Identität im Wandel - Perspektiven für den Musikunterricht?


Seminararbeit, 1998

18 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Zur Struktur der Arbeit

2. Kunst und Gesellschaft

3. Modernisierungstendenzen
3.1 Das Paradox der Domestizierung
3.2 Das Paradox der Differenzierung
3.3 Das Paradox der Individualisierung
3.4 Das Paradox der Rationalisierung

4. Was ist normal?

5. Identitäten

6. Gesellschaft und Identität

7. Lebenswelt und Soziologie

8. Lebenswelt und Musikpädagogik

9. Musikalische Lebenswelten

10. Lebenswelt im Unterricht

11. Identität im Unterricht

12. Identität als Perspektive

Literaturverzeichnis:

1. Zur Struktur der Arbeit

In der folgenden Arbeit wird versucht, den Begriff der Identität für die Musikpädagogik „brauchbar“ zu machen. Ausgehend von Wolfgang Welschs Aufsatz „Identität im Übergang“ wird der Identitätsbegriff vor dem Hintergrund von Normalität und Abweichung beleuchtet. Des weiteren wird versucht, aktuelle Modernisierungstendenzen wiederzugeben, wobei etwas stärker auf den Begriff der Pluralisierung eingegangen wird. Aufgrund von Pluralisierungstendenzen wird es für das Individuum immer schwerer seine eigene Identität zu finden; erschwerend kommt weiterhin noch der Gegensatz von personale r und sozialer Identität (nach Erwing Goffman) hinzu.

Der Begriff der Lebenswelt ermöglicht eine Verbindung zwischen Identität einerseits und Musikunterricht andererseits. Nach einer soziologischen und musikpädagogischen Begriffsklärung verweist die vorliegende Hausarbeit schließlich auf ein geeignetes lebensweltliches Unterrichtsthema für den Musikunterricht.

2. Kunst und Gesellschaft

Seit der Moderne ist die Kunst der gesellschaftliche Ort des Anderen in der Gesellschaft und thematisiert so Abweichungen bzw. Alternativen. Sie verhält sich nicht konform zur Gesellschaft, sondern weicht von gesellschaftlichen Normen oder Verhaltensmustern ab.

Obwohl sie nicht mit der Gesellschaft übereinstimmt, dient sie jedoch der Gesellschaft und ist sogar ein wichtiger Bestandteil von ihr, da sie das Andere bzw. die Abweichung definiert und institutionalisiert. Paradox ist hierbei, dass die moderne Kunst gerade durch Abweichung mit der Gesellschaft übereinstimmt, also dass durch „Dissens Konsens mit der Gesellschaft hergestellt“[1] wird.

Weiterhin ist die Stellung der Gesellschaft zur Kunst paradox. Kunst wird gelobt, wenn sie die Gesellschaft kritisiert, obwohl anzunehmen ist, dass sich die Gesellschaft gar nicht im Spiegel betrachten will. Doch das Gegenteil ist der Fall: Kunst, die nicht kritisiert, gilt sogar als schwach und unglaubwürdig.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass die moderne Kunst von der Gesellschaft abweicht, obwohl sie institutionalisiert und somit ein Teil der Gesellschaft ist. Wenn sie aber abweicht, so stellt sich doch die Frage, was eigentlich normal ist.

3. Modernisierungstendenzen

Leider ist die Frage nach Normalität in der heutigen Zeit der Modernisierungstendenzen nicht so einfach zu beantworten. Zunächst möchte ich dazu den Begriff Modernisierung modellhaft darstellen. Nach Hans van der Loo und Willem van Reijen ist Modernisierung geprägt von den 4 Paradoxen Domestizierung, Differenzierung, Individualisierung und Rationalisierung.

3.1 Das Paradox der Domestizierung

Der Mensch beherrscht zunehmend die biologische und räumliche Umwelt, er wird immer unabhängiger von der Natur. Gleichzeitig wird er damit aber auch abhängiger von der von ihm geschaffenen sozialen und technischen Infrastruktur. Die Technik ermöglicht dem Menschen fast alles, das bedeutet aber auch, dass man abhängiger von Technik wird. Die Gefahr besteht, dass es zu einer Beherrschung von Menschen durch Menschen kommt. (vgl.[2] )

3.2 Das Paradox der Differenzierung

Die Gesellschaftsstruktur der Moderne wird immer differenzierter. Arbeitsteilung und Spezialisierung lassen „gesellschaftliche Einheiten.. in verschiedene Teile aufspalten.“[3] Neben dieser Entwicklung, die Hans van der Loo/ Willem van Reijen Maßstabsvergrößerung nennen, gibt es aber noch den Prozeß der Maßstabsverkleinerung. Gerade weil sich die Gesellschaft immer mehr differenziert, werden die Gesellschaftsstrukturen immer globaler. Spezialisierung zwingt quasi zur Zusammenarbeit, bestehende Grenzen werden immer unwichtiger und elastischer.

3.3 Das Paradox der Individualisierung

Das Individualisierungsparadox ist eng mit dem Differenzierungsparadox verknüpft. Die Individuen der Moderne verselbständigen sich zunehmend, man erlebt sich zunehmend als Herr und Meister seines eigenen Schicksals und wird scheinbar immer unabhängiger. Gleichzeitig verliert das Individuum aber auch wichtige Orientierungspunkte, wie z.B. traditionelle Werte oder Institutionen. Gerade weil direkte Abhängigkeiten fehlen wird es für den Menschen immer schwieriger, eine eigene Identität zu finden, da mögliche Grenzen immer abstrakter werden. In dieser Lage der Orientierungslosigkeit wird der Mensch immer abhängiger von individuellen Orientierungspunkten, die ihm Halt verschaffen sollen.

3.4 Das Paradox der Rationalisierung

Das Rationalisierungsparadox ist wie auch das Individualisierungsparadox eng mit dem Paradox der Differenzierung verknüpft. Rationalisierung bedeutet das Ordnen und Systematisieren der Wirklichkeit. In einer differenzierten Welt kann man aber nur sein eigenes, begrenztes Umfeld ordnen. Es gibt eine Vielzahl von Milieus, Lebensstilen, Subgruppen usw. , und jede Teileinheit der Gesellschaft versteckt sich hinter seinen eigenen Normen, Auffassungen und Werten. Hans van der Loo und Willem van Reijen bezeichnen diesen Prozeß als Pluralisierung. „Pluralisierung bedeutet häufig, dass Menschen , Gruppen und Organisationen sich hinter ihrer eigenen Betriebslogik verstecken und dadurch die Sicht auf das Ganze verlieren.“[4]

Neben der Pluralisierung findet aber noch ein gegenläufiger Prozeß statt, der Prozeß der Generalisierung. Gerade weil wir in einer pluralisierten Welt leben, brauchen wir ein übergreifendes kulturelles System, das uns zusammenhält. Je komplexer die Gesellschaft wird, desto notwendiger wird auch ein allgemeineres und abstrakteres Kultursystem, an dem sich die Menschen orientieren können. Je größer und allgemeiner dieses System ist, desto weniger aussagekräftig ist es allerdings.

Geht man von diesem Modernisierungsmodell aus, möchte man meinen, dass es so etwas wie Normalität gar nicht mehr gibt. Die 4 Paradoxen scheinen ja gerade zu belegen, wie widersprüchlich die Modernisierungstendenzen doch sind.

Als Beispiel möchte ich das Rationalisierungsparadox anführen. Im Hinblick auf Musik gibt es starke Pluralisierungstendenzen: Es gibt eine unglaubliche Anzahl von Musikstilen und Musikrichtungen. Nach Ansgar Jerrentrup werden allein in der Techno-Szene „... über 50 Unterstilarten von Techno gehandelt.“[5] Jede Art von Musik hat seine eigene Anhängerschaft, der Musikstil ist ein Teil des Lebensstils geworden. Jede Gesellschaftsgruppe scheint seine eigene Musik zu bevorzugen. Andererseits gibt es aber auch starke Generalisierungstendenzen in der Musik. Weltstars der Musik wie z.B. Michael Jackson oder Madonna sind in der ganzen Welt bekannt und werden auch in der ganzen Welt gehört.

Vor diesem Hintergrund erscheint es mir unmöglich, von einer normalen Musik bzw. von Normalität überhaupt zu sprechen. In der heutigen Gesellschaft gibt es keine einheitliche und verbindliche Form mehr, es gibt keinen Standort von Normalität. Es gibt zu viele Subkulturen, Milieus, Lebensstile, Lebensformen und Lebensziele. Die Gesellschaft ist zu pluralisiert und der Prozeß der Generalisierung scheint zu unverbindlich, zu abstrakt zu sein um noch von „der“ Normalität sprechen zu können.

Wolfgang Welsch verweist in diesem Zusammenhang auf das Beispiel Wissenschaft. In der heutigen Wissenschaft bestimmt nach seiner Auffassung Ambivalenz die Welt. Scheinbar ist keine Wirklichkeitsbeschreibung mehr möglich, ohne die Möglichkeit einer Gegenthese außer Acht zu lassen. „So ist den Prozessen der Pluralisierung zugleich Uniformierung gesellt.“[6] Uniformierung muß hier im Sinne von Generalisierung verstanden werden.

[...]


[1] Welsch 1995,

[2] Horkheimer / Adorno 1997

[3] van der Loo / van Reijen 1997,

[4] ebda , S.39

[5] Jerrentrup 1995,

[6] Welsch a.a.O.,

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Identität im Wandel - Perspektiven für den Musikunterricht?
Hochschule
Folkwang Universität der Künste  (Fachbereich 2)
Veranstaltung
Seminar Strukturen des Musikunterrichts
Autor
Jahr
1998
Seiten
18
Katalognummer
V860
ISBN (eBook)
9783638105477
Dateigröße
421 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Identität, Wandel, Perspektiven, Musikunterricht, Seminar, Strukturen, Musikunterrichts
Arbeit zitieren
Michael Schönfelder (Autor:in), 1998, Identität im Wandel - Perspektiven für den Musikunterricht?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/860

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