Über die Frau-Mann-Beziehung - speziell die Beziehung zwischen Erec und Enite in Hartmann von Aues -Erec-


Seminararbeit, 2001

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Der mittelhochdeutsche Text „Erec“ von Hartmann von Aue soll im folgenden Aufsatz Objekt einer Art thematischen Stoffanalyse sein. Einleitend möchte ich grob ein paar Worte zur Entstehung, Wirkung und Problematik des Textes verlieren.

Der Artusstoff in dieser (Roman)form wurde wohl als erstes von dem französischen Dichter Chrestien de Troyes in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts zu Pergament gebracht und noch Jahrhunderte später in immer neuen Variationen bearbeitet. Hartmann von Aue übersetzte und bearbeitete den „Erec“ ca. 20 Jahre später und schuf damit quasi die deutsche Adaption des Stoffes: den ersten Artusroman in deutscher Sprache. Dieser zog durch seine große Wirkung eine breite Tradition des deutschen Artusroman mit sich. Der deutschsprachige Roman „Erec“ ist jedoch nur in einer einzigen, erst am Anfang des 16. Jahrhunderts, also viel später (von Hans Ried im Auftrag Kaiser Maximilians I. modernisiert) geschriebenen Handschrift annähernd vollständig überliefert, was der Germanistik/Philologie einige Schwierigkeiten bei der Erschließung des Textes bereitete. Die wenigen älteren Handschriften sind sehr fragmentarisch. Das bedeutet, dass der Text, der uns heute vorliegt auf keinen Fall als das rekonstruierte Original der Dichtung von Hartmann gesehen werden darf, sondern vielmehr die Wahrscheinlichkeit darstellt, dass Hartmann so geschrieben haben könnte.1

Eine der wichtigen thematischen Punkte in Hartmanns „Erec“ ist das neben dem „Tod“ wohl gebräuchlichste und unverzichtbarste Topic in der Literaturgeschichte: die Behandlung der „Liebe“ und damit natürlich das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Wie stellt Hartmann von Aue speziell die Beziehung von Erec und seiner Frau Enite dar? Wie konstruiert der Autor dieses Thema? Und vor allem: hält die dargestellte Liebe und Beziehung zwischen den Geschlechtern dem Vergleich mit heutigen modernen Beziehungen, wie auch immer man „modern“ definieren möchte, stand? Ich hoffe diese Fragen im Folgenden zufriedenstellend beantworten zu können.

Zum Verständnis ist es sinnvoll, kurz die von Hartmann von Aue konstruierte Welt, in der Erec zuhause ist, zu beschreiben. Der Ritter Erec lebt in einem von bestimmten Idealvorstellungen geprägten Mikrokosmos, der hauptsächlich von ethischen sowie ästhetischen Werten geprägt ist. Die Erzählung spielt in einer kämpferischen Welt, vergleichbar mit der heute weitläufig verbreiteten, idealisierten Vorstellung vom Mittelalter und der damit verbundenen Idee von Abenteuer und Heldenepos. Das personifizierte Ideal dieser Welt und damit auch Dreh und Angelpunkt im Leben Erecs ist König Artus. Er steht für die vollkommenen Tugenden manheit, zuht, maze, milte, güete2, die sich nur ungefähr übersetzen lassen mit:

7250 Daz kam von dem muote

Daz im deheim werltsache

Enwas vor dem gemache

Da er ritterschaft vant

Und da er mit siner hant

Die sere muoste urborn.

Diz leben hate er erkorn

Erec ist einer der auserwählten Ritter der Tafelrunde von König Artus. Die allerhöchste Tugend für einen solchen „Artusritter“ ist es, seinem Namen und seinem Hof alle Ehre zu machen und alle Anstrengungen zu unternehmen, um den Ruhm zu vermehren. Um dies zu erreichen, muss Erec in die Welt hinaus ziehen und aventiure bestehen: Dies meint nichts anderes als „Abenteuer“, am besten heldenhafte (Zwei)kämpfe gegen übermächtige Gegner. Erec kennt deswegen kein höheres Ziel, als die ritterliche Bewährung.

Dieses Ideal, das sich durch die ganze Geschichte zieht, ist für das Verständnis von größter Bedeutung und muss, will man die auf den ersten Blick oft seltsamen Entscheidungen Erecs hinsichtlich seiner Ehefrau verstehen, mitberücksichtigt werden. Letztendlich gilt dieses höchste Prinzip der Ehre nicht nur für Erec. Es ist auch für Enite nahezu selbstverständlich, lebt sie doch im gleichen Wertesystem. Großmut und Tapferkeit liegen für beide sehr eng beisammen. Furcht dagegen kann man mit dem Gegenteil, der „Kleinmütigkeit“ gleichsetzen. Männer dürfen keine Angst haben, das ist weibisch, Frauenart.

2830 do was ir sin manheit

beide liep unde leit.

daz ir liepes dran geschach,

daz was daz man im wol sprach. (...)

2845 ouch hate sich vil snelle ir mout

der zweier eines bewegen,

daz ir ze manne waere ein degen

lieber dan ein arger zage,

unde lie swache klage und was siner manheit

beide stolz und gemeit.

Dieses Wertesystem wirkt sich natürlich, wie schon vorweggenommen, auf die in der Erzählung etablierte unterschiedliche Rollenverteilung der Geschlechter aus. Der ideale Mann ist ein tugendhafter Ritter im ethischen Sinne. Sowohl körperlich als auch geistig vertritt Erec als typisierte Hauptfigur eine edle Gesinnung. Er ist großzügig und gottesfürchtig, hilft Freunden in der Not und ist natürlich vor allem tapfer und mutig.

1806 do gedahte der tugendriche

Erec vil ritterliche

An sines sweher armout

Unde sande im schoenez guot (...)

2489 sin erste vart was ritterlich

zuo der kirchen er gie (...)

2681 wan daz Erec fil de roi Lac

schone in geriten kam,

als vriunde in der not gezam, (...)

2924 Erec was biderbe unde guot

Erec erlangt durch seine zahlreichen Siege über Räuber, Grafen und bei Turnieren mehr und mehr Ruhm. Der Autor schreibt ihm schließlich sogar die typischen Eigenschaften einflussreicher geschichtlicher bzw. biblischer Gestalten zu. Erec ist weise wie Salomon, schön wie Absalom, stark wie Samson und milde wie Alexander3. In gewisser Weise ist die Vernachlässigung der Ehefrau fast dadurch gerechtfertigt, dass der Mann in diesem System nach Ruhm und Ehre streben muss. Fast – denn es stellt sich natürlich die Frage, ob es nicht möglich ist, den ritterlichen Aufgaben nachzukommen und gleichzeitig den Bedürfnissen der Ehefrau gerecht zu werden. Erec hat damit zeitweise merkbar Probleme. Er ist der Mann und übernimmt damit eindeutig den offensichtlich-aktiven Part der Beziehung – über lange Zeit ohne Rücksicht auf seine Frau.

Aber nicht nur an Erec lässt sich die deutliche Rollenverteilung der Geschlechter erkennen. Fast alle männlichen Figuren, denen Erec und Enite begegnen, spielen ihre männliche Macht aus, versuchen Enite „aktiv“ herumzukriegen und sie für sich zu gewinnen. Die Hauptmänner der beiden Räuberbanden, die das frisch vermählte Paar am Anfang ihrer Abenteuerreise überfallen, machen beide schon vor dem Überfall ihre Beuteansprüche auf Enite klar. Nicht nur an dieser Stelle erscheint die schöne Frau als passives, entscheidungsunfähiges Objekt in einer von Männern dominierten Welt. Kurz darauf verliebt sich ein namenloser Graf und Burgherr in Enites Schönheit und versucht mit allen Mitteln, sie davon zu überzeugen, dass er mit seinem Titel, seinen Besitztümern und Ländereien (im Gegensatz zu Erec) der richtige Mann für sie wäre. Es kommt zu einer erneuten Zerreißprobe. Im weiteren Verlauf der Geschichte kommt es dann zur beispielhaftesten Machtdemonstration der Männer. Als Erec nach einem Kampf schwer verletzt vom Pferd fällt, weil seine alten Wunden aufgebrochen sind, hält ihn Enite für tot und klagt ihr Leid. Auch der Leser kann sich für eine Weile nicht mehr sicher sein, ob Erec noch am Leben ist. Die Gunst dieser Stunde nutzend tritt Graf Oringles von Limor auf den Plan. Zuerst könnte man meinen, der Graf wäre der Retter in der Not, der Enite von ihren Selbstmordabsichten abhält.

6121 Oringles hiez der riche man,

von Limor geborn.

Den hate got dar zuo erkorn

Daz er si solde bewarn. (...)

Allerdings stellt sich bald heraus, dass es auch ihm nur darum geht, Enite zu heiraten und zu besitzen. Sein anfängliches Einfühlungsvermögen wandelt sich in puren Egoismus. Sein Reichtum und seine Ländereien sollen für Enites Unglück entschädigen, sollen ihr Leid vergessen machen, es mehr als aufwiegen. Erst macht er Erec vor Enite schlecht und schließlich, als Enite ihm zwei deutliche Absagen erteilt, versucht er sie mit Gewalt dazu zu zwingen, ihn als Ehemann anzunehmen. Er zieht eine rationale Bilanz, nötigt sie zum Essen und damit dazu, ihren Kummer runterzuschlucken. Schließlich beschimpft er Enite direkt im Zorn und schlägt sie sogar zweimal brutal mitten ins Gesicht. Enite wird von ihm in seiner Torheit zum absoluten Objekt reduziert. Das einzige, was für Oringles zählt, ist seinen (männlichen) Willen durchzusetzen.

[...]


1 vgl. (Fischer), S.445 ff.

2 (Fischer), ebenda

3 (Erec), S.83 (Vers 2810 ff.)

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Über die Frau-Mann-Beziehung - speziell die Beziehung zwischen Erec und Enite in Hartmann von Aues -Erec-
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Neue Deutsche Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar: Mediävistik Einführungskurs
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
15
Katalognummer
V8756
ISBN (eBook)
9783638156462
ISBN (Buch)
9783656347705
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frau-Mann-Beziehung, Beziehung, Erec, Enite, Hartmann, Aues, Seminar, Mediävistik, Einführungskurs
Arbeit zitieren
Roman Seda (Autor:in), 2001, Über die Frau-Mann-Beziehung - speziell die Beziehung zwischen Erec und Enite in Hartmann von Aues -Erec-, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8756

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