Die „Berufsverbote“ in den 70er Jahren: Der „Radikalenerlass“ von 1972


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

I. Einführung

II. Vorgeschichte des „Radikalenerlasses“

III. Die Entstehung des Erlasses

IV. Überprüfungsmethoden

V. Reaktionen auf den Erlass und seine weitere Entwicklung

VI. Das Ende der „Berufsverbote“

VII. Schlusswort

VIII. Anhang
a) Auszug aus dem Ministerialblatt NRW
b) Alfred Andersch: Artikel 3 (3)

IX. Quellen und Darstellungen

I. Einführung

Thema ist der sogenannte „Radikalenerlass“ von 1972. Dieser Erlass zur „Beschäftigung von rechts- und linksradikalen Personen im öffentlichen Dienst“[1] beinhaltet zusammengefasst, dass sowohl Kommunisten, als auch Faschisten von Stellen im Staatsdienst ferngehalten bzw. entlassen werden sollen. Hintergrund war die Angst vor „inneren Feinden“, die, latent immer vorhanden, mit den Studentenunruhen in den 60er Jahren, insbesondere mit dem von Rudi Dutschke angekündigten „Marsch durch die Institutionen“, wieder neue Nahrung bekam.

Ein paar Zahlen vorab: In der Zeit von 1972 bis 1987 wurden ca. 3,5 Millionen Bewerber für den Staatsdienst überprüft, der Verfassungsschutz verfügte über negative Akten von 35.000. Der Zugang zum öffentlichen Dienst wurde zunächst 10.000 Menschen versperrt, letztendlich nicht eingestellt wurden ca. 2000 Personen. Zudem wurden ca. 2000 Beamte disziplinarischen Maßnahmen unterworfen, 256 wurden entgültig entlassen.[2]

Gegenstand dieser Arbeit wird es nun sein zu untersuchen, wie es zum Erlass kam, wie er durchgeführt wurde, und wie die Reaktionen von den verschiedensten Seiten waren. Die Darstellung der Diskussionen um den Erlass soll letztendlich dazu beitragen, folgende Fragen zu klären: Wie sah das Verhältnis zwischen persönlicher Freiheit und Staatssicherheit aus, bzw. wie sollte es aussehen? Hat der Staat das Recht, präventiv in die Persönlichkeitsrechte Einzelner einzugreifen, um sich selbst zu schützen? Hat er nicht sogar die Pflicht, so die Bürger des Staates vor möglichen Usurpatoren zu schützen? Auf diese Fragen wird im Fazit genauer eingegangen werden.

Die gesamte Arbeit stützt sich im Wesentlichen auf die im Anhang aufgeführte Untersuchung von Gerard Braunthal, da sie die bisher einzige Überblicksdarstellung ist, die sich sowohl mit der Pro - als auch mit der Contra - Seite auseinandersetzt und zudem genau nachprüfbare Angaben über verwendete Quellen macht. Eine weitere Darstellung von Manfred Histor konnte nur eingeschränkt verwendet werden, da der Autor Mitglied einer Bürgerinitiative gegen Berufsverbote ist und sich zudem gezwungen fühlte, seine Ausführungen unter einem Pseudonym zu veröffentlichen. Der Sachverhalt wird hier auffallend einseitig geschildert.

Hilfreich waren auch einige kurze Artikel aus dem Internet[3], als allgemeiner Überblick über die deutsche Geschichte dienten die Darstellungen von Christoph Kleßmann und Rudolf Morsey.

Für den Abschnitt „Reaktionen auf den Erlass und seine Auswirkungen“ wurden Artikel aus diversen Zeitschriften jener Zeit verwendet, die im Anhang ausführlich aufgelistet sind.

Leider konnten hier nur Äußerungen der Gegner des Erlasses gefunden werden, trotzdem wird versucht, die Position der Befürworter, ebenfalls dargestellt in Braunthal, ausreichend mit einzubeziehen.

Insgesamt erwies sich die Literatursuche als sehr schwierig und aufwendig, da die meisten Äußerungen zu diesem Thema entweder von Verteidigern oder Gegnern des Erlasses gemacht wurden (wie z.B. das bereits erwähnte Werk von Manfred Histor), und somit sorgfältig abgewogen werden musste, welche Daten und Fakten als glaubwürdig angenommen werden konnten und welche nicht.

II. Vorgeschichte des „Radikalenerlasses“

Die Vorgeschichte des sogenannten „Radikalenerlass“ von 1972 reicht bei genauerer Betrachtung weiter zurück als man auf den ersten Blick annehmen mag.

Diskriminierende Einstellungspraktiken im Staatsdienst reichen mindestens bis in die Weimarer Republik zurück[4]. Obwohl zu Beginn der Artikel 130 der Weimarer Verfassung den Beamten das Recht der freien politischen Meinungsäußerung zugestand, und sie somit auch Mitglied jeder politischen Partei sein konnten, gab es nach den Attentaten auf Finanzminister Matthias Erzberger 1921 und Außenminister Walter Rathenau 1922 eine Zäsur: Ein neues Gesetz verpflichtete die Beamten, weder monarchistische noch antirepublikanische Bewegungen mitzutragen. Später wurde dieses Gesetz weiter ausgearbeitet: ein Beamter konnte nur dann belangt werden, wenn er eine Partei, die als Ziel die Unterwanderung der staatlichen Ordnung verfolgte, durch konkrete Aktionen unterstütze. Später galt die KPD als eine solche Partei, deswegen wurde die Mitgliedschaft mit einer Tätigkeit im Staatsdienst unvereinbar. Die NSDAP wurde nicht als bedenklich eingestuft, da sie zu diesem Zeitpunkt kaum eine Bedeutung hatte. Nationalsozialisten konnten also durchaus ihre Stellungen behalten. Auch wenn im weiteren Verlauf die NSDAP ebenfalls nicht von Beamten unterstützt werden durfte, waren es doch meistens eher Kommunisten, die entlassen wurden.[5]

Dies wurde während des Dritten Reiches weitergeführt bzw. entsprechend der Tonart dieser Zeit radikalisiert: Ein Gesetz vom 26.1.1937[6] bestimmte, dass dem öffentlichen Dienst nur Personen angehören konnten, die den nationalsozialistischen Staat uneingeschränkt unterstützten. Dies bedeutete einen persönlichen Eid auf den Staat und auf Hitler.

Kommunisten und Sozialdemokraten, aber auch sog. „Nicht-Arier“ jeder politischen Gesinnung, waren vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen.

Im Kontext des sich entwickelnden Kalten Krieges und der Angliederung an die Westmächte verfolgte Konrad Adenauer eine streng antikommunistische Politik. Durch die immer noch vorherrschende antisowjetische Propaganda seit der Weimarer Republik wurde er hierbei durch eine große Mehrheit, sowohl in den Parteien als auch in der Bevölkerung, unterstützt. Dieser Antikommunismus wurde weiterhin genährt durch die Politik der SED in der DDR, die immer mehr Bürger in die Bundesrepublik trieb, was zusätzlich noch gefördert wurde durch den dortigen wirtschaftlichen Aufschwung.[7]

Der sogenannte „Adenauer-Heinemann-Erlass“ vom 19.9.1950[8] war demnach Teil der antikommunistischen Politik. Dieser „Beschluss über die politische Betätigung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes gegen die demokratische Grundordnung“ kann als direkter Vorläufer des „Radikalenerlasses“ von 1972 gesehen werden. In diesem Beschluss aufgelistet waren 13 Organisationen, unter anderem die KPD (1956 durch das Bundesverfassungsgericht verboten), aber auch kleinere kommunistische sowie drei faschistische Gruppen, die von Mitgliedern des öffentlichen Dienstes in keiner Form unterstützt werden durften. Dieser Beschluss traf allerdings nur Personen, die bereits als Beamte oder im öffentlichen Dienst tätig waren. Bewerber wurden nicht, wie es zwanzig Jahre später der Fall war, auf ihre Gesinnung überprüft. Für schuldig befundene Beamte auf Lebenszeit wurden nach einem Dienststrafverfahren suspendiert, bei Beamten auf Widerruf wurde das Beamtenverhältnis auf Widerruf beendet, Angestellte wurden fristlos entlassen. Dieser Beschluss löste kaum Diskussionen aus, da in der Frage der Beamtenloyalität in allen Parteien Einigkeit bestand und zudem politischer Extremismus noch nicht die Brisanz wie in den 70er Jahren, verursacht durch Anschläge der RAF, enthielt.

III. Die Entstehung des Erlasses

Wie bereits zu Beginn erwähnt, ist die Entstehung des „Radikalenerlasses“ im Kontext der Nachwirkungen der 60er Jahre zu sehen. Die Angst vor einem Machtzuwachs der Linken[9] und die „Übernahme“ von staatlichen Behörden durch sie beherrschte nahezu die gesamte Politik, insbesondere auch vor dem schon erwähnten Hintergrund des beginnenden RAF-Terrorismus. Besonders den Konservativen in den großen Parteien erschien dieser als eine immense Bedrohung.

Ebenso sorgte die Gründung der DKP als Nachfolgerin der KPD 1968 für Beunruhigung in Regierungskreisen, auch wenn ihr Zulauf relativ gering blieb (1972: 36000 Mitglieder[10]). Kernpunkt des Problems war die von vielen Seiten angezweifelte Loyalität sowohl der DKP und der kleineren K-Gruppen, wie auch der NPD gegenüber der Verfassung der BRD. Die Gefahr des Linksradikalismus wurde allerdings mehr gefürchtet, so dass tendenziell eher Linke von diesem Erlass betroffen waren als Rechte.

Der Regierungswechsel 1969[11] brachte die SPD/FDP-Koalition an die Macht und löste die CDU/CSU als Regierungspartei ab, diese war fortan als Opposition tätig. Um die neue Regierung unter Druck zu setzen, war ein populäres Thema notwendig. Aus diesem Grund wurde der SPD von der Opposition vorgeworfen, zu nachsichtig gegenüber Kommunisten zu sein und dadurch die „Unterwanderung“ des Staates zu fördern. Die naheliegende Lösung für die CDU/CSU war ein Verbot der DKP[12], allerdings war Kanzler Willi Brandt gegen diesen Vorschlag, da dies seiner Entspannungspolitik gegenüber den kommunistischen Staaten zuwider gelaufen wäre. Trotzdem war auch er für eine Fernhaltung von Radikalen vom Öffentlichen Dienst, auch wenn dieses Vorhaben nicht bei allen Mitgliedern der SPD auf Zustimmung stieß.

Die erste Initiative wurde kurze Zeit später in der SPD-Hochburg Hamburg ergriffen. Hier fokussierte sich die Angst hauptsächlich auf linksradikale Lehrer. Am 23.11.1971 wurde vom Senat der Stadt der sogenannte „Hamburger Erlass“[13] herausgegeben, der für den späteren „Radikalenerlass“ als Vorbild diente. Er verwehrte aktiven links- oder rechtsgerichteten Bewerbern, insbesondere Lehrern, den Zugang zum öffentlichen Dienst. Trotz Protesten von vielen Seiten, u.a. des Senats der Hamburger Universität, versuchten die Regierungschefs von Nordrhein-Westfalen und Hamburg eine bundesweite Maßnahme zu forcieren. Daraufhin bildete die ständige Konferenz der Innenminister eine Kommission, die einen Expertenbericht zum Thema „politische Loyalität“ verfasste. Dieser diente später als Vorlage für den Erlass von 1972.

Am 28.1.1972 einigten sich die Ministerpräsidenten auf einen Erklärung mit dem Titel „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“. Brandt unterzeichnete dies und eine weitere Erklärung, die eine Ausweitung der Regelung auf Arbeiter und Angestellte des ö.D. bedeutete. Diese Erklärung, hier angeführt als Anhang a), galt sowohl für Bewerber als auch für Beamte und Angestellte. Wie unter 2. zu lesen ist, sollte jeder Fall einzeln überprüft werden. Übte ein Bewerber verfassungsfeindliche Tätigkeiten aus oder gehörte er einer solchen Organisation an, so führte dies zur Ablehnung seiner Bewerbung.

[...]


[1] Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen, 25. Jahrgang. Ausgegeben zu Düsseldorf am 29. Februar 1972. S. 342. (Text des entsprechenden Absatzes siehe Anhang).

[2] Zahlen entnommen aus: Braunthal, G. , es handelt sich hierbei um Schätzungen.

[3] http://www.rafinfo.de, http://www.net-lexikon.de, http://www.glasnost.de .

[4] Braunthal, G.: Politische Loyalität und Öffentlicher Dienst. Der „Radikalenerlaß“ von 1972 und die Folgen. Schüren 1992. S. 18.

[5] Ders., S. 20. Braunthal zitiert u.a. Hans-Helmuth Knüttner: Verfassungsfeindliche Beamte in der Weimarer Republik, in: Wulf Schönbohm (Hg.): Verfassungsfeinde als Beamte? Die Kontroverse um die streitbare Demokratie. München/Wien 1979.

[6] Ders., S. 22.

[7] Morsey. R.: Die Bundesrepublik Deutschland. München 2000. S. 25.

[8] Braunthal, G.: Politische Loyalität und Öffentlicher Dienst. Der „Radikalenerlaß“ von 1972 und die Folgen. Schüren 1992. S. 31; Histor, Manfred (Pseudonym): Willy Brandts vergessene Opfer. Geschichte und Statistik der politisch motivierten Berufsverbote in Westdeutschland 1971-1988. Freiburg 1989, S. 41.

[9] Braunthal, S. 36

[10] Zahlen entnommen aus: Braunthal, S. 39.

[11] Kleßmann, C.: Zwei Staaten, eine Nation. Deutsche Geschichte 1955-1970. Bonn 1997, S. 288.

[12] Braunthal, S. 43

[13] Ders., S. 44

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die „Berufsverbote“ in den 70er Jahren: Der „Radikalenerlass“ von 1972
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Institut für Geschichte und Kunstgeschichte)
Veranstaltung
Die Protestbewegung von „1968“ und ihre Folgen
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
18
Katalognummer
V86212
ISBN (eBook)
9783638007191
ISBN (Buch)
9783638911757
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jahren, Protestbewegung, Folgen
Arbeit zitieren
Regine Kemna (Autor:in), 2004, Die „Berufsverbote“ in den 70er Jahren: Der „Radikalenerlass“ von 1972, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86212

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