Der Dandy - Die Entwicklung eines Typus und ihre spezielle Bedeutung in Oscar Wildes "The Picture of Dorian Gray"


Seminararbeit, 2005

24 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsangabe

1. Einleitung

2. Die Geburt des Dandy
2.1 Der Dandy – ein ungewöhnlicher Typus
2.2 Beau Brummell als Urbild des Dandys

3. Der Dandy in England
3.1 Lord Byron als Dichter und Dandy
3.2 Alfred d’Orsay als Vermittler zwischen zwei Welten

4. Der Dandy in Frankreich
4.1 Balzac und seine Dandyfigur Henry de Marsay
4.2 Baudelaire im Konflikt zwischen Dandytum und Kunst

5. Die beginnende Destruktion des Dandy
5.1 Oscar Wilde als letzter Dandy einer Generation
5.2 Der Roman „The Picture of Dorian Gray“
5.3 Henry Wotton als typischer Dandy und Ästhet
5.4 Lord Henrys Einfluss auf Dorian Gray
5.5 Dorian Gray als scheiternder Dandy

6. Fazit

Bibliographie

1. Einleitung

Auf der Suche nach einer geeigneten Definition des historischen Typus des Dandys, stößt man unter anderem auf Beschreibungen wie z.B. „der Typ des extravaganten, blasierten, dünkelhaften und egozentr. Lebe- und Genussmenschen, mit seinem Horror vor dem Gewöhnlichen, Alltäglichen, Trivialen“ (Wilpert 1989, 169). Bei genauerer Betrachtung wird jedoch schnell deutlich, dass solch eine oberflächliche Definition diesem vielschichtigen Typus nicht gerecht werden kann, denn „das Thema bleibt bis in unsere Zeit hinein ein von Paradoxien und Mysterien durchzogenes Phänomen.“ (Schickedanz 2000, 14) Das Dandytum und mit ihm seine zahlreichen Vertreter ist vielmehr

eine kulturelle Erscheinung, die während bestimmter kulturhistorischer Konstellationen auftritt, wenn es gilt, sich gegen Gleichmacherei, Anpassung und Verrohung der Werte durch Kreativität und individuellen Ausdruck zu erwehren. (Fratz 2001, 21)

Der Dandy ist also bei weitem nicht nur ein modischer Sonderfall der Geschichte, sondern wurde vor allem durch die im 19. Jahrhundert in Europa herrschende Situation der Gesellschaftsauflösung hervorgebracht, gegen die er auf ganz individuelle Art und Weise ankämpfte. Allerdings bleibt festzuhalten, dass sich das Dandytum letztlich nur in England und Frankreich wirklich stark ausprägen konnte (vgl. Mann 1962, 22), wobei ersteres noch heute als das Land des gelebten Dandysmus gilt, während Frankreich vor allem für seine literarischen Dandys bekannt ist (vgl. Schickedanz 2000, 15).

Diese signifikante Unterscheidung macht es somit unumgänglich, die Entwicklungen des Dandytums in beiden Ländern gesondert zu untersuchen. Hierbei soll sowohl der Dandysmus als Lebensform historischer Personen (wie z.B. Brummell, Byron, Baudelaire etc.) analysiert, als auch teilweise auf die literarischen Dandyfiguren jener Zeit eingegangen werden. Es bleibt allerdings anzumerken, dass das Dandytum zwar eine populäre, aber relativ kurzlebige Epoche in der Geschichte darstellt. Die beginnende Dekonstruktion des Dandytypus findet sich daher schon zur Zeit des fin de siècle und soll im Folgenden am Beispiel des Schriftsteller-Dandys Oscar Wilde verdeutlicht werden, wobei auf dessen Roman „The Picture of Dorian Gray“ (1890) und den unterschiedlichen Dandytypen Lord Henry Wotton und Dorian Gray ein besonderes Augenmerk liegt.

Bevor es jedoch um die prägnanten Eigenschaften und Lebensläufe einzelner Dandys geht, bietet sich eine allgemeine Typisierung dieses ungewöhnlichen Typus an, der vor allen Dingen wegen seinem emotionslosen Kult der Kälte zu einem interessanten Untersuchungs-gegenstand wird.

2. Die Geburt des Dandy

2.1 Der Dandy – ein ungewöhnlicher Typus

Trotz der relativ kurzen Hochphase der Dandys in Europa weist das Phänomen dieses Typus eine lange Tradition auf:

Das Ideal von Eleganz, Geschmack und Exzentrik als Ausdruck individueller Überlegenheit hat seine klassischen Vorbilder. Von der griechischen und römischen Antike über die höfischen Ritter und Troubadours, bis zur italienischen Renaissance und darüber hinaus, gibt es Persönlichkeiten, deren Leben sich der Kunst, der Eleganz und der Ästhetik verschrieben haben. (Fratz 2001, 21)

Genauso auch beim klassischen Dandy. Diese individualistische, exzentrische Lebenseinstellung führt allerdings auch dazu, dass keine sozialtypische Verallgemeinerung des Dandytypus möglich ist, „ohne daß das Wesentliche dabei verloren geht: die Anmut, die nicht klassifizierbar ist“ (Erbe 2002, 8) und auf der letztlich sein gesamtes Lebenskonzept beruht. „Dandys können [demnach] keine homogene Gruppe bilden, denn das unterliefe das Primat der Individualität.“ (Klee 2001, 95)

Dennoch gibt es durchaus gewisse übergeordnete Eigenschaften, die die Fiktion eines vollkommenen Dandytypus (vgl. Erbe 2002, 21) kennzeichnen und nach denen die Dandys der realen Welt zeitlebens streben. Hierzu gehört vor allem die Vorstellung, „das eigene Leben in Genuß und Schönheit, fern jeglicher Anpassung und Konvention und ausschließlich nach individuellen Passionen und Interessen auszurichten“ (Fratz 2001, 7), woran sich schon die ungewöhnliche Außenseiterstellung des Dandys zeigt. Diese erhält er, abgesehen von seiner individuellen Lebenseinstellung, vorrangig aufgrund seiner äußeren Erscheinung und seines Auftretens in der Gesellschaft. „Der Geist des Dandys zeigt sich nicht in der Tiefe, sondern entzündet sich an der Oberfläche“ (Erbe 2002, 12), denn er identifiziert sich über die Mode, die er trägt, die ihn individualisiert und die ihm die Möglichkeit einer ästhetischen Herrschaft über die Gesellschaft gibt (vgl. Mann 1962, 96). Allerdings schafft dieser auf Äußerlichkeiten angelegte Lebensentwurf auch Raum für eben jene Kritiker, die den Dandy als „einen sich auffallend kleidenden Modenarr oder Snob ausweisen“ (Schickedanz 2000, 10) und ihn „mit dem Vertreter übertriebener Mode, dem äußerlich Eitlen“ (Mann 1962, 80) gleichsetzen. Bei einem Blick hinter die äußere Fassade wird jedoch deutlich, dass die gepflegte Garderobe des Dandys keineswegs auf reine Oberflächlichkeit zurückführen ist, sondern „vielmehr seine nach außen gestülpte Innerlichkeit“ (Schickedanz 2000, 21) offenbart. Denn „der wahre Dandy ist kein Modeheld wie der gewöhnliche Geck oder Stutzer, der eifrig darauf bedacht ist, der neuesten Mode zu folgen. Er ist der Eleganz verpflichtet, nicht der Mode“ (Erbe 2002, 18). Es ist nämlich nicht „die Kleidung, die den Dandy ausmacht; ganz im Gegenteil – es ist eine bestimmte unverwechselbare Art, die Kleidung zu tragen“ (Schickedanz 2000, 41), denn nur sie unterscheidet ihn vom gewöhnlichen Menschen; und nichts ist für ihn schlimmer als die Mittelmäßigkeit und Gewöhnlichkeit. „Sein Ziel ist [vielmehr] die Errichtung einer neuen Aristokratie des Geistes und des Geschmacks“ (Schickedanz 2000, 17), in der er sich frei entfalten und „als ein Gesamtkunstwerk gesellschaftlicher Außergewöhnlichkeit“ (Fratz 2001, 24) präsentieren kann. Dazu gehört vor allem ein nur der Schönheit und dem Müßiggang gewidmetes Lebenskonzept, das sich fernab jeglicher gesellschaftlicher Pflichten und Normen abspielt. Doch um solch ein aufwendiges, sorgloses Leben überhaupt führen können, braucht es auch eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit, was erklärt, warum die meisten Dandys aus dem Stand des Adels stammten. Doch auch für die weniger wohlhabenden gehörte „die Erhabenheit über bürgerliche Wertmaßstäbe wie Erfolg und Geld“ (Klee 2001, 107), sowie die Verweigerung von bürgerlicher Arbeit zum angestrebten und einzig denkbaren Lebensentwurf. Der entstehende Interessenkonflikt ist leicht ersichtlich. Auf der einen Seite verachtet der Dandy das einfache, gewöhnliche Leben, „überzieht […] die Gesellschaft mit seinem provozierenden Spott“ (Schramm 1995, 22) und sieht sich als vornehmen „Vertreter ausgefallener und ausschweifender Genüsse, als Ausdruck von Individualität, ästhetischer Lebensart und Unabhängigkeit von der Pflicht und dem Mühsal des gewöhnlichen Lebens.“ (Fratz 2001, 23) Doch auf der anderen Seite ist der Dandy auf gewisse finanzielle Mittel angewiesen, um in seiner Eigenart überhaupt existieren zu können. Hier offenbart sich ein gewisses Paradoxon, denn diese „finanziellen Beschränkungen, der Zwang einen Beruf ausüben und Geld verdienen zu müssen, berauben den Dandy [wiederum] seines eigentlichen Ziels: nichts anderes darzustellen als sich selbst.“ (Erbe 2002, 20) Verdient er also schon aufgrund seiner Abneigung gegen bürgerliche Arbeit kein eigenes Geld, bleibt der Dandy zeitlebens abhängig von der „Bereitschaft der Gesellschaft, für das Schauspiel, das er ihr bietet, zu zahlen.“ (Erbe 2002, 19) Die verhasste Bourgeoisie wird somit zum Existenzbewahrer, denn ohne das Geld und die Gewöhnlichkeit seiner Mitmenschen ist der Dandy weder fähig seinem Lebenskonzept zu folgen, noch bestünde Bedarf nach seiner Außergewöhnlichkeit. Er bleibt also „trotz der von ihm gesuchten Distanz zur Gesellschaft […] doch immer auf sie bezogen und von ihr abhängig.“ (Schramm 1995, 22)

Doch nicht nur materielle und äußerliche Unterschiede tragen zu der Ausnahmenstellung des Dandys in der Gesellschaft bei, auch – und besonders – seine innere Einstellung zum Leben, sein Kult der Kälte macht ihn zu einem ungewöhnlichen Typus seiner Zeit. Obwohl seine Mitmenschen als Publikum für seinen extrovertierten Lebensentwurf unentbehrlich sind, steht beim Dandy letztlich immer die „Gleichgültigkeit im Emotionalen im Vordergrund, die Ferne und Unnahbarkeit, die alle Grade von kühler Distanz und Arroganz bis zu Eiseskälte […] annehmen kann.“ (Schickedanz 2000, 20) Denn trotz seiner erwähnten finanziellen Abhängigkeit bemüht er sich stets „Individualist“ (Erbe 2002, 17) zu bleiben, sich von der eintönigen, langweiligen Gesellschaft abzusetzen und „niemals so zu handeln, wie man es von ihm erwartet.“ (Erbe 2002, 18) Mit diesem „Konzept für ein intensives, unkonventionelles, Grenzen sprengendes Leben“ (Fratz 2001, 8), begibt sich der Dandy also von selbst in die Außenseiterrolle, die keinerlei Nähe und Emotionen zu anderen Menschen zulässt. Im Gegenteil forciert er die Distanz zum Mitmenschen, da jegliche Leidenschaft oder Gefühlsregung seiner „stilisierten Emotionslosigkeit“ (Klee 2001, 100) widersprechen und eine Gefahr für seine mühsam aufgebaute Fassade der Unabhängigkeit und Erhabenheit darstellen würde. Daher sieht sich der Dandy auch lieber als „kühler, kritischer und richtender Beobachter“ (Fratz 2001, 25), der das gesellschaftliche Leben mit einer unnachahmlichen Sachlichkeit beurteilt, selbst aber jegliche Sentimentalität, Romantik oder Emotionalität verabscheut. Was nicht zwangsläufig bedeutet, dass „hinter dieser kalten scheinbar unbeteiligten Maske des Dandy [nicht auch] eine tiefe Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit, nach Wärme und Zuneigung verborgen liegt“ (Schickedanz 2000, 20). Neben Selbstkult, Eleganz und eben jener affektlosen, kühlen Emotionslosigkeit, gehört nämlich auch die „Verhüllung“ (Erbe 2002, 9) zu einem typischen Attribut des Dandys, das es ihm überhaupt erst ermöglicht, aus der gewöhnlichen Welt des menschlichen Seins zu entfliehen und in seiner selbst erschaffenen Welt der Schönheit und des Scheins zu leben. Nur dort kann er als „körperliches Kunstwerk“ (Klee 2001, 306) existieren und seinem individuellen, erhabenen und unabhängigen Lebenskonzept nachgehen.

Trotzdem bleibt festzuhalten, dass, wie schon erwähnt, eine allgemein gültige Typisierung des Dandys aufgrund der verschiedenen Entwicklungen im England und Frankreich des 19. Jahrhunderts schwer fällt. Daher soll nun anhand einiger konkreter Dandytypen, die größtenteils zum Typus des Schriftstellerdandys gehören, sowohl der historische, wie auch der literarische Dandy genauer untersucht werden.

2.2 Beau Brummell als Urbild des Dandys

George Bryan Brummell (1778-1840) „was and still is known as the dandy par excellence. If he didn't invent dandyism, he did at least define it“[1], denn „als man Beau Brummell, den später so genannten ‚Dandy der Dandies‘, um 1815 herum einen Dandy nannte, hatte man einem neuen Stil- und Lebensgefühl einen neuen Namen gegeben.“ (Schickedanz 2000, 10) Er ist nämlich der erste seiner Art, der die vielfältigen und ungewöhnlichen Attribute eines klassischen Dandys in sich vereint und ganz in dem schon beschrieben individualistischen Lebenskonzept aufgeht. Bei ihm findet man die typischen äußeren Anzeichen von Eleganz und Erhabenheit sowie die innere Distanz, Emotionslosigkeit und Kälte wieder.

[...]


[1] Zitat von folgender Internetseite: http://www.marquise.de/en/1800/arte/a181x_2.shtml. Zugriff am 08.04.2005.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der Dandy - Die Entwicklung eines Typus und ihre spezielle Bedeutung in Oscar Wildes "The Picture of Dorian Gray"
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Veranstaltung
Kult der Kälte
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V85859
ISBN (eBook)
9783638018685
Dateigröße
488 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dandy, Entwicklung, Typus, Bedeutung, Oscar, Wildes, Picture, Dorian, Gray, Kult, Kälte
Arbeit zitieren
Janine Gruschwitz (Autor:in), 2005, Der Dandy - Die Entwicklung eines Typus und ihre spezielle Bedeutung in Oscar Wildes "The Picture of Dorian Gray", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85859

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