Die Performanzquelle europäischer Staaten

Ein Erklärungsversuch anhand des Fallbeispiels Agenda 2000


Seminararbeit, 2006

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

2. Mehrheits- und Konsensdemokratien

1. Einleitung

3. Intergouvernementalismus

4.Ableitung der Hypothesen
4.1 Föderalismus
4.2 Intergouvernementalismus

5. Operationalisierung
5.1 Performanz in der Regelsetzung (AV)
5.2 Föderalismusgrad (UV1)
5.3 Wirtschaftskraft

6. Erste Plausibilisierung

7. Fallbeispiel: Die Agenda 2000
7.1 Inhaltlicher und zeitlicher Kontext
7.2 Mitwirkungen der Länder
7.3 Die Länderinteressen
7.4 Die deutsche Position
7.5 Ergebnisse der Ratsverhandlung

8. Schluss

9. Literatur

1. Einleitung

Die Europäische Union (EU) ist derzeit für rund 80% aller politischen Entscheidungen ihrer Mitgliedsstaaten verantwortlich. Zentrales Organ ist hierbei der Ministerrat der EU, in welchem die Regierungen in unterschiedlichen Verfahrensweisen über die Ausgestaltung zukünftiger europäischer Politiken verhandeln. Betrachtet man die Empirie, können Unterschiede in der Fähigkeit, seine eigene Position in dem Verhandlungsverlauf zu behaupten, zwischen einzelnen Mitgliedsstaaten beobachtet werden.

Das empirische Puzzle, das sich hieraus als Untersuchungsschwerpunkt dieser Arbeit ergibt, ist somit der Grund dieser zeitlich synchron und diachron auftretenden Unterschiede bezüglich der Durchsetzungsfähigkeit eigener Interessen auf europäischer Ebene. Konkreter geht es darum, Erklärungen dafür vorzustellen, weshalb einige nationalstaatliche Akteure besser und andere schlechter befähigt sind, ihre Ziele innerhalb der EU zu erreichen. Die abhängige Variable (AV) dieser Arbeit ist also die Performanz von Mitgliedsstaaten der EU bei der Regelsetzung auf europäischer Ebene. Um diese zu erklären werden im ersten Teil dieser Arbeit zwei konkurrierende Theorien als Erklärungsansätze vorgestellt. Zum einen das Mehrheits- und Konsensmodell der demokratischer Systeme nach Lijphart[1] und zum anderen der Intergouvernementalismus, welcher auf Hoffmann zurückgeht.

In einem weiteren Schritt werden aus diesen beiden Ansätzen Hypothesen abgeleitet, die zuerst operationalisiert und daraufhin weiter plausibilisiert werden. Die Plausibilität der Theorien wird mithilfe der Untersuchung von Selck/Kaeding[2] geprüft, die eine Korrelation zwischen Ausgangsposition der Staaten und Verhandlungsergebnis errechnet haben. Somit ergibt sich ein erster Eindruck über die Eignung der Theorien, die gewählte AV zu erklären.

Der zweite Teil der Arbeit ist ein Fallbeispiel, mit dem die plausible Theorie weiter plausibilisiert oder im Idealfall verifiziert (bzw. falsifiziert) wird. Da die Untersuchung von Selck/Kaeding empirische Daten aus den Jahren 1999 und 2000 benutzt hat, ist es optimal auch das Fallbeispiel aus diesem Zeitraum zu wählen. Deshalb wird im zweiten Teil die Hypothese einer Theorie am Beispiel der Performanz Deutschlands bei den Verhandlungen über die Agenda 2000 weiter geprüft.

2. Mehrheits- und Konsensdemokratien

Ein auch in Deutschland stark diskutiertes Charakteristikum einzelner Nationalstaaten ist der Grad des Föderalismus. Neben sehr zentralistisch organisierten Staaten wie Frankreich und Großbritannien existieren in der EU auch solche mit mächtigeren Repräsentanten der einzelnen Regionen (etwa Deutschland). Aus der Verfasstheit eines Staates ergeben sich zwangsläufig Unterschiede bezüglich der legislativen und exekutiven Funktion des Staates. Die „unbestrittene Schwerfälligkeit in der Entscheidungsfindung“[3] föderaler Staaten aufgrund der weniger konzentrierten Kompetenzen ist der wohl offensichtlichste. Es lässt sich nun Vermuten, dass der Grad des Föderalismus auch Auswirkungen auf die Performanz von Mitgliedsstaaten der EU bei der Regelsetzung auf europäischer Ebene hat. Die Frage ist also, ob dies tatsächlich der Fall ist und wenn ja, in welcher Art und Weise. Lijphart unterscheidet in seiner Typologie verschiedener Demokratiemodelle zwischen der Mehrheits- und der Konsensdemokratie. Beide geben unterschiedliche Antworten auf die Frage, was „das Volk“ ist in der direkten Übersetzung der Demokratie als Regierung durch das Volk. In Fragen divergierender Meinungen innerhalb des Volkes, räumt das eine der Mehrheit größere Macht ein und nimmt somit Vernachlässigung von Minderheiten in Kauf, während das andere integrativer ausgestaltet ist, aber dem demokratischen Ideal weniger nahe kommt als ersteres.[4] Zur Einordnung dienen zehn Kriterien, welche auf zwei unterschiedlichen Dimensionen angeordnet sind, der „executives-parties dimension“ und der „federal-unitary dimension“[5]. Da in der weiteren Untersuchung auf die zweite Dimension zurückgegriffen wird, um Staaten als unitarisch oder föderal einzuordnen, wird die erste Dimension hier vernachlässigt.

Die federal-unitary dimension besitzt fünf Kriterien, nach welchen die Einordnung von Staaten als unitarisch oder föderal geschieht.[6] Das erste ist die Zentralität der Regierungsgewalt. Einheitsstaaten zeichnen sich durch eine Zentralregierung aus, während föderale Staaten dezentral regiert werden.[7] Des Weiteren besitzen unitarische Staaten eine unikammerale und föderale eine bikammerale Organisation. In letzterer werden für gewöhnlich in einer Kammer die Menschen „at large“[8] und in der anderen Kammer die einzelnen Regionen der Föderation repräsentiert. Außerdem benötigen föderale Staaten im Gegensatz zu unitarischen eine geschriebene und starke Verfassung, welche die Teilung der Macht spezifiziert.[9] Diese wird bei föderalen Staaten Verfassungsgerichtsbarkeit gestärkt. Schließlich sieht Lijphart das Vorhandensein einer unabhängigen Zentralbank als Charakteristikum föderaler Staaten.[10]

3. Intergouvernementalismus

Der Intergouvernementalismus versteht Europäische Integration als „[...] series of pragmatic bargains among national governments based on concrete national interests, relative power, and carefully calculated transfers of sovereignty.”[11] Drei Grundannahmen bilden dabei den Kern der intergouvernementalen Theorie. Erstens werden Verhandlungen betrachtet, die einstimmig abzuschließen sind und daher den Akteuren die Möglichkeit eines opt-outs, eines Vetos, der Zustimmung oder der Bildung neuer Koalitionen um einen Alternatiworschlag geben. Die Wahl zwischen diesen verschiedenen Handlungsoptionen wird dabei von der Möglichkeit existierender Alternativen bestimmt. Außerdem wird angenommen, dass die Transaktionskosten im Vergleich zu den potentiellen Gewinnen durch Integration relativ gering sind. Schließlich reflektiert die Verteilung von Gewinnen („the distribution of benefits“[12]) stets die relative Verhandlungsmacht der einzelnen Akteure. Moravcsik sieht diese Annahmen in der EU nahezu gegeben, weshalb „[...] negotiations are Pareto-improving as compared to the unilateral coalitional alternatives.“[13] Damit steht im Zentrum des Intergouvernementalismus ein rationales Abwägen von Kosten und Nutzen, die sich aus den o. g. Handlungsoptionen ergeben. Die potentiellen Verhandlungsergebnisse repräsentieren dabei für jeden Akteur ein unterschiedliches Kosten-Nutzen-Verhältnis, so dass konfligierende oder auch antagonistische Interessen zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen müssen. Dieses Ergebnis wird nur dann erzielt, wenn alle Akteure ihren Vorteil erkennen; die genauere Ausgestaltung des Verhandlungsergebnisses kann durch taktisches Verhalten im eigenen Interesse beeinflusst werden. Die Fähigkeit dazu, also die Verhandlungsmacht, ergibt sich aus folgendem: Existieren für einen Akteur (einen Staat) attraktive „Unilateral Alternatives“, kann durch die Drohung mit einem Vetos sehr große Macht aufgebaut werden. Dieser „threat of nonagreement“[14] ermöglicht es Akteuren Verhandlungen nur im Falle einer Einigung in einem erwünschten Ergebniskorridor zuzustimmen. Hieraus ergibt sich große Macht für Staaten mit attraktiven unilateralen Optionen und solchen, die von zentraler Wichtigkeit in Bezug auf das verhandelte Thema sind. Noch größere Macht kann durch die Drohung mit alternativen Koalitionen gegenüber den potentiell ausgeschlossenen Staaten entstehen. Vor allem wenn bei Ausschluss negative Externalitäten die Folge sind, generiert dieser „threat of exclusion“[15] größeren Druck, als ein mögliches Veto. (Diese negativen Externalitäten können auch in Form von einem Ausschluss von dem entstehenden Nutzen auftreten.) Neben taktischen Möglichkeiten, die sich auf Verhandlungen über einzelne, konkrete Politiken beschränken, ergeben sich bei Verhandlungen über komplexere Verträge Gelegenheiten zu „issue linkages“ und „side-payments“[16], bei denen Akteure ihre Zustimmung bei Punkten, die ihre Interessen wenig berühren gegen die Zustimmung Anderer bei Themen die von größerer Wichtigkeit für sie sind. Das gleiche Vorgehen tritt durch Ausgleichszahlungen auf, durch welche finanziell starke Akteure sich die Stimme schwächerer erkaufen. (Hierbei kann neben der absoluten Finanzstärke auch das relative Interesse an dem Verhandelten Thema ausschlaggebend sein.) Damit betont der Intergouvernementalismus das Abwägen von Kosten und Nutzen; Determinanten der Performanz von Mitgliedsstaaten der EU bei der Regelsetzung auf europäischer Ebene sind also die Fähigkeit, unilateral oder in Koalitionen alternative Handlungsoptionen zu gewinnen, Entscheidungspakete zu generieren oder durch Ausgleichszahlungen Unterstützung zu erzielen.

4. Ableitung der Hypothesen

Aus den vorgestellten Theorien soll im Folgenden je eine Hypothese abgeleitet werden, die als Erklärungsansatz der AV dient.

4.1 Föderalismus

Aus der ersten Theorie ergibt sich als unabhängige Variable (UV) der Föderalismusgrad. Die „principal-agent“ Beziehung zwischen der Regierung eines Staates und der Gesellschaft hat zur Folge, dass die Regierung den gesellschaftlichen Interessen entsprechend handeln muss, um sich deren Unterstützung zu bewahren. „Groups articulate preferences; governments aggregate them.“[17] Damit legt die innerstaatliche Meinungsbildung ex ante den Verhandlungsrahmen für die Delegierten der Regierung fest. Je nach Grad der Transparenz bezüglich der Auswirkungen verhandelter Politiken auf die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen kann dieses variieren. In jedem Fall entscheidet letztlich der Prinzipal, die Legislative und somit indirekt die Gesellschaft, ex post über die erzielten Verhandlungsergebnisse. Folglich kann im Falle starker oder vielfältiger Vetospieler der Verhandlungsrahmen des Prinzipals sehr eingeschränkt sein. Diese Situation ermöglicht die Anwendung der sog. „tied-hands-strategy“; das Paradox der Schwäche. Bei einer Situation mit vielen, einflussreichen Vetospielern kann in internationalen Verhandlungen genau auf diese verwiesen und somit eine besonders unflexible Verhandlungsposition begründet werden.

[...]


[1] Lijphart 1984.

[2] Selck/Kaeding 2004.

[3] Bohr 1992, S.VII.

[4] Sinngemäß nach Lijphart 1984, S.4.

[5] Lijphart 1992, S.3.

[6] Lijphart 1984, S.170, 171.

[7] Ebenda, S.169.

[8] Ebenda, S.171.

[9] A. a. O.

[10] Ebenda, S.177.

[11] Moravcsik 1998, S.472.

[12] Ebenda, S.61.

[13] A. a. O.

[14] Ebenda, S.63.

[15] Ebenda, S.64.

[16] Ebenda, S.65.

[17] Moravcsik 1993, S.483.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die Performanzquelle europäischer Staaten
Untertitel
Ein Erklärungsversuch anhand des Fallbeispiels Agenda 2000
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut)
Veranstaltung
PS Nationale Interessen auf dem Weg nach Europa
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
26
Katalognummer
V87538
ISBN (eBook)
9783638065900
ISBN (Buch)
9783638952439
Dateigröße
565 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Performanzquelle, Staaten, Nationale, Interessen, Europa
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Moritz Krell (Autor:in), 2006, Die Performanzquelle europäischer Staaten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87538

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