Falsche Meinung in Platons „Theaitetos"


Hausarbeit, 2007

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Erster Ansatz (188a-c)

Zweiter Ansatz (188d-189b)

Dritter Ansatz (189c- 191a)

Zusammenfassung der ersten drei Ansätze

Vierter Ansatz: Das Wachstafelgleichnis oder die falsche Meinung in der Empirie (191a-196e)

Fünfter Ansatz: Das Taubenschlaggleichnis oder die falsche Meinung im Felde des Mathematischen (197a-200d)

Sophistes

Schlussbetrachtungen

Bibliographie

Einleitung

Platons Spätdialog ‚ Theätet ’ behandelt die Frage ‚Was ist Wissen?’[1]. Die Dialogpartner Sokrates und Theätet besprechen, prüfen und verwerfen bei der Untersuchung dieser Frage drei Thesen:

Wissen ist Wahrnehmung

Wissen ist wahre Meinung

Wissen ist wahre begründete Meinung…

Wenn der Vorschlag gemacht wird, dass es sich bei Wissen (beziehungsweise Erkenntnis) um wahre Meinung handelt, stellt sich die Frage ‚Was ist falsche Meinung’?

Sokrates und sein Gesprächspartner Theätet gehen davon aus, dass es solches ‚falsches Meinen’ gibt. Zu ersehen ist dies schon aus der Art und Weise, wie die Frage formuliert ist:

„Mich beunruhigt jetzt und auch sonst oft, und es bringt mich in große Verlegenheit mir selbst und einem anderen gegenüber, dass ich nicht erklären kann, was das eigentlich für ein Zustand in uns ist und wie er zustande kommt.“ (187d)

An anderer Stelle wir dies noch einmal explizit ausgesprochen:

„Sokrates: […] Behaupten wir, dass es jeweils eine falsche Meinung gibt […]? Theätet: Ja, das behaupten wir.“ (187e)

Es wird also keineswegs daran gezweifelt, dass falsche Meinung möglich sei. Dennoch soll zu erklären versucht werden, wie diese zustande kommen kann.

Die anschließende Untersuchung ist für den späteren Verlauf des ‚Theätet’ nicht von Bedeutung- es handelt sich um einen Exkurs, für dessen Ausführung nicht nur Muße, sondern vor allen Dingen innere Gründe ausschlaggebend sind.[2]

Entscheidend für die Ausführung ist auch die Tatsache, dass philosophische Wahrheit nicht das Wahre an sich ist, sondern zugleich die Auflösung des Falschen. Um zu einer richtigen Meinung zu gelangen, muss also erst die falsche Meinung bestimmt und überwunden werden oder wie Spinoza es ausdrückt: „Est enim verum index sui et falsi.“[3]

Wie also löst die richtige Meinung die ihr entgegenstehende falsche auf, beziehungsweise: Wie korrigiert sie sie?

Insgesamt werden fünf Erklärungsversuche für falsche Meinung angetreten.

Gleich zu Beginn dieser Untersuchung aber treten unerwartete Schwierigkeiten auf, weil die ersten drei Argumente, die Sokrates gegen die Annahme falscher Meinung ins Feld führt, auf fehlerhaften Prämissen beruhen.

Der vierte und der fünfte Erklärungsversuch- das Gleichnis vom Wachsblock und das Gleichnis vom Taubenschlag- sollen Abhilfe schaffen. Alleine auch hier tun sich Hindernisse auf, so dass Platons Bemühungen, falsche Meinung zu beschreiben weitgehend scheitern.

Im Folgenden sollen die von Platon behandelten Ansätze näher untersucht werden. Hierbei wird auf Schwachpunkte seiner Untersuchung aufmerksam gemacht werden; überdies hinaus interessiert aber auch die Frage, welche positiven Ansätze zur Beschreibung falscher Meinung der ‚ Theätet ’ bereits enthält. Ein Überblick über seinen direkt anschließenden Dialog ‚ Sophistes ’, in welchem eine solche Beschreibung entsprechend gelungen ist, soll in diesem Zusammenhang Aufschluss geben.

Erster Ansatz (188a-c)

Sokrates stellt in seinem ersten Erklärungsansatz für falsche Meinung die Behauptung auf, dass von allem gilt, dass es entweder gekannt wird oder nicht gekannt wird.[4] Prozesse, die dazwischen liegen, wie etwa das Lernen und Vergessen, will er für den Moment bewusst ausklammern. Hierbei handelt es sich um Vorgänge in denen man Gegenstände nur teilweise kennt. Da aber gelten soll, dass Gegenstände entweder völlig bekannt oder völlig unbekannt sind, werden somit sämtliche Situationen ausgeschlossen, in denen Verwechslungen auftreten, während man versucht Gegenstände wieder zu erkennen.

Überdies hinaus gilt auch die implizite Prämisse, dass eine Meinung zu haben bedeutet, etwas für etwas zu halten.

Um eine Meinung aufzustellen ist es nötig, den Meinungsgegenstand zumindest in der Hinsicht zu kennen, als dass man weiß, worauf man referiert. Weil man kennen muss, worauf man sich bezieht und man Dinge entweder vollständig kennt oder gar nicht kennt- so die von Sokrates aufgestellte Voraussetzung- kann falsche Meinung nur darin bestehen, dass man etwas gänzlich kennt und zugleich überhaupt nicht kennt. Gerade aber darin liegt ein nicht aufzulösender Widerspruch. Unter den angebenden Prämissen, ist falsches Meinen nicht möglich. Zwei unbekannte oder zwei bekannte oder einen bekannten und einen unbekannten Gegenstand kann man nicht miteinander verwechseln.[5]

Nun wird in dem von Sokrates geleisteten Argument eine Tatsache bestritten, die offensichtlich richtig ist: Falsches Meinen ist möglich.

Der entscheidende Fehler, den Sokrates hier begeht, liegt in der Annahme, dass man etwas entweder vollständig kennt oder überhaupt nicht kennt. Es ist nämlich durchaus möglich, etwas in einer bestimmten Hinsicht zu kennen und in einer anderen Hinsicht nicht zu kennen. Sokrates’ Prämisse müsste dementsprechend lauten: Es ist unmöglich, eine Sache in einer bestimmten Hinsicht zu kennen und in derselben Hinsicht zugleich nicht zu kennen.

Zweiter Ansatz (188d-189b)

Folgt man Sokrates’ Gedankengang, ergibt sich aus seinem ersten Erklärungsansatz Folgendes: Es kann nichts Nicht-Seiendes gemeint werden. Denn wer völlig Nicht-Seiendes meint, meint nichts. Und wer nichts meint, meint überhaupt nicht mehr.

Hier spielt die falsche Analogie zwischen sinnlicher Wahrnehmung und Meinen eine bedeutende Rolle. Setzt man die Ausdrücke „Falsches meinen“ und „nicht Seiendes meinen“ gleich, lässt sich der irrige Schluss ziehen, dass das Meinen des Falschen kein Meinen sei und es somit falsche Meinung überhaupt nicht geben könne. Hardy führt in diesem Zusammenhang treffend aus: „Nicht das Falsche ist Gegenstand des Urteilens, wie etwa eine Person Gegenstand des Sehens ist, sondern die Falschheit ist eine Eigenschaft von Aussagen, die genau dann falsch sind, wenn sie einen Sachverhalt behaupten, der nicht besteht.“[6]

Dritter Ansatz (189c- 191a)

Dieser Abschnitt stellt einen Ausweg aus oben genanntem Dilemma dar- wenngleich er andere Probleme mit sich bringt.[7]

Sokrates versteht falsches Urteilen in seinem dritten Ansatz als „Anders-Urteilen“ (άλλοδοξία) beziehungsweise als Verwechslung von Seiendem (189b).

Es wird nun davon ausgegangen, dass sich falsches Meinen immer auf zwei Dinge bezieht, die beide als bekannt vorausgesetzt werden. Irrtümer kommen also dann zustande, wenn man diese zwei Dinge, über die man jeweils eine klare Vorstellung hat, im Denken miteinander verwechselt.

Falsche Meinung wird also mit Verwechslung gleichgesetzt, mit „etwas anderes meinen“. Doch auch diese Annahme führt hier nicht weiter. Es ergibt sich das gleiche Problem wie beim ersten Ansatz, weil Platon beständig ‚kennen’ mit ‚wissen’ gleichsetzt. Schwierigkeiten bereitet bei dieser Gleichsetzung die Tatsache, dass grammatikalisch gleiches konsequent gleich behandelt wird. Sinnliche Wahrnehmung (Sehen, Hören, Fühlen…) und geistige Vorgänge (Denken, Meinen, Erkennen…) werden gleichgesetzt, weil die Verben beider Gruppen über ein direktes Objekt verfügen. Dementsprechend, schließt Platon, beziehen sich beide auf Objekte. Diese Gleichsetzung aber führt dazu, dass das Falsche als Objekt des Meinens angenommen wird- etwa wie ein Tisch ein Objekt des Sehens ist. Genauso wenig aber wie man nicht Seiendes (beziehungsweise nichts) sehen kann, kann man das nicht Seiende (beziehungsweise nichts) meinen.[8] Im ersten Fall wird man überhaupt nicht von Sehen sprechen, im zweiten sollte von Meinen nicht die Rede sein.

Falsches ist niemals Objekt der Meinung, sondern die Meinung selbst ist falsch! Inhalt einer falschen Meinung ist ein derart nicht bestehender Sachverhalt, nicht nichts.

In der Widerlegung soll gezeigt werden, dass es eben nicht möglich ist, voneinander unterschiedene Gegenstände zu verwechseln. Auffälligerweise werden in den angegebenen Beispielen nur in kontradiktorischem Gegensatz zueinander stehende Paare verwendet: Das Gerade und das Ungerade, das Gerechte und das Ungerechte, das Schöne und das Hässliche[9]. Aber gerade durch die Wahl dieser Beispiele entsteht die unausdrückliche Annahme, die Gegenstände des Behauptens seien derart deutlich voneinander unterschieden, dass eine Verwechslung in jedem Falle ausgeschlossen sei.

[...]


[1] Die Fragestellung gleicht denjenigen früherer Definitionsdialoge Platons.

[2] Vergleiche obiges Zitat 187d

[3] Die Wahrheit als Prüfstein gegen sich selbst und gegen die Unwahrheit.

[4] Als Beispiel für das Kennen dient das Kennen von Personen.

[5] Unmöglich kann die Seele im selben Augenblick eine Meinung über einen Gegenstand mit einer Meinung über einen anderen Gegenstand verwechseln. Denn wenn sie von beiden eine Meinung hat, hat sie zugleich von beiden eine Meinung als voneinander getrennten Gegenständen. Eine Verwechslung ist somit ausgeschlossen. Ebenfalls kann die Seele im selben Augenblick einen Gegenstand von dem sie eine Meinung hat mit einem Gegenstand verwechseln von dem sie keine Meinung hat, da sie nicht in Versuchung komme wird, eine Aussage über etwas zu machen, von dem sie keine Meinung hat. Falsche Meinung ist, wenn innerhalb des zeitlichen Augenblicks verblieben wird, immer unmöglich, sonst widerspräche sich gegenwärtige Evidenz mit gegenwärtiger Evidenz.

[6] Hardy, J.: “Platons Theorie des Wissens im Theaitet”. Göttingen: 2001. Seite 173

[7] Platon führt hier die Definition ein, dass das Überlegen eine Rede sei, die die Seele bei sich selbst führt. Dementsprechend, so Platon, sei die Meinung ein Satz, den man still zu sich selbst spricht. (190a) Aufgrund dieser von Platon geäußerten Meinung, kann man sagen, dass die Erklärungsversuche der falschen Meinung zugleich diejenigen des falschen Satzes sind. (Aus diesem Grund sagt auch Platon im ‚ Sophistes ’, dass, da nun erklärt sei, was ein falscher Satz ist, zugleich auch erklärt sei, was falsche Meinung ist.)

[8] In seinem Aufsatz „Logical Atomism in Plato’s Theaetetus“ gelangt Gilbert Ryle zu einer etwas lakonischen Handhabe bezüglich der Schwierigkeit nicht Seiendes zu meinen: „The phrase „think the thing that is not“ is such queer English, if it is English at all, thet we don’t feel in our vitals the tug of any problem about how can a person think the thing that is not [...] We are, I think, saved by the English language from one part of Socrates’ puzzle. For we do not often or naturally use the verb “is” and “exists” interchangeably. [...] To ask “Does Santa Claus exist?” is not at all the same as to ask „Who or where or what kind of person is Santa Claus?“” Ryle, Gilbert: „Logical Atomism in Plato’s Theaetetus“. In: “Phronesis- A journal for ancient philosophy.” Van Gorcum: 1990. Seite 25

[9] Zugegebenermaßen handelt es sich in diesem Fall nicht unbedingt um Gegensätze- man bedenke auch den faustschen „Wonnegraus“.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Falsche Meinung in Platons „Theaitetos"
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V86312
ISBN (eBook)
9783638018142
ISBN (Buch)
9783638920728
Dateigröße
519 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Falsche, Meinung, Platons
Arbeit zitieren
Carolin Catharina Wolf (Autor:in), 2007, Falsche Meinung in Platons „Theaitetos", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86312

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