Bildung in der Kinder- und Jugendarbeit


Zwischenprüfungsarbeit, 2007

40 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Bildungsbegriff
2.1 Strukturwandel der Bildungskonzeption
2.2 Bildung im 21. Jahrhundert

3. Bildung im Kindes- und Jugendalter als Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe
3.1 Der Bildungsbegriff der Kinder- und Jugendhilfe
3.2 Die Bildungsdebatte der Kinder- und Jugendarbeit

4. Die Bildungsrelevanz der Kinder- und Jugendarbeit
4.1 Die Bildungstradition der Kinder- und Jugendarbeit
4.2 Rechtliche Basis und Strukturcharakteristika der Kinder- und Jugendarbeit
4.3 Strukturcharakteristika der Kinder- und Jugendarbeit ermöglichen Bildung

5. Subjektorientierte Kinder- und Jugendarbeit
5.1 Die Bedeutung der sozialen Anerkennung
5.2 Bildungsbedingungen und Bildungsanlässe subjektorientierter Kinder- und Jugendarbeit
5.3 Methoden subjektorientierter Kinder- und Jugendarbeit

6. Schlussbetrachtung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Bildung ist derzeitig ohne Zweifel ein aktuelles Thema öffentlicher Debatten. In der Politik sowie unter Fachleuten herrscht ein kritischer Diskurs über die Beschaffenheit und die Reformbedürfnisse des Bildungswesens. Dabei wird die Bildungsdebatte keineswegs auf das Bildungssystem Schule und Hochschule beschränkt. Während die Kinder- und Jugendhilfe zu Zeiten der Bildungsreform in den 1970er Jahren im Bildungsgesamtplan (für strukturelle und curriculare Veränderungen des Bildungssystems) eher übergangen als kaum berücksichtigt worden ist (vgl. HORNSTEIN 2002, S. 46), sind insbesondere seit dem ´PISA-Schock` „Bildungsgelegenheiten und –möglichkeiten von der frühen Kindheit bis zum Schuleintritt und neben der Schule zu zentralen Themen der aktuellen bildungspolitischen Debatte“ (BMBF 2004, S.11) geworden. Die PISA-Studie hat die Frage nach der Rolle und dem Beitrag der Kinder- und Jugendhilfe zu den Bildungsaufgaben erneut aufgeworfen, welche es in dieser Ausarbeitung darzustellen gilt.

Es soll deutlich werden, dass das Thema Bildung keinen modischen Trend darstellt und dass die Bildungsdebatte aus „politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen heraus [entsteht]. Sie transportiert, so scheint es, den Modernisierungs- und Anpassungsdruck, der aus der Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft resultiert, also aus dem ökonomischen und sozialen Wandel“ (MÜNCHMEIER 2002, S. 16; Zus. v. C.K.). Daher wird in dieser Ausarbeitung im Kontext der einführenden Ausführungen über den Bildungsbegriff der „Strukturwandel der Bildungskonzeptionen“ (BONß 2003, S. 27) dargestellt, welchem sich die Darlegungen über das Bildungsverständnis der Kinder- und Jugendhilfe anschließen. Exemplarisch wird das außerschulisches Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendarbeit, - so wie es in der Fachdiskussion dargestellt wird - vorgestellt und hinsichtlich seiner Bildungsmodalitäten und –effizenz beleuchtet. Die Ausführungen beziehen sich dabei insbesondere auf die von Sturzenhecker als „aktuell elaborierteste [bezeichnete] Theorie zur emanzipatorischen Bildung in der Jugendarbeit“ (STURZENHECKER 2003, S. 301), nämlich auf die „Subjektorientierte Jugendarbeit“ (SCHERR 1997).

2. Der Bildungsbegriff

Bildung ist ein Zentralbegriff sowie gleichzeitig eine Besonderheit der deutschen Pädagogik. Von vielen Autoren wird darauf hingewiesen, dass kein Konsens über den Bildungsbegriff vorherrscht (vgl. THESING 2004, S. 25; MÜNCHMEIER 2002, S. 15 f.; HUSFELDT 2001, S. 27 u.a.). Im historischen Verlauf hat der Bildungsbegriff „zahlreiche semantische Elemente akkumuliert und zu unzähligen semantischen Konnotationen angeregt“ (EHRENSPECK 2004, S. 65). So scheint es nachvollziehbar zu sein, dass der Begriff weder durch einen anderen ersetzt noch in eine andere Sprache übersetzt werden kann. Bei dem Bildungsbegriff handelt es sich um ein „typisch deutsches Deutungsmuster, welches keine Äquivalente in anderen Sprachen hat“ (ebd., S. 65). Bedeutend ist vor allem die Perspektive, aus der der Bildungsbegriff beleuchtet wird; „Bildungstheorien sind abhängig vom wissenschaftstheoretischen sowie politisch-philosophischen Standpunkt ihrer Autoren“ (SINHART-PALLIN 2006, S. 75). Clemens Menze wagt lediglich eine formale Kennzeichnung des Bildungsbegriffs, derzufolge

„sich Bildung als ein komplexer Prozeß begreifen läßt, in dem eine als wünschenswert ausgegebene Persönlichkeitsstruktur hervorgebracht werden soll. Der Prozeß selbst unterliegt gesellschaftlichen, ökonomischen, auch institutionellen Bedingungen, die auf die Bereiche verweisen, von denen her das Werden der jungen Menschen bestimmt wird“ (MENZE, zit. n. HUSFELDT 2001, S. 27).

Da der Begriff in unterschiedlicher Zeit von verschiedenen Interessengruppen mit divergenten Inhalten gefüllt wird und die Zielvorstellungen und Anforderungen an die Bildung demnach sehr unterschiedlich sind, bezeichnet der Erziehungswissenschaftler Dieter LENZEN (1997, S. 950) den Bildungsbegriff auch als „Container-Wort“, das dem stetigen gesellschaftlichen und historischen Wandel unterworfen ist. „Bildung ist [dabei] immer sowohl ein pädagogischer als auch ein politischer Begriff“ (SINHART-PALLIN 2006, S. 75; Zus. v. C.K.).

2.1 Strukturwandel der Bildungskonzeption

Bevor der Begriff Bildung eine Verwendung im pädagogischen Sinne fand, besaß er bereits in früheren Jahrhunderten eine Bedeutungsgeschichte. Etymologisch ist er auf die indogermanische Silbe ´bil` zurückzuführen, die die Bedeutung ´spalten, hauen` impliziert. Der althochdeutsche Begriff ´bildunga` inkludiert ´Formen, Gestalten, Hervorbringen, Schöpfung, Schaffung` (vgl. WILLMANN-INSTITUT MÜNCHEN 1971, S. 179ff.). Auch in der Antike bei Platon ist die „Vorstellung des Bildens als ein künstlerisches und handwerkliches Hervorbringen einer Gestalt“ (THESING 2004, S. 21) vorzufinden. Das 13. und 14. Jahrhundert war gekennzeichnet von einer spekulativ, theologisch bestimmten Mystik. So besaß beispielsweise Meister Eckardt (1260-1328) eine Bildungsidee, die sich durch die innergöttliche Bewegung und das Verhältnis Gottes zur Seele auszeichnete (vgl. ebd., S. 22). Parcelsus (1493-1541) vertrat eine Naturphilosophie und eine Lebenslehre und betrachtete Bildung als „die Ausprägung innerer Anlagen, die, von Gott dem Menschen zugeteilt, gepflegt und entwickelt werden müssen, damit der Mensch die ihm zukommende Stellung im Ordo Gottes einnehmen kann“ (SPECK/WEHLE 1970, S. 135). Bis weit über das 17. und 18. Jahrhundert hinaus bestimmte diese Auffassung von Bildung das deutsche Bildungsdenken. In der Mitte des 18. Jahrhunderts, in der Pädagogik der Aufklärung, erfolgte schließlich eine Übertragung des Bildungsbegriffs in die pädagogische Fachsprache. Der Begriff Bildung entfernte sich den theologischen, mystischen und metaphysischen Relationen und wurde zum Schlüsselwort für die „Lehre von der Erziehung und vom Unterricht“ (SPECK/WEHLE 1970, S. 136). Bereits hier wurde Bildung als eine „Aneignung von Welt und ein Sich-Bilden“ (THESING 2004, S. 22; i. Org. tw. hervorgeh.) verstanden. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, in der deutschen Klassik, konzipierte Wilhelm von Humboldt (1767-1835) eine Theorie der Bildung als Wissenschaft. Seither wird in Deutschland eine Abgrenzung der Begriffe Erziehung und Bildung vorgenommen.

„Bildung sei ´…die Anregung aller Kräfte des Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt in wechselseitiger Ver- und Beschränkung harmonisch-proportionierlich entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen, die in ihrer Individualität und Einzigartigkeit die Menschheit bereichere`“ (HENTIG 1996, S.40),

so lautet die zusammengefasste Humboldt`sche Definition von Bildung. Eigentümlich für seine Bildungsidee ist die „Verbindung wissenschaftlicher und ästhetischer Weltzugänge im Rahmen eines zugleich personal-individuellen und politischen Bildungsverständnisses“ (LIEBAU 2002, S. 24). Die Auffassung, dass Bildung als lebenslange Arbeit an der Selbstverkommnung gleichzeitig auch der beste Dienst an der Gesellschaft bzw. dem Staat sei, konstituiert die Substanz dieses Bildungsverständnisses (vgl. ebd., S. 24).

Zu Zeiten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Theorie der ´Formalen Bildung` vorherrschend. Bildung wurde wiederholt auf einen Katalog von Kenntnissen reduziert. Als Bildung wurde das bezeichnet, „wasmanwissen musste“ (THESING 2003, S. 23). Bildung wurde mit dem gymnasialen Wissen, der Allgemeinbildung gleichgesetzt und zum Etikett des Bürgertums. Zeitgenössische Gelehrte kritisierten diese Bildungsvorstellung als ´Realitätsferne`, da sie die Gruppe der Arbeiter, Bauern, Handwerker und Techniker nur ungenügend einbezog (vgl. ebd., S. 24).

Der im 19. Jahrhundert weitgehend vernachlässigte Aspekt der Arbeit und des Berufs findet in den Bildungsdiskussionen des 20. Jahrhunderts nach dem Ersten Weltkrieg wieder mehr Berücksichtigung. Kerschensteiner und Spranger verbinden Berufliche Bildung und Allgemeinbildung miteinander. Dies hatte Bedeutung hinsichtlich der Entwicklung berufsbezogener Studiengänge, dem Ingenieurwesen, der Schaffung von Fachschulen und des dualen Bildungssystems besaß (vgl. ebd., S. 24). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich eine „Theorie der kategorialen Bildung, die Abstand nimmt von der Ich-Bezogenheit des Bildungsgeschehens und die in der philosophischen Vorstellung des ´Im Anderen-zu-sich-selbst-Kommen` den Weltbezug und die Verantwortung für das Wissen stärker in den Vordergrund“ (ebd., S. 24) stellte. Wolfgang Klafki war ein bedeutungsvoller Vertreter jener Bildungstheorie, die besagt, dass sich Bildung in einem dialektischen, dreistufigen Reflexionsprozess vollzieht. Er lieferte den Ansatz für eine altersgemäße Didaktik, die berücksichtigt, dass das Kind bzw. der Mensch sich die Welt auf seine spezifische Weise erschließt. (vgl. ebd., S. 25)

2.2 Bildung im 21. Jahrhundert

In der gegenwärtigen zweiten Moderne konstatieren Soziologen und Gesellschaftswissenschaftler einen Wandel der Arbeits- und Dienstleistungsgesellschaft zu einer Informations- und Wissensgesellschaft[1]und infolgedessen eine Veränderung des Bildungsverständnisses, von dem die Bildungspolitik sowie das Bildungswesen stark beeinflusst wird (vgl. THESING 2004, S. 25). Diese veränderte Auffassung von Bildung im 21. Jahrhundert wird im Folgenden knapp dargestellt[2].

Wurde Bildung in der Ersten Moderne vorrangig als eine linear-kumulativ abschließende Entwicklung zur Persönlichkeitsbildung verstanden, so stellt sie unter den Bedingungen der Zweiten Moderne eher ein lebenslanges Lernen als subjektbezogenes Wissensmanagement dar (vgl. BONß 2003, S. 27). Bildung impliziert gegenwärtig - wie auch in der Ersten Moderne - Lernen, Offenheit und Veränderung. Allerdings werden die Ziele der Veränderungen angesichts des Schwindens der Normalbiographie und den damit einhergehenden Flexibilitätszumutungen unscharf. Die damalige Entwicklungsorientierung weicht der Prozessorientierung, so dass es den Subjekten zunehmend seltener gestattet ist, über Umwege zum passenden Beruf und zu einer funktionierenden Partnerschaft zu finden (vgl. ebd., S. 28) „Stattdessen gilt es für die Absolventen aller Schulformen die Erwartung, dass sie ihren Beruf (oder besser: ihre Einkommensquelle) im Laufe ihres Lebens bis zu fünf mal wechseln werden, wobei diese Wechsel eher als Arbeitsmarktanpassung, denn als Persönlichkeitsentwicklung verstanden werden müssen“ (ebd., S. 28). Demzufolge wird die Auffassung des ´Ausgelernt-Habens` von der Konzeption des ´lebenslangen Lernens` ersetzt. Wissensbestände bleiben nicht konstant, verändern sich stetig und müssen flexibel vervollständigt und erneuert werden. Sie können niemals auf einen abgeschlossenen Zustand gebracht werden, sondern müssen lebenslang bearbeitet werden (vgl. ebd., S. 28). „Ein individuelles Set von Qualifikationen wird für das Erwerbsleben notwendig und dazu gehört vor allem das selbstständige Beschaffen von relevanten Informationen (Selbstbildungsstrategien)“ (THESING 2003, S. 27).

Des Weiteren muss von einer linear-kumulativen Wissensgenerierung abgesehen werden. Wissen entwickelt sich „unsicherheits- und prozessorientiert- sowie vernetzt reflexiv. Bildung wird zu einem subjekt- und situationsorientierten ´Lernen der Gelegenheiten`, bei dem es immer weniger darum geht, Kompetenzen zu erweitern, sondern sie zu erhalten“ (BONß 2003, S. 28). War in der ersten Moderne noch das Gegenstandswissen von großer Bedeutung, so ist es heute das Metawissen. Da greifbare Fertigkeiten und Kenntnisse Gefahr laufen zu obsoleszieren, wird die Kompetenz sich in neue Kontexte einzuarbeiten zunehmend wichtiger. MERTENS (1974) spricht in diesem Kontext von „Schlüsselqualifikationen“[3], die nötig sind um sich neue Kenntnisse anzueignen, „die ihrerseits insofern unsicher bleiben, als sie immer nur ´Kenntnisse auf Zeit` sind. So gesehen kann Bildung auch nicht mehr systematisch und eindeutig sein; sie bleibt vielmehr vorläufig, exemplarisch und ambivalent“ (BONß 2003, S. 29).

„Ziel von Bildung ist nicht ein Repertoire bestimmter Fähigkeiten, die man angeblich alle einmal brauchen wird. Das ist zu kurz gedacht in einer kulturellen Dynamik, deren weltweite Auswirkungen wir von Generation zu Generation nicht mehr überschauen können. Ziel ist vielmehr, Körper und Geist als Werkzeuge der Wahrnehmung, des Handelns, des Denkens und Findens von Lösungen neuer, bisher nicht gedachter Fragen, weitestmöglich auszubilden“ (SCHÄFER, zit. n. MERKEL 2005, S. 21).

Des Weiteren kann Bildung nicht isoliert als „Selbstkonstitution des Subjekts“ (BMFSFJ 2005, S. 107) aufgefasst werden. Sie vollzieht sich immer im Kontext der „Konstitution der Gesellschaft“ (ebd., S. 107). Die von Max Weber so bezeichnete ´methodische Lebensführung` wird in der gegenwärtigen Zweiten Moderne schrittweise durch die Verpflichtung ersetzt, „eigene Qualifikationen permanent im Hinblick auf unbestimmte Erwartungen, aber im Wissen um die Gefahr zu optimieren, auf prekäre Arbeitsverhältnisse verwiesen oder arbeitslos zu werden“ (SCHERR 2006, S. 61). Funktionalisierung für gesellschaftliche Anliegen und die Förderung der Entfaltung individueller Subjektivität stellen keinen Widerspruch dar (ebd., S. 61), sondern

„verschmelzen … zu einem neuen Typfunktionaler Subjektivität.Plakativ formuliert: Durch selbsttätigen, flexiblen und selbstverantwortlichen Wissenserwerb modularisieren sich die Subjekte umgebungs- und marktgerecht. ´Kompetenz/Kompetenzerwerb` und ´lebenslanges Lernen` bilden Schlüsselkonzepte im Diskurs über die Wissensgesellschaft, in dem die Subjekte als umfassend, lebenslang und individuell ´angemessen` förderungs- und entwicklungsfähig dargestellt werden“ (MAASEN 2006, zit. n. SCHERR 2006, S. 61)

3. Bildung im Kindes- und Jugendalter als Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe

-bwohl beispielsweise Gertrud Bäumer am Ende ihres im Jahre 1929 erschienenen Artikels im ´Handbuch für Pädagogik` darlegte, dass es die Aufgabe der Sozialpädagogik sei, „die Mittel weitsichtig vorauswirkender Organisation dafür einzusetzen, dass das Leben der Jugendbildendsei“ (BÄUMER 1929, S. 15; Hervorh. v. C.K.), wurde die Kinder- und Jugendhilfe bis in die 70er-Jahre in der Öffentlichkeit unter den Vorzeichen der Betreuung und Fürsorge, sowie der Förderung und Unterstützung betrachtet (vgl. BMBF 2002, S. 34). Und auch wenn Klaus MOLLENHAUER (1972, 1983) und Walter HORNSTEIN (1998), nur um zwei Protagonisten zu nennen, immer wieder auf die fundamentale Bedeutung von Bildungsprozessen von Kindern und Jugendlichen aufmerksam machten, lassen sich erst im Umfeld von PISA verstärkt Aktivitäten vermerken, die aufzeigen, dass das Thema Bildung in der Kinder- und Jugendhilfe stark handlungsleitend ist.

So hat das Bundesjugendkuratorium eine Streitschrift veröffentlicht und in einem Sammelband den Blick auf ein umfassendes Bildungsverständnis gelenkt, weg von einer reinen Wissensvermittlung hin zur Lebenskompetenz (vgl. BJK 2001, S. 159 ff.). Des Weiteren wären die Empfehlungen des Arbeitsstab Forum Bildung aus dem Jahre 2002 sowie der Elfte Kinder- und Jugendbericht zu nennen, der bereits vor der Veröffentlichung der PISA-Studie die Bedeutung der Bildung für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen und insbesondere den Stellenwert des informellen Lernens und der außerschulischen Bildungsprozesse darlegt (vgl. BMFSFJ 2002b). Dieser Ansicht schließt sich die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe in ihrem Positionspapier zur „Rolle der Kinder- und Jugendhilfe im Prozess des lebensbegleitenden Lernens“ (vgl. AGJ 2002) an. Sie fordert ebenso wie die Jugendministerkonferenz (vgl. JMK 2002) eine stärkere Bildungsorientierung der Kinder- und Jugendhilfe. Der Bildungsauftrag sowie –anspruch der Kinder- und Jugendhilfe werden in elf Thesen pointiert, die im Jahre 2002 als ´Leipziger Thesen` zum aktuellen bildungspolitischem Diskurs gemeinsam vom Bundesjugendkuratorium, der Sachverständigenkommission des 11. Kinder- und Jugendbericht sowie der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe verabschiedet worden sind. Direkt die erste These verweist darauf, dass „gelingende Lebensführung und soziale Integration […] ebenso auf Bildungsprozessen in Familien, Kindertagesstätten, Jugendarbeit und der beruflichen Bildung auf[bauen]. Auch wenn der Institution Schule ein zentraler Stellenwert zukommt, reicht Bildung jedoch weit über die Schule hinaus“ (BJK/SACHVERSTÄNDIGEN-KOMMISSION FÜR DEN ELFTEN KINDER- UND JUGENDBERICHT/AGJ 2002, S. 6). Vor allem der Titel ´Bildung ist mehr als Schule` der ´Leipziger Thesen` verweist auf die Relevanz anderer Bildungsorte, -prozesse, -modalitäten und Gelegenheiten des Lernens, auf die der Blick künftig konsequent ausgeweitet werden sollte, da sich – so argumentiert Thomas Rauschenbach - insbesondere in unserer individualisierten, pluralisierten sowie globalisierten Wissensgesellschaft ein wachsender Bildungsbedarf herausstellt (vgl. RAUSCHENBACH 2003, S. 52 ff.). Daher macht letzter genannter vor dem Hintergrund zentraler PISA-Befunde „in der deutschen Gegenwartsgesellschaft ein Bildungsdilemma aus, das seinen Grund in der Verengung des öffentlichen Blicks auf den Bildungsort Schule und die Bildungsreform Unterricht habe“ (RAUSCHENBACH 2003, S. 50). Wird Bildung nicht ausschließlich als Fähigkeit zum instrumentellen Handeln (im Hinblick auf die Arbeitswelt), sondern die Herstellung größtmöglicher Autonomie und sozialer Verantwortung in allen Lebensbereichen verstanden, dann wird deutlich, dass die formelle Bildung, also das „hierarchisch strukturierte und zeitlich aufeinander aufbauende Schul-, Ausbildungs-, und Hochschulsystem“ (BJK 2001, S. 164) hier nur einen unzureichenden Beitrag leisten kann. Dies belegt die internationale Bildungsforschung, die zu dem Ergebnis gekommen ist, dass sich in etwa 70 Prozent aller Lern- und Bildungserfahrungen in non-formalen, das heißt in organisierten Bildungs- und Erziehungsbereichen mit freiwilligen Angebotsformen sowie in informellen Bereichen vollziehen, in denen lebenslange Bildungsprozesse im Kontext von Familie, Nachbarschaft, Arbeit, Freizeit, Medien etc. stattfinden[4](vgl. MÜNCHMEIER 2004, S.103; vgl. FAURE 1973, o.S.)

In der Streitschrift des Bundesjugendkuratoriums wird daher gefordert, dass die formelle, nicht-formelle und informelle Bildung strukturell und funktional aufeinander bezogen werden müssen, denn „erst das Zusammenspiel dieser drei Formen ergibt Bildung im umfassenden Sinn“ (BJK 2001, S. 165). Schule, Jugendhilfe und alle anderen Bildungsbereiche „müssen ihre Bildungsangebote in der wechselnden Durchdringung dieser Ebenen begreifen und Räume für die prinzipielle Vielgestaltung von Bildungsgelegenheiten offen halten“ (ebd., S. 165).

[...]


[1]Die Bezeichnung ´Informations- und Wissensgesellschaft` weist auf die enger gewordene Verknüpfung von Wissenschaft und Industrie hin, die zu einem Strukturwandel führt, in dem wissensgestützte Dienstleistungen einen immer größeren Raum einnehmen: Während gegen Ende des 19. Jahrhunderts 50% der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig waren, sind es Anfang des 21. Jahrhunderts nur 7%. 50% der Erwerbstätigen kommen aus dem Informationsbereich (vgl. THESING 2003, S. 25). „Informationsgewinnung, -vermittlung und –verbreitung […] gewinnen in […] modernen Gesellschaften einen hohen Stellenwert“ (HRADIL 1999, S. 144).

[2]idealtypische Überzeichnungen seien entschuldigt und sind auf die knappe Darstellung zurückzuführen

[3]Die in der Wissensgesellschaft bedeutenden Schlüsselqualifikationen werden von der Jugendministerkonferenz anlässlich ihrer Tagung am 17. und 18. Mai 2001 in Weimar genannt: „Selbstständigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Eigeninitiative, Fähigkeit zu selbstbestimmtem Lernen, Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit“ (SCHERR 2003a, S. 95).

[4]An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass die Grenzen der formalen Bildungsorte, informellen und nichtformellen Bildungsmodalitäten in komplexen modernen Gesellschaften verwischen. Es findet zunehmend eine „Entgrenzung der Bildungsorte und -modalitäten statt“ (BMBF 2004, S. 33; i. Org. tw. hervorgeh.). Bezüglich der Bildungsprozesse und –institutionen verschwimmen die „Zuständigkeiten und Eingrenzungen von Tätigkeiten und Lernformen auf bestimmte, dafür zugehörige Orte“ (ebd., S. 33). So kann an einem Ort formaler Bildung, beispielsweise in der Schule auch informelles Lernen stattfinden. Schule ist nicht ausschließlich ein Ort der Wissensvermittlung, sondern ebenso ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche ihre Freizeit verbringen.

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Bildung in der Kinder- und Jugendarbeit
Hochschule
Technische Universität Dortmund
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
40
Katalognummer
V85976
ISBN (eBook)
9783638017862
ISBN (Buch)
9783638940535
Dateigröße
820 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bildung, Kinder-, Jugendarbeit, Kinder- und Jugendhilfe, Subjektorientierte Bildung
Arbeit zitieren
Corinna Kühn (Autor:in), 2007, Bildung in der Kinder- und Jugendarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85976

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