Die visuellen Metaphern in den Filmen Alexander Kluges


Seminararbeit, 2002

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Alexander Kluge, der Zuschauer und die Aufgabe des Films

3. Abschied von Gestern
3.1. Kurze Inhaltsangabe
3.2. Formale Merkmale

4. Die visuellen Metaphern bei Alexander Kluge
4.1. Allgemeine Erklärungen zur filmischen Metapher
4.2. Beispiele verschiedener Metaphern
4.2.1. Drehscheibe Rhein-Main: Übertragung einer literarischen Metapher
4.2.2. Assoziative Montage: Der Hase als symbolisches Bindeglied
4.2.3. Kontrastierende Montage: Restaurantszene
4.2.4. Kamerabewegung als Ausdruck innerer Zustände
4.2.5. Verzerrung durch Zeitraffer und Stauchung des Bildes
4.2.6. Figuren- und Milieucharakterisierung durch mise-en-scène
4.3. Die Muster der Bedeutungskonstruktion

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

7. Filmverzeichnis

1. Einleitung

Alexander Kluges Filme sind nicht einfach zu verstehen. Die meisten Menschen sind bei deren Betrachten nach einiger Zeit verwirrt und oft gelangweilt, da sie keinen Sinn zu erkennen vermögen.

Dies liegt vor allem daran, dass die Erzählweise und die Art der Bedeutungskonstruktion nicht den Konventionen typischer Hollywoodnarration entsprechen. „So läuft das Prinzip der auslassenden Kürze [...] der klassischen Spielfilmdramaturgie extrem zuwider“, wodurch der Zuschauer ständig aus dem Erzählfluss herausgerissen wird und dazu gezwungen wird, die Handlungskontinuität selbst zu assoziieren. (Barg 1996, S.101). Völlig unvorbereitete Zuschauer fühlen sich hierbei jedoch zumeist maßlos überfordert, besonders, wenn das von Kluge vorausgesetzte historische und politische Wissen nicht vorhanden ist.

Kluges Filme zeichnen sich besonders durch die Vermischung von verschiedenen Materialien aus. Sie sind daher nicht einzuordnen in die üblichen Kategorien wie Spielfilm oder Dokumentation, sondern sind Mischformen, die sich aus der Zusammenstellung der unterschiedlichsten Materialien aus verschiedenen Medien ergeben. So montiert Kluge häufig eine Abfolge von Photos, Zeichnungen, dokumentarischen Aufnahmen und gestellten spielfilmartigen Sequenzen hintereinander. Die Filme wirken daher wie ein patch-work, bei dem alles an der Oberfläche bleibt und „der Sinn durch die Spannung dazwischen, durch die Diktion des „Zusammengenähten“ entsteht“. (Jacobsen 1993, S.230) .

In diesen als Materialsammlungen gedrehten Filmen wird Sinn durch extrem bildhafte Sprache und assoziative oder kontrastierende Montage aufgebaut. So erzeugt Kluge starke visuelle Metaphern, deren Untersuchung und Entschlüsselung für das Allgemeinverständnis des Films von Bedeutung ist. In meiner Arbeit werde ich es mir zur Aufgabe machen, anhand der Vielzahl der Metaphern einige grundlegende Muster der Bedeutungskonstruktion herauszufiltern. Diese Muster sollten dann als Verständnishilfe auch auf andere Filme Kluges angewandt werden können und den Umgang mit ihnen erleichtern.

Ich werde im Folgenden also einige konkrete Metaphernbeispiele aus dem Film ABSCHIED VON GESTERN herausnehmen, sie interpretieren, ihre Stellung in Bezug auf die Gesamtaussage des Films herausarbeiten und abschließend die Prinzipien oder Muster der Bedeutungskonstruktion zu erstellen versuchen. Zusätzlich werde ich gegebenenfalls einzelne Beispiele aus dem Film DER ANGRIFF DER GEGENWART AUF DIE ÜBRIGE ZEIT erwähnen, um eine Metaphernart näher zu erklären.

Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass es nie nur eine Möglichkeit der Deutung gibt. Gerade Kluge legt sehr großen Wert darauf, dass jeder Zuschauer den Film auf seine eigene Weise wahrnimmt und deutet. Daher sollen die Prinzipien oder Muster, die ich herausarbeite, lediglich als Anreiz oder Hilfe zum Umgang und Verständnis der Kluge-Filme dienen.

Bevor ich jedoch auf die einzelnen Beispiele eingehe, werde ich einige wichtige Hintergrundinformationen betrachten, die wichtig und interessant in Bezug auf seine Filme sind: Wie sieht Kluge zum Beispiel die Stellung und Rolle des einzelnen Zuschauers im Prozess der Bedeutungsproduktion? Welches Ziel verfolgt er und welche Aufgabe ordnet er dem Film in der Gesellschaft zu?

Zum besseren Verständnis der Metaphernbeispiele werde ich anschließend kurz den Inhalt von ABSCHIED VON GESTERN und die wichtigsten formalen Merkmale wiedergeben.

2. Alexander Kluge, der Zuschauer und die Aufgabe des Films

Alexander Kluge war einer der maßgeblichen Initiatoren des Oberhausener Manifests, indem „Papas Kino“ für tot erklärt und der Beginn des Neuen Deutschen Films ausgerufen wurde. An „Papas Kino“ wurde kritisiert, dass es den Zuschauer in eine passive Rezeptionshaltung drücke, ihm eine unrealistische Gesellschaft vorspiegele und gleichzeitig damit langweile, dass es ihm keine Freiheiten mehr lasse. Stattdessen wird ein demokratischer Prozess gefordert, der die Zuschauer bei der Bedeutungsproduktion aktiv miteinbezieht. (Vgl. Lutze 1998, S.145).

Kluges Ziel ist es, den Zuschauer intellektuell zu aktivieren und zum eigenständigen Denken anzuregen. Das Publikum soll sich den Film selbst im Kopf zu-

sammenstellen und dabei sein „Unbewusstes und sein Gedächtnisvermögen als Synthese-Instrument“ erleben. (Jacobsen 1993, S.284). Somit wertet er die Rolle des Regisseurs zugunsten der Rolle des Zuschauers ab. Nicht allein der Re-gisseur ist nunmehr verantwortlich für die Produktion von Bedeutung im Film, da das Publikum dazu frei sein soll, den Film durch die eigene Erfahrung und Wahrnehmung selbst zu organisieren.

In dieser Auffassung sind jedoch Spannungen enthalten, die auch Kluge nicht in der Lage war völlig zu lösen. Einerseits soll der Zuschauer eigenständig, unabhängig und frei sein bei der Interpretation seiner Filme, andererseits möchte Kluge trotzdem Kritik an der gesellschaftlichen Realität in Deutschland üben und tut dies auch meist recht offensichtlich. Schließlich möchte er die Gesellschaft wenigstens ein stückweit durch seine Tätigkeit verändern, indem er die Menschen für soziale Missstände sensibilisiert. Wie kann er aber dem Film die dazu nötige Klarheit und Eindeutigkeit geben, wenn er dem Zuschauer seine völlige Freiheit nicht nehmen will.

Es steht fest, dass der Autor immer derjenige ist, der das Material vororganisiert und somit bestimmte Bedeutungen zum Zuschauer transportiert. Je offener und mehrdeutiger ein Film, desto anstrengender ist es jedoch ihn aufzunehmen. Folglich ist der Anteil derer, die sich die „Mühe“ machen, Kluges Filme zu sehen, eher gering und der Anspruch des Kinos als Massenmedium geht verloren. (Vgl. Lutze 1998, S.145).

Barg beschreibt diesen Konflikt zwischen „offener Konstruktion“ und dem Ansatz Kluges, in seinen Filmen Gesellschaftskritik zu üben, als eine „ästhetische Uneinigkeit“:

„Gesellschaftskritisch-ironische Montagen, [...], vermischen sich mit Erzählformen, die – der Klugeschen Autorenfilmtheorie angemessen – nicht auktorialen Sinn sondern Zuschauer-Assoziation produzieren wollen. Durch die Sinn-Montage prädisponiert, sucht das Publikum aber auch hier nach möglichen Bild- und Wort-/Bild- Zusammenhängen und stürzt – während die filmische Bewegung schon den nächsten Gedankenblitz des Autors präsentiert – in ein Wechselbad aus Verstehen und Nicht-Verstehen, das es nicht lange aushält.“ (Barg 1996, S.190).

Kluge setzt sich daher zum Ziel, auch wenn dies einigermaßen paradox klingen mag, sein Publikum dazu zu erziehen eigenständig und unabhängig zu denken.

Er selbst hat einige Lösungsansätze gefunden und verwirklicht, um dies zu erreichen. Er liefert meistens zu jedem Film viel außerfilmisches hauptsächlich li-

terarisches Material, wie zum Beispiel Filmbücher, die neben dem Skript auch anderes zusätzliches Material enthalten, mit dessen Hilfe das Verstehen erleichtert wird und der Zuschauer tiefer in die Materie eingeführt wird. In zahlreichen Interviews hat Kluge ebenfalls Hinweise gegeben. Auch außergewöhnliche Methoden, wie das Abkommen mit manchen Kinos, das es dem Zuschauer ermöglichte einen Film mit nur einer Kinokarte zweimal zu sehen, gehören hierzu.

Zusätzlich gibt er innerhalb des Films einige Hilfestellungen, wie zum Beispiel Titel und Zwischentitel, die wiederum ebenfalls teilweise verschlüsselt sind, sowie Kommentare per Voice-Over seiner eigenen Stimme. (Vgl. Lutze 1998, S.158f). Dem Zuschauer wird das Verstehen dadurch zwar erleichtert, doch der Konflikt und die Spannung zwischen Sinn vorgeben und offen lassen für den Zuschauer ist hierdurch eher noch verstärkt. Kluge ist sich dessen wohl bewusst und sieht das Problem als einen eminenten und offensichtlich unlösbaren Widerspruch in seiner eigenen Theorie an, steht ihm aber relativ hilflos gegenüber.

3. Abschied von Gestern

3.1. Kurze Inhaltsangabe

Der erste Langfilm Alexander Kluges ABSCHIED VON GESTERN handelt von der weiblichen Protagonistin: Anita G., die Tochter aus einer ehemals wohlhabenden, jüdischen Fabrikantenfamilie. Aus der DDR geflüchtet, versucht sie sich vergeblich in der westdeutschen Gesellschaft einzufinden. Sie scheitert jedoch immer wieder bei diesen Versuchen und gerät dabei in Konflikt mit ihrer Umwelt. Schon zu Beginn des Films wird Anita des Diebstahls angeklagt und verurteilt. Nachdem sie ihre Haftstrafe beendet hat, versucht sie ein neues Leben anzufangen. Immer wieder wird jedoch in einzelnen episodenartigen Abschnitten ihr Scheitern gezeigt: ihr vergeblicher Versuch ein Studium aufzuneh-

men, mehrmaliger Verlust ihrer Arbeit, ihrer Unterkunft und auch ihrer Liebhaber. Sie begeht immer wieder kleinere Delikte und befindet sich praktisch ständig auf der Flucht. Nachdem sie am Ende schwanger und ohne Obdach auf der

Straße steht, stellt sie sich freiwillig der Polizei, um ihr Kind an einem sicheren Platz zur Welt bringen zu können. Das Kind wird ihr im Gefängnis weggenommen, in dem Anita am Ende des Films ohne wirkliche Zukunftsperspektive ihre Strafe absitzt.

3.2. Formale Merkmale

Alexander Kluge benutzt auch bei diesem Film eine Reihe an verschiedenen Materialien aus anderen Künsten und Medien: gestellte Spielfilmepisoden, dokumentarische Aufnahmen, z.B. von Schauplätzen oder Interviews, Fotos, teilweise alte Familienfotos der Familie Kluge, Kinderbuchbilder, unterlegt mit der Stimme Kluges, der die dazugehörigen Gedichte oder Geschichten vorliest, und Zwischentitel.

Diese verschiedenen Materialien werden in unterschiedlichem Rhythmus aneinandergefügt. Teilweise sind die gestellten Szenen eher lang, dann wieder wechseln die Bilder und Materialien so schnell, dass man als Zuschauer Probleme hat ihnen zu folgen. Seine Montagepraxis verfolgt das Ideal des sichtbaren Schnitts des cinéma impur und schafft Diskontinuität und Unabgeschlossenheit.

(Vgl. Kluge 1999, S.13).

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die visuellen Metaphern in den Filmen Alexander Kluges
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Institut für Film- und Fernsehwissenschaft)
Veranstaltung
Proseminar: Recht im Film
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
20
Katalognummer
V8656
ISBN (eBook)
9783638155724
Dateigröße
695 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Alexander Kluge, Metaphern, Montage, Neuer Deutscher Film, Bedeutungskonstruktion
Arbeit zitieren
Claudia Schnurbus (Autor:in), 2002, Die visuellen Metaphern in den Filmen Alexander Kluges, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8656

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