Die Lebensqualität demenziell erkrankter Menschen in verschiedenen Wohn- und Betreuungsformen


Diplomarbeit, 2007

138 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Management Summary

1 Einführung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung
1.3 Vorgehensweise
1.4 Aufbau der Arbeit

2 Theoretische Grundlagen
2.1 Das Krankheitsbild Demenz
2.1.1 Begriffsklärung und Abgrenzung
2.1.2 Epidemiologie
2.1.3 Formen und Ursachen der Demenz
2.1.3.1 Primäre Demenzen
2.1.3.2 Sekundäre Demenzen
2.1.4 Verhalten und Reaktionsweisen
2.1.4.1 Symptome der Demenz
2.1.4.2 Verhaltensstörungen
2.1.4.3 Psychische Störungen
2.1.5 Stadien der Demenz
2.2 Wohn- und Betreuungsformen
2.2.1 Betreuung und Pflege zu Hause
2.2.1.1 Allein lebende Demenzkranke
2.2.1.2 Mit einer Betreuungsperson zusammenlebende Demenzkranke
2.2.1.3 Hilfe von Angehörigen und Verwandten
2.2.1.4 Weitere Möglichkeiten der Unterstützung
2.2.2 Teilstationäre Versorgung und Betreuung
2.2.2.1 Entlastung durch Nachtpflege
2.2.2.2 Tagespflege in Tageskliniken
2.2.2.3 Tagespflege in spezialisierten Tageszentren
2.2.2.4 Tagespflege in Pflegeheimen
2.2.2.5 Tagespflege in Betreuungsgruppen
2.2.2.6 Möglichkeiten der Unterstützung
2.2.3 Stationäre Versorgung und Betreuung
2.2.3.1 Betreutes Wohnen in Altenwohnanlagen
2.2.3.2 Wohnen im Altenheim
2.2.3.3 Versorgung im Pflegeheim
2.2.3.4 Begleitung Sterbender im Hospiz
2.2.3.5 Möglichkeiten der Unterstützung
2.2.4 Haus- und Wohngemeinschaften
2.2.4.1 Stationär integrierte Hausgemeinschaften
2.2.4.2 Hausgemeinschaftskomplexe
2.2.4.3 Ausgegliederte Hausgemeinschaften
2.2.4.4 Heimverbundene Hausgemeinschaft
2.2.4.5 Möglichkeiten der Unterstützung

3 Lebensqualität demenziell erkrankter Menschen in den Wohnformen
3.1 Begriffserklärung und Inhalte von Lebensqualität
3.1.1 Der Begriff Lebensqualität
3.1.2 Lebensqualität und Demenz
3.1.3 Bekannte Konzepte der Lebensqualität
3.1.3.1 Mehrdimensionales Lebensqualitätskonzept nach SEIFERT
3.1.3.2 Lebensqualitätskonzept nach ALLARDT
3.1.4 Erfassung der Lebensqualität demenziell erkrankter Menschen
3.1.4.1 Krankheitserleben demenziell erkrankter Menschen
3.1.4.2 Schwierigkeiten bei der Erfassung von Lebensqualität
3.1.4.3 Feststellung der Lebensqualität und Ergebnisse
3.1.5 Konzept zur Betrachtung der Wohn- und Betreuungsformen
3.1.6 Erweitertes Konzept der Lebensqualität demenziell erkrankter Menschen
3.1.6.1 Betrachtung des Modells
3.1.6.2 Erklärung der Dynamik des Modells
3.2 Kritische Beurteilung der Wohn- und Betreuungsformen
3.2.1 Wohnen zu Hause
3.2.2 Teilstationäre Versorgung
3.2.3 Stationäre Versorgung
3.2.4 Haus- und Wohngemeinschaften
3.3 Standards für Lebensqualität
3.3.1 Wohnraum - Lebensraum
3.3.1.1 Ziele und Möglichkeiten der Innenraumgestaltung
3.3.1.2 Kriterien der Innenraumgestaltung
3.3.2 Betreuungsansätze
3.3.2.1 Die Basale Stimulation
3.3.2.2 Das Snoezelenkonzept
3.3.2.3 Die Pflegetheorie nach BÖHM
3.3.2.4 Validation nach NAOMI FEIL
3.3.3 Personal
3.3.3.1 Mögliche Personen zur Betreuung demenziell erkrankter Menschen
3.3.3.2 Aufgaben des Personals

4 Zusammenfassung und Ausblick

5 Anhang
5.1 Gedicht von Ingrid PoppLiteraturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Altersaufbau in Deutschland von 1965, 2005, 2035 und 2065

Abb. 2: Struktureller Aufbau der Arbeit

Abb. 3: Formen der Demenz

Abb. 4: Häufigkeiten der Demenzursachen

Abb. 5: Neurologische Veränderungen: Magnetresonanz-Tomographie zur Illustration der Veränderungen aufgrund von Alter und Krankheit

Abb. 6: Übersicht über die Wohn- und Betreuungsformen

Abb. 7: Hilfs- und Pflegebedürftige Menschen in Privathaushalten

Abb. 8: Schwerpunktmäßige Arbeit der Tagespflege

Abb. 9: Alteneinrichtungen nach vorrangiger Orientierung (absolut und in %)

Abb. 10: Dimensionen und Inhalte von Lebensqualität demenziell erkrankter Menschen.

Abb. 11: Dynamisches Modell von Lebensqualität demenziell erkrankter Menschen aus der Bedürfnis-Perspektive

Abb. 12: Bereiche der Pflegetheorie nach BÖHM

Abb. 13: Sterbephasen nach ELISABETH KÜBLER-ROSS

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Alterspezifische Prävalenz von Demenzerkrankungen

Tab. 2: Stadien der Demenz

Tab. 3: Einschränkungen in instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens nach Demenzschweregrad

Tab. 4: Fünf Dimensionen der Lebensqualität

Tab. 5: Bevorzugte Lebensformen im Alter, wenn der Haushalt nicht mehr allein zu bewältigen ist (in Prozent)

Tab. 6: Voraussetzungen für Lebensqualität zu Hause lebender demenziell erkrankter Menschen

Tab. 7: Belastungen der familiären Beziehungen

Tab. 8: Voraussetzungen für Lebensqualität demenziell erkrankter Menschen in teilstationären Versorgungsformen

Tab. 9: Voraussetzungen für Lebensqualität demenziell erkrankter Menschen in stationären Versorgungsformen

Tab. 10: Voraussetzungen für Lebensqualität in Wohn- und Hausgemeinschaften

Tab. 11: Kriterien zur Gestaltung demenzgerechter Räumlichkeiten

Tab. 12: MitarbeiterInnen in stationären Einrichtungen nach Berufsabschlüssen und Tätigkeitsbereichen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Management Summary

Der Zweck dieser Arbeit war herauszufinden, wie ein möglichst hohes Maß an Lebens- qualität für demenziell erkrankte Menschen in Wohn- und Betreuungsformen erreicht werden kann, sprich ihre Bedürfnisse erfüllt werden können. Anhand eines auf den Bedürfnissen basierenden Modells, bezeichnet als „Dynamisches Modell von Lebens- qualität demenziell erkrankter Menschen aus der Bedürfnis-Perspektive“, und Literatur- recherchen wurde ermittelt, welche Voraussetzungen für Lebensqualität in Wohn- und Betreuungsformen bestehen müssen und welche Schwierigkeiten diese mindern kön- nen. Resultat der Recherchen war, dass nicht die Wohnform für die Lebensqualität entscheidend ist, sondern die Standards wie beispielsweise ‚Personal’ eine bedeuten- de Rolle spielen. Drei dieser wichtigen Standards werden in den Ausführungen detail- lierter beschrieben. Werden diese konkreten Hinweise beachtet und im täglichen Um- gang umgesetzt, können demenziell erkrankte Menschen mit einem hohen Maß an Lebensqualität in den Wohn- und Betreuungsformen leben.

1 Einführung

1.1 Problemstellung

In der vom Deutschen Bundestag herausgegebenen Zeitung „Das Parlament“ wurde berichtet, dass die Zahl der Hochbetagten (80 Jahre und älter) von heute vier Prozent (3,2 Millionen) bis zum Jahr 2050 auf zwölf Prozent (9,1 Millionen) steigen wird (vgl. DEUTSCHER BUNDESTAG 2005, 8). Neben der längeren Lebensdauer spielt auch die bessere medizinische Versorgung eine wichtige Rolle. Ein weiterer Grund für diese Entwicklungen wird auch im Rückgang der Geburtenrate gesehen.

In Modellrechnungen wurde untersucht, wie sich der dauerhafte Rückgang der Fertilität1 von 2,1 auf 1,4 Kinder pro Frau auf die zeitliche Entwicklung von Erwerbspersonenpotential und Altersquotient auswirkt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Altersaufbau in Deutschland von 1965, 2005, 2035 und 20652

Betrachtet man die demografische3 Situation von 1965 im Vergleich zum Altersaufbau vom Jahr 2005, wird deutlich, dass durch die Abnahme der Geburtenrate die Zahl der älteren Menschen zu und die Anzahl der jüngeren Menschen abnimmt. Nach weiteren 30 Jahren erhält man den Altersaufbau für 2035. Zu diesem Zeitpunkt wird es in der Bundesrepublik weniger Erwerbstätige im mittleren Lebensabschnitt, stattdessen aber mehr hochaltrige Menschen geben (vgl. ADRIAN 2006, 1-20).

Mit dem Zuwachs an hochbetagten Menschen wird sich auch die Zahl der demenz- kranken Menschen überproportional erhöhen (vgl. MÜLLER & SEIDL 2003, 15). Die Inzidenz, also die Häufigkeit von Neuerkrankungen, beträgt derzeit im Laufe eines Jahres fast 200.000 (vgl. WEYERER 2005, 7). Bereits heute sind über 60 % der Heim- bewohner von Demenz betroffen (vgl. BICKEL 2005, 1-15; vgl. MESSMER 2000, 11). In Deutschland werden momentan etwa 400.000 demenziell erkrankte Menschen in Alten- und Pflegeheimen versorgt (vgl. BICKEL 2005, 1-15). Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland in Zukunft mehr demenziell erkrankte Menschen leben werden, muss überlegt werden, welche Wohn- und Betreuungsformen es gibt und wann diese für den erkrankten Menschen geeignet sind.

1.2 Zielsetzung

Ziel ist die Beantwortung folgender Frage:

Welche Wohnform ermöglicht demenziell erkrankten Menschen ein möglichst hohes Maß an Zufriedenheit und damit Lebensqualität?

Untersucht wird/werden:

1.) das Krankheitsbild der Demenz,
2.) die verschiedenen Wohn- und Betreuungsformen,
3.) der Begriff Lebensqualität, der Zusammenhang von Demenz und Lebens qualität, die Dimensionen und Inhalte der Lebensqualität, Schwierigkeiten und Möglichkeiten zur Erfassung der Lebensqualität, Bedürfnisse demenziell erkrankter Menschen in den verschiedenen Stadien sowie
4.) Voraussetzungen und erschwerende Bedingungen für die Lebensqualität,
5.) und drei Standards als Möglichkeit der konkreten Verwirklichung von Lebensqualität in den Wohn- und Betreuungsformen.

1.3 Vorgehensweise

Zunächst ist es entscheidend, Verständnis für die oft schwierigen Verhaltensweisen demenziell erkrankter Menschen zu entwickeln. Aus diesem Grund wird das Krank- heitsbild der Demenz in Kapitel 2.1 ausführlich erklärt. Demenz ist für die betroffenen alten Menschen eine sehr belastende Krankheit. Durch die hirnorganischen Verände- rungen sind sie häufig nicht mehr in der Lage sich sprachlich auszudrücken oder auch alltägliche Dinge des Lebens, wie beispielsweise Körperpflege, selbstständig durchzuführen. In vorliegender Arbeit wird deshalb das Krankheitsbild der Demenz näher erläu- tert und im Einzelnen erklärt, wie die Krankheit entsteht und welche Auswirkungen dies auf das Verhalten der betroffenen Menschen hat. Die mit der Krankheit verbundenen Einschränkungen können für die demenziell erkrankten Menschen unterschiedlich belastend sein.

Weiterhin wird im Kapitel 2.2 darüber informiert, welche Wohn- und Betreuungsformen für demenziell erkrankte Menschen möglich sind. Nicht nur ihre Betreuung und Pflege zu Hause, sondern auch die teilstationäre Versorgung, stationäre Unterbringung sowie Haus- und Wohngemeinschaften als alternative Wohnformen werden behandelt.

Das Ziel jeder Versorgung und Betreuung in der Altenhilfe muss sein, Lebensqualität für die demenziell erkrankten Menschen zu schaffen. Alle verfügbaren Ressourcen müssen mobilisiert werden, um dies zu realisieren. Ziel der Sozialen Arbeit mit de- menzkranken Menschen ist also ein möglichst hohes Maß an Zufriedenheit zu schaffen (vgl. STIFTUNG LEBENSQUALITÄT 2006). Der Mensch und sein persönliches Wohl- befinden stehen im Mittelpunkt. Aus diesem Grund wird der Aspekt ‚Lebensqualität’ im Kapitel 3 thematisiert. Gerade das Verständnis des Begriffes Lebensqualität sowie die Erfassung der Lebensqualität und Konzepte zur Umsetzung eines möglichst hohen Maßes an Lebensqualität werden in diesem Teil der Arbeit ausgearbeitet.

Anschließend werden die in Kapitel 2.2 thematisierten Wohn- und Betreuungsformen in Bezug zur Lebensqualität betrachtet. Die Voraussetzungen und erschwerenden Bedin- gungen für Lebensqualität in den jeweiligen Wohnformen sollen Aufschluss geben, inwieweit die Bedürfnisse von demenziell erkrankten Menschen erfüllt werden können.

Es zeigt sich jedoch, dass nicht nur die Art der Wohnform für die Lebensqualität von Belang ist. Vielmehr beeinflusst gerade die ‚innere’ Gestaltung der Wohn- und Versor- gungsformen die Lebensqualität demenziell erkrankter Menschen. Im Kapitel 3.3 werden deshalb drei wesentliche Bereiche beschrieben. Hierzu zählen neben der de- menzgerechten Gestaltung des Wohnraumes auch die verschiedenen Betreuungsan- sätze nach BÖHM und NAOMI FEIL, die speziell für demenziell erkrankte Menschen entwickelt wurden. Außerdem wird kurz die ‚Basale Stimulation’ und das ‚Snoezelen- konzept’ als Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebensqualität vorgestellt sowie In- formationen über das Personal und seine fachliche und menschliche Qualifizierung gegeben. Dieses WIE der Betreuung in den Wohnformen macht eine ganzheitliche Betreuung und damit Lebensqualität möglich.

Als Abschluss dieser Arbeit werden in einer Zusammenfassung die bedeutendsten Ergebnisse in Kürze dargestellt. Es wird verdeutlicht, welche Aspekte beachtet werden müssen, um die Lebensqualität demenziell erkrankter Menschen in Wohn- und Betreu- ungsformen der Altenhilfe zu steigern. Gerade aufgrund der demografischen Entwick- lung, der wachsenden Zahl hochbetagter und damit häufig demenziell erkrankter Menschen muss die Bedeutung der Lebensqualität für diese hilfebedürftigen Menschen immer im Gedächtnis sein und in der praktischen Arbeit auch so verwirklicht werden.

1.4 Aufbau der Arbeit

Die folgende Grafik skizziert den Aufbau der Arbeit. Durch die jeweiligen Textfelder sind die einzelnen Kapitel visualisiert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Struktureller Aufbau der Arbeit

Die hellgelb unterlegten Textfelder zeigen die Hauptkapitel II, III und IV. Durch die weißen Textfelder sind die Unterkapitel verdeutlicht.

2 Theoretische Grundlagen

2.1 Das Krankheitsbild Demenz

„Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist“ Johann Strauß (STRAUß in HELD et al. 2006, 7) Verständnis für demenziell erkrankte Menschen ist der erste Schritt für eine gute Betreuung und damit Lebensqualität in den jeweiligen Wohn- und Versorgungsformen. Aus diesem Grund werden in diesem Kapitel folgende Fragen beantwortet:

- Was ist Demenz?
- Wer ist häufig von Demenz betroffen?
- Was ist ursächlich für diese Erkrankung?
- Wie wird demenzielles Verhalten bei den Betroffenen unter anderem in den verschiedenen Stadien der Demenz deutlich?
- Inwieweit ist das Leben demenziell erkrankter Menschen beeinträchtigt?

Zur Einfindung in das Thema und bevor inhaltlich spezifischere Antworten dargelegt werden, wird im folgenden Abschnitt zunächst der Begriff ‚Demenz’ erläutert.

2.1.1 Begriffsklärung und Abgrenzung

Definition Demenz

Demenz wird laut dem Diagnostic and Statistical Manual of the American Psychiatric Association generell definiert als “[the] loss of intellectual abilities … of sufficient severity to interfere with social or occupational functioning" (WORLD HEALTH ORGANISATION 2006). Aufgrund des Verlustes der kognitiven Fähigkeiten müssen Menschen mit Demenz mit Einschränkungen in ihrem täglichen Leben zurecht kommen. Betroffene und Angehörige leiden oft unter dieser Situation. Derzeit leben in Deutschland circa eine Million von mäßiger bis schwerer Demenz betroffene Menschen (vgl. SELL 2000, 22-24; vgl. WEYERER 2005, 7). Vor allem hochaltrige Menschen sind von der psychischen Alterskrankheit betroffen. Auch wenn Demenzen in deutlicher Beziehung zum Alter stehen, sind sie trotzdem keine „normale Alterserscheinung“, sondern eine Erkrankung.

Menschen mit Demenz sind durch die Schädigungen im Gehirn in fast allen Lebensbe- reichen eingeschränkt (vgl. MIELKE & KESSLER 1994, 11). Der Begriff ‚Demenz’ wur- de aufgrunddessen vom lateinischen „de mente“ abgeleitet und bedeutet so viel wie „weg-Geist“. Nach dieser Definition wird die Demenz als kognitiv-intellektuelle Störung angesehen, die mehrere Bereiche betrifft. Erst wenn mit der Erkrankung eine erhebli- che Beeinträchtigung der Aktivitäten des Lebens besteht und diese mindestens über einen Zeitraum von 6 Monaten diagnostiziert wird, spricht man von einer demenziellen Erkrankung (vgl. POPP 1999, 14). In der Neurologie wird die Demenz beschrieben als ein „neuer auftretender, anhaltender und zunehmender Verlust kognitiver Funktionen“ (ROHKAMM 2003, 136). Gerade die intellektuellen Fähigkeiten sind also von der Krankheit betroffen. Die WORLD HEALTH ORGANIZATION hat sich mit dem Thema Demenz befasst und die Komponenten intellektueller Fähigkeiten herausgearbeitet:

- „Memory and learning
- Attention, concentration and orientation
- Thinking (e.g. problem solving, abstraction)
- Calculation
- Language (e.g. comprehension, word finding)
- Geographic orientation“

(WORLD HEALTH ORGANIZATION 2006)

Bei Menschen mit Demenz sind gerade diese Bereiche besonders betroffen und sie haben Schwierigkeiten sich zu erinnern, aufmerksam zu sein und sich zu konzentrie- ren. Auch ihr Denken verändert sich und sie haben bei Problemlösungen und abstrak- ten Denkvorgängen große Schwierigkeiten. Auch mathematische und sprachliche Fähigkeiten lassen nach. Die Orientierungsfähigkeit ist stark beeinträchtigt.

Demenz versus Depression

Demenz bedeutet aber nicht nur einen Verlust der intellektuellen Kompetenzen. Auch andere Symptome wie beispielsweise depressive Stimmung, Interessensverlust oder Freudlosigkeit werden wahrnehmbar. Diese überschneiden sich mit dem Krankheitsbild der Depression. Eine klare Unterscheidung ist dennoch unumgänglich, da nur dann der richtige Umgang mit demenziell erkrankten Menschen zu finden ist. Dadurch kann ihnen bei der Kompensation, der Bewältigung ihrer Beeinträchtigung geholfen werden. ROHKAMM hat aus diesem Grund den wesentlichen Unterschied dieser beiden Krankheiten festgehalten. Gemäß seinen Ausführungen überspielen Menschen mit Demenz ihre Gedächtnisstörungen oft. Depressiv erkrankte Menschen dagegen kön- nen ausführliche Angaben zur Gedächtnisstörung machen und sind dabei auch in ihrer Wortwahl sicher. Während kognitive Defizite bei dementen Menschen deutlich ausge- prägt sind, fallen diese bei depressiven Menschen nicht auf. ROHKAMM berichtet da- von, dass sich depressive Symptome bei demenziell erkrankten Menschen langsam entwickeln. Beim Krankheitsbild Depression hingegen sind Gefühlsveränderungen wie Grübeln, Angst, frühes Erwachen, Appetitstörungen und Selbstzweifel Kennzeichen einer rasch beginnenden depressiven Symptomatik (vgl. ROHKAMM 2003, 283). Eine genaue Diagnostik ist also eine notwendige Grundlage für die Arbeit mit demenziell erkrankten Menschen.

2.1.2 Epidemiologie

Neben der Betrachtung der Erkennungszeichen beim einzelnen Menschen ist jedoch auch eine volkswirtschaftliche Sicht interessant. Die epidemiologischen Erkenntnisse sollen auf zwei essentielle Fragen Antwort geben:

- Wer ist am häufigsten von demenziellen Erkrankungen betroffen?
- Wer trägt das höhere Risiko zu erkranken?

Die Epidemiologie befasst sich mit Häufigkeiten der Demenz. Diese Lehre macht deut- lich, auf welche Personen das Betreuungsangebot ausgerichtet werden muss, also beispielsweise auf mehr männliche oder weibliche Personen. Zudem wird sichtbar, wie groß das Versorgungsangebot insgesamt sein muss, um der enorm stark anwachsen- den Zahl der demenzkranken Menschen eine geeignete Versorgung zu bieten.

Altersbezogene Erkenntnisse

In Kapitel 1.1 wurde bereits von der aktuellen Versorgungssituation Demenzkranker vor allem im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung in Deutschland be- richtet. Durch den Anstieg der älteren Menschen in ganz Europa ist dies ein grundle- gendes Thema und steht in engem Zusammenhang mit dem Krankheitsbild Demenz. Unter epidemiologischer Betrachtung wird deshalb zunächst der Blick auf den Zusam- menhang von Alter und Demenz gerichtet. Das BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE; SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND spricht von einer Häufigkeit der dementen Menschen, die bei den 70- bis 74jährigen unter einen Prozent liegt, bei den 80- bis 84jährigen bei 11 Prozent und bei den 90- bis 94jährigen bei 31 Prozent (vgl. BMFSFJ 2000, 56). Auch WEYERER kann diese Aussagen nach seinen Recherchen bestätigen (vgl. WEYERER 2005, 7). BICKEL hat hierzu bei seinen Nachforschungen die Daten mehrerer Autoren betrachtet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1: Alterspezifische Prävalenz von Demenzerkrankungen4

Aus der Tab. 1 ist ersichtlich, dass die Prävalenz, d.h. die Erkrankungshäufigkeit der Demenz bei Männern und Frauen mit dem Alter deutlich zunimmt. Demenzielle Er- krankungen können zwar auch in jüngeren Jahren auftreten, die Prävalenz ist jedoch sehr niedrig und es sind keine genauen Schätzungen möglich. Grundlagen hierfür bieten wenige Gemeindestudien, in die auch jüngere Altersgruppen miteinbezogen waren. Hier liegt die Rate der Demenzkranken im Alter zwischen 30 und 59 Jahren bei etwa 0,1 % (vgl. HOFMAN et al. 1991, 736-748), im Alter zwischen 55 und 64 Jahren bei 0,4 % (vgl. OTT et al. 1995, 970-973).

Informationen zum Erkrankungsrisiko

Die Studie von LOBO et al. zeigt deutlich, dass besonders weibliche Personen von demenziellen Erkrankungen betroffen sind. Im Vergleich zu Männern sieht man das höhere Erkrankungsrisiko und die längere Lebenserwartung der Frauen als Grund für diese Entwicklung (vgl. BICKEL 2005, 1-15).

Abgesehen vom erhöhten Risiko, an Demenz zu erkranken, gibt es auch konkrete Ursachen, die zu einer demenziellen Erkrankung führen. Dabei werden zwei haupt- sächliche Formen unterschieden, welche im folgenden Text näher beschrieben werden.

2.1.3 Formen und Ursachen der Demenz

Überblick über die Formen der Demenz

Die Literatur unterscheidet verschiedene Formen der Demenz (vgl. DIMDI 2006). Zum einen gibt es die primären Demenzen. Diese stellen die häufigsten Formen der Demenz dar. Diesen Krankheitsformen liegen hirnorganische Veränderungen zu Grunde. Hierzu zählt vor allem die Alzheimer-Erkrankung als neurodegenerative Demenz oder die Multi-Infarkt-Demenz als vaskuläre Demenz.

Neben den primären Demenzen gibt es noch die sekundären Demenzen. Bei diesen ist der geistige Abbau die Folge einer anderen organischen Erkrankung wie z.B. einer Herz-Kreislauf-Krankheit, aber auch von Arzneistoffen und Giften wie Alkohol oder Drogen. Ist die Grunderkrankung wirksam behandelt worden, Verletzungen geheilt, Giftstoffe verringert oder abgesetzt, die das Gehirn belastet haben, normalisiert sich die geistige Leistungsfähigkeit. Die folgende Grafik gibt einen Überblick über die Formen der Demenz und ihre Ursachen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Formen der Demenz

Die Aufteilung, wie sie in Abb. 3 gezeigt ist, ermöglicht eine professionelle Verständigung auf internationaler Basis und wurde auf der Grundlage der International Classification of Disease geschaffen. Das Internationale Klassifikationssystem der Krankheiten ICD-10 erleichtert die Diagnose und zeigt auf, wann von einer Demenz gesprochen werden kann. Im Kapitel V der ICD-10 ist die Demenz unter den Psychischen Störungen und Verhaltensstörungen eingereiht (vgl. DIMDI 2006). All diese Formen der Demenz treten außerdem in unterschiedlichem Ausmaß auf. Folgende Grafik verdeutlicht die Häufigkeiten der Demenzformen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Häufigkeiten der Demenzursachen5

Abb. 4 zeigt, dass die Alzheimer-Krankheit die häufigste Demenzerkrankung ist (vgl. MIELKE & KESSLER 1995, 11; vgl. PSCHYREMBEL 1998, 328). Am zweithäufigsten ist die vaskuläre Demenz und schließlich folgen mit dem geringsten Anteil die Misch- formen und sonstige hirnorganische Demenzen. Nachdem eine Übersicht über die Demenzformen geschaffen worden ist, wird nun spezifischer auf die einzelnen Formen eingegangen.

2.1.3.1 Primäre Demenzen

Neurodegenerative Demenz / Die Alzheimer-Krankheit

Diese Art der Demenz wurde vom bayerischen Nervenarzt Alois Alzheimer Anfang des 20. Jahrhunderts genau untersucht. 1907 wurde sie erstmals als eigenständige Erkrankung beschrieben (vgl. BUTZLAFF 2006). Ursache für die Alzheimer Demenz wird in einer Atrophie, also in der Größenabnahme der Zellen des Gehirns gesehen, die sogar mit dem Verlust von Nervenzellen einhergehen kann (vgl. LACHNER 1994, 5). Die Schrumpfung des Gehirns ist beispielsweise in einem Computertomogramm er- kennbar. Folgende Abbildung einer Magnetresonanz-Tomographie6 veranschaulicht, inwieweit sich Veränderungen im Gehirn aufgrund von Alter und Krankheit vollziehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Neurologische Veränderungen: Magnetresonanz-Tomographie zur Illustration der Veränderungen aufgrund von Alter und Krankheit7

Vor allem die Ausbreitung der schwarzen Bereiche im mittleren Bereich des Gehirns macht den Verlust der Zellen im Gehirn deutlich.

Doch warum kommt es zu dieser Veränderung? Geforscht wird derzeit an Fragen zu genetischen Einflüssen und dem Einfluss von Hormonen, vor allem des weiblichen Geschlechtshormons Östrogen. Es ist also noch nicht definitiv geklärt, warum es zu dieser degenerativen Entwicklung im Gehirn kommt. Sicher ist aber, dass die Nerven- zellen im Gehirn und ihre Verbindungen über Jahre hinweg absterben, was schließlich zu Vergesslichkeit führt (vgl. GLASER 2006). Deshalb ist auch der langsame Verlauf für die degenerative Demenz kennzeichnend (vgl. LACHNER 1994, 5).

Vaskuläre Demenz

Eine weitere Form der primären Demenz ist die Vaskuläre Demenz, wie beispielsweise die Multiinfarkt-Demenz. Diese wird durch viele kleine, zum Teil unbemerkte Schlagan- fälle verursacht. Hierdurch kommt es zu einer Unterbrechung der Durchblutung bestimmter Hirnbereiche (vgl. BUTZLAFF 2006; vgl. LACHNER 1994, 6). Betroffen sind vorwiegend Gehirnabschnitte, die für die Kontrolle des Gedächtnisses, der Sprache und der Lernfähigkeit verantwortlich sind. Bei der vaskulären Demenz ist eine stufenweise, abrupte Verschlechterung des Zustandes erkennbar (vgl. LACHNER 1994, 6). Negative Umstände oder auch Verhaltensweisen können die Entstehung be- ziehungsweise das Fortschreiten dieser Erkrankung vorantreiben. Zu den Risikofakto- ren der vaskulären Demenz zählen Rauchen, Diabetes, Adipositas8, Bewegungsman- gel, Bluthochdruck, und deutlich erhöhtes Cholesterin (vgl. BUTZLAFF 2006). Wie bereits in Abb. 3 verdeutlicht, können auch Kombinationen aus beiden Formen, soge- nannte Mischformen der Demenz, auftreten.

2.1.3.2 Sekundäre Demenzen

Sekundäre Demenzen sind im Gegensatz zu primären Demenzen nicht hirnorganisch bedingt, es werden aber dennoch demenzähnliche Symptome deutlich. Das Gehirn ist zwar örtlich meist in denselben Bereichen betroffen, diese sind aber aus anderen Gründen beeinträchtigt. Bekannt sind bisher insgesamt etwa 50 Erkrankungen, die eine Demenz auslösen können bzw. dieselben Krankheitszeichen aufweisen. Eine dieser seltenen Formen der Demenz kommt beispielsweise durch die Schädigung des Gehirns, unter anderem durch Alkohol oder die Ablagerung von Eiweißteilchen in bestimmten Gehirnbereichen, zustande (vgl. BUTZLAFF 2006).

Die Ursachen des Krankheitsbildes sind eine wichtige Grundlage, um Verständnis für demenziell erkrankte Menschen aufbringen zu können. Allerdings weisen Menschen gleich mit welcher Demenzform ähnliche Symptome im Verhalten auf. Diese werden im nächsten Abschnitt näher betrachtet.

2.1.4 Verhalten und Reaktionsweisen

2.1.4.1 Symptome der Demenz

Desorientierung und Verwirrtheit

Das für Demenzkranke typische Verhaltensmuster ist die Desorientierung und die Ver- wirrtheit. Zum einen wirkt sich das auf die räumliche Orientierung aus. Ein Demenz- kranker steht beispielsweise in einem Raum, der ihm fremd erscheint. Dies verunsi- chert ihn so stark, dass er ihn wieder verlassen möchte. Diese Verwirrung findet auch oft Ausdruck in den Worten „Wo bin ich?“ (räumliche Desorientierung). Doch auch die zeitliche Orientierung verringert sich. Auf Grund der Gedächtnisstörung mindert sich sowohl das Kurzzeitgedächtnis als auch das Langzeitgedächtnis. Gerade das ständige Leben in der Gegenwart, ohne sich an Vergangenes zu erinnern oder sich an Zukünfti- gem orientieren zu können, verunsichert die Demenzkranken tiefgehend (zeitliche Desorientierung). Weil die zeitliche und räumliche Orientierung nachlassen, kann es auch zu einer Verwirrung in verschiedenen Situationen kommen, beispielsweise wenn ein Demenzkranker am Morgen aufsteht und nicht vollständig angezogen zu Wandern beginnt (situative Desorientierung). Eine weitere Form der Desorientierung hat zur Folge, dass bisher vertraute Personen wie beispielsweise Ehepartner, Kinder oder Freunde nicht mehr erkannt werden (personale Desorientierung). Gerade die persona- le Desorientierung ist sowohl für demente Menschen als auch ihre Angehörigen belastend (vgl. COSSA et al. 1995, 99-106; vgl. HEWER & FÖRSTL 1994, 131-138).

Die 4 „A´s“

Bei einer demenziellen Erkrankung ist außerdem der Verlust folgender Funktionen und Fähigkeiten kennzeichnend:

Verlust des Gedächtnisses: Amnesie

Verlust der Fähigkeit, Gegenstände zu erkennen: Agnosie

Verlust des Wissens, wie Handlungen ausgeführt werden: Apraxie

Verlust der Sprache: Aphasie

Amnesie

Die Amnesie bezeichnet den Verlust der Fähigkeit, sich an Informationen und Erlebnisse zu erinnern. Diese ist auch gewöhnlich das früheste Zeichen der Erkrankung und der am stärksten betroffene Bereich. „Demenzpatienten zeigen Einbußen der Ge- dächtnisleistungen in nahezu allen Teilprozessen der Informationsverarbeitung“ (LACHNER 1994, 11). Hierzu zählt die Autorin GABRIELE LACHNER sowohl Störungen des Kurzzeitgedächtnisses9, Schwierigkeiten bei der Übertragung von Informationen vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis als auch einen gestörten Abruf des Langzeitgedächtnisses10 (vgl. LACHNER 1994, 11). Die Störungen der Gedächt- nisfunktionen beginnen also meistens mit Einbußen der Merkfähigkeit und erfassen dann auch bald das Neu- oder Aktualgedächtnis, welches die Ereignisse auch kürzlich vergangener Tage umfasst (vgl. ZAPOTOCZKY & FISCHHOF 1996, 134-135).

Agnosie

Die Agnosie ist ein weiteres Phänomen. Obwohl der Betroffene klar sehen kann, kann er Gegenstände nicht erkennen und identifizieren. Besonders in den späteren Stadien der Demenz tritt Agnosie als Symptom auf. Oft wird in diesem Zusammenhang auch von Fehlidentifikationen gesprochen. DEUTSCH untersuchte diese bei Demenz- kranken im späteren Stadium „[and] the reports indicated that …30,0% had misidentifications…“ (DEUTSCH et al. 1991, 1161). Ein Beispiel für eine Fehlidentifika- tion ist, dass das Bild des Fernsehapparates für real gehalten wird und eine demenz- kranke Person beispielsweise versucht, eine Figur auf dem Bildschirm anzufassen.

Apraxie

Doch auch in der Motorik wird der Abbauprozess deutlich. Hierbei finden sich häufig Tonuserhöhungen im pyramidalen, vor allem aber im extrapyramidalen Bereich. Das pyramidale System ist für die Feinmotorik, beispielsweise die Bewegungen der Hände, Finger und der Mimik, zuständig. Hauptsächlich werden aber Auffälligkeiten im extrapy- ramidalen Bereich deutlich. Als extrapyramidaler Bereich wird das System bezeichnet, das die größeren Bewegungsabläufe steuert und durch die Verschaltung mit dem Kleinhirn, dem optischen Reflexzentrum und dem Gleichgewichtssinn für die Harmonie der Bewegungen und Korrektur der Körperhaltung sorgt (vgl. BROCKHAUS 1999, 7,37 und 17, 638). FÜSGEN et al. betonen: „Insgesamt zeigen 24 % bis 50 % der Patienten extrapyramidale Symptome“ (FÜSGEN et al. 1992, 78). Diese Probleme zeigen sich beispielsweise beim Zähneputzen oder bei der Unförmigkeit der Bewegungen. Durch diese sind demente Patienten auch sturzgefährdet (vgl. FÜSGEN et al. 1992, 78).

Aphasie

Eine große Belastung ist auch die Aphasie. Hierbei handelt es sich um eine zentrale Sprachstörung. Diese wird von den Betroffenen als sehr schlimm erlebt, da die Kontaktaufnahme mit Angehörigen und Pflegepersonal erheblich erschwert ist und eigene Bedürfnisse nicht mehr vollständig geäußert werden können. Es werden vier verschiedene Formen der Aphasie unterschieden:

1.) Die globale Aphasie: Eine starke Störung des Sprachverständnisses und der Sprachproduktion, bei der häufig nur einzelne Wörter vorkommen.
2.) Die motorische Aphasie (=Broca-Aphasie): Das Sprachverständnis ist nur leicht gestört, Probleme haben die Betroffenen durch verlangsamte und mühsame Sprachproduktion und undeutlicher, oft dysarthrischer11 Artikulation.
3.) Die sensorische Aphasie (=Wernicke-Aphasie): Typisch ist hier das schlechte Sprachverständnis. Die Artikulation ist meist gut erhalten.
4.) Die amnestische Aphasie: Im medizinischen Wörterbuch PSCHYREMBEL ist diese Form der Aphasie folgendermaßen beschrieben: „Paraphasie12 und leicht gestörtes Sprachverständnis bei meist flüssiger Sprachproduktion.“ (PSCHY- REMBEL 1998, 97)

(vgl. MÜLLER 2005, 44 u. 146-149; vgl. PSCHYREMBEL 1998, 97; vgl. ROHKAMM 2003, 127)

2.1.4.2 Verhaltensstörungen

Verhaltensstörungen treten häufig im Zusammenhang mit Demenz auf. Oft zielt auch die Behandlung darauf ab, dieses unerwünschte Verhalten zu therapieren. Verwendet werden hierzu meist pharmakologische oder verhaltenstherapeutische13 Mittel. Grund- sätzlich muss aber die Auseinandersetzung mit dem herausfordernden Verhalten bei Demenz zu mehr Verständnis für die Betroffenen führen (vgl. MEIER 1995, 28). Aus diesem Grund wird im folgenden Abschnitt das Verhalten demenzkranker Menschen näher betrachtet.

Akustische oder vokale Störungen

Akustische Störungen werden vor allem durch Schreien, Rufen oder Klagen deutlich. Bei 11 bis 31 Prozent der Demenzkranken ist dieses Verhalten registriert worden (vgl. CARIAGA et al. 1991; vgl. COHEN-MANSFIELD 1990; vgl. EVERITT et al. 1991; vgl. HALLBERG et al. 1990; vgl. RYAN et al. 1988 in LIND 2000, 15).

Als akustisches Störverhalten wurden folgende Verhaltensweisen in einem Altenheim festgestellt: Schreien (51 Prozent), Schimpfen (73 Prozent), Stöhnen (33 Prozent) und ständige Wiederholungen (25 Prozent) (vgl. CARIAGA et al. 1991, 501-507). Dieses Verhalten wirkt sich außerdem auf das Milieu aus, so dass Mitbewohner mit Angst und Unruhe darauf reagieren. Ursachen hierfür werden in den körperlichen Beschwerden und psychischem Leiden, sensorischer14 Deprivation15 und sozialer Isolierung und als erlerntes Konstrukt zwecks Verstärkung der Zuwendung durch das Pflegepersonal aufgefasst werden (vgl. COHEN-MANSFIELD & WERNER 1997, M 369-377). „The environmental interventions were selected on the assumtion that VDB16 are the result of understimulation and sensory deprivation, …” (COHEN-MANSFIELD & WERNER 1997, M 375).

Aggression und aggressives Verhalten

Wut und Aggression sind Emotionen, die sich sehr oft im Verhalten demenzkranker Menschen ausdrücken. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Symptom auftritt, liegt bei 8-22 Prozent der Demenzkranken in stationären Altenhilfeeinrichtungen (vgl. EVERITT et al. 1991, 794-796; vgl. SWEARER et al. 1988, 786; vgl. ZIMMER 1984, 1119). Ag- gressives Verhalten durch Schimpfwörter oder sogar tätlich aggressives Verhalten stößt oftmals auf Widerstand bei Angehörigen und Pflegepersonal. Gerade deshalb muss man sich vergegenwärtigen, welche Ursachen diesem Verhalten zu Grunde lie- gen. Oft entsteht Aggression aus Unsicherheit und Angst. EDITH LACKMANN bei- spielsweise erzählt vom Beginn der Krankheit ihrer Mutter, die an Demenz litt. „Die Anfangsstadien ihrer Krankheit hat unsere Mutter sehr schmerzhaft erlebt. Sie merkte, dass immer größere Gedächtnislücken auftraten und dass es ihr immer schwerer fiel, sich zu orientieren“ (GÖTTE & LACKMANN 1991, 35). In der Wissenschaft wird diesals Frustrations-Aggressions-Hypothese17 beschrieben. Zusätzliche Enttäuschungen oder Verwirrungen müssen bei der Betreuung und Versorgung demenzkranker Menschen deshalb unbedingt gering gehalten werden. Unnötig ist es beispielsweise, demenzkranken Menschen ihre Fehler vor Augen zu führen, ganz im Gegenteil - ihre Kompetenzen zu stärken und hervorzuheben ist besonders wichtig.

Wandern

Ein weiteres Phänomen ist das Umherwandern. Menschen mit Demenz haben oft das Bedürfnis sich zu bewegen. Sie wandern nachts umher oder versuchen sogar das Haus zu verlassen. Bei Verhaltensbeobachtungen in Altenhilfeeinrichtungen wurde festgestellt, dass zwischen 16 und 39 Prozent der Demenzkranken zum ständigen Wandern neigen (vgl. COOPER et al. 1990, 867-870; vgl. EVERITT et al. 1991, 792- 798). Zu den Faktoren für die Ursachen des Wanderverhaltens zählen sowohl das un- gewohnte Milieu auf der Station, Langeweile, Anspannung und Kontrollverlust (vgl. MATTESON 1996, 39-46; vgl. ZAPOTOCZKY & FISCHHOF 1996, 136). Für die Wohn- form entsteht hieraus folgender Leitgedanke: Das Wandern soll nicht unterbunden werden, vielmehr müssen Raumstrukturen und Betreuungsangebote geschaffen wer- den, beispielsweise durch den Aufbau von Wanderwegen und Wanderprogrammen. Hierdurch sollen positive Aspekte wie beispielsweise die körperliche Aktivierung ver- stärkt und negative Aspekte wie beispielsweise Verirren oder Verlaufen vermindert werden.

Passivität oder Apathie

Anfangs ist der Drang zur Bewegung groß, im Verlauf der Erkrankung ziehen sich de- mente Menschen aber immer mehr zurück (vgl. GILLEY et al. 1991, 362-371). Einige Untersuchungen weisen nach, dass zwischen 21 und 43 Prozent der Demenzkranken Rückzugsverhalten zeigen (vgl. BURNS et al. 1990; COOPER et al. 1990; vgl. EVERITT et al. 1991; vgl. TERI et al. 1989 in LIND 2000, 14). Von Pflegekräften wird die Passivität allerdings nicht als störend empfunden und daher weniger interventions- bedürftig eingeschätzt als dies beispielsweise bei aggressivem Verhalten der Fall ist. In der Pflege bedeutet dies auch das Rückzugsbedürfnis von Demenzkranken zu beach- ten und sie nicht ständig zur Teilnahme an Aktivitäten aufzufordern.

2.1.4.3 Psychische Störungen

Eine große Belastung stellen jedoch die psychischen Veränderungen dar, die mit der Krankheit einhergehen. Psychische Störungen sind für Menschen mit Demenz oft quälend und belastend.

Angst

Während Gefühle Emotionen sind, die verbinden, hat Angst trennenden Charakter. Bei Demenzkranken wird sie oft unerwartet entdeckt und ist für Betroffene und Angehörige verunsichernd. FISCHHOF schreibt von einer „heterotypischen Persönlichkeitsverän- derung, welche zu einer völligen Umstrukturierung des Persönlichkeitscharakters führt“ (ZAPOTOCZKY & FISCHHOF 1996, 133). Dies kann sich beispielsweise darin äußern, dass ein eher vertrauensseliger Mensch unter dem Einfluss der hirnorganischen Ver- änderung bei Demenz nun permanent misstrauisch-paranoide Reaktionsweisen offen- bart (vgl. ZAPOTOCZKY & FISCHHOF 1996, 133). Solche und andere Angstzustände treten bei circa 60 Prozent der Demenzkranken vom Alzheimer-Typ auf. Diese werden auf Veränderungen im limbischen18 System des Gehirns zurückgeführt (vgl. ERHARDT & PLATTNER 1999 in LIND 2000, 19).

Depression

Die weitaus größte emotionale Auffälligkeit demenzkranker Menschen ist die depressi- ve Verstimmung und die Depression. In der Einführung wurde bereits eine Abgrenzung von Demenz und Depression vorgenommen (siehe Kapitel 2.1.1). Depressive Ver- stimmungen beispielsweise treten im Durchschnitt bei circa 20-54 Prozent der De- menzkranken auf. Depressionen hingegen werden bei 10-20 Prozent beobachtet (vgl. BURNS et al. 1990; vgl. COOPER et al. 1990; vgl. REIFLER et al. 1982; vgl. ROVNER & KATZ 1993; vgl. TERI et al. 1989; vgl. WRAGG & JESTE 1989; vgl. WEYERER & SCHÄUFELE 1999 in LIND 2000, 20). Besonders zu Beginn der Krankheit, wenn die Betroffenen das Schwinden ihrer Fähigkeiten bewusst wahrnehmen, werden depressi- ve Verstimmungen wie beispielsweise emotionaler Rückzug, Stimmungslabilität19 und Passivität festgestellt. Verstehen können wir dieses Verhalten, wenn wir uns in die La- ge eines demenzkranken Menschen hineinversetzen. „Der Demenzkranke lebt in einer Welt, mit der er sich jeden Augenblick ohne Erinnerungsvermögen an eben Vorange- gangenes auseinandersetzen muss, in einer Welt, in der Dinge verschwinden, Erklärungen nicht gefunden werden und Unterhaltungen keinen Sinn ergeben“ (FÜSGEN et al. 1992, 75). Hinweis auf eine Depression geben Aussagen wie „Ich bin am Ende“ oder „Mir ist alles egal“ (vgl. DEUTSCHES GRÜNES KREUZ 2003, 13).

EDITH LACKMANN beschreibt die mögliche Entwicklung einer Depression bei Demenz aus ihren persönlichen Erfahrungen mit ihrer demenziell erkrankten Mutter:

„In den Anfangsphasen der Krankheit kam es häufig zu unerfreulichen Diskussionen, weil Mutter rechthaberische Dinge behauptete, die unmöglich stimmen konnten. Da es so schwer zu ertragen ist, daß ein Mensch, auf dessen Urteil man zeitlebens viel gegeben hat, plötzlich Unsinn redet, neigt man dazu, ebenso rechthaberisch den anderen zur Einsicht zwingen zu wollen. Alzheimer-Patienten gegenüber sind solche Diskussionen unsinnig und grausam, denn sie konfrontieren den Patienten schmerzhaft mit seinen Defiziten und stürzen ihn in Depression.“ (GÖTTE & LACKMANN 1991, 37)

Wahn und Halluzination

Zudem können bei dem dementen Menschen Bestehlungswahn, Verfolgungswahn und Beziehungswahn als Folge der neurologischen Veränderungen auftreten. Bei diesen Symptomen haben Betroffene eine unkorrigierbare, subjektive Gewissheit ihrer Über- zeugungen, die nicht zu entkräften ist. Optische und akustische Halluzinationen20 treten bei Demenzkranken zu 10-30 Prozent auf, das Auftreten von Wahnvorstellungen liegt bei 30-37 Prozent (vgl. BALLARD et al. 1995; vgl. BECK & HARRIS 1994; vgl. BURNS et al. 1990; vgl. COOPER et al. 1990; vgl. DEUTSCH et al. 1991; vgl. JABEEN et al. 1992; vgl. MERRIAM et al. 1988; vgl. SWEARER et al. 1988; vgl. TERI et al. 1989; vgl. WRAGG & JESTE 1989; vgl. WEYERER & SCHÄUFELE 1999 in LIND 2000, 20). Pflegemitarbeiter berichten, dass Halluzinationen oft nach lang andauernder sozialer und sensorischer Deprivation beispielsweise durch längere Bettlägerigkeit im Einzelzimmer ohne Sozialkontakte auftreten. Außerdem ist zu beachten, dass sich Wahn und Halluzination verstärkt im fortgeschrittenen Stadium der Demenz zeigen. Die Stadien der Demenz werden im nächsten Abschnitt näher erläutert.

2.1.5 Stadien der Demenz

Zur Orientierung an den Bedürfnissen demenzkranker Menschen ist eine zeitliche Be- trachtung sinnvoll. Die verschiedenen Stufen der Demenz ermöglichen es, einen Über- blick über die Fähigkeiten in den verschiedenen Stadien der Demenz zu gewinnen und dadurch auch mehr über die Bedürfnisse und den Hilfebedarf dementer Menschen zu erfahren. Zur folgenden Tab. 2 ist anzumerken, dass diese nicht als starre Abgrenzung der Stadien dient, sondern dass diese Phasen fließend ineinander übergehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2: Stadien der Demenz

Stadium I: Leichte Demenz

Zu Beginn treten geringe Gedächtnisstörungen ein. Deshalb ist gerade am Anfang eine Demenz nur schwer von einer altersbezogenen Vergesslichkeit zu unterscheiden. Durch das Nachlassen von Fähigkeiten und dem damit sinkenden Selbstwertgefühl ziehen sich Menschen mit Demenz im Stadium I oft von ihrer sozialen Umgebung zu- rück. Gerade weil sie diese Einbußen bewusst wahrnehmen, können auch depressive Verstimmungen hinzukommen. Menschen mit Demenz im Stadium I sind aber noch selbstständig, können ihren Alltag bewältigen und brauchen noch keine Aufsicht oder Pflege. In Hinsicht auf die Wohnformen besteht für den demenziell erkrankten Menschen in diesem Stadium die Möglichkeit zu Hause selbstständig und unabhängig wohnen zu bleiben. (vgl. POPP 1999, 30-33; vgl. ROHKAMM 2003, 297)

Stadium II: Mittelschwere Demenz

In diesem Stadium wird durch die enorm zunehmende Desorientierung, Vergesslichkeit und die abnehmende sprachliche Ausdrucksfähigkeit (Aphasie) eine selbstständige Lebensführung eingeschränkt. Durch diese Schwierigkeiten sind die Erkrankten nicht mehr fähig ihren beruflichen und sozialen Anforderungen nachzukommen. Sie benötigen deshalb für fast alle Tätigkeiten Hilfe und Aufsicht. Einfache Gespräche und gängige Umgangsformen sind gewöhnlich nicht so stark beeinträchtigt. Allerdings treten zunehmend Probleme beim Sprachverständnis und der Wortfindung auf. Auch apraktische Störungen sind häufig, Agnosie dagegen selten. (vgl. POPP 1999, 30-33; vgl. ROHKAMM 2003, 297)

Stadium III und IV: Schwere Demenz und Endstadium

Agnosie tritt vor allem im Spätstadium zusätzlich zur Amnesie, Apraxie und Aphasie auf. Die Betreuung ist unter anderem durch das ziellose Wandern erschwert. Mit dem Fortschreiten der Krankheit brauchen die Erkrankten Hilfe beim Essen, beim An- und Auskleiden und dem Toilettengang. Für nahe stehende Personen ist die Betreuung durch die zunehmenden Schwierigkeiten im Verhalten schwer zu bewältigen. Hierzu gehören beispielsweise impulsive Handlungen wie Kofferpacken, Weglaufen, Halluzi- nationen oder Misstrauen. Der Tod tritt meist infolge von sekundären Komplikationen beispielsweise Pneumonie21 oder Herzversagen ein (vgl. POPP 1999, 30-33; vgl. ROHKAMM 2003, 297).

SCHNEEKLOTH & WAHL haben auf Grundlage des ROPER-LOGAN-THIERNEY Modells untersucht, inwieweit Einschränkungen in den instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens je nach Demenzschweregrad bestehen. Das Konzept der „Lebens- aktivitäten“ von ROPER, LOGAN und THIERNEY beschreibt 12 Bereiche, die relevant sind, um das tägliche Leben pflegebedürftiger Menschen zu sichern und zu bereichern. Hierzu zählen:

- „Für eine sichere Umgebung sorgen
- Kommunizieren
- Atmen
- Essen und Trinken
- Ausscheiden
- Sich sauber halten und kleiden
- Regulieren der Körpertemperatur
- Sich bewegen
- Arbeiten und spielen
- Sich als Mann oder Frau fühlen und verhalten
- Schlafen
- Sterben“ (ROPER et al. 2002, 29-70)

Die folgende Tabelle zeigt die Ergebnisse der Studie von SCHNEEKLOTH & WAHL

zum Thema „Einschränkungen in den instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens nach Demenzschweregrad“.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 3: Einschränkungen in instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens nach Demenzschweregrad22

Das Endstadium wurde bei der Studie von SCHNEEKLOTH & WAHL nicht untersucht. Die Aktivitäten des täglichen Lebens spielen im Sterbeprozess eine unwesentliche Rolle, stattdessen stärker die Sterbebegleitung durch Familienangehörige oder Seel- sorger. In Tab. 3 wird stattdessen deutlich, inwieweit die Aktivitäten des täglichen Le- bens bei leichter, mittelschwerer und schwerer Demenz möglich sind. SCHNEEKLOTH & WAHLS Untersuchungen zufolge nehmen die Einschränkungen mit zunehmenden Schweregrad teilweise um ein Vielfaches zu. Bereits das leichte Demenzstadium ist demnach mit einer deutlich höheren Versorgungsbedürftigkeit verbunden. Zudem zeig- te sich in der Studie, dass der Gesamtwert der ADL- und IADL-Einschränkungen, also den sogenannten basalen und instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens, von 14,4 unter den nicht Demenzkranken über 24,4 bei den leicht demenziell Erkrankten auf 34,4 Prozent bei den mittelschwer Erkrankten und schließlich auf 43,7 bei den schwer Demenzkranken anstieg (vgl. SCHNEEKLOTH & WAHL 2005, 116). SCHNEEKLOTH & WAHL schildern in ihrem Buch: „Diese Zunahme betraf sämtliche Bereiche, sowohl Einschränkungen in der Selbstversorgung (z.B. Duschen oder Waschen, Ankleiden, Fortbewegung, Kontrolle von Ausscheidungen) als auch Ein- schränkungen in der Durchführung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten (z.B. Einkaufen, Saubermachen, Mahlzeiten zubereiten)“ (SCHNEEKLOTH & WAHL 2006, 116).

Menschen mit demenziellen Erkrankungen haben also mit großen Einschränkungen zu leben. Hiervon abhängig ist auch die Wohn- und Versorgungsform, für die sich demenziell erkrankte Menschen selbst oder in späteren Stadien ihre Angehörigen entscheiden. Sie bedürfen vermehrter Hilfe und ihre Beweglichkeit schränkt sich mit dem Fortschreiten der Erkrankung auf einen kleinen Rahmen ein. Dieser Rahmen ist dann die Wohn- und Betreuungsform, in der sie leben.

2.2 Wohn- und Betreuungsformen

"Einen Edelstein betrachte in seiner Fassung, einen Menschen in seiner Wohnung." - Aus dem Kaukasus Menschen mit Demenz brauchen durch ihre Erkrankung eine besondere Betreuung und Versorgung. Diese kann sowohl zu Hause, teilstationär, stationär als auch in Hausoder Wohngemeinschaften erfolgen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6: Übersicht über die Wohn- und Betreuungsformen

In diesem Kapitel werden deshalb folgende Fragen beantwortet:

- Wie stellt sich die derzeitige Versorgungslage bezüglich dieser Wohnformen in Deutschland dar?
- Welche verschiedenen Möglichkeiten und Hilfen gibt es, die Betreuung in den einzelnen Wohnformen zu realisieren?

2.2.1 Betreuung und Pflege zu Hause

Bei pflegebedürftigen Menschen, die zu Hause wohnen, wurde ein Vergleich zwischen den Jahren 1991, 1994 und 2002 vorgenommen. Bei dieser Repräsentativerhebung der MuG I23 wurde festgestellt, dass die Zahl der Hilfe- und Pflegebedürftigen von 1,1 Millionen im Jahr 1991 auf 1,2 Millionen im Jahr 1994 vergrößert hat. Zum Zeitpunkt Ende 2002 wurden knapp 1,4 Millionen Pflegebedürftige betreut (vgl. SCHNEEKLOTH & WAHL 2006, 63). „Die Mehrheit der Hilfe- und Pflegebedürftigen in Privathaushalten lebt, ähnlich wie die Seniorinnen und Senioren insgesamt - entweder gemeinsam mit dem Ehepartner (27%) oder aber allein in der angestammten Wohnung (29%). Rund ein Viertel der Pflegebedürftigen (25%) wohnt bei den eigenen und inzwischen erwachsenen Kindern“ (SCHNEEKLOTH & WAHL 2006, 71). In der folgenden Abbildung wird diese Verteilung sichtbar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7: Hilfs- und Pflegebedürftige Menschen in Privathaushalten24

Es gibt bereits eine große Anzahl von pflegebedürftigen Menschen, die zu Hause ver- sorgt werden. Dies geschieht sowohl alleine als auch mit Hilfe der Angehörigen. Auch GRÄßEL hat dies in seinem Artikel für die Deutsche Alzheimer Gesellschaft festgestellt und deutlich gemacht, dass die Versorgung demenziell erkrankter Menschen vorwie- gend zu Hause erfolgt. Diese Pflege macht etwa 70 Prozent des gesamten Versor- gungssystems für Demenzkranke aus (vgl. GRÄßEL 2000, 124). Doch wie kann es verwirklicht werden, dass demenzkranke Menschen möglichst lange zu Hause versorgt werden?

2.2.1.1 Allein lebende Demenzkranke

Der Aufenthalt zu Hause ist unterschiedlich gestaltbar und wird individuell verschieden geregelt. Zum einen gibt es für demenzkranke Menschen die Möglichkeit alleine in der bisherigen Wohnung zu bleiben. Wie im Kapitel II.1.5 deutlich wird, ist dies im ersten Stadium der Demenz noch weitgehend möglich. Die Zahl allein lebender Pflegebe- dürftiger und damit auch demenzkranker Menschen hat sich im Vergleich zu den 1990er Jahren verändert. Der Anteil diese Gruppe hat sich von 20 Prozent - einge- schlossen allein lebender Menschen im betreuten Wohnen - auf 31 Prozent deutlich vergrößert. Am häufigsten sind allein lebende pflegebedürftige Menschen mit 37 Prozent in Ballungsräumen bzw. mit 30 Prozent in sonstigen Stadtregionen anzutref- fen. Im ländlichen Raum beträgt ihr Anteil dagegen nur 20 Prozent (vgl. SCHNEEKLOTH & WAHL 2006, 71).

2.2.1.2 Mit einer Betreuungsperson zusammenlebende Demenzkranke

Viele der Hilfebedürftigen werden von ihren Angehörigen zu Hause versorgt und unterstützen sie so nach besten Kräften. Was die Betreuungsintensität und den zeitlichen Betreuungsumfang anbelangt, liegt die Versorgung demenzkranker Menschen derzeit vorwiegend in den Händen von pflegenden Angehörigen (vgl. STEINER 1999, 10). „Mehr als 60% der Hilfebedürftigen werden von Familienangehörigen zu Hause ver- sorgt“ (STEINER 1999, 10). Besonders eine funktionierende Partnerschaft ist eine gute Voraussetzung, um dies in die Tat umzusetzen und die vertraute Umgebung nicht verlassen zu müssen (vgl. BENDER 1990, 144).

2.2.1.3 Hilfe von Angehörigen und Verwandten

Einen großen und beachtlichen Teil der Versorgung übernehmen also Angehörige und Verwandte. Sowohl bei Besuchen von allein lebenden Demenzkranken als auch beim Zusammenleben schenken viele Angehörige und Verwandte ihre Zeit der Pflege und Versorgung der demenzkranken Mutter oder des Vaters. So kann der demenzkranke Mensch in seiner gewohnten Umgebung bleiben (vgl. BERGER-SCHMITT 2006, 1-10; vgl. PETRI et al. 2000, 232-234).

Im Jahr 1995 wurden die Pflegeversicherung und das Pflegegeld in Deutschland einge- führt. Damit gewann auch die Angehörigen- und Nachbarschaftspflege an Bedeutung und wurde durch diese finanziellen Mittel des Pflegegeldes25 gefördert (vgl. PICK et al. 2004, 20). Diese Unterstützung aus dem Kreis der Familie wird zudem eher ange- nommen als außerfamiliäre Hilfe. Besonders deshalb, weil Familienmitglieder den älteren Angehörigen mehr Zuneigung entgegenbringen, bilden sie eine gewichtige Basis des Hilfesystems. Mit Hilfe der Angehörigen können Menschen mit Demenz zu Hause wohnen bleiben.

„Mit 60 % ist auch die Mehrheit der Hauptpflegepersonen bereits 55 Jahre oder älter. Gepflegt wird demnach nicht nur zwischen, sondern vor allen Dingen innerhalb der (angrenzenden) Generationen. Es sind die Menschen in der „dritten Lebensphase“, die in Deutschland die private Pflege insbesondere bei den hochbetagten Pflegebe- dürftigen tragen“ (SCHNEEKLOTH & WAHL 2006, 77).

Vor allem wenn Kinder ihre Eltern versorgen, bringt dies eine Chance mit sich. Verhär- tete Beziehungen können auf einmal in einem milderen Licht erscheinen, wenn es ge- lingt die Rollenveränderung anzunehmen sowie entsprechende Emotionen zuzulassen. Gerade positive Emotionen sind ein Ansporn und Motivation für die Übernahme der Pflege. Dankbarkeit für Erlebtes und das Gefühl der Verbundenheit, oft auch das Ge- fühl etwas schuldig zu sein, setzen sich häufig in der Pflegebeziehung fort (vgl. BRUDER 1988, 255-269).

2.2.1.4 Weitere Möglichkeiten der Unterstützung

Aus Studien wurde deutlich, dass in den Haushalten sowohl eine Nachfrage nach er- gänzenden Hilfeleistungen im Bereich der Pflege und der hauswirtschaftlichen Versor- gung als auch bei kleineren Hilfen im Alltag besteht (vgl. SCHNEEKLOTH & WAHL 2006, 85). Inzwischen nehmen 23% der Haushalte von Pflegebedürftigen und damit auch demenzkranken Menschen selbstbeschaffte und privat finanzierte Dienstleistun- gen in Anspruch. Hier werden sowohl pflegerische Hilfen als auch Hilfen im Haushalt und der Betreuung organisiert. Im folgenden Abschnitt werden diese einzelnen Unter- stützungsformen näher betrachtet (vgl. INSTITUT FÜR SOZIALFORSCHUNG UND SOZIALWIRTSCHAFT 2005, 22).

[...]


1 Fertilität bedeutet Fruchtbarkeit. In der Biologie wird die Fähigkeit der Lebewesen, Nachkommen zu erzeugen, als Fertilität bezeichnet (vgl. BROCKHAUS 1999, 8, 18).

2 In Anlehnung an (ADRIAN 2006, 1).

3 Demographie ist die Beschreibung von Zustand und Veränderung der Bevölkerungszahl und –zusammensetzung mithilfe der Bevölkerungsstatistik (vgl. BROCKHAUS 1999, 5, 208).

4 In Anlehnung an (BICKEL 2005, 1-15).

5 In Anlehnung an (WEHNER 2006).

6 Die Magnetresonanz-Tomographie wird in der Medizin verwendet, um Ursachen für Erkrankungen besser erklären zu können. Dabei handelt es sich um einen physikalischen Vorgang, der mit der Ausrichtung und Messung von Elektronen oder geeigneten Atomkernen verbunden ist (vgl. PSCHYREMBEL 2002, 1011-1012).

7 In (ANDREASON 2002, 318).

8 Fettleibigkeit

9 Das Kurzzeitgedächtnis enthält momentan aktivierte, dem Bewusstsein zugängliche Gedächtnisinhalte, bis sie durch andere ersetzt werden (vgl. PSCHYREMBEL 2002, 577).

10 Das Langzeitgedächtnis ist das Gedächtnis für die langfristige Speicherung von Wahrnehmungen (vgl. PSCHYREMBEL 2002, 577).

11 Dysarthrie bedeutet zu griechisch “arthroun” = gliedern. Die Dysarthrie ist eine organisch bedingte Sprechstörung in Folge einer zentralnervösen Beeinträchtigung der Sprachmotorik, z.B. bei Erkrankungen des Groß- und Kleinhirns. Die erkrankten Menschen sprechen verändert, z.B. abgehackt, langsam oder verwaschen (vgl. BROCKHAUS 1999, 6, 59).

12 Die Paraphasie ist eine leichte Form der sensorischen Aphasie. Hierbei kommt es zum Versprechen von Wörtern, zur Vertauschung von Wörtern und Lauten oder zur Verstümmelung von Worten (vgl. BROCKHAUS 1999, 16, 566).

13 Die Verhaltenstherapie ist eine psychotherapeutische Richtung mit Wurzeln in den Lerntheorien. Hier wird davon ausgegangen, dass Verhaltensstörungen gezielt durch klassisches, operantes Konditionieren sowie das Lernen am Modell abgebaut werden können (vgl. HOBMAIR et al. 1997, 487-495).

14 Sensorisch ist aus dem Lateinischen hergeleitet und bedeutet „der Sinn“. Informationen über uns selbst und unsere Umwelt erhalten wir über die Sinnesorgane, wie Seh-, Gehör-, Geschmacks-, Geruchssinn und Hautsinne (vgl. HOBMAIR et al. 1997, 82-87).

15 Das Fehlen von Reizen, beispielsweise sozialer Kontakte, führt zu unterschiedlich starken halluzinatorischen, neurotischen Verhaltensweisen oder sonstigen Störungen. Bekannt ist der Begriff Deprivation auch beim Hospitalismus, wo das Fehlen der elterlichen Zuwendung bei Heimkindern zu starken Störungen im Verhalten und in der Gesundheit führen kann (vgl. BROCKHAUS 1999, 5, 238; vgl. HOBMAIR et al. 1997, 295).

16 COHEN-MANSFIELD & WERNER berichten von VDB. Damit sind die „Treatments for verbally disruptive behaviors“ bezeichnet (COHEN-MANSFIELD & WERNER 1997, M 375).

17 Die Frustrations-Aggressions-Hypothese geht vor allem auf den Psychologen John Dollard zurück. Er ging davon aus, dass jeder Aggression eine Frustration zugrunde liegt (vgl. HOBMAIR 1997, 174).

18 Das limbische System ist der Teil des Gehirns beim Menschen, in dem das Gefühlsleben angesiedelt ist (vgl. PEPELS 2001, 14f).

19 Labil leitet sich aus dem spätlat. „labilis“ = leicht gleitend ab und bedeutet schwankend, unbeständig, leicht störbar. Demenziell erkrankte Menschen sind oft labil und unterliegen demnach Stimmungsschwankungen (vgl. BROCKHAUS 1999, 12, 704).

20 Halluzination (lat. „alucinatio“ = Verwirrung) bezeichnet eine Sinnestäuschung, bei der der Wahrnehmung kein reales Objekt zugrunde liegt und ein adäquater Reiz fehlt. Die Betroffenen sind meist von der Tatsächlichkeit des vermeintlich Wahrgenommenen überzeugt (vgl. PSCHYREMBEL 2002, 651).

21 Pneumonie (griech. „Pneumonia“ = Lungensucht) ist die medizinische Bezeichnung der Lungenentzündung (vgl. BROCKHAUS 1999, 1, 252).

22 In Anlehnung an (SCHNEEKLOTH & WAHL 2006, 117).

23 MUG I ist eine Repräsentativerhebung im Projekt „Möglichkeiten und Grenzen selbstständiger Lebensführung“ hilfeund pflegebedürftiger Senioren im Auftrag des Bundesministeriums für Familie und Senioren. Es wurde im Jahr 1991 eine breit angelegte Repräsentativerhebung bei knapp 26.000 Privathaushalten durchgeführt. Anhand der Ergebnisse wurde eine Analyse zur Gesamtzahl und Lebenssituation der Betroffenen vorgelegt (vgl. INFRATEST SOZIALFORSCHUNG 2007).

24 In Anlehnung an (SCHNEEKLOTH & WAHL 2006, 17).

25 Für die soziale Absicherung bei Pflegebedürftigkeit ist die gesetzliche Pflegeversicherung (SGB XI) zuständig. Leis- tungen, also Pflegegeld, erhalten Personen, die entsprechend der Pflegestufen „pflegebedürftig“ sind (vgl. BROCK- HAUS 1999, 17, 70).

Ende der Leseprobe aus 138 Seiten

Details

Titel
Die Lebensqualität demenziell erkrankter Menschen in verschiedenen Wohn- und Betreuungsformen
Hochschule
Fachhochschule Regensburg  (Institut für Sozialwissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
138
Katalognummer
V85919
ISBN (eBook)
9783638900867
ISBN (Buch)
9783638910002
Dateigröße
2149 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Autorin hat einen Förderpreis erhalten für diese Arbeit.
Schlagworte
Lebensqualität, Menschen, Wohn-, Betreuungsformen
Arbeit zitieren
Johanna Bittl (Autor:in), 2007, Die Lebensqualität demenziell erkrankter Menschen in verschiedenen Wohn- und Betreuungsformen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85919

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Lebensqualität demenziell erkrankter Menschen in verschiedenen Wohn- und Betreuungsformen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden