Krieg und Soldatenfiguren in der Nachkriegsprosa Heinrich Bölls


Magisterarbeit, 2006

70 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Kriegsprosa nach 1945: Über den Umgang mit der Vergangenheit
1.1 Krieg fürs Vaterland: Soldaten im moralischen Dilemma
1.2 Krieg ohne Ursache: die Ausblendung des historischen Hintergrunds

2. Heinrich Böll – Schriftsteller und „Moralist“
2.1 Heinrich Böll als politischer und engagierter Schriftsteller
2.2 Zum Verhältnis von Realität und Wirklichkeit
2.3 Gestaltungselemente in Bölls Werk
2.3.1 Gut / Böse, Büffel / Lämmer: binäre Charaktere
2.3.2 Erinnerung versus Vergessen
2.3.3 Von der Unmöglichkeit der Liebe
2.3.4 Das Ideal des Anders-Seins
2.3.5 Im Zentrum des Interesses: die Provinz

3. Deutsche Nachkriegsliteratur: ein Lückentext

4. Kriegsdarstellung und Soldatenfiguren
4.1 Das Vermächtnis (1948 / 1982)
4.2 Der Zug war pünktlich (1949)
4.3 Wo warst du, Adam? (1951)

Zusammenfassung

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Gelegentlich ereilt Schriftsteller das Schicksal des in Vergessenheit Geratens. So hatte das Magazin „Bücher“ jüngst in einer Umfrage zu Bertholt Brecht anlässlich dessen 50. Todestages herausgefunden, dass nur noch wenig von jenem gewusst wird, und zwar sowohl in Bezug auf seine Person als auch im Hinblick auf sein Werk (vgl. www.spiegel-online.de). Gerade letzteres ist um so verwunderlicher, als Brechts Texte auch heute noch Bestandteil des Schullektüre-Kanons sind. Hier finden sich aber auch Romane, Erzählungen, Hörspiele und Kurzgeschichten seines Schriftstellerkollegen Heinrich Böll, von dem man jedoch keineswegs behaupten würde, dass er vergessen sei. Dies mag zum einen daran liegen, dass Bölls Tod erst 21 Jahre zurück liegt und die Erinnerung an den Autor demnach noch nicht in gleichem Maße verblasst ist. Möglicherweise ist Heinrich Böll aber auch deshalb noch immer präsent, weil sein schriftstellerisches Arbeiten geprägt war vom Anschreiben gegen eine bestimmte Form der Vergesslichkeit, derer er seine Zeitgenossen beschuldigte, wenn es um die Aufarbeitung deutscher Vergangenheit ging.

Das beständige Erinnern an den Weltkrieg, den Böll selbst als Soldat vom ersten bis zum letzten Tag miterlebt hatte, und die immer wieder ausgesprochenen Mahnungen haben ihm den Titel eines Moralisten eingebracht. In Erinnerung geblieben sind aber auch sein gesellschaftskritisches Engagement, sein wiederholtes Einmischen in brisante politische Themen und seine, auf der eigenen Biographie wurzelnde und im literarischen Werk mitgeteilte, pazifistische Einstellung. Doch gerade in den letzten Jahren wurden zunehmend, wenn auch keine Gegen-, so doch zumindest kritische Stimmen vernehmlich, die ein anderes Licht auf das Werk Bölls und die darin vertretenen Aussagen über den Krieg werfen. Zu nennen wäre hier vor allem der Münchner Essayist und Kritiker Maxim Biller, der unter anderem in seinem prämierten Aufsatz „Unschuld mit Grünspan“ auf eine besondere Auffälligkeit aufmerksam macht: viele derjenigen Autoren, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt wurden,waren sind Angehörige der Wehrmacht gewesen. Dieser Umstand fände jedoch keinen Niederschlag in ihrem Werk; es fehlten persönliche Schuldeingeständnisse der Schriftsteller sowohl in ihren Texten als auch in ihren öffentlichen Äußerungen, und mehr noch: die von ihnen präsentierten Soldatenfiguren würden meist als Opfer dargestellt. Fragen nach ihrer militärischen Vergangenheit wurden von den Autoren mitunter umgangen und verschleiert, bestimmte Aspekte bewusst verschwiegen, wie es auch der kürzlich entbrannte Streit um Günter Grass' Mitgliedschaft in der Waffen-SS verdeutlicht. Und ein weiteres Beispiel: Der Historiker Götz Aly befasst sich in seinem Buch „Hitlers Volksstaat“ mit der Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, die als Besatzungsmacht die eroberten Länder und deren Bevölkerung nicht nur militärisch unterdrückt, sondern diese auch wirtschaftlich ausgebeutet hatte,,iindem die Soldaten angewiesen wurden, begehrte Lebensmittel und Genusswaren im großen Stil aufzukaufen und an die Familien im deutschen „Kernreich“ zu schicken. Aly nennt dabei als prominentesten Profiteur ausgerechnet Heinrich Böll, aus dessen „Briefen aus dem Krieg“ er zitiert (vgl. www.zeit.de). Diese Beispiele sollen illustrieren, dass es unter deutschen Nachkriegsautoren eine engere biographische Verstrickung mit dem Dritten Reich gab, als es ihre Werke vermuten lassen würden, und dass diese Kriegsbiographien möglicherweise ein Grund dafür sind, dass die Soldatenfiguren so häufig als Opfer erscheinen.

In dieser Magisterarbeit soll es aber nicht primär um die Biographie Bölls gehen, sondern es soll untersucht werden, inwieweit die Aussagen von Maxim Biller zutreffend sind. Mehrere Fragen sollen demnach beantwortet werden : .Zunächst:Wie stellt Heinrich Böll den Krieg dar, wie präsentiert er dessen Protagonisten, die Soldaten? Werden sie tatsächlich, wie Biller behauptet, ausschließlich passiv und gedrängt in eine Opferrolle präsentiert? Welche Leerstellen, Auslassungen und weiße Flecken im thematischen Kontext 'Krieg' lassen sich feststellen?

An dieser Stelle sollte noch der im Arbeitstitel enthaltene Begriff 'Nachkriegsprosa' erläutert und definiert werden . , D denn der Terminus lässt zunächst verschiedene Sichtweisen zu : .Zum einen werden durch ihn alle erzählerischen Texte Bölls subsummierter alle erzählerischen Texte Bölls, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden sind. Unter diesem Gesichtspunkt wäre jedoch seine gesamte schriftstellerische Hinterlassenschaft zu berücksichtigen, da es erst nach 1945 zur Publikation erster Texte kam. In dergermanistischenLiteraturwissenschaft geht man davon aus, dass der Zweite Weltk Krieg und Bölls Erfahrungen als Wehrmachtssoldat die mit am stärksten prägenden Ereignisse waren, welche gewissermaßen den Status einer Initialzündung zu seiner literarischen Aktivität einnehmen. Böll selbst hat diese Annahme später relativiert und stattdessen ein generelles Schreib- und Ausdrucksbedürfnis genannt, kombiniert mit einem regen Interesse an politischen und sozialen Vorgängen (vgl. ARNOLD 1971; S. 5) . Dennoch haben der Krieg und seine Auswirkungen auf Individuum und Gesellschaft einen besonders hohen Stellenwert im Böllschen Werk. Alle gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland, auch solche, die noch Jahrzehnte nach Ende des Weltkriegs stattfinden, sieht Heinrich Böll noch durch ihn vorstrukturiert und wesentlich bestimmt (vgl. JEZIORKOWSKI 1987; S. 242).

Aus der Notwendigkeit heraus, den Untersuchungsgegenstand dem Rahmen anzupassen, den

eine Magisterarbeit bietet, musste eine Einschränkung vorgenommen werden. Zur Analyse wurden daher nur solche Texte herangezogen, die in einer ersten Schaffensphase von Böll unmittelbar nach dem Krieg verfasst worden sind. Zeitlich umgrenzt wird diese Phase von der Entstehung erster Schriften im Jahr 1947 bis zur Veröffentlichung des Romans „Wo warst du, Adam?“ im Jahr 1951. Es wird davon ausgegangen, dass die geringe zeitliche Distanz zum Zweiten Weltkrieg besondere Auswirkungen auf die Texte dieser Frühphase gehabt haben muss, dass die Erinnerungen des Frontsoldaten Böll noch frisch waren und daher ihr direkter Einfluss auf das Schreiben anzunehmen ist. Des weiteren wird angenommen, dass die Darstellung von Krieg, Kampf, Verwundung, Tod, Töten und Getötet werden, sowie Brutalität, Ungerechtigkeit, von Soldaten und Kameraden , hier am deutlichsten und am wenigsten verstellt zu Tage tritt und so am deutlichsten erkennbar wird, welchen Status die geschilderten Figuren einnehmen. Im einzelnen wurden folgende Prosatexte untersucht: die Erzählung „Das Vermächtnis“ (1948 verfasst, 1982 veröffentlicht), die längere Erzählung „Der Zug war pünktlich“ (1949) und der Roman „Wo warst du, Adam?“ (1951).

Vor der Analyse der ausgesuchten Texte wird im ersten Kapitel erarbeitet, welchen Stellenwert das Thema 'Zweiter Weltkrieg' im literarischen Geschehen nach 1945 hatte und unter welchen Gesichtspunkten der Krieg als Ereignis in Erzählungen und Romanen dargestellt wird. Das zweite Kapitel befasst sich dann mit Heinrich Böll als Schriftsteller, versucht besonders darauf einzugehen, welches Selbstverständnis Böll vom Beruf des Schriftstellers hatte. Auch sollen in diesem Abschnitt Merkmale und Konstanten seines Werkes vorgestellt werden. Das dritte Kapitel setzt sich dann intensiver mit den eingangs bereits angerissenen kritischen Positionen von Maxim Biller auseinander. Sie werden um Überlegungen der Literaturwissenschaftlerin Ernestine Schlant ergänzt, die deutschen Autoren - darunter auch Heinrich Böll - im Hinblick auf die literarische Behandlung des Holocaust die Verwendung einer „Sprache des Schweigens“ attestiert. Das vierte Kapitel stellt den Analyseteil dar; hier wird das Augenmerk auf die Charaktere der vorgestellten Soldatenfiguren gerichtet, besonders darauf, welche Aussagen sie über den Krieg machen, wie sie sich im Verlauf des Krieges verhalten, welche Einstellungen zu Nationalsozialismus, Krieg und Kriegsverbrechen sich an ihnen ablesen lassen.

1 Kriegsprosa nach 1945: Über den Umgang mit der Vergangenheit

Der 8. Mai 1945, Tag der Kapitulation und damit der Befreiung Deutschlands durch die Alliierten, markiert einen Neubeginn. In der darauf folgenden „Stunde Null“ wurde nicht nur damit begonnen, zerstörte Städte und Dörfer wieder aufzubauen, die Infrastruktur zu erneuern oder die Lebensgrundlage für die Bevölkerung zu sichern, es mussten auch zwölf Jahre nationalsozialistische Diktatur und sechs Jahre Weltkrieg verarbeitet werden. Nicht jeder stellte sich dieser Anforderung, und nicht jeder tat es mit den gleichen Mitteln. Unter deutschen Autoren fand eine literarische Verarbeitung sehr wohl statt, wenn auch nicht sogleich. Es ist auffällig, dass Kriegsromane im Nachkriegsdeutschland erst mit einer zeitlichen Verzögerung von drei bis vier Jahren erschienen, es also keine Publikationen unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs gab. Die Veröffentlichung von Texten war in den ersten Nachkriegsjahren zunächst enorm schwierig, was einer der Gründe dafür gewesen sein könnte. Denkbar ist aber auch, dass die Autoren noch von einer Art innerer Lähmung erfasst waren, hervorgerufen von der Furchtbarkeit der individuellen Erfahrungen und einer Unsicherheit hinsichtlich der Bewertung des Erlebten. So lässt sich denn erst ab den Jahren 1948/ 49 eine stetig zunehmende Zahl an Veröffentlichung en von Kriegsromanen und -erzählungen feststellen (vgl. WAGENER 1977; S.241). Das Schreiben von Kriegsliteratur nach dem Zweiten Weltkrieg dient aber nicht nur dazu, die persönlichen Erfahrungen zu verarbeiten. Die meisten Autoren begründen ihre Werke darüber hinaus mit dem Anspruch, als Augenzeugen nachfolgenden Generationen die Wahrheit über die Wirklichkeit des Krieges vermitteln zu wollen. Authentizität wird dabei nicht nur durch das Einbringen der eigenen Biographie erreicht, sondern auch über die Verwendung wörtlicher Zitate, Verweise auf Dokumente, Wehrmachtsberichte usw. (vgl. AMBERGER 1987; S. 171).

Auch schon 20 Jahre zuvor, in der Folge des Ersten Weltkrieges, waren zahlreiche Kriegsromane erschienen. Noch als Nachwirkung einer zu Kriegsbeginn im Jahr 1914 herrschenden euphorischen, kriegsbejahenden Stimmung - auch unter Intellektuellen - , wurde in einem Großteil dieser Romane der Krieg als Ort heldenhafter Bewährung des Einzelnen gefeiert, als charakterbildendes, geradezu stählendes Ereignis oder als Bewährungsfeld soldatischer Tugenden. Kameradschaftlicher Zusammenhalt, Tapferkeit, Aufopferung und Heldentod für Kaiser und Vaterland waren Elemente einer nationalistisch-militärischen Tradition, die sich später nahtlos in die Ideologie des Dritten Reiches einfügen ließen (vgl. WAGENER 1977; S. 241). Als Prototyp und einer unter vielen kann hierfür Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ genannt werden. Es erschien aber ebenso - wenn auch in geringerer Zahl - eine Reihe von Kriegsromanen, die gegen den Krieg und das kriegstreibende Deutschland Stellung bezogen und die den vorherrschenden Militarismus strikt ablehnten (vgl. WAGENER 1977; S. 241). Der bekannteste von ihnen ist sicherlich Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“. War eine idealisierende, den Krieg verherrlichende Darstellungsweise nach dem Ersten Weltkrieg noch dominierend, so ist eine Fortsetzung in dieser Weise nach 1945 nicht feststellbar. Für den Germanisten Hans Wagener ist dies eine logische Konsequenz, die aus der radikalen Verunsicherung des politischen Selbstbewusstseins der Deutschen resultierte, aus ihrer Erfahrung einer vernichtenden Niederlage und der Aufhebung Deutschlands als politischer Einheit. So sei der Wiederaufbau unter betont antinationalen Vorzeichen durchgeführt worden. Auch die Konfrontation mit den alle Vorstellungskraft übersteigenden Zahlen für Gefallene, Ermordete, Vermisste und Vertriebene und angesichts einer massiven Zerstörung des Landes habe nur eine kollektive, den Krieg ablehnende Haltung hervorrufen können (vgl. WAGENER, 1977; S. 241). Folglich waren die meisten Romane und Erzählungen, die den jüngsten Krieg thematisierten und zu denen auch die in dieser Arbeit behandelten Texte Heinrich Bölls gehören, Antikriegsromane und Erlebnisberichte von heimgekehrten Kriegsgefangenen, in denen das Furchtbare und Grauenhafte des Krieges zur Sprache kam. Das zahlenmäßige Verhältnis von antimilitaristischen, pazifistischen Romanen auf der einen und heroisierenden sowie glorifizierenden Darstellungen auf der anderen Seite hatte sich nun umgekehrt. Waltraud Amberger weist aber darauf hin, dass kriegsverherrlichende Literatur in Form von Landser-Heften oder rechtfertigenden Generalsmemoiren auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch durchaus ein breites Leserpublikum fand und wohl auch findet (vgl. AMBERGER 1987; S. 170). Im Folgenden soll nun aber versucht werden, besondere Charakteristika und Gemeinsamkeiten der Kriegsliteratur nach 1945 herauszuarbeiten.

2.1 Krieg fürs Vaterland: Soldaten im moralischen Dilemma

In den Romanen über den Zweiten Weltkrieg werden Kampfhandlungen oder die direkte Konfrontation mit dem Krieg oft ausgespart, fast nirgendwo wird der Krieg konkret als das Töten von Gegnern gezeigt. stattdessen überwiegen strategische Darlegungen, sachliche Beschreibungen des Kriegsalltags, Schilderungen des verlustreichen Rückzuges und der Gefangenschaft (vgl. AMBERGER 1987; S. 171). Auch triviale, schelmenromanhafte Landsergeschichten, die den Krieg als Abenteuer verklären, gehören zu den literarischen Darbietungsformen. Eine erstaunlich große Anzahl steht in der Tradition des Abenteuerromans, der in heldenhaft dargestellten Hauptfiguren ein beachtliches Identifikationspotential für die Leserschaft bereithält (vgl. WAGENER 1977; S. 242 / AMBERGER 1987; S. 171). Eine ernst zu nehmende, auf den Grund gehende Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich und seinen politischen Bedingungen findet in den meisten Kriegserzählungen und -romanen bestenfalls in kurzen Dialogpassagen der jeweiligen Texte statt. In diesen Unterhaltungen wird besonders ein Gewissenskonflikt zum Ausdruck gebracht, in den die Soldatenfiguren hineingeraten, sobald sie erkennen, Teil einer perfiden Maschinerie zu sein, die der Durchführung verbrecherischer Ziele und Absichten dient, wobei sie sich trotzdem ihrem „Vaterland“ oder durch geleisteten Eid dem „Führer“ verpflichtet fühlen. Allein dieser innere Konflikt der Frontsoldaten gegenüber dem totalitären Staat führt in den meisten Kriegsromanen überhaupt zu einer Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus (vgl. WAGENER 1977; S. 242). Die Hervorhebung der Innerlichkeit solcher Vorgänge lässt aber auch erkennen, dass es sich hierbei um vereinzelte, individuelle, aber keineswegs um kompanieweise oder kollektive Einsichten und Einstellungsänderungen handelt.

Bezüglich des Figurenpersonals kann gesagt werden, dass dieses neben einer Überzeichnung ins Heldenhafte noch durch Klischeehaftigkeit und Stereotypisierung gekennzeichnet ist; Mannschaften wie militärische Führungskräfte sind entweder 'gut' oder 'böse' (vgl. WAGENER 1977; S. 242). Als böse werden dabei immer diejenigen Soldaten dargestellt, die sich in ihrem Denken und Handeln als überzeugte Nazis offenbaren, die preußischen Kasernenhofgeist verkörpern und die fest in der nationalsozialistischen Ideologie verwurzelt sind. Ihr Verhalten gegenüber sowohl dem Gegner als auch den Kameraden ist rücksichtslos und inhuman. Entsprechend positiv charakterisiert werden diejenigen Offiziere, die um das Wohl der ihnen anvertrauten Mannschaften besorgt sind oder einfache, von Kameradschaft und selbstloser Hilfsbereitschaft erfüllte Soldaten. Die Guten sind Gegner des NS-Systems, zumindest aber sind sie Opfer von Propaganda und falsch vermittelter Wertvorstellungen (vgl. WAGENER 1977; S. 242).

Wagener verdeutlicht diese Grundüberlegungen an mehreren Beispielen: Hans Werner Richters Roman „Die Geschlagenen“ aus dem Jahr 1949 ist nicht nur die erste, von einem ehemaligen Wehrmachtssoldaten literarisierte Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich, es ist auch einer von wenigen Romanen, die dem angesprochenen moralischen Dilemma breiten Raum geben und es zum Mittelpunkt der Handlung machen. Hauptaussage des Romans ist die Behauptung, viele einfache Soldaten - wenn nicht sogar die meisten - seien entschiedene Gegner des Nationalsozialismus und auch des Krieges gewesen, hätten sich aber dem Terror nicht widersetzen können. Als wichtigsten Grund für die Entstehung eines inneren Konflikts nennt Richter hier zusätzlich ein starkes Gefühl der Verbundenheit zu Deutschland und zum deutschen Volk. Auf diese Weise rechtfertigt er all diejenigen, die sich nicht mit dem NS-System identifizierten, es ablehnten oder sogar hassten, die aber dennoch in den Krieg zogen, und zwar für ihr Land (vgl. WAGENER 1977; S. 243). Die Hauptperson des Romans, der Obergefreite Gühler, unterscheidet sehr genau zwischen Deutschen und Nationalsozialisten; der Krieg sei Hitlers Krieg und nicht der Krieg Deutschlands. Die Armee wird dabei als Instrument des Staates begriffen, die Soldaten fühlen sich als Rad in die Kriegsmaschinerie Wehrmacht eingefügt, aus der ein Herauskommen unmöglich ist; Flucht oder Desertion sind als Handlungsalternativen undenkbar (vgl. WAGENER 1977; S. 243). Die Naziherrschaft wird in „Die Geschlagenen“ als Herrschaft des Terrors charakterisiert, die individuelles moralisches Handeln brutal unterdrückt und letztlich unmöglich macht. In dem Roman wird aber auch der Versuch unternommen, das Verhalten deutscher Frontsoldaten zu rechtfertigen, indem dezidiert auf das moralische Dilemma verwiesen wird, in das jeder kritisch denkende Soldat oder Offizier auf deutscher Seite zwangsläufig hineingeraten musste (vgl. WAGENER 1977; S. 243).

Willi Heinrichs setzt hingegen in seinem 1955 erschienenen Bestseller „Das geduldige Fleisch“ andere thematische Schwerpunkte. Er konzentriert sich in seiner Darstellung auf die einfachen Landser, die nicht mehr wissen, wofür sie kämpfen. Sie sind in der Folge des Weltkriegs zunehmend desillusioniert geworden und mussten erkennen, dass einstige Ideale ihre Bedeutung verloren haben. Das Kämpfen ist für sie nur noch eine nahezu sinnentleerte, habitualisierte Handlung, die einzig der Selbsterhaltung dient, aber in keinen übergeordneten Sinnkontext mehr eingeordnet werden kann (vgl. WAGENER 1977; S. 244). Heinrichs sagt über die Soldaten in seinem Roman, man habe sie missbraucht, indem man sie zuerst mit falschen Idealen köderte und dann in die Schlachten schickte. Hitler und das Dritte Reich erscheinen demnach als Verführer und Betrüger. Heinrichs' Soldaten kämpfen schließlich nur noch einen Krieg der Selbstverteidigung, nicht einen Krieg zum Schutze des Vaterlandes oder zum Erhalt des Nationalsozialismus. Willi Heinrichs reduziert die Frontsituation der Soldaten auf die einfache Formel „Hitler = Betrüger, Soldat = Betrogener“. Dadurch wird zwar der politisch-militärische Komplex 'Nationalsozialismus' als schuldtragend gekennzeichnet, die Soldaten aber nicht nur von jeder Schuld freigesprochen, sondern auch als Opfer inszeniert. Ihr Durchhalten der Leiden des Krieges stilisiert sie zu Helden (vgl WAGENER 1977; S.244). Dem Motiv des zähen Durchhaltens wird bei Heinrichs die Soldatentugend der Kameradschaft an die Seite gestellt, die auch schon in den Kriegsromanen des Ersten Weltkriegs gerühmt worden war. Es ist die Rede von der Anständigkeit des Landsers, der keinen Kameraden in Stich lassen kann und der beseelt ist von dem Hoffnungsschimmer, alles könne sich doch noch zum Guten wenden (vgl. WAGENER 1977; S. 244). Ein Gewissenskonflikt, wie ihn Hans Werner Richter in „Die Geschlagenen“ präsentiert, findet bei Heinrichs nur unter Angehörigen der Offizierskaste statt, nicht aber unter den Landsern. Seine Offiziere erkennen zwar die Existenz eines solchen Problems, entziehen sich aber einer Gewissensprüfung unter Berufung auf ihr soldatisches Ethos der unbedingten Pflichterfüllung (vgl. WAGENER 1977; S. 244).

Die in den Jahren 1954/ 55 erschienene Trilogie „08/15“ von Hans Helmut Kirst ist ebenso ein Kameradschaftsepos, der sich in erster Linie gegen den Kasernenhofgeist in der deutschen Armee wendet. Kirst nimmt in seinen Romanen jedoch nicht nur eine Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit vor, er verknüpft mit ihnen auch die Absicht, dem Leser Argumente gegen eine neuerliche Aufstellung einer bundesrepublikanischen Armee zu vermitteln (vgl. WAGENER 1977; S. 244). Millionen ehemaliger deutscher Landser konnten sich in „08/15“ nicht nur an dem deutschen Kasernenhofhumor erfreuen, sie erfuhren auch eine Rechtfertigung ihrer eigenen Kriegsteilnahme, da Kirst seine Trilogie mit „anständigen“ und damit sympathietragenden Gestalten bevölkert. Anständig sind bei ihm aber nicht nur die einfachen Soldaten, auch die auftretenden Offiziere verhalten sich stets vorbildlich und sind darauf bedacht, unnötiges Blutvergießen zu vermeiden (vgl. WAGENER 1977; S. 145). Wie schon bei Willi Heinrichs, können die Charaktere auch hier wieder nur missbraucht und betrogen worden sein, da sie sich alle durch Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit auszeichnen. Folgerichtig wird Hitler von ihnen als 'unehrlich' bezeichnet, mit der Konsequenz, dass auch der Krieg unehrlich ist. Hinter dieser Aussage verbirgt sich eine als in höchstem Maße problematisch anzusehende Auffassung, wonach es auch ehrliche, gerechtfertigte Kriege und dementsprechend ein ehrliches Soldatentum gebe (vgl. WAGENER 1977; S. 145). Zusätzlich wird Hitler, der Urheber des Weltkrieges, als schlechter Heerführer und Stratege diskreditiert. Aus Sicht der Soldaten wird damit der Nationalsozialismus auf eine militärische Unzulänglichkeit Hitlers reduziert und simplifiziert, ohne den millionenfachen Völkermord an Juden oder Kriegsverbrechen auch nur zu erwähnen. Gleichzeitig wird mit der Schuldprojektion auf eine einzige Person die Rehabilitierung der gesamten Wehrmacht erreicht (vgl. WAGENER 1977; S. 245). Anders als etwa in Hans Werner Richters oder Willi Heinrichs Romanen kommt ein Gewissenskonflikt unter den Wehrmachtsangehörigen in „08/15“ nicht zur Sprache. Zwar wird der Krieg als unehrlich bezeichnet, doch folgen daraus keine inneren Auseinandersetzungen oder Einstellungsänderungen und schon gar keine Widerstandshandlungen. Man reagiert stattdessen mit anständigem Verhalten seinen Kameraden und Mannschaften gegenüber sowie mit einfacher Pflichterfüllung. Die Ausblendung eines Gewissenskonflikts kompensiert Kirst einerseits mit einer Betrugs- und Verbrechertheorie, andererseits lässt er seine Offiziere ein Schuldeingeständnis aussprechen. Diese Aussprache erfolgt aber erst sehr spät im Moment der Niederlage und der Kapitulation und wirkt daher wenig glaubhaft (vgl. WAGENER 1977; S. 246). Hinter dieser Darstellungsweise einer eintretenden Erkenntnis, bei der erst bei Kriegsende das ganze Ausmaß an Unrecht und Zerstörung offensichtlich wird, steht das oft vorgebrachte Argument „Wir haben ja von nichts gewusst!“, das im Falle der Offiziere historisch falsch und unglaubwürdig ist. Kirst betreibt in „08/15“ mit seinen Figuren ein zu spät kommendes Moralisieren; Kritik am Dritten Reich und dem Nationalsozialismus sowie das Schuldeingeständnis wirken wie angehängt. Die vereinfachende Auseinandersetzung mit dem Krieg erfüllt dagegen den Zweck einer Rechtfertigung des deutschen Soldaten bzw. des Lesers, der oft identisch mit erst genanntem war (vgl. WAGENER 1977; S. 246).

Im Gegensatz zu den vorangegangenen Autoren, hat Erich Maria Remarque den Zweiten Weltkrieg nicht aus eigener Anschauung als Soldat erlebt; er war zuvor in die USA emigriert. Sein Kriegsroman „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ (1959) war demnach nicht wie „Im Westen nichts Neues“ von dem persönlichen Erleben des Frontsoldaten Remarque geprägt, und auch die Lebensumstände des Dritten Reiches kannte er nicht aus eigener Erfahrung. Aus diesem Grund war Remarque auf Informationen von außen angewiesen, die jedoch zu einer stereotypisierenden Darstellung und zu klischeehafter Vereinfachung führten. Seinem Roman kann deswegen ein Mangel an Wirklichkeit und Lebenswahrheit vorgeworfen werden (vgl. WAGENER 1977; S. 247). Die Romanfiguren verkörpern jeweils extreme Einstellungen dem Nationalsozialismus gegenüber: Auf der einen Seite gibt es den überzeugten Nazi Steinbrenner, der in sadistischer Manier darauf aus ist, Gefangene zu Tode zu quälen und der, blind für die Realität, die aussichtslose Kriegslage verkennt und am Gedanken des „Endsieges“ festhält. Auf der anderen Seite stehen die Soldaten Fresenburg und Graeber. Beide sind entschiedene Gegner des NS-Regimes, aus Furcht vor Inhaftierung oder Erschießung wählen sie aber den Weg der Diensterfüllung. Als Rechtfertigung für ihr Handeln führen sie wieder die schon bekannten Argumente an, man könne sein Vaterland nicht im Stich lassen bzw. man wolle ja nur Schlimmeres verhindern. Beide Argumente werden jedoch später als Ausreden entlarvt (vgl. WAGENER 1977; S. 247). Eine individuelle Schuld wird zunächst eingestanden, im weiteren Verlauf des Romans jedoch dahingehend relativiert, als man als Frontsoldat lediglich der SS zuarbeitet, die die eigentlichen Verbrechen begeht. Es findet hier eine Verengung des Kreises der Schuldigen statt, zu dem anfangs alle Soldaten gezählt werden, von denen sich dann doch die Mehrzahl als betrogen und damit unschuldig herausstellt, bis nur noch eine vergleichsweise kleine Tätergruppe, bestehend aus SS, Gestapo und der Führungsriege um Hitler, bestehen bleibt (vgl. WAGNER 1977; S. 247).

2.2 Krieg ohne Ursache: die Ausblendung des historischen Hintergrunds

Die Thematisierung einer wie auch immer gearteten Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg ist sicherlich das wichtigste und naheliegendste Merkmal der Kriegsromane. Kritik oder Verurteilung des Dritten Reiches, vorgeführt in den Gewissenskonflikten der Soldaten und Offiziere, ist aber nicht notwendigerweise und immer Hauptthema dieser Romane. Oft genug wird der politisch-historische Hintergrund völlig ausgespart zugunsten einer detailreichen Schilderung des eigentlichen Kriegs- und Kampfgeschehens. Natürlich kann auch die Darstellung spezifischer Aspekte des Krieges, etwa seiner Grausamkeit, eine bestimmte kritische Aussage transportieren, die historischen Umstände werden aber nicht immer explizit erörtert und diskutiert (vgl. WAGENER 1977; S. 257). Gerd Ledigs Romane „Die Stalinorgel“ (1955) und „Vergeltung“ (1956) sowie Manfred Gregors „Die Brücke“ verzichten nicht nur auf eine Betrachtung und Analyse der politischen Bedingungen, sie verweigern sich auch einer Heroisierung des, von anderen Autoren als durchaus möglich gehaltenen, ehrlichen Soldatentums. Mit ihrer Konzentration auf das Entsetzliche des Krieges wollen sie eine abschreckende Wirkung erzielen und eine Mahnung an den Leser richten. Der Nationalsozialismus erscheint bei dieser Antikriegsthematik nur am Rande (vgl. WAGENER 1977; S. 259).

Im Roman „Die Stalinorgel“, der im Jahr 1942 vor Leningrad spielt, fehlen die Bezüge auf das Dritte Reich und auf Hitler gänzlich. Die gezeigten Soldaten haben zwar auch hier das Gefühl, betrogen worden zu sein, es wird aber nicht gesagt, worum, durch wen und warum. Am Beispiel einer Kriegsgerichtssitzung wird stattdessen die Unmenschlichkeit des militärischen Verantwortungssystems und des Gehorsamsethos' aufgezeigt. Eine andere Episode schildert die grausame Behandlung eines deutschen Kriegsgefangenen durch russische Militärs. Hans Wagener stellt fest, das Buch richte sich in seiner Betonung der Ähnlichkeiten von deutschen wie russischen Soldaten gegen den Krieg selbst (vgl. WAGENER 1977; S. 259). Möglicherweise unternimmt Gerd Ledig hiermit aber auch eine Rechtfertigung der von deutschen Soldaten verübten Kriegsverbrechen, indem er auf die Seite des Gegners verweist, der sich moralisch nicht besser verhält. Eine Relativierung der Taten im Sinne eines „So ist eben der Krieg...“ wäre ebenso denkbar. Man kann dem Roman den Vorwurf der Unhistorizität machen, da gesellschaftlicher Hintergrund und Faschismus vollkommen außer Betracht bleiben und nicht nach der Ursache des Krieges gefragt wird (vgl. WAGENER 1977; S. 259).

Manfred Gregors „Die Brücke“ unterscheidet sich von allen bisher vorgestellten Romanen dahingehend, als in ihm die Frontereignisse nicht in fernen, okkupierten Ländern stattfinden, sondern in Deutschland selbst. Eine Gruppe von Sechzehnjährigen erhält als letztes Sturmaufgebot den militärisch unsinnigen Auftrag, den Rückzug deutscher Soldaten vor den anrückenden Amerikanern mit der Verteidigung einer Brücke zu decken. Die Aussage der Sinnlosigkeit des Geschehens wird noch dadurch gesteigert, dass der gezeigten Kriegswirklichkeit immer wieder Kindheitsszenen aus dem Leben der Jungen gegenübergestellt werden. Als einer der Jungen schließlich den Wehrmachtsleutnant des Sprengkommandos erschießt um die Brücke zu erhalten, rettet er mit dieser Tat einem Freund das Leben. Gregor versucht damit, das Sinnlose ins Sinnvolle zu wenden, da den Forderungen des nationalsozialistischen Systems Freundschaft und Menschlichkeit entgegengesetzt werden (vgl. WAGENER 1977; S. 260). Am Schluss des sinnlosen Tötens bleibt die Brücke als Symbol für das Erhaltende und Verbindende, als die Möglichkeit eines Neubeginns. Durch diese Wendung der Perspektive ins Positive hebt sich Gregors Roman von den anderen ab; eine Ablehnung des Nationalsozialismus wird aber nur implizit durch die Darstellung des Entsetzlichen und Unmenschlichen angedeutet.

Eine Umdeutung der gesamten Kriegssituation findet hingegen in einer Reihe von Romanen statt, die Anfang bis Mitte der 1950er Jahre erscheint. Der Krieg ist in ihnen nicht mehr länger das Ergebnis einer rücksichtslosen, expansiven Außenpolitik der Nazis, er wird lediglich als Grenzerfahrung, als typische wie extreme Situation menschlichen Lebens inszeniert. Diese existentialistische Sichtweise unternimmt keine konkrete Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich (vgl. WAGENER 1977; S.260). Ein Beispiel dafür ist der Roman „Letzte Ausfahrt. Roman der Eingekesselten“ (1953) von Herbert Zand. Anders, als der Titel es vermuten lässt, gibt es keinen geographisch genau zu bezeichnenden Handlungsort. Das Stichwort 'eingekesselt' verweist vielmehr auf seine symbolhafte Verwendungsweise; gemeint ist hiermit die Situation des Eingekesselt- oder Eingekreistseins. Zand eruiert angesichts einer solchen Ausweglosigkeit existentielle Fragen und menschliche Verhaltensweisen. Den Zustand der Unentrinnbarkeit überträgt er auf die Gesamtheit menschlicher Lebenserfahrung, stellt aber heraus, dass er im Krieg am deutlichsten zu Tage tritt und für jeden erkennbar wird (vgl. WAGENER 1977; S. 260).

Eine existentialistische Aus- und Umdeutung des Zweiten Weltkrieges nehmen auch Michael Horbach („Die verratenen Söhne“, 1957) und Jens Rehn („Nichts in Sicht“, 1954; „Feuer im Schnee“, 1956) vor. Ihre Hauptfiguren stellen verstörte, zerrüttete Existenzen dar, die sich mit einem existentiellen Nichts konfrontiert sehen (vgl. WAGENER 1977; S. 261). Als profunde Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit sind die Bücher von Zand, Horbach und Rehn nur in eingeschränktem Sinne zu werten. Vielmehr entsprechen sie einer für die 1950er Jahre typischen Bewusstseinshaltung, die von der philosophischen Vorherrschaft des Existentialismus geprägt war. Aufgrund ihrer Ignorierung historischer, politischer und soziologischer Aspekte sind sie als eher fragwürdig zu bewerten (vgl. WAGENER 1977; S. 261).

Zum Schluss sollen die bisher herausgearbeiteten Eigenschaften der Kriegsliteratur noch einmal zusammengefasst werden: Zu einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Dritten Reich kommt es nur in solchen Romanen, in denen Soldaten und Offiziere in einen Gewissenskonflikt geraten. Die inneren Vorgänge drehen sich um den Umstand, wissentlich für eine abzulehnende, als verbrecherisch bezeichnete Sache zu kämpfen. Besonders problematisch sind solche Texte, die den politischen Hintergrund des Nationalsozialismus völlig ausblenden und sich dabei auf eine detailreiche Schilderung der Kriegsgräuel beschränken bzw. die den Krieg im Sinne des Existentialismus lediglich als Archetyp einer menschlichen Extremsituation benutzen. Die Erzählperspektive, meist die des einfachen Landsers, lässt den Eindruck entstehen, der Einzelne könne gegen „die da oben“ nichts ausrichten, was zugleich eine präzise Unterscheidung zwischen überzeugten Nazis einerseits und braven, ehrlichen und unschuldigen Betrogenen andererseits impliziert. Eine kausale Verbindung zwischen Nationalsozialismus und Weltkrieg wird in den seltensten Fällen hergestellt (vgl. AMBERGER 1987; S. 172). Die wichtigsten Kriegsromane wurden bis etwa Mitte der 1950er Jahre veröffentlicht. Sie waren Literatur von einer und für eine Generation, die noch sehr stark unter dem Eindruck des Dritten Reichs und des Weltkrieges stand; die meisten hatten den Krieg als Soldaten selbst miterlebt. (vgl. WAGENER 1977; S. 261). Den Lesern bot sich somit die Möglichkeit, ihr eigenes Tun und Handeln während des Krieges in Gestalt der Romanfiguren gerechtfertigt zu sehen.

2. Heinrich Böll – Schriftsteller und „Moralist“

Nachdem im vorangegangenen Kapitel Merkmale einer den Zweiten Weltkrieg schildernden Literatur herausgearbeitet wurden, soll es in diesem Kapitel um den Schriftsteller Heinrich Böll gehen. Hier wird zum einen beleuchtet, welches Selbstverständnis er von sich als Autor hatte und was seiner Auffassung nach einen modernen und im weitesten Sinne engagierten Literaten ausmacht. Außerdem sollen in den folgenden Abschnitten Charakteristika seiner literarischen Verfahrensweise und seines Werkes vorgestellt werden.

2.1 Heinrich Böll als politischer und engagierter Schriftsteller

Auch mehr als 20 Jahre nach seinem Tod am 16. Juli 1985 scheint Heinrich Böll noch im öffentlichen Bewusstsein präsent zu sein., denn nach wie vor wird er als moralische Autorität gesehen. Zuweilen wird auch bedauert, dass es keinen literarischen Nachfolger in dieser Funktion gebe (vgl. BALZER 1997; S. 15). Das Etikett des „guten Menschen von Köln“ haftete Böll schon zu Lebzeiten an. Es führte mitunter dazu, dass er von der Öffentlichkeit nur noch in dieser Rolle wahrgenommen wurde. Die Bezeichnung als „Moralist“ (vgl. dazu GLATZ 1999; S. 7 ff.) wurde dabei von seinen Kritikern und Gegnern abwertend angewendet. Der hohe Bekanntheitsgrad von Heinrich Böll resultierte nicht nur aus seinem Schaffen als Schriftsteller, oft genug stand er - gegen seinen Willen - im Zentrum medialen Interesses gerade aufgrund seines politischen Engagements. Dieses Engagement bestand aus genereller Einmischung in tagesaktuelle Diskussionen, aus dem Halten von Reden, dem Schreiben von Artikeln und Essays und sogar dem Einsatz seiner ganzen Person, wenn er etwa selbst Teilnehmer an Sitzblockaden auf Militärstützpunkten war (vgl. BALZER 1997; S. 17). Die größte, von einer großen Öffentlichkeit wahrgenommene, Aufregung um seine Person entstand wohl 1971, nachdem er im „Spiegel“ den Aufsatz „Will Ulrike Meinhoff Gnade oder freies Geleit?“ veröffentlichte. In einer darauf folgenden, vor allem von der „Bild“- Zeitung betriebenen, Demontage seiner Persönlichkeit, wurde er als Sympathisant, sogar als Befürworter des linkspolitisch motivierten RAF-Terrors bezeichnet. Vorfälle wie dieser sorgten dafür, dass das Bild von Böll auf das des Querulanten, Widerspenstigen, Unbequemen eingeengt wurde; mindestens aber geriet dabei seine schriftstellerische Tätigkeit in den Hintergrund. Ihm wurde geradezu eine Doppelrolle aufgedrängt, die er selbst als „Konflikt zwischen Schreibtisch und Saal“ bezeichnete (vgl. BALZER 1997; S. 17). Der 'Schreibtisch' verweist hier auf die Produktionsstätte seiner Literatur, der 'Saal' repräsentiert die öffentliche Wahrnehmung, natürlich auch den Ort der Ehrung durch das Leser- und Kritikerpublikum. Da am Schreibtisch aber allerhand geschrieben wird und zu Bölls literarischem Nachlass auch viele zeitkritische Schriften gehören, besteht immer die Gefahr, dass auf eine Veröffentlichung nicht zwangsläufig eine Ehrung folgen muss. An dieser Stelle muss natürlich unbedingt angemerkt werden, dass Bölls erzählerisches Werk nicht gerade unkritisch ist. Trotzdem waren es besonders die zu aktuellen Problematiken verfassten Artikel, die größeren Niederhall fanden. Aber eine Aufteilung seines Werkes in einen dichterischen Teil auf der einen Seite und einen kritischen auf der anderen, ist genauso undenkbar wie die Trennung zwischen einem reinen und einem engagierten, einem belletristischen und einem politischen Heinrich Böll: „Hat es also generell schon wenig Vernunft, zwischen den politischen und den anscheinend unpolitischen Seiten eines Werkes oder eines Autors dicke Mauern zu ziehen, so am wenigsten bei Heinrich Böll, der diese Trennung zwischen engagiertem und nichtengagiertem Schreiben von seinen ersten Äußerungen an als unerheblich und schädlich verwirrend bezeichnet und in der Praxis seines Werkes mit praktisch jeder Zeile überspielt hat.“ (vgl. JEZIORKOWSKI 1987; S. 241)

Die Rolle des Schriftstellers sah Böll vor allem durch eine politische Betätigung definiert. Der Begriff 'politisch' meint in diesem Zusammenhang jedoch nicht eine Verengung auf das, was gemeinhin als eben politisch bezeichnet wird, also der ganze Komplex von Regierungen, Parteien, Wahlen, Verhandlungen, Sitzungen, Pressekonferenzen usw., sondern er ist wesentlich geprägt durch das Moment der 'Öffentlichkeit'. Ein politischer Autor ist im weitesten Sinne jemand, der veröffentlicht. Durch die Publikation wird das Geschriebene prinzipiell für jeden anderen einsehbar. Ein Autor veröffentlicht um von anderen registriert, wahrgenommen zu werden. Auf diese Weise wird eine dialogische Beziehung ermöglicht, es ergibt sich eine soziale Relation zwischen Autor und Leser. Soziologisch gesprochen handelt es sich hierbei um eine Interaktion (vgl. JEZIORKOWSKI 1997; S. 241). Die Frage, ob ein Schriftsteller 'politisch' ist oder nicht, wird bei dieser Voraussetzung obsolet, da sich das Politische eben nicht primär durch Themenwahl oder Erzählstoff konstituiert, sondern einzig durch den Aufbau und die Herstellung von Öffentlichkeit.

[...]

Ende der Leseprobe aus 70 Seiten

Details

Titel
Krieg und Soldatenfiguren in der Nachkriegsprosa Heinrich Bölls
Hochschule
Universität Trier
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
70
Katalognummer
V85994
ISBN (eBook)
9783638897587
ISBN (Buch)
9783638897600
Dateigröße
709 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Krieg, Soldatenfiguren, Nachkriegsprosa, Heinrich, Bölls
Arbeit zitieren
Sebastian Körtels (Autor:in), 2006, Krieg und Soldatenfiguren in der Nachkriegsprosa Heinrich Bölls, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85994

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