"Manhood" im frühen amerikanischen Sport


Examensarbeit, 2005

102 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Untersuchungsgegenstand und struktureller Aufbau der Arbeit

2 Literatur- und Quellenlage

3 Der Wandel der Männlichkeitsideale
3.1 Die Phase der Transformation von communal manhood zu self-made manhood
3.2 Die Männlichkeitsideale von self-made manhood
3.2.1 Manly Achiever
3.2.2 Christian Gentleman
3.2.3 Masculine Primitive

4 Intercollegiate athletics und das neue Ideal des Körpers
4.1 Der Aufstieg des Sports und intercollegiate athletics
4.2 Das neue Ideal des männlichen Körpers
4.3 Die Entwicklung eines man of character durch athletics

5 Die spermatic economy und die Rekapitulationstheorie
5.1 Die spermatic economy
5.1.1 Die Rekapitulationstheorie G. Stanley Halls
5.1.2 Die recapitulation theory of play
5.1.3 Die recapitulation theory of play und athletics als Männerdomäne

6 Muscular Christianity, Sport und das Strenuous Life
6.1 Theodore Roosevelt und das ‚Strenuous Life’
6.1.1 Football
6.1.2 Boxen
6.2 Muscular Christianity in Amerika
6.2.1 Thomas Wentworth Higginson
6.2.2 Die „Remaskulinisierung“ der Kirche und der Athlet als Prediger

7 Zusammenfassung

8 Abkürzungsverzeichnis

9 Abbildungsverzeichnis

10 Literatur

Do you fear the force of the wind, The slash of the rain?

Go face them and fight them, Be savage again.

Go hungry and cold like the wolf, Go wade like the crane.

The palms of your hands will thicken, The skin of your forehead tan - You'll be ragged and swarthy and weary But - you'll walk like a man.

Hamlin Garland, 1899

1 Untersuchungsgegenstand und struktureller Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit baut auf einem drastischen Wandel von Männlichkeitsidealen auf - dem Wandel eines Ideals, welches tief im Leben der Gemeinde verwurzelt ist, zu einem Ideal, das auf individuellen Leistungen fußt und dabei den männlichen Körper in den Mittelpunkt stellt.

Ein Männlichkeitsideal ist ein Cluster von Eigenschaften, Verhaltensweisen und Werten, über die sich ein Mann identifiziert und die von Mitgliedern einer Gesellschaft als das Erstrebenswerte, als dasjenige angesehen werden, was den „guten“ und tugendhaften Mann ausmacht. Der Masculine Primitive wurde von ROTUNDO (1982) definiert. Es war ein Ideal, welches hielt, dass Männer voller Instinkte und Leidenschaften sind, die Ausdruck brauchen, um im Streben nach Macht und Erfolg in der Welt von Nutzen zu sein. Mit diesem Ideal ging ein stark gestiegenes Interesse am männlichen Körper einher. Bewegung, das gezielte Ausbilden des Körpers, Gesundheit und zeitweise sogar Genuss an körperlicher Betätigung - diese Faktoren nahmen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. feste Bestandteile im Leben vieler Männer ein.

In einer Zeit, in der weitgreifende soziale, wirtschaftliche und politische Veränderungen um sich griffen, sahen die Männer, die für sich das Ideal einer starken Identität beanspruchten, dieses in ernsthafter Gefahr. BEDERMAN (1995) hat mit dem Ideal des Masculine Primitive und seiner Betonung auf dem Körper auf die nicht von einander zu trennende Beziehung von Körper, Identität und Macht hingewiesen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts herrschte die Meinung vor, dass ein starker Körper einem Mann eine starke Identität verlieh und damit die Fähigkeit, sich für sich selbst behaupten und über andere dominieren zu können. Dieser Grundgedanke liegt der folgenden Betrachtung zu Grunde und soll zum Schluss innerhalb der Zusammenfassung der Ergebnisse in seinen Gesamtzusammenhang eingeordnet werden.

Männer haben beständig Strategien entwickelt, für sich das auf Aggressivität, Härte, Kraft und Macht basierende Ideal zu bewahren, beziehungsweise es für ihre individuellen Vorhaben zu Nutze zu machen. Es gilt in diesem Sinne, ihre Strategien herauszuarbeiten, um zu zeigen, welche Funktionen dem Sport dabei als Instrument zur Umsetzung dieser Vorhaben zukamen.

Der Verlauf der Arbeit gliedert sich dabei wie folgt: Zunächst wird der politische und soziale Wandel, der dazu geführt hat, dass sich die Männlichkeitsideale des 19. Jh. langsam herausbildeten, geschildert. Daran schließt sich eine Definition der vorherrschenden Ideale Manly Achiever, Christian Gentleman und Masculine Primitive. Obwohl das Hauptaugenmerk dieser Arbeit auf den Masculine Primitive gerichtet ist, ist es sinnvoll, die anderen Ideale mit einzubeziehen, da sie sich in manchen Bereichen überschneiden, beziehungsweise deutlich voneinander abgrenzen. Ich orientiere mich bei der Darstellung der Ideale an der weißen Mittelschicht. Dies ergibt sich nicht allein aus dem Sachverhalt, dass die bestehende Literatur zu dem Thema, die Essays und monografischen Schriften, sich zum überwiegenden Teil mit der Mittelschicht befassen, sondern dass sie im Verlauf des 19. Jh. sehr einflussreich geworden ist, ihre Kultur oft maßgebend war und so einen großen Einfluss auch auf andere Schichten ausgeübt hat.

Da ROTUNDO (1982) das Entstehen des Masculine Primitive zeitgleich mit den ersten intercollegiate athletic competitions auf 1850 setzt, beginne ich nach einer kurzen Vorstellung der wichtigsten verwendeten Forschungsliteratur und der Definition der Männlichkeitsideale mit dem Aufstieg der athletics an den Universitäten und Colleges. Weil das Ideal des Masculine Primitive eine starke Betonung auf den Körper legt, wird ferner beschrieben wie sich das Ideal des männlichen Körpers in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts verändert hat. Darüber hinaus - und vor allem weil sich die folgenden Kapitel vorwiegend mit athletics befassen - soll die beständig steigende Wertschätzung von athletics als „Entwicklungsmedium“ für Körper, Gesundheit und Moral entgegengebracht, skizziert und begründend dargelegt werden.

In Kapitel 5 werden G. Stanley Halls tief verborgene Intentionen, die sich hinter seiner Rekapitulationstheorie verbargen, erläutert. Luther Gulick, der seine recapitulation theory of play mit kindgerechten Spielen und athletics verband, hat immens zu den Umsetzungen der Ideen Halls beigetragen. Die recapitulation theory of play, dies soll im letzten Abschnitt des Kapitels kurz erläutert werden, hat enorm dazu beigetragen Frauen die Teilnahme an stark wettkampforientierten athletics zu untersagen.

Kapitel 6 befasst sich mit dem von Theodore Roosevelt proklamierten „Strenuous Life“ und muscular Christianity in Amerika. Roosevelt, der immer eine starke Betonung auf Männlichkeit gelegt hat, hat dies mit seiner Forderung nach einem „energievollen“ Leben für die amerikanischen Männer auf alle übertragen wollen. Dabei hat er seine Politik in Vorhaben wie Rassenkampf und Imperialismus geformt. Anhand des football wird deutlich, wie sehr er es wertschätzte und für imperialistische Zwecke gebrauchte. Der Teil über boxing zeigt die allmähliche Akzeptanz bei höheren Schichten und den Kampf zwischen den Boxern Jim Jeffries und Jack Johnson und verdeutlicht hierbei in besonderem Maße die Beziehung von Körper, Identität und Macht. Muscular Christianity war eine in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts aus England herübergeschwappte Bewegung. Sie spielte in die „Strenuous Life“-Philosophie hinein. Thomas Wentworth Higginson forderte eine robuste Gesundheit und dabei athletics und Freiluftaktiviäten um Männer stark zu machen und für ganz weltliche Unterfangen zu rüsten. Der Prediger Billy Sunday wird zum Schluss vorgestellt. Als Athlet hatte er großen Erfolg am Bestreben der protestantischen Kirche die Männer wieder zurückzuholen.

Abschließend werde ich in einem zusammenfassenden Kapitel meine Ergebnisse vorstellen und diskutieren.

2 Literatur- und Quellenlage

In seiner Ph.D. Dissertation von 1982 „Manhood in America: The Northern Middle Class, 1770-1920“ wertete E. Anthony Rotundo Briefe und Tagebücher von WASPs der Mittelschicht aus, die alle östlich des Mississippi und nördlich der Mason-Dixon Line beheimatet waren. Sie waren vorwiegend vornehmer Abstammung, d.h. sind der oberen Mittelschicht zuzuordnen.

Die Begriffe für die Männlichkeitsideale Masculine Achiever und Christian Gentleman sind von Charles Rosenberg in dessen 1980 erschienen Aufsatz „Sexuality, Class and Role in 19th-Century America“ geprägt worden. Obwohl Rosenberg diese Begriffe nicht als Männlichkeitsideale sah, sondern sie ihm dazu dienten, das Sexualverhalten der Mittelschicht zu untersuchen, sah ROTUNDO (1982) sie geeignet in seine Studie zu übernehmen. Alle Aufsätze ROTUNDOs, die nach seiner Dissertation erschienen sind, vor allem “Body and Soul: changing ideals of American middle-class manhood“ von 1983 und “Learning about manhood: gender ideals and the middle-class family in nineteenth century America” von 1987, orientieren sich sehr stark an seiner Dissertation. In ihnen stellt ROTUNDO weitere Überlegungen an. Sehr nützlich sind die späteren Beiträge vor allem deshalb, weil sie viele Informationen enthalten, die in seiner Dissertation noch nicht erschienen sind.

In der Literatur nach ROTUNDO (1982) wurde häufig Bezug auf dessen Männlichkeitsideale genommen. Auch in aktuelleren Werken, wie in BEDERMAN (1995), MILLER (1999) und WINTER (2002), findet man diese Definitionen unter Verweis auf Rotundo wieder - ein Beleg für die immer noch ausgesprochen hohe Akzeptanz und Gültigkeit der Paradigmen ROTUNDOs.

Die Historikerin Gail Bederman beschreibt in ihrem Buch Manliness & Civilization: A Cultural History of Gender and Race in the United States, 1880-1917 (1995) den kulturellen Wandel eines Ideals von manhood, das sich an moralischen Tugenden und Selbstbeherrschung orientiert, zu einem aggressiveren Ideal in Anlehnung an Rotundos Masculine Primitive charakterisiert durch Selbstbehauptung und körperlichen und sexuellen Heldenmut. Anhand vierer bekannter Persönlichkeiten - darunter Theodore Roosevelt und G. Stanley Hall - beleuchtet sie die individuellen Interessen, für deren Umsetzung sie sich dieses Ideal zu Nutzen gemacht haben. Darüber hinaus hat BEDERMAN den Versuch unternommen, den wichtigen Unterschied zwischen den Begriffen masculinity, manliness und manhood zu beschreiben.

Das 3. Kapitel “Men’s College Athletics, 1880-1901” in Pamela Grundys Buch Learning to Win: Sports, Education, and Social Change in Twentieth- Century North Carolina (2001) befasst sich fast ausschließlich mit football an den Colleges und Universitäten in North Carolina. Auf 30 Seiten schildert sie, wie football große Unterstützung seitens seiner zahlreichen Befürworter, die es als Medium zur Förderung altehrwürdiger viktoria- nischer Tugenden sahen, erfahren hat. Die vielen Zitate von Universitäts- direktoren und einflussreichen Personen, die Grundy heranzieht, spiegeln den stark darwinistisch geprägten Tenor, der am Ende des 19. Jh. durch die gesamte Nation hallte, wider. Daran verdeutlicht sie die starke Wertschätzung des Mannes, der seinen Weg in einer vom Kampf geprägten Welt geht. Ihr Beitrag bietet darüberhinaus eine wertvolle Ergänzung zu jener Literatur, die sich sonst überwiegend mit football befasst, wie er sich an den Eliteuniversitäten im Nordwesten des Landes zeigte.

Elliot Gorns The Manly Art: Bare-knuckle Prize Fighting in America (1986) ist eine meisterhafte Betrachtung des Boxens, die den Sport angefangen von seinen frühen Tagen in dessen sozialen und politischen Kontext einrückt. GORN beschreibt in eleganter Art und Weise den Wandel des Boxsports in Amerika. Angefangen von seinen englisch-irischen Wurzeln über seinen festen Platz in der Arbeiterkultur zeichnet er den Wandel des Boxens nach, bis hin zu einer modernen und zivilisierteren Form durch seine Vereinnahmung durch die Gentlemen der Mittel- und Oberschicht.

Clifford Putney kombiniert in seinem Buch Muscular Christianity: Manhood and Sports in Protestant America, 1880-1920 (2001) neue Kulturstudien und Einsichten aus der Geschlechterforschung mit traditioneller historischer Analyse. Seine akribische Recherche, kombiniert mit neueren Einsichten aus dem Forschungsfeld der so genannten men’s studies, trägt enorm zum Verständnis der muscular Christianity-Bewegung an ihrem historischen Höhepunkt zwischen 1880 und 1920 bei.

In „The Robust Woman and the Muscular Christian“ (1984) vergleicht Linda J. Borish zwei in der zweiten Hälfte des 19. Jh. agierende Sozial- und Gesundheitsreformer: Catharine Beecher und Thomas Wentworth Higginson. Bei BORISHS Gegenüberstellung dieser beiden Personen werden die vielen Gemeinsamkeiten, was ihre Wertvorstellungen und Prinzipien über Sport und Gesundheit anbetrifft, deutlich. Spannender ist aber der Unterschied, den sie ausmacht. Higginsons Konzept von manhood, muscular Christianity, und Beechers Konzept von womanhood, the cult of domesticity, spielen die entscheidende Rolle in ihren jeweiligen Ansätzen und Zielen. Diese spiegeln die jeweiligen geschlechtsspezifischen, von der Gesellschaft getragenen Erwartungshaltungen wider. Während Beecher sich an der Rolle der Frau, gesunde Kinder auf die Welt zu bringen und den Haushalt zu führen, orientierte, sah Higginson den Wettbewerb, dem sich Jungen und Männer in Aktivitäten wie boating, football, baseball und cricket stellten, als maßgebend für Gesundheit und das erfolgreiche Bestehen der Beschwernisse, die sich außerhalb der heimatlichen Behausung auftaten. Peter N. Stearns Be a Man!: Males in Modern Society (1987) ist eines der Vorreiterwerke solcher von ROTUNDO (1993) und KIMMEL (1996). Er erhebt in seiner Betrachtung von manhood in Amerika von seinen frühen Anfängen bis zu den 1980ern viel Wert auf Vollständigkeit. In der Einleitung wird erklärt, warum manhood als ein soziales Konstrukt gesehen wird. Kapitel 5, „The Emergence of the Middle-Class Man“, beschreibt den Mann über das 19. Jh. in einer sich verändernden Gesellschaft. STEARNS arbeitet die vielen sich daraus ergebenden Konflikte sehr sorgfältig heraus.

Benjamin G. Raders überarbeitete Auflage American Sports: From the Age of Folk Games to the Age of Televised Sports (1999) ist eine sehr stilvoll geschriebene Geschichte des amerikanischen Sports von der Kolonialära bis zur heutigen Zeit mit besonderer Betonung auf dem 19. und 20 Jh. Rader legt viel Wert darauf, die historischen Bezüge von Sport im Zusammenhang mit Einflüssen wie Klasse, Ethnizität, Geschlecht und regionalen Unterschieden herauszuarbeiten. Ganze Kapitel sind beispielsweise dem prize-fighting, baseball und intercollegiate football gewidmet, was ein Grund ist, warum das Werk für die vorliegende Arbeit so wichtig war. Es bietet jederzeit ein gutes Nachschlagemedium, und man hat das Gefühl, dass man auf den 339 Seiten mit mehr als dem Wesentlichen versorgt wird. Ein kleiner Schwachpunkt ist, dass es keine Bibliographie beinhaltet. Stattdessen findet sich am Ende jedes Kapitels ein Verzeichnis zu den Fußnoten.

Dominick Cavallos Muscles and Morals: Organized Playgrounds and Urban Reform, 1880-1920 von 1981 ist das vielleicht detaillierteste Buch über das playground movement. Auf 200 Seiten beschreibt Cavallo die Ursprünge und die Entwicklung dieser Bewegung. Besonders wertvoll ist die ziemlich genaue Darstellung der einzelnen Einflüsse der verschie- denen Personen, die wichtige Rollen hierbei eingenommen haben. Die recapitulation theory of play wird gebührend behandelt, und man erfährt einiges über den Einfluss G. Stanley Halls auf Luther Gulick.

Benjamin Raders Aufsatz „The recapitulation theory of play: motor behaviour, moral reflexes and manly attitudes in urban America, 1880- 1920”, erschienen in Mangan & Walvin (1987) Manliness and morality, bezieht sich vor allem auf die übergeordneten Ziele der Initiatoren der PAA.

Wenn auch KIMMELS (1996) Buch wertvolle Erkenntnisse bringt und unzweifelhaft zur Studie über manhood in Amerika von der Revolutionary Era bis heute beiträgt, ist seine Einteilung in die Ideale Heroic Artisan, Genteel Patriarch und Self-Made Man nicht befriedigend. Seine Darstellung ist zu sehr verallgemeinernd. Möglicherweise geschieht dies aus dem Ehrgeiz heraus, in seinem Buch („The most wide-ranging, clear- sighted, accessible book available on the mixed fortunes of masculinity in the United States.“ - San Francisco Chronicle) ein möglichst umfassendes Bild von manhood in Amerika zu zeichnen. Man erfährt dabei jedoch lediglich, dass KIMMEL sich mit der weißen Rasse befasst und andere Ethnizitäten nur am Rande mit einfließen. Er unterscheidet wenig zwischen Klassenzugehörigkeit der Männer, genau wie hinsichtlich der Region aus der sie stammen, obwohl diese Faktoren eine große Rolle bei einer Definition von manhood spielen. Working-class manhood äußert sich in vielen Bereichen anders als middle-class manhood - Southern manhood anders als im Norden. Vor allen Dingen aber - und das ist das eigentlich Störende an seiner Definition - unterscheidet er innerhalb seiner Ideale nicht weiter, obwohl sie eigentlich als styles of manhood bezeichnet werden müssten. Diese Unterscheidung hat einen schwerwiegenden Nachteil: Sie generalisiert zu sehr. Exakterweise müsste man verschiedene „Strömungen“ innerhalb von self-made manhood unterscheiden, bei denen allesamt die Betonung auf self-making liegt, so wie bei ROTUNDO (1982) geschehen.1 KIMMEL verpasst dabei beispielsweise, dass man seinen Heroic Artisan zumindest ab 1800 auch als einen self-made man sehen könnte. Den self-made man als ein Ideal hinzustellen und nicht weiter zu differenzieren lässt eine umfassendere Betrachtung nicht zu. Vor allem bleiben Gemeinsamkeiten und Gegensätze, die zwischen den koexistierenden Idealen von self-made manhood herrschen, und damit auch eine genauere Beschreibung der Entwicklungen anhand der Ideale über die Zeit, unberücksichtigt auf der Strecke.

John Cawelti (1965) identifiziert zwei Ideale bei seiner Untersuchung des self-made man, wie er in der Didaktik- und Popliteratur des 19. Jh. beschrieben wird. Zum einen entspricht diesen der Mann, der sich durch Bedürfnislosigkeit, Tugend und harte Arbeit auszeichnet. Ihm gegenüber steht der Mann, der mit Ehrgeiz und Scharfsinn durchs Leben geht.

CAWELTI (1965, S. 73) ist der Ansicht, dass diese beiden Ideale in Kombination den self-made man des 19. Jh. ausgemacht haben: Keineswegs unerwähnt lassen darf man die Errungenschaften der feminist studies, waren diese - vornehmlich Frauen - doch die ersten, die begonnen haben, über Männer zu berichten, lange bevor sich die so genannten men’s studies in den 1980er Jahren als eigenständige Disziplin herausgebildet hatte. Den Beiträgen der frühen Feministinnen haftet jedoch bisweilen zu Recht das Makel der Subjektivität an, war in ihrem Bestreben im Bezug auf Männer doch häufig einzig und allein die Absicht zu erkennen, zu beschreiben, was Männer den Frauen angetan haben. Zudem haben Frauenhistorikerinnen seit den 60ern sich mehr mit der Rolle der Frau befasst als mit der des Mannes, was zwangsläufig zur Folge hatte, dass historisch mehr über womanhood und die weibliche Rolle bekannt war als dergleichen über den Mann. Den Feministinnen verdanken wir auf der anderen Seite unter anderem die Erkenntnis, dass gender als ein soziales Konstrukt, ein Muster sozialer Beziehungen und als ein System von Machtverhältnissen angesehen werden muss (ROTUNDO, 1987a, S. 35).

3 Der Wandel der Männlichkeitsideale

3.1 Die Phase der Transformation von communal manhood zu self-made manhood

Die Phase des Übergangs vom 18. zum 19. Jh. wird häufig als modernization bezeichnet.2 Sie war in ihren tief greifenden Einschnitten in Politik, Wirtschaft und sozialem Leben besonders gekennzeichnet durch die Besiedlung neuer Gebiete in Richtung Westen, Urbanisierung und Ausdehnung der Marktwirtschaft, einhergehend mit einer im Zuge des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges (1775-1783) flexibleren Gesell- schaftsordnung und dem Kippen von Gesetzen, welche dem sozialen Aufstieg bislang hinderlich im Weg standen. So markierte sie den Beginn einer Ära, in der sich für die Männer der Mittelschicht eine Welt voll immenser neuer Möglichkeiten bot. ROTUNDO (1982, S. 134) schreibt:

“As obstacles fell and opportunity grew, a fresh idea seized the popular imagination: free competition would reward the best man. People believed that a man could now advance as far as his own hard work and talents would take him.”

ROTUNDO (1982) bemerkt, dass durch den großen Chancenreichtum, der berechtigten Anlass zu Optimismus und neuer Hoffnung Nahrung gab, eine große Aufbruchstimmung zu verzeichnen war. Besonders deutlich erkennbar war dabei das Streben nach Reichtum und sozialer Anerkennung.

Das Konzept des „harten Arbeiters“ war bereits seit den Tagen der frühen Kolonien des 17. Jh. fest in den Köpfen der Menschen verankert gewesen. Eine neue Gesellschaft auf einem neuen Kontinent bedeutete ungeheure Chancen auf Erfolg. So finden wir zum Beispiel in den Schriften des amerikanischen Geschichtsschreibers Captain John Smith (1580-1631) die damals vertretene Ansicht, dass nicht der vordefinierte soziale Stand, sondern die eigene Leistung (merit), sprich harte Arbeit, maßgebend für die Stellung des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft ist. Laut Smith würden diese fleißigen, tugendhaften Leute die Aristokratie der Neuen Welt sein.3

Zudem merkt ROTUNDO (1982, S. 391) an, dass die offene wettkampfbetonte Gesellschaft der frühen 1800er Jahre einen noch größeren Glauben an den Wert harter Arbeit gefördert hat. Hiermit einhergehend ist eine neue Betrachtungsweise ausschlaggebend, die maßgeblichen Einfluss auf die Polarisierung von Männlichkeitsidealen der Zeit hatte. Vor 1800 spielte sich das Leben vorrangig in den Gemeinden ab, in deren Leben die Leute fest eingebunden waren. Sie lebten in zumeist großen Familien unter einem Dach zusammen. Innerhalb der Gemeinden kannte jeder jeden genau, Geheimnisse existierten praktisch genau so wenig wie eine Privatsphäre. Heirat unter den Familien war die Regel. In diesem sozialen und kulturellen Mikrokosmos hatte ein jeder seine Aufgaben zu erfüllen. Es herrschte eine strikte Hierarchie, der sich alle volens, nolens zu beugen hatten. Diese hierarchische Ordnung baute vor allem auf Traditionen auf und wurde von Generation zu Generation, von Sohn zu Sohn weitergegeben (ROTUNDO, 1982, 37-38). ROTUNDO (1982, 37) appliziert eine organische Sichtweise auf die Gesellschaft im Allgemeinen und die Gemeinden im Speziellen:

„In this view, society - and each community within it - formed an organic whole. Every person was a member of these social worlds. And - like parts of a body - each person was dependent on all the others. If any individual failed to perform his or her given tasks, everyone suffered [and] just as some parts of the body play more vital roles than others, some members of a community or society had greater responsibilities than others”

Die Amerikaner des 17. und 18. Jh., wie auch ihre englischen Zeitgenossen, lebten in dem Glauben, dass alles einer natürlichen Ordnung unterliege, in der alle Lebewesen, von der kleinsten Pflanze bis hin zu Gott und den Engeln, ihren Platz hätten („The Great Chain of Being“). Dies übertrugen sie auf die Gesellschaft, denn - so war ihr Glaube - diese unterliege derselben Ordnung (vgl. ROTUNDO, 1982, S. 37).

3 Der Wandel der Männlichkeitsideale

Nach 1800 fand im Zuge der Veränderungen, die der amerikanische Unabhängigkeitskrieg und das Great Awakening in der zweiten Hälfte des 18 Jh. ausgelöst hatten, jedoch ein gravierender Wandel im Denken der Mittelschicht-Amerikaner statt - weg von der organischen Einheit der Gemeinde mit ihrer vorgegebenen Hierarchie, hin zu der Ansicht, dass das Individuum selbst und nicht die Gemeinde die fundamentale Einheit der Gesellschaft darstellte (ROTUNDO, 1993, S. 15). Eine völlig andere Vorstellung von der Gesellschaft war hiermit im Begriff zu entstehen:

Society was a collection of atoms - unranked humans without assigned positions of any sort - and each found his proper place in the world through his own efforts. (Rotundo, 1982, S. 135)

Die Männer des anbrechenden 19. Jh. sahen sich nun losgelöst von den hierarchischen Strukturen, die mehr oder weniger beschränkenden Einfluss auf ihr Leben gehabt hatten. Es ist das, was ROTUNDO (1982) allgemein mit self-making beschreibt. Self-control, self-interest, self- advancement, self-improvement sind die Schlüsselwörter.4 Charles C. B. Seymours 1858 erschienenes Buch mit dem Titel Self-Made Men widmet sich erstmals diesem neuen Typus Mann. Der Begriff self-made-man war ein amerikanischer Neologismus, ins Leben gerufen 1832 von Henry Clay in einer Rede vor dem Senat: „[A]lmost every manufactory known to me is in the hands of enterprising, self-made-men, who have whatever wealth they possess by patient and diligent labor.“ (zitiert in KIMMEL, 1996, S. 26) Mit Beginn der Industrialisierung rückte die Arbeit, die seit jeher eine große Rolle im Leben der Männer gespielt hatte, da sie maßgeblich die Identität der Männer bestimmte, noch mehr in den Mittelpunkt. BYARS (1979, S. 74) sagt:

„’Self-made’ men were those who determined, who set high goals, and who denied themselves for the sake of those goals. A man became ’self-made’ by practicing self-reliance and self-help. He achieved success - usually defined rather concretely as respectability and prosperity - by personal effort, without the prior advantages of wealth or leisure or special preference. The ‘self-made’ philosophy obviously placed the emphasis on the individual and his powers and personal vitality.”

Ein neuer Individualismus, der den Männern nahezu uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit versprach, hielt Einzug in das Leben der Mittel- schicht.5 Dies zog sich durch alle Lebensbereiche: Ehen wurden nun weniger geschlossen, weil Herkunft oder soziale Pflichten und Erwar- tungen dies erforderten. Liebe und persönliche Präferenzen spielten nun öfter die tragende Rolle hierbei (ROTUNDO, 1982, S. 135f.; ROTUNDO, 1993, S. 20). Des Weiteren machte es sensibel für vielerlei Dinge: „People now focused on the individual human and on the differences among people - differences of human ability, of race, of gender, and, ultimately, of body“ (ROTUNDO, 1983, S. 30).

Ein weiterer deutlicher Unterschied zu früheren Zeiten war, dass dem Fleiß und der Beharrlichkeit, mit denen ein Mann seine Taten anging, eine viel größere Bedeutung beigemessen wurde als natürlicher Begabung oder Bildung. Ein Mann wurde an der sozialen Stellung, maßgeblich gemessen am wirtschaftlichen Erfolg, bewertet. Durch beständige Arbeit war es möglich, Wohlstand und soziale Anerkennung zu erreichen und auch dauerhaft zu bewahren. Der Mangel an Talent wurde dabei nicht als Entschuldigungsgrund für jemandes Versagen akzeptiert (vgl. ROTUNDO, 1982, S. 138ff.; 298). ROTUNDO (1982, S. 142) führt aus:

„If a man wanted to reach the highest ranks through an open competitive struggle, he had to make the most of what was available to him. His talent mattered less than his diligent efforts at advancement. To make the most of whatever talents he did possess, a man had to exploit every moment as fully as possible. He had to choose his course clearly and stick with it resolutely, so that his unrelenting labors would not be wasted.”

Ein wichtiges Kriterium spielte in diesem Zusammenhang auch die Zeit. Die Männer der Mittelschicht betrachteten Zeit als ein ausgesprochen kostbares Gut. Sie nicht zu nutzen sahen sie einer Sünde gleich. So befanden sie sich ständig in dem Gefühl und in der Sorge, dass ihnen die Zeit davonzufließen droht. Es galt, einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, welches hieß, sich niemals zu „versündigen“, sprich dem Müßiggang hinzugeben, sondern dem Streben nach Reichtum und Erfolg durch unermüdliches Schaffen Nachdruck zu verleihen und beständig ein Stück weit näher zu kommen (vgl. ROTUNDO, 1982, S. 141). So gaben sich die Männer des frühen 19. Jh. voll entfachter Leidenschaft und ungezügeltem Enthusiasmus der Arbeit hin. Von Erholungsphasen wurde weitestgehend abgesehen (ROTUNDO, 1982, 396). Der effiziente Umgang mit der Zeit war ein besonderes Merkmal des frühen 19. Jh. und hatte einen beachtlichen Einfluss auf die amerikanische Arbeitsethik (BYARS, 1979, S. 16).6 Untätigkeit war demnach ein Faktor, vor dem die Leute Angst hatten und den es mit allen Mitteln galt auszuschalten. ROTUNDO (1982, 395) fasst die damals vorherrschende Situation zusammen:

„In sum, men were both pushed and pulled to work. Fear pushed them - the fear of idleness, and the fear that ill health, sadness, or sexual desire would catch up with them if they kept still for too long. At the same time, they were drawn toward work by ambition, by a desire for wealth, glory, or power, by the belief that success was the true measure of a man, by the desire to help set the world aright, or by the simple pleasure in facing challenges and completing tasks.”

Die Bemühungen, mit denen sich die Männer der Mittelschicht seit dem frühen 19. Jh. an die Verwirklichung ihrer Ziele machten, standen allesamt unter dem Stern von self-made manhood. „But self-making was a style of manhood and it could be used to help a man achieve a variety of ends,“ erkennt ROTUNDO (1982, S. 142f.), und weiter:

“There were three different sets of goals and assumptions that men of the early nineteenth century pursued. These three ideals of manhood contrasted in many ways, but they all shared an emphasis on strenuous efforts at self- making.”

Die drei Männlichkeitsideale, die ROTUNDO (1982) dabei ausmacht, sind der Manly Achiever, der Christian Gentleman und der Masculine Primitive.7 Diese drei haben das 19. Jh. (der Masculine Primitive bildete sich erst ab der Mitte des Jahrhunderts heraus) in ihrer Grundkonzeption relativ stabil überdauert.

BYARS (1979, 73) knüpft verschiedene Bedingungen an die Herausbildung der Männlichkeitsideale: Es müsse einerseits ein Bewusstsein über die in vielerlei Hinsicht größer gewordenen Chancen zum sozialen Aufstieg vorherrschen; andererseits sei aber auch die Sichtweise der Gesellschaft als eine dynamische von entscheidender Bedeutung. In ihr könne ein Mann ebenso schnell fallen, wie er vorher aufgestiegen ist; gemessen an seinen Leistungen könnten ihm von seitens seiner Mitbürger sowohl die höchsten Ehren als auch Schmach zuteil werden. Er sagt: „Whether upward mobility was as certain or even as frequent as it was considered to be at the time does not alter the fact that masculine roles became organized around the possibility of change of status.“ Die traditionellen Männlichkeitsideale des 17. und 18. Jh., die die Verantwortung des Mannes gegenüber seiner Gemeinde als kennzeichnendes Merkmal aufwiesen - ROTUNDO (1982) fasst sie unter dem Begriff communal manhood zusammen - hätten ohne die derartigen Veränderungen der Revolutionsära so wohl noch länger Bestand gehabt.8 Die beiden dominanten Paradigmen, self-made manhood und dessen Vorgänger, communal manhood, existierten an der Schwelle zum 19. Jh. in Konkurrenz nebeneinander.9 Innerhalb der ersten zwanzig Jahre des neuen Jahrhunderts standen sie in ständiger Spannung und beeinflussten sich somit gegenseitig. Nach diesem Zeitraum gewannen die Männlichkeitsideale von self-made manhood die Oberhand und konnten Mit Manhood of the Body will Rotundo lediglich die starke Körperbetonung dieses Ideals verdeutlichen.

sich als eigenständig abgrenzen. Communal manhood wurde dabei im Laufe der Zeit in den Hintergrund gedrängt (ROTUNDO, 1993, S. 3). Manhood war „no longer fixed in land or small-scale property ownership or dutiful service.” (KIMMEL, 1996, S. 23)

3.2 Die Männlichkeitsideale von self-made manhood

3.2.1 Manly Achiever

Das Ideal des Manly Achiever hat über das gesamte Jahrhundert überlebt. Aus ihm ist später der Masculine Primitive entstanden (ROTUNDO, 1982, 311).

Der Manly Achiever ist das Ideal, welches sich am meisten am wirtschaftlichen Erfolg orientiert. Innerhalb dieses Ideals herrscht die Ansicht, dass ein Mann aktiv und energiegeladen ist. Ein Rechtsanwalt wird folgendermaßen zitiert: „Man is made for action, and the bustling scenes of moving life, and not the poetry or romance of existence.” (zitiert in ROTUNDO, 1987a, S. 36) Ein ausschlaggebendes Motiv für dieses dynamische Temperament war der feste Wille, die Erfolgsleiter immer weiter nach oben zu klettern. Für den Manly Achiever bedeutet Selfmaking vor allem eines - self-advancement.

Auf der Jagd nach Erfolg, Reichtum und sozialen Aufstieg war jeder seines eigenen Glückes Schmied. Der Ehrgeiz, seine Ziele zu verwirklichen, stand in direktem Zusammenhang zum Manly Achiever. Ein Mann ohne Ehrgeiz, „ […] without this ’hungry appetite’,” so hieß es, „was incomplete.“ (ROTUNDO, 1982, S. 144).

STEARNS (1990) stellt fest, dass die Männer der Mittelschicht mit Schwierigkeiten bislang ungekannter Art konfrontiert waren, als die Männlichkeitsideale in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. langsam in ihre Formen fanden. Geschäftsmänner wurden zahl- und einflussreicher, und somit war es nötig, ihren Berufsstand mit einer entsprechenden Definition von manhood zu versorgen, jedoch „ [n]ever in fact had a notion of mercantile activity been integrated fully into an acceptable definition of manhood, although there were hints, from the glory days of merchant adventurers and from the associations between manhood and property, that could now be picked up once more.” (STEARNS, 1990, S. 112)

Was fehlte, war deutlich, nämlich eine Akzentuierung auf körperlicher Kraft und Stärke. Dies stellte ein Problem für die Mittelschicht dar, denn solche Attribute wollten überhaupt nicht zu ihren Tätigkeiten passen. Eine Strategie, dies auszugleichen, war, ihre Anstrengungen und Erfolge mit den heldenhaften Taten bekannter Heerführer aus vergangenen Kriegen zu vergleichen (STEARNS, 1990, S. 112).

Demjenigen, der aus eigenem Antrieb und ohne Unterstützung eines wohlhabenden Vaters oder einer guten Ausbildung seinen Weg machte, kamen die größten Ehren zuteil, denn laut ROSENBERG (1980, S. 234) war dieser „not only the common man, he was the best man.“ Der Naturalist und Schriftsteller John Burroughs schrieb 1883: „We respect him less who is set up in business with a fortune at his disposal, than he who from humble beginnings, achieves his own success.” (zitiert in ROTUNDO, 1982, S. 299)

Der Manly Achiever schreckte auch vor Rückschlägen nicht zurück. Waren sie auch noch so groß und mitunter sogar selbst verschuldet, wurden sie im festen Gewissen über die eigenen Fähigkeiten durchaus gelassen betrachtet. ROTUNDO (1982, S. 144) berichtet von John Barnard, einem Geschäftsmann aus Maine, der 1835, nachdem er sich in tiefe Schulden gestürzt hatte, von denen er sich allerdings nur fünf Jahre später durch „five years of industry and strict economy“ (zitiert in ROTUNDO, 1982, S. 138) befreien konnte, schrieb: „disappointment cools our ardour but little. We alter our plans and drive on as briskly as ever and so I presume shall continue to do till death shall summons[sic!] me from all earthly scenes” (zitiert in ROTUNDO, 1982, S. 144)

Jedoch war harte Arbeit und Beständigkeit nicht alles. Der Manly Achiever sollte mit all dem Rüstzeug, mit jenen Fähigkeiten ausgestattet sein, die seinem Streben nach Erfolg und Reichtum zuträglich sind. Eigenschaften, die ihn von seiner Zielsetzung abbringen könnten, waren nicht erwünscht und ihnen musste entgegengesteuert werden. In dem Bewusstsein, ihre Söhne auf den rechten Pfad zu bringen, achteten Eltern - Vater wie Mutter - in hohem Maße darauf, wie sich die Entwicklung ihrer Söhne schon in der Adoleszenzphase und im frühen Erwachsenenalter vollzog. Der Manly Achiever sollte einen hohen Grad an Respektabilität besitzen und vor allem unabhängig im Denken sowie im Handeln sein. Zudem sollte er sich frei von Angst und sentimentalen Gefühlen geben (ROTUNDO, 1982, S. 145ff.). Solche Gefühle, zu denen unter anderem auch Heimweh gehörte, wurden als besonders unzuträglich empfunden. Ein Mann (oder ein Heranwachsender) musste die Fähigkeit besitzen, sich von der Familie lösen zu können, denn:

“Affection or sympathy could interfere with a man’s competitive impulses, and emotional attachment might prevent him from going out in the world to seek his fortune.” (ROTUNDO, 1982, S. 146)

Wenn ein Mann seinen Weg gehen wollte, musste er sich frei von den Beschränkungen der Familie und der Gemeinde machen und konnte niemandem außer sich selbst vertrauen. Vom Manly Achiever wurde auch erwartet, dass er frei und unabhängig im Denken ist. Rutherford B. Hayes, von 1877-1881 neunzehnter Präsident der Vereinigten Staaten, schrieb als ambitionierter Student, dass diejenigen, die auf die Gedanken anderer angewiesen sind, „finally fall below“ gegenüber denen, die „think and act for themselves.“ (zitiert in ROTUNDO, 1987a, S. 37).

Das Ideal des Manly Achiever ermunterte also zu Leistung, Selbständigkeit und Aggression - alles war orientiert am wirtschaftlichen Erfolg in einer harten Wettbewerbsgesellschaft. Der Selbstwert eines Mannes war auf einmal sehr viel mehr an den Efolgen in einer neuen Marktwirtschaft geknüpft.

3.2.2 Christian Gentleman

Der Christian Gentleman war ein Ideal, welches den Werten des Manly Achiever entgegengesetzt ist.

Der Christian Gentleman entstand aus dem Bestreben heraus, dem Werteverlust, der mit der stetigen Schwächung von communal manhood und dem schier ungebremsten Aufstieg des Individualismus einherging, entgegenzuwirken, Der grundlegende Unterschied zum Manly Achiever war, dass der Christian Gentleman Herr über seine selbstsüchtigen Ambitionen war. Er zeigte eine verachtungsvolle Haltung gegenüber seinem Gegenpart, dem Manly Achiever, der, wie ein Fürsprecher des Ideals des Christian Gentleman befand, „serves his God on Sunday, and cheats his neighbour on Monday […] who prays with much feeling […] but has no conscientious scruples when an opportunity presents itself during the week to defraud or lie a little.” (zitiert in ROTUNDO, 1987a, S. 39)

Demgegenüber hat der “good man” - der Christian Gentleman in diesem Fall - „conscience everyday in the week,“ „[lives] a Christian life“ und „[refuses to] exchange his soul for any pecuniary benefit.” (zitiert in ROTUNDO, 1987a, S. 39) Es soll hieraus jedoch kein falscher Eindruck entstehen, denn es bleibt festzuhalten: Auch der Christian Gentleman akzeptierte den Kommerz als Teil seiner Gesellschaftsordnung. Auch er war ein harter Arbeiter, self-assertion und self-advancement nicht abgeneigt (ROTUNDO, 1982, S. 150). Erfolg war gutgeheißen und sogar angesehen, jedoch nur unter der Bedingung, dass er in „christlicher Weise“ erworben wurde (ROTUNDO, 1987a, S. 38f.).

Der Christian Gentleman verkörperte die vornehmen, weichen Tugenden, die ihren Ursprung aus der Religion und kulturellen Traditionen haben (ROTUNDO, 1982, S. 153). Liebe, Güte und Mitgefühl, das waren die Haupteigenschaften des Christian Gentleman. Diese waren nicht nur ehrenwerte Eigenschaften eines Mannes, sagt ROTUNDO (1987a, S. 38), „they also formed the basis for right actions on his part. Such acts were called ‚Christian benevolence’ early in the nineteenth century and ‚noble deeds’ in later decades, but they amounted to the same things - philanthropy, church activities, self-sacrifice and a deep involvement in family life […] The ideal of the Christian Gentleman was in essence an ethic of compassion that directed a man’s attention to the needs and concerns of others.”

Ein Mann, so sah es das Ideal vor, musste seine Impulse zurückhalten, Selbstbeherrschung (self-restraint) üben. Dies hatte Geltung für alle negativ behafteten Gefühle, wie zum Beispiel Wut. Niemals durfte ein Mann seinen Ärger gegenüber anderer Luft verschaffen. Tat er dies doch, zog er das Unverständnis seiner Mitmenschen auf sich (ROTUNDO, 1982, S. 315). Besonders in sexueller Hinsicht galt Selbstbeherrschung als oberstes Gebot. Eltern erzogen ihre Söhne dazu, Stolz in ihrem eisernen Willen zu empfinden und unter keinen Umständen ihren lustvollen Trieben nachzugeben.

3.2.3 Masculine Primitive

Das Ideal des Masculine Primitive ist aus dem Ideal des Manly Achiever hervorgegangen.

Der Masculine Primitive repräsentierte nicht nur ein anderes Ideal, sondern gleich ein ganz neues Verständnis von der menschlichen Natur. Er vertrat die Ansicht, dass zivilisierte Männer in vielerlei Hinsicht „Primitiven“ und Tieren gleich sind. Der Unterschied zwischen Tier und menschlichem Primitivling verschwamm allzu oft, was jedoch kein Problem darstellte, denn die Männer fühlten sich zu beiden wegen der gleichen Qualitäten hingezogen. Nach dieser Sichtweise war ein Mann voller Instinkte und Leidenschaften, die Ausdruck finden mussten, um ihn im Kampf nach Erfolg in der Welt zu unterstützen (ROTUNDO, 1982, S. 427; 1993, S. 229).

Die Theorien Darwins, welche im späten 19. Jh. einen großen Einfluss auf die Weltanschauung hatten, unterstützte die Ansicht, dass im Menschen ein tierisches Erbe steckt.10 Diese Sichtweise war eine völlig neue, bisher nie da gewesene in der amerikanischen Kultur. John Burroughs schrieb in seinen Ausführungen über den Darwinismus:

„It is a new sensation to come to see man as an animal - the master animal of the world, the outcome and crown of all the rest. We have so long been taught to regard ourselves as something apart and exceptional, differing not merely in degree, but in kind, from the rest of creation, in no sense a part of Nature, something whose origin and destiny are peculiar, and not those of the commonality of the animal kingdom.” (zitiert in ROTUNDO, 1993, S. 229) Viele wohlhabende Leute nahmen die Idee, dass sie zum Teil Tiere seien, wörtlich. Sie verließen ihre zivilisierte Heimat und flüchteten in die Wildnis, in die Wälder oder in die Prärien im Westen des Landes, in der Hoffnung, als Jäger oder Rancher ihre männliche Kraft und Aggressivität kultivieren zu können. Dabei gaben sie sich Spitznamen in Anlehnung an Naturgewalten oder Primitivlinge, wie „Tornado“ oder „Savage“ (ROTUNDO, 1982, S. 307). Thomas Wentworth Higginson wendete sich an eine Gesellschaft in Boston mit der Aufforderung, hin und wieder die Stadt zu verlassen und sich auf den Jagdpfad zu begeben, „and camp where you find yourself at evening, and you are as essentially an Indian on the Blue Hills as among the Rocky Mountains.“ (zitiert in ROTUNDO, 1993, S. 227) Andere nahmen eine Art sozialdarwinistische Haltung an und sahen ihre Städte als eine Art „zivilisierten Dschungel,“ in denen der stärkste im Streben nach ökonomischem Erfolg überlebt. (Rotundo, 1982, S. 307)

Das Ideal des Masculine Primitive forderte zu aggressivem Handeln auf, um einen Mann härter zu machen in seinem Streben nach Macht, Reichtum, sozialem Status und Anerkennung, oder für das Gute für die Gemeinde und die Menschheit (Rotundo, 1982, S. 311). Männer wie Thomas Wentworth Higginson, Theodore Roosevelt und G. Stanley Hall wussten, dass Instinkte nicht vollständig Besitz von einem Mann ergreifen konnten. Sie betonten stets, dass der zivilisierte Mann die Fähigkeit zum rationalen Handeln in sich trug. Häufig drückten sie ihre Furcht aus, dass die Zivilisation, mit ihren Anforderungen, die primitiven Leidenschaften zu unterdrücken, die Unabhängigkeit eines Mannes sowie den Mut und den Drang nach Herrschaft erstickt hatte. So mahnten sie oft, dass beides, Rationalität und instinktives Handeln, kultiviert werden musste, um einen Mann so stark zu machen, um im Kampf um Erfolg und Dominanz in der Welt erfolgreich zu bestehen (ROTUNDO, 1993, S. 232).

Es war in der zweiten Hälfte des 19. Jh. ein enorm gestiegenes Interesse am männlichen Körper festzustellen. Ein richtiger Mann, so sah es der Masculine Primitive, war nur jemand mit einem starken, robusten Körper.

Das Wachstum des Körpers, Gesundheit und Spaß waren nun wichtige Faktoren. Junge Männer dokumentierten ihre eigene körperliche Entwicklung mit penibler Genauigkeit. Lebendige Freiluftaktivitäten und der Sport spielten eine immer wichtiger werdende. Teenager, College- Studenten und junge berufstätige Männer erfreuten sich einer schier endlosen Palette von Freiluft- und Sportaktivitäten wie boxing, camping, football, baseball und skating. Intercollegiate athletics wuchsen seit den 1850ern beständig in der Beliebtheitsskala der Studenten. „Spartanischem Training“ und sportlichen Auseinandersetzungen in athletics wurden Funktionen zugeschrieben, auf der einen Seite den Körper und auf der anderen den Charakter auszubilden. Edward Everett Hale, der bekannte Unitarierminister, war sich bewusst, wie wichtig Kraft und körperliches Wohlbefinden für den männlichen Stolz sind. Er war zwar nicht ganz damit einverstanden, dass sein Sohn so viel Zeit mit rowing verbrachte, jedoch stellte er sich dem Treiben seines Sohnes nicht in den Weg: „What shall you do with a strong, healthy, happy, good boy, - who only asks to be in the open air, and train the body God has given him.“ (zitiert in ROTUNDO, 1982, S. 305)

Ältere Männer nahmen nicht mehr an physical education oder athletics teil. Für sie kamen Aktivitäten an der frischen Luft wie hunting oder horseback-riding wie gerufen, um aktiv zu sein und ihrer Gesundheit Gutes zu tun. Ein Geschäftsmann schrieb 1874: „[Hunting is] my chief source of amusement and recreation […] not to speak of its beneficial effects on my health.” (zitiert in ROTUNDO, 1983, S. 28) Hieran lässt sich allerdings auch die starke Furcht dieser Leute ablesen, nämlich die Furcht, dass einseitige Arbeitsbelastungen in Schwäche und schlechter Gesundheit mündeten. Die starke Migration, die sich vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts abzeichnete, der Strom vieler Menschen aus einer agrarisch geprägten Gesellschaft in die Städte, hatte eine starke Veränderung der Unternehmerstruktur zur Folge.

[...]


1 Ich verwende den Begriff style of manhood in Anlehnung an ROTUNDO (1982), der zur genaueren Differenzierung self-made manhood als style of manhood betrachtet, unter den die verschiedenen Männlichkeitsideale fallen.

2 Richard Brown entleiht das Konzept “modernization” aus der Soziologie und wendet es in seinem Buch Richard D. Brown (1976) Transformation of American Life.New York: Hill & Wang auf das Amerika des frühen 19. Jh. an.

3 Der Begriff „meritocracy“ findet hier seinen Ursprung.

4 Den Interessen des Individuums wurde zwar auch schon im 18. Jh. sehr viel Beachtung geschenkt, doch wirkte sich die kommunale Weltanschauung beschränkend auf diese aus.

5 Der plötzliche Aufstieg des amerikanischen Individualismus im sozialen und kulturellen Kontext wurde beschrieben in Richard D. Brown, Transformation of American Life (New York: Hill & Wang 1976) und Alexis de Tocqueville, Democracy in America, ed. By Phillip Bradley (New York, 1945). Tocqueville war der erste, der den Begriff „Individualismus“ auf Amerika in seinem erstmals 1835 veröffentlichten Buch Democracy in America anwendete.

6 Sinnbildlich für die wachsende Bedeutung der Zeit stehen die vielen Uhren, die nun an jeder Ecke zu finden waren. Für mehr Informationen über die amerikanische Arbeitsethik siehe Rodgers, Daniel T. (1978). The Work Ethic in Industrial America 1850-1920. Chicago: University of Chicago Press.

7 ROTUNDO (1982) fasst den Masculine Primitive unter Manhood of the Body. Ich behalte ihn jedoch unter self-made manhood, weil auch der Masculine Primitive im Lichte von self-making steht. Es findet damit keine Bedeutungsveränderung oder dergleichen statt.

8 Unter communal manhood versteht ROTUNDO (1982, 36-72) die einander entgegengesetzten Männlichkeitsideale Man of Social Usefulness und Man of Self- Assertion. ROTUNDO ist zwar der Meinung, dass gender in den Köpfen der Menschen im 18. Jh. noch keine große Rolle gespielt hat, jedoch hält er dagegen (1993, S. 10): „Still, the lack of an obsession with gender did not mean an absence of ideas on the subject. People recorded their ideas of what it meant to be a good man, and they were influenced by their own religious texts and by new ideas pouring in from abroad.“

9 Trotz der nicht ganz unbegründeten Kritik an Historikern wie Rotundo, die Paradigmen zu dem Anlass aufstellen manhood zu gewissen Zeiten zu beschreiben, ist dieses Verfahren sinnvoll, denn, wie Miller (1999) klarstellt, „in a narrative that places self-made manhood as the nineteenth-century successor of eighteenth-century communal manhood, this depiction unnecessarily sacrifices details otherwise bolstering a more nuanced understanding of early American manhood.“

10 Dies schloss Männer und Frauen gleichermaßen mit ein. Allerdings beanspruchten Männer lediglich für sich selbst das Konzept des Mannes als „master animal“ allein. Männer dachten, dass Frauen durchweg zivilisierte Wesen seien, frei von Leidenschaften und Instinkten und voller Feingefühl (ROTUNDO, 1993, S. 230).

Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
"Manhood" im frühen amerikanischen Sport
Hochschule
Universität Münster  (Sportwissenschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
102
Katalognummer
V86569
ISBN (eBook)
9783638007313
Dateigröße
1616 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschränkt sich bei weitem nicht bloß auf den Bereich Sportgeschichte, sondern liefert auch für Amerikanisten, Kulturwissenschaftler und Personen, die sich mit 'gender studies' bzw. den sogenannten 'men's studies' befassen, interessante Ergebnisse über das Konzept von "Manhood". Vom Prüfer als "herausragend" tituliert (Note 1,3 wegen der nicht ganz genügenden Reflexion im Schlussteil der Arbeit) mit einem sehr umfangreichen Quellenverzeichnis (über 100 Angaben), das neben den Erläuterungen zur Literatur- und Quellenlage mehr als eine gute Basis für weitere Recherche bildet.
Schlagworte
Manhood, Sport
Arbeit zitieren
Kai Mühlenhoff (Autor:in), 2005, "Manhood" im frühen amerikanischen Sport, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86569

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Titel: "Manhood" im frühen amerikanischen Sport



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