Kirche kann nicht segnen, was nicht Gottes Wille ist - Die Debatte um die Segnung homosexueller Paare


Diplomarbeit, 2002

81 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

THEORETISCHER TEIL

2. Homosexualität
2.1. Was ist Homosexualität?
2.2. Homosexualität - ein gesellschaftliches Reizthema
2.3. Homosexualität - ein kirchliches Reizthema
2.3.1. „Mit Spannungen leben“ - die offizielle Stellungnahme der EKD zur Homosexualität
2.3.2. Die Bewertung der Homosexualität in der kirchlichen sozialethischen
Debatte um verschiedene Lebensformen
2.4. Homosexualität - ein theologisches Kontroversthema
2.4.1. Biblische Hermeneutik zur Homosexualität
2.4.2. Verschiedenheiten im Bibelverständnis

3. Kasualpraxis
3.1. Die Segnung homosexueller Paare als Kasualgottesdienst
3.2. Der Segen im Rahmen eines Kasualgottesdienstes
3.3. Die Trauung, oder: Die quasisakramentale Überhöhung einer ganz gewöhnlichen Segenshandlung

4. Zusammenfassung der Ergebnisse des Theorieteils: Spannungen wahrnehmen, oder: Der lange Weg von der Theorie zur Praxis

PRAKTISCHER TEIL

5. Eine Darstellung der Debatte
5.1. Überblick über die Diskussion in den Gliedkirchen der EKD
5.2. Kock, „Homosexuelle und Kirche“, Steinacker - Drei exemplarische Perspektiven innerhalb der Debatte
5.2.1. Der Kock-Brief
5.2.1.1. Darstellung
5.2.1.2. Bewertung
5.2.2. Die Reaktion der „Homosexuelle und Kirche“ (HuK) auf den Kock-Brief
5.2.2.1. Darstellung
5.2.2.2. Bewertung
5.2.3. Steinackers Rede auf der EKHN-Synode
5.2.3.1. Darstellung
5.2.3.2. Bewertung
5.3. Zusammenfassung

6. Resümee

Anhang

Bibliographie

Ehrenwörtliche Erklärung

1. Einleitung

„Kirche kann nicht segnen, was nicht Gottes Wille ist“[1] - mit diesem Zitat sind gegenwärtig die Stellungnahmen der meisten evangelischen Kirchen in Deutschland in der Debatte um die Segnung homosexueller Paare zusammenzufassen. Ist die innerkirchliche Diskussion über eine Segnungshandlung für gleichgeschlechtliche Paare vor etwa fünfzehn Jahren das erstemal aufgetaucht auf, so ist eine verstärkte Debatte um diese besonders seit dem Frühjahr des Jahres 2001 zu verzeichnen. Der bis dato vollzogene gesellschaftliche Wandel, der auch eine zunehmende Akzeptanz der homosexuellen Lebensform mit sich brachte, manifestierte sich zu diesem Zeitpunkt im Entwurf des „Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften“. Es stellte auch für christliche Lesben und Schwule sowie deren Unterstützer/innen einen moralischen Aufschwung dar, gegen die Diskriminierung Homosexueller in der Kirche anzugehen. Mit zugenommenem Selbstbewußtsein - den öffentlichen Erwartungsdruck an die Kirchen im Rücken - forderten sie verstärkt das Angebot einer Segnungshandlung für ihre Partnerschaften ein. Vergleichbares hat in der evangelischen Kirche bereits eine lange Tradition: für heterosexuelle Ehepaare besteht die Möglichkeit, einen Gottesdienst anläßlich ihrer Eheschließung zu feiern. Die Reaktionen der 24 Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie offizielle Stellungnahmen des Kirchenamtes zu dieser Forderung sind jedoch sehr verhalten. Argumentiert wird mit der Bibel, mit der besonderen Bedeutung von Ehe und Familie oder mit der Unmöglichkeit, homosexuellen Partnerschaften Gottes Segen zuzusprechen; Homosexualität sei nicht gottgewollt.

In meiner Diplomarbeit werde ich - natürlich nur im (platzbedingten) Rahmen des hier Möglichen - in das Dickicht der wichtigsten Argumentationslinien innerhalb der Debatte um die Segnung homosexueller Paare eintauchen. Ich möchte herausarbeiten, in welchen Spannungsfeldern sich die Diskussion bewegt, um nach einer Prüfung dieser meine Leitfrage beantworten zu können: Ist der kirchliche Widerspruch gegen eine Segnung homosexueller Paare noch zu rechtfertigen? Die Relevanz der Beantwortung dieser Frage sollte der evangelischen Kirche in zweierlei Hinsicht wichtig sein: Zum einen werden die kirchlichen Zweifel zur ethischen Bewertung der Homosexualität insbesondere auf Kosten einer Minderheit ausgetragen: der Lesben und Schwulen, die sich schon in ihrem Alltag oftmals Diskriminierungen ausgesetzt sehen und sich eigentlich von der Kirche Solidarität erhoffen würden; viele von ihnen haben sich bereits enttäuscht aus dem kirchlichen Leben zurückgezogen. Zum anderen geht es um ein glaubhaftes kirchliches Handeln; glaubhaft müssen Christinnen und Christen aber nicht nur vor ihrem Gewissen handeln, glaubhaft muß Kirche auch in einer veränderten Lebensrealität Stellung beziehen.

Im Laufe dieser Diplomarbeit wird sich herausstellen, daß die Frage um die Segnung homosexueller Paare auch etliche andere Bereiche berührt; sehr artverwandt beispielsweise ist die Diskussion um die Segnung (heterosexueller) nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften. Im Sinne meiner Leitfrage werde ich jedoch nicht näher auf diese eingehen, um das Themengebiet einzugrenzen. Nicht eingehen werde ich auch auf den Diskussionsstand in der Katholischen Kirche. Er gestaltet sich insofern noch um einiges schwieriger als es hier das Sakrament der Ehe gibt.[2]

Ich habe diese Diplomarbeit in zwei Schwerpunkte unterteilt: Theorie und Praxis. Im Theorieteil werde ich einen Überblick geben über die verschiedenen Spannungsfelder der Debatte. Grundsätzlich muß die Frage geklärt werden, was überhaupt das Objekt der Debatte ist: Homosexualität. Hier berufe ich mich besonders auf Rüdiger Lautmann, dessen Arbeitsschwerpunkte Sexual-, Geschlechter- und Rechtssoziologie sind. Er hat diverse Schriften zum Thema „Homosexualität“ veröffentlicht. Im folgenden Abschnitt 2.2. steht besonders Norbert Geis, der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU, im Mittelpunkt. Seine Äußerungen zum Thema „Homosexualität“ vermitteln einen guten Einblick in die (von großen Teilen der bundesdeutschen Gesellschaft geteilte) Haltung gegenüber Lesben und Schwulen. Hier - wie auch an anderen Stellen - verwende ich ein Buch von Peter Bürger, das sich in vielerlei Hinsicht fundiert mit dem Themenkomplex „Homosexualität (und) Kirche“ auseinandersetzt. In den Punkten 2.3.1. und 2.3.2. werde ich die zwei relevanten offiziellen Stellungnahmen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Thema Homosexualität wiedergeben. Die sog. Orientierungshilfe „Mit Spannungen leben“ (2.3.1.) beschäftigt sich grundlegend mit dieser Materie, die schriftliche Stellungnahme „Verläßlichkeit und Verantwortung stärken“ (2.3.2.) reagiert auf den Entwurf des oben angesprochenen Lebenspartnerschaftsgesetzes und stellt im Zuge dessen eingehend die sozialethische Meinung der EKD zu verschiedenen Lebensformen dar. Mit diesen beiden Schriften will ich einen Einblick geben in die Schwierigkeiten, die die EKD mit dem Thema „Homosexualität“ hat. Bis zu diesem Punkt nehme ich eine „Bestandsaufnahme“ der Situation vor, in der sich die Debatte um die Segnung homosexueller Paare abspielt. Im Abschnitt 2.4.1. schließlich stelle ich zwei unterschiedliche Positionen dar, die sich beide mit der Frage auseinandersetzen, was die Bibel zur Homosexualität sagt. Sehr plakativ spricht sich Helmuth Egelkraut dafür aus, daß Homosexualität nicht gottgewollt sei. Er schreibt im Auftrag des „Weißen Kreuzes“, einer konservativen, sich gegen den von ihr attestierten Sittenverfall in der Gesellschaft einsetzenden Organisation. Ihm entgegen stelle ich in erster Linie die Meinung des Theologen Hans Georg Wiedemann. Er hat verschiedene Bücher veröffentlicht, die sich für eine Neuorientierung in der christlichen Ethik in der Frage der Homosexualität aussprechen. Der hierauf folgende Abschnitt 2.4.2. versucht, auf das tiefer liegende Grundproblem der biblischen Hermeneutik einzugehen: Wie lesen wir die Bibel? Dieses Kapitel soll sensibel machen für das Phänomen, daß verschiedene Christinnen und Christen nach der Lektüre desselben Buches trotzdem unterschiedliche Schlüsse daraus ziehen. Im nächsten theoretischen Hauptteil nehme ich den zweiten großen Themenblock „Kasualpraxis und Segnung“ der Debatte unter die Lupe: Auch hier werde ich durch jeweilige Begriffsklärungen versuchen, Klarheit für die Beantwortung meiner Leitfrage zu gewinnen. Das bedeutet für Punkt 3.1., daß ich danach frage, was überhaupt ein Kasualgottesdienst ist. Hier - wie auch noch im folgenden - beziehe ich mich zum einen auf Ulrike Wagner-Rau, die ein grundlegendes Buch zur Kasualpraxis in der modernen Gesellschaft geschrieben hat, zum anderen auf Rainer Stuhlmann, auf den nicht nur in der Fachliteratur zum Themenkomplex „Segnung homosexueller Paare“ immer wieder Bezug genommen wird, sondern der auch ein theologischer Berater für die Evangelische Kirche im Rheinland war während ihres Konsultationsprozesses zur gottesdienstlichen Begleitung Homosexueller. Zur Bedeutungsklärung des Segens ziehe ich desweiteren Andreas Obermann heran, der sich durch die aktuellen Debatten bemüßigt sah, den Segen im Neuen Testament zu untersuchen und daraus schlußfolgernd einen Ausblick auf heutiges kirchliches Segenshandeln zu liefern. Darüber hinaus ist hier das Votum des Theologischen Ausschusses der Arnoldshainer Konferenz, „Gottes Segen und die Segenshandlungen der Kirche“, von großer Wichtigkeit. Auf dieses beruft sich die EKD-Stellungnahme „Mit Spannungen leben“ an den Punkten, wo sie sich zur Segnung homosexueller Paare positioniert. Punkt 3.3. untersucht die besondere Bedeutung der kirchlichen Trauung für die Debatte um die Segnung. Zu Rainer Stuhlmann tritt hier Christian Grethlein hinzu, der den Grundfragen der Liturgik zeitgemäß entgegentritt. An all das schließt der Praxisteil an, der einen Einblick in die aktuelle Debatte verschaffen soll; dazu gehört ein Überblick in den momentanen Diskussionsstand in den 24 Gliedkirchen der EKD. Durch drei exemplarische Perspektiven möchte ich dann nicht nur Lebendigkeit in die Arbeit bringen, sondern auch prüfen, ob meine Ergebnisse des Theorieteils sachgemäß sind. Hierzu beleuchte ich einen spannungsreichen Punkt in der Debatte: Ein Brief des EKD-Ratsvorsitzenden Manfred Kock an die Gliedkirchen der EKD rief nicht nur eine Reaktion der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft „Homosexualität und Kirche“ (HuK) hervor, sondern bekam auch eine Erwiderung durch den Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Peter Steinacker. Diese drei Parteien haben jeweils unterschiedliche Perspektiven innerhalb der Debatte inne. Kock wendet sich gegen ein kirchliches Segnungsangebot, die HuK reagiert darauf aus der Position der Betroffenen heraus, Peter Steinacker plädiert für eine gottesdienstliche Begleitung lesbischer und schwuler Paare. Beenden möchte ich den Praxisteil mit einem knappen Überblick über typische Argumentationsstränge bei Befürworter/innen und Gegner/innen der Segnung homosexueller Paare. Im Resümee werde ich die Beantwortung meiner Leitfrage abschließen, einige weitergehende Gedanken äußern und zuletzt mit einer kleinen Meditation enden. Abschließend folgt ein Anhang sowie die Bibliographie.

THEORETISCHER TEIL

2. Homosexualität

2.1. Was ist Homosexualität?

Noch im Jahre 1794 konnte Homosexualität „wegen ihrer Abscheulichkeit ... nicht genannt werden“ (Preußisches Allgemeines Landrecht, zitiert in: Lautmann, in: Puff 1993, 15), 1869 tauchte die Bezeichnung zum ersten Mal auf, seit letztem Jahrhundert (also die 1900er Jahre) habe sie sich richtig eingebürgert (vgl. Lautmann, in: Puff 1993, 15). Wichtig ist die Frage: „Welche Homosexualität meinen wir, wenn wir das Wort verwenden?“ (ebd., 18) Es sei „längst nicht mehr sicher, daß wir mit demselben Wort auf dieselbe Angelegenheit zielen.“ (ebd.) Der Begriff „Homosexualität“ ist - ebenso wie seine inhaltliche Füllung und mit Sicherheit in Wechselwirkung damit - in der Diskussion: Oft grenzen sich Lesben von der Bezeichnung „Homosexuelle“ ab, da damit oftmals nur Schwule assoziiert würden. Die allgemeine Kritik am Begriff „Homosexuelle“ bemerkt, daß dieser einzig die sexuelle Ausrichtung bezeichne. Übersehen werde oft, daß Lesbisch- und Schwulsein mehr ist als nur eine sexuelle Ausrichtung: es kann identitätsstiftend sein und betrifft somit die gesamte Ausgestaltung des Lebens. Dagegen wendet sich bspw. seit den 1990er Jahren der dekonstruktivistische Teil der lesbisch-feministischen Bewegung, der deutlich macht, was den Positionsbestimmungen lesbischer Identität oft fehlt: „Die Anerkennung der komplexen und komplizierten sozialen, psychischen und politischen Prozesse und Praxen der Konstitution von Identität ebenso wie der konstruierten und fragilen ‘Natur’ lesbischer Identität. Investiert wird dagegen oft nur in deren Auspolsterung und in die Überwachung der Identitätsgrenze.“ (Martin, zitiert in: Hark 1996, 11) Ich möchte damit zeigen, daß „Homosexualität“ nicht einfach definiert werden kann. Genau betrachtet müßte man wohl sagen: Wer sich selbst als homosexuell (lesbisch/schwul) betrachtet, die/der ist es auch - zumindest für sich selbst.[3] Auch wenn das dekonstruktivistische Lager sich gegen die Konstitution einer homosexuellen Identität wendet, muß doch festgehalten werden, daß eine identitäre heute die am häufigsten vorkommende Art von Homosexualität ist: „Erst im 20. Jahrhundert ist die gleichgeschlechtliche Lust vom Seitensprung zur Hauptaktivität aufgerückt. Dafür steht der Begriff homosexuelle Identität ein.“ (Lautmann, in: Puff 1993, 25) Die Bedingungen, an die noch das Vorkommen der älteren Homosexualitäten geknüpft gewesen seien, wären nun abgeschafft: „kein Generationsabstand, keine Symbole des anderen Geschlechts, nichts von aktiv/passiv, keine Heirat[4]. Als Frau eine Frau begehren, als Mann einen Mann, in der Fülle der Bedeutsamkeit des einen Geschlechts - das und nur das macht es aus. Das Homosexuell-Sein wird in das Selbstverständnis integriert. Weder an sich selbst noch am Gegenüber wird ein Abstrich von der Geschlechtsidentität vorgenommen.“ (ebd., 23) Da diese Beschreibung heute noch dem Selbstverständnis der meisten Lesben und Schwulen entspricht, werde ich sie in dieser Diplomarbeit adaptieren: Spreche ich in der Folge von Homosexuellen, gleichgeschlechtlich Liebenden, Lesben und Schwulen...[5], so meine ich damit Menschen, die Menschen des gleichen Geschlechts lieben[6].

Homosexuelle Menschen stellen eine beachtliche gesellschaftliche Gruppe dar: Laut der Kinsey-Studien am Institut für Sexualforschung der Universität von Indiana, U.S.A., seien „(...) ca. 4% der Männer ausschließlich an homosexuellen Beziehungen interessiert. Allerdings haben ca. 46% aller Männer nach der Pubertät auch physische und psychische homosexuelle Erfahrungen gemacht. Unter diesen haben 13,95% extensive und mehr als beiläufige homosexuelle Erlebnisse gehabt und werden darum von den Forschern als überwiegend homosexuell bezeichnet. Dem entsprechen 4,25% der Frauen.“ Zwar sind diese Reporte über die menschliche Sexualität aus den Jahren 1948 und 1953, doch bemerkt Bürger, „die Trends der Kinsey-Statistiken (...) sind trotz mancher methodischer Kritik bis heute unbestritten.“ (Bürger 2001, 68) So bemerkte Thomas Grossmann in den 80er Jahren, dass es in der BRD ungefähr gleich viele Familien gäbe, in denen der eine oder die andere homosexuell sei, wie es Familien mit Katzen gäbe - in Deutschland gibt es drei Millionen dieser Tiere. (vgl. ebd.)

Das besondere Verdienst der Kinsey-Studie liegt darin, daß sie bis dahin gängige Schwarz-Weiß-Schemata von Hetero- und Homosexualität aufbrach: Sexualität konnte nicht mehr eindeutig kategorisiert werden, sondern unterliegt der individuellen Orientierung. Auch der Sexualforscher Helmut Kentler spricht von „unterschiedlichen Ausrichtungen des sexuellen Begehrens“ (Kentler, zitiert in: Wiedemann 1982, 28f). Sexualität werde erlernt in „einem Prozeß, den man als ‘Sexualisation’ bezeichnen kann. Die Sexualisation ist ein komplizierter Lernvorgang, der Teil der gesamten Sozialisation ist; in ihm wird gelernt, bestimmte Außen- und Innenreize als sexuell aufzufassen und auf sie sexuell zu reagieren. Dabei entsteht das für jeden Menschen typische sexuelle Einstellungs- und Verhaltensmuster.“ (ebd.) Kentler pathologisiert somit nicht die Homosexualität, sondern führt sie ebenso wie die Entstehung der Heterosexualität herbei. Ein solches Verfahren hat sich jedoch bis heute noch nicht durchgesetzt: Ohne Berücksichtigung der Sozialisations-Faktoren wird Heterosexualität von etlichen Forscherinnen und Forschern als das „Normale“ dargestellt. Dieser Betrachtungsweise folgt zwingend der Versuch, die Entstehung der „Anormalität“ Homosexualität (aber eben nicht die der heterosexuellen Liebe!) zu erklären. Die Ansätze bewegen sich hier im Spektrum „psychische Ursachen“ bis hin zu „genetische Grundlagen“. So spricht bspw. van den Aardweg - der Verfechter der Therapierbarkeit der Homosexualität - von eben dieser als „Symptom neurotischen Selbstmitleids, dessen Ursachen in einer gestörten Kindheitsentwicklung liegen“ (Steinhäuser 1998, 115); im Zuge der Diskussionen um die Legitimität pränataler Diagnostik werden immer wieder Forschungsergebnisse laut, die von einer homosexuellen Erbanlage sprechen (vgl. Bürger 2001, 70ff). Doch selbst wenn „[a]ugenscheinlich (...) sehr viel für biologische Erklärungen [spricht]“ (ebd., 70), bin ich skeptisch, inwiefern diese Erkenntnis positiv für die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Liebe zu bewerten ist - auch wenn Bürger gerade hierin eine große Chance sieht: Wäre Homosexualität angeboren, müßte man ja eigentlich Gott, den Schöpfer, dafür verantwortlich machen (vgl. ebd., 69). Dem entgegen steht jedoch ein Umfrageergebnis von 1996, in dem „ein erheblicher Prozentsatz“ in Deutschland lebender Frauen sich für eine Abtreibung entscheiden würde, wenn sie wüßten, ihr Kind wäre homosexuell (vgl. ebd., 71). Als letzte wichtige, sich bereits lange haltende These zur Ursache von Homosexualität ist die Verführungstheorie zu nennen: Zur lebenslangen Homosexualität könnten Jugendliche durch erwachsene Homosexuelle verführt werden. Jugendliche seien sich ihrer Sexualität, d.h. ihres Geschlechtstriebes, noch nicht sicher. Auch hierbei wird grundsätzlich von einer Entwicklung hin zur Heterosexualität ausgegangen, die in einem früheren Stadium beträchtlich gefährdet werden könne. Doch keine der Thesen zur Entstehung der Homosexualität konnte sich bisher bewahrheiten, darüber hinaus entsprechen sie nicht den Bedürfnissen der meisten Homosexuellen, die den Wunsch nach einer Veränderung ihrer Art zu lieben nicht empfinden - die von mir skizzierte Forschung, die von der Norm Heterosexualität ausgeht, impliziert dies jedoch. Interessanterweise führen solche Forschungen immer wieder den Typus der/des unglücklichen Homosexuellen an, ohne jedoch dessen Ursachen bis ins letzte zu analysieren: Diese sind eine verinnerlichte Homophobie [=Abneigung gegen Homosexualität] als Folgeerscheinung eines heterozentristischen Umfelds, das Leiden unter der Diskriminierung in dieser Gesellschaft oder - bei Schwulen - der hohen sexuellen Promiskuität, die aber u.a. darin begründet liegt, daß eine dauerhafte Partnerschaft vom gesellschaftlichen Umfeld bemerkt würde, was wiederum eine Diskriminierung zur Folge hätte.

2.2. Homosexualität - ein gesellschaftliches Reizthema

Die bundesdeutsche Gesellschaft ist geprägt von verschiedenen Normen. Die hier besonders relevanten sind eine angenommene Zweigeschlechtlichkeit der Menschen, an die Rollenerwartungen für Mann und Frau geknüpft sind, sowie die heterosexuelle Lebensweise, die im konservativen Lager in einer Forderung nach Ehe und Familie gipfelt. Die Folgen sind Homophobie sowie eine Diskriminierung und Stigmatisierung Homosexueller. Als aktuelles Beispiel einer bürgerlich-konservativen Denkweise sei hier der vor einigen Monaten erschienene Aufsatz des rechtspolitischen Sprechers des diesjährigen Kanzlerkandidaten der CDU/CSU, Norbert Geis, erwähnt: „Ehe und Familie müssen das Leitbild bleiben“. Er richtet sich darin gegen das am 1.8.2001 in Kraft getretene Lebenspartnerschaftsgesetz, das es homosexuellen Paaren erlaubt, ihre Partnerschaft (bei von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Behörden) eintragen zu lassen, was in mancher Hinsicht ihren rechtlichen Status verändert. Norbert Geis bestreitet darin eine Diskriminierung Homosexueller, diskreditiert ihre Lebensweise dann jedoch im folgenden durch Äußerungen wie: „Es ist daher an der Zeit, dass diese Lebensform endlich auch in der Öffentlichkeit als das bezeichnet wird, was sie ist: die Perversion der Sexualität.“ (Geis, in: Frankfurter Rundschau vom 6.2.2002, 14) Die, trotz aller von mir beschriebenen gesellschaftlichen Vorbehalte, zunehmende Akzeptanz Homosexueller fürchtet Geis ob eines daraus folgenden Verfalls der Gesellschaft. So schreibt er weiterhin: „Dieses Lebenspartnerschaftsgesetz relativiert den Wert der Ehe und Familie. Schon jetzt gibt es eine riesige Welle von Scheidungen in Deutschland. Dieses Gesetz und die damit verbundene Abwertung der Institution Ehe und Familie wird diese Tendenz noch verstärken. Die junge Generation wird noch weiter verunsichert werden. Die Stabilität in unserer Gesellschaft wird weiter abnehmen.“ (ebd.)

Im Gegensatz zu solchen Äußerungen hat sich die aktuelle Regierungskoalition von SPD und Grünen entschieden, der Diskriminierung von Lesben und Schwulen entgegenzuwirken. Sie reagierte damit auf einen allgemeinen Wandel der sich heute stark ausdifferenziert präsentierenden Lebensformen in der BRD seit den 60er Jahren, auf eine wirkungsvolle Emanzipationsbewegung Homosexueller sowie auf die Tatsache, daß die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Homosexualität 1992 aus ihrem Krankheitsregister gestrichen hat. So trat am 1.8.2001 das „Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften“[7] in Kraft, dessen Rechtsfolgen für eine eingetragene Lebenspartnerschaft zweier Lesben oder Schwuler eine Gleichstellung im Erbschaftsrecht (jedoch ohne Gleichstellung bei der Erbschaftssteuer), im Mietrecht und im Namensrecht vorsieht. Für Kinder des Partners oder der Partnerin gibt es ein sog. „kleines Sorgerecht“, hingegen kein Adoptionsrecht. Auskunftsrecht, Besuchsrecht und Zeugnisverweigerung gelten in Entsprechung zu Eheleuten, auch das Zuzugsrecht ausländischer Partner/innen wurde festgelegt, desweiteren ist eine weitreichende, gegenseitige Unterhaltsverpflichtung vorgesehen (vgl. Bürger 2001, 64)[8] Im „Volksmund“ wird dieses Gesetz gerne als „Homo-Ehe“ bezeichnet, wogegen es Vorbehalte gibt wie etwa den, daß diese Bezeichnung die Diskriminierung quasi inwendig trage, indem sie differenziere zwischen der heterosexuellen Ehegemeinschaft und der Lebenspartnerschaft Homosexueller - daß es jedoch durchaus einen Unterschied gibt, arbeiten die obigen Ausführungen heraus. Dies ist auch einer der Kritikpunkte Homosexueller an diesem Gesetz: Viele empfinden es nach dem inzwischen abgeschafften §175 StGB - er verbot jedoch „lediglich“ homosexuelle Beziehungen zwischen Männern[9] ; in der BRD galt er bis 1992 - als erneute Sondergesetzgebung für Lesben und Schwule, darüber hinaus werden dessen emanzipatorische Auswirkungen in Frage gestellt: Zum einen erscheint es im immer noch vorherrschenden gesellschaftlichen Klima der Ablehnung der Homosexualität als fragwürdig, ob der Schritt in eine Lebenspartnerschaft nun diese Diskriminierung plötzlich aufheben würde, zum anderen kritisieren etliche Homosexuelle die Institution Ehe als solche, bspw. als ein Voneinander-Abhängig-Machen zweier Individuen. Die Lebenspartnerschaft sei lediglich eine Erweiterung der Norm, die nun wiederum andere ausgrenzen wird.[10] So ist das Lebenspartnerschaftsgesetz vielleicht noch nicht als der Weisheit letzter Schluß zu verzeichnen, ganz sicherlich ist es aber eine deutliche Veränderung hinsichtlich der staatlichen Akzeptanz homosexueller Lebensformen.

Es bleibt festzuhalten: Auch wenn die lesbische und schwule Lebensweise vielerorts noch diskriminiert wird, gibt es für Homosexuelle die Möglichkeit, eine von staatlicher Seite aus privilegierte Lebensform einzugehen: Die Lebenspartnerschaft. Sie ist neben der Ehe eine Form menschlichen Zusammenlebens, die Rechtsschutz genießt.

2.3. Homosexualität - ein kirchliches Reizthema

Ebenso wie in der säkularen Gesellschaft finden sich auch in den christlichen Kirchen Lesben und Schwule, die im dortigen Bereich für ihre Emanzipation eintreten. War dies schon seit einigen Jahrzehnten der Fall, so haben ihre Forderungen durch die Gesetzgebung zur Lebenspartnerschaft erneuten Aufwind bekommen: Wenn schon der Staat Rechtlose schütze, so argumentieren sie, dann solle auch endlich die Kirche dieser ihr ureigensten Aufgabe nachkommen.[11] Damit gerät erneut ein Thema ins Blickfeld, das schon seit jeher für kirchliche Vertreter/innen ein Reizthema darstellte: Homosexualität in christlicher Perspektive.

2.3.1. „Mit Spannungen leben“ - die offizielle Stellungnahme der EKD zur Homosexualität

Um „teilweise tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten“ (3) innerhalb der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland zu klären, setzte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland im März 1994 eine ad-hoc-Kommission „Homosexualität“ ein, die schließlich das Heft „Mit Spannungen leben“ veröffentlichte, in dem grundlegende Fragen des Themenbereiches Homosexualität und Kirche beantwortet werden sollen.[12]

Die gegenwärtige gesellschaftliche Diskussion um Homosexualität dränge zwar die EKD zur Eile, Position zu beziehen, dennoch stellt die Orientierungshilfe heraus, daß sie ihre Entscheidungen zur Frage autonom und auf der Grundlage theologischer Überlegungen treffen müsse. Humanwissenschaftliche Forschungsergebnisse werden aus dem Grund nicht berücksichtigt, da sich hierin kein Konsens abzeichne. Nach einer Anerkennung und Benennung der schwierigen Situation Homosexueller erfolgt eine Art Schuldbekenntnis, das vonnöten sei, um die Kirchen zu befähigen, „ihre Einstellung zu Homosexualität und ihr Verhältnis zu homosexuellen Menschen zu klären und zu einer freien, unbefangenen Meinungsbildung über die anstehenden Fragen zu kommen. Zu einer solchen freien Meinungsbildung gehört es gegebenenfalls auch, daß die Kirchen sich von ihren Glaubens- und Lehrgrundlagen her ein kritisches Urteil zu bestimmten Formen oder Aspekten homosexueller Lebensweise bilden.“ (6)

Hernach folgt ein theologisch-hermeneutischer Teil, der zwar konstatiert, im Zentrum des Interesses stehe allein die homosexuelle Praxis als solche, die dem ursprünglichen Schöpferwillen Gottes widersprechend qualifiziert werde (vgl. 21). Gefolgert wird daraus: „Deswegen ist dem Wortlaut der biblischen Schriften auch nicht zu entnehmen, was sie zu einer Gestaltung gleichgeschlechtlicher Beziehungen vom Liebesgebot her für eine Auffassung vertreten.“ (ebd.) Im „Lichte des Evangeliums“ (ebd.) bedeuteten diese negativen Aussagen jedoch „keinen definitiven Ausschluß aus der Gottesgemeinschaft“ (ebd.).

Sozialethisch rät die Orientierungshilfe homosexuellen Menschen folgendes: Homosexualität entspreche nicht dem Willen Gottes (vgl. 20), was nicht nur klarstellt, daß lesbische und schwule Paare nicht heiraten dürfen sollten, sondern was gleichzeitig die Frage aufwirft, wie nun Homosexuelle mit dieser Sünde umgehen sollten. Grundsätzlich eröffnet die EKD-Schrift hier zwei Wege: diejenigen Lesben und Schwule, die zu den Wenigen gehörten, denen die „besondere Gabe“ (25) der sexuellen Enthaltsamkeit zuteil werde, sollten dementsprechend Verzicht leisten (vgl. 34), denjenigen aber „denen das Charisma sexueller Enthaltsamkeit nicht gegeben ist, ist zu einer vom Liebesgebot her gestalteten und damit ethisch zu verantwortenden gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft zu raten. Die Kriterien, die für sie gelten, sind - mit einer wesentlichen Ausnahme - dieselben, die für die Ehe und Familie gelten (...)“ (35; Kursivierung im Original). Desweiteren wird die Leitbildfunktion von Ehe und Familie aus der Sicht des christlichen Glaubens manifestiert: Sie stelle die einzige Form des Zusammenlebens dar, in denen die „Fülle dieser für das menschliche Leben wesentlichen Funktionen“ (33; Kursivierung im Original) - gemeint sind hier Freiwilligkeit, Ganzheitlichkeit, Verbindlichkeit, Dauer, Partnerschaftlichkeit und Generativität[13] möglich sei. Der oben angesprochene wesentliche Unterschied zwischen den Kriterien des heterosexuellen Zusammenlebens und den einem homosexuellen Paar anempfohlenen, ist somit der der Generativität. Dieser dürfe auch nicht durch eine eventuelle Einführung des Adoptionsrechtes für Lesben und Schwule aufgehoben werden: „Mit einem solchen Schritt würden für die betroffenen Kinder neue Probleme geschaffen, die ethisch nicht verantwortet werden können.“ (36) Im Blick auf das Modell der „Eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft“ ist es der Orientierungshilfe wichtig, den Unterschied zur Ehe zu bewahren und den „Besonderheiten homosexueller Paare“ gerecht zu werden (36), gleichzeitig müsse Kirche ihre Bildungsaufgabe im Blick auf Sexualität bedenken, zum einen gegenüber Homosexuellen, die in eine solche Partnerschaft eintreten wollen, aber auch gegenüber „den in ihrer sexuellen Identitätsfindung noch unsicheren jungen Menschen“ (ebd.).

Darüber hinaus betont die Orientierungshilfe die Wichtigkeit einer gelungenen Seelsorge für Homosexuelle, in der die „Respektierung ihrer Subjekthaftigkeit“ (40) zu beachten sei, außerdem wird ein ausführlicher Beitrag den „[h]omosexuell lebenden Menschen und [dem] kirchliche[n] Amt“ (ebd.) gewidmet.

Schließlich äußert sich das Heft „Mit Spannungen leben“ zur Segnung homosexueller Menschen. Der Wunsch nach Segnung entspringe unterschiedlichen Motiven: Erstens sei der „Segen als Zuspruch des Beistandes Gottes“ (49) zu nennen - entweder für eine/n Homosexuelle/n, die/der sich Kraft von Gott zur Veränderbarkeit ihrer Sexualität wünsche; oder für eine/n in einer Partnerschaft lebende/n Homosexuelle/n, die/der sich durch die Segnung Kraft erhofft, die Partnerschaft in ethischer Verantwortung zu gestalten; oder für „die gleichgeschlechtliche Partnerschaft, in der zwei Menschen leben, die diese gemeinsam gewählte und verantwortete Form des Zusammenlebens im Wissen um ihre Gefährdung bewußt unter dem Beistand Gottes gestalten wollen.“ (ebd.) Zweitens sei der „Segen als Aufwertung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft“ (ebd.) zu nennen. Dieser Wunsch ziele entweder auf eine kirchliche Anerkennung der homosexuellen Partnerschaft oder auf eine solche, die es Verwandten leichter mache, die Homosexualität ihres Kindes, Enkels etc. zu akzeptieren oder ziele ab auf einen Appell an den Staat, eine Rechtsform für lesbische und schwule Partnerschaften zu schaffen[14] (vgl. 50). Ob besonders diese zweite „Segensform“ treibendes Motiv für den Wunsch nach einer Segnung gewesen sei, könne sich daran erkennen lassen, ob „ausschließlich die öffentliche, gottesdienstliche Form einer kirchlichen Segenshandlung begehrt wird.“ (50; Kursivierung im Original) Kirche müsse nun prüfen, „welche Zielsetzungen und Aspekte aus ihrer eigenen Sicht akzeptiert werden können bzw. sollen.“ (ebd.) Zwar stellt die Orientierungshilfe im folgenden fest, daß „beide Zielsetzungen - wenn auch mit sehr unterschiedlichen Anteilen - Anhalt am theologischen Verständnis des Segens haben.“ (52) Segen schließe aber immer, „sofern er sich auf eine bestimmte Lebenssituation oder Formen des Zusammenlebens bezieht, das Moment der Einwilligung Gottes“ (ebd.) ein. Die Segenshandlung müsse „als Ausdruck einer klar erkennbaren Einwilligung Gottes verstanden und verantwortet werden können.“ (ebd.; Kursivierung im Original) Dies sei aber aufgrund der theologischen Urteilsbildung nur für die Ehe möglich.

Wichtige Fragen sind für die Verfasser/innen von „Mit Spannungen leben“, ob „kirchliche Segenshandlungen für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften eine Übereinstimmung mit dem Willen Gottes“ (53) unterstellten - die ja nicht gegeben sei - oder könne deutlich gemacht werden, daß „solche Segenshandlungen sich ausschließlich auf die ethisch verantwortliche Gestaltung solcher Partnerschaften beziehen?“ (ebd.) Desweiteren wird gefragt, ob kirchliche Segenshandlungen dazu führten, daß der Leitbildcharakter von Ehe und Familie verloren ginge? (vgl. ebd.) Diese Fragen, so kommen sie zu dem Schluß, dürften nicht bagatellisiert werden, woraus gefolgert wird: „Die Segnung einer homosexuellen Partnerschaft kann nicht zugelassen werden. In Betracht kommt allein die Segnung von Menschen. Homosexuell geprägten Menschen, die allein oder in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft leben, ist in ihrer besonderen Situation ‘Zuspruch und Anspruch Gottes nahezubringen und die Annahme des Menschen durch den barmherzigen Gott zu bezeugen. Das schließt die Fürbitte um Gottes Schutz und Geleit mit ein.’“ (ebd.; Kursivierung im Original) Homosexuellen sollte „im Rahmen der geistlichen Begleitung“ (ebd.) die Bitte nach einer Segnung erfüllt werden. „Ihren Ort hat eine solche Segnung in der Seelsorge und der damit gegebenen Intimität“ (54), nicht jedoch im Gottesdienst.

2.3.2. Die Bewertung der Homosexualität in der kirchlichen sozialethischen Debatte um verschiedene Lebensformen

Schon der vorhergehende Punkt macht deutlich, daß Homosexualität in der Kirche wesentlich im Zusammenhang steht mit einer allgemeinen sozialethischen Debatte; so nimmt dieses Thema auch in der Orientierungshilfe „Mit Spannungen leben“ einen großen Raum ein. Im Hinblick auf das Diplomarbeitsthema ist dieser EKD-Schrift noch eine weitere Publikation des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland hinzuzufügen: Es ist dies die „Stellungnahme (...) zur Verbesserung des Rechtsschutzes für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und zur besonderen Bedeutung und Stellung der Ehe: Verläßlichkeit und Verantwortung stärken“. Diese Stellungnahme baut auf den Erkenntnissen der Orientierungshilfe „Mit Spannungen leben“ auf und stimmt deswegen in ihren Grundsätzen mit dem oben Beschriebenen überein. Von da aus geht sie einen Schritt weiter, sieht sie sich doch einer veränderten politischen Situation gegenüber; „Verläßlichkeit und Verantwortung“ entstand 2000, als bereits eine rot-grüne Mehrheit in Deutschland regierte.[15]

Folgende Ausgangslage wird in der Stellungnahme beschrieben: Diejenigen „gleichgeschlechtlich geprägten Menschen“ (2), die „eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft befürworten und praktizieren, konfrontieren Gesellschaft, Politik und Rechtsprechung, aber auch die Kirchen teilweise mit der Frage, warum für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften keine Rechtsform zur Verfügung gestellt wird, wie sie die Ehe für die auf Lebenszeit angelegte Verantwortungsgemeinschaft von Mann und Frau darstellt.“ (ebd.) In einigen europäischen Nachbarländern seien bereits Regelungen für eingetragene gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften eingeführt worden, in Frankreich gebe es darüber hinaus ein allgemeines Rechtsinstitut für Lebensgemeinschaften („pacte civil de solidarité“ [„Pacs“]), das dem Gesichtspunkt Rechnung tragen will, daß es „noch weitere auf Dauer angelegte, schutzwürdige Lebensgemeinschaften gibt, die überdies nicht in jedem Fall an der sexuellen Orientierung anknüpfen“ (ebd.). Die Regelungen seien im einzelnen unterschiedlich, die Inanspruchnahme gering, die „langfristigen sozialen Auswirkungen“ (ebd.) ließen sich noch nicht erahnen. Nun gebe es auch in Deutschland die Bestrebung, „auf zivilrechtlicher Ebene ein Institut für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften zu schaffen“ (ebd.) Die neue Bundesregierung wolle Minderheiten schützen und deren Gleichberechtigung und gesellschaftliche Teilhabe erreichen. Dabei würden die Empfehlungen des Europäischen Parlaments zur Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen berücksichtigt. (vgl. ebd.)

[...]


[1] Dies ist ein leicht abgewandeltes, jedoch nicht den ursprünglichen Sinn verzerrendes Zitat des braunschweigischen Oberlandeskirchenrats Dr. Robert Fischer, der sich Ende 2000 in einem Gastkommentar im „doppelpunkt“, der Zeitschrift des Marienstiftes, eines Krankenhauses in Trägerschaft des Diakonischen Werkes in Braunschweig, zur Segnung homosexueller Partnerschaften äußerte. Im Original lautet der Satz: „Das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Paare und ‘Outing’ mag gesellschaftlich ‘in’ sein, aber kann Kirche segnen, was nicht Gottes Wille ist?“ (http://www.huk.org/aktuell/braunschweig-kirche.htm (Stand: 26.2.2001))

[2] Vgl. mein Punkt 3.3.

[3] So gibt es bspw. manche „Ex-Lesbe“, die inzwischen (so offiziell definiert) heterosexuell lebt, sich aber selbst noch als lesbisch definiert. (vgl. Stein, in: Hark 1996, 155ff)

[4] Womit Lautmann jedoch - das ist im Rahmen dieser Arbeit wichtig zu betonen! - die heterosexuelle Heirat meint.

[5] Ich werde in dieser Diplomarbeit um der besseren Lesbarkeit willen verschiedene Begrifflichkeiten für Homosexuelle verwenden, ungeachtet der Tatsache, daß diese - wie oben beschrieben - in der Diskussion sind.

[6] Wobei diese Definition auf der - von mir nicht geteilten! - Annahme der Dipolarität der Geschlechter beruht. Für homosexuelle Zwitter gelte demzufolge in dieser Arbeit, daß es auch um sie geht, steht in ihrem Paß dasselbe Geschlecht wie das ihrer/ihres Partnerin/Partners - andernfalls könnten sie ja problemlos in den Stand der Hetero-Ehe eintreten.

[7] LPartG vom 16.2.2001. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2001 Teil 1 Nr. 9, S. 266-287.

[8] Wegen der unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat (CDU/CSU-dominiert) wurde das Gesetz gesplittet, um es wenigstens partikular durchbringen zu können. Somit hatte der Bundesrat beim „Partnerschaftsergänzungsgesetz“ „nur“ über den Teil zu entscheiden, in dem es um wesentliche Rechte, mit denen die eingetragene Partnerschaft verbunden sein könnte, ging. Erwartungsgemäß wurden abgelehnt: Eine Gleichstellung bei der Erbschafts- und Grunderwerbssteuer, überhaupt die steuerliche Anerkennung der Partnerschaft und eine Anerkennung im öffentlichen Dienstrecht (vgl. Bürger 2001, 64).

[9] Homosexuelle Beziehungen zwischen Frauen hingegen wurden ab 1851 in Preußen nicht mehr bestraft. Bleibtreu-Ehrenberg sagt, aus der Entstehungsgeschichte dieses Paragraphen ginge hervor, „daß die Beschränkung, so unglaublich es klingen mag, in das Gesetz gekommen ist, ohne daß dies überhaupt beabsichtigt war.“ Die Formulierung sei ein „lapsus linguae“ gewesen, nicht aber gesetzgeberischer Wille. „Im Grunde beruhte diese groteske juristische Fehlleistung auf der inzwischen traditionell geübten Rechtssitte bzw. -unsitte, jene ‘Unkeuschheiten wider die Natur’, die ‘wegen ihrer Abscheulichkeit gar nicht genannt werden können’, vor lauter Tabu-Angst schließlich nurmehr so unpräzise zu bezeichnen, daß am Ende niemand mehr wußte, was damit nun eigentlich in Wahrheit gemeint sein sollte.“ (Bleibtreu-Ehrenberg 1981, 311f) In der BRD blieb bis zuletzt die Straffreiheit für Lesben erhalten, in der DDR-Gesetzgebung hingegen war das nicht der Fall. Während der NS-Zeit gab es keine systematische Verfolgung von Lesben, wohl aber Festnahmen aus anderen Gründen, z.B. asoziales Verhalten oder Prostitution (zur Geschichte der Lesben zur Zeit Nazideutschlands vgl. Claudia Schoppmann: Zeit der Maskierung. Frankfurt/Main (Fischer) 1998).

[10] Interessant ist in diesem Zusammenhang das 1997 von der Nordelbischen Kirche abgelegte „Schuldbekenntnis wegen der jahrhundertelangen Verdammung weiblicher und männlicher Homosexualität durch Theorie und Praxis der Kirche. (...) Staat und Kirche haben über lange Zeit wesentlich zur Ausgrenzung von Lesben und Schwulen beigetragen, indem sie Vorurteile über Normen und Moralvorstellungen immer wieder festgeschrieben haben.“ (Lesbenring-Info April 2002, 9) Theoretisch wird dies bspw. durch die Philosophin Judith Butler unterstrichen, die feststellt, daß „die Konstruktion der Homosexualität als Abgrenzung zur Heterosexualität einen entscheidenden Faktor in der Etablierung und Stabilisierung von heterozentristischen Machtstrukturen ist.“ (Butler, zitiert in: Ohms, in: Bubeck 2000, 25)

[11] Die weitergehende Forderung nach einer Segnung für homosexuelle Paare wird im Punkt 3.1. behandelt.

[12] Die folgende Darstellung bezieht sich auf die Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Thema „Homosexualität und Kirche“: „Mit Spannungen leben“ aus dem Jahr 1996. Zitate in diesem Abschnitt sind einzig dieser Schrift entnommen, weshalb ich mir jeweils eine vollständige Quellenangabe erspare und mich lediglich auf die Angabe der Seitenzahl beschränke.

[13] Wobei Generativität hier im weiteren Sinne verstanden wird als „(biologische) Fortpflanzungsfähigkeit (...) Erziehung und Bildung“ (32).

[14] Ich erinnere nochmals daran: Dieses Papier ist aus dem Jahr 1996, das LPartG trat erst 2001 in Kraft.

[15] Die folgende Darstellung bezieht sich auf die 2000 erschienene Stellungnahme des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur Verbesserung des Rechtsschutzes für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und zur besonderen Bedeutung und Stellung der Ehe „Verläßlichkeit und Verantwortung stärken“. Zitate sind in diesem Abschnitt einzig dieser Schrift entnommen, weshalb ich auch jeweils nur die Seitenzahl angeben werde.

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Kirche kann nicht segnen, was nicht Gottes Wille ist - Die Debatte um die Segnung homosexueller Paare
Hochschule
Evangelische Hochschule Berlin  (Studiengang Ev. Religionspädagogik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
81
Katalognummer
V8713
ISBN (eBook)
9783638156127
Dateigröße
593 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kirche, Gottes, Wille, Debatte, Segnung, Paare
Arbeit zitieren
Julia Daser (Autor:in), 2002, Kirche kann nicht segnen, was nicht Gottes Wille ist - Die Debatte um die Segnung homosexueller Paare, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8713

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