Lykurg und die Große Rhetra

Apoll und sein Gehilfe


Seminararbeit, 2007

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsangabe

1 Einleitung

2 Quellendiskussion
2.1 Homer
2.2 Herodot
2.3 Xenophon
2.4 Plutarch
2.5 Aristoteles
2.6 Pausanias
2.7 Fragmente

3 Historische Hintergründe
3.1 Was die Quellen zu berichten wissen
3.2 Was die Forschung erklärt

4 Lykurg
4.1 Herkunft
4.2 Biographie
4.3 Der Göttliche

5 Die große Rhetra

6 Der Mythos des spartanischen Kosmos

7 Literatur
7.1 Quellenverzeichnis
7.2 Literaturverzeichnis
7.3 Internet

1 Einleitung

Keine Staatsverfassung der antiken Welt hat eine derartige Wirkung auf ihre Nachwelt hinterlassen wie die Spartanische. Sie diente schon den Römern zur Begründung ihrer Politik,1 den französischen Aufklärern war sie Muse zur Gewaltenteilung,2 die marxistische Bewegung entdeckte in ihr ein Idealbild einer kontra-kapitalistischen Wirtschaftsordnung, und den Nationalsozialisten diente sie zu Propagandazwecken für die Ausrufung des totalitären Staates und ihrer Rassenideologien.3 All diese Auslegungen entspringen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, aus willkürlich, dem Zusammenhang gerissenen, Teilen der spartanischen Ordnung und ihrer bereits in der Antike stark ausgeprägten Mythologisierung. Wäre der spartanische Kosmos nicht schon in der griechischen Antike zum Mythos geworden, so hätte er nicht eine solche Auswirkung auf die folgenden Menschenalter hinterlassen. Nicht zuletzt die Wirren um den sagenumwobenen Verkünder der Verfassung haben dazu beigetragen.

Dies soll Grund genug sein, sich einmal eingehender mit der Legende der spartanischen Verfassung und ihrem Begründer zu befassen um einen Einblick in die Überlieferungswelt der Spartanischen Geschichte zu erhalten.

Im Zuge der Literaturrecherche zu diesem Thema ist mir eine große Menge an unterschiedlichsten Forschungsmeinungen aufgefallen. Da ich mich aber keiner Argumentationskette hundertprozentig anschließen will und kann (dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde) habe ich mich entschieden, mir, anhand der uns erhaltenen Quellen, ein eigenes Bild zu machen. Dieses werde ich versuchen in den folgenden Abschnitten so gut wie möglich dazulegen.

Bevor ich mich dem eigentlichen Thema dieser Hausarbeit widme ist es notwendig über die allgemeine Quellenlage zu sprechen. Denn die Forschung sieht sich mit großen Überlieferungsproblemen zur spartanischen Verfassungsgeschichte konfrontiert4, da uns keine selbstreflektierenden spartanischen Texte erhalten sind.

2 Quellendiskussion

2.1 Homer

Die ersten Quellen, die sich zum Thema Sparta überhaupt eruieren lassen, sind die Homerischen Gesänge. In ihnen wird dem mythologischen König Menelaos ein Herrscherhaus in Lakedämon zugeordnet.5 Zwar hat diese Quelle nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun, sie sollte allerdings unter dem Aspekt der mythologischen Heldensagen nicht unerwähnt bleiben.

2.2 Herodot

Unsere erste wichtige Quelle zur spartanischen Verfassung ist Herodot. Der „Vater der Geschichtsschreibung“6 liefert in seiner schriftlichen Fixierung der, bis dahin wohl mündlich überlieferten,7 Historien als Erster, Mitte des 5. Jh. v. Chr. einen kurzen Einblick zur spartanischen Geschichte, ohne jedoch all zu genau auf ihre Verfassung einzugehen.8 Bei ihm laufen allerdings Historisierung des Mythos und Mythisierung der Historie gleichrangig ab, d.h. man kann nicht zwischen Mythos und Geschichte unterscheiden.

2.3 Xenophon

Erst mit der Lakedaimoniwn Politeia „Lakedaimonion politeia“ des Atheners Xenophon wird uns im frühen 4. Jh. v. Chr. ein Dokument zum politischen und sozialen Aufbau der spartanischen Polis überliefert. Bei der Verwendung dieser Quelle sollte man sich allerdings immer Xenophons oligarchische, mit dem politischen Bild Spartas sympathisierenden, Neigungen vor Augen halten. Er ist nicht bemüht einen objektiven Bericht abzugeben. Er begründet den von ihm angenommenen Idealzustand der Polis mit dem sagenumwobenen Nomotheten Lykurg und schafft so ein Gegenbild zum Athen dieser Zeit. Er trägt dadurch seinen Teil zur Idealisierung und Überhöhung des spartanischen Kosmos bei. An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, das laut der Meinung einiger Wissenschaftler Herodot dem Xenophon als Quelle gedient haben soll.9

2.4 Plutarch

Die ausführlichste antike Quelle für die spartanische Verfassung und ihren Gesetzesgeber liefert uns Plutarch. Er schafft in der Reihe seiner oi bioi parallhloi „Doppelbiographien“ ab Ende des 1. Jh. n. Chr. einen Vergleich von Lykurg mit dem legendären zweiten König Roms, Numa. Zeitlich mag Plutarch aus dem Rahmen fallen, allerdings scheint er seine Rückschlüsse von früheren Autoren bezogen zu haben,10 so z.B. aus einem, uns nicht überlieferten, Dokument des Aristoteles.11 Leider können wir von ihm keine ungefärbte Darstellung erwarten, zumal er seine Paralleldarstellungen als Moralvorlage für sein römisches Auditorium schreibt und er den Weg seiner Quellen zur Verherrlichung und Mystifizierung Spartas weiterführt. Für unser Thema macht aber die Überlieferung eines delphischen Orakels, welches später den Namen „Große Rhetra“ erhielt, um es von drei weiteren „kleinen“ Orakeln innerhalb des Textes unterscheiden zu können, die Vitae des Lykurg zu einem wichtigen Dokument.

2.5 Aristoteles

Wir können zwar nicht mehr auf die bei Plutarch angesprochene Schrift des Aristoteles über die Verfassung der Spartaner zurück greifen, aber in seiner staatsphilosophischen Schrift Politika „Politik“ betrachtet er die Verhältnisse im Sparta seiner Zeit zur Ermittlung des besten Staates und geht dabei auf Lykurg12 und die Verfassung der Spartaner13 ein. Damit ist auch er eine wichtige Quelle des frühen 4. Jh. v. Chr..

2.6 Pausanias

Bei dem Schriftsteller und Geographen des mittleren 2. Jh. n. Chr., Pausanias, und seinen zehn Büchern der Helládos Periégésis „Beschreibung Griechenlands“ finden wir in den Büchern drei und vier Beschreibungen von Lakonien und den Messenischen Kriegen. Er bezieht sich in seinen Ausführungen zu den Kriegen auf ältere Autoren14 des 3. Jh. v. Chr. und kommt somit auch für uns als Quelle in Frage.

2.7 Fragmente

Der griechische Historiker Diodor, überliefert in seinem Geschichtswerk Biblioqhkh „Weltgeschichte“ aus dem 1. Jh. v. Chr., einige ältere Autoren, die uns teilweise nur durch die von ihm niedergeschriebenen Fragmente erhalten sind, z.B. den griechischen Historiker Ephoros von Kyme15 aus dem frühen 3. Jh. v. Chr. Für unser Thema ist allerdings die wichtigste Überlieferung Diodors, die eines Delphischen Orakels,16 welches der bei Plutarch überlieferten „Großen Rhetra“ sehr ähnelt und auf den, im 7. Jh. v. Chr. wirkenden, Elegiendichter Tyrtaios zurück gehen soll.17 Dieses Orakel erhielt im Laufe der Zeit den Namen „Eunomia“. Tyrtaios, der spartanische Chorlyriker Alkman, und der Grammatiker Sosibios sind die einzigen eventuell18 spartanischen Quellen die uns aus dem Hellenismus Informationen zur Verfügung stellen können. Allerdings sind diese nur fragmenthaft erhalten und da ein Kontext fehlt, muss ein Bezug zur Entwicklung der Staatlichkeit im spartanischen Territorium erst hergeleitet werden. Für unsere Ausführungen spielt auch nur Tyrtaios eine Rolle. Für Sparta muss es eine Sammlung der wichtigsten Gesetze und Orakelsprüche gegeben haben, denn Ephoros berichtet bei Strabon19 von dem spartanischen König, Pausanias, der auf deren Grundlage ein Phamplet gegen Lykurg verfasst haben soll. Leider ist uns weder das Phamplet noch die Sammlung erhalten. Strabon wirkte um die Zeitenwende und hat in seiner Γεωγραφικά „Geographie“ einige für uns sonst verloren gegangene Quellen überliefert.

3 Historische Hintergründe

Spartas Geschichte beginnt mit der langsamen Ansiedelung kleinerer dorischer Volksgruppen auf der Peloponnes, im Zuge der dorischen Wanderung ab 1200 v. Chr..

3.1 Was die Quellen zu berichten wissen

Während Homer als erster über das Gebiet spricht und dem mythischen König Menelaos das „schluchtendurchzogene Tal Lakedämon“20 zuschreibt, schufen sich die Spartaner selbst den Mythos über die Rückkehr der Herakliden21, in dem die Urenkel des Herakles, Aristodamos, Temenos und Kresphontes sich die Gebiete der Peloponnes untereinander aufteilten.22 Kresphontes erhielt Messenien, Temenos Argos und die Zwillingssöhne23 des Aristodamos, Prokles und Eurysthens, Lakonien.24 Das spartanische Königshaus der Eurypontiden führte später seine Abstammung auf Prokles zurück und das Haus der Agiaden seine auf Eurysthenes.25 Hellanikos schreibt den beiden Herakliden im 5. Jh. v. Chr. sogar die Staatsverfassung26 zu und wird deshalb von Ephoros getadelt,27 da er den sagenumwobenen Verfassungsgeber Lykurg vergaß. Thukydides datiert die Rückkehr der Herakliden in 4. Jh. v. Chr. auf das 80. Jahr nach dem Fall Trojas.28

3.2 Was die Forschung erklärt

Um 900 v. Chr. schließen sich die vier ursprünglichen Dörfer der Eurotas- Ebene, Limnai, Kynosua, Mesoa und Pitana zu einem Synoikismos mit Namen Sparta zusammen. Die ursprüngliche Bevölkerung wird unterdrückt und zu Staatssklaven, den Heloten, gemacht. Es wird von einigen Historikern vermutet, dass die Tatsache, dass es schon immer zwei Könige gegeben hat aus einem Zusammenschluss von zwei Stammesverbänden resultiert.29 Dem widerspricht allerdings die Aufteilung des spartanischen Heeres in drei Phylen, den Dymanen, Hylleer und Pamphyler.30 In der ersten Hälfte des 8. Jh. v. Chr. wurde das, etwa sechs Kilometer entfernt liegende, Dorf Amyklai in den spartanischen Staatsverband aufgenommen. Laut Pausanias wurde es durch den Spartaner Teleklos erobert.31 Diese Theorie lässt sich aber nach archäologischen Gesichtspunkten nicht halten. Allerdings wird angenommen, das der Zusammenschluss nicht unter gleichberechtigten Bedingungen statt fand, da sich in den vier ursprünglichen Dörfern bereits der Führungsanspruch der beiden Königshäuser gefestigt haben soll.32 Mit der Schaffung des mythischen Stammbaumes, der bis direkt zu Zeus führt, schaffen sich die Spartaner eine Rechfertigung für die Unterdrückung der Heloten und die beiden Königshäuser haben eine Begründung für ihren Führungsanspruch. Eine solch konstruierte Rückführung auf die Götter wird von antiken Völkern häufig geschaffen, um einen unbedingten Gehorsam des Volkes den Machthabenden gegenüber zu fordern bzw. einen kollektiven Rückführungsmythos zur allgemeinen Identifikation zu schaffen.33 Denn ein Verstoß gegen die von den Göttern eingesetzten Regelungen käme einem Aufbegehren gegen die Götter selbst gleich. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird uns dieses Thema noch mehrfach in bezug auf Lykurg und die Große Rhetra beschäftigen.

Im Zuge des zweiten Messenischen Krieges erhielt Sparta das Gesicht, welches uns bis in die Neuzeit übermittelt wird. Es wurde zu einem Staat, der alles soziale und individuelle Leben dem Kriegswesen unterordnete. Die mit diesem Bild einhergehenden Reformen werden dem legendären Lykurg zugeschrieben auf den ich im Weiteren näher eingehen möchte.

4 Lykurg

„Über den Gesetzgeber Lykurg kann man schlechthin nichts sagen, das nicht umstritten ist.“34,das weis schon Plutarch über den sagenumwobenen Nomotheten Spartas zu berichten. Und diese Einstellung setzt sich bis in die Neuzeit fort. Noch heute kann kein Historiker mit Sicherheit behaupten, einen Beweis für die tatsächliche Existenz dieser Person erbracht zu haben.35 Genauso kann aber auch nicht hundertprozentig bewiesen werden, das es ihn nicht gab und das er nur ein fiktives Konstrukt zur Festigung und Instrumentalisierung der spartanischen Verfassung war.

4.1 Herkunft

Doch bleiben wir bei den uns erhaltenen Quellen. Als erster weiß Herodot etwas über Lykurg zu berichten. Er schreibt das Sparta früher die „schlimmsten Gesetze“36 aller Hellenen gehabt habe, dann aber durch Lykurg zu „guten Gesetzen“37 kam. Herodot berichtet weiter, Lykurg sei Vormund des königlichen Thronfolgers Leobates, dem Sohn seines Bruders, gewesen.38 Er ordnet ihn damit dem Königshaus der Agiaden zu. Aristoteles überliefert allerdings eine Vormundschaft über den König Charrilos39 aus dem Haus der Euripontiden. Bei Strabo erfahren wir dann noch den Namen des königlichen Bruders aus diesem Haus. Es soll Polydektes40 gewesen sein. Die Gemeinsamkeiten dieser drei Quellen sind offensichtlich. Sie datieren Lykurg „far back in her[die spartanische] history“41 zwischen dem 10. und dem 8. Jh. v. Chr. zurück, in der die Grenzen zwischen dem historischen und dem mythologischen antiken Gedächtnis verschwimmen.42 Des weiteren wird ihm eine heroische Abstammung zugeschrieben, die, will man es auf die Spitze treiben, bis zu Zeus zurück geht. Damit wird nicht nur der Führungsanspruch der Königshäuser untermauert, sondern auch der Person Lykurgs innerhalb des spartanischen Kosmos ein fester Platz in der Rangordnung zugewiesen und das prädestiniert ihn für seine weiteren Aufgaben. Überraschenderweise soll er aber selbst kein König gewesen sein43. Aristokrates gibt darin seiner These recht, die beste Staatsverfassung könne nur von den „Mittleren“44 kommen.

Im frühen 4. Jh. v. Chr. geht Xenophon sogar so weit, das er ihn in die Zeit der Herakliden, also den mythischen Staatsgründern, einordnet.45 Im Grunde genommen stehen wir also selbst heute noch vor dem selben Problem wie Plutarch im 1. Jh. n. Chr. Dieser gibt sogar noch zwei Quellen mehr an, die uns leider nicht mehr überliefert sind. So soll Aristoteles in seiner Schrift zur Spartanischen Verfassung angegeben haben, er wäre bei der ersten Olympiade anwesend gewesen, das wäre dann um 776 v. Chr. gewesen46 und Simonides habe erwähnt, das Lykurg der Bruder des Prytanis gewesen sein soll.

4.2 Biographie

Lykurg wird von vielen antiken Autoren mit der legendären Verfassung der Spartaner in Verbindung gebracht. Plutach47 hat ihm sogar eine ganze Biographie verpasst und Xenophon48 ist sehr ausführlich auf die ihm zugeschriebenen Gesetze eingegangen. Dennoch gibt es auch einige die genau dies nicht tun, so z.B. der griechische Schreiber Hellanikos von Lesbos, der im 5. Jh. v. Chr. die Gesetzgebung den beiden Urkönigen Eurysthenes und Prokles zuschreibt.49 Diese Ansichten bleiben aber die Ausnahme.

Lykurg werden in den Überlieferungen viele Reisen nachgesagt. So schreibt Plutarch, er wäre nach Kreta gegangen um die dortigen Gesetze und Gebräuche studiert zu haben. Weiter soll er nach Asien gegangen sein, um seine Studien dort fortzusetzen. Plutarch spricht auch davon die Ägypter würden behaupten, er wäre auch bei ihnen gewesen und legt dem Aristokrates die Aussage in den Mund, Lykurg wäre in Libyen und Iberia gewesen.50 Die meisten antiken Quellen stimmten ihm in bezug auf Kreta jedenfalls zu.51 Diese Reisen des Lykurg sind natürlich nicht mehr nachweisbar. Auffällig sind allerdings die Gemeinsamkeiten zuwischen der spartanischen und der kretischen Verfassung,52 z.B. in den Speisegemeinschaften.

Dass er sich auf seinen Reisen viel Wissen angeeignet haben soll, und so in der geistigen Lage war, nur die besten Gesetze für zu Sparta erheben, ist eventuell nur ein weiteres fiktives Attribut53 dieses Verfassungsgebers, um seine Qualifikation zu bestätigen. Leider lässt sich auch das heute nicht mehr eindeutig sagen.

Bei Plutarch folgt nach der Reisebeschreibung der Bericht über die Gesetze und Gesetzgebung der Spartaner. Ich werde an anderer Stelle noch näher darauf eingehen. Er schließt seine Ausführungen mit dem Hinweis, Lykurg sei in Kirrha gestorben. Er überliefert noch einige andere Versionen, z.B. soll er nach Apollothemis in Elis und nach Timaios und Aristoxenos auf Kreta gestorben sein.54

4.3 Der Göttliche

In der Antike wurde ihm nicht nur eine heroische Herkunft bescheinigt, es wird sogar so weit gegangen, ihn als „göttlich“ zu bezeichnen, wie z.B. bei einem Orakel des delphischen Apoll:

„ Sol einen Gott ich dich nennen, ich schwanke noch, oder nur Menschen?

Eher jedoch einen Gott, Lykurgos, so will es mir erscheinen“55

Des Weiteren weiß der griechische Ortebeschreiber Pausanias sogar von einem Tempel zu berichten, der für Lykurg gebaut wurde.56

So ist und bleibt das meistdiskutierte Problem der spartanischen Frühgeschichte die Frage nach der Identität und Einordnung dieser Person.

5 Die große Rhetra

Jede Gesellschaft besitzt gewisse Normen und Regelungsmechanismen, die ihrem Erhalt dienen und das Zusammenleben der Mitglieder zumindest in Grundzügen lenken.57

Wie in den vorangegangenen Abschnitten bereits erwähnt, wird die spartanische Verfassung, so wie sie uns jetzt überliefert ist, von den antiken Autoren auf den Nomotheten Lykurg zurück geführt.58 Doch es gibt auch einige Gegenstimmen. So behauptet Isokrates es habe nie eine Verfassungsänderung gegeben59, und selbst Thukydides bringt ihn im 4. Jh. v. Chr. noch nicht mit der Verfassungsgebung in Verbindung.60 Hellanikos berichtet sogar von der Schaffung der spartanischen Staatsverfassung durch die beiden Könige Eurysthenes und Prokles61 in mythischer Vorzeit und Thukydides datiert sie auf 400 Jahre vor seiner Zeit.62 Den Namen des Verfassungstifters erfahren wir nicht durch ihn.

Über den genauen Vorgang streiten sich die Autoren zusätzlich. So berichten die Einen, er hätte die Gesetze in Kreta und dem Orient studiert, sich die Besten herausgesucht und diese dann nach Sparta gebracht. Anschließend habe er sie mit Hilfe von Freunden herausgearbeitet und ein delphisches Orakel eingeholt, welches ihm die Richtigkeit dieser bezeugte.63 Andere berichten, er habe die Gesetze direkt von der Phytia diktiert bekommen.64 Allerdings stimmen die Aussagen in soweit überein, als das die Verfassung zumindest in Zusammenarbeit mit dem Orakel des delphischen Apoll entstanden sind. Die beiden uns überlieferten Orakelsprüche zu diesem Thema möchte ich an dieser Stelle wiedergeben. Bei Plutarch ist folgendes zu lesen:

Tyrt. Fr. 1 G/P überliefert bei Plut. Lyk. 6,1-2:

Wenn man dem Zeus Syllanios und der Athena Syllania ein Heiligtum errichtet hat,

Phylen und Oben eingerichtet hat,

eine Gerousie von 30 Mitgliedern einschließlich der Könige konstituiert hat,

soll man von Zeit zu Zeit Apella halten zwischen Babyka und Knakion.

Und so Anträge einbringen und abtreten.

†Des Volkes...† und Stärke. 65

Im weiten Verlauf der Vita legt Plutarch den Königen Polydoros und Theopompos allerdings auch noch folgenden Zusatz in den Mund:

„Wenn aber der Damos einen schiefen66 (Beschluss) fasst, sollen die Geronten und Könige Auflöser67 sein.“

Das hier überlieferte Orakel erhielt im Laufe der Zeit den Titel die Große Rhetra, allerdings wohl nur, um es von drei weiteren Orakeln innerhalb der Vita unterscheiden zu können.68 Die Forschung streitet sich bis heute, ob Orakel und Zusatz eine Einheit gebildet haben oder ob Plutarch den Zusatz nur hinzu gedichtet hat.69

Die Große Rhetra ist eine der frühesten aber auch eine der meistdiskutiertesten Verfassungstexte der griechischen Antike und sie ist unverzichtbar, wenn man Aussagen über den Zustand der Verstaatlichung von Sparta treffen will. Die erste große Schwierigkeit ist die der Datierung. Von den meisten Forschern wird sie um ca. 650 v. Chr.70 eingerechnet.71

[...]


1 Poly. Hist. VI, 50; Cicero de re publica.

2 Rousseau: Du contact social, Paris, 1762.

3 Vgl. Schiller, Friedrich: Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon, in: Thalia, Bd. 3, Heft 11, Leipzig 1787, S. 30, als beeindruckendes Beispiel der deutschen nicht nationalsozialistischen Rezeptionsgeschichte.

4 Vgl. Meyer, Eduard: Geschichte des Altertums, Essen, 1892, S. 270.

5 Hom. Ody. 3,326 . 4,1. 13,414.

6 Cic. De leg 1,5.

7 Zum Problem der mündlichen Überlieferung: Vgl. Vansina, Jan: Oral Tradition as History, Madison, 1985.

8 Hdt. Hist. I,65.

9 Lipka, Michael: Notes on the Influence of the Spartan Great Rhetra on Tyrtaeus, Herodotus and Xenophon. In: Sparta. Beyond the Mirage, Hgg. Anton Powel, Stephen Hodkinson, The Classical Press of Wales / Duckworth, 2002, S.219ff.

10 Vgl. Hdt. Hist. I,65 und Plut. Lyc. 5. In beiden Dokumenten ist der „Gottesspruch“ der Phytia überliefert. Bei Plutarch wird er nur noch paraphrasiert wiedergegeben, bei Herodot eventuell noch im Wortlaut.

11 Plut. Lyc. 1,5 ; 6.

12 Arist. Pol. 1271b25.

13 Arist. Pol. 1269a28 ff.

14 Paus. 4.6.1 ff.

15 Dio. 8,5,4.

16 Dio. 7,12,6 (="Tyrt." Fr. 14 G/p).

17 Zur aktuellen Forschungsdiskussion über die Grundlagen der Rhetra: Vgl. Link, Stefan: Eunomie im Schoß der Rhetra? Zum Vehältnis von Tyrt. Frgm. 14 W und Plut. Lyk. 6,2 und 8, in: GFA 6, 2003; van Wees, Hans: Gute Ordnung ohne Große Rhetra – Noch einmal zu Tyrtaios` Eunomia, in: GFA 5, 2002; Meier, Mischa: Tyrtaios fr. 1 G/P bzw. fr. ° 14 G/P (="fr." 4 W) und die große Rhetra – kein Zusammenhang?, in: GFA 5, 2002.

18 Vgl. Plat. Nom. 629a : Tyrtaios soll Athener gewesen sein..

19 Strab. 8,5,5.

20 Hom. Ili. 2, 581.

21 Vgl. Tyrt. Fr. 8,1 zur Abstammung von Herakles.

22 Plat. Nom. 683a.

23 Plat. Nom. 691a ; Hdt. Hist. 6,52.

24 Ephoros, in: Strab. Geo. 8,5,4.

25 Ephoros, in: Strab. Geo. 8,5,5 siehe auch Hdt. Hist. 6,52.

26 FGrHist 4 F 116; Strabon 8,5,5.

27 Ephoros, in: Strab. Geo. 8,5,5.

28 Thuk. I, 12, 3.

29 Baltrusch, Ernst: Sparta. Geschichte, Gesellschaft, Kultur, Beck, 1998, S. 15.

30 Vgl. Tyrt. Fr. 10,16 G/P (= Diodor 1,16)

31 Paus. 3,2,6; Eine ausführlichere Diskussion bei: Parker, Victor: Some Dates in early spartan History, in: Klio, Heft 75, Berlin, 1993, S. 45f.

32 Welwei, Karl-Wilhelm: Sparta. Aufstieg und Niedergang einer antiken Großmacht. Stuttgart, 2004, S. 34.

33 Zum Problem des kulturellen Gedächtnisses: Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München, 1992.

34 Plut. Lyk. 1.

35 Vgl. Hooker, James Thomas: The Life and Times of Lycurgus the Lawgiver, in: Klio, Heft 70, Berlin, 1988, S 340: “…but I realize that a certain answer is hardly likely to emerge.”

36 Hdt. Hist. I, 65.

37 Hdt. Hist. I, 65.

38 Hdt. Hist. I, 65.

39 Arist. Pol. 1271b25.

40 Strab. Geo. 482.

41 Forrest, William George: A History of Sparta. 950-192 B.C., London, 1968, S. 40.

42 Vgl. Vansina, Jan: Oral Tradition as History, Madison 1985, Einführung des Begriffes: flowing gap”

43 Gegenteilige Meinung: Vgl. Gehrke; Hans-Joachim: Kleine Geschichte der Antike, München ² ( 1999) 2005, S. 57.

44 Arist. Pol. 1296a20.

45 Xen. Lak. Polit. X,8.

46 Plut. Lyk. 1.

47 Plutarch: Vitae Lykurgos – Die Vita des Lykurg

48 Xenophon: Lakedaimonia Politea – Die Verfassung der Spartaner.

49 Hell. Strab. Geo. 8,5,5 (= FrGrHist 4 F 116).

50 Plut. Lyk. 4.

51 Arist. Pol. 1271b25 ; Strab. Geo. 482 ; Hdt. Hist. 1,65.

52 Plat. Nom. 683d.

53 Zum Problem der Einarbeitung fiktiver Bilder in die Erinnerung an die Vergangenheit: Vgl. Assmann, Aleida: Wie war sind Erinnerungen?, in: Welzer, Harald (Hg.): Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung, Hamburg, 2001, S. 103-122.

54 Plut. Lyk. 31.

55 Dio. XII, 1.

56 Paus. III 16,6.

57 Meier, Mischa: Aristokraten und Damoden. Untersuchungen zur inneren Entwicklung Spartas im 7. Jahrhundert v. Chr. und zur politischen Funktion der Dichtung des Tyrtaios, S. 186.

58 Vgl. Macdowell, Douglas M.: Spartan Law, Edinburgh, 1986, S. 1 als Gegenstimme der Forschung.

59 Isok. 12, 259.

60 Thuk. I, 18,1.

61 Hellanikos FGrHist 4 f 116 (="Strab." 8,5,5).

62 Thuk. I,18.

63 Plut. Lyk. 2.

64 Hdt. Hist. I,65.

65 Es handelt sich hierbei um eine korrupte Textstelle. Sie wird oft mit: „[Entscheidung und Bestätigung soll] dem Volke [zustehen]“ übersetzt. Jegliche Wiederherstellung ist reine Spekulation und hängt von Interpretationsansatz ab.

66 Diese Textstelle wird in anderen Übersetzungen mit „falsche Entscheidung trifft“ übersetzt.

67 In einigen Übersetzungen wird hier „abtreten lassen“ übersetzt.

68 Drei Rhetren bei Plutarch: (1) Plut.Lyk. 13, 1-4; (2) 13, 4-5; (3) 13,8.

69 Vgl. Welwei: Sparta, 2004, S. 61; Kiechle: Lakonien und Sparta, S. 156/167.

70 Vgl. Meier: Aristokraten und Damoden, .S 187/227.

71 Andere Meinungen: Forrest, History 55, 58 ( um 776); Parker, History 56 (ca. 730-725), Welwei, Griech. Frühzeit. ( spätes 7. Jh.).

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Lykurg und die Große Rhetra
Untertitel
Apoll und sein Gehilfe
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Geschichtswissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
19
Katalognummer
V86206
ISBN (eBook)
9783638016506
ISBN (Buch)
9783638919357
Dateigröße
539 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
26 Titel im Literaturverzeichnis, 15 Titel im Quellenverzeichnis und Internetquellen.
Schlagworte
Lykurg, Große, Rhetra
Arbeit zitieren
Claudia Reggentin (Autor:in), 2007, Lykurg und die Große Rhetra, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86206

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