Der Ordoliberalismus als autoritärer Liberalismus

Eine theoretische Legitimation der präsidialen Ermächtigungsgesetze?


Seminararbeit, 2005

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Ordoliberale Positionen
i. Walter Eucken
ii. Alexander Rüstow
iii. Alfred Müller-Armack

2. Der Ordoliberalismus
i. Der Ordoliberalismus als homogene Theorie
ii. Der Ordoliberalismus als Legitimation der Ermächtigungsgesetze

3. Fazit

1. Einleitung

Während der Recherchen über das durch meine Arbeitsgruppe zu bearbeitende Thema „Soziale Marktwirtschaft - Zwischen Ordo- und Neoliberalismus“ bin ich am Rande auf eine These gestoßen, die mir eine weitere Bearbeitung wert zu sein schien.

So schreibt Dieter Haselbach: „Die ordoliberalen „Gründungsmanifeste“ […] lasen sich [in der tagespolitischen Diskussion] wie eine Parteinahme für die autoritäre präsidiale Ermächtigung.“1

Zentraler Aspekt hierbei wird nicht die Frage danach sein, ob ordoliberale Denker in ihren frühen wirtschaftspolitischen Beiträgen eine Entwicklung wie sie in Deutschland gegen Mitte der 1930er Jahre statt fand forcieren wollten. Auch nicht die Frage danach, in welcher Art und Weise sich dieselben während der nationalsozialistischen Diktatur gesellschaftspolitisch äußerten. Viel weniger noch, welche Stellung sie nach der Redemokratisierung Deutschlands durch die Alliierten einnahmen.

Im Mittelpunkt meiner Arbeit soll die These stehen, dass die Theorie des Ordoliberalismus, wie sie zu Beginn der 1930er Jahre entstand, als Legitimationsgrundlage des sich zu dieser Zeit entwickelnden diktatorischen Systems unter den Nationalsozialisten gelesen werden kann. Wie oben schon angedeutet, geht es mir dabei nicht um Absichtsunterstellungen. Vielmehr möchte ich im Weiteren den philosophisch-theoretische Aspekt untersuchen. Konkret die Frage danach, inwieweit eine politische Strömung, welche als liberal eingestuft wird, als Begründung für ein antiliberales Regime instrumentalisiert hätte werden können. Zu diesem Zwecke werde ich mich auf die Frühschriften2 der ordoliberalen Theoretiker Walter Eucken, Alexander Rüstow und Alfred Müller-Armack konzentrieren.

Im Zentrum meiner Arbeit werden die Theorien der oben genannten Ordoliberalen vorgestellt. Hierbei werde ich mich auf diese Teile beschränken, welche bezüglich meiner These Aussagekraft enthalten. Schließlich folgt ein Versuch, den Ordoliberalismus als eine homogene Theorie zu formulieren und, abhängig davon ob dies gelingt, meine These zu überprüfen. Sollte also der Ordoliberalismus als Ganzes Überschneidungen mit rechts-konservativen Meinungen dieser Zeit haben oder lässt sich das bestenfalls über einige wenige Theoretiker sagen? - Diese Frage wird im Folgenden zu untersuchen sein.

2. Ordoliberale Positionen

Bei der nun folgenden Präsentation einiger ordoliberaler Argumentationen möchte ich mich auf die Schriften der Jahre 1932/1933 und davor beschränken. Also genau diese, die vor der umgesetzten Ein-Parteien-Herrschaft der Nationalsozialisten erschienen. Das ist der Tatsache geschuldet, dass die oppositionelle Rolle freiburger3 Wissenschaftler während des Nationalsozialismus wissenschaftlicher Konsens ist. So weisen viele Autoren darauf hin, dass die „Freiburger Schule“ eine Insel des Widerstands gegen das Nazi-Regime darstellte4. Des Weiteren stellt die Beschränkung auf die Frühschriften keine inhaltliche Einschränkung dar. Dieter Haselbach betont, dass „… dieses Programm [das der Ordoliberalen, m. k.] schon vor 1933 in seinen Grundzügen ausformuliert vorlag. Die wirtschaftliche und politische Krise am Ende Weimars ist der Erfahrungskontext des Ordoliberalismus…“5. Die Vorstellung dieser „Gründungsmanifeste“ des Ordoliberalismus beginnt mit dem Werk Euckens. Es folgen die von Rüstow und Müller-Armack.

i. Walter Eucken

Dass ich an dieser Stelle mit dem Werk Walter Euckens beginne hat zwei Gründe. Erstens wird dieser als „Gründungsvater“ (Haselbach) oder „Kopf der Ordoliberalen“ (Fischer) bezeichnet. Es ist also nur konsequent mit seiner Theorie zu beginnen. Des Weiteren, und dies ist mit seiner herausragenden Rolle innerhalb der Freiburger Schule verbunden, hoffe ich, alle weiteren Theoretiker nur anreißen zu müssen, wenn die theoretische Grundlage für diese schon mit Eucken verdeutlicht wurde.

Eucken beschränkte sich in seinen Arbeiten nicht auf wirtschaftstheoretische und wirtschaftspolitische Analysen, sondern überwand die Grenzen der Ökonomie und verknüpfte seine Vorstellungen dieser mit den Ideen von Staat, Recht und Gesellschaft. Wie in der Einleitung erwähnt möchte ich hier aber nur auf die Punkte eingehen, die bezüglich meiner These von Bedeutung sind. Eine erschöpfende Darstellung von Euckens Werk würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Demgemäß geht es im Folgenden um seine Theorien von Wirtschaft und Staat.

In seinem Aufsatz „Staatliche Strukturwandlung und die Krisis des Kapitalismus“ ist angedeutet, dass für ihn die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre eng mit der Konstitution des Staates verbunden ist. Dabei führt Eucken die Existenz eines kapitalistischen Systems auf das Vorhandensein von Unternehmern zurück6. Eine „Krisis des Kapitalismus“ ist demnach synonym zu einer Krise unternehmerischer Tätigkeit. Wie es zu dieser Entwicklung kam, und - meine These betreffend viel entscheidender - wie ihr zu begegnen sei, arbeitet Eucken anhand einer „Pathogenese des neuzeitlichen Staates“7 heraus. Diese vollzieht sich in drei großen Phasen.

Die erste Epoche der modernen Staatsbildung ist - folgt man Eucken - die Zeit des absolutistischen Staates. Wirtschaftlich also die des Merkantilismus. Der absolute Herrscher hatte sich seine Souveränität gegen die (gesellschaftlichen) Stände erkämpft, wodurch es zu einer Trennung zwischen ihnen - der Gesellschaft - und des Monarchen - des Staates - kam. Diese „Spaltung“ zwischen Staat und Gesellschaft bedeutete, dass staatliche Eingriffe in die Wirtschaft nur punktuell und damit weitgehend folgenlos stattfanden. „Fragen grundsätzlicher Ordnung der Wirtschaft […] [wurden] damals nicht oder nicht entscheidend angepackt“8.

Folge dieses so ausgeprägten Dualismus von Staat und Gesellschaft war eine wenig dynamische Wirtschaft, da ökonomischer Fortschritt oft herrschaftlich angeregt und somit ohne Wirkung auf die allgemein-volkswirtschaftlichen Strukturen blieb. Dieses Gleichgewicht und ihre Überwindung stellt für Eucken ein Grundproblem des Staatswesens dar, welches sich in zwei weiteren Etappen vollzieht. Mit der französischen Revolution und der Entstehung bürgerlich-liberaler Staaten in den europäischen Kernländern wurde nach Eucken diese Trennung maximiert9. Der liberale Staat des 19. Jahrhunderts hatte der privaten Seite die Wirtschaftsführung fast vollständig überlassen. Sich also aus ihr zurückgezogen und ihr somit eine totale Autonomie gewährleistet, welche dazu führte, dass der Kapitalismus ein kräftiges Wachstum erlangte.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts löste sich diese Organisation auf. Es kam zu einer allmählichen Überwindung der Spaltung zwischen Staat und Wirtschaft, welche die vehemente Entfaltung des Kapitalismus erst ermöglicht hatte. Das Nebeneinander entwickelte sich zu einem verflochtenen Ganzen, in dem die Wirtschaft zunehmend politisiert wurde. Durch diese „neue, andersartige Organisation“, welche das „Funktionieren des kapitalistischen Mechanismus aufs äußerste erschwert[e]“10 zeichnet sich der moderne „Wirtschaftsstaat“ aus, mit dem Eucken analytisch die Gegenwart erreicht.

In der Herausbildung des „Wirtschaftsstaates“ besaß Deutschland nach Eucken eine gewisse Vorreiterrolle. Hier war es Bismarck, der die Wirtschaft durch staatliche Eingriffe beeinflussen wollte. Zu Zeiten Bismarcks war es allerdings „die Idee der Staatsräson“, welche zu diesen Interventionen motivierte. Diesem Motivkomplex - Schutz des Reiches - stand Eucken, auch wenn sie gegen das kapitalistische System liefen, eine zumindest moralische Entlastung zu. Diese ging in der Folgezeit allerdings verloren. Der post-bismarcksche Staat handelte zunehmend nach dem Interesse der Wirtschaft. Die Einflüsse hatten sich also umgekehrt. Die Wirtschaft hatte innerhalb des Verflechtungszustandes die Führung über staatliche Eingriffe gewonnen.

Dieser Zustand ist demnach dadurch gekennzeichnet, dass staatliche Interventionen in die Wirtschaft durch die Wirtschaft selbst veranlasst werden können. Für das Funktionieren des kapitalistischen Systems ist diese Entwicklung höchst folgenschwer. Denn nun sind es nicht mehr zwangsläufig jene Unternehmer erfolgreich, die „technische und organisatorische Neuerungen“ entwickeln, sondern die, welche beim Werben um staatliche Unterstützung die größte Kunstfertigkeit zeigen.

Neben wirtschaftlichen Einzelinteressen zählt Eucken zu den Motivkomplexen, die zur Herausbildung und Weiterentwicklung des Wirtschaftsstaates geführt haben, die Säkularisierung und Demokratisierung der Gesellschaft. Ersteres habe seinen Ursprung im Zeitalter der Industrialisierung. Durch die Entstehung neuer sozialer Schichten waren es zunehmend Ideologien und Propaganda der Parteien und Verbände, welche als Orientierung für den Einzelnen dienten. Verbunden mit der Aufklärung und der Emanzipation von der Erbsünde, folge daraus ein „Zusammenbruch der überkommenen Lebensordnung“11. Ohne den sinnstiftenden Einfluss der Religion und mit einer Vielzahl an kulturellen und sozialen Werten, wuchs die Tendenz mit Hilfe des Staates alle Lebensfragen lösen zu wollen. In diesem Staatsglauben werde nun vom Staat verlangt, auch die Ordnung der Wirtschaft zu bestimmen. Dies hat in den Augen Euckens verheerende Konsequenzen, da somit „der empfindliche und wirkungsvolle Regulator des Preises, der die Bewegungen des alltäglichen Wirtschaftsherganges und die zahlreichen Wirtschaftspläne […] ins Gleichgewicht brachte […] ausgesetzt“12 wurde. Die Demokratisierung habe nun verstärkend auf diese Tendenzen gewirkt. Durch die Idee der Legitimation durch das Volk verlor der Staat seine Stärke die darauf fußte, dass er allein dem Willen der „Staatsräson“ verpflichtet war. Der demokratische Staat als „Selbstorganisation der Gesellschaft“ war nun persönlichen Wünschen und gesellschaftlichen Interessen verpflichtet. Dieses Eindringen der Gesellschaft hatte ein Anwachsen des Staatsapparates zur Folge, das nicht als Zeichen von zunehmender Stärke, sondern vielmehr als Reaktion auf die steigende Zahl der zu befriedigenden Interessen zu verstehen ist.

Aus dieser angedeuteten Fehlentwicklung des (Wirtschafts-) Staates folgt für Eucken die notwendige Konstitution eines dem kapitalistischen System entsprechenden Staates. „Wenn der Staat […] erkennt, welch große Gefahren auch ihm aus der Verflechtung mit der Wirtschaft entstanden sind, wenn er die Kraft findet, sich von dem Einfluss der Massen frei zu machen und sich wieder […] von der Wirtschaft zu distanzieren, […] dann ist […] einer kräftigen weiteren Entfaltung des Kapitalismus in neuartiger Gestalt die Bahn geebnet.“13 Der Staat müsse also die „Spaltung“ zur Wirtschaft wieder erlangen, indem er an Stärke gewinnt und sich von Interessensbekundungen seitens der Gesellschaft emanzipiert. Dies unterstreicht die Wichtigkeit eines durch Autorität unabhängigen Staates. Allerdings fügt Eucken hinzu, dass ebenso die „Gefahr des autoritären Staates“14 gesehen werden müsse. Ziel des Eucken’schen Staates ist es daher, maximal entpolitisiert zu werden. Neben eines Wiedererwachens der Staatsautorität ist es also auch die Konzentration auf einen „klar bezeichneten Tätigkeitsbereich“15, der das Überwinden der „Krisis des Kapitalismus“ möglich machen soll.

ii. Alexander Rüstow

In seinen hier als Grundlage verwendeten Ausführungen vor dem „Verein für Socialpolitik“ aus dem Jahre 1932 wählt Rüstow eine sehr viel direktere Semantik und schmückt seine Inhalte mit stark wirkenden Bildern, die dem Gesagten zusätzlich Aussagekraft verleihen.

[...]


1 Haselbach, S.19.

2 Wenn Dieter Haselbach betont, dass das Rezept des Ordoliberalismus - der „starke Staat“ - schon gegen Ende der 1920er Jahre formuliert war, so ist eine Beschränkung auf die Frühschriften der ordoliberalen bezüglich meines theoretischen Schwerpunktes also keine inhaltlicher Art. Hierzu Haselbach, S.41 f.

3 Die Gründer des Ordoliberalismus werden gemeinhin als Vertreter der Freiburger Schule zusammengefasst, da einige von ihnen während des Nationalsozialismus an der Universität Freiburg forschten (z.B. Eucken). Da dies nicht sehr präzise ist, zeigt die Tatsache, dass andere wichtige Vertreter nicht in Freiburg waren. So MüllerArmack in Münster oder Röpke und Rüstow, die in die Türkei emigrierten.

4 Vergleich hierzu vor allem Goldschmidt.

5 Haselbach, S.19.

6 „Träger der wirtschaftlichen Entwicklung […] waren bekanntlich die Unternehmer; alle technischen und organisatorischen Neuerungen wurden durch sie in die Welt der Wirtschaft überführt […]“; Eucken, zitiert aus: Haselbach, S. 25, Fußnote 12. (Bei dem Versuch, Euckens Werk ein zweites Mal, zwecks Zitaten, zu entleihen, war dies leider bis nach dem Abgabetermin dieser Arbeit entliehen. Deshalb muss ich mich auf Zitate Euckens aus der Sekundärliteratur beschränken.)

7 Fischer, S.92.

8 Eucken, zitiert in: Fischer, S.93.

9 Diese Ansicht vertrat er in „Staatliche Strukturwandlung und die Krisis des Kapitalismus“. Fischer weist darauf hin, dass Eucken schon 1938 in „Nationalökonomie - wozu?“ dies als „einseitig und falsch“ beschrieb. Ich beschränke mich aber auch in diesem Punkt, ein Nebenaspekt, auf Euckens Frühwerk.

10 Eucken, zitiert in: Fischer, S.105.

11 Eucken, zitiert in: Haselbach, S.33.

12 Fischer, S.109.

13 Eucken, zitiert in: Haselbach, S.40.

14 Eucken, zitiert in: Fischer, S.118.

15 Eucken, zitiert in: Fischer, S.118.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Der Ordoliberalismus als autoritärer Liberalismus
Untertitel
Eine theoretische Legitimation der präsidialen Ermächtigungsgesetze?
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut)
Veranstaltung
PS Liberalismus im Wandel
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
17
Katalognummer
V87540
ISBN (eBook)
9783638065917
ISBN (Buch)
9783638952446
Dateigröße
450 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ordoliberalismus, Liberalismus, Wandel, Walter Eucken, Alexander Rüstow, Alfred Müller-Armack
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Moritz Krell (Autor:in), 2005, Der Ordoliberalismus als autoritärer Liberalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87540

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