz und die Wohnbauförderungsbestimmungen auch die Selbstbestimmung der gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften stark ein. So besagt etwa § 35 Abs. 3 des Wohn-gemeinnützigkeitsgesetzes:

„Die Landesregierung kann von der Entziehung der Anerkennung der Gemeinnützigkeit absehen, wenn die Mitglieder des Vorstandes oder des Aufsichtsrates oder die Geschäftsführer […] nach Aufforderung durch die Landesregierung binnen einer angemessenen Frist ihrer Funktion enthoben worden sind.“[30]

Diese Regelung betont die staatliche Aufsicht gemeinnütziger Organisationen, da hier die Landesregierung im Falle einer Verletzung des WGG auf die Personalpolitik der Wohnbaugenossenschaft einwirken kann.[31]

2.3.1 Wesensmerkmale der Wohnbaugenossenschaft

Die sechs Wesensmerkmale der Wohnbaugenossenschaft sind nach Ludl[32] ihre Doppelnatur, der Förderauftrag, die demokratische Willensbildung, die Identität, die nicht geschlossene Mitgliederzahl und das veränderliche Kapital. Nachfolgend soll jede dieser spezifischen Eigenschaften kurz erläutert werden.

Doppelnatur:

Wohnbaugenossenschaften sind einerseits wirtschaftliche Unternehmen, die sich auf dem Markt behaupten müssen, auf der anderen Seite sind sie soziale Gemeinschaften der sich zum Zweck der Selbsthilfe zusammenschließenden Mitglieder. Diese Doppelnatur wirkt in höherem Maße gemeinschaftsbildend als andere Rechtsformen des Wohnens, ein Aspekt, der sich positiv auf eine Hausgemeinschaft und auf die Integration betreuungsbedürftiger Personen auswirkt.

Der Förderungsauftrag:

Eine Wohnbaugenossenschaft wird ihrem Auftrag, die Wirtschaft ihrer Mitglieder zu fördern, dann gerecht, wenn sie ihnen dauerhaft eine genossenschaftseigene Wohnung zur Verfügung stellen kann, und zwar qualitativ hochwertiger oder günstiger als dies bei privatwirtschaftlichen Unternehmen der Fall ist. Dieser Förderungsauftrag wird durch den öffentlichen Auftrag des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes erweitert und überlagert.

Die demokratische Willensbildung:

Genossenschaften regeln ihre Angelegenheiten selbstbestimmend und demokratisch. Dabei ist nicht, wie bei anderen Gesellschaftsformen, die Höhe des eingezahlten Kapitals ausschlaggebend, sondern alle Mitglieder sind unabhängig von der Größe ihrer Wohnung gleich stimmberechtigt. Im Vordergrund steht eine Mitwirkung bei der Gestaltung des Wohnumfeldes, welche durch regelmäßig stattfindende Bewohnerversammlungen ermöglicht wird.

Die Identität:

Die Interessen der Eigentümer sind im Falle einer Wohnbaugenossenschaft ident mit den Interessen der Bewohner. Dadurch kommt es zu keinem Interessenskonflikt und die Gefahr der Überwälzung öffentlicher Leistungen auf die Preise wird vermieden.

Ergänzt wird die Doppelfunktion der Mitglieder als Eigentümer und Bewohner durch eine Kontrollfunktion. Sie können die Organfunktionen überwachen und mit demokratischen Entscheidungen Mängel beseitigen und die Autonomie der Genossenschaft sicherstellen.

Die nicht geschlossene Mitgliederzahl:

Im Gegensatz zu anderen Unternehmen des Handelsrechts, welche stets „geschlossene Gesellschaften“ sind, bleiben bei einer Wohnbaugenossenschaft der Eintritt sowie der Austritt jederzeit möglich. Lediglich die Bestimmungen der Wohnbauförderung können den Kreis der potentiellen Mitglieder verschiedentlich einengen.

Das veränderliche Kapital:

Ein Charakteristikum von Wohnbaugenossenschaften ist die stetige Veränderung des Eigenkapitals als Folge der Mitgliederfluktuation. Zumeist hat diese Fluktuation jedoch nur einen geringen Stellenwert, der größte Teil des im Laufe der Jahre geschaffenen Eigenkapitals unterliegt keiner Veränderlichkeit mehr. Das stetig steigende Eigenkapital großer Genossenschaften bewirkt dabei größere Unabhängigkeit von Fremdhilfe, da es zur Bauzwischenfinanzierung und für die Sanierung eigener Wohnhäuser eingesetzt werden kann.

2.3.2 Zuordnung innerhalb der Genossenschaften

Will man die Wohnbaugenossenschaft innerhalb der zahlreichen Genossenschaftsarten zuordnen, so lässt sich feststellen, dass es sich bei den Wohnbaugenossenschaften um

Förderungsgenossenschaften,
Wirtschaftsgenossenschaften,
Spezialgenossenschaften und
Individualgenossenschaften
in einem handelt.[33]

Fördergenossenschaften werden auch als Ergänzungs- oder Hilfsgenossenschaften bezeichnet, denn sie unterstützen die ihnen angeschlossenen Mitgliederwirtschaften in der Weise, dass sie bestimmte Funktionen für sie wahrnehmen. Die wirtschaftliche Selbständigkeit der Mitglieder wird dabei nicht berührt .

Wirtschaftsgenossenschaften sind als von Hauswirtschaften getragene und in deren Auftrag arbeitende Genossenschaften zu verstehen. Ihr Hauptziel ist in der wirtschaftlichen Förderung dieser Hauswirtschaften zu sehen.

Spezialgenossenschaften erbringen individuelle Leistungen. Sie haben also kein breites Leistungssortiment, sondern sind auf die Erbringung einer spezifischen Leistung spezialisiert. Ihr Geschäftskreis ist sehr eingeengt und ihre Tätigkeit beschränkt sich auf wenige Bereiche.

Individualgenossenschaft bedeutet, dass die Träger der Genossenschaft vorwiegend natürliche Personen sind.[34]

3. Motive für die Integration von Serviceleistungen

Obwohl Genossenschaften auch heute immer noch die Funktion eines sozialen Auffang-beckens für Menschen in Not wahrnehmen, ist im Bereich der Wohnungswirtschaft die Sicherung der Grundbedürfnisse in Österreich flächendeckend gewährleistet. Der Großteil der österreichischen Bevölkerung kann sich einen angemessenen Wohnstandard leisten. Wohnbaugenossenschaften können sich deswegen – wie bereits in Abschnitt 2.1. erläutert – nicht mehr auf den Bau von Sozialwohnungen beschränken, sondern müssen sich an den Markt und an die gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen.

Zusätzlich zu den neuen Hürden, die die Veränderung des externen Marktes mit sich bringt, sind viele Genossenschaften mit einer zunehmenden „Überalterung“ und den damit verbundenen internen Problemen in den eigenen Genossenschaftsbauten konfrontiert. Ist es also auf der einen Seite zunehmend notwendig, sich auf einem freien Wohnungsmarkt auch gegen andere Wohnbauorganisationen zu behaupten, muss sich eine Genossenschaft aufgrund ihres Förderauftrages auch auf sich verändernde Bedürfnisse ihrer bestehenden Mitglieder einstellen.

3.1. Externe Faktoren

Das Umfeld der Aktivität von Wohnbaugenossenschaften ist in einem starken Wandel begriffen, der bereits seit einiger Zeit wirksam ist.[35] Wohnungsgenossenschaften werden nicht mehr als Erbauer von Sozialwohnungen gesehen, als Auffangbecken für Menschen, die sich ohne Hilfe der Genossenschaft keine eigene Wohnung leisten könnten. Vielmehr profitieren Genossenschaften von ihrem positiven Image als sicherer Vermieter und ihren meist konkurrenzlos günstigen Preisen.

Genauso wie diese wirtschaftlichen Faktoren haben sich auch die gesellschaftlichen Wohn-trends und damit die Anforderungen an die Aktivitäten von Wohnbaugenossenschaften stark verändert.[36] Neben Single- und Familienwohnungen steigt auch zunehmend der Bedarf an speziellen Wohnungen für ältere Menschen. So bemerkt etwa Foppa in seiner Dissertation zum Thema Alterswohnungen: „Die zunehmende Überalterung der Bevölkerung wird maßgebliche Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt zur Folge haben.[37] Dies scheint wenig verwunderlich, sieht man den demographischen Entwicklungen der nächsten Jahrzehnte – verdeutlicht in Abbildung 1 - entgegen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Verhältnis der Bevölkerung im Rentenalter zu Personen im Erwerbsalter[38]

Senioren wohnen dabei zum Großteil in den eigenen vier Wänden. Nur etwa fünf Prozent der Senioren leben in Wohn- oder Pflegeheimen, alle anderen in ihrer eigenen Wohnung oder in häuslicher Pflege. Alleine der Wandel der Altersstruktur bedingt dabei, dass in 10 bis 15 Jahren – wenn die Baby-Boom-Generation (Geburtenjahrgänge 1955 – 1965) in den dritten Lebensabschnitt eintritt – die über 50jährigen die zahlenmäßig stärkste Nachfragegruppe am Wohnungsmarkt sein wird.[39] Gerade in einem Markt, der zunehmend stagniert, bietet diese neue Zielgruppe enorme Expansionspotentiale für Wohnbaugenossenschaften. Dabei ist jedoch zu beachten, dass das Kundensegment der „neuen Senioren“ zwar ein lukratives und finanziell abgesichertes Segment darstellt, jedoch auch die Bedürfnisse nach einem sicheren, komfortablen Wohnen erfüllt werden müssen.

Im Bereich der österreichischen Wohnungspolitik zeigt sich eine Rückzugstendenz des Staates vom Wohnungsmarkt. Dies bewirkt eine Veränderung der Kooperationsformen bei gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften, da diese durch Abnahme staatlicher Förderungen einen ihrer traditionellen Vorteile am Markt verlieren.[40] Je ausgewogener der Wettbewerb jedoch ist und je mehr eine staatlich veranlasste Gleichgestaltung unter den Marktpartnern stattfindet, um so schwerer fällt es den Genossenschaften, die Vorteilhaftigkeit ihrer Marktleistung gegenüber den Konkurrenten darzustellen.[41] Traditionell zeigen die Wohnungsgenossenschaften dabei ein vergleichsweise starkes Engagement jenseits der reinen Wohnungsüberlassung und aus aktueller Sicht erscheinen Serviceleistungen für sie als geeignetes Instrument, um Mitgliedsnähe zu dokumentieren und ihr Profil als „besondere“ Vermieter zu schärfen.

Ein weiterer, für Genossenschaften ungewohnter Umstand kann ein möglicher Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt sein, wie dies seit einiger Zeit in Teilen Deutschlands zu beobachten ist. Dies macht bei betroffenen Unternehmen einen Wandel der Unternehmens-kultur erforderlich. Wohnbaugenossenschaften, die vor wenigen Jahren noch lange Wartelisten für ihre Wohnungen verwaltet haben, sehen sich nun mit einer rückläufigen Nachfrage bei kurzfristig starrem Angebot konfrontiert. Dies wirkt sich automatisch auf die Expansionspolitik der Genossenschaft aus. Stehen viele vollberechtigte Mitglieder auf der Warteliste für neue Wohnungen, so muss die Genossenschaft, um diese Mitglieder zu fördern, durch den Bau neuer Wohnungen expandieren. Ist dies nicht der Fall, so gilt es neue Wege zu finden, um in anderen Bereichen Fuß zu fassen oder sich auf ein wachsendes Kundensegment, wie das der Senioren, zu spezialisieren.[42] Sie müssen dabei nicht nur ihr Angebot an den Markt anpassen, sondern auch aktives Marketing betreiben und ihre Wohnungen durch zusätzliche Leistungen attraktiv machen. „Die Genossenschaft ist aktuell in erster Linie als Dienstleister, als Verkäufer von Wohnemotionen und einer Reihe von Zusatzdienstleistungen gefragt und eben nicht mehr nur als Verwalter.[43]

Für Wohnbaugenossenschaften bieten zusätzliche Dienstleistungen die Möglichkeit, sich gegenüber der Konkurrenz differenzieren und profilieren zu können.[44] Zusätzlich hat die Genossenschaft gegenüber den Mitbewerbern am Markt den Vorteil des besonderen Vertrauens der Mitglieder. Wohnungsgenossenschaftliche Mitgliedschaft kann in einer Situation eingeschränkter staatlicher Absicherung als ein wichtiges Element der persönlichen Alterssicherung aufgebaut und kommuniziert werden.[45]

Die Integration von sozialen Wohndienstleistungen, wie etwa die Dienstleistungen im Bereich der Altenbetreuung, hat für private Wohnbaugesellschaften wenig ökonomischen Wert. Mit innovativen Projekten der Vereinsamung entgegen zu wirken und eine leistbare Altenbetreuung gerade für sozial Schwache zu ermöglichen ist jedoch gesellschaftlich als notwendig anerkannt, wird gutiert und ist deshalb zukunftsträchtig. Da man damit aber in den meisten Fällen keinen zusätzlichen Profit machen kann, setzen Wohnbaugesellschaften, welche Profitmaximierung zum Ziel haben, auf andere, lukrativere Kundensektoren wie etwa Singles oder kinderlose Ehepaare. Dies ist ein weiterer Grund für Wohnbaugenossenschaften, sich auf ein Gebiet zu spezialisieren, in dem sie nicht, wie bei gewöhnlichen Wohnungen, mit privatwirtschaftlichen Unternehmen konkurrieren müssen.[46]

3.2. Interne Faktoren

Nicht nur eine Veränderung des Marktes und der externen Gegebenheiten kann eine Wohnbaugenossenschaft dazu bewegen, neue Serviceleistungen in ihr Konzept zu integrieren. Auch Aspekte innerhalb einer funktionierenden Genossenschaft können für eine Ausweitung des Geschäftsfeldes sprechen.

Immer mehr Genossenschaften haben das Problem eines schwindenden Interesses der Mitglieder an der Genossenschaft selbst. Dies liegt zum einen in der wachsenden Größe von Genossenschaften, wodurch rein rechnerisch jede Stimme eines Mitgliedes weniger Gewicht hat. Zum anderen ist gerade im Bereich der Wohnbaugenossenschaften durch spezielle staatliche Förderungen der Übergang von Genossenschaftswohnungen ins Eigentum populär geworden. Während diese Eigentumswohnungen beispielsweise weiter verkauft oder an Dritte vermietet werden, übernimmt die Genossenschaft lediglich die Hausverwaltung, ohne dass eine Mitgliedsbeziehung zwischen den Bewohnern und der Genossenschaft besteht.[47] Hier gilt es, durch ein erweitertes Service und ein Angebot über die reine Verwaltung hinaus, eine neue Möglichkeit der Beziehungsbildung zu den Mitgliedern zu implementieren.

Gerade große Genossenschaften, welche seit Jahrzehnten im Bau von Wohnhäusern aktiv sind, müssen nicht nur auf die Veränderung des externen Marktes, sondern auch auf die Veränderung der internen Mitgliederstruktur und die Überalterung der eigenen Mitglieder Rücksicht nehmen. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die Wohnpräferenzen alternder Menschen vor Augen führt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Wohnpräferenzen von Senioren[48]

Wie Abbildung 2 zeigt, wollen Senioren möglichst lange in der eigenen Wohnung bleiben. Nachdem das oberste Ziel einer Genossenschaft die Förderung der eigenen Mitglieder ist und die neue Gesetzeslage gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften die Betreuung ihrer Mitglieder über die Hausverwaltung hinaus ermöglicht, müssen die Genossenschaften sich darüber Gedanken machen, wie sie auf eine Überalterung und die damit verbundene Bedürfnisänderung der Mitglieder eingehen können.[49]

3.3. Mitgliederakzeptanz

Im Gegensatz zu anderen Bauvereinigungen und Organisationen ist es in einer Wohnbaugenossenschaft nicht möglich, Entscheidung ohne die Akzeptanz ihrer Mitglieder durchzuführen, da die Mieter gleichzeitig Eigentümer der Genossenschaft sind. Wird das Dienstleistungssortiment gegen den Willen der Basis „von oben her“ eingeführt, so ist dieses Vorhaben von vornherein zum Scheitern verurteilt, da die Bewohner keine Dienstleistungen annehmen müssen, die sie nicht selbst wollen. Es ist also sehr wichtig, vor und während der Einführung neuer Serviceleistungen intensive Informationsarbeit zu leisten und Vorstellungen und Erwartungen von Mitgliedern genaue Beachtung zu schenken.[50]

In diesem Sinne ist es angebracht, vor der Integration von Altenbetreuungsleistungen die Meinung der eigenen Mitglieder zu diesem Thema auszuloten. So wurden etwa im Rahmen eines Projektes der Wiener Wohnbaugenossenschaft „Neues Leben“ 141 von der Genossenschaft verwaltete Haushalte, deren Bewohner über 50 Jahre alt waren, in einem umfangreichen Fragebogen zu den Themen persönliche Wohnsituation, Senioren-genossenschaften, Einstellung zum Älterwerden, etc. befragt.

Aus dem Projekt konnten folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: Die befragten Genossenschaftsmitglieder waren mit ihrer Wohnsituation zufrieden und lehnten eine spätere Betreuung in einem Altenheim und herkömmliche Versorgungseinrichtungen, wie zum Beispiel Essen auf Rädern tendenziell ab, da sie den Beigeschmack der Hilfs- und Pflegebedürftigkeit vermitteln. Ein Großteil der Befragten würde jedoch individuelle Dienstleistungen aus einem Leistungspaket der Genossenschaft, wie etwa Bügeldienst, Hausarbeiten, Reparaturdienste, etc. gegen angemessene Preise gerne in Anspruch nehmen.[51]

Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, in welcher Weise auf die Zielgruppe zugegangen und wie diese angesprochen wird. Gerade ältere Menschen befürchten oft, an Selbstständigkeit zu verlieren und haben Angst, in ihrem sozialen Umfeld als hilfsbedürftig eingestuft zu werden. Hier ist von Bedeutung, dem Bewohner das Gefühl zu vermitteln, durch Inanspruchnahme einer Betreuung seine Lebenssituation zu verbessern, ohne dabei seine Selbstverantwortung und Autorität aufgeben zu müssen.

Im Bereich der Altenbetreuung ist bei der Einführung von Betreuungsleistungen außerdem vor allem auf folgende Bereiche zu achten:[52]

Sparsamkeit:

Für viele ältere Menschen ist die Bereitschaft, im Bereich von Dienstleistungen Geld auszugeben, eher gering. Oft wird die verlangte Gebühr als zu teuer erachtet, da die im Hintergrund erbrachten Leistungen nicht gesehen werden. Hier ist es wichtig, durch eine Kostentransparenz aufzuzeigen, wie die Kosten zustande kommen und wofür der Konsument genau bezahlt.

Familiensinn:

Nicht unterschätzt werden darf beim Angebot von Serviceleistungen die Bedeutung von Gewohnheiten und Traditionen innerhalb der betreuten Haushalte. So haben vor allem Frauen die Angst, ihrer Rolle nicht gerecht zu werden, wenn sie etwa nicht mehr selbst für den Ehemann kochen und auch den restlichen Haushalt nicht mehr selbst führen können. Auch haben Familienangehörige oft Hemmungen, ihre Verwandten einer fremden Pflegekraft anzuvertrauen.

Privatsphäre:

Eine Betreuung in der eigenen Wohnung bedeutet immer auch einen Eingriff in die Privatsphäre. Viele Menschen haben Angst davor, ihren Schlüssel einer fremden Person anzuvertrauen und diese unbeobachtet in der Wohnung arbeiten zu lassen. Besonders in zunehmendem Alter wächst das Misstrauen und viele Bewohner akzeptieren lieber Missstände in der Wohnung anstatt jemanden, der ihnen nicht vertraut ist, in die eigenen vier Wände zu lassen. Hier kann die Genossenschaft mit dem meist hohen Vertrauen der Mieter in die Genossenschaft selbst punkten. Wird das Betreuungspersonal als Teil der Genossenschaft vorgestellt, wird es von den Bewohnern als „eigene Leute“ angesehen, denen weniger Skepsis entgegen gebracht wird.

[...]


[1] Vgl. Blanc 2001, S. 19

[2] Vgl. Dellinger 2003

[3] Vgl. Ludl 1998, S. 357

[4] Ludl 1998, S. 331

[5] Vgl. Ludl 1998, S. 331

[6] Vgl. Czerny 2001, S. 24 ff

[7] Ludl 1998, S. 334

[8] Vgl. Wagner 2003, S. 120

[9] Vgl. Kemmetmüller 1998, S. 336

[10] Vgl. Czerny 2001, S. 24 ff

[11] Vgl. Kemmetmüller 1998, S. 339 ff

[12] Vgl. Czerny 2001, S. 24 ff

[13] Vgl. Wagner 2003, S. 122

[14] Vgl. Czerny 2001, S. 24ff

[15] Wagner 2003, S. 123

[16] Vgl. Wagner 2003, S. 123 ff

[17] Vgl. Kemmetmüller 1998, S. 341 ff

[18] Vgl. Czerny 2001, S. 24 ff

[19] Vgl. Tittler 2004, S. 73 ff.

[20] Genossenschaftsgesetz: § 1 Abs. 1, 1.1.2007

[21] Vgl. Korinek 1994, S. 264

[22] Vgl. Tittler 2004, S. 66

[23] Vgl. Ludl 1998, S. 327

[24] Vgl. Tittler 2004, S. 73 ff

[25] Vgl. Kemmetmüller 1998, S. 36

[26] Vgl. Korinek 1994, S. 263 ff

[27] Vgl. Ludl 1998, S 343 ff

[28] Vgl. Tittler 2004, S. 69

[29] Vgl. Korinek 1992, S. 16

[30] Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz: § 35 Abs.3, 1.10.2006

[31] Vgl. Wagner 2003, S. 125

[32] Vgl. Ludl 1998, S. 323 ff

[33] Vgl. Piewald 1983, S. 30

[34] Vgl. Ludl 1998, S. 326 ff

[35] Vgl. Theurl 2001, S.14

[36] Vgl. Theurl 2001, S 15ff

[37] Foppa 2003, S.34

[38] Deutsche Bank 2002

[39] Vgl. Rischanek/Amann 2003, S. 21

[40] Vgl. Eckhardt 2006, S. 19

[41] Vgl. Jäger/Großfeld 1981, S. 12

[42] Vgl. Jäger/Koppmann 1994, S. 21 ff

[43] Grunow 2001, S. 72

[44] Vgl. Harsch 2003, S. 10

[45] Vgl. Theurl 2001, S.18

[46] Vgl. Fehr 2000, S. 58 ff

[47] Vgl. Korinek 1994, S. 278

[48] Emnid 1999

[49] Kornfeind 2007

[50] Vgl. Harsch 2003, S. 46

[51] Vgl. Wagner 2003, S. 148

[52] Vgl. Harsch 2003, S. 47 ff

Ende der Leseprobe aus 86 Seiten

Details

Titel
Möglichkeiten der Integration von Altenbetreuungsleistungen in das Konzept der Wohnbaugenossenschaften
Hochschule
Wirtschaftsuniversität Wien
Autor
Jahr
2007
Seiten
86
Katalognummer
V87601
ISBN (eBook)
9783638019330
ISBN (Buch)
9783638920575
Dateigröße
5598 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Möglichkeiten, Integration, Altenbetreuungsleistungen, Konzept, Wohnbaugenossenschaften
Arbeit zitieren
Mag. Philip Ospelt (Autor:in), 2007, Möglichkeiten der Integration von Altenbetreuungsleistungen in das Konzept der Wohnbaugenossenschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87601

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