Die Maquiladora-Industrie Nordmexikos

Hintergründe, Entwicklung sowie ökonomische und soziokulturelle Auswirkungen eines US-amerikanisch-mexikanischen Grenz-Phänomens


Seminararbeit, 2005

17 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Entstehung und Entwicklung der Maquiladora-Industrie
2.1 Vorgeschichte
2.2 Ziele des Maquiladora-Programms
2.3 Entwicklung und Wachstum des Sektors
2.4 Wandel des Produktionscharakters: Die Drei-Generationen-These

3. Bewertung der erreichten Ziele

4. Symbolik und soziokulturelle Aspekte der Maquiladoras

5. Neuere Entwicklungen

6. Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mexiko als „Land der Gegensätze“ – dieses Attribut lässt sich auf die verschiedensten Aspekte und Facetten des Staates anwenden, und wird gerne und oft auf soziokulturelle, ökonomische wie auch räumliche Gegebenheiten bezogen. Die nordmexikanische Maquiladora-Industrie nimmt in diesem Diskurs eine interessante Mittelstellung ein: geschaffen und gefördert, um existierende räumliche und wirtschaftliche Ungleichheiten abzumildern, hat sie im Gegenzug neue Gegensätze und Grenzziehungen geschaffen und steht seit vielen Jahren im Mittelpunkt einer kontroversen Debatte um Industrialisierung und Modernisierung. Wie im Folgenden gezeigt werden wird, war es insbesondere die räumliche Nähe zum „großen Nachbarn“ USA, welche die Geschichte der Maquiladoras entscheidend lenkte und das Entstehen dieses Phänomens ermöglichte. Innerhalb weniger Jahre entstand eine Industrieform, in welchem bald hunderttausende mexikanischer Arbeitskräfte importierte US-amerikanische Vorprodukte zum späteren Reexport zusammensetzten, und welche die wirtschaftlichen Verflechtungen, Menschenströme sowie die räumlichen Denkmuster einer ganzen Nation nachhaltig beeinflusste.

Die vorliegende Arbeit will eine generelle Übersicht über die Entstehung und Entwicklung der Maquiladora-Industrie sowie über ihren derzeitigen Status bieten. Von Interesse werden hierbei die Ziele Mexikos und der USA zu Beginn des Programms, die heute zu konstatierenden positiven wie negativen Auswirkungen, sowie die in einen supranationalen Zusammenhang einzuordnenden Veränderungen des Sektors sein. Eine kurze Diskussion der soziokulturellen Aspekte der Maquiladoras im nationalen Kontext wird den Überblick komplettieren, wobei hier ein Versuch zur Erklärung gewisser räumlicher Denkmuster unternommen werden wird.

2. Entstehung und Entwicklung der Maquiladora-Industrie

2.1 Vorgeschichte

Gegensätze prägen die mexikanische Gesellschaft, und ökonomische Gegensätze waren es auch, die dort seit jeher große Migrationsströme verursacht haben. Schon seit dem Ersten Weltkrieg diente hierbei der Norden des Landes zunehmend als Etappenziel ausreisewilliger Mexikaner, welche auf Beschäftigung in den USA hofften. Die Grenzregion auf mexikanischer Seite wurde hierbei zum Auffangbecken nicht nur der Neuankömmlinge vor dem Grenzübertritt, sondern auch der (oft gescheiterten) Rückkehrer aus den Vereinigten Staaten. Insbesondere nach der im Jahr 1964 erfolgten Aufkündigung des Bracero -Abkommens, mit welchem mexikanischen Saisonarbeitern die Einreise in die USA erlaubt war, konnte dies festgestellt werden, als hunderttausende Mexikaner in ihr Heimatland zurückströmten (vgl. NUHN 1994, 558). Dies führte schnell zu einem immensen Siedlungswachstum in den betroffenen Regionen, wobei die fehlende Industrialisierung – die existierenden Grenzstädte waren bis zur Mitte des 20. Jahrhundert noch vorwiegend auf Aufzucht und Export von Vieh spezialisiert – hohe Arbeitslosigkeit und Armut zur Folge hatte (vgl. DEMLER 2004, 41). Die mexikanische Regierung reagierte hierauf, und lenkte ihre Wirtschaftsförderung seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend deutlicher auf die Grenzregion: bereits in den 1930er Jahren wurden in Baja California und Sonora regionale Freihandelszonen eingerichtet, nach dem zweiten Weltkrieg kam es zu Investitionen in die Infrastruktur (vgl. NUHN 1994, 559). Das zu jener Zeit von Mexiko eingeführte Entwicklungsmodell der Importsubstitution wurde in der Grenzregion ausgesetzt – regionale Exportorientierung sollte der Industrialisierung Aufschwung verleihen und Entwicklungsprozesse anstoßen (vgl. ebd., 558). Am weitreichendsten zur industriellen Entwicklung der Region trug jedoch eine Reihe von Gesetzen und Programmen bei, welche in den 1960er Jahren von staatlicher Seite erlassen wurden. Das 1962 von López Mateos ins Leben gerufene nationale Grenzentwicklungsprogramm PRONAF (Programa Nacional Fronteriza) sorgte hierbei für eine deutliche Aufwertung der Infrastruktur, wodurch das 1965 von Díaz Ordaz erlassene Programm zur Industrialisierung der Grenzregion (Programa de Industrialización de la Frontera Norte) einen weiter gefassten Ansatz beschreiten konnte (vgl. INEGI 2001). Durch zahlreiche neu geschaffene regionale Ausnahmeregelungen wurde insbesondere auf Investitionen ausländischer Unternehmer abgezielt: Zollschranken für auf den späteren Reexport ausgerichtete Materialien und Vorprodukte fielen, und der Landerwerb in Grenznähe wurde für Ausländer erleichtert. Die genannten Gesetze stellten die Weichen für das ab dieser Zeit aufkommende Phänomen der bald „ Maquiladora “ getauften Lohnveredelungsindustrie, und sollte die seit den 1950er Jahren bestehenden neuen Möglichkeiten der internationalen Arbeitsteilung sowie die Verteuerung der Arbeitskraft in den USA zum Vorteil Mexikos nutzen: arbeitsintensive Produktionsabschnitte US-amerikanischer Betriebe wurden auf der südlichen Seite der Grenze angesiedelt, um so das große Reservoir an ungelernten Arbeitskräften des Landes in Wert zu setzen und die sozioökonomischen Probleme der Region zu lösen. Die räumliche Nähe zu den USA bot hierbei die denkbar besten Voraussetzungen, um auch der asiatischen Konkurrenz diesen interessanten Markt nachhaltig streitig zu machen.

2.2 Ziele des Maquiladora-Programms

Der mexikanische Staat verband mit der Förderung der Maquiladora-Industrie weitreichende wirtschaftliche Hoffnungen: Arbeitsplätze in marginalisierten und wirtschaftlich unterentwickelten Regionen sollten geschaffen und die Einkommen in der Grenzregion erhöht werden, durch eine vermehrte Devisenzufuhr sollte die Handelsbilanz stabilisiert werden, die Beschäftigung in den neuen Industriebetrieben sollte eine Qualifizierung der Arbeiterschaft mit sich bringen (vgl. INEGI 2001). Als besonders ehrgeizig kann das Ziel der Belebung regionaler Wirtschaftskreisläufe gelten: Wie in Kapitel 3 näher ausgeführt werden wird, stellte sich jedoch gerade diese Hoffnung später als weitgehend unrealistisch heraus, und es sollte Jahrzehnte dauern, ehe diesbezügliche Effekte sich nach und nach einstellten.

Auch für die USA stand die Lösung regionaler Probleme im Zentrum ihrer Motivation zur Unterstützung des Maquiladora-Programms: Wirtschaftsbetriebe in den Südstaaten sollten gefördert und Standorte für die der Maquiladora-Produktion vor- und nachgelagerte Fertigung erhalten werden. Des Weiteren war die Verringerung der illegalen Einwanderung aus Mexiko auf US-amerikanisches Territorium ein wichtiger Beweggrund, der nicht vernachlässigt werden darf – die Abmilderung der Konzentration an Arbeitssuchenden an ihrer südlichen Grenze lag im ureigensten Interesse der Vereinigten Staaten (vgl. NUHN 1994, 568). Für die US-amerikanischen Unternehmer war neben den geringen Lohnkosten insbesondere die Nähe vom Produktions- zum Absatzmarkt von Bedeutung. Aufgrund eines meist sehr geringen Kapitaleinsatzes – so etwa durch den Einsatz gebrauchter Maschinen – war das unternehmerische Risiko gering, die Betriebe wurden mit Ausnahme weniger hochrangiger Manager weitgehend mexikanischen Angestellten überlassen (vgl. ebd., 563).

2.3 Entwicklung und Wachstum des Sektors

Schon kurz nach Umsetzung der Industrialisierungsprogramme setzte in der Maquiladora-Industrie eine beispiellose Boomphase ein mit durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten von 49,7 % (Zahl der angesiedelten Betriebe) bzw. 40,7 % (Zahl der Arbeitsplätze) zwischen 1966-1975. Nach einer hieran anschließenden Phase geringeren Wachstums bis etwa 1982 – aufgrund von Lohnerhöhungen, neuen Arbeitsgesetzen und einer Überbewertung des mexikanischen Pesos – begannen sich die Wachstumsraten in den 1980er wieder zu erhöhen (vgl. NUHN 1994, 563f). Mitte der neunziger Jahre überschritt die Beschäftigtenzahl die Grenze von 500.000, kurz vor der Jahrtausendwende schließlich bereits die einer Million (vgl. Abb. 1). Im August 2005 waren 1,17 Millionen Menschen in Maquiladora-Betrieben beschäftigt (www.Inegi.gob.mx). Bei der Wertschöpfung pro Kopf liegt der nördliche Grenzbereich heute vor der Hauptstadtregion, und bei einem Anteil von lediglich 17 % an der Gesamtbevölkerung steuern die an der Grenze gelegenen Bundesstaaten etwa ein Drittel zum nationalen BIP bei (vgl. DEMLER 2004, 42). Die primären Produktlinien innerhalb der Maquiladora-Industrie können aus Abbildung 2 entnommen werden. Mit Abstand wichtigste Sparten sind heute Elektronik, KFZ-Zulieferteile und Textilien.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Insbesondere Ciudad Juárez, wo sich bereits 1966 ein erster Industriepark angesiedelt hatte, war seit jeher dynamischstes Zentrum der Maquiladoras und registriert alleine heute etwa 250.000 Beschäftigte in diesem Sektor. Aus diesem Grund soll die Stadt an dieser Stelle mit einigen näheren Ausführungen gewürdigt werden, welche durchaus stellvertretend für die gesamte Branche stehen können. Ciudad Juárez gilt als Prototyp der mexikanischen Maquiladora-Metropole und wird in Untersuchungen und wissenschaftlichen Artikeln regelmäßig als Beispiel herangezogen. In den 1960er Jahren noch ein unbedeutender Grenzort, so werden heute 1,6 % des mexikanischen Bruttoinlandsproduktes in dieser Stadt erwirtschaftet und knapp ein Drittel der Maquiladorabeschäftigten des Landes finden hier ihre Arbeit (vgl. FUCHS 2001a, 17). Jedes dritte Fernsehgerät in Nordamerika soll aus Ciudad Juárez stammen (vgl. ebd., 19). Entsprechend dominant ist denn auch der sekundäre Sektor der Region: wie Abbildung 3 aufzeigt, ist ein Umbruch zu einer Dienstleistungsökonomie nicht zu erkennen, obwohl sich selbstverständlich Dienstleistungen wie Einzelhandel und Restaurants im Zuge der Industrialisierung angesiedelt haben. Abbildung 4 verdeutlicht die explosionsartige Bevölkerungsentwicklung von Ciudad Juárez im Vergleich zu El Paso, dem US-amerikanischen Bereich der Zwillingsstadt.

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Details

Titel
Die Maquiladora-Industrie Nordmexikos
Untertitel
Hintergründe, Entwicklung sowie ökonomische und soziokulturelle Auswirkungen eines US-amerikanisch-mexikanischen Grenz-Phänomens
Hochschule
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Veranstaltung
Die Grenze zwischen Mexiko und den USA
Note
gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
17
Katalognummer
V87153
ISBN (eBook)
9783638012966
Dateigröße
600 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Maquiladora-Industrie, Nordmexikos, Grenze, Mexiko, Maquiladora, NAFTA, USA
Arbeit zitieren
Florian Dittmar (Autor:in), 2005, Die Maquiladora-Industrie Nordmexikos, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87153

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