Puzzle aus Bildern

Elaine Risleys Zerfall und Rekonstruktion der eigenen Identität in Margaret Atwoods Cat’s Eye


Hausarbeit, 2004

26 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

2 PSYCHOLOGISCHE ANSÄTZE
2.1 Ursachenforschung
2.2 Regression und Kunst

3 DER WEG ZUM EIGENEN STIL
3.1 Emotionsloses Betrachten als Zeichen der Zerspaltung
3.2 Faszination Reflektion

4 RETROSPEKTIVER BLICK
4.1 Vom Realen zum Imaginären
4.2 Zusammenfügen zum Ganzen
4.3 Multiperspektivität

5 ERKENNTNISZUWACHS

6 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

Margaret Atwood ist mit ihrem Roman Cat’s Eye ein von Spiegelungen und Bildern durchzogenes Werk gelungen. Letztere sollen Gegenstand dieser Arbeit sein. Unter Zuhilfenahme psychologischer Ansätze und der emotionalen Entwicklung der Malerin Elaine Risley werde ich mich zunächst dem Zerfall ihrer Identität zuwenden. Hauptaugenmerk dieser Arbeit soll jedoch auf dem Prozess ihrer Identitätsfindung liegen, die sehr starke Parallelen zur künstlerischen Entwicklung und der Betrachtungsweise ihrer eigenen Bilder aufweist. Weiterhin wird ein kurzer Einblick in die Perspektivenvielfalt in Cat’s Eye gegeben, sowie eine Einschätzung über den finalen Erkenntnisstand der Protagonistin.

2 PSYCHOLOGISCHE ANSÄTZE

2.1 Ursachenforschung

Elaine führt bis zu ihrem achten Lebensjahr eine ungewöhnliche Kindheit. Sie wächst in der Kanadischen Wildnis auf, ohne einen engeren Bezug zu Menschen außerhalb ihres eigenen Elternhauses. Später zieht die Familie nach Toronto, einer Großstadt, die ein vollkommenen neues Umfeld bietet. Nicht nur die Größe der Besiedlung und die Menschenmassen sind ungewohnt, sondern vor allem das Sozialgefüge. Elaine hat keine Ahnung, welche gesellschaftlichen Codes sie befolgen muss, ganz besonders im Hinblick auf Strukturen innerhalb weiblicher Gefüge. Diese „Schwäche“ wird rasch von den drei befreundeten Mädchen, besonders aber von Cordelia erkannt und zu deren Vorteil genutzt. So wird Elaine über einen Zeitraum von zwei Jahren „improved“[1], was sich meist in verbalen Quälereien und Erniedrigungen äußert. In der Begebenheit in der Schlucht, bei der Elaine fast zu Tode kommt, während die Mädchen sie allein lassen, findet sich der Höhepunkt der Quälerei. Schon vorher hat Elaine es geschafft, sich emotional temporär von ihrer Misere zu trennen. Das Katzenauge, eine Murmel, ist hierbei ihr Projektionsobjekt (191). Somit ist Elaine überhaupt in der Lage, mit ihrer Situation umzugehen. Sie wird in dieser Zeit zunehmend passiver gegenüber anderen Dingen im Leben. Doch nach ihrer traumatischen Nahtoderfahrung trennt sie sich gänzlich, sowohl von ihrer emotionalen Seite, als auch von den drei Peinigerinnen.

Die psychische Abspaltung ihrer Emotionen stellt einen Akt der Verdrängung ins Unterbewusste dar. In manchem Fall wendet sich ein Individuum einem Verhalten zu, das „früheren Phasen seelischer Entwicklung“[2] entspricht, von Freud als Regression terminologiert. Diese zeigt sich in einem „…seelischen Abwehrmechanismus […], der in spezifischer Weise darauf gerichtet ist, die Probleme, Sorgen, Unlustgefühle, Ängste und Frustrationen so zu unterlaufen, dass sie […] inexistent werden.“[3]

In Elaines Fall basiert die Verdrängung primär auf Problemen, die hier schon geschildert wurden. Verstärkt durch den Druck der Mädchen hegt Elaine immense Selbstzweifel. Sie beginnt sich selbst zu strafen, indem sie sich bewusst Schmerzen zufügt. Hier kommt es durch Externalisierung der seelischen Qualen zu einer Einheit zwischen psychischem und physischem Schmerz. Deswegen kann man davon ausgehen, dass Elaine später versucht, sich ihres gefühlsintensiven Teils, durch dessen Verdrängung ins Unterbewusste, zu entledigen, um ein gesamtkörperliches und -seelisches Wohlbefinden weitestgehend aufrecht erhalten zu können. Anders ausgedrückt, wenngleich hier auch nur auf das Seelenheil bezogen, war Elaines „[…] Psyche um eine Wiederherstellung der Balance ihrer Funktionen […] bemüht.“[4]

Regression zeigt sich primär in dem Zurückgreifen auf kindliche Verhaltensmuster, es „stellt […] eine Widerholung früherer Phasen unter späteren, d.h. veränderten Bedingungen dar.“[5] Das prägnanteste Beispiel zu dieser Thematik im Roman ist das Streitverhalten von Elaine gegenüber Jon, ihrem ersten Ehemann. Die ersten Auseinandersetzungen laufen mit gedämpften Worten ab, hier mit der Begründung, die gemeinsame Tochter nicht zu verängstigen. Ihnen liegen meist Lappalien zugrunde und sie sind als kindisch anzusehen, wie Elaine es ausdrückt: „We fight over our right to remain children.“ (457) Außerdem verliert sie wiederholt die Streitgespräche. „If I were to win them, the order of the world would be changed, and I am not ready for that.“(457) Ihrer Ansicht nach darf sie nicht gewinnen, weil dies gegen eine Regel verstoßen würde, die sie seit ihrer Kindheit verinnerlicht hat. Auslöser für diesen Gedanken ist der Umgang und die Machtverteilung mit ihrem Bruder Stephen. Auch mit ihm liefen die Wortgefechte vornehmlich leise und im Geheimen ab, und auch diese hat sie immer verloren. Als Grund gibt sie an, dass „Stephen is bigger and more ruthless than I am, and I want to play with him more than he wants to play with me”(32). Dadurch entstand ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis, welches Elaine während ihrer Auseinandersetzungen mit Jon rekapituliert. Es würde bei Nichtbefolgen der Rolle der Untergebenen zu einer enormen Erschütterung in ihrem Inneren kommen. Ihr Weltverständnis würde aus dem Gleichgewicht geraten, eine Situation, mit der sie nicht umgehen könnte.

Später werden die Konfliktsituationen mit Jon durch das Werfen von Gegenständen verschärft. Während Jon Gegenstände wirft, die keine großen physischen Schmerzen hervorrufen können, greift Elaine zu schweren Dingen, wie beispielsweise Aschenbecher (463). Momente später bereut sie ihr Vorgehen, doch in dem Augenblick des Werfens unterschätzt sie die zerstörerische Wirkung ihrer Handlung. Die Unfähigkeit Folgen abschätzen zu können ist eine unter Kindern beobachtbare Eigenschaft. Hieran wird erkenntlich, dass Elaine in diesen Momenten ebenfalls auf unreife Verhaltensweisen ihres kindlichen Ichs zurückgreift.

Im späteren Verlauf des Romans lässt Elaine Emotionen in ihrem Leben zunehmend zu. Für den Moment soll diese Aussage nur als Fakt ohne Ursachenforschung hingestellt sein. In Kapitel 4. 1. dieser Arbeit wird noch detaillierter Bezug auf Elaines emotionale Entwicklung genommen. Die Protagonistin zieht mit ihrer Tochter nach Vancouver. Dieser Ortswechsel stellte eine Flucht dar und lag in ihrer Suizidangst begründet. In der neuen Stadt angekommen, merkt Elaine, dass ihre Angst, sich selbst zu schaden nicht mit dem Umzug verschwunden ist. Sie beschließt, einen Psychologen zu konsultieren, denn „[…] that is an accepted thing to do, now, for people who are not in balance, and I am not.”(509). Zunächst versucht der Spezialist anhand von Elaines Kindheit den Problemen auf den Grund zu gehen und geht insbesondere auf die Zeitspanne bis zum sechsten Lebensjahr ein. Dieses Vorgehen lässt sich leicht durch folgende Aussage von Heuermann nachvollziehen:

Der mächtigste Auslöser regressiver Wünsche ist nach übereinstimmender Überzeugung der Psychoanalytiker […] jene frühkindliche Phase, die als präpersonal, vor Bildung der eigentlichen Persönlichkeit liegend, angesehen wird. Es ist die Phase, in welcher ein Differenzierungsprozeß von Bewusstem und Unbewusstem noch nicht stattgefunden hat, […][6]

Da die Ursachen für Elaines Neurose erst in späteren Kindesjahren zu finden sind, und diese nicht explizit in den therapeutischen Sitzungen zur Sprache kommen, bleiben sie unentdeckt. Erschwert wird die Therapie durch die unkooperative Haltung Elaines. Diese entsteht nicht aus Misstrauen gegenüber ihrem Therapeuten, denn Elaine beschreibt ihn zunächst als Mann – mit denen sie sich verbündet fühlt (221) – um dann das Attribut „nice“ hinzuzufügen (508). Vielmehr ist anzunehmen, dass Elaine noch nicht bereit ist, zu erfahren, worauf ihre Probleme fußen. Obwohl ihr bewusst ist, dass sie keine Erinnerung an zwei ganz bestimmte Jahre in ihrem Leben hat und sich darüber auch wundert (447), lenkt sie die Gespräche nicht in diese Richtung. Als Elaine darauf angesprochen wird, dass sie Aspekte zu verheimlichen versucht (508), bricht sie letztendlich die Therapie ab. Sie befindet sich in einem Abschnitt ihres Lebens, in dem sie alle Kraft darauf verwenden muss, sich und ihrer Tochter eine Zukunft in der neuen Stadt aufzubauen. Somit hat sie einen Grund gefunden, sich nicht mit verborgenen Ängsten zu beschäftigen, von denen sie sicher weiß, dass sie existieren (544).

2.2 Regression und Kunst

Ernst Kris behandelt in seinem Buch Die ästhetische Illusion unter anderem das Phänomen von Regressionstendenzen bei Künstlern. Dies soll keinesfalls den Künstler als generell unter Regression leidend pauschalisieren. Es soll lediglich ausdrücken, dass sich gewisse Parallelen finden lassen zwischen den Vorgängen in Personen während einer schöpferischen Phase und solchen in Menschen, die oben genannte Symptome tatsächlich aufweisen. Zudem bezieht sich der Term Regression nicht per se auf eine Psychose, sondern kann auch in abgeschwächter, kontrollierbarer Form betrachtet werden.

Kris stellt die These auf, dass ein Künstler während seines Schaffungsprozesses, gleich welcher Art, zeitweilig in Phasen verfällt, in denen das Es, das Unbewusste, die Steuerung von Gedanken und schöpferischer Hand übernimmt, um ästhetische Objekte zu erschaffen. Hartmut Heuermann fasst die Aussage Kris’ folgendermaßen zusammen:

Ernst Kris spricht […] von ‚Inspirationsphase’ gegenüber ‚Ausarbeitungsphase’. Die inspirative Phase ist durch momentane Durchlässigkeit der Ich-Grenzen charakterisiert; die es den Es-Impulsen gestattet, in das Ich-System einzudringen. Abwehrmaßnahmen werden deaktiviert und die Strebungen des Unbewussten vorübergehend zugelassen.[7]

So kann ein Künstler frei von jeglichen Zwängen, die ihm von außen auferlegt sind, das zu Papier, oder auf Leinwand bringen, was ihn innerlich bewegt und in Abständen das Geschaffene überprüfen und mit den reellen Vorlagen etc. abstimmen.

[...]


[1] Margaret Atwood. Cat’s Eye (Toronto: Seal Books, 1999) 159. Die Seitenangaben der folgenden Zitate des Primärtextes werden im Text in Klammern angegeben.

[2] Hartmut Heuermann. Medien und Mythen: die Bedeutung regressiver Tendenzen in der westlichen Medienkultur (München: Fink, 1994) 31

[3] Medien und Mythen 13

[4] Medien und Mythen 31

[5] Medien und Mythen 35

[6] Hartmut Heuermann. Medien und Mythen: die Bedeutung regressiver Tendenzen in der westlichen Medienkultur (München: Fink, 1994) 24

[7] Hartmut Heuermann. Medien und Mythen: die Bedeutung regressiver Tendenzen in der westlichen Medienkultur (München: Fink, 1994) 49

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Puzzle aus Bildern
Untertitel
Elaine Risleys Zerfall und Rekonstruktion der eigenen Identität in Margaret Atwoods Cat’s Eye
Hochschule
Universität Mannheim
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V86922
ISBN (eBook)
9783638027540
Dateigröße
424 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Puzzle, Bildern
Arbeit zitieren
Stephanie Peiker (Autor:in), 2004, Puzzle aus Bildern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86922

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