„[...] qvaddi þá Gunnarr sem konungr scyldi [...]“

Das ‚Heldenhafte‘ in der Atlakviða


Seminararbeit, 2006

18 Seiten, Note: 1,7

Katrin Sakowski (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Heldendichtung – das Eddische Heldenlied
2.2 Atlakviða
2.2.1 Ursprung und Überlieferung
2.2.2 Inhalt
2.2.3 Struktur
2.2.4 Stilistik
2.2.5 Vergleich zu Atlamál en grœnlenzku – inhaltlich und strukturell
2.2.6 Vergleich zum Nibelungenlied - inhaltlich
2.3 Heldenhafte Charaktere in der Atlakviða

3. Schluss

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Was sind Helden? Was ist Heldendichtung? Wozu dienten die eddischen Heldenlieder? Zeigt die Atlakviða Helden? Ich werde zunächst versuchen, die Begriffe Heldendichtung und eddisches Heldenlied zu erläutern. Ich werde auf ihren Inhalt, ihre verschiedenen Formen und das ihnen zugehörige Heldenbild eingehen. Im zweiten Teil meiner Ausführungen beschäftige ich mich mit der Entstehung und Überlieferung, dem Inhalt, der Struktur und dem Stil der Atlakviða und ziehe einige inhaltliche und strukturelle Vergleiche zur Atlamál en grœnlenzku und dem mittelhochdeutschen Nibelungenlied. Bezüglich des Nibelungenlieds werde ich mich jedoch nur den inhaltlichen Merkmalen zuwenden, da das Nibelungenlied einer gänzlich anderen Gattung als die Atlakviða angehört und damit für meine Absichten zu weit führen würde. Abschließend werde ich mich erneut der oben genannten Frage stellen, inwiefern die einzelnen Charaktere als heroisch zu verstehen sind.

2. Hauptteil

2.1 Heldendichtung – das Eddische Heldenlied

Heldendichtungen sind eine zu allen Zeiten und weltweit existierende literarische Erscheinung. „[...] es gibt in Geschichte und Gegenwart [...] keine Gesellschaft, die auf Helden und Heldinnen verzichtet [...]“[1] Sie wurden fast ausschließlich in geformter Sprache und in unterschiedlicher Form (z.B. in einzelnen Liedern oder langen Epen) tradiert. Ihre Zeugnisse reichen vom 5. bis ins 15. Jahrhundert. Heldendichtungen hatten identitätsstiftende und erzieherische Funktionen inne. Sie vermittelten Werte einer bestimmten sozialen Gruppe und dienten in schriftlosen Kulturen der Existenzdeutung und Sinnkonstruktion.[2] Im Mittelpunkt der Heldendichtungen stehen Personen, die aufgrund ihrer kämpferischen Leistungen[3] oder Tugenden bewundert werden, die „[...] eine bewundernswerte Tat oder mehrere Taten [...] [vollbringen], in denen sich das Heldenhafte manifestiert.“ Den Helden zeichnet also eine Summe bestimmter Eigenschaften und ein bestimmtes heroisches Verhalten aus. Beispiele heldischer Normen sind körperliche Stärke, Tapferkeit, Selbstüberwindung, Todesbereitschaft, aber auch Schönheit und intellektuelle und moralische Fähigkeiten (Großgesinntheit, Ehre, Treue). Diese Heldenbilder passen sich dem Normensystem ihrer jeweiligen Gesellschaft an und sind entsprechend veränderbar. Helden sind gewöhnlich männlich. Doch auch Frauen treten in einigen Formen der Heldendichtung als Träger heldischer Tugenden auf.[4] Einige Wissenschaftler vertreten die Ansicht, dass Helden einem vorbestimmten Schicksal unterworfen sind, dem sie sich nicht entziehen können. Dieses Schicksal wird ihnen meist in Orakeln und Weissagungen vorausgesagt. Doch diese Annahme ist umstritten.[5] Das Schicksal des Helden gipfelt häufig in seinem Tod, wobei „[...] Heldendichtung keineswegs immer auf den Heldentod als Höhepunkt des Heldenlebens ausgerichtet [ist].“[6] Das dargestellte Geschehen ist an bestimmte geschichtliche Ereignisse geknüpft, die im Laufe der Überlieferung verblassten und literarisiert wurden. Historische Persönlichkeiten und Ereignisse sind somit Kern vieler Heldendichtungen. Diese sind dem heroic age der jeweiligen Gesellschaft entnommen, einem als heroisch geltenden Zeitalter, dass mit einer Phase der Unruhe verbunden ist, in der alte Bindungen und Wertvorstellungen zerbrechen, Tragik und Untergang vorherrscht und Kämpfe zu bestehen sind. Laut Forschung kursierten die ältesten Heldendichtungen „[...] wahrscheinlich als einfache mündl. Prosaerzählungen [...]“[7], auf denen auch das eddische Heldenlied fusst.[8]

Die germanische Heldendichtung tritt in Skandinavien oft in der Form des Heldenlieds auf, deren „[...] Großteil [...] sich im Codex Regius der Lieder-Edda [befindet]“[9]. Die 18 Heldenlieder der Lieder-Edda wurden laut Forschung um 1270 zusammengestellt und aufgezeichnet. Ihre Überlieferungstraditionen reichen vermutlich vom 12. bis ins 4. nachchristliche Jahrhundert zurück. Für ihre Entstehung werden meist unterschiedliche Daten angegeben, da es für ihre genaue Datierung nur wenig Anhaltspunkte gibt.[10] Auch der zeitliche und geographische Ursprung der Lieder-Edda ist umstritten. Einigen Forschungsthesen zufolge vermutet man in ihr entweder die Aufzeichnung mündlich tradierter Heldensagen oder eine Abschrift eines bereits schriftlich niedergelegten, wenn auch heute verschollenen Originals. Ihren geographischen Ursprung könnten diese Vorlagen je nach Forschungsposition in Island oder auch in Norwegen gehabt haben[11], wobei die heutige Forschung eher zu Island tendiert. Die Lieder-Edda ist anonym überliefert, die Autoren der einzelnen Lieder sind in der Regel unbekannt.[12] Arnulf Krause nimmt an, dass es „[...] nur einen Schreiber [gegeben habe], der vermutlich mehrere schriftliche Vorlagen benutzte [...]“[13] Die eddischen Heldenlieder wurden in Erinnerung an große Geschehnisse der Völkerwanderungszeit (Burgundenuntergang, Hunnenkriege,u.a.) entwickelt, aus der sie ihre Heldenfiguren[14] gewannen. Die dem heroic age entnommenen historischen Ereignisse wurden in eine Kernform gebracht und literarisch verändert. Historische Personen, die häufig niemals aufeinander trafen, wurden in einem Familienkonflikt miteinander und mit anderen, nur in der skandinavischen Überlieferung existierenden Figuren (z.B. Helgi) verbunden. Die skandinavische Überlieferung bearbeitete demzufolge diese ursprünglich kontinentalen Sagenstoffe, die über Deutschland, England oder osteuropäische Staaten[15] nach Skandinavien gelangten, in unterschiedlichem Maße und passte sie (u.a. durch Namensänderungen oder Hinzufügen neuer Figuren) der eigenen Umwelt und Kultur an. Im Codex Regius der Lieder-Edda wurden auch die einzelnen Heldenlieder entsprechend einer Genealogie zueinander und chronologisch geordnet in einen inhaltlichen Zusammenhang gebracht, dass heißt durch familiäre Bande einander angeschlossen. Sie beinhalten die nordische Version der Nibelungensage, die mit den vorausgehenden genuin nordischen Helgiliedern und der anschließenden Schilderung von Ermanarichs Tod verbunden werden. Helgi Hundingsbani wird durch verwandtschaftliche Beziehungen an Sigurðr (nordische Entsprechung des mhd. Siegfried) und damit an das Geschlecht der Nibelungen geknüpft. Er ist der Halbbruder von Sigurðr.

Die eddischen Heldenlieder sollten in einer Zeit, die von innerer Unruhe und Konflikten geprägt war, als Abbild der altgermanischen Lebenshaltung und als Vorbild dienen und durch das Aufrufen einer großen Vergangenheit Identität stiften und gegenwärtige Konflikte bewältigen helfen.[16] Sie galten als notwendiges Organ der gesellschaftlichen Moral und konnten am Anfang einer Schlacht den Mut der Kämpfenden anfeuern[17]. In der Regel wurden sie jedoch in den Hallen der Mächtigen (z.B. Fürsten) von Sängern oder Skalden vorgetragen. Es ist umstritten, ob dies in Vers – oder Liedform (gesungen) geschah. Das Heldenbild der eddischen Heldenlieder übernimmt die meisten der oben genannten Tugenden und fügt noch weitere hinzu. Die handelnden Charaktere sind häufig große Krieger und mächtige Herrscher, denen außergewöhnliche Fähigkeiten zugeschrieben werden (z.B. Sigurðr’s Unverwundbarkeit durch seine Drachenhaut), die ruhmvolle Taten begehen und unerhörte Schicksale erleiden. Ein bestimmtes heroisches Verhalten zeichnet sie aus, das sie dazu bringt, ihr oft vorherbestimmtes Schicksal zu erleiden und nicht davor zu fliehen. Es herrscht oft Tragik vor: Verwandte müssen einander töten. Ganze Geschlechter gehen unter. List, Betrug und Mord bestimmen häufig das Geschehen. Die eddischen Heldenlieder sollen erschüttern. Am Ende des Heldenliedteils des Codex Regius steht die „[...] absolute, im Untergang der letzten Familienmitglieder endende Katastrophe [...]“[18], in der ein pessimistisches Weltbild offenbar wird. Fast alle Heldenlieder des Codex Regius sind strophisch aufgebaut. Es wird eine relativ einfache, prosanahe Syntax verwendet, der ein einfaches Metrum zugrunde liegt. Die Heldenlieder verwenden ausschließlich den Stabreim, der Anlaute sinntragender Wörter einer Zeile miteinander verbindet. Überwiegend wird das eddische Versmaß fornyrðislag verwendet, manchmal auch málaháttr[19]. Es wurde sich folglich weniger einfacher Versmaße bedient, die durch gewisse metrische Freiheiten in den einzelnen Liedern ergänzt wurden. Hinsichtlich der Länge und des Aufbaus variieren die eddischen Heldenlieder. Die älteren Lieder dieser Art, die in der Forschung häufig als Ursprung und klassische Variante dieser Gattung angesehen werden, umfassen meist eine vollständige Heldensage, die von einem bestimmten Gesichtspunkt aus betrachtet wird und in der nur die wichtigsten Handlungsmomente dargestellt werden. Sie sind dadurch häufig sehr kurz. Sie beinhalten oft nur zwischen 20 und 50 Strophen. Erst die jüngeren Lieder gehen über diesen Umfang hinaus. Figuren werden relativ archaisch geschildert. Sie werden nicht beschrieben, da sie eher als Handlungsträger fungieren. In den älteren eddischen Heldenliedern wird v. a. Handlung dargestellt und weniger die inneren Konflikte der handelnden Personen. Eine Besonderheit der Eddischen Heldenlieder ist das von Heusler geprägte doppelseitige Ereignislied, das von diesem als ältester und ursprünglicher Typus der Heldendichtung angesehen wird. Als altnordischer Ausdruck für diese Darstellung soll laut Heusler der Wortzusatz kviða (wie im Beispiel der Atlakviða) stehen. Nach Heusler wird diese Art der Darstellung am reinsten u.a. in der Atlakviða repräsentiert.

[...]


[1] Krause, A. (Hrsg.): Heldenlieder der Älteren Edda. Stuttgart 2001; S.282

[2] Uecker, H.: Geschichte der altnordischen Literatur; S.219

[3] Vgl. Dinzelbacher: Sachwörterbuch Mediävistik; S.324; Anm: häufig Angehörige des Kriegeradels, die als exemplarische Ideale der herrschenden Schicht gefeiert werden

[4] Reallexikon der germanischen Altertumskunde; S.263

[5] Ebd.; S.270

[6] Ebd.

[7] Dinzelbacher: Sachwörterbuch Mediävistik, S.325

[8] Ebd.

[9] Simek: Lexikon der altnordischen Literatur, S.158

[10] Vgl. Einarsson, Stefan: A history of Icelandic Literature, S.18; Anm.: z.B. aufgrund linguistischer und metrischer Studien

[11] Vgl. Einarsson, Stefan: A history of Icelandic Literature, S.18

[12] Anm.: Als Verfasser des Codex Regius der Lieder-Edda nahm man ursprünglich den Gelehrten Sæmundur fróði Sígfússon an. Dies ist jedoch bereits widerlegt, da die Handschrift erst 200 Jahre nach diesem entstanden ist.

[13] Krause, A.: Die Heldenlieder der Älteren Edda, S. 291

[14] Anm.: Stoffkreis um Siegfried, Gunther, Etzel, Kriemhild u.a.

[15] Vgl. Krause, A.: Die Heldenlieder der Älteren Edda, S.289

[16] Vgl. Uecker, H.: Geschichte der altnordischen Literatur; S.217; Anm.: gemeint ist das 13 Jh., in dem der Codex Regius der Lieder-Edda verschriftlicht wurde.

[17] Vgl. Uecker, H.: Geschichte der altnordischen Literatur; S.233; Anm.: Bsp. ist das dänische Bjarki-Lied, welches angeblich vor dem Beginn der Schlacht von Stiklastaðir 1030 von einem der Skalden auf Geheiß König Olaf des Heiligen vorgetragen wurde.

[18] Ebd.; S.218

[19] Anm.: eigentlich nur eine leichte Variante des fornyrðislags

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
„[...] qvaddi þá Gunnarr sem konungr scyldi [...]“
Untertitel
Das ‚Heldenhafte‘ in der Atlakviða
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
18
Katalognummer
V86825
ISBN (eBook)
9783638021975
Dateigröße
421 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gunnarr
Arbeit zitieren
Katrin Sakowski (Autor:in), 2006, „[...] qvaddi þá Gunnarr sem konungr scyldi [...]“ , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86825

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