Die Lebensräume Stadt und Land und ihre Einflüsse auf die Charaktere in Johann Martin Millers „Siegwart. Eine Klostergeschichte“


Hausarbeit, 2007

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Bürgertum
2.1. Mit dem Landleben sympathisierende Bürgerliche
2.1.1. Xaver Siegwart
2.1.2. Therese
2.1.3. Weitere Charaktere
2.2. Mit dem Stadtleben sympathisierende Bürgerliche
2.2.1. Salome
2.2.2. Hofrat Fischer
2.3. Schlussfolgerung

3. Der Adel
3.1. Der Stadtadel
3.1.1. Baronessin von Eller
3.1.2. Der geheime Rat von Kronhelm
3.2. Der Landadel
3.2.1. Junker Veit Kronhelm
3.2.2. Friedrich Kronhelm
3.3. Schlussfolgerung

4. Fazit

Literaturverzeichnis:

1. Einleitung

Mit seinem ersten Prosaroman „Siegwart. Eine Klostergeschichte“ gelang Johann Martin Miller 1776 ein derart großer Erfolg, dass sein empfindsam geprägtes Werk nach Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ als zweiter Modeerfolg seiner Epoche bezeichnet werden kann.[1]

Ein zentrales Thema seines Romans ist dabei der Gegensatz zwischen ländlichem und städtischen Leben. Durch intensive Erarbeitung des Primärtextes und unter Bezugnahme auf die zu Millers Werk sehr begrenzte Forschungsliteratur soll in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, inwiefern sich die Lebensräume Stadt und Land auf die Charaktere der Protagonisten auswirken. Dabei ist zu beachten, dass diese Einflüsse nicht allein vom jeweils aktuellen Lebensraum der Figuren ausgehen, sondern auch von dem von ihnen bevorzugten Lebensstil.

Im folgenden soll nun zunächst das Bürgertum betrachtet werden, wobei eine Einteilung in die Figuren, die dem Landleben zugeneigt sind, und jenen, die sich eher zum städtischen Lebenswandel hingezogen fühlen, vorgenommen wird. Im Anschluss daran erfolgt die nähere Untersuchung des Adels, wobei sich die Einteilung nach Stadt- und Landadel allein in ihrer Herkunft bzw. ihrem Wohnsitz begründet.

Im Mittelpunkt soll die Frage stehen, ob die geografische Umgebung mit den in ihr üblichen Gepflogenheiten einen Einfluss auf den Charakter und das Betragen jener Figuren hat, die sich ihr zugeneigt fühlen.

2. Das Bürgertum

2.1. Mit dem Landleben sympathisierende Bürgerliche

2.1.1. Xaver Siegwart

Zu den landliebenden Charakteren des Romans zählt der Amtmannssohn Xaver Siegwart. Da er außerhalb der Stadt aufwächst, kennt er die Vorzüge des Landlebens und weiß sie zu schätzen. Zwar muss er, um die Schule und die Universität zu besuchen, seinen Wohnsitz temporär in die Stadt verlegen, jedoch ist er dem Land stets zugeneigt. So sucht er auch während seines Aufenthalts in der Stadt die ländliche Umgebung auf, indem er, wenn er seinen Vater, den Amtmann Siegwart, und Therese besucht, viel Zeit im Garten der Familie verbringt oder mit Mariane in ihren Garten geht. Diese Landliebe resultiert bei Siegwart vor allem in seiner Zuneigung zur bäuerlichen Bevölkerung. So bereitet es ihm Freude, die Natürlichkeit der Bauern zu betrachten, die sich z.B. in ihrem ungezwungenen und regellosen Tanzen offenbart.[2] Das Landleben stellt für Siegwart ein Ideal dar, dem es so nah wie möglich zu kommen heißt. Daher sucht er auch den direkten Kontakt zu den Bauern, wohnt vorübergehend bei ihnen und isst mit ihnen gemeinsam. Obwohl er ihnen seinem Stand nach übergeordnet ist, beeinträchtigt dies sein Verhalten den Landbewohnern gegenüber nicht. Statt sich als ihnen übergeordnet zu präsentieren, setzt er sich mit den Bauern auf eine Stufe und gibt ihnen das Gefühl, einer von ihnen zu sein.[3] Somit charakterisiert Miller seinen Helden als einen Bürgerlichen, der den ständischen Unterschieden keinerlei Bedeutung zuweist. Vielmehr sucht er sogar die Gesellschaft des ihm untergeordneten Standes und vermittelt ihnen ein Gefühl der Gleichwertigkeit. Anders als in der ständischen Ordnung üblich, spricht Siegwart zudem ausdrücklich seine Ansicht aus, dass auch die Bauern, genau wie die Vertreter der übrigen Stände, Menschen seien, unter denen man verschiedene Charaktere ausmachen könnte.[4] Auch stellt er sich entschieden auf die Seite dieser Bevölkerungsschicht. So kritisiert er die Gewalt, die der Adel gegen die Bauern anwendet, und zeigt seine edlen Charakterzüge, indem er die Bedürftigen auf dem Land mit Almosen unterstützt.[5]

Doch zieht er das Landvolk und seinen Lebensstil nicht nur dem adeligen Stand vor, sondern auch dem generellen Leben in den Städten. Als er bei seinem Besuch in München die Gelegenheit bekommt, das Stadtleben näher kennen zu lernen, merkt er an, dass ihm die großen Menschenmassen, ihr unsoziales Betragen gegenüber den armen Stadtbewohnern und ihre fehlende Andacht in der Kirche zuwider seien. Statt dessen zieht er das Leben der Bauern in ihren Hütten vor, da diese von Hilfe und Gnade der übrigen Menschen unabhängig seien.[6] Mit dieser Ansicht stellt er so die Landbevölkerung als stilisiertes Ideal dem verkommenen Leben der Stadtbevölkerung gegenüber.

Jedoch geht Siegwarts Vorliebe für das Landleben noch über eine Annäherung an die Lebensgewohnheiten der Bauern hinaus. Denn ebenso kann er sich ein Leben in der Einsiedelei vorstellen und nimmt sich vor, diesen Lebenswandel zu wählen, sollte er Mariane nicht ehelichen können, um sich durch das Einsiedlerleben vollständig von der sozialen Welt und ihren Normen zu entfernen.[7]

Miller zeichnet mit seinem Helden einen Bürgerlichen, der der Natur und dem Landleben ausgesprochen zugeneigt ist, und der diese Lebensweise als erstrebenswert erachtet. Mit dieser Einstellung geht ein ausgeprägtes Mitleid und Fürsorge für den bäuerlichen Stand einher, wodurch gezeigt wird, wie unbedeutend die ständische Ordnung für Siegwart ist.

2.1.2. Therese

Auch Siegwarts Schwester Therese wird von Miller als dem Landleben zuneigende Figur gezeichnet. Sie ist ein hübsches Mädchen, die durch ihr munteres Wesen ausgezeichnet wird. Schon durch ihr geschildertes Aussehen erhält die Figur der Therese eine auffallende Natürlichkeit. Diese wird durch ihr Verhalten zudem bekräftigt. So hält sie sich gerne im Freien und besonders im Garten der Familie auf, wo sie Lebensmittel für den Eigenbedarf anbaut. Um sich über dies hinaus an das Ideal des Landlebens anzunähern und noch mehr die in der Landbevölkerung gesehene Natürlichkeit zu erwerben, trägt sie die Kleidung einer Schäferin. Zudem hilft sie auch den Arbeitern bei der Feldarbeit und ist mit den Arbeiten und Abläufen der Bauern vertraut. Ebenso wie Siegwart sucht auch seine Schwester die Nähe der Landbevölkerung und offenbart durch ihre Bereitschaft, mit der Bauernschaft zu arbeiten und zu essen, welch geringe Bedeutung sie den Normen der ständischen Gesellschaft zuschreibt.[8] Dieses Desinteresse an der ständischen Ordnung zeigt sie auch gegenüber dem Adel, denn für sie spielt es keine Rolle, dass Kronhelm dem adeligen Stand angehört und ihr im Falle einer Heirat zu einem besseren Status in der Gesellschaft verhelfen könnte. Für Therese ist nur ihre Liebe zu ihm und sein Charakter wichtig, wodurch erneut ihre natürliche und unverfälschte Natur zu Tage tritt.[9]

Auch teilt sie Siegwarts Bewertung der Stadt und der dort üblichen Gepflogenheiten. Genau wie ihr Bruder verbrachte auch Therese einige Zeit in der Stadt. Ihre Sehnsucht zurück aufs Land zeigt, dass auch sie das Leben außerhalb der Stadt nicht eintauschen will. Die Kritik Thereses bezieht sich dabei besonders auf die in der Stadt vorherrschenden gekünstelten Sitten. Sie zieht diesen die Ruhe und Unverfälschtheit des ländlichen Lebens vor. Durch Thereses Beschreibungen zeigt sich, dass in ihrem Denken die Stadt – als Ort des schlechten Umgangs und des Unnatürlichen – und das Land – mit seiner unverfälschten Natürlichkeit – entgegengesetzt sind.[10]

2.1.3. Weitere Charaktere

Neben Siegwart und Therese, die Miller als zwei der Hauptcharaktere des Romans mit besonders vielen Attributen des landliebenden Bürgerlichen belegt hat, treten auch weitere Figuren dieser Gesellschaftsschicht auf, die sich von der Stadt hin zum Land wenden.

So teilt Siegwarts Vater, der sich für ein Leben auf dem Land entschieden hat, die Einstellung seines Sohnes in der Hinsicht, dass auch er den Ständen und ihren vermeintlichen Unterschieden kritisch gegenüber steht und sich stattdessen gegen die Aufteilung der Gesellschaft in Stände ausspricht. Auch er ist Kronhelm freundlich gesinnt, obwohl dieser nicht dem Bürgertum angehört, und beurteilt ihn ausschließlich aufgrund seines Charakters. Zwar äußert der Amtmann seine Bedenken im Bezug auf die Hochzeit zwischen diesem und seiner Tochter Therese, jedoch hegt er nur die Befürchtung, dem Paar könnten durch den Standesunterschied Probleme bevorstehen.[11]

Am Beispiel Marianes kreiert Miller zusätzlich eine Figur, die wie Siegwart der Natur zugeneigt ist, jedoch nicht wie dieser auf dem Land aufgewachsen ist, sondern in der Stadt lebt. So zeigt der Autor, dass es auch manche Bürgerliche der Stadt aufs Land hinauszieht. Da Mariane nicht in einer ländlichen Gegend beheimatet ist, entfernt sie sich stattdessen durch einen Besuch in ihrem Garten und auf dem Landgut der Tante ihrer Freundin aus der Stadt. Mit dieser Liebe zur Natur geht auch dieselbe Güte gegenüber den Bauern einher, die auch Siegwart zu eigen ist, denn sie kritisiert den Überfluss, in dem der Adel lebt, obwohl dessen Untertanen Hunger leiden müssen, und will diesen Armen ihre Hilfe anbieten.[12]

2.2. Mit dem Stadtleben sympathisierende Bürgerliche

2.2.1. Salome

Als direkten Gegenpol zu den Ansichten dieser Bürgerlichen und speziell als Gegenfigur zu Therese tritt Siegwarts zweite Schwester Salome auf. Obwohl auch sie auf dem Land aufgewachsen ist, hat sie sich die Sitten der Stadt angeeignet. Der Grund dafür ist ihr regelmäßiger Aufenthalt bei einer Base in München. Infolge dessen ist auch sie, wie es in der Stadt überwiegend üblich ist, vorrangig um ihr Äußeres bemüht. Im Gegensatz zu Therese, deren Schönheit mit Natürlichkeit einhergeht, wirkt Salome dadurch gekünstelt und eitel. Diese Charakterzüge spiegelt Miller auch in Salomes Gestalt wider, da er sie von vorneherein als nicht so hübsch wie Therese darstellt. Als Kontrastfigur zu ihren Geschwistern Siegwart und Therese erscheint Salome auch im Hinblick auf ihr Verständnis für das Landleben. Diesem kann sie in keiner Weise etwas Positives abgewinnen, kann aber nicht verstehen, wenn die dem Land geneigten Menschen nicht ihre hohe Meinung vom städtischen Leben und Mode teilen und nachvollziehen können. Zudem versucht sie in Mode und Sitte – sie singt ein französisches Lied, obwohl sie es nicht versteht – den Adel zu imitieren und somit sich von den übrigen Bürgerlichen abzuheben, was überaus unnatürlich erscheint. An Salome macht sich somit der schlechte Einfluss der Stadt bemerkbar, der sich auf ihren Charakter auswirkt.

Andererseits zeigt die spätere Entwicklung Salomes, dass nicht nur die Stadt den Menschen beeinflussen kann, sondern auch das Land, da ihr ländlicher Aufenthalt bei Therese und Kronhelm im weiteren Verlauf der Handlung eine positive Veränderung Salomes zu bewirken vermag.[13]

[...]


[1] Engel, Ingrid: Werther und die Wertheriaden. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte. St. Ingbert 1986; hier S. 142 und Heinze, Diethard: „Johann Martin Millers ’Siegwart. Eine Klostergeschichte’. Der ’Trivialroman’ und seine Leser“. In: Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge. II – 1/1992. Schöneiche bei Berlin, S. 51-62; hier S. 52.

[2] Miller, Johann Martin: Siegwart. Eine Klostergeschichte. Leipzig 1776; hier S. 240 f., 341 sowie 784.

[3] Miller, Johann Martin: Siegwart. Eine Klostergeschichte; hier S. 850.

[4] Miller, Johann Martin: Siegwart. Eine Klostergeschichte; hier S. 241.

[5] Miller, Johann Martin: Siegwart. Eine Klostergeschichte; hier S. 260 und 277.

[6] Miller, Johann Martin: Siegwart. Eine Klostergeschichte; hier S. 721-723.

[7] Miller, Johann Martin: Siegwart. Eine Klostergeschichte; hier S. 959 und vgl. auch Friedrich, Hans-Edwin: „’Ewig lieben’, zugleich aber ’menschlich lieben’?. Zur Reflexion der empfindsamen Liebeskonzeption von Gellert und Klopstock bis Goethe und Jacobi“. In: Goethezeitportal online unter: http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/db/wiss/epoche/friedrich_liebeskonzept.pdf (aufgerufen am 15.10.2007 um 16:21h); hier S. 29 und Engel, Ingrid: Werther und die Wertheriaden. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte; hier S. 407.

[8] Miller, Johann Martin: Siegwart. Eine Klostergeschichte; hier S. 113 f. sowie 122.

[9] Miller, Johann Martin: Siegwart. Eine Klostergeschichte; hier S. 488.

[10] Miller, Johann Martin: Siegwart. Eine Klostergeschichte; hier S. 118 und Engel, Ingrid: Werther und die Wertheriaden. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte; hier S. 356.

[11] Miller, Johann Martin: Siegwart. Eine Klostergeschichte; hier S. 391-393 sowie 395.

[12] Miller, Johann Martin: Siegwart. Eine Klostergeschichte; hier S. 391-393 sowie 833 sowie 861 f.

[13] Miller, Johann Martin: Siegwart. Eine Klostergeschichte; hier S. 116 f. sowie 966.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Lebensräume Stadt und Land und ihre Einflüsse auf die Charaktere in Johann Martin Millers „Siegwart. Eine Klostergeschichte“
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Germanistisches Institut)
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V87185
ISBN (eBook)
9783638032735
ISBN (Buch)
9783638929462
Dateigröße
437 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lebensräume, Stadt, Land, Einflüsse, Charaktere, Johann, Martin, Millers, Eine, Klostergeschichte“
Arbeit zitieren
Myriam Konrad (Autor:in), 2007, Die Lebensräume Stadt und Land und ihre Einflüsse auf die Charaktere in Johann Martin Millers „Siegwart. Eine Klostergeschichte“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87185

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