Wie können Schule und Jugendhilfe im Rahmen der Sozialraumorientierung zusammenarbeiten?


Hausarbeit, 2007

30 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Auseinandersetzung mit den Begriffen Sozialraum, Sozialraumorientierung und Lebenswelt

3. Funktionen von Schule
3.1 Qualifikation
3.2 Selektion und Allokation
3.3 Integration und Legitimation

4. Rechtliche Grundlagen bezüglich der Schulstruktur

5. Funktionen von Jugendhilfe

6. Rechtliche Grundlagen bezüglich der Jugendhilfestruktur

7. Zusammenfassung der rechtlichen und organisatorischen Unterschiede von Schule und Jugendhilfe

8. Mögliche Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfeausschuss

9. Welche Formen der Zusammenarbeit bieten sich auf der Basis der bisher bekannten gemeinsamen Ansatzpunkte der Systeme an?
9.1 Jugendarbeit im Kontext der Schule
9.2 Schulsozialarbeit und Hilfen zur Erziehung im Kontext Schule
9.2.1 Schulsozialarbeit
9.2.2 Hilfen der Erziehung (HzE) im Kontext von Schule

10. Mögliche Wege, ein Kooperationskonzept für Schule und Jugendhilfe zu erarbeiten

11. Resümee

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Begriffe Sozialraum, Sozialraumorientierung und Lebenswelt sind mittlerweile feste Bestandteile der Arbeitsprinzipien Sozialer Arbeit. Zugleich oder gerade aufgrund ihrer zunehmenden Bedeutung in den letzten Jahren wird besonders der Begriff Sozialraum „fast inflationär“ (Deinet 2002, S. 31) gebraucht. Dies geschieht oft ohne Überlegungen, welche Ideen dahinter stecken, wie damit tatsächlich in der Praxis des beruflichen Alltags umzugehen ist und vor welche Herausforderungen er die Professionellen stellt.

Ich habe mich für meine Auseinandersetzung mit dem Thema für die erweiterte Fragestellung entschieden:

Wie können Schule und Jugendhilfe im Rahmen der Sozialraumorientierung zusammenarbeiten?

Ausschlaggebend bei der Themenwahl war für mich, dass gerade in den letzten Monaten in den Medien verstärkt über die Problematik von Schulen berichtet wurde, die zahlreichen an sie gestellten Anforderungen, die über den Unterricht selbst hinaus gehen, zu erfüllen. Angefangen mit dem Umgang mit „Problemschülern“ wie an der Rütli-Schule in Berlin über die Frage nach dem Konzept der Offenen Ganztagsschulen bis hin zu den alltäglichen Problemen von Schülern, bei denen für eine Schule die Unterstützung durch Soziale Arbeit hilfreich sein könnte. Vor diesem Hintergrund entstand für mich die Frage, wie die geforderte Zusammenarbeit von Schule und Sozialer Arbeit bzw. Jugendhilfe denn tatsächlich funktionieren könnte und welche Kooperationsformen überhaupt schon bestehen.

Ausgehend von dieser Idee möchte ich mich sowohl mit der Funktion und Organisation von Schule als auch der Jugendhilfe auseinandersetzen und mögliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten erarbeiten. Davon ausgehend folgen bereits bestehende Kooperationsformen von Schule und Jugendhilfe und ein konkretes Praxisbeispiel. Letztlich erfolgt im Resümee eine kritische Auseinandersetzung mit den gewonnenen Erkenntnissen.

Zunächst werde ich mich aber mit den genannten Begriffen Sozialraum, Sozialraumorientierung und Lebenswelt beschäftigen, um eine definitorische Basis für meine weiteren Überlegungen zu erlangen.

2. Auseinandersetzung mit den Begriffen Sozialraum, Sozialraumorientierung und Lebenswelt

Der Begriff Sozialraum dient allgemein als „[…] Bezeichnung für solche lebensweltnahen räumlichen Gebietseinheiten […]“ (Lukas 2005, S. 867), mit denen sich Soziale Arbeit im beruflichen Alltag beschäftigt. Obwohl er sich als wichtiges Handlungsprinzip Sozialer Arbeit etabliert hat und einer langen Reihe von anderen Raumbegriffen folgt, ist er dennoch „[…] bisher ein eher unbestimmter räumlicher Begriff geblieben […]“ (ebd.).

Die Konzentration auf Räume ist in der Sozialen Arbeit keine neue Entwicklung. Erste Ansätze einer räumlich orientierten Arbeit gab es bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sowohl in den USA als auch in Europa. Müller (2002) beschreibt beispielsweise die Armenhilfe der Stadt Elberfeld zu dieser Zeit. Die Stadt wurde in mehrere Armutsquartiere eingeteilt und jedes Quartier wurde von einem Armenpfleger betreut, der feststellte, inwieweit die dort lebenden Familien Hilfe benötigten (vgl. S. 31).

Neben solchen und ähnlichen Arbeitsweisen entstand 1889 in Chicago eine Art der räumlich orientierten Sozialen Arbeit, die sich nicht mit Einzelfällen Bedürftiger auseinander setzte, sondern die Armut ganzer Quartiere betrachtete und ihren Arbeitsansatz in der Verbesserung der Gesamtsituation des Wohnviertels sah. Vorreiterin war hier die Friedensnobelpreisträgerin Jane Addams, die zudem erste empirisch begründete Analysen der Quartiere durchführte und so den Bedarf an Hilfen ermittelte (vgl. ebd. S. 32).

Die Entwicklung in Deutschland führte dazu, dass die Ideen des Elberfelder Systems zunächst ersetzt wurden durch eine Zentralisierung der Wohlfahrtspflege. Da sich dieses System nicht bewährte, kehrte man Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer Familienfürsorge zurück. Die Sozialarbeiter waren zuvor in einzelnen Spezialgebieten ausgebildet gewesen; ihre neue Aufgabe bestand nun darin, alle Fälle eines Sozialraums zu behandeln, unabhängig von der Art des Falles und ihrer eigenen vorherigen Ausbildung (vgl. ebd. S. 36f.).

Nachdem der Nationalsozialismus wiederum den Einzelfall in den Vordergrund gestellt hatte, indem die Hauptaufgabe der Fürsorgerinnen darin bestand, Rassenpflege zu betreiben, folgte in der Nachkriegszeit eine erneute Orientierung am Sozialraum, die ihren Höhepunkt in den 1970er Jahren fand (vgl. ebd. S. 37).

Die aktuelle Praxis der Sozialraumorientierung in der Sozialen Arbeit besteht seit den 1990er Jahren und nimmt seitdem kontinuierlich an Bedeutung zu (Riege/Schubert 2005, S. 7). Dennoch ist nach wie vor eine eindeutige Definition des Begriffs „Sozialraum“ nicht vorhanden.

Lukas (2005) beschreibt diese Schwierigkeiten, eine mögliche Definition zu finden. Gerade in städtischen Gebieten ist es kompliziert, einen Sozialraum konkret abzugrenzen. In ländlichen Gegenden sind die Sozialräume meist durch die Struktur der geschlossenen Siedlungsgebiete gegeben, in der Stadt dagegen sind verschiedene Einflüsse zu bedenken, um eine Abgrenzung vorzunehmen. Lukas (2005) nennt mehrere Faktoren, die dazu herangezogen werden können (vgl. S. 868).

Eine erste Möglichkeit der Eingrenzung ist die Orientierung an geographischen Gegebenheiten, beispielsweise Flüsse oder große Durchgangsstraßen, welche die Stadt strukturieren. Ein weiterer Faktor ist die Art der Nutzung eines Gebiets, ob es beispielsweise ein reines Wohngebiet oder vielleicht auch ein Mischgebiet mit Gewerbe ist. Wohngebiete lassen sich zudem auch nach ihrer Sozialstruktur analysieren: neben sozial gemischten Gebieten gibt es auch sozial homogene, so dass so genannte „Soziale Brennpunkte“ oder „gutbürgerliche Wohngebiete“ entstehen. Die soziale Struktur spiegelt sich meist auch in der Bebauungs- und Wohnstruktur wider; soziale Brennpunkte sind eher durch Plattenbauten gekennzeichnet, gutbürgerliche Gegenden durch Einfamilienhäuser oder gar Villen. Eine wichtige Methode, um einen Sozialraum zu bestimmen, ist auch die Befragung der dort lebenden Bewohner, welchen Umfang das Gebiet hat, dem sie sich zugehörig fühlen. Neben diesen recht „lockeren“ Formen der Sozialraumbestimmung gibt es weitere, die auf reinen Fakten beruhen. Dazu zählen einerseits die Berufung auf Verwaltungseinheiten und andererseits die Bestimmung durch amtliche Statistiken. In der Praxis wird auf diese letzte Form oft zurückgegriffen, da sie ohnehin regelmäßig aktuelle Daten zur sozial-ökonomischen und infrastrukturellen Situation einzelner Gebiete hervorbringt. Ideal wäre aus Lukas` Sicht dagegen eine Kombination aus den verschiedenen Kriterien (vgl. ebd.).

Das aus der Idee der Sozialraumbestimmung hervorgehende Arbeitsprinzip der Sozialen Arbeit ist die Sozialraumorientierung. In Deutschland ist die aktuelle Praxis auf der Basis der Gemeinwesenarbeit der Nachkriegszeit entstanden; übernommen wurde vor allem der fachlich vernünftige Ansatz, soziale Dienste im alltäglichen Umfeld der Menschen anzubieten (Hinte/Kreft 2005, S. 869).

Die wichtigsten methodischen Prinzipien dabei sind die Beachtung der geäußerten Interessen der im Raum lebenden Menschen, die Unterstützung von Eigeninitiative der Bürger, die Nutzung der vorhandenen Ressourcen und eine zielgruppen- und bereichsübergreifende Orientierung der Sozialen Arbeit, wobei das übergeordnete Ziel dieser Vorgehensweise die Verbesserung der Lebensqualität mithilfe aktiver Beteiligung der Betroffenen ist (vgl. ebd.). Die Soziale Arbeit fungiert unter diesen Aspekten als „[…] Bindeglied zwischen den Systemen ,Lebenswelt´ einerseits und ,Politik/Verwaltung/Institutionen´ andererseits“ (Hinte/Kreft 2005, S. 870) und ist in den letzten Jahren zu einem der zentralen Standards der Sozialen Arbeit geworden (vgl. ebd. S. 872).

Müller (2002) formuliert dazu drei Prinzipien, nach denen sich Soziale Arbeit im Sozialraum richten sollte:

„ 1. Sie sollte möglichst gleichmäßig und gleich erreichbar im Raum verteilt sein.
2. Ihre Einrichtung und Unterhaltung sollte in einem angemessenen Kosten- Nutzen-Verhältnis stehen.
3. Ihre Koordinierung mit anderen Dienstleistungsangeboten sollte ihre Dienstleistungen wechselseitig unterstützen.“ (Müller 2002, S. 35f.)

Obwohl die Sozialraumorientierung ein wichtiges Standbein der Sozialen Arbeit geworden ist, gibt es auch kritische Stimmen, die sich aber weniger gegen die Arbeitsweisen und die dahinter stehenden Ideen als vielmehr auf die Vorgehensweise bei der gängigen Raumeinteilung richten.

Ebenso wie Lukas (2005) stellt Deinet (2002) die gängige Praxis in Frage, Sozialräume lediglich sozialgeographisch und anhand von amtlichen Statistiken abzugrenzen, da so das Subjekt in den Hintergrund gerät (vgl. Deinet 2002, S. 31f.). Er betrachtet den Sozialraum als „[…] einen Lebensraum von Menschen, der durch strukturelle oder soziale Merkmale abgrenzbar ist“ (Deinet 2002, S. 31). Besonders durch die zunehmende Mobilität in der modernen Gesellschaft leben die Menschen nicht mehr nur in ihrem Sozialraum, sondern pendeln zwischen verschiedenen „Inseln“, beispielsweise zwischen Wohnort und Schule (vgl. Zeiher 1983, zit. n. Deinet 2002, S. 32). Deinet (2002) bevorzugt daher den Begriff Lebenswelt, da er das einzelne Subjekt in den Blick nimmt. Die Lebenswelt eines Einzelnen kann sich auf viele verschiedene „Inseln“ erstrecken, inwieweit dann Lebenswelt und Sozialraum übereinstimmen hängt von der Mobilität des Individuums ab (Deinet 2002, S. 32).

Auch Abeling/Ziegler (2004) argumentieren in eine ähnliche Richtung, indem sie in Bezug auf Soja (1985) sagen, dass Räume aus sozialwissenschaftlicher Perspektive in „[…] Relation zu sozialen und politischen AkteurInnen zu verstehen [sind]“ (Abeling/Ziegler 2004, S. 270). Räume sind also nicht festzumachen an objektiven Fakten, sondern entstehen im Prozess des menschlichen Handelns (vgl. ebd.).

Gerade für die Praxis der Sozialen Arbeit ist die Beachtung der unterschiedlichen Begrifflichkeiten von Sozialraum und Lebenswelt notwendig. Es bestehen andere Herausforderungen an Soziale Arbeit, wenn der Begriff Lebenswelt in die Planung miteinbezogen wird und nicht nur der festgelegte Sozialraum als Handlungsfeld im Vordergrund steht (vgl. Deinet 2002, S. 33). In einem nächsten Schritt muss dann die Beachtung der angewandten Methode, nach welcher der vorhandene Raum definiert ist, miteinbezogen werden, da auch dadurch differenzierte Handlungsmuster von den Professionellen gefordert werden.

Aufgrund der hier geschilderten Problematik, eine einheitliche Definition von Sozialraum auszumachen, entschließe ich mich dazu, mich im weiteren Verlauf auf die in der Praxis gängigste Version zu stützen, da ich davon ausgehe, dass diese auch einem Großteil der Literatur zugrunde liegt. Lukas (2005) nennt als diese gebräuchlichste Form der Abgrenzung eines Sozialraums - wie bereits mehrfach geschildert - die Einteilung einer Stadt anhand der Gebietseinheiten, die für regelmäßige amtliche Statistiken zusammengefasst werden (vgl. S. 868).

3. Funktionen von Schule

Die Schule ist – neben diversen anderen Einrichtungen, beispielsweise Kindergärten- eine gesellschaftliche Institution, die als solche in einem angemessenen Rahmen Funktionen für die Gesellschaft erfüllen muss und somit zu einem bestimmten Handeln aufgefordert ist (vgl. Giesecke 1993, S. 44f.).

Neben dieser Betrachtung der Schule „von außen“ gibt es die weitere Möglichkeit, die Schule als pädagogische Institution „von innen“ zu betrachten. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf den Funktionen, die sie bezüglich der Entwicklung der einzelnen Schüler und ihres Miteinander hat (Kron 1994, S. 278).

Ein theoretischer Ansatz, der sich mit den Funktionen der Schule für die Gesamtgesellschaft beschäftigt, ist die struktur-funktionale Theorie von Helmut Fend. Fend formuliert insgesamt drei Funktionen, die Schule als institutionalisierter Bildungs- und Erziehungsraum hat, um die Stabilität, Reproduktion und Weiterentwicklung der Gesellschaft zu gewährleisten:

- Qualifikation
- Selektion und Allokation
- Integration und Legitimation.

3.1 Qualifikation

„Schulen dienen der Weitergabe der Qualifikationen, die eine Gesellschaft benötigt, um sich selbst immer wieder von Generation zu Generation zu reproduzieren.“ (Diekmann/Hillebrand/Jürgens o.J., S. 62).

Die Aufgabe, die Schüler und Schülerinnen[1] zu qualifizieren, beinhaltet zwei Aspekte zugleich: einerseits verlangt die Gesellschaft von der Schule die Vermittlung funktionaler Qualifikationen wie die Basiskompetenzen Lesen, Rechnen und Schreiben, andererseits sind auch extra-funktionale Qualifikationen im Sinne von Einstellungen gefragt, beispielsweise Pünktlichkeit und Ordnung. Beide Formen der Qualifikation sind sowohl in privaten als auch in beruflichen Bereichen vonnöten und bereiten den Schüler demnach umfassend auf sein selbstständiges Leben in der Gesellschaft vor (vgl. Fend 1980, S. 19ff.).

[...]


[1] Im Folgenden werden jegliche Berufsbezeichnungen nur in der jeweils männlichen Form verwendet, um den Textfluss für den Leser angenehmer zu gestalten.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Wie können Schule und Jugendhilfe im Rahmen der Sozialraumorientierung zusammenarbeiten?
Hochschule
Universität Bielefeld
Veranstaltung
Sozialraumorientierung
Autor
Jahr
2007
Seiten
30
Katalognummer
V86577
ISBN (eBook)
9783638021357
Dateigröße
501 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit wurde nicht benotet (dies ist in unserer Fakultät unüblich), aber vom Dozenten als sehr gut gelungen bezeichnet, da sie alle wesentlichen Erkenntnisse zum Thema enthält.
Schlagworte
Schule, Jugendhilfe, Rahmen, Sozialraumorientierung
Arbeit zitieren
Judith Scherer (Autor:in), 2007, Wie können Schule und Jugendhilfe im Rahmen der Sozialraumorientierung zusammenarbeiten?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86577

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