Schamanismus als Ressource der Ethnizitätskonstruktion im heutigen Jakutien


Hausarbeit, 2007

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Grundsätzliches zum Schamanismus

3. Die systematische Unterdrückung jakutischer Schamanen in der Sowjetunion
3.1. Die atheistische Staatsdoktrin der Sowjetunion
3.2. Methoden zur Vernichtung des jakutischen Schamanismus
3.3. Folgen

4. Die Bedeutung der mündlichen Tradierung für die heutigen Entwicklungen in Jakutien

5. Die politisch Motivierte Revitalisierung des Schamanismus in der Republik Sakha
5.1. Die Diamanten - Schlacht
5.2. Die „Kut-Sür-Bewegung“
5.3. Conclusio

6. Einige kritische Anmerkungen

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Ethnologen und Anthropologen kommen in ihren Studien heute darin überein, dass in vielen Teilen der postmodernen Welt eine enge Verbindung zwischen Religion oder religiösen Systemen und politischen Prozessen besteht. Spezifische religiöse Inhalte und Traditionen werden vor allen Dingen in multiethnischen Gebieten als Mittel zur interethnischen Abgrenzung oder darüber hinaus sogar zur Ethnizitätskonstruktion genutzt und stehen so oft im Dienste eines gewissen Ethno-Nationalismus.

Auch in der autonomen russischen Teilrepublik Jakutien (Sacha) ist seit den frühen 1990er Jahren eine deutliche Revitalisierung nationaler Traditionen zu beobachten, die stark mit dem System des Schamanismus verknüpft ist[1]. Nach Jahren der systematischen „Verneinung und Zerstörung jeglicher Tradition“ (HOPPÁL 2002: 146), der Entfremdung und Identitätskrise, die mit Industrialisierung und Kommunismus in der Sowjetunion einher gingen[2], entdecken die Jakuten heute unter Berufung auf den Schamanismus die Reichtümer der eigenen Vergangenheit wieder. Dem „ideologischen Bankrott“ von Modernismus und Globalisierung werden nun die „Werte der örtlichen Gesellschaften und der lokalen Lösungen“ entgegengestellt (Ebd.: 146). Die „Revitalisierung des Schamanismus [ist] mit dem Selbstbehauptungswillen und dem Wunsch nach verstärkter politischer Emanzipation“ verknüpft (KRESSING: 39). Das Bewusstsein der jakutischen Öffentlichkeit gegenüber den Schamanen war zwar schon immer überaus ambivalent, doch lässt sich heute unverkennbar statuieren, dass „recent sentiment has tipped in favour oft the shaman“ (BALZER 1996: 2).

Der Schamanismus, bisher von ethnologischer Seite fast einstimmig definiert als „Ritual- und Überzeugungssystem“ (KRESSING: 4) und eben nicht als Religion, nimmt in Jakutien mehr und mehr den Charakter einer Staatsreligion an, wird er doch behördlicherseits nicht nur als favorisierte Glaubensform angesehen, sondern sogar in vielfältiger Art und Weise offiziell unterstützt (vgl. ebd.: 33f)[3].

Je weiter die öffentliche Legitimierung und Institutionalisierung verschiedener Aspekte des Schamanismus voranschreitet, desto größer wird das Vertrauen der Jakuten in ihre eigene Kultur und ihre nationale Identität (vgl. BALZER 1996: 10).

Und desto deutlicher tritt die elementare Rolle hervor, die der Schamanismus in der politisch motivierten Revitalisierungsbewegung im postmodernen und post-sowjetischen Jakutien spielt.

In diesem Aufsatz soll herausgearbeitet und zusammenfassend aufgezeigt werden, wie es zu dieser nationalen Bewegung kommen konnte, welche evidenten Voraussetzungen und Gründe dafür in der jakutischen Vergangenheit zu finden sind und welche weitreichenden Auswirkungen sie auf die verschiedensten Bereiche des Lebens in Jakutien hat. Dabei setze ich grundlegende Kenntnisse über geographische und historische Gegebenheiten des Gebietes Jakutien bereits voraus, die für die Ausarbeitung weniger bedeutsam sind und den Rahmen der Arbeit sprengen würden.

2. Grundsätzliches zum Schamanismus

In aller Kürze zu klären sind jedoch Grundbegriffe und Grundlagen des Schamanismus als „Komplex verschiedener religiöser Vorstellungen und ritueller Handlungen, die mit der Person des Schamanen verbunden sind“ (KLEINOD: 4) und durchaus mit anderen religiösen Systemen verknüpft sein können (vgl. KRESSING: 4).

Eindeutige archäologische Funde in den ursprünglichen Siedlungsgebieten der Jakuten um den sibirischen Baikalsee, die auf die Zeit zwischen 1700 und 1300 v. Chr. datiert werden können, erlauben es, schamanische Tätigkeiten in dieser Region kontinuierlich über fünftausend Jahre hinweg zurückzuverfolgen (vgl. ebd.: 11). HOPPÁL folgert daraus:

„Shamanism has been one of the most significant elements of the spiritual tradition of the Altaic peoples. It can be seen as a treasure house of folk knowledge (…)“ (HOPPÁL 1996: 1)

Darauf gründet sich meine Vermutung, dass dieses uralte Glaubenssystem bereits fest in der jakutischen Identität verankert und erheblich an der Definition des nationalen Selbstverständnisses beteiligt ist.

Die Funktionen des Schamanen in der Gesellschaft waren und sind vielseitig. So tritt er nicht nur als Heiler, sondern auch als Wahrsager und Kartenleger auf, trägt als Sänger Heldenepen, historische Lieder und Mythen, sowie schamanische Hymnen und Gebete vor, ist gleichzeitig Schauspieler und Musiker (vgl. HOPPÁL 1996: 1). Er sichert sowohl das Jagdglück, als auch die kosmische Harmonie.

[...]


[1] „A contemporary revival of shamanism“; HOPPÁL 1996: 1.

[2] „The transformation that was carried out in the name of modernity and so-called development was directed against tradition“; HOPPÁl 1996: 2.

[3] Vgl. die Definition von „Staatsreligion“ im „BROCKHAUS Religionen“: „Die von einem Staat in seinem Territorium ausschließlich anerkannte oder zumindest bevorzugte Religion beziehungsweise Konfession (…)“

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Schamanismus als Ressource der Ethnizitätskonstruktion im heutigen Jakutien
Hochschule
Universität Augsburg
Veranstaltung
Proseminar "Religion als Bestandteil von Ethnizitätskonstruktionen"
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V86368
ISBN (eBook)
9783638018753
ISBN (Buch)
9783638921015
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schamanismus, Ressource, Ethnizitätskonstruktion, Jakutien, Proseminar, Religion, Bestandteil, Ethnizitätskonstruktionen
Arbeit zitieren
Sarah Triendl (Autor:in), 2007, Schamanismus als Ressource der Ethnizitätskonstruktion im heutigen Jakutien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86368

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