Goethes Begriff der Weltliteratur in der "Italienischen Reise"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Begründungen eines Rückzuges

2. Die Revitalisierung des Künstlerblicks

3. Die drei großen Themen der „Italienischen Reise“
3.1 Die Kunst
3.2 Die Natur
3.3 Der Mensch

4. Goethe findet zu seiner Genialität zurück

5. Der Dichter in Arkadien

6. Die VII. Römische Elegie

Schlussbemerkung

Verzeichnis der Endnoten

Literaturverzeichnis

Einleitung

Der Goethe , der uns in Rom, in Neapel, in Palermo und Venedig begegnet, ist das komplette Gegenteil vom großen, ernstem Denker. Beschwingt vom südlichen Flair des leichten Lebens und des milden Klimas begegnet uns ein Mensch, der wir selber gerne mal wieder wären. Ein Aussteiger auf Zeit, der seine Lebensgeister wiedererweckt, neue Eindrücke sammelt, sich von einem anderem Land und einer anderen Kultur mitreißen lässt. Ein Künstler, dessen Arbeitsalltag in Weimar so frustrierend ist, dass er die Flucht ergreift und sich einen Jugendtraum erfüllt, getreu dem Motto „Auch ich in Arkadien“. In seiner „Italienischen Reise“ erfahren wir zwar viel vom Italien seiner Zeit, den Bauwerken, der antiken Kunst, der Kultur. Was aber viel wichtiger ist, wir können durch die Augen und durch die Seele diesen großartigen Beobachters und Erzählers eine andere Welt entdecken, Goethes Welt und seine Welt sicht. Vor allem dieser Umstand macht die „Italienische Reise“ absolut lesenswert.

In dieser Arbeit möchte ich zunächst die verschiedenen Gründe aufzeigen, die Goethe nach Italien getrieben haben. Hierüber herrscht immer noch Unstimmigkeit, sicher ist nur, dass der Weimarer Minister zu seiner Zeit sehr unzufrieden mit seiner Arbeit war. Hinzu kamen auch persönliche Gründe, die Frau von Stein betrafen. Anschließend möchte ich in einen Rahmen, der die wichtigsten Themen der „Italienischen Reise“ berührt, die Vorstellung von Goethes von Weltliteratur einfließen lassen. Dabei zeigen uns vor allem die verwendeten Motive und Elemente der Intertextualität, wie wir diesen Begriff aus der Sicht des Dichterfürsten definieren dürfen. So werden wir auf den nächsten Seiten Goethes Verehrung für Homer und Klopstock, Shakespeare und Properz begegnen. Aber auch seine Interaktion mit Wieland, Herder und Schiller ist tief in seine Werk eingeflossen, sandte er doch regelmäßig Leseproben und vollendete Werke an die beiden Erstgenannten und orientierte sich sogar ein wenig an ihnen: An Wieland schätzte er den kunstvollen Stil und Herder schrieb er gar zu, in der Wahl seiner Inhalte den antiken Altmeistern gleichzukommen. Mit Schiller verband Goethe erst eine späte Freundschaft, doch die Zusammenarbeit mit ihm gestaltete sich bald erfreulich und ganz in seinem Sinne. So gehe ich in den nächsten Abschnitten ausführlich darauf ein, wie sich Goethes Kunstverständnis in Italien transformiert. Anschließend werfe ich einen Blick auf die drei großen Gegenstände, die unseren Reisenden beschäftigt haben: die Kunst, die Natur und der Mensch. Dazu erwähne ich noch kurz, wie Goethe seine Schaffenskrise in Italien überwindet und einige seiner Werke die Vollendung finden. Danach gehe ich auf das Motto „Arkadien“ und dessen Ursprung ein und schließe mit einer Interpretation der „VII. Römischen Elegie“, die eine enge Verbindung zur Reise Goethes aufweist. Die „Italienische Reise“ scheint mir besonders geeignet, den Begriff der Weltliteratur aus Goethes Sicht zu definieren, kehren doch in diesem Aufenthalt seine mentalen und kreativen Kräfte zurück, die solange brach liegen mussten und fanden doch so viele begonnene Werke ihren Fortgang und Abschluss in diesem Land der Sonne. Die Inspiration, die der Künstler dort erhielt, prägten somit wesentlich nicht nur einen bedeutenden Teil seiner Werke, sondern – durch diese vermittelt - auch das Bild, das wir heute von Johann Wolfgang von Goethe haben.

1. Begründungen eines Rückzuges

War Goethe auf der Flucht oder gar von den Erzählungen des Vaters getrieben, von den Kupferstichen und reichhaltigen Bilddarstellungen des alten Roms, die dieser von seiner Italien-Reise mitbrachte? Oder war er den Weimarer Amtsgeschäften müde geworden nach so vielen Jahren treuer Pflichterfüllung für den Fürsten Carl August? Was konnte überhaupt das Genie Goethe solange in Weimar halten? Ein Mann, ein Künstler, ein Universalgenie, wie es manchmal so schön heißt, fand in Weimar keine Anregungen mehr, sein kreativer Geist verkümmerte und alle wichtigen angefangenen Fragmente seiner Arbeit lagen brach. Oder wollte sich der damals über Dreißigjährige einmal einer gänzlich fremden Welt hingeben, verwöhnt von südlichen Gefilden, in einem Land „wo die Zitronen blühen“? Wahrscheinlich spielen hier viele Gründe eine Rolle, die Goethe-Forschung ist sich bis heute nicht ganz einig darüber. Vermutet wird auch, dass er dem Einfluss der sehr einnehmenden Frau von Stern entfliehen wollte, weil er ihrer Gesellschaft überdrüssig war und sie ihn unter ihren adeligen Freunden und am Hof vom Weimar als „ihren“ Goethe vorstellte. Auch die Geschäfte am Weimarer Hof langweilten ihn mehr und mehr, obwohl man in diesen furiosen zehn Jahren, die Goethe dort verweilte, dem Dichter ein Leben in Fülle und Luxus nachsagte. Mit dem Fürsten auf das Beste verbunden, soll er den Annehmlichkeiten des Lebens keineswegs abgeneigt gewesen sein. Wie es um seine Amtsgeschäfte wirklich stand, vertraute Goethe seinem Freund Knebel in einem Brief vom 17. April 1782 an. Hier schildert er, dass viele seiner Reformprojekte am Widerstand der herrschenden Cliquen gescheitert wären. Dem Kanzler Friedrich v. Müller erklärte er in einem Brief über seine Zeit in Weimar:

„Die wahre Geschichte der ersten zehn Jahre meines Weimarischen Lebens könnte ich nur im Gewande der Fabel oder des Märchens darstellen; als wirkliche Tatsache würde die Welt es nimmermehr glauben...ich würde vielen weh, vielleicht nur Wenigen wohl, mir selbst niemals Genüge tun; wie es im Einzelnen zugegangen, bleibe mein eigens Geheimnis"1

Was sagt also der Künstler selbst zu seiner Reise? Lassen wir an dieser Stelle zu Wort kommen:

„(..)denn ich muss gestehen, da meine Reise eigentlich eine Flucht war vor allen den Unbilden, die ich unter dem einundfünfzigsten Grade erlitten, da ich Hoffnung hatte, unter dem achtundvierzigsten ein wahres Gosen zu betreten.“2

Ein wahres Gosen möchte Goethe unter dem 48sten Breitengrad betreten, der Wetterexperte benutzt die Breitengrade, um seine Position zu bestimmen. Doch nicht nur die örtliche Position ist hier angesprochen, auch die gefühlsmäßige „Lage“ kann mit den Breitengraden symbolisch verbunden werden. Seine Flucht, welche er hier mit dem alttestamentarischen Gosen der Hebräer in das Gelobte Land vergleicht, wird zu einer heiligen Aufgabe für ihn. Um sein Heil zu finden, muss er in südliche Gefilde wandern, nur dort glaubt er Erlösung zu finden.

Die Motivation Goethes wird natürlich um so fraglicher, als dass zwischen Entstehung und Publikation des Werkes etwa 30 Jahre liegen. Es handelt sich hierbei also keinesfalls um ein „unmittelbares“ Werk, das Tagebuch-Charakter haben könnte, bei dem die Absichten und innere Welt es Autors sehr viel einfacher abzulesen wäre. Normalerweise wird ein Tagebuch nicht geändert, redigiert oder umgeschrieben, es verbleibt in seiner Wahrhaftigkeit.

Gleich zu Beginn der Italienischen Reise wird der Verfasser über die Gründe seiner Reise noch deutlicher. Er muss sich aus Karlsbad „fortstehlen“, da man ihn sonst nicht hätte abreisen lassen. Es sieht fast so aus, als würde ein Schuljunge von seinem Elternhaus ausreißen, ohne auch nur irgendjemandem außer seinem Privatsekretär sein Ziel zu verraten. Wie groß müssen die Hindernisse gewesen sein, wenn sich so ein mächtiger Mann wie Goethe es sich nicht erlauben will – oder kann - jemandem von seinen Absichten in Kenntnis zu setzen? Vielleicht bringt uns hier die Frage nach den Motiven der Flucht weiter. Welche Wünsche und Ziele verbindet Goethe mit Italien? Eine Antwort finden wir vielleicht in folgendem Zitat:

„Ich mache diese Reise nicht, um mich selbst zu betriegen, sondern mich an den Gegenständen kennen zu lernen; da sage ich mir denn ganz aufrichtig, daß ich von der Kunst, von dem Handwerk des Malers wenig verstehe.“3

Er möchte sich an den Gegenständen kennen lernen, was eine Art Lernen oder Weiterbildung bedeuten könnte. Vielleicht auch Selbsterkenntnis oder ein „Zu-sich-finden“ in Kontemplation. Weiter Hinweise finden wir bei seiner Ankunft in Rom, seine Äußerungen lassen auf eine Art Erlösung schließen:

„Ja, die letzten Jahre wurde es eine Art von Krankheit, von der mich nur der Anblick und die Gegenwart heilen konnte. Jetzt darf ich es gestehen; zuletzt durft’ ich kein lateinisch Buch mehr ansehen, keine Zeichnung einer italienischen Gegend. Die Begierde, dieses Land zu sehen, war überreif: da sie befriedigt ist, werden mir Freude und Vaterland erst wieder echt aus dem Grunde lieb und die Rückkehr wünschenswert“4

Ganz konkret spricht Goethe in einer seiner Schriften5 über die Gründe der Reise nach Rom. Er zitiert hier den Literaturprofessor Johann Jakob Anton Ampére, welcher die Beobachtung geäußert habe, dass Goethe in seinen ersten zehn Jahren in Weimar keine Arbeit habe erstellen können und dass er aus reiner Verzweiflung über das Hof- und Dienstleben geflüchtet sei. Ampére besuchte Goethe im Jahre 1827 in Weimar, beschäftigte sich aber schon lange vorher mit dem Leben und den Werken des Dichters. Da Goethe ihn an dieser Stelle selber zitiert, also eigentlich mit der Stimme seines eigenen Kritikers spricht, muss man diesen Äußerungen eine große Bedeutung zumessen und wahrscheinlich hier die wahren Beweggründe für seine Italienreise sehen.

2. Die Revitalisierung des Künstlerblicks

Kaum in Italien angekommen, fühlt Goethe nicht nur eine tiefe Verbundenheit mit diesem Land, sondern sieht sich erstmals in der Lage, wahrhaft den großen Homer zu verstehen. Eingebettet in die südländische Umgebung und umringt von Monumenten eines anderen Äons fühlt der Dichter erstmals die Verse des Homer wahrhaftig werden. Die „unsägliche Natürlichkeit dieser epischen Vergegenwärtigung“6 überfordert ihn fast, wirft ihn ganz auf sich selbst zurück. Eine sich durch die gesamte Italienische Reise ziehende Bezugnahme auf den Ependichter der Ilias und der Odyssee nimmt Beginn in den Betrachtungen der Altertümer, im Aufnehmen dieser griechischen Tempel aus (vor-)homerischer Zeit auf italienischem Boden:

„Es liegt in meiner Natur, das Große und Schöne willig und mit Freuden zu verehren, und diese Anlage an so herrlichen Gegenständen Tag für Tag, Stunde für Stunde auszubilden, ist das seligste aller Gefühle.“7

Weiterhin schreibt er:

„Seit Sternes unnachahmliche „Sentimentale Reise“ den Ton gegeben und Nachahmer geweckt, waren Reisebeschreibungen fast durchgängig den Gefühlen und Ansichten des Reisenden gewidmet. Ich dagegen hatte die Maxime ergriffen, mich soviel als möglich zu verleugnen und das Objekt so rein, als nur zu tun wäre, in mich aufzunehmen“8

Schon an diesen zwei Sätzen lässt sich Goethes Vorgehensweise in seinem Reisetagebüchern ableiten. Nicht das Subjekt steht im Vordergrund, also er selbst als der Beobachter oder der Reisende, sondern das Objekt, das zu Betrachtende und zu Erforschende. Goethe erläutert seine Technik des Beschreibens hier als einen Prozess des „in-sich-aufnehmens“. Vielleicht könnte man dies als ersten Schritt sehen in diesem Prozess des Wahrnehmens. Goethe befindet sich gerade in Venedig, da spricht er von venezianischen Malern und dass sich deren Augen von Grund auf an andere Eindrücke – schönere - gewöhnen als die unserigen, deutschen:

[...]

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Goethes Begriff der Weltliteratur in der "Italienischen Reise"
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Veranstaltung
Goethes Begriff der Weltliteratur
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
26
Katalognummer
V86986
ISBN (eBook)
9783638022149
Dateigröße
421 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Goethes, Begriff, Weltliteratur, Italienischen, Reise, Goethes, Begriff, Weltliteratur
Arbeit zitieren
Carolin Althaus (Autor:in), 2007, Goethes Begriff der Weltliteratur in der "Italienischen Reise", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86986

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Goethes Begriff der Weltliteratur in der "Italienischen Reise"



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden