Die Stellung der Musiktheaterwerke der 1910er Jahre in Giacomo Puccinis Musiktheaterschaffen


Seminararbeit, 2007

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einführung
1.1 Thematische Einführung und Zielsetzung
1.2 Wissenschaftliche Vorgehensweise

2. Ausführung
2.1 Stoff und Libretto
2.2 Krieg und Internationalismus
2.3 Melodie und Kantabilität
2.4 Konzeption und Dramaturgie

3. Zusammenführung

4. Bibliographie
4.1 Literatur
4.2 Lexikonartikel
4.3 Musikalien
4.4 Materialanhang

1. Einführung

1.1 Thematische Einführung und Zielsetzung

Als einen in mancherlei Hinsicht bedeutsamen Einschnitt in Giacomo Puccinis Musiktheaterschaffen nehmen einschlägige Puccini-Biographen[1] die Zeit zwischen der Uraufführung der Madame Butterfly am 17. Februar 1904 und der Uraufführung der Fanciulla del West am 10. Dezember 1910, immerhin sechs Jahre, wahr. Diese „längere Pause, die sich zum einen aus der Suche nach neuen Sujets, zum anderen aus der Biographie erklärt“[2] wird immer wieder dramatisch betitelt mit „Jahre des Suchens“[3], wie bei Wolfgang Marggraf, oder „Lebenskrisen“[4], wie in Dieter Schicklings Puccini-Biographie. Jürgen J. Leukel spricht von „Neubesinnung und einem neuen Bewusstsein“[5], aus dem Puccini in den nächsten Jahren drei Musiktheaterwerke komponiert: La fanciulla del West (1910), La Rondine (1917) und Il trittico (1918).

Diese drei so unterschiedlich anmutenden Werke für Musiktheater, eine „Wildwest-Oper“[6], eine lustige Oper im Stil der Wiener Operette und eine Einakter-Trilogie, dennoch als in Bezügen stehend aufzufassen und sie in ihrer Stellung als „Musiktheaterwerke der 1910er Jahre“ in Giacomo Puccinis Musiktheaterschaffen zu verorten, soll Thema dieser Hausarbeit sein. Dabei kann es jedoch nicht um eine totalitäre Einordnung und Kategorisierung gehen; vielmehr sollen, Musik vor allem auch als dynamischen Prozess verstehend, Zusammenhänge wie Konzeption, Enstehung, Dramaturgie und Kompositionsweise der musikalischen Werke untersucht werden. Daraus resultiert zudem, dass das Einzelwerk in dieser Arbeit stark in den Hintergrund tritt. Ausführliche Inhaltsangaben und detailreiche Entstehungsberichte finden sich hier nicht, der Fokus soll klar auf Gemeinsamkeiten ideeller Strukturen gerichtet sein.

1.2 Wissenschaftliche Vorgehensweise

Als wissenschaftliche Arbeitsmethode bietet sich in diesem Fall eine stark strukturalistische an; geht es doch, sehr reduziert natürlich, bei der Frage nach der Stellung der Musiktheaterwerke der 1910er Jahre, in den ersten Schritten um einfache Vergleiche: Was unterscheidet La fanciulla del West, La Rondine und Il trittico von allen anderen Opern Puccinis? Und was haben sie aber miteinander gemeinsam?

Durch Listen[7] zu verschiedenen Themenbereichen wie dem Genre, der Anzahl der Akte, den Librettisten, der Vorlage, dem Genre der Vorlage oder dem Ort der Uraufführung, kanalisierte sich die Untersuchung bald auf Schwerpunkte und es trennten sich wissenschaftliche Wege mit Ergebnissen von Sackgassen. Doch es sollen hier nicht nur die Themen präsentiert werden, die sich in der Recherche bewährten; auch aufschlussreiche Sackgassen, die Erkenntnisse in anderen, vielleicht nicht intendierten Bereichen zulassen, sollen thematisiert werden, während völlig ergebnislose Irrwege sich lediglich in der Erfahrung der Verfasserin, und dies ausreichend, niederschlagen.

Für biographisch-historische Überlegungen standen für diese Arbeit hauptsächlich die Puccini-Biographien Mosco Carners, Wolfgang Marggraf, Dieter Schicklings und Julian Buddens zur Verfügung, für den musikalisch-analytische Teil wurden vor allem Arbeiten, Beiträge und Aufsätze von Karl Berg, Jürgen Leukel, Norbert Christen und Peter Revers zu Rate gezogen. Diese und eine Reihe weiterer Quellen seien jedoch an entsprechender Stelle ausführlich bibliographiert.

2. Ausführung

2.1 Stoff und Libretto

Dass sich in Giacomo Puccinis Musiktheaterschaffen in den Jahren nach Madame Butterfly eine deutliche Zäsur abzeichnet, legt die Forschungsliteratur ausreichend nahe. Wolfgang Marggraf[8] und Dieter Schickling[9] betonen – in ausführlicher Weise –die privat-biographische Komponente dieses Einschnittes. Doch inwieweit Giacomo Puccinis langjährige Ehekrise mit seiner Gattin Elvira, die Skandale um Liebschaften und Eifersuchtsszenen sein Komponieren behinderten, oder aber vielmehr eher beflügelten, weil er sich nur durch Arbeitseifer ablenken konnte, ist strittig, und soll hier auch nicht Thema sein.

Wissenschaftlich fundierter und ergiebiger erweisen sich die Überlieferungen zu Puccinis inhaltlicher „Absicht, unbedingt etwas Neues schaffen zu wollen“[10], die sich aus dessen Briefen eindeutig herauslesen lässt. So schreibt er zum Beispiel am 18. Februar an Tito Ricordi: „Ora basta colla Bohème, Butterfly, compagnia!“[11] Wolfgang Marggraf mutmaßt hierzu:

Es mag ihm deutlich geworden sein, daß in der Reihe seiner bisherigen Opern von Manon Lescaut über La Bohème bis zur Madame Butterfly bei aller Verschiedenartigkeit des Milieus doch immer wieder ähnliche Erlebnis- und Gefühlsbereiche ausgelotet wurden, und zweifellos war es künsterlische Gewissenhaftigkeit, die ihn davon abhielt, diesen sicher einfachen und risikolosen Weg weiterzugehen.[12]

Es war jedoch nicht auschließlich „künstlerische Gewissenhaftigkeit“, denn der Wunsch Puccinis und Ricordis, durch neue Themen auch neue Absatzmärkte zu gewinnen, also „wirtschaftliche Gewissenhaftigkeit“, spielte wohl eine ebenso große Rolle. Desweiteren war eine thematische und somit auch literarische Neuorientierung durch einen Todesfall nötig und unabdingbar geworden: Guiseppe Giacosa, neben Luigi Illica langjähriger Librettist Puccinis, war im September 1906 gestorben. Damit vollzog sich ein radikaler Bruch in dem, nun doch seit zehn Jahren eingespielten, „Triumvirat“ Puccini, Giacosa und Illica. Die erfolgreichsten Opern Puccinis waren in diesem Team entstanden: La Bohème (1896), Tosca (1900) und Madame Butterfly (1904). Mit Giacosa hatten sie nun „den Mann verloren, der mit seiner Besonnenheit und klaren Einsicht in die Gesetze des musikalischen Kunstwerkes untentbehrlich war als Gegenpol gegen den impulsiven, weitgehend auf sein Gefühl vertrauenden Puccini und den phantasievollen, aber oft ungezügelten Illica.“[13] Dass er mit letzterem alleine nicht befriedigend zusammenarbeiten konnte, zeigte sich in der gemeinsamen Arbeit an Libretti zur „Florentinischen Tragödie“ von Oscar Wilde und „La Femme et le Pantin“ Pierre Louys‘, die nach einem Jahr wieder erfolglos abgebrochen werden musste. Mit Gabriele d’Annunzio nun sollte eine Oper mit dem Titel „Parisina“ entstehen, aber sie überwarfen sich schon kurz nach Unterzeichnung der Verträge und so wurde auch dieses Arbeit vorzeitig beendet. Diese angegangenen Projekte seien nur kurz umrissen; doch selbst diese Zusammenfassung legt nahe, wieviel Wert Puccini auf einen guten, neuen Stoff legte und wie anspruchsvoll er sich im Bezug auf das Libretto seiner potentiellen nächsten Opern zeigte.

Vielversprechend und wirklich innovativ anmutend erscheint Puccinis letztendliche Wahl der Sujets und der Vorlagen, La fanciulla del West nach einem amerikanischen Stück David Belascos und La Rondine nach einem deutschen Libretto von Heinz Reichert und Alfred Maria Willner, jedoch nicht inhaltlich, sondern in einem anderen Punkt. Es sei als bemerkenswert festgehalten, dass im Bezug auf die Herkunft der textlichen Vorlage La fanciulla del West und La Rondine eine Sonderposition einnehmen, insofern, dass erstmals nicht auf einen Stoff einer französischen Erzähltradition zurückgegriffen wurde, wie in sämtlichen Opern Puccinis zuvor, sondern auf eine amerikanische Erzählung bzw. auf ein deutsches Libretto. Eine Neuerung des inhaltlichen Stoffes brachte dies jedoch auch nicht mit sich, wie im folgenden noch erläutert werden soll.

Die Uraufführung von La fanciulla del West, für die Carlo Zingarini und Guelfo Civinini letztendlich das Libretto verfassten, war zwar über alle Maßen erfolgreich[14], doch Puccini hatte

noch immer nicht jenen neuartigen Stoff gefunden, den er schon jahrelang suchte. Neu war an diesem Sujet allenfalls das Milieu des „Wilden Westens“[...]. Die gesamte Anlage des Stückes und der darin gestaltete Grundkonflikt jedoch setzten durchaus die Linie seiner vorhergehenden Opern fort.[15]

Mosco Carner bringt es noch deutlicher auf den Punkt: „[...] als hätte man [...] Tosca aus Rom in die Cloudy Mountains verlegt.“[16] Ein Dreieckskonflikt, ein Bösewicht und ein Liebespaar – diese Konstellation kennt man als Standardmotiv der Opernliteratur.

Nicht besser sieht es um die Rezeption zu La Rondine aus. „Die Aufnahme der Premiere am 7. Oktober ist zwiespältig: Die Kritik lobt die Interpreten, kann aber mit Puccinis Stück nichts anfangen.“[17] Als hauptsächliche Schwachstellen gelten auch hier die Handlung und das Libretto: Flache Charaktere, ein unspektakulärer Plot und ein öder Text. Ähnlich zeichnet sich das Bild aus heutiger Perspektive. Sowohl La fanciulla del West als auch La Rondine bleiben in der Häufigkeit ihrer Neuinszenierung weit zurück und bilden neben Edgar und Le Villi quantitativ das Schlusslicht.

Eine „thematisch-librettistische Rundumerneuerung“ konnte Giacomo Puccini mit den Musiktheaterwerken der 1910er Jahre demnach nicht leisten. Eine besondere revolutionäre Stellung kann man diesen Werken – jedenfalls auf inhaltlicher Ebene – nicht zuschreiben.

[...]


[1] Arnaldo Fraccaroli: Giacomo Puccini. Sein Leben und sein Werk (1926), Dieter Schickling: Giacomo Puccini: Biographie (1989), Mosco Carner: Puccini: Biographie (1996) und Julian Budden: Puccini: his life and works (2002) seien hier exemplarisch als Vertreter genannt.

[2] Walter Maisch, Giacomo Puccinis musikalische Formgebung, untersucht an der Oper ‚La Bohème‘, Diss. Erlangen: 1934.

[3] Wolfgang Marggraf, Giacomo Puccini, Wilhelmshaven: Heinrichshofen, 1979.

[4] Dieter Schickling, Giacomo Puccini: Biographie, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1989.

[5] Jürgen J. Leukel, Studien zu Puccinis ‚Il trittico‘, München: Musikverlag Katzbichler, 1983.

(= Musikwissenschaftliche Schriften 18), S. 7.

[6] Nach: Mosco Carner, Puccini: Biographie, Frankfurt am Main: Insel, 1996.

[7] Im Materialanhang soll eine Liste mit Themengliederung und Zusammenschrift von Rechercheergebnissen, die auch Ausgangspunkt meines Referats am 11. Mai 2007 war, den Arbeitsprozess transparent machen.

[8] Wolfgang Marggraf, Giacomo Puccini, Wilhelmshaven: Heinrichshofen, 1979.

[9] Dieter Schickling, Giacomo Puccini: Biographie, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1989. S. 287.

[10] Jürgen J. Leukel, Studien zu Puccinis ‚Il tabarro‘, München: Musikverlag Emil Katzbichler, 1983.

(= Musikwissenschaftliche Schriften 18), S. 7.

[11] Eugenio Gara, Carteggi Pucciniani, Mailand: Ricordi, 1958. S. 340.

[12] Wolfgang Marggraf, Giacomo Puccini, Wilhelmshaven: Heinrichshofen, 1979. S. 122 f.

[13] Ebd. S. 124.

[14] Der Erfolg sei hier auf die konkrete historische Situation der amerikanischen Uraufführung bezogen, die allein in New York noch neun Mal wiederholt werden musste.

[15] Wolfgang Marggraf, Giacomo Puccini, Wilhelmshaven: Heinrichshofen, 1979. S. 141.

[16] Mosco Carner: Puccini: Biographie, Frankfurt am Main: Insel, 1996. S. 709.

[17] Dieter Schickling, Giacomo Puccini: Biographie, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1989. S. 309.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Stellung der Musiktheaterwerke der 1910er Jahre in Giacomo Puccinis Musiktheaterschaffen
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Musikwissenschaftliches Institut)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
25
Katalognummer
V86776
ISBN (eBook)
9783638021814
ISBN (Buch)
9783656755364
Dateigröße
803 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stellung, Musiktheaterwerke, Jahre, Giacomo, Puccinis, Musiktheaterschaffen
Arbeit zitieren
Judith K. (Autor:in), 2007, Die Stellung der Musiktheaterwerke der 1910er Jahre in Giacomo Puccinis Musiktheaterschaffen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86776

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