Semiotische Begründbarkeit kartographischer Signaturen

Prolegomena zum Stellenwert räumlicher Dreidimensionalität in der Kartographie am Beispiel der Signatur auf Grundlage der Semiotik von Charles S. Peirce


Diplomarbeit, 2006

117 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Kurzfassung/Abstract

1 Einführung
1.1 Ausgangssituation
1.2 Problemfelder und Defizite
1.3 Allgemeine Zielsetzung
1.4 Konkrete Zielformulierung
1.4.1 Erstes Hauptziel
1.4.2 Zweites Hauptziel
1.4.3 Relevanz der formulierten Ziele
1.5 Positionierung der Arbeit im Forschungsfeld der Kartographie
1.6 Aufbau und Gliederung

2 Semiotik
2.1 Einführung
2.1.1 Forschungsfeld und Grundbegriffe
2.2 Dyadische Zeichenmodelle
2.3 Triadische Zeichenmodelle
2.4 Dyadische vs. triadische Zeichenmodelle: Vergleich und Auswahl
2.5 Exkurs zur Philosophie von Charles S. Peirce

3 Das semiotische Modell von Charles S. Peirce

3.1 Erste Zeichentrichotomie
3.1.1 Qualizeichen
3.1.2 Sinzeichen
3.1.3 Legizeichen
3.2 Zweite Zeichentrichotomie
3.2.1 Ikon
3.2.2 Index
3.2.3 Symbol
3.3 Dritte Zeichentrichotomie
3.3.1 Rhema (Rheme)
3.3.2 Dicent (Dikent-Zeichen, Dicizeichen)
3.3.3 Argument
3.4 Ikon vs. Index vs. Symbol

4 Kategorisierung
4.1 Diskrete klassische Kategorien
4.2 Kategorienbildung auf Grundlage von Prototypen
4.3 Prototyp und Semiotik

5 Auswahl von Testsignaturen aus einer kartographischen Zeichentypologie
5.1 Grundelemente kartographischer Gestaltung
5.1.1 Grundelemente im 2D-Darstellungsraum
5.1.2 Grundelemente im 3D-Darstellungsraum
5.2 Typologie kartographischer (2D-) Repräsentamen
5.3 Typologie kartographischer Signaturen
5.4 Konkrete Signaturenauswahl zur exemplarischen semiotisch-prototypischen Analyse

6 Empirische Erfassung prototypischer Attribute
6.1 Festlegung des Erhebungsverfahrens
6.2 Auswertung der schriftlichen Antworten
6.2.1 Die Objektkategorien Baum vs. Gebüsch im Rahmen der schriftlichen Beantwortung
6.2.2 Die Objektkategorien Bildstock vs. Marterl im Rahmen der schriftlichen Beantwortung
6.3 Auswertung der graphischen Antworten
6.3.1 Die Objektkategorien Baum vs. Gebüsch im Rahmen der graphischen Beantwortung
6.3.2 Die Objektkategorien Bildstock vs. Marterl im Rahmen der graphischen Beantwortung
6.4 Allgemeine Gestaltungsprinzipien
6.4.1 Allgemeine Gestaltungsprinzipien der Objektkategorien: Baum vs. Gebüsch
6.4.2 Allgemeine Gestaltungsprinzipien der Objektkategorie: Bildstock/Marterl

7 Semiotische Analyse und Bewertung der Testsignaturen
7.1 Vergleichskriterien
7.2 Analyseszenario
7.3Analyse der Testsignaturen
7.3.1 Baum vs. Gebüsch
7.3.2 Bildstock/Marterl vs. Kreuz
7.4 Allgemeine semiotische Anmerkungen zu den Signaturen der ÖK50
7.5 Überlegungen zur Neugestaltung kartographischer Signaturen
7.6 Kommentar zum Gebrauch der kritisierten Signaturen in der ÖK50 (UTM)

8 Semiotisch begründete Neugestaltung von 3D-Signaturen
8.1 Anmerkungen zur verwendeten Software
8.2 3D-Signaturen für die Objektkategorie Baum
8.2.1 Entwurf zur Objektkategorie Baum (statisch)
8.2.2 Entwurf zur Objektkategorie Baum (animiert)
8.3 3D-Signaturen für die Objektkategorie Gebüsch
8.4 3D-Signaturen für die Objektkategorie Bildstock/Marterl

9 Zusammenfassung und Ausblick
9.1 Resümee zur konkreten Zielformulierung
9.2 Konsequenzen
9.2.1 Implikationen des Referenzobjektes
9.2.2 Implikationen des Interpretanten
9.3.2 Implikationen des Repräsentamens
9.3 Potential der Semiotik für die Kartographie & semiotisches Potential der Kartographie

10 Literatur

Appendizes

Appendix A: Graphische Beantwortungen A.1-1 - A.4-4

Appendix B: Bedeutungsproblematik der Objektkategorien Bildstock und Kreuz in der ÖK50 - UTM B.1

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Wissenschaftliche Grundlagen der Kartographie. Quelle: [HAK-2002]

Abb. 2: Dyadisches Zeichen nach Saussure: Zeichenträger (arbor) und Bedeutung (Baum) Quelle: [SAU-2001]

Abb. 3: Triadisches Zeichenmodell in heutiger Terminologie. Quelle: [NOE-2000]

Abb. 4: Beispiel eines Referenzobjektes kartographischer Zeichenträger

Abb. 5: Triadisches Zeichenmodell nach Peirce - in kartographischer Besetzung exemplifiziert

Abb. 6: Modell einer genuinen Zeichentriade nach Peirce. Quellen: [PEI-1998c], bearbeitet nach [NOE-2000]

Abb. 7: Die drei semiotischen Teildisziplinen mit den entsprechenden Dimensionen der Semiose nach Morris. Quelle: [MOR-1972]

Abb. 8: Auszug aus der PEiRCE'schen Gliederung der Wissenschaften. Quelle: [PAP-2004]

Abb. 9: Die drei Zeichentrichotomien nach Peirce. Quelle: [PAP-2004]

Abb. 10: Versuchsbeispiel zur Bestimmung von Kategorien durch Labov. Quelle: [AIT-2003]

Abb. 11: Beispiel der zwei Achsen prototypischer Kategorisierung nach Rosch. Quelle: [TAY-2003]

Abb. 12: Typologie von Kartenzeichen nach Koch. Quelle: [KOC -1998]

Abb. 13: Beispiele für Formen und Anordnungen von Signaturen. Quelle: [HAK-2002]

Abb. 14: Referenzgebiet zur Auswahl von Testsignaturen und -probandInnen. Quelle: ÖK50 - Blatt 22 (Hollabrunn) & Blatt 9 (Retz); Eigenmontage

Abb. 15: Testsignaturen aus der ÖK50 mit den bezeichneten Objektkategorien. Quelle: ÖK50 - Blatt 22 (Hollabrunn) & Blatt 9 (Retz); Eigenmontage

Abb. 16: Prototypische Merkmalshierarchie der Objektkategorie Baum

Abb. 17: Prototypische Merkmalshierarchie der Objektkategorie Gebüsch

Abb. 18: Prototypische Merkmalshierarchie der Objektkategorie Bildstock/Marterl - (hypothetisch)

Abb. 19: Die Variablen des graphischen Bildes nach Bertin. Quelle: [BER-1982]

Abb. 20: Kartographische Darstellungsmöglichkeiten unter den Bedingungen von Raum, Zeit und Wahrnehmungsform(en)

Abb. 21: Beispielsignatur - Nadelbaum (1): Umsetzung aller prototypischen Attribute

Abb. 22a: Beispielsignatur - Nadelbaum (2): Erste Generalisierungsstufe

Abb. 22b: Beispielsignatur - Nadelbaum (3): Zweite Generalisierungsstufe

Abb. 23: Beispielsignatur - Laubbaum (1): Umsetzung aller prototypischen Attribute. Vier Schlüssel­bilder einer Animation: Winter (1a), Frühling (1b), Sommer (1c), Herbst (1d)

Abb. 24: Beispielsignatur - Laubbaum (2): Generalisierungsstufe - Zwei Schlüsselbilder einer Animation: Winter (2a), Sommer (2b)

Abb. 25: Beispielsignatur - Gebüsch (1): Umsetzung aller prototypischen Attribute. Vier Schlüssel­bilder einer Animation: Winter (1a), Frühling (1b), Sommer (1c), Herbst (1d)

Abb. 26: Beispielsignatur - Gebüsch (2): Generalisierungsstufe - Zwei Schlüsselbilder einer Animation: Winter (2a), Sommer (2b)

Abb. 27: Beispielsignatur - Bildstock/Marterl (1): Umsetzung aller prototypischen Attribute

Abb. 28a: Beispielsignatur - Bildstock/Marterl (2): Erste Generalisierungsstufe

Abb. 28b: Beispielsignatur - Bildstock/Marterl (3): Zweite Generalisierungsstufe

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Befragungsergebnisse zu den Objektkategorien Baum und Gebüsch

Tab. 2: Befragungsergebnisse zu den Objektkategorien Bildstock und Marterl

Kurzfassung

Während kartographische Lehrbücher immer noch auf das Modell der Karte fokussiert sind, entwickelt sich auf der Basis digitaler Rechentechniken eine Vielzahl alternativer Darstellungsformen der Realität im zwei- und dreidimensionalen Raum. Bekennt sich die Kartographiejedoch zu ihrem selbst gesteckten Ziel, (räumlich dreidimensionale) Wirklichkeit möglichst zutreffend zu vermitteln, kann sie sich mit der (räumlich zweidimensionalen) Karte nicht a priori zufrieden geben. Stattdessen erheben sich Fragen, wie diese neuen Möglichkeiten verwendet werden können und sollen, was zugleich - dem wissenschaftlichem Anspruch der Kartographie folgend - das Interesse impliziert, ob und in welchen Aspekten diese jungen Visualisierungstechnologien der Karte überlegen sind. Dieses Interesse an optimalen oder gar idealen kartographischen Darstellungsformen setzt einen umfassenden theoretischen Hintergrund voraus, vor dem es möglich ist, theoretisch gleichwertig abgesicherte Modelle miteinander zu vergleichen. Diese Vergleichsbasis fehlt der Kartographiejedoch gegenwärtig, da sich ihr Theoriengebäude und Regelsystem sowie das darin verwendete Fachvokabular - entsprechend ihrer Fachliteratur - auf die Karte konzentrieren und somit immer weiter hinter den Potentialen kartographischer Praxis (z.B. Virtual-Reality-Modelle, Digitale Globen) zurückbleiben.

Die skizzierte Problematik ist der Ausgangspunkt vorliegender Arbeit, in welcher versucht wird, ausgehend von den prinzipiellen Zielen der Kartographie eine theoretische Basis und eine darauf begründete Methode einzuführen, die einerseits im Stande sind, die gegenwärtige Fülle an Visualisierungsmöglichkeiten in sich aufzunehmen, andererseits aber offen genug sein sollen, um auch alle zukünftig möglichen Modelle der Wirklichkeit implizieren zu können, ohne sich dabei auf die visuelle Form der Wahrnehmung beschränken zu müssen.

Vorzustellende Theorie geht von jenen beiden Korrelaten aus, die innerhalb des karto­graphischen Kommunikationsprozesses von allen technologischen Bedingungen (relativ) unabhängig sind: einerseits die Wirklichkeit, die modelliert werden soll, andererseits die Nutzerinnen, denen man diese Wirklichkeit vermitteln möchte. Dieser Vermittlungsprozess wird zunächst anhand des semiotischen Modells von Charles Sanders Peirce strukturiert und analysiert werden, um die Funktion einer kartographischen Darstellung aus dem Blickwinkel dieser Semiotik deutlich zu machen.

In einem weiteren Schritt wird hernach die Prototypentheorie in das skizzierte semiotische Modell integriert werden, um dadurch die Ausrichtung der Kartographie an ihren Nutzerinnen festmachen, aber zugleich auch die Anforderungen kartographischer Praxis formalisieren und somit präziser fassen zu können. Durch die Einführung der Prototypentheorie ist eine Methode, Wirklichkeit auf einer für die Nutzerinnen relevanten Kategorisierungsstufe zu vermitteln, bereits vorbereitet. Wie diese semiotisch begründete Methode konkret angewendet werden kann, soll am Beispiel ausgewählter Signaturen ausgeführt werden. Dabei wird auch deutlich werden, wie die vorgestellte Methode nicht nur für den Entwurf neuer Signaturen, sondern auch zur Bewertung bestehender kartographischer Zeichen eingesetzt werden kann.

Abstract

As cartographic textbooks are still focusing on maps, a multiplicity of alternative forms of visualizing reality in digital 2D- or 3D-space are being developed. If cartography is avowing itself on its own aim, i.e. on communicating (spatial three-dimensional) reality to the user as appropriate as possible, it can not be content to do this best by (spatial two-dimensional) maps a priori. Instead of that questions arise, how these new alternatives can be used and should be used. This implicates - according to the scientific claims of cartography - an interest in whether and how these recent technologies of visualization may outclass maps as well. Being interested in optimal or even ideal forms of cartographic representation requires a broad theoretic background, that allows to compare different models of reality on a theoretical equivalent basis. However cartography is missing such a basis of comparison at the moment, as its theories, rules and vocabulary are concentrating on the map. Thereby cartographic theories are falling behind possible cartographic practice (e.g.: virtual reality models, digital globes) more and more.

The problem that has been outlined above is the starting point of this diploma thesis. Its aim is therefore - emanating from the principal intentions of cartography - to introduce a fundamental theory with a subsequent method derived from it, that enhances the capability to comprise the fullness of current forms of visualization. Furthermore it should be possible to incorporate all the future representations of reality as well, that may address visual or other modes of perception.

This theory draws on the two correlatives of the cartographic communication process, that are (relatively) independent of all technological constraints. These two anchor points are on the one hand reality, which should be represented, on the other hand the user to whom this realty should be communicated. This intermediation process will be structured and analyzed by means of the semiotic model of Charles Sanders Peirce to clarify the function of a cartographic representation from a semiotic perspective.

In a next step the prototype theory will be integrated to the above mentioned semiotic model to fix the orientation of cartography on the user and to formalize and specify the requirements of cartographic practice as well. By having introduced the prototype theory a method is already prepared, that allows to communicate reality to the users on a level of categorization that is relevant for them. How this semiotic founded method can be applied concretely shall be exemplified by means of a subset of cartographic signs. In doing so it will become explicit that the presented method can not just be used to design new signs but also to evaluate existing cartographic signs.

Nemo autem vereri debet

ne characterum contemplatio nos a rebus abducat,

imo contra ad intima rerum ducet.

Gottfried Wilhelm Leibniz1

1. Einführung

1.1 Ausgangssituation

Ich beginne diese Arbeit zum Abschluss meines Studiums mit einer Frage, die mir seit dessen Beginn regelmäßig gestellt wurde und wird. “Was ist Kartographie und was sind die Aufgaben all derer, die sich diesem Studium und dieser Wissenschaft widmen?“ Hierauf ließe sich nun mit einer Reihe von Zitaten antworten, mit welchen seit rund 100 Jahren an einer Positionierung und somit auch Abgrenzung der Kartographie als selbstständiger wissenschaftlicher Disziplin gearbeitet wird und dies ebenso erfolgreich wie unvollendet. Eine chronologisch geordnete Auswahl mag dies verdeutlichen:

- „Kartographie ist die Lehre von der Logik, Methodik und Technik der Konstruktion, Herstellung und Ausdeutung von Karten und anderen kartographischen Ausdrucksformen, die geeignet sind, eine räumlich richtige Darstellung von der Wirklichkeit zu erwecken.“ [ARN-1966]

- In Bezug auf den anglo-amerikanischen und - in entsprechender Übersetzung - auch auf den hispano-amerikanischen Raum grenzen Robinson et al. den Aufgabenbereich der Kartographie im Jahr 1995 ab wie folgt [ROB-1995]:

„ 1. Collecting and selecting the data for mapping
2. Manipulating and generalizing the data, designing and constructing the map
3. Reading or viewing the map
4. Responding to or interpreting the information “

- Das deutschsprachige Lehrbuch zur Kartographie von Hake et al. führt seinen gleich lautenden Titel mit folgenden Worten ein:

„Die Kartographie ist ein Fachgebiet, das sich befasst mit dem Sammeln, Verarbeiten, Speichern und Auswerten raumbezogener Information sowie in besonderer Weise mit deren Veranschaulichung durch kartographische Darstellungen.“ [HAK-2002] ohne diese Definitionen im Einzelnen diskutieren zu wollen, sei auf eine Konstante hingewiesen, die für die Kartographie konstituierend zu sein scheint: die modellhafte Darstellung raumbezogener Information. obwohl diese Darstellungen immer schon Kommunikationsfunktionen trugen, wurden sie in der Kartographie erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts explizit als Kommunikationsmittel verstanden, in der Folge mit kommunikations-wissenschaftlichen Erkenntnissen angereichert [FRE-2001] und so an den KartennutzerInnen orientiert. Hake et al. sehen hierin gar die „ ... zentrale, mehr ideelle Aufgabe ... kartographische Darstellungen zu schaffen, aus denen jeder Benutzer eine richtige Wahrnehmung und danach auch eine möglichst zutreffende Vorstellung und Erkenntnis der ... Wirklichkeit gewinnt.“

Weiters fällt an genannten Beschreibungen auf, dass die größte Aufmerksamkeit der Kartographie Darstellungen in Form der Karte gilt, welche sich als „grundrissbezogene graphische Repräsentation georäumlichen Wissens auf der Basis kartographischer Abbildungsbedingungen“ [BOL-2002], beschreiben lassen, wobei diese Abbildungs­bedingungen die Verebnung einer sphärischen Oberfläche beinhalten.

Zwar wird vor allem in jüngeren Publikationen allgemein von kartographischen Ausdrucksformen gesprochen, doch findet dieser Plural in der Literatur nur wenig Niederschlag: Bezeichnend ist folgende Definition für kartenverwandte Darstellungen “als solche ... kartographischen Darstellungen die es neben der Karte noch gibt.“ [HAK-2002], womit diese kartenverwandten Darstellungen also zunächst negativ als Nicht-Karten bestimmt werden.

1.2 Problemfelder und Defizite

Die Kartographie setzt sich also gemäß Abschnitt 1.1 einerseits das Ziel, angemessene Vorstellungen der räumlich dreidimensionalen (3D) Wirklichkeit durch modellhafte Übersetzung raumbezogener, also raumwesentlicher Informationen mitzuteilen, und bekennt sich andererseits zur zweidimensionalen (2D) Karte als bedeutendster kartographischer Kommunikationsform, diesen Anspruch umzusetzen.

Augenscheinlich und auch per definitionem fehlt der Karte also eine Raumdimension im Vergleich zur darzustellenden Wirklichkeit, woran sich die Frage knüpfen lässt, ob nun die Karte als zentrales kartographisches Produkt das beste aller (praktisch) kommunizierbaren Modelle oder gar das beste aller (technisch) möglichen Modelle ist. Diese Frage ließe sich noch weiter führen, wenn man versuchte, die Karte als ideales Modell zu bewerten - also ungeachtet aller gegenwärtigen technischen Einschränkungen, die sich ja oftmals schon als vorübergehend erwiesen haben.

Auf erstere Teilfrage nach der praktischen Kommunizierbarkeit wurde bis heute v.a. im Rahmen analoger Publikationsformen nach Antworten gesucht. Insofern ist die Hauptrolle, welche die Karte in der Kartographie zu spielen vermag, verständlich. Im Vergleich zu anderen analogen kartographischen 2D- (z.B. Blockbild, Panorama, Profil) aber auch 3D- Darstellungen (Relief, Globus) erweisen sich Karten sowohl seitens der (Re-) Produktion als auch hinsichtlich der Verwendbarkeit, woran die Kartographie ja gemäß oben genannter Definitionen ihre Bedeutung und ihren Erfolg misst, als relativ überlegen. Als absolut kann dieser Vorrang der Karte jedoch keineswegs angesehen werden, denn der Maxime einer möglichst zutreffenden Darstellung werden bereits analoge 3D-Geländemodelle wie Reliefs gerechter und sind daher ebenen Darstellungen prinzipiell überlegen [IMH-1972]. In der Praxis ist der Preis dieser dritten Dimension, zum Beispiel in Geld oder Gewicht ausgedrückt, meist zu hoch, es bleibt die Karte als analoges Optimum.

Stellt man jedoch die Frage nach demjenigen Modell, das aus allen (technisch) möglichen am geeignetsten ist, Wirklichkeit darzustellen, so kann man sich mit der Karte - analog oder digital visualisiert - und dem Verzicht auf die dritte Dimension nicht a priori zufrieden geben. Zwar konnte sich das 3D-Geländemodell im Rahmen der Analogmodellierung nicht durchsetzen, doch ist diese nicht mehr das Maß des Möglichen, welches nunmehr von digitalen Rechentechniken vorgegeben wird. Dass diese neue und unterschiedliche Umsetzungen von 3D-Darstellungen erlauben, wurde und wird bereits vielfach unter Beweis gestellt; besieht man sich aktuelle Ausgaben kartographischer Fachzeitschriften, so trifft man auf Begriffe wie „virtuell“ oder „3D“ in verschiedenen Kontexten.

Um den Begriff der Dreidimensionalität daher zur leichteren Handhabung einzuschränken, sei folgende Definition, wiederum aus dem Lexikon der Kartographie und Geomatik, zitiert, wonach sich 3D-Kartographie beschreiben lässt als „... jenes Gebiet der Kartographie, welches die klassischen dreidimensionalen körperlichen kartenverwandten Darstellungen, die pseudo­3D und die echt-dreidimensionalen kartographischen Darstellungen umfasst.“ [BOL-2002]. Dieses weite Begriffsverständnis scheint als Diskussionsgrundlage geeignet, sofern es sich nicht auf analoge Modelle beschränkt, sondern auch auf digitale Darstellungen anwendbar ist.

Da also digitale 3D-Darstellungen der Wirklichkeit bereits technisch möglich sind, ist die Frage, ob nun 2D-Karte oder 3D-Visualisierung die Wirklichkeit kartographisch besser modellieren kann, auf digitale 3D-Modelle auszudehnen. Ergibt ein solcher Vergleich Bedingungen, die eine 3D-Darstellung favorisieren, bleibt die Frage, ob diese Vorteile in die Praxis der Nutzerinnen übertragbar sind. Dies wäre schließlich durch empirische Untersuchungen zu beantworten. Erste Versuche in diese Richtung wurden bereits unternommen [DIC-2004].

Angesprochener Vergleich zwischen 2D-Karte oder 3D-Visualisierung ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn digitale 3D-Darstellungen nach Regeln erstellt wurden, die das Theorien­gebäude der Kartographie zur Verfügung stellt oder stellen soll, denn auf solche Regeln kann sich die Karte bereits stützen; andernfalls hätte dieser Vergleich nicht die nötige gemeinsame Basis. Gegenwärtig bietet jedoch die kartographische Theorie für digitale 3D-Modellierung kein Regelsystem, das jenem der Karte entspricht und welches der kartographischen Praxis von unmittelbarem Nutzen wäre.

Stattdessen lassen sich mit Häberling folgende drei Problembereiche kartographischer 3D- Visualisierung unterscheiden [HAE-2004]:

- fehlende Erkenntnisse über die graphische Gestaltung, deren Variation und Einsatzpotenziale sowie mangelnde Systematisierung vielfältiger Gestaltungs­möglichkeiten
- fehlende Einbeziehung von Nutzerinnen und zielgruppenspezifischen Bedürfnissen und Interessen
- fehlende theoretische Gestaltungsgrundsätze für 3D-Darstellungen Die Theorie hinkt der Praxis und ihren technischen Möglichkeiten also hinterher, und dies nicht zum ersten Mal, hat doch „sich die Theorie der Kartographie bisher als Methodenlehre aus der praktischen kartographischen Arbeit entwickelt.“ [FRE-1979]. Dem stehen die Erwartungen der kartographischen Praxis nach konkreten Anwendungsregeln seitens der Theorie diametral entgegen.

Es gilt daher, nach Regeln und Anhaltspunkten für die digitale 3D-Modellierung zu suchen, um - zu Karten - argumentativ gleichwertige 3D-Modelle ableiten zu können. Diese wohlbegründeten 3D-Modelle könnten in einem späteren Schritt in Relation zu Karten gesetzt und an den Ansprüchen der Kartographie gemessen werden. Dieser Vergleich, in obiger Formulierung etwas plakativ auf eine „entweder - oder“ - Relation verkürzt, würde vermutlich eher eine „sowohl - als auch“ - Beziehung befürworten, wenn man die Vielfalt kartographischer Kommunikationsinhalte und -absichten bedenkt.

Immerhin ergäbe sich so die Möglichkeit, neue, d.h. auch zukünftige, kartographische Ausdrucksformen in ein bestehendes Theoriengebäude zu integrieren bzw. dieses Regelwerk folgerichtig auszubauen. Den Stellenwert der Kartographie als Wissenschaft würde dies sicher festigen und das hohe Ziel der Kartographie, Realität möglichst richtig darzustellen, könnte somit auf sichereren Wegen angestrebt werden. Ob diese Wege über 2D- oder 3D- Darstellungen führen bzw. welchen Anforderungen welche räumliche Dimensionalität gerechter wird, wäre dann keine Spekulation mehr.

1.3 Allgemeine Zielsetzung

Ehe solche Beurteilungen und Vergleiche zwischen 2D- und 3D-Modellen jedoch möglich werden, sind Vorüberlegungen nötig, um oben angeführte Problemfelder aufzuarbeiten. Auf der Stufe dieser Vorüberlegungen ist das allgemeine Ziel dieser Arbeit anzusiedeln, in der es also nicht darum geht soll, zu klären, ob und worin 2D- und 3D-Darstellungen einander überlegen sind, sondern eine gemeinsame theoretische Grundlage zu suchen, auf der diese Gegenüberstellung überhaupt erst möglich wird. Diese Basis ist idealerweise nicht auf eine oder mehrere Raumdimensionen beschränkt, sondern unabhängig von den entsprechenden Restriktionen eines konkreten kartographischen Modells und somit auch unabhängig von jedweder vergänglichen technischen Einschränkung.

Entsprechend den vielfältigen theoretischen Einflüssen auf die Kartographie, die sich zu einem komplexen Theoriensystem zusammenfassen lassen (vgl. [FRE-2001], [KOC-2004]), ist die angestrebte Grundlage nicht bei einer einzelnen Theorie zu suchen, sondern interdisziplinär abzustützen und zusammenzusetzen. Da eine solche Zusammensetzung Rückgriffe auf Einzelwissenschaften und deren Theorien beinhaltet, ergibt sich in einer entsprechenden Auswahl die Möglichkeit und zugleich Notwendigkeit einer konkreten Zielsetzung dieser Arbeit, die sowohl deren Rahmen als auch deren Rang entsprechen kann. Die oben erklärte Absicht einer gemeinsamen, das heißt interdisziplinären Begründung kartographischer Visualisierung, ist also auf den theoretischen Rahmen einer relevanten Disziplin einzuschränken.

Einen ersten Ausgangspunkt für eine solche Einschränkung bietet die eingangs zitierte Definition von Kartographie, welche die Visualisierung raumbezogener Information durch kartographische Darstellungen als besonderen Aufgabenbereich der Kartographie hervorstreicht [HAK-2002]. Dieser Aspekt der Veranschaulichung zieht sich als roter Faden eines gemeinsamen Nenners durch alle genannten Bestimmungen.

Ein aktuelles Werk, dass sich ausschließlich diesem Veranschaulichkeitsaspekt widmet, ist MacEachrens Monographie „How maps work“, mit dem programmatischen Untertitel „Representation, Visualization, and Design“ [EAC-2004].2

Das Werk ist in folgende drei Teile gegliedert:

I. How meaning is derived from maps
II. How maps are imbued with meaning
III. How maps are used: applications in geographic visualization

Diese Reihenfolge erlaubt eine Umordnung der Punkte I. und II., um also zuerst zu hinterfragen, wie eine Karte zu Bedeutung(en) kommt, und erst im folgenden Schritt abzuleiten, wie diese Bedeutung(en) durch Nutzerinnen abgeleitet werden können. Punkt III. der zitierten Gliederung schließt hier nahtlos mit der Frage an, wie diese Möglichkeiten, Bedeutung(en) den NutzerInnen zu vermitteln, praktisch nutzbar gemacht, wie also Karten verwendet werden können.

Durch die vorgeschlagene Umordnung ergibt sich also ein stufenweiser Fragenaufbau, angefangen von den grundsätzlichen Möglichkeiten, Karten mit Bedeutung(en) auszustatten, über die prinzipiell mögliche Ableitung dieser Bedeutung(en) durch die jeweiligen AnwenderInnen bis hin zur praktischen Umsetzung dieser Möglichkeiten in Form konkreter Anwendungen.

Möchte man diese adaptierte Gliederung für den 3D-Darstellungsraum nutzen, so steht also an erster Stelle nunmehr die Frage: How maps are imbued with meaning. Das entsprechende Kapitel wird nun von MacEachren folgendermaßen weiter unterteilt:

i. A primer on semiotics for understanding map representations
ii. A functional approach to map representations: the semantics and syntactics of map signs
iii. A lexical approach to map representation: map pragmatics Als zentrale Argumentationsstütze dient also die Semiotik, zu welcher Semantik, Syntaktik und Pragmatik einzelne Teilgebiete darstellen, worauf in Kapitel 2 noch näher einzugehen sein wird. Einstweilen soll Semiotik als Zeichentheorie übersetzt werden.

Auf der Suche nach einer relevanten wissenschaftlichen Fragenformulierung für 3D- Visualisierungen kann also nach Gesagtem, d.h. unter Voraussetzung der zitierten Definition von Kartographie und der schrittweise aufgebauten (adaptierten) Gliederung von MacEachren, Semiotik als eine theoretische Basis für Fragen zu kartographischen Veranschaulichungen im Allgemeinen, somit auch für 3D-Darstellungen im Besonderen herangezogen werden.

Als Lehre von den Zeichen erlaubt die Semiotik mehrere Betrachtungsweisen auf unterschiedlichen Ebenen zu jeder kartographischen Darstellung. So lässt sich etwa die Kartengraphik als die „Gesamtheit der für Karten aller Art typischen Darstellungsweisen“ [HAK-2002] definieren und als ein System von Zeichen verstehen. Dieses Zeichensystem umfasst die verschiedenen kartographischen Gestaltungsmittel, wie sie für die Karte unterschieden werden. Für eine Übertragung in die Dreidimensionalität scheint es naheliegend, aus allen kartographischen Gestaltungsmitteln zuerst ein möglichst wesentliches auszuwählen. Insofern kommen Signaturen (Kartenzeichen) in Frage, die in der karto­graphischen Visualisierung als eines der bedeutendsten Gestaltungsmittel gelten [HAK-2002].

1.4 Konkrete Zielformulierung

1.4.1 Erstes Hauptziel

Erstes Hauptziel dieser Arbeit soll daher, nach den eben vorgenommenen Präzisierungen, die semiotische Begründbarkeit kartographischer Zeichen und die Formulierung semiotischer Gestaltungsprinzipien sein. Der gewählte Terminus einer Begründbarkeit möge dabei zweierlei zum Ausdruck bringen: Einerseits soll die notwendige Offenheit einer Theorie artikuliert werden, die von technischen Möglichkeiten unabhängig und diesen daher grundsätzlich voraus ist, die sich also nicht darauf beschränkt, a posteriori eine Begründung zu erlauben, sondern zugleich a priori die prinzipielle Begründbarkeit eines jeden - jetzt oder irgendwann möglichen - kartographischen Zeichens zu bestimmen. Andererseits soll die mögliche Argumentation konkreter Zeichenentwürfe ausgedrückt werden, so dass also jeweils begründbar ist, warum einem bestimmten kartographischen Zeichen sein aktuelles Aussehen eignet, warum es daher so aussehen soll. Dieser Aspekt der Begründbarkeit schließt zugleich das wissenschaftlich wesentliche Kriterium der Überprüfbarkeit mit ein.

1.4.2 Zweites Hauptziel

Eine derart verstandene Begründbarkeit schließt konsequenterweise die Möglichkeit der Ableitung konkreter Zeichen mit ein, so dass der Theorie und ihren Gestaltungsprinzipien eine Methode folgen kann. Das zweite Hauptziel soll daher die allgemeine Beschreibung einer Methode und deren Anwendung auf die kartographische Praxis sein. Diese Anwendung enthält sowohl Möglichkeiten der Überprüfung bestehender Zeichen als auch der Anleitung zur Neugestaltung von Zeichen und kann in vorliegender Arbeit nur exemplarisch vorgeführt werden. Sie soll aber so angelegt sein, dass sie von den gewählten Beispielen prinzipiell unabhängig ist, und somit wiederum für jeden kartographischen Zeichenentwurf herangezogen werden kann.

1.4.3 Relevanz der formulierten Ziele

Die Relevanz der festgesetzten Ziele wurde durch die allgemeinen Ansprüche der Kartographie (vgl. 1.1) sowie die besonderen Problembereiche der 3D-Visualiserung (vgl. 1.2) bereits dargelegt und soll daher durch folgendes Zitat nur mehr treffend zusammengefasst werden: „Zweifellos ist die Technologie der Theorie heute deutlich voraus.“ [KOC-2004]

Unter diesen Bedingungen kann es der allgemeinen Kartographie immer nur unvollständig gelingen, ihre Praxis zielführend zu leiten, was zugleich bedeutet, dass die Möglichkeiten verfügbarer Technik den Bedürfnissen der angewandten Kartographie keinen optimalen Nutzen verschaffen können. Denn entweder werden Technologien nicht oder nur teilweise begründet eingesetzt, oder es wird umgekehrt auf Möglichkeiten verzichtet, weil man sie nicht sinnvoll einzusetzen weiß. In beiden Fällen geht kartographisches Potenzial verloren. Gelingt es im Gegenzug, eine von ihren Werkzeugen unabhängige Kartographie zu argumentieren, kommt dies nicht nur ihren allgemeinen Zielen zugute, sondern auch den Technologien selbst: Bestehende Software kann dadurch besser beurteilt und genutzt, zu entwickelnde Programme entsprechend den Vorgaben der allgemeinen Kartographie angepasst werden.

1.5 Positionierung der Arbeit im Forschungsfeld der Kartographie

Nach der Formulierung konkreter Ziele soll versucht werden, den vorliegenden Text bzw. dessen Absichten innerhalb der Kartographie und ihren vielfältigen Forschungsbereichen zu positionieren, um so die Beurteilung von Zielsetzung und Bedeutung dieser Arbeit und ihren Ergebnissen zu erleichtern. Da dieser Schritt eine bekannte und möglichst anerkannte Gliederung der Kartographie voraussetzt, sei das deutschsprachige Lehrbuch von Hake et. al. [HAK-2002] als Referenz herangezogen. Wesentliche Strukturierung zitierten Werks ist die Zweiteilung in allgemeine und angewandte Kartographie:

„Dabei erstreckt sich die allgemeine Kartographie auf das Basiswissen und den methodischen Kern des Fachgebietes, und vereint dazu Theorie und Praxis. Dagegen bedient sich die angewandte Kartographie dieses Grundvorrates, indem sie für die jeweilige Anwendung die zweckmäßigen Varianten entwickelt und vertieft.“ [HAK-2002]

Innerhalb dieser Zweiteilung ist die vorliegende Arbeit ausschließlich dem erstgenannten Teil einer allgemeinen Kartographie zuzuordnen, da zum einen versucht werden wird, eine theoretische Basis zu begründen, die unabhängig der konkreten Darstellungsform bestehen kann, und zum anderen eine Methode beispielhaft angewandt und somit die Theorie mit der Praxis verbunden werden soll, ohne dabei jedoch projekt-individuelle Anforderungen im Sinne einer angewandten Kartographie zu berücksichtigen.

Im Rahmen einer allgemeinen Kartographie wird der Fokus vor allem auf die kartographische Modellbildung gerichtet werden, wo der Begriff des Zeichens als wesentlichem Element jeder Kommunikation mit dem Begriff der Signatur als wesentlichem Element kartographischer Visualisierung verknüpft werden soll. Durch den vertretenen semiotischen Ansatz sollen also weniger der technische und mathematische Bezug gepflegt, sondern die kartographische Ausdrucksform hauptsächlich zeichensprachlich aus einer geisteswissenschaftlichen Perspektive betrachtet werden (vergl. Abb. 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.6 Aufbau und Gliederung

Nach den eben vorgenommenen theoretischen (Semiotik) und inhaltlichen (Signaturen) Einschränkungen ergeben sich folgende Fragen und damit eine Gliederung der weiteren Arbeit, um die genannten Ziele zu erreichen. Im Anschluss an diese Einleitung befasst sich ein erster Teil mit der Sichtung und Auswahl geeigneter semiotischer Theorien in Hinblick auf kartographische Bedürfnisse. Dieser Abschnitt wird das erste Hauptziel verfolgen:

- In Kapitel 2 wird zunächst eine allgemeine Einführung zur Semiotik geboten. Anhand der entsprechenden Zeichenmodelle wird eine kritische Gegenüberstellung wichtiger semiotischer Schulen versucht. Diese Diskussion schließt mit der Auswahl einer geeigneten Theorie und begründet diese Entscheidung.
- In Kapitel 3 soll die ausgewählte Semiotik ausführlicher dargelegt und - durch kartographische Beispiele illustriert - erklärt werden, um schließlich ein allgemeines semiotisches Gestaltungsprinzip für kartographische Zeichen ableiten zu können.
- In der Ausführung dieser Maxime wird für deren praktische Anwendung die Proto­typentheorie zu Hilfe gezogen und daher in Kapitel 4 ausführlich diskutiert werden.
Ein anschließender Abschnitt widmet sich dem zweiten Hauptziel, aus der vorgestellten Theorie einen Weg zur konkreten Praxis abzuleiten und diesen auch exemplarisch abzuschreiten. Zu diesem Zweck wird versucht, die bereits in Kapitel 4 - zumindest implizit - angesprochene Methode einer empirischen Untersuchung den Bedürfnissen anzupassen.
- Vorbereitend dazu wird in Kapitel 5 eine bestehende, maßgebliche Zeichen-typologie der Kartographie semiotisch kritisiert, um innerhalb dieser Typologie die exemplarische Untersuchung auf ein möglichst wesentliches Element der kartographischen Gestaltung lenken zu können. Dabei kann auch die Konformität dieser Gliederung zur gewählten Semiotik überprüft werden.
- Kapitel 6 erläutert die Methode des gewählten Datenerhebungsverfahrens sowie die konkreten Fragestellungen. Anschließend werden die erhobenen Daten ausgewertet.
- Auf Grund der Auswertungsresultate kann die semiotische Qualität bestehender Kartenzeichen beurteilt werden. Dies soll in Kapitel 7 am Beispiel ausgewählter Signaturen der Österreichischen Karte 1 : 50000 (ÖK50) geschehen. Von der Kritik dieser Exemplare ausgehend soll weiters eine Verallgemeinerung der Ergebnisse in Hinblick auf eine Neugestaltung kartographischer Signaturen versucht werden.
- Wie eine solcher Neuentwurf gemäß der in Teil 1 aufgestellten Gestaltungsmaxime und den ermittelten Befragungsresultaten erfolgen, und dabei auch den Ansprüchen semiotischer Begründbarkeit entsprochen werden kann, zeigt beispielhaft Kapitel 8.
- Kapitel 9 versucht schließlich entsprechend seiner Position einen zusammen-fassenden Rückblick auf die vorangegangen Ausführungen, aber auch einen Ausblick auf mögliche Konsequenzen, die sich aus den Argumenten dieser Arbeit für die Kartographie ergeben.

2. Semiotik

Entsprechend den einleitenden Ausführungen und Abgrenzungen von Inhalt und Absicht dieser Arbeit (Kapitel 1), soll in diesem Abschnitt versucht werden, aus einer allgemeinen Einführung zur Semiotik heraus eine (für die kartographischen Bedürfnisse) geeignete semiotische Theorie auszuwählen und im Weiteren eingehender zu diskutieren.

2.1 Einführung

Obwohl semiotische Fragen schon in der Antike untersucht wurden, wird die Begründung der Semiotik als moderner Wissenschaft an das Schaffen zweier Autoren im ausgehenden 19. Jahrhundert bzw. anfangs des 20. Jahrhunderts geknüpft. Unabhängig voneinander entwickelten damals einerseits Charles Sanders Peirce (1839-1914) in den USA eine philosophisch orientierte, andererseits Ferdinand de Saussure (1857-1913) in Europa eine in der Linguistik begründete Semiotik. Unter Kenntnis dieser beiden Semiotiker und in unterschiedlich starker Verwurzelung in deren Werken entwickelten sich in der Folge mehrere Schulen und Richtungen der Semiotik, aus deren Vokabular sich trotz begrifflicher und inhaltlicher Heterogenität einige wesentliche Begriffe der Semiotik herausstreichen lassen (siehe 2.1.1) [NOE-2000], [VOL-2002].

2.1.1 Forschungsfeld und Grundbegriffe

Semiotik lässt sich mit Volli [VOL-2002] beschreiben als „ ... das Forschungsgebiet, das sich mit den Zeichen, dem Sinn und der Kommunikation befaßt ... “. Bereits diese Definition deutet auf einen engen Zusammenhang zwischen Kartographie und Semiotik hin, denn das hier verwendete Vokabular ließe sich auch für zentrale Begriffe der Kartographie verwenden. Obwohl die zitierte Festlegung auf den ersten Blick recht umfassend oder gar unscharf anmuten mag, wird sich diese weite Begriffsbestimmung im Weiteren als ebenso notwendig wie nützlich erweisen. Zunächst folgen wir aber dem primären Anliegen der Schärfung des Begriffes Zeichen, und schränken den Diskurs möglichst auf dieses semiotische Teilgebiet ein.

Unter den genannten semiotischen Themen gilt Zeichen als semiotischer Schlüsselbegriff, der sich in zahlreichen terminologischen Varianten wiederfindet, allerdings nicht immer konsequent bzw. eindeutig verwendet wird. Eine frühe Definition (um 396 n. Chr.) findet sich bei Augustinus, nachfolgend in deutscher Übersetzung zitiert:

„Ein Zeichen ist nämlich ein Ding, das bewirkt, dass außer seiner äußeren Erscheinung, die es den Sinnen einprägt, irgend etwas anderes aus ihm selbst im Nachdenken ausgelöst wird.“ [AUG-2002]

Die darauf zurückgeführte mittelalterliche Formel des aliquid stat pro aliquo - zu übersetzen als etwas steht für etwas anderes - umfasst noch deutlicher den augustinischen Gedanken, ein Zeichen als komplexe Einheit zu verstehen. Dies macht zunächst eine begriffliche Differenzierung nötig, um zwischen dem Zeichen als Zusammengesetztem und dem Teil dieses Zusammengesetzten, dessen Gestalt sinnlich wahrgenommen wird, zu unterscheiden. Dieser Teil kann in heutiger semiotischer Terminologie als Zeichenträger angesprochen werden [NOE-2000], womit sich also auch das aliquid obiger Formel übersetzen lässt.

Einer heterogeneren semiotischen Bestimmung unterliegt die komplexe Einheit des Zeichens jedoch in Bezug auf das aliquo, also das andere, welches - um an die Worte des Augustinus zu erinnern - aus dem Zeichen in das Denken gelangt. Dieses andere kann die (aphysische) Aussage und/oder das Referenzobjekt des Zeichens sein [ECO-1977]. Je nach dem, ob die ausgesagte Bedeutung und das Referenzobjekt in eine ausschließliche (entweder-oder) oder einschließliche (sowohl als auch) Relation gebracht werden, lassen sich dyadische oder triadische Zeichenmodelle unterscheiden, derer sich die wichtigsten Theorien der semiotik bedienen. in deren Gegenüberstellung entwickelte sich eine fundamentale Zweiteilung der modernen Semiotik, die sich auch in Vergleichen der Theorien von Peirce und Saussure bzw. der von diesen geprägten Schulen manifestiert [NOE-2000], [VOL-2002]. Diese Zweiteilung innerhalb der Semiotik soll daher ein erstes einschränkendes Kriterium auf der Suche nach einem für die Kartographie geeigneten semiotischen System sein.

2.2 Dyadische Zeichenmodelle

Zeichenmodelle mit zwei Korrelaten ergeben sich, wenn das aliquo entweder als Bedeutung oder als Referenzobjekt eines Zeichens verstanden wird (vgl. 3.1.1). Im einen Fall besteht ein Zeichen also aus Zeichenträger und Zeichenbedeutung, im anderen Fall aus Zeichenträger und Referenzobjekt. Zu erstgenannter Variante findet sich als einflussreiches Beispiel das dyadische Zeichenmodell Ferdinand de Saussure, bestehend aus Zeichenträger (Saussure spricht von Bezeichnung) und Bedeutung (Bezeichnetes) [SAU-2001]. Saussure illustriert sein Modell am Beispiel des lateinischen Wortes arbor (dt. Baum), wie in Abbildung 2 dargestellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Dyadisches Zeichen nach Saussure: Zeichenträger (arbor) und Bedeutung (Baum). Quelle: bearbeitet nach [SAU-2001]

Unterschieden wird einerseits die Lautsequenz eines Wortes (arbor) als Zeichenträger, andererseits eine mit dieser Lautsequenz verbundene Vorstellung, die in Abbildung 2 durch die Zeichnung des Baumes angedeutet ist. Ein Zeichen umfasst nach Saussure also diese beiden Korrelate. Das Zeichen wird hier als rein mentale Einheit verstanden, während die Referenzobjekte, zum Beispiel ein konkreter Baum, von diesem Zeichenmodell ausgeschlossen sind. Saussure bezieht seine Zeichendyade dezidiert auf sprachliche Zeichen, und es ist die sprachwissenschaft, in welcher dieses Modell großen Einfluss entfalten konnte.

Trotzdem ist die Übertragbarkeit auf außersprachliche Zeichen und somit auch eine Verwendung in der Kartographie grundsätzlich nicht ausgeschlossen.

Die zweitgenannte Variante dyadischer Zeichenmodelle mit den beiden Korrelaten von Zeichenträger und Referenzobjekt betont nun gerade den Bezug zum Objekt, der im Modell von SAUSSURE außer Acht bleibt. Im Gegenzug spielen hier allerdings die mentalen Aspekte der Zeichenbedeutung eine untergeordnete Rolle. Eine Übersicht zu verschiedenen dyadischen Modellen beiderlei Ausprägung bietet Nöth [NOE-2000]. Hinsichtlich der begrifflichen Vielfalt, die den unterschiedlichen Modellen entblüht, ist jedoch mit ECO darauf hinzuweisen, dass sich Divergenzen oft auf grundsätzliche Gegensätze im Denken begründen, sich in machen Fällen aber schon auf terminologischer Ebene erschöpfen [ECO-1977].

2.3 Triadische Zeichenmodelle

Wird ein Zeichen als triadische Relation verstanden, so sind Zeichenträger, Bedeutung und Referenzobjekt die drei Zeichenkorrelate. Während sich manche triadischen Modelle prinzipiell auf einzelne Dyaden zurückführen lassen, werden genuine Triaden über die Vermittlung zweier Korrelate durch ein drittes verstanden. Bekannt ist die Modellierung solcher Triaden in einem semiotischen Dreieck, das sich in Anlehnung an Odgen und Richards [OGD-1974] unter Verwendung gegenwärtiger semiotischer Terminologie [NOE-2000] entsprechend Abbildung 3 zitieren lässt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Triadisches Zeichenmodell in heutiger Terminologie. Quelle: bearbeitet nach [N0E-2000].

Wurden Ferdinand de SAUSSURE und Charles Sanders PEIRCE als Begründer der modernen Semiotik angeführt (3.1.1) , und das Modell des Erstgenannten als einflussreiche dyadische Zeichenstruktur skizziert (3.1.2), so kann das peircesche Zeichenmodell als bedeutender Vertreter triadischer Systeme zu deren Illustration herangezogen werden. Peirce bezeichnet die genannten drei Korrelate als Repräsentamen (Zeichenträger), Objekt (Referenzobjekt) und Interprétant (Bedeutung), welche in folgenden Zusammenhang gesetzt werden:

"A sign, or representamen, is something which stands to somebody for something in some respect or capacity. It addresses somebody, that is, creates in the mind of that person an equivalent sign, or perhaps a more developed sign. That sign which it creates I call the interpretant of the first sign. The sign stands for something, its object. It stands for that object, not in all respects, but in reference to a sort of idea, which I have sometimes called the ground of the representamen.“ [PEI-1932]

Zur Erläuterung dieser Dreiteilung soll versucht werden, die drei Pole des peirceschen Zeichenmodells an Hand eines Kartenzeichens zu besetzen: Das Repräsentamen ist relativ einfach zu unterscheiden und könnte zum Beispiel + sein.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Beispiel eines Referenz¬objekts kartographischer Zeichenträger

Gemäß obiger Definition steht das Repräsentamen + für ein Objekt. Vorauszusetzen ist, dass das bezeichnete Objekt der interpretierenden Person bereits bekannt ist. In einem konkreten Kartenkontext könnte ein Repräsentamen + mit den Koordinaten (x/y) für ein Objekt stehen, das sich an entsprechender Position befindet und aussieht wie in Abbildung 4 dargestellt. Ist dieses Objekt nicht bekannt, wird + in der Karte jedoch nichtsdestoweniger als Zeichenträger aufgefasst werden, muss den Interpretierenden jedoch für etwas anderes stehen. Dieses andere könnte in der Legende (im Falle der ÖK50) mit „Kreuz, Marterl“ bestimmt werden, womit sich + also nicht mehr auf ein konkretes Einzelobjekt, sondern auf eine Objektkategorie bezieht.

Die Kartographie arbeitet also im Allgemeinen mit zwei Objektebenen: einerseits werden Objekte individuell erfasst, können jedoch anderseits nur kollektiv in die kartographische Darstellung eingehen. Umgekehrt werden die AnwenderInnen der kartographischen Darstellung zunächst mit dem Objektkollektiv konfrontiert und müssen in einer konkreten Raumsituation eine orientierungsstiftende Vereinzelung leisten. Keine der beiden Objektebenen kann jedoch im kartographischen Kommunikationsprozess übergangen werden; die Individualebene nicht um der Richtigkeit, die Kollektivebene nicht um der Verständlichkeit willen. PEIRCE' Definition des Objektes ist für ein solches, weiter gestecktes Objektverständnis offen: das Objekt kann sowohl Einzelobjekt als auch Objektklasse, sowohl materiell als auch imaginär konstruiert sein [NOE-2000].

Nun bestimmt PEIRCE aber einen Zeichenträger als etwas, das nicht nur für ein Objekt, sondern zugleich auch für jemanden steht, in dessen Bewusstsein „ ... die eigentliche bedeutungstragende Wirkung eines Zeichens“ [PEI-1991] entsteht. Diese Wirkung kann vielfältig und gar unvorhersehbar sein. Wenn + im Objektbezug für ein Marterl steht, so kann dieses Marterl in der Karte zugleich als Unglücksstelle oder als Straßenbauhindernis wahrgenommen werden, um nur zwei Möglichkeiten zu nennen. Somit könnte für das skizzierte Beispiel ein semiotisches Dreieck entsprechend Abbildung 5 aussehen.

Zur Verdeutlichung des Begriffes des Interpretanten scheint folgendes kartographische Beispiel von MacEachren geeignet, welches zugleich den Unterschied zwischen Referenzobjekt und Interpretant illustriert:

„This is the difference, ..., between knowing that a line on a map is a boundary (in the depicted location and at the specified time) and what boundaries stand for in various political, community, or other contexts (i.e., what it means to establish and defend a political, neighborhood, or other dividing line). [EAC-2004]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Triadisches Zeichenmodell nach Peirce — in kartographischer Besetzung exemplifiziert.

Allgemein gilt für die Kartographie das logische Prinzip: „omnis determinatio est negatio“ - jede Bestimmung ist Verneinung. In diesem Sinne liegt eine Wirkung, die jede kartographi­sche Darstellung - oft unbewusst - transportiert, in der expliziten Betonung des Visualisierten bei gleichzeitig impliziter Negation des Nicht-Visualisierten: die abgebildeten Aspekte der Realität werden im Rahmen einer Darstellung in den Bedeutungsvordergrund gerückt.

Innerhalb der peirceschen Zeichentriade ist der Interpretant das komplexeste Korrelat [NAG- 1992]. Peirce selbst unternimmt eine dreifache Differenzierung in unmittelbaren, dynamischen und finalen oder normalen (Drittheit) Interpretant:

„It is likewise requisite to distinguish the Immediate Interpretant, i.e., the Interpretant represented or signified in the Sign, from the Dynamic Interpretant, or effect actually produced on the mind by the Sign; and both of these from the Normal Interpretant or effect that would be produced on the mind by the Sign after sufficient development of thought.“ [PEI-1998a]

Der unmittelbare Interpretant ist die vorgesehene Wirkung des Zeichens, die jedoch eine bloße Möglichkeit darstellt, wogegen der dynamische Interpretant die tatsächlich im Bewusstsein eines/r InterpretIn erzielte Wirkung darstellt [VOL-2002]. Der finale (normale) Interpretant stellt schließlich ein Interpretationsideal im Sinne eines Konsenses dar, welcher allerdings in der Praxis nur approximativ erreicht werden kann, wie etwa in den Definitionen eines Lexikons [NOE-2000]. Im finalen Interpretanten endet somit auch - zumindest vorläufig - der theoretisch unendliche Semioseprozess einer theoretisch unendlichen Interpretantenkette durch eine „wohlbegründete Deutungshypothese“ [VOL-2002]. Dieses Interpretationsideal ist für die Kartographie durchaus von Interesse, da mit dem Widerspruch zwischen beabsichtigter und tatsächlich erzielter Wirkung einer kartographischen Darstellung deren Qualität steht oder fällt.

Peirce spricht sich deutlich gegen die Möglichkeit aus, die Triade der Zeichenkorrelate als Verknüpfung dreier dyadischer, jeweils für sich wirksamer Relationen zu interpretieren: “The triadic relation is genuine, that is, its three members are bound together by it in a way that does not consist in any complexus of dyadic relations.” [PEI-1998b] In diesem Sinne ist die von Peirce vorgeschlagene Darstellungen seines Systems zu verstehen, welches er nicht durch ein Dreieck, sondern durch folgenden Graph charakterisiert:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6: Modell einer genuinen Zeichentriade nach Peirce. Quellen: [PEI-1998c] ? bearbeitet nach [N0E- 2000]

Unter Kenntnis und teilweisem Einfluss der PEiRCE'schen Semiotik entstand (neben anderen) eine weitere Zeichentheorie, die von Charles William Morris (1901 - 1974) entwickelt worden war, und innerhalb der Kartographie das wohl am meisten beachtete semiotische System darstellt [HAK-2002], [BOL-2002], ... . Eine Bestimmung des MoRRIs'schen Zeichenbegriffes bietet folgendes Zitat:

„Wenn A ein vorbereitender Reiz ist, der ohne Vorhandensein eines Reizobjektes Reaktionsfolgen einer gewissen Verhaltensfamilie initiiert und in einem Organismus eine Disposition verursacht, durch Reaktionsfolgen dieser Verhaltensfamilie zu reagieren, dann ist A ein Zeichen.“ [MOR-1981]

Diese Definition macht deutlich, dass Morris von einem behavioristischen Standpunkt aus das Zeichen als Mittel zum Zweck am Verhalten eines interpretierenden Organismus beurteilt. im Zentrum des Modells von MORRiS steht der Zeichenträger, der zu den drei Zeichenkorrelaten in drei dyadische Beziehungen gesetzt wird [NOE-2000]. Nach Morris [MOR-1972] sollen „ ... diese drei Komponenten der Semiose jeweils Zeichenträger, Designat und Interpretant heißen; hinzu kommt als vierter Faktor der Interpret.“

Demnach ergibt sich (1) aus der Relation zwischen verschiedenen Zeichenträgern eine syntaktische Dimension des Zeichenprozesses, (2) besteht in der Beziehung zwischen Zeichenträger und interpret (MORRiS verwendet in Bezug auf die Zeichenwirkung zunächst wie Peirce den Terminus Interpretant, welchen er später durch den Begriff des Signifikats ersetzt) eine pragmatische Dimension des Zeichenprozesses und (3) entfaltet sich in der Relation zwischen Zeichenträger und Referenzobjekt (bei Morris Designat genannt) eine semantische Dimension des Zeichenprozesses. Entsprechend dieser drei Dimensionen gliedert Morris die Semiotik in die drei Teildisziplinen von Syntaktik, Semantik und Pragmatik (Abb. 7).

Ein ausführliche Übertragung dieser drei Dimensionen auf die Kartographie findet sich bei Freitag [FRE-1992a]. Die in diesem Aufsatz vertretenen Ansicht, dass Morris der Verdienst der Begründung der modernen Semiotik und ihrer Gliederung in eben ausgeführter Weise zukommt, ist jedoch zur Diskussion zu stellen, auch wenn sich jüngst Komedchikov in gleichem Sinne äußerte [KOM-2005]. Zur Begründung wurde bereits weiter oben Stellung genommen; wesentlicher scheint jedoch die Frage nach der Einteilung der Semiotik und deren

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7: Die drei semiotischen Teildiszplinen mit den entsprechenden Dimensionen der Semiose nach Morris. Quelle: bearbeitet nach [MOR-1972]

Herkunft. Diesbezüglich ist die Differenzierung dreier Zeichendimensionen bereits von Peirce vorweggenommen, wenn er drei Teilgebiete der Semiotik unterscheidet:

“... the three essential branches of semeiotics, of which the first, called speculative grammar ..., studies the ways in which an object can be a sign; the second, the leading part of logic, best termed speculative critic, studies the ways in which a sign can be related to the object independent of it that it represents; while the third is the speculative rhetoric just mentioned.“ [PEI-1998d]

In diesem Zitat verweist Peirce auf folgende Definition zur spekulativen Rhetorik:

“... a speculative rhetoric, the science of the essential conditions under which a sign may determine an interpretant sign of itself and of whatever it signifies, or may, as a sign, bring about a physical result.” [PEI- 1998d]

Die reine Grammatik (speculative grammar) entspricht dabei der syntaktischen, die reine Logik (speculative critic) der semantischen, und die reine Rhetorik (speculative rhetoric) der pragmatischen Zeichendimension von Morris.

2.4 Dyadische vs. triadische Zeichenmodelle: Vergleich und Auswahl

Nach dieser kurzen Präsentation zweier grundlegender Zeichenmodelle (3.1.2, 3.1.3) sei nun an die erste der in Abschnitt 2 formulierten Fragestellungen erinnert, bezogen auf die Eignung semiotischer Theorien für kartographische Darstellungen. Und Berücksichtigung des prinzipiellen kartographischen Aufgabenfeldes räumlicher Wirklichkeit scheinen zunächst solche Zeichendyaden weniger geeignet, die diesen Aspekt der Realität außer Acht lassen, wie zum Beispiel das Modell von Saussure. In diesem Sinne lässt sich auch die geringe Eignung verstehen, die dem SAussuRE'schen Modell in Bezug auf die Kartographie zugesprochen wird [HAK-2002]. Die Zurücksetzung dieses mentalen Aspektes, über den sich eine zweite Gruppe dyadischer Modelle unterscheiden lässt, ist jedoch ebenso ungünstig, wenn man das Ziel der Kartographie bedenkt, möglichst zutreffende Vorstellungen und Erkenntnisse der Wirklichkeit zu unterstützen (siehe Abschnitt 1).

Auf Grund der angesprochenen, wechselseitigen Leer- bzw. Schwachstellen dyadischer Zeichenmodelle hinsichtlich der kartographischen Maximen ist es gerechtfertigt, die Suche nach einem geeigneten semiotischen Modell auf triadische Zeichentheorien auszudehnen. Ein unterscheidungsmerkmal für Zeichentriaden ist die Festsetzung jenes Korrelates, welches als Mediator zwischen den beiden übrigen Korrelaten vermittelt. Ein auch von ODGEN und Richards vertretenes Konzept von Mediation versteht die Bedeutung als Angelpunkt zwischen Zeichenträger und Referenzobjekt. Peirce hingegen sieht den Zeichenträger als dasjenige Element, welches die Vermittlung zwischen Referenzobjekt und Bedeutung leistet. Zugleich ist gerade der Zeichenträger jenes Korrelat, an welchem sich Gestaltungsraum für die Kartographie öffnet, lassen sich doch sämtliche kartographischen Darstellungen semiotisch als Zeichenträger beschreiben.

Da nun auch das in der Kartographie bereits mehrfach diskutierte triadische Modell von Morris in wesentlichen Annahmen auf die PEiRCE'sche Semiotik rückführbar ist, kann der Zeichentheorie von Peirce eine besonders große Eignung zugesprochen werden. Dies umso mehr, als der MoRRis'schen Theorie die Kritik einer behavioristischen Verkürzung entgegengehalten werden kann [APE-1975], [ROC-1983].

Traten also in den letzten Absätzen bereits einige Argumente für das triadische Modell von Peirce - sowohl im Vergleich zu den dyadischen Konzepten als auch gegenüber anderen Zeichentriaden - hervor, so soll in folgender Auflistung gezielter versucht werden, (kartographisch) relevante Aspekte dieser Zeichentheorie hervorzuheben. Dies geschieht aber nicht mit dem Anspruch, das für die Kartographie geeignetste semiotische Modell präsentieren zu wollen, sondern bescheidet sich zunächst damit, ein - aus den zu nennenden Gründen - prinzipiell geeignetes System zu vertreten. Trotzdem wird es nicht umhin gehen, die PEiRCE'sche Semiotik dabei in mancher Hinsicht von anderen Theorien wertend abzugrenzen.

Das bisher Gesagte zusammenfassend und zugleich ergänzend scheint also das semiotische System von Charles Sanders Peirce aus folgenden Gründen für eine Anwendung auf kartographische Darstellungen, unabhängig deren Dimensionalität geeignet:

- Als triadisches Modell kommt die PEiRCE'sche Zeichenstruktur einer Übertragung bzw. Anwendung auf kartographische Zeichen entgegen, finden doch sowohl das für die Kartographie wesentliche Referenzobjekt als auch die für kartographische Belange nicht minder wichtige Bedeutungsfunktion ihre Berücksichtigung [NAG-1992]. Insofern wird auch in Bezug auf die angesprochene grundlegende Zweiteilung innerhalb der Semiotik Stellung genommen.
- Eine solche, der Kartographie entsprechende Dreiteilung findet nur in der PEiRCE'schen Theorie eine vertiefte Begründung [NOE-2000]; ebenso der Versuch einer umfassenden Zeichenklassifikation [ECO-1977]. Die phänomenologischen Grundlagen der Semiotik von Peirce, die eine pansemiotische Sicht des Universums bedeuten („ ... all this universe is perfused with signs, if it is not composed exclusively of signs.“ [PEI-1998c]), könnten zudem Möglichkeiten einer Metatheorie der Kartographie bieten.
- Zudem ist es gerade der für eine kartographische Gestaltung offene Zeichenträger, der im Modell von Peirce zwischen Bedeutung und Referenzobjekt vermittelt, während diese Vermittlung bei anderen triadischen Modellen über die Bedeutung hergestellt wird [NOE- 2000].
- Ein Vorzug der PEiRCE'schen Semiotik liegt in ihrer Offenheit gegenüber dem Zeichenmedium. Sie beschränkt sich also nicht auf die Behandlung nicht-vokalischer Zeichen, und ist also auch für eine multimediale Kartographie geeignet [MOR-1981].
- Durch die Berücksichtigung kommunikativer und kognitiver Zeichenfunktionen [DRE- 1989] erlaubt die PEiRCE'sche Zeichentheorie eine Verknüpfung mit entsprechenden anderen Theorien, derer sich die Kartographie zu den Problemen kartographischer Visualisierung bedient [KOC-2004].

2.5 Exkurs zur Philosophie von Charles Sanders Peirce

Das philosophische Projekt von Charles Sanders Peirce präsentiert sich in mehrerlei Hinsicht als unvollständig. Zunächst gelang Peirce selbst keine Gesamtdarstellung seines Denkens, wie sie ihn uneingeschränkt befriedigen hätte können [PAP-2004]. Ebenso fragmentarisch ist die Veröffentlichung von Peirce' umfangreichem Werk bis heute geblieben, so dass Teile davon nur als Mikrofilm einsehbar sind. Entsprechend unvollständig ist auch die Rezeption des Opus von Peirce, der vor allem als Begründer des Pragmatismus bekannt ist, auch wenn er sich von dessen weiterer Entwicklung eigentlich distanzierte, um seine eigene Position schließlich als Pragmatizismus abzugrenzen [APE-1975]. Klein bleibt daher der folgende Einblick in das peircesche Denken, der sich damit bescheidet, die hier argumentierten Semiotik in einem breiteren philosophischen Kontext, in dem sie erdacht ward, zu positionieren zu versuchen. Dieser kurze Exkurs scheint im Rahmen dieser Arbeit jedoch nötig, da er das Verständnis der späteren Ausführungen zur Zeichentheorie von Peirce erleichtern kann, und zudem auf das wissenschaftstheoretische Potenzial hinweisen soll, welches die PEiRCE'sche Philosophie birgt und das auch für die Selbstbestimmung der Kartographie von Bedeutung sein kann.

Einen systematischen Überblick über die Philosophie von Peirce bietet seine Wissenschaftsklassifikation, wie sie im Rahmen eines umfangreicheren Textes (A Syllabus of Certain Topics of Logic) 1903 umrissen wurde [PEI-1998e], und sich mit Pape entsprechend Abbildung 8 zusammenfassen lässt [PAP-2004]:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 8: Auszug aus der Peirce'sehen Gliederung der Wissenschaften. Quelle: bearbeitet nach [PAP-2004]

Abbildung 8 ist in Bezug auf die entsprechenden Ausführungen von Peirce (wiederum) unvollständig, enthält aber alle für die Absichten dieses Exkurses wesentlichen Komponenten. Die Ordnung der genannten Wissenschaftsdisziplinen folgt der Abstraktheit ihres jeweiligen Forschungsgegenstandes, so dass sich jede Wissenschaft in ihren Prinzipien auf die ihr übergeordneten Disziplin(en) stützen soll, während sie Daten von ihr untergeordneten Wissenschaften bezieht [PEI-1998f].

Die Semiotik verbirgt sich in dieser Klassifikation hinter dem Begriff einer Spekulativen Grammatik, wird also der Philosophie zugerechnet, innerhalb der sie als normative Wissenschaft wiederum der Phänomenologie untergeordnet ist, welche also die grundlegendste aller philosophischen Disziplinen ist. Wie die Phänomenologie bzw. die Philosophie dabei die Mathematik voraussetzen, lässt sich mit Apel [APE-1975] über folgendes peircesche Zitat begründen:

„This science of phenomenology is in my view the most primal of all the positive sciences. That is, it is not based, as to its principles, upon any other positive science ... and phenomenology, which does not depend upon any other positive science, nevertheless must, if it is to be properly grounded, be made depend upon the Conditional or Hypothetical Science of Pure Mathematics, whose only aim is to discover not how things actually are, but how they might be supposed to be, if not in our universe, then in some other.“ [PEI-1998g]

Die Mathematik soll also die Struktur aller möglichen Welten entdecken, auf Grundlage derer sich die Phänomenologie mit allen möglichen Erfahrungen dieser möglichen Welten beschäftigt. Die Grundelemente jeder möglichen Erfahrungen beschreibt Peirce mit drei universalen Kategorien, die jedes Phänomen charakterisieren und die er mit Erstheit (firstness), Zweitheit (secondness) und Drittheit (thirdness) bezeichnet und folgendermaßen definiert:

“Firstness is that which is such as it is positively and regardless of anything else. Secondness is that which is as it is in a second something's being as it is, regardless of any third. Thirdness is that whose being consists in its bringing about a secondness. There is no fourthness that does not merely consists in Thirdness.” [PEI-1998b]

Der Begriff der Erstheit ist für sich schwierig zu fassen und wird vor allem in Zusammenhang mit den beiden anderen Kategorien deutlich. Beispiele für Erstheit sind ein noch unreflektiertes Gefühl oder eine bloße, noch nicht realisierte Möglichkeit, etwas, „an das wir denken, das wir erfahren oder über das wir etwas erkennen. Dieses Etwas ist das Objekt der geistigen Aktivität, ...“ [PAP-2004].

Um dieses Erste überhaupt unterscheiden zu können, bedarf es jedoch eines Zweiten, von dem das Erste abgegrenzt werden kann, so dass sich aus der Erstheit in Verbindung eines Ersten mit einem Zweiten die Kategorie der Zweitheit konkret realisiert. Beispiele für Zweitheit sind die Erfahrung, die Handlung oder die Reaktion [NOE-2000]. Drittheit ist schließlich die Kategorie der Vermittlung, über die eine Verbindung eines Ersten mit einem Zweiten erkannt werden kann.

Über diese drei universalen Kategorien werden die drei Korrelate eines Zeichens bestimmt, so dass jedes Zeichen als Ganzes der Kategorie der Drittheit angehört, die jedoch nicht nur die Makro-, sondern auch die Mikrostruktur eines Zeichens bestimmt, worauf in Kapitel 3 näher eingegangen werden soll.

3. Das semiotische Modell von Charles S. Peirce

Trat in Abschnitt 2 bereits die grundsätzliche Eignung des PEiRCE'schen Modells - auch unter Berücksichtigung wesentlicher semiotischer Alternativkonzepte - für kartographische Darstellungen hervor, so gilt es nun, tiefer in dieses Zeichensystem vorzudringen. Einerseits wurden wesentliche Werkzeuge der Zeichenanalyse, andererseits auch die Möglichkeiten einer bewertenden Argumentation kartographischer Zeichen noch nicht angesprochen. ist eine solche Bewertung möglich, so impliziert diese bei vorhandener Zielvorgabe zugleich eine Richtlinie, wie kartographische Zeichen gestaltet werden sollen.

Ein erste Einschränkung der weiteren Diskussion ist nach dem vorigen Kapitel 2 bereits möglich: Es wurde festgehalten, dass der vermittelnde Angelpunkt dieses Zeichenmodells vom Repräsentamen gebildet wird, welches zugleich das für die kartographische Gestaltung offene Korrelat eines Zeichens darstellt.3 Wurde in Kapitel 1 bereits eine inhaltliche Einschränkung auf das kartographische Gestaltungsmittel der Signaturen vorgenommen, so kann dieser Terminus zunächst als Repräsentamen in die PEiRCE'sche Semiotik übersetzt werden. Auf die begriffliche Widersprüchlichkeit zu dem in der Kartographie verwendeten Ausdruck „Kartenzeichen“ sei an dieser Stelle nur hingewiesen, während sich Kapitel 5 ausführlicher dieser Problematik widmen wird.

Das Repräsentamen steht der Kartographie also zur Verfügung, ihr Ziel einer möglichst treffenden Darstellung von Wirklichkeit zu verfolgen. im Sinne dieser Zielformulierung ist auch jede Bewertung kartographischer Zeichenträger zu bemessen, wobei es letztendlich um die Frage gehen muss, wie Repräsentamen in der Kartographie gestaltet werden sollen. Eine Antwort hierauf bedingt zunächst, jene Möglichkeiten zu kennen, innerhalb derer ein Repräsentamen überhaupt dargestellt werden kann, womit hier aber nicht technische, sondern semiotische Möglichkeiten angesprochen sind, soweit sie a priori festgelegt werden können.

In der weiteren Auseinandersetzung mit der PEIRCE'schen Zeichentheorie kann von den beiden bereits vorgestellten Triaden, nämlich von den drei universalen Kategorien und von den drei Zeichenkorrelaten ausgegangen werden: Auf diesen beiden Triaden ist eine Zeichentypologie errichtet, innerhalb der durch Zuordnung der einzelnen Zeichenkorrelate zu den drei Kategorien wiederum drei Trichotomien unterschieden werden können:

„Signs are divisible by three trichotomies: first, according as the sign in itself is a mere quality, is an actual existent, or is a general law; secondly, according as the relation of the sign to its Object consists in the sign's having some character in itself, or in some existential relation to that Object, or in its relation to an Interpretant; thirdly, according as its Interpretant represents it as a sign of possibility, or as a sign of fact, or a sign of reason.“ [PEI-1998h]

3.1 Erste Zeichentrichotomie

In der Betrachtung eines Zeichens an sich bzw. - präzise gesprochen - eines Repräsentamens unterscheidet Peirce entsprechend der drei Kategorien zwischen Qualizeichen (Erstheit), Sinzeichen (Zweitheit) und Legizeichen (Drittheit).

3.1.1 Qualizeichen

„Ein Qualizeichen ist eine Qualität, die ein Zeichen ist.“ [PEI-1983], beziehungsweise das, was von einem Zeichenträger sinnlich aufgenommen werden kann [NAG-1992]. Qualizeichen sind jedoch immer nur mögliche Aspekte eines Repräsentamens und können als bloße Möglichkeit noch nicht zeichenhaft wirken.

Für die Kartographie können als Qualizeichen die visuellen Variablen von Bertin [BER-1974] eingesetzt werden: Größe, Helligkeit, Muster, Farbe, Richtung, Form und die Dimensionen der kartographischen Ausdrucksform (vgl. Kapitel 7).

3.1.2 Sinzeichen

Wird die Möglichkeit eines Qualizeichens realisiert, spricht Peirce von einem Sinzeichen: „Ein Sinzeichen (wobei die Silbe sin in der Bedeutung von »nur einmal vorkommend« aufgefaßt wird, ...) ist ein aktuell existierendes Ding oder Ereignis, das ein Zeichen ist.“ [PEI- 1983].

Ein konkreter Zeichenträger in einer Karte, mit kreisrunder Form, roter Farbe und einem Durchmesser von 4mm wäre ein Sinzeichen, in dem sich unter Anderem die Qualitäten Form (=kreisrund), Farbe (=rot) und Größe (=4mm) realisieren. Ein Sinzeichen enthält also jeweils mehrere Qualizeichen.

3.1.3 Legizeichen

In Gegensatz zum Sinzeichen ist das Legizeichen kein singuläres Objekt, sondern ein allgemeiner Typ im Sinne eines Gesetzes (wofür die Vorsilbe legi steht): „Ein Legizeichen ist ein Gesetz, das ein Zeichen ist. Ein solches Gesetz ist normalerweise von Menschen aufgestellt. Jedes konventionelle Zeichen ist ein Legizeichen (aber nicht umgekehrt).“ [PEI- 1983]. Wie das Qualizeichen bedarf auch das Legizeichen eines Sinzeichens zur konkreten Realisierung, wofür Peirce den Begriff der Replika einführt, durch deren konkrete Anwendung ein Legizeichen etwas bezeichnen kann. Diese Unterscheidung zwischen Sinzeichen und Legizeichen ist in Form der ebenfalls von Peirce eingeführten begrifflichen Entsprechungen Type (Legizeichen) und Token (Sinzeichen) z.B. in Linguistik oder Philosophie von aktueller Bedeutung [DEW-2001].

Wird beispielsweise in der Kartographie einem Repräsentamen mit runder Form und roter Farbe per conventionem die Bedeutung „Straßenbahnhaltestelle“ zuerkannt, so kann dieses Legizeichen durch die Anwendung entsprechender Replikas in einem Stadtplan verwendet bzw. verstanden werden.

3.2 Zweite Zeichentrichotomie

Die zweite Trichotomie ist von allen dreien die für Peirce selbst grundlegendste [PEI-1932] und zugleich die von Semiotik und Kartographie meist beachtete [EAC-2004] Einteilung der Zeichen. Sie umfasst die Beziehung zwischen Zeichenträger und bezeichnetem Objekt. Drei mögliche Modi des Objektbezugs sind Ikonizität, Indexikalität und Symbolizität.

3.2.1 Ikon

"An Icon is a sign which refers to the Object that it denotes merely by virtue of characters of its own and which it possesses, ... ." [PEI-1998i]. Ein Ikon bezeichnet ein Objekt also aufgrund eigener Eigenschaften, wobei eine Existenz eines solchen Objektes nicht entscheidend ist [PEI-1983]. Hilfreich für dieses Ikonizitätsverständnis scheint eine entsprechende Definition von Morris, welcher Ikon als ein Zeichen beschreibt, dessen Zeichenträger „ ... in sich selbst die Eigenschaften aufweist, die ein Objekt haben muß, wenn es sein Denotat sein soll, ...“ [MOR-1972].

Allgemein wird heute in der Semiotik von einem Ikon als einem Zeichen gesprochen, dessen Repräsentamen das Referenzobjekt auf Grund einer Ähnlichkeit mit diesem repräsentiert. Diese Ähnlichkeit realisiert sich zwar hauptsächlich, nicht aber ausschließlich in der Beziehung zwischen Zeichenträger und Referenzobjekt, sondern beruht immer auch auf gesellschaftlichen Konventionen. Diese Einschränkung findet sich bereits bei PEIRCE, welcher sagt: „ ... a sign may be iconic, that is, may represent its object mainly by its similarity, ... “ [PEI-1998b].

Innerhalb der Gruppe ikonischer Zeichen unterscheidet PEIRCE weitere drei Subkategorien: Von diesen haben Bilder die höchste Ikonizität, da sie ein Objekt auf Grund einer qualitativen Ähnlichkeit (z.B. hinsichtlich Form oder Farbe) repräsentieren. Auf einer geringeren Ikonizitätsstufe folgen Diagramme, deren Relationen Ähnlichkeiten zu Relationen im Objekt aufweisen. Jene ikonischen Zeichen mit der geringsten Ikonizität nennt PEIRCE schließlich metaphorische Ikone. Ähnlichkeit besteht in diesem Fall zwischen zwei Bedeutungsebenen eines Zeichenträgers.

In Bezug auf kartographische Signaturen könnte + bildhaft ikonisch in Bezug auf ein Wegkreuz sein, wenn dieses eine derart geometrische Form besitzt. Ein ähnliches Repräsentamen + könnte aber diagrammatisch ikonisch wirken, wenn sich die Relation zweier überkreuzter Balken auch im Referenzobjekt findet, was wiederum bei einem Wegkreuz der Fall wäre. Jedoch kann + auch als metaphorisches Ikon für ein Wegkreuz verwendet werden, wenn man es zur religiösen Funktion/ Motivation des bezeichneten Objekts und zu der dahinter stehenden Religion in Relation setzt, wobei die Beziehung zwischen Kreuz und Christentum hier bereits zugrunde liegen muss. Am Beispiel von + zeigt sich somit auch das häufige Zusammenwirken der drei Modi des Objektbezugs, wie es oben angesprochen wurde.

In einem kartographischen Kontext lassen sich auch ikonische Aspekte ausmachen, wenn man den Karteninhalt als Gesamtes im Sinne eines Repräsentamens betrachtet, welches den entsprechenden Ausschnitt der Erdoberfläche repräsentiert. Ein Vergleich Orthophoto vs. Karte lässt dies deutlich werden, beispielsweise hinsichtlich der Ähnlichkeit zwischen Flussläufen in Orthophoto und Karte.

Diese Ikonizität ist jedoch eine Ähnlichkeit, die einem Betrachtungsstandpunkt entspricht, der nur in äußerst seltenen Fällen eingenommen und daher als bekannte Erfahrung der NutzerInnen nicht vorausgesetzt werden kann. Folglich ist es zum Verständnis des Karteninhalts und zum Erkennen von Ähnlichkeiten zwischen Repräsentamen und Referenzobjekt notwendig, die Karte als senkrechte Projektion auf eine definierte Bezugsfläche zu verstehen. Insofern wird auch eine Ikonizitätsgrenze markiert, welche die (zweidimensionale) Karte mit ihren unvermeidbaren Verzerrungen der repräsentierten Realität nicht überschreiten kann, während eine dreidimensionale Darstellung von dieser Limitierung prinzipiell nicht betroffen und somit potenziell ikonischer ist. Der unmittelbare Ähnlichkeitsgrad zur Realität ist also abhängig von der kartographischen Darstellungsform.

Da ein Verhältnis der Ähnlichkeit objektiv schwer fassbar ist, bleibt Ikonizität immer relativ, weshalb dem Ikonizitätsbegriff eine problematische Unschärfe anhaftet, weshalb er sich auch von verschiedenen Seiten, beispielsweise von Eco [ECO-2002], mit Kritik konfrontiert findet. Auf diese Problematik soll in Kapitel 4 konkreter eingegangen werden.

3.2.2 Index

Ein Index bezeichnet ein Objekt auf Grund einer kausalen Abhängigkeit zu diesem, d.h. ein indexikalisches Repräsentamen wird von dem bezeichneten Objekt faktisch beeinflusst [PEI- 1983]. Ein von Peirce häufig gebrauchtes Beispiel hierfür ist die Beziehung zwischen einem funktionstüchtigen Wetterhahn und der Windrichtung, die dessen Position bestimmt.

Indexikalität ist für Nöth das wesentliche Merkmal einer Karte [NOE-1998], eine Ansicht, die er unter anderem mit den Gesetzmäßigkeiten der jeweiligen Projektion begründet, durch deren Anwendung eine Karte entsteht. MacEachren spricht in diesem Zusammenhang auch von räumlicher Indexikalität, die der Karte und den in ihr enthaltenen Repräsentamen eignet und vor allem im Gradnetz deutlich hervortritt [EAC-2004]. Des Weiteren geht räumliche Indexikalität immer mit zeitlicher Indexikalität einher, da jede kartographische Darstellung entweder einen oder mehrere Zeitpunkte repräsentiert.

3.2.3 Symbol

Ein Symbol in PEIRCE'scher Terminologie bezeichnet ein Objekt auf Grund von Gesetzmäßigkeiten oder Gewohnheiten und ist insofern der Kategorie der Drittheit zugeordnet. Durch seine Bestimmung durch ein Drittes gerät das Symbol zugleich in eine Abhängigkeit dazu, weshalb für Peirce jedes Symbol auch einen Index enthalten muss. Aus einer Anreicherung von Symbolen mit Indices und Ikonen können schließlich neue Symbole entstehen. [NOE-2000]

VOLLI sieht in symbolischen Relationen die wichtigsten Beziehungen zwischen Repräsentamen und Objekten, da mittels konventioneller Festlegungen ein breites Bedeutungsspektrum erschlossen werden kann, das nicht durch Ähnlichkeits- oder Kausilitätsbeziehungen vorbestimmt und damit eingeschränkt ist [VOL-2002]. Diesem Potenzial bedienen sich auch die Sprachen menschlicher Gesellschaften, die nahezu ausschließlich aus symbolischen Zeichen bestehen, und derer sich auch fast jede kartographische Ausdrucksform bedient, sei es um Namengut zu transportieren, sei es im Rahmen einer Legende oder in einer Betitelung. Ebenso wichtig und für die Kartographie noch wesentlicher sind außersprachliche Symbole, mit deren Hilfe zum Beispiel Quantitäten dargestellt bzw. verglichen werden können [HAK- 2002].

3.3 Dritte Zeichentrichotomie

Die dritte Trichotomie bestimmt die semantische Offenheit bzw. Fokussierung eines Zeichens in Hinsicht auf seinen Interpretanten [NOE-2000]. Wiederum unterscheidet Peirce entsprechend seiner drei Kategorien in Rhema, Dicent und Argument und ergänzt: „This corresponds to the old division Term, Proposition, & Argument, modified so as to be applicable to signs generally.“ [PEI-1977]. Durch die Übersetzung dieser klassischen logischen Einteilung eröffnet Peirce der Semiotik somit Möglichkeiten der Wahrheitssuche auf den Wegen logischer Schlussfolgerung [NOE-2000].

3.3.1 Rhema (Rheme)

„Ein Rheme ist ein Zeichen, das für seinen Interpretanten ein Zeichen der qualitativen Möglichkeit ist, ...“ [PEI-1983]. Es ist weder wahr noch falsch, und verweist weder auf ein bestimmtes Objekt noch auf einen konkreten Interpretanten. Ein Beispiel aus der Sprache wäre ein isolierter Term [NOE-2000], aber auch visuelle Einzelelemente, die in einer Karte vorkommen können sind Rhemata, zum Beispiel ein roter Kreis.

3.3.2 Dicent (Dikent-Zeichen, Dicizeichen)

„Ein Dikent-Zeichen oder Dicizeichen ist ein Zeichen, das für seinen Interpretanten ein Zeichen der aktualen Existenz ist.“ [PEI-1983] In seiner Objektrelation ist das Dicent bereits bestimmt, während der Bezug zum Interpretanten noch offen ist [NOE-2000]. Dikent-Zeichen setzen sich aus Rhemata zu logischen Aussagen (Propositionen) zusammen.In Analogie zu Peirce' Analyse einer Fotographie kann zum Beispiel eine Karte als Prädikat einer logischen Aussage verstanden werden, deren Subjekt die Projektionsstrahlen sind [PEI-1983].

[...]


1 Niemand soll aber befürchten, daß die Betrachtung der Zeichen uns von den Dingen wegführt, im Gegenteil, sie führt uns ins Innerste der Dinge. (Leibniz nach [MOR-1972])

2 Auch Titel und Inhalt dieses Werkes weisen auf die zentrale Position des Mediums „Karte“ hin, die bereits in Abschnitt 1.1 festgestellt wurde.

3 Im weiteren Verlauf des Textes wird nur mehr von einem Repräsentamen, nicht mehr aber von einem Zeichenträger die Rede sein. Der Begriff eines Zeichenträgers ist zwar innerhalb der Semiotik gebräuchlich, jedoch auch in der Kartographie unter anderem Inhalt bekannt. Im Missverständnisse zu vermeiden soll daher der PEIRCE'sche Terminus beibehalten werden und zugleich als exklusive Referenz auf die Semiotik von PEIRCE dienen.

Ende der Leseprobe aus 117 Seiten

Details

Titel
Semiotische Begründbarkeit kartographischer Signaturen
Untertitel
Prolegomena zum Stellenwert räumlicher Dreidimensionalität in der Kartographie am Beispiel der Signatur auf Grundlage der Semiotik von Charles S. Peirce
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Geographie und Regionalforschung)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2006
Seiten
117
Katalognummer
V85804
ISBN (eBook)
9783638003506
ISBN (Buch)
9783638923101
Dateigröße
3411 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Semiotische, Begründbarkeit, Signaturen
Arbeit zitieren
Florian Hruby (Autor:in), 2006, Semiotische Begründbarkeit kartographischer Signaturen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85804

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