Ein möglicher Türkei-Beitritt zur Europäischen Union

Implikationen für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik (GASP/ESVP)


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

19 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Annäherung der Türkei an die EU seit 1959

3. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU und die Einbindung der Türkei
3.1. Unterschiede in der strategischen Kultur
3.2. Problematik des Konzepts einer ‚türkischen Welt’

4. Sicherheitsinteressen der EU und regionaler Einfluss der Türkei
4.1. Die EU vor neuen Herausforderungen
4.2. Einfluss und Beziehungen der Türkei in der Region
4.3. Die Türkei und die sicherheitspolitischen Vorstellungen der EU
4.3.1. Brückenfunktion
4.3.2. Streitkräftepotential und Ordnungsmacht Türkei
4.3.3. Neue Außengrenzen und konfliktträchtige Nachbarn im Südosten
4.3.4. Energiesicherheit: Die Türkei als ‚Energy-Hub’
4.3.5. ESVP(-Kooperation) und NATO(-Mitgliedschaft)

5. „Was wäre wenn…“
5.1. Alternative Szenarien anstelle eines EU-Beitritts
5.2. Abgestufte Integration statt Vollmitgliedschaft

6. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Seit dem 3. Oktober 2005 verhandelt die Europäische Union mit der Türkei über einen Beitritt. Der Zeitrahmen für die Verhandlungen umfasst zehn bis fünfzehn Jahre und das Ziel der Verhandlungen ist die Vollmitgliedschaft (EU-Kommission 2005). Bei der Debatte vor dem Beginn der Beitrittsverhandlungen und auch in den Beitrittsverhandlungen spielten und werden außen- und sicherheitspolitische Argumente eine sehr wichtige Rolle spielen. Auf der einen Seite wird vor einem Beitritt gewarnt, da dann die EU-Außengrenze direkt an eine der krisenhaltigsten Regionen der Welt (Kramer 2004: 44), dem ‚Greater Middle East’ grenzen würde, deren Konfliktbearbeitung die Union überfordere. Institutionell würde die EU durch den Türkei-Beitritt noch handlungsunfähiger als sie es jetzt schon ist, da durch die gesteigerte Heterogenität der Union gemeinsame Interessensfindung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik unmöglich würden. Auf der anderen Seite wird auf die Vorteile eines möglichen Türkei-Beitritts verwiesen: Die EU würde die kritische Grenze zu einem ‚Globalen Akteur’ überschreiten, durch ein Mitglied Türkei könnte die EU eine bedeutendere Rolle in der geostrategisch und engergiereichen Region spielen und außerdem generell ihr Verhältnis zur islamischen Welt verbessern. Dabei werden außen- und sicherheitspolitische bzw. geopolitische Argumente sowohl von den Kritikern als auch von den Befürworten als entscheidend für die Bewertung eines möglichen Türkei-Beitritts eingeschätzt (Reiter 2005; Vorbruba 2005).

In der folgenden Arbeit sollen die verschiedenen Aspekte dieser Argumente analysiert werden. Dabei werde ich die außen- und sicherheitspolitischen Argumente unter Berücksichtigung der „Geopolitik“ (Vorbruba 2005: 813) abwägen und mögliche Szenarien bei einem Nicht-Beitritt vorstellen. Am Ende wird noch ein Ausblick auf eine zukünftige Integrationsform der EU gegeben, die im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zum ersten Mal zum Tragen kommen könnte.

Vorab bleibt anzumerken, dass sich im Hinblick auf den projektierten Verhandlungszeitraum von zehn bis fünfzehn Jahren, alle hier dargestellten Prognosen spekulativ sind, da es wahrscheinlich ist, dass sich sowohl die EU, die Türkei als auch die Situation der Nachbarstaaten der Türkei sich verändern wird. Es können aber Tendenzen und mögliche Ausgänge skizziert werden und die aktuelle Situation dargestellt werden (Kramer 2004: 47).

2. Die Annäherung der Türkei an die EU seit 1959

Zum ersten Mal stellte die Türkei 1959 einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft, dem jedoch nicht stattgegeben wurde. 1963 wurde dann ein Assoziierungsabkommen zwischen der Türkei und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geschlossen, womit die EWG der Türkei auch eine spätere Mitgliedschaft in Aussicht stellte. Jedoch konnte die Türkei die europäischen Standards, besonders in Bezug auf die Entwicklung der Demokratie, Minderheiten- und Menschenrechte, nicht erfüllen und so wurden ihre Beitrittsgesuche abgelehnt. Die Kooperation wurde 1995 auf ökonomischen Sektor durch die Bildung einer Zollunion weiterentwickelt. Und erst 1999 kam es auf dem Europäischen Rat in Helsinki zu dem Beschluss der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der EU der Türkei den Kandidatenstatus zuzuerkennen (Winkler 2003: 62). Die Zuerkennung des Beitrittskandidatenstatus war, im Hinblick auf die großen Veränderungen in Europa nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ und als Reaktion auf die Kosovo-Krise, politisch-strategisch motiviert (Lippert 2005: 125). Auf dem Kopenhagener Gipfel im Dezember 2002 wurde die Aufnahme von zehn mittel- und osteuropäischen Staaten beschlossen und zugleich festgelegt dass bis Ende 2004 untersucht wird, ob die Türkei die Voraussetzungen für Beitrittsverhandlungen erfüllt. Nach dem positiven Ausgang der Prüfung wurde der Türkei (unter Bedingungen) die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen im Oktober 2005 zugesichert.

Seit dem 3. Oktober 2005 wird nun über den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union verhandelt. Ziel der Verhandlungen ist die Vollmitgliedschaft. Ende 2006 soll die Phase des ‚Monitoring’ abgeschlossen werden und das erste der 26 Kapitel zur Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen eröffnet werden (ZEI Turkey Monitor 2006). Im Prozess der Beitrittsverhandlungen werden die Bedingungen des Beitritts festgelegt und auch die Anpassung der türkischen Politik an die der EU wird sich als unabdingbar erweisen. In der Türkei werden die Beitrittsverhandlungen als Druckmittel der EU und zugleich als Motor für die Fortsetzung des 2003 von Ministerpräsident Erdoğan begonnen Reformprozesses angesehen. Hätte die Türkei keine feste EU-Beitrittsperspektive, so wäre es gut möglich, dass bevorstehende innenpolitische Reformen verschoben oder erst gar nicht in Angriff genommen würden (Spengler; Tröndle 2004: 2).

3. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU und die Einbindung der Türkei

Bereits vor einem möglichen Beitritt ist die Türkei in der GASP nicht völlig außen vor. Als Beitrittskandidat steht es ihr offen, sich den außenpolitischen Stellungnahmen der EU anzuschließen. Eine Untersuchung der bisherigen Positionen der Türkei zu denen der EU kann Hinweise auf die Möglichkeit der Einbindung in die GASP/ESVP geben. In der Zeit 2000-2003 hat sich die Türkei dem überwiegenden Teil der Erklärungen im Rahmen der GASP anschließen können und somit hätte eine Mitgliedschaft bereits seit dem Jahr 2000 keine großen Probleme für die Außenpolitik der EU bedeutet. Es konnte also eine erhebliche Konvergenz zwischen den Standpunkten der EU und der Türkei zu GASP-Fragen festgestellt werden (Handbuch Osteuropa 2004). Wobei erwähnt werden muss, dass der Umfang der Zustimmung zu den Stellungnahmen nicht sehr aussagekräftig ist, da die EU den Beitrittskandidaten nur äußerst kurze Fristen zur Abgabe von Erklärungen einräumt. Daraus können sich also einfach praktische Probleme ergeben. Außerdem ist es etwas anderes, wenn ein Beitrittskandidat wie die Türkei im Prozess miteingebunden wird oder eben nur als Außenstehender eine Erklärung abgeben soll (Kramer 2004: 46).

Aussagekräftiger ist daher das Interesse der Türkei an Gemeinsamen Standpunkten der EU im Rahmen der GASP, da sich die Beitrittskandidaten in diesem Zusammenhang bereit erklären, den Standpunkt der Union in ihrer nationalen Politik zu berücksichtigen. Dadurch ist die Beteiligung an den Standpunkten politisch weitaus verbindlicher. Im Zeitraum von 2000-2003 übernahm die Türkei zwischen 50-70% der Gemeinsamen Standpunkte. Besonders wenn es um die EU-Außenpolitik in Ex-Jugoslawien, den internationalen Gerichtshof und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ging, behielt sich die Türkei einen eigenen Standpunkt vor (Kramer 2004: 47).

Klare Handlungsmuster, außer natürlich bei Fragen zu Zypern und dem Internationalen Gerichtshof, lassen sich deshalb nicht ausmachen. So änderte die Türkei nach 2002 ihre Position in Bezug auf die Todesstrafe in Folge von innenpolitischen Reformen. Außerdem bewahrt sich die Türkei einen eigenen Standpunkt, wenn es um die Nachbarstaaten in Kleinasien geht und in Bezug auf Pakistan (Kramer 2004: 47).

3.1. Unterschiede in der strategischen Kultur

Schon in der Entstehungsgeschichte der modernen Türkei liegt ein bis heute geltendes Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung von Außen und Innen begründet. Daher wurde besonderer Wert auf die Sicherheit der (einheitlichen) Nation (s. Kurdenfrage) und des Staates gelegt. Diese nationalstaatliche Sichtweise wird oft als nicht kompatibel zur multilateral ausgerichteten GASP der EU gesehen. Tatsächlich verfolgt die Türkei vehement ihre Sicherheitsinteressen in der Region, um sich machtpolitisch zu behaupten. Dabei versucht sie zum einen Gefahren von Außen abzuwehren und zum anderen Einfluss auf die Politik der Nachbarstaaten zu nehmen, was zu Spannungen führen kann (Kramer 2004: 47).

Jedoch ist die Haltung der Türkei umso verständlicher, wenn man die Konfliktträchtigkeit des Schwarzmeerraumes und des Nahen und Mittleren Ostens betrachtet, mit der sich die EU-Staaten nicht direkt konfrontiert sahen. Erst seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf das World-Trade-Center in New York und des Irakkrieges 2003 hat die EU angefangen, ihre Kooperation in Sicherheitsfragen soweit auszubauen, dass sie in Zukunft in der Lage ist, strategisch ihre Interessen zu verfolgen und dies wenn nötig auch mit militärischen Mitteln. Je stärker sich dieser Ansatz in der europäischen Sicherheitspolitik durchsetzt, desto verständlicher dürfte die türkische Sicherheitskultur für die EU werden (Kramer 2004: 48).

Sehr bedeutend ist in diesem Zusammenhang auch wie schnell und wie tiefgehend die Türkei die Angleichung ihrer Außenpolitik an die GASP betreibt. Denn nach wie vor betreiben die Mitgliedsstaaten der EU ihre eigenen nationalen Interessen und versuchen, wie die Türkei, Einfluss auf andere Staaten zu üben. Jedoch ist anzunehmen, dass die Staaten der EU zukünftig stärker die GASP in ihrer Außenpolitik berücksichtigen werden, denn es wird für den einzelnen Staat immer schwieriger seine eigenen Interessen, aufgrund eines zu geringen weltpolitischen Gewichts, ohne die EU durchzusetzen. Wobei darauf hingewiesen werden muss, dass nicht alle Staaten die GASP in Zukunft verstärkt berücksichtigen werden. Die Grenzen der Vergemeinschaftung der Außen- und Sicherheitspolitik wurden 2003 in Bezug auf den Irakkrieg und die unterschiedlichen Positionen wieder deutlich. Bezogen auf die sicherheitspolitische Kultur der Türkei bedeutet dies wiederum, dass diese nachvollziehbarer wird. Des Weiteren ist nach der Osterweiterung davon auszugehen, dass es in der EU-25 bezogen auf die GASP bis auf weiteres unterschiedlich Integrationsniveaus geben wird (Kramer 2004: 48). Daher bestehen die Schwierigkeiten der Handlungsfähigkeit in der GASP, die Kritiker bezüglich eines Türkei-Beitritts immer wieder erwähnen, schon jetzt und würden dann kaum vergrößert.

3.2. Problematik des Konzepts einer ‚türkischen Welt’

Problematischer dürfte dagegen sein, dass die Türkei in ihrer Außenpolitik ethnische Interessenslagen besonders berücksichtigt. Sobald in einem Staat die türkisch-stämmige Minderheit bedroht wird oder die Türkei sie als bedroht wahrnimmt, richtet die Türkei ihre Außenpolitik aus einer ethnonationalen Motivation heraus darauf ab. Obwohl es sich um keine türkischen Staatsbürger handelt, sieht sich die Türkei zum Handeln veranlasst und greift verdeckt oder sogar offen in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten ein. So geschehen im Balkan, der Schwarzmeerregion, in Teilen der Russischen Föderation, im Kaukasus und im Fall der Turkmenen im Irak (Kramer 2004: 48).

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Ein möglicher Türkei-Beitritt zur Europäischen Union
Untertitel
Implikationen für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik (GASP/ESVP)
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Die Neuordnung Europas durch die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union
Note
1,7
Jahr
2006
Seiten
19
Katalognummer
V85839
ISBN (eBook)
9783638007078
ISBN (Buch)
9783638913508
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Türkei-Beitritt, Europäischen, Union, Neuordnung, Europas, Erweiterungs-, Nachbarschaftspolitik
Arbeit zitieren
Anonym, 2006, Ein möglicher Türkei-Beitritt zur Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85839

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