Die Religion der Psychologie

E.T.A Hoffmanns "Die Elixiere des Teufels" und M.G. Lewis’ "The Monk"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

23 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhalt

Das Plagiat 2

Das Sünder-Ich / Die Elixiere des Teufels
Die Determinierung des Ich – eine Frage der Psychologie
Eine gespaltene Identität – ästhetische Enthüllungen

Die (Un)christlichen / The Monk
Verkappte seelische Konflikte – das weltliche Leben der Geistlichkeit
Die menschliche Psyche – der Fehler im Monopolsystem

Die Macht

Bibliographie

Die Religion der Psychologie

E.T.A Hoffmanns Die Elixiere des Teufels und M.G. Lewis’ The Monk

Das Plagiat

Zwei Länder, zwei Autoren, zwei Romane, aber nur eine Geschichte – das würde ich antworten, müsste ich mit zehn Worten umschreiben, was Matthew Gregory Lewis’ The Monk und E.T.A. Hoffmanns Die Elixiere des Teufels verbindet. Natürlich werde ich mit einer solchen Aussage keinem der beiden Werke gerecht. Und doch: so unterschiedlich die Romane in Aufbau und Sprache auch sind, wenn man über diese Texte spricht, sollte erwähnt werden, dass es sich hier eigentlich um ein Plagiat handelt, um mehr als eine „thematische Inspiration“[1]. In seinem Schauerroman von 1815 übernimmt Hoffmann die Grundhandlung, Figuren und sogar einzelne Szenen von Lewis’ neunzehn Jahre zuvor erschienener Gothic Novel. Die Protagonisten beider Bücher entwickeln sich vom frommen, gelübdetreuen Klosterbruder zum teuflisch lüsternen Mönch, der seine kirchliche Machtposition missbraucht, um sexuelle Wünsche auszuleben. Die Werke erscheinen jedoch unterschiedlich in ihrem Fort- und Ausgang, sie verweben religiöse Motive und Kirchenkritik auf solch verschiedene Weise, dass sie beide zu einer diesbezüglichen Analyse anregen, die ich im Folgenden versuchen werde.

Das Sünder-Ich / Die Elixiere des Teufels

Lewis beginnt seinen Roman mit einer Szene, der Hoffmann etwa dreißig Seiten Kindheits- und Jugendgeschichte seines Protagonisten vorausschickt. Diesen Vorlauf in Die Elixiere des Teufels werde ich daher in dieser Analyse zuerst behandeln.

Bereits im ersten Satz von Hoffmans Roman erwähnt der Ich-Erzähler, der hier seine Lebensgeschichte niederschreibt, Mutter und Vater. Es fallen an seiner folgenden Beschreibung besonders Parallelen zur heiligen Familie auf: das Kind kommt auf einer Pilgerreise der Eltern zur Welt und

auf der beschwerlichen Wanderung dahin fühlte meine Mutter nach mehreren Jahren der Ehe zum erstenmal, dass diese nicht unfruchtbar bleiben würde, wie mein Vater befürchtet, und seiner Dürftigkeit unerachtete war er hoch erfreut, weil nun eine Vision in Erfüllung gehen sollte, in welcher ihm der heilige Bernardus Trost und Vergebung der Sünde durch die Geburt eines Sohnes zugesichert hatte. (S. 9)

Auch Joseph hatte eine Vision (der Engel des Herrn im Traum)[2], allerdings weissagte sie ihm, dass Maria einen Sohn gebären werde, nicht, dass Joseph durch diese Geburt seine Sünden vergeben würden! Dieser Unterschied verdeutlicht vorwegnehmend bereits die Gegensätzlichkeit von Medardus’ Geschichte zum Leidensweg Christi, der das Leid der Menschheit auf sich nimmt. Denn Hoffmann schildert ein Täterleben, den Weg desjenigen, der das Leid verursacht. Allerdings stellt sich hier natürlich das Ich, der zurückblickende, fiktionale Autobiograph Medardus, selbst dar. Er versucht, sein Leben vom Mutterbauch an als determiniert erscheinen zu lassen. Er beginnt seine Lebensbeschreibung mit Genealogie, mit der Sünde seines Vaters, deren Übertragung gegen Ende des Buches durch das Pergamentblatt des alten Malers (siehe dazu S. 253 ff.) untermauert und auf viele seiner Vorfahren ausgeweitet wird. Dies impliziert, dass Medardus sich der Verantwortung für seine Sünden und Taten entzieht – er, der Mönch, sieht sich als unschuldigen Mörder. Denn der alte Pilger, die Prophetenfigur des Anfangs, wird Unrecht behalten: „die Sünde des Vaters kocht und gärt in seinem Blute, er kann jedoch sich zum wackern Kämpen für den Glauben aufschwingen, lasset ihn geistlich werden!“ (S. 11). Medardus’ Ziel scheint es zu sein, dem Leser die Ausweglosigkeit für sein determiniertes Sünder-Ich zu verdeutlichen. Die Passagen, in denen der Mönch sündigt, gibt er wieder, als sei der Täter in ihm nicht er selbst. So beschreibt Medardus beispielsweise seine erste Lüge, in der er sich für den Grafen Viktorin ausgibt: „antwortete es aus mir hohl und dumpf, denn ich war es nicht, der diese Worte sprach, unwillkürlich entflohen sie meinen Lippen“ (S. 50). Und bei der ersten Möglichkeit, sich Aurelies zu bemächtigen: „‚Zur Tat, zur Tat, was zauderst du, der Augenblick entflieht’, so trieb mich die unbekannte Macht in meinem Innern“ (S. 83). Als Medardus nach seinem Doppelmord an Euphemie und Hermogen ruft: „Wahnwitzige, wollt ihr das Verhängnis fahren, das die frevelnden Sünder gerichtet?“, kommentiert er darauf „vor mir stand Viktorins blutige Gestalt, nicht ich, er hatte die Worte gesprochen“ (S.84). Hier, könnte man sagen, erdreistet sich Medardus sogar zu behaupten, ein anderer Mensch verübe seine Taten. Und durch den weiteren Fortgang der Geschichte und das Pergamentblatt des alten Malers (S. 253 ff.) wird die Idee eines physischen Doppelgängers sogar noch unterstützt. Jedoch eröffnet der Roman damit eine äußerst unglaubhafte Lösung, die Medardus in den Augen des Lesers nicht entlastet, gleich wie verworren sich seine Familien- und Lebensgeschichte herausstellt. Der Leser erfährt alle Geschehnisse durch die Augen des Mönches und es scheint mehr als abwegig, dass er ununterbrochen von einem physischen Ebenbild begleitet wird, ohne diese Person wahrzunehmen. Und keinem Charakter in Medardus’ Umgebung fällt je dessen Ebenbild an seiner Seite auf?! Spätestens wenn Medardus’ Doppelgänger, zu Tode verurteilt, auf einem Leiterwagen gefesselt durch die Straßen gerollt wird (und somit physisch nicht bei Medardus sein kann), besteht an der körperlichen Identität des mordenden Mönchs kein Zweifel mehr:

Da wurden die Geister der Hölle in mir wach und bäumten sich auf mit Gewalt, die ihnen verliehen über den frevelnden, verruchten Sünder. – Ich erfasste Aurelien mit grimmiger Wut, daß sie zusammenzuckte: „Ha ha ha ... Wahnsinniges, töriges Weib ... ich... ich, dein Buhle, dein Bräutigam, bin der Medardus ... bin deines Bruders Mörder ... du, Braut des Mönchs, willst Verderben herabwinseln über deinen Bräutigam? Ho ho ho! … ich bin König ... ich trinke dein Blut!“ – Das Mordmesser riß ich heraus – ich stieß nach Aurelien, die ich zu Boden fallen lassen – ein Blutstrom sprang hervor über meine Hand. – Ich stürzte die Treppen hinab durch das Volk hin zum Wagen, ich riß den Mönch herab und warf ihn zu Boden (S. 229)[3]

Der Versuch misslingt, einen physischen Doppelgänger für Medardus’ Taten verantwortlich zu machen.[4] Medardus will sich seiner Schuld entledigen, indem er mithilfe der Genealogie sowohl einen faktischen Doppelgänger als auch eine zweite übermächtige, teuflische Persönlichkeit in seinem Innern vorschützt. Den Leser überzeugt keine dieser Ideen aber von seiner Unschuld, woraus sich zwei Folgerungen ergeben: zum einen steht diese Nicht-Lösung in romantischer Tradition[5] – das Werk ist unfertig (weil es nur Unfertiges geben kann) und birgt mit seinen offensichtlichen Lücken bereits die Selbstkritik, es verdeutlicht die im Menschenbild der Romantik angenommene Spaltung zwischen Verstand und Gefühl. Dieser innere Riss erfolgt durch die Unterdrückung eigentlich natürlicher Bedürfnisse. Mit den bis zum äußersten getriebenen Sünden, ihren teils abstrusen Umständen und Medardus’ ungenügenden Erklärungen, erreicht der Roman zudem die von den Romantikern angestrebte literarische Maß- und Regellosigkeit. Gleichzeitig lässt sich der Text dem zu Beginn des 19. Jahrhunderts populären Genre der Schauerromane zuordnen. Dazu tragen vor allem das Mysterium von Medardus’ Identität, die Implikation von Übernatürlichem und die Geheimgesellschften ähnlichen Verhältnisse in Rom bei. Und in romantisch-ironischem Sinne scheint es durchaus beabsichtigt, dass keine Lösung glaubhaft genug erscheint, denn allzu deutlich fallen die logischen Lücken ins Auge – sie sind ja förmlich zur Schau gestellt (siehe hierzu die oben erwähnten Mordszenarien).

Zum Anderen: Gerade weil der Text selbst Medardus’ Erklärungen nicht unterstützt, lenkt er die Aufmerksamkeit auf das Thema des Romans – die Psychologie. Das Schicksal ist nicht unausweichlich, da es durch Genealogie und Teufelspakte vorbestimmt ist; es ist unausweichlich, da Medardus an diese glaubt. Entscheidend ist hier die Textstelle, in der Medardus die Worte seines Mitbruders Cyrillus über die Echtheit von Reliquien in wörtlicher Rede wiedergibt:

bin ich der Meinung, daß, der darüber sprechenden Dokumente unerachtet, wohl wenige dieser Dinge das sein dürften, wofür man sie ausgibt. Allein es scheint mir auch gar nicht darauf anzukommen. Merke wohl auf, lieber Bruder Medardus! Wie ich und unsere Prior darüber denken, und du wirst unsere Religion in neuer Glorie erblicken. Ist es nicht herrlich, lieber Bruder Medardus, daß unsere Kirche darnach trachtet, jene geheimnisvollen Fäden zu erfassen, die das Sinnliche mit dem Übersinnlichen verknüpfen, ja unseren zum irdischen Leben und Sein gediehenen Organism so anzuregen, dass sein Ursprung aus dem höhern geistigen Prinzip, ja seine innige Verwandtschaft mit dem wunderbaren Wesen, dessen Kraft wie ein glühender Hauch die ganze Natur durchdringt, klar hervortritt und uns die Ahndung eines höheren Lebens, dessen Keim wir in uns tragen, wie mit Seraphsfittichen umweht. – Was ist jenes Stückchen Holz – jenes Knöchelein, jenes Läppchen – man sagt, aus dem Kreuz Christi sei es gehauen, dem Körper – dem Gewande eines Heiligen entnommen; aber den Gläubigen, der, ohne zu grübeln, sein ganzes Gemüt darauf richtet, erfüllt bald jene überirdische Begeisterung, die ihm das Reich der Seligkeit erschließt, das er hienieden nur geahnet; und so wird der geistige Enfluß des Heiligen, dessen auch nur angebliche Reliquie den Impuls gab, erweckt, und der Mensch vermag Stärke und Kraft im Glauben von dem höheren Geiste zu empfangen, den er im Innersten des Gemüts um Trost und Beistand anrief. Ja, diese in ihm erweckte höhere geistige Kraft wird selbst Leiden des Körpers zu überwinden vermögen (S. 26)

[...]


[1] „thematic inspiration“ of „minor interest“, siehe Segebrecht 1984, S. 56.

[2] Siehe Matthäus, 1, 18-25

[3] Eine genauere Analyse der Interpunktionszeichen des Textes werde ich aus Gründen des Platzmangels hier unterlassen. Es sei angemerkt, dass die Spaltung des Ichs im ganzen Roman stark durch Auslassungszeichen (oft um das Wort „ich“ herum gruppiert) unterstützt und somit graphisch gespiegelt wird. Eine detailliertere Analyse dazu müsste, denke ich, an anderer Stelle unbedingt versucht werden.

[4] Vergleiche hierzu auch die Ausführungen in Kremer 1993; zum Doppelgänger, den er psychisch, aber (im Gegensatz zu dieser Analyse) gleichzeitig auch physisch für „plausibel“ gemacht hält und analysiert, S. 233, S. 245-259.

[5] Zu Theorie und Programm der Romantik beispielsweise Schmitz-Emans 2004, S. 44-53.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Religion der Psychologie
Untertitel
E.T.A Hoffmanns "Die Elixiere des Teufels" und M.G. Lewis’ "The Monk"
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Autobiographie und mörderische Gedanken: E.T.A. Hoffmanns "Die Elixiere des Teufels"
Note
1,8
Autor
Jahr
2007
Seiten
23
Katalognummer
V87137
ISBN (eBook)
9783638059367
ISBN (Buch)
9783638949910
Dateigröße
565 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit entstand im Rahmen eines Master-Seminars am University College Dublin. Anschließend wurde sie von der FU Berlin als Hauptseminararbeit mit der Note 1,8 anerkannt.
Schlagworte
Religion, Psychologie, Autobiographie, Gedanken, Hoffmanns, Elixiere, Teufels
Arbeit zitieren
Carolina Franzen (Autor:in), 2007, Die Religion der Psychologie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87137

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