Der Zwang zur perfekten Sozialisation


Hausarbeit, 2007

18 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einführung

2. Die neuen Anforderungen an Eltern in der Moderne
2.1. Der Wandel in der Elternschaft
2.2. Der Anspruch der optimalen Förderung des Kindes

3. Planbare Sozialisation?
3.1. Sozialisation und Sozialisationsinstanzen
3.2. Folgen für die kindliche Entwicklung

4. Die Rolle der Professionellen innerhalb der Pädagogisierung der Kindheit
4.1. Expansion der öffentlichen Erziehung als Folge des gesellschaftlichen Wandels
4.2. Die Verantwortung der Professionellen

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einführung

Die moderne Gesellschaft bietet dem Individuum eine Vielzahl von Wahlmöglichkeiten, was die Gestaltung seiner Biografie betrifft. Individualisierung ist das Schlagwort unserer Zeit und jedem stehen theoretisch viele verschiedene Lebensentwürfe offen. Individualisierung bedeutet zwar nach der Definition von Beck-Gernsheim eine Erweiterung des Lebensradius, einen Gewinn an Handlungsspielräumen, meint aber nicht die Möglichkeit des schrankenlosen Auslebens persönlicher Wünsche (Beck-Gernsheim 1998:59). Das Individuum bleibt in seiner Individualität von gesellschaftlichen Normierungen beeinflusst, die es jeden Tag umgeben.

Die neue Freiheit beinhaltet daher neue Zwänge. Jeder ist für seinen Lebensentwurf selbst verantwortlich und dieser wird von Bildung und Ausbildung, sowie angeeignetem Wissen und Kompetenzen beeinflusst. Der Ausgang bzw. der Erfolg der eigenen Entscheidungen bleibt jedoch ungewiss. Rauschenbach spricht in diesem Zusammenhang von der Risikogesellschaft, in der das Individuum die Folgen seiner Entscheidungen nicht mehr selbst überblicken, geschweige denn kontrollieren kann (Rauschenbach 1994:90).

Eltern haben hier eine zentrale Rolle. Die Erwartungen an ihre Kinder sind, durch den Erfolgsdruck aus der Gesellschaft, hoch. Denn es liegt in ihrer Verantwortung, das Kind bestmöglich und so früh wie möglich zu fördern und Talente zu entdecken, um ihm möglichst viele Chancen offen zu halten. Der Glaube daran, dass eine gezielte Förderung schon ab der Geburt (oder bereits davor), die späteren Qualifikationen sichert und die Chancen der Kinder im Leistungswettbewerb erhöht, wird von diversen Ratgebern und professionellen Pädagogen geweckt. Den Eltern obliegt demnach die Pflicht, ihren Kindern Lerngelegenheiten zu bieten und Räume für eine geleitete, planbare Sozialisation zu schaffen. Dies sind neue Anforderungen, die die moderne Gesellschaft an Eltern stellt, die aber auch zu Überforderung der Eltern und der Kinder und zu einer Überfürsorglichkeit führen können.

Wie es zu diesem Wandel in der Elternrolle kam, welche gesellschaftlichen Veränderungen dazu beigetragen haben und warum sich die Aufmerksamkeit auf die „perfekte Sozialisation“ der Kinder richtete, soll in dieser Arbeit thematisiert werden. Dabei sollen auch kritische Überlegungen zum Sinn und Erfolg dieser Entwicklung angebracht werden. Erstreckt sich der „Zwang zur perfekten Sozialisation“ über alle Lebensbereiche des Kindes und was bedeutet das konkret? Außerdem stellt sich die Frage, ob die umfassende Sorge und Fürsorge für das Kind, über die positiven Ziele die sie erreichen will, nicht auch Kinder massiv einschränkt. Wie ist diese permanente Steuerung durch die Eltern pädagogisch zu bewerten?

Zum Abschluss der Arbeit soll schließlich zu der Frage Stellung bezogen werden, welche Verantwortung die „Professionellen“, die im Zuge der Pädagogisierung immer weitere Regeln einer „richtigen“ und „guten“ Erziehung aufgestellt haben, für diese Entwicklung tragen und ob die Befürchtung begründet ist, dass sie die Probleme, die sie bearbeiten eventuell selbst produzieren.

2. Die neuen Anforderungen an Eltern in der Moderne

2.1. Der Wandel in der Elternschaft

In der vorindustriellen Gesellschaft waren die Erwartungen an die Kinder und somit auch an die Eltern gänzlich anders als heute. Sie wurden zur Arbeit herangezogen, ohne dass ihnen besonders viel Aufmerksamkeit zuteil wurde. Laut Beck- Gernsheim lässt sich dies dadurch erklären, dass Menschen der vorindustriellen Gesellschaft, das Leben als vorgegebenes Schicksal verstanden. Dies änderte sich im Übergang zur industriellen Gesellschaft, in der der Glaube an den Fortschritt eine neue Epoche kennzeichnete (Beck-Gernsheim 1989: 44). Wie sich der Wandel der Elternrolle aus historischem Blickwinkel vollzog, soll im Folgenden skizziert werden.

Charakteristisch für die Zeit der Industrialisierung war ein neues Bewusstsein über die Natur des Menschen und dessen Beeinflussbarkeit und Verbesserungsfähigkeit. Die Entdeckung der Kindheit als besondere und eigenständige Entwicklungsphase im Leben eines Menschen, ist daher der zentrale Ausgangspunkt für alle folgenden Versuche der Einflussnahme auf die kindliche Entwicklung durch Erziehung. Trutz von Trotha beschreibt die Entwicklung in der Wandlung vom „Ganzen Haus“ zur „kindzentrierten Familie“.

Im 18. Jahrhundert war eine Form der Familie häufig vorzufinden, die von Trotha als „Ganzes Haus“ bezeichnet wird. Sie umfasste mehr Mitglieder als die uns heute bekannten Familienformen. Innerhalb dieses sozialen Systems bäuerlicher oder handwerklicher Haushalte, wurde jedes Familienmitglied über seine Rolle bestimmt. Von Interesse war nicht das einzelne Individuum, sondern die Funktion für den Hof (von Trotha 1999: 228). Kinder wurden früh in die Arbeit miteinbezogen und verließen ebenfalls früh den Hof, um sich ihrer ständischen Zugehörigkeit entsprechend, Arbeit zu suchen (vgl. ebd.).

Mit dem Aufkommen erster Industrialisierung und damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, wandelte sich auch das Familienleben. Von Trotha spricht hier vom Wandel zur häuslichen Erwerbsfamilie (von Trotha 1999:229). Im Zuge dieses Wandels verändert sich die Rolle der Frau. Das Verhältnis zwischen Mutter und Kind wird zum Kern der Frauenrolle. Das Kind (vornehmlich betraf das Jungen) wurde zunehmend als eigene Persönlichkeit mit eigenständigen Bedürfnissen betrachtet (vgl. ebd.). Es kommt zur Kindzentrierung innerhalb der Familien, die Trutz von Trotha unter anderem an der Entstehung einer eigenen Kinderwelt festmacht (von Trotha 1999: 229). Darunter versteht er die Produktion eigens für Kinder entwickelter Spielzeuge, Kleidung, Literatur und Räume. Dies zeigt, dass Kinder als eigenständige Gruppe mit spezifischen Bedürfnissen innerhalb der Gesellschaft erkannt wurden.

Darüber hinaus gehört laut von Trotha zur Kindzentrierung die grundlegende Veränderung der elterlichen Erziehungspraktiken und der zunehmenden Orientierung an einer professionellen Pädagogik und Psychologie (vgl. ebd.). Im Gegensatz zu den Verhältnissen im „Ganzen Haus“ entsteht eine historisch neue und einzigartige Emotionalisierung der Eltern-Kind-Beziehung (von Trotha 1999:230). Außerdem charakteristisch für die Kindzentrierung ist, laut von Trotha, die Nachrangigkeit der Paarbeziehung der Eltern. So werde die Ehe teilweise nur noch eingegangen, wenn die Partner einen Kinderwunsch haben oder eine Schwangerschaft eingetreten ist.

Maria S. Rerrich, merkt hinsichtlich der historischen Entwicklung von Erziehung an, dass es nicht die eine Erziehung gab, sondern, dass Erziehungswirklichkeit einem steten Wandel unterworfen ist, der sich unter anderem mit dem technischen Fortschritt, der Wertepluralität und der Pluralität der Lebensformen erklären lässt. Einen starken Wandel der der Gegebenheiten stellt Rerrich von 1950 bis 1980 fest. Besonders wirkte sich dort die verstärkte Motorisierung auf die Spielmöglichkeiten der Kinder aus (Rerrich 1983:426). Durch einen „Bauboom“ entwickelte sich die Beschäftigung der Kinder zu einem Problem, da die Umgebung der Häuser meist „spielunfreundlich“ war (vgl. ebd. 430). Durch technische Neuerungen und Entwicklung von Produkten, wie Babyfertignahrung verlagerte sich der Schwerpunkt bei der Arbeit der Mutter weg von der Versorgungs- hin zur Beziehungsarbeit (vgl. ebd.432).

Aus den gesellschaftlich begründeten Wandlungen innerhalb der Familien und dem Verständnis der Eltern-Kind-Beziehungen gehen einige neue Anforderungen an Eltern, bezüglich der Erziehung ihrer Kinder hervor. Diese sollen im nächsten Kapitel konkretisiert werden.

2.2. Der Anspruch der optimalen Förderung des Kindes

Die Förderung des Kindes ist zusammengefasst eine übergeordnete Pflicht der Eltern und bezieht sich auf fast alle Bereiche seines Lebens. Sie ist das Resultat aus dem zuvor beschriebenen Wandel im Verständnis von Elternschaft. Zentral ist zunächst einmal die Bildung. Seit dem 18. Jahrhundert wird Eltern eine immer größere Verantwortung zugeschrieben, was den späteren schulischen Erfolg des Kindes betrifft. In immer früheren Phasen könne, laut Beratungsliteratur, die Intelligenz des Kindes gefördert werden. Einige setzen dabei schon vor der Geburt an. Diese Entwicklung zur immer früheren Förderung setzte in den 60er Jahren mit der „Bildungsoffensive“ ein (Beck-Gernsheim 1989: 45).

Mit dem Fortschritt der Medizin im 19. Jahrhundert weiteten sich auch die elterlichen Pflichten bezüglich der Erhaltung der Gesundheit ihrer Kinder aus. Regeln der angemessenen Hygiene und Ernährung des Kleinkindes wurden zunächst vom gehobenen Bürgertum übernommen. Später wendete sich eine massive Aufklärungskampagne auch an städtische Arbeiterfrauen. Dieser Trend der Gesundheitsaufklärung weitete sich über Ernährungsregeln und Propagierung des Stillens aus, bis zur Gesundheitsvorsorge bei der Mutter, noch vor Beginn der Schwangerschaft (Beck-Gernsheim 1989: 45-46). Heute ist der Stand der Wissenschaft so weit, dass Eltern auch Verantwortung dafür übernehmen müssen, dass ihre Kinder gesund zur Welt kommen. In Deutschland findet sich das weltweit dichteste System einer technisch-apparativen Versorgung von Schwangeren. Die hohe Anzahl von Vorsorgeuntersuchungen und obligatorische Ultraschalluntersuchungen gehören bereits zum Standardprogramm (Meyer 2002: 40). Hinter der Pränataldiagnostik verberge sich, laut Meyer „der Zwang zum unbehinderten Kind“. Eltern können sich demnach schon vor der Geburt Gedanken über den Verlauf der Entwicklung ihrer Kinder machen und sich von Ärzten Prognosen über den Gesundheitszustand ihrer Kinder und damit auch ihrer Erfolgschancen im Leben erstellen lassen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Der Zwang zur perfekten Sozialisation
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg  (Pädagogisches Institut)
Veranstaltung
die radikale Erziehungskritik der Antipädagogik
Note
2,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V87414
ISBN (eBook)
9783638029445
Dateigröße
509 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit befasst sich mit dem Leistungsdruck moderner Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder und dem "Trend zur perfekten Sozialisation". Es geht um Pädagogisierungskritik und gesellschaftliche Entwicklung. Abzüge bei der Note gab es, da nicht ausreichend Bezug genommen wurde zum Seminarkontext und den Antipädagogen...
Schlagworte
Zwang, Sozialisation, Erziehungskritik, Antipädagogik
Arbeit zitieren
Sandra Schmechel (Autor:in), 2007, Der Zwang zur perfekten Sozialisation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87414

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Der Zwang zur perfekten Sozialisation



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden