Strukturen der Armut in Bolivien und deren Erfassung im Ländlichen Raum mit Hilfe ausgewählter Faktoren

Sowie (inter-)nationale Hilfsmaßnahmen


Projektarbeit, 2004

26 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Gliederung

1. Vorbemerkung

2. Der Armutsbegriff
2.1. Definitionsproblem
2.2. Unterscheidungsmöglichkeiten der Armut
2.3. Messung der Armut.
2.4. Statistische Grenzwerte und Indikatoren.
2.5. Zusammenfassung.

3. Analyse der Armut in Bolivien
3.1. Statistische Daten
3.2. Ursachen der Armutssituation
3.3. Probleme der Entwicklung
3.4. Sozio-demographische Kennzeichen der Armut
3.5. Zusammenfassung

4. Entwicklungszusammenarbeit
4.1. Theorien und Strategien
4.2. Armutsbekämpfung als Ziel der Wirtschaftspolitik
4.3. Akteure armutsorientierter Wirtschaftspolitik.
4.4. Zusammenfassung

5. Armutsorientierte Entwicklungspolitik in Bolivien
5.1. Ansätze zur Armutsbekämpfung.
5.2. Inter- bzw. multinationale Maßnahmen zur Armutsbekämpfung

6. Schlussbetrachtung und Perspektiven

Abbildungen

Literatur

Verzeichnis der Abkürzungen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Vorbemerkung

Seit dem Einzug des Privateigentums in die menschlichen Gesellschaften gab es Unterschiede im Zugang zu den Ressourcen. Es entstanden Disparitäten innerhalb der Gesellschaften, wonach man diese in „arm“ oder „reich“ unterteilte. Bevölkerungsgruppen, welche durch ihre Macht einen Anspruch auf Ressourcen bzw. die Kontrolle über diese besaßen, wurden - und werden auch heute noch - als „reich“ bezeichnet. Andere Bevölkerungsgruppen, die den „Reichen“ unterlegen sind, werden als „arm“ bezeichnet. Solche Disparitäten lassen sich heute in nahezu allen Gesellschaften vorweisen.

In dieser Projektarbeit soll es vorwiegend um das Phänomen der Armut gehen. Um einen besseren Zugang und die nötige Sensibilität zu gewährleisten, ist es unumgänglich, sich vorerst mit dem Begriff der Armut auseinander zusetzen. Dazu werden bewusst verschiedene Quellen analysiert, um die Heterogenität des Begriffes zu verdeutlichen. Im Rahmen des Praktikums ist es besonders wichtig die südamerikanischen Länder zu betrachten. Ein Schwerpunkt hierbei wird Bolivien zukommen, einem Land, wo dem Agrarsektor und der Subsistenzwirtschaft noch eine enorme Bedeutung zukommt. Ein vorwiegendes Anliegen dieser Arbeit besteht in der Festlegung von Kriterien nach denen die Armut erkannt werden kann und welche Strukturen sie annimmt. Weiterhin soll es darum gehen, die Ausprägung der Armut aufzuzeigen und zu begründen. Aus diesem Grund werden hauptsächlich die Gründe der Armut beleuchtet. Dazu werden einige Indikatoren, welche unter dem Begriff der Armut zusammengefasst werden, näher betrachtet und diskutiert. Es sollen Lösungsansätze vorgestellt und gezeigt werden inwieweit dem Problem der Armut Einhalt geboten werden kann. Dabei wird auf die Arbeit von NGO oder auch staatlichen Institutionen eingegangen um mögliche Fortschritte aufzuzeigen, welche eventuell als Ansätze für die globale Bekämpfung der Armut angesehen werden können. Daran soll deutlich werden, dass dieses Problem durchaus der Lösung bedarf, es aber aufgrund verschiedener Schwierigkeiten eine große Herausforderung der Menschheit darstellt. Abschließend werden Anstöße gegeben, um dieses weltweite Problem zu bearbeiten und eventuell zu mindern. Dabei wird der Frage nachzugehen sein, wie der Teufelskreis der Armut gebrochen werden kann?

2. Der Armutsbegriff

2.1. Defintionsproblem

Es scheint interessant zu sein, sich mit den Gründen für das Entstehen bzw. für die Ausbreitung der Armut auseinanderzusetzen. In allen Ländern der Erde treffen wir auf Bevölkerungsgruppen, welche als „arm“ bezeichnet werden. Hierbei gibt es wiederum Unterschiede im Grad der Armut, denn global gesehen variiert die Grenze zur Armut in den verschiedenen Erdteilen. Daher kann nicht von einer allgemein gültigen Armut gesprochen werden, denn abhängig von verschiedenen Faktoren, werden arme Bevölkerungsschichten der Industrieländer in den Entwicklungsländern als durchaus reich angesehen. Es hängt also vom Entwicklungsstand der Gesellschaften ab, wie die Armut von der Bevölkerung definiert wird.

Um sich allerdings näher mit dem Problem der Armut zu beschäftigen, ist es zuerst einmal notwendig eine Definition aufzustellen. Hier stellt sich allerdings die Frage, von welchem Standpunkt wir ausgehen. Eine statistische Abgrenzung scheint schwierig, da - wie bereits erwähnt – verschiedene Entwicklungsstände der Gesellschaften zu variierenden Ansichten führen würden. Die Bundesregierung hat im 9. Bericht zur Entwicklung (1992) Armut als ein Zustand definiert, in dem kein menschenwürdiges Leben möglich ist. Allein hierbei wird ein großer Interpretationsspielraum sichtbar. Um dem entgegenzuwirken, konkretisierte sie die Armut mit folgenden Aspekten. „Armut heißt: Nicht genug zum Essen haben, hohe Kindersterblichkeit, geringe Lebenserwartung, geringe Bildungschancen, schlechtes Trinkwasser, fehlende Gesundheitsversorgung, unzumutbare Unterkünfte [und] fehlende aktive Beteiligung an Entscheidungsprozessen.“ (vgl. Schubert 1994:13) Allerdings weisen auch diese Aspekte gewisse Interpretationsspielräume auf, denn wie werden z.B. Unterernährung oder schlechte Bildungschancen definiert? Wo liegen die Grenzen zu einer unzureichenden Gesundheitsversorgung oder Partizipation? Bei genauerer Betrachtung weisen die Aussagen zur Armut von der Bundesregierung noch immer Schwächen auf.

Der ehemalige Weltbankpräsident Robert Mc Namara gab jedoch 1974 in Nairobi/Kenia eine Definition der Armut ab. Er sagte: „Absolute Armut ist durch einen Zustand solch entwürdigender Lebensbedingungen wie Krankheit, Analphabetentum, Unterernährung und Verwahrlosung charakterisiert, daß die Opfer dieser Armut nicht einmal die grundlegendsten menschlichen Existenzbedürfnisse befriedigen können.“ (Nohlen 2002:68). Obwohl diese Definition als wegweisend betrachtet wurde, weist sie jedoch Schwächen auf. Geht man der Frage nach den entwürdigenden Lebensbedingungen nach, würde man mehrere Antworten bekommen. So kann z.B. Krankheit allein kein Indiz für Armut sein, sondern vielmehr die medizinische Versorgung. Hier wird der Aspekt des Zugangs zu Ressourcen deutlich, denn nicht allen Menschen ist ein Arztbesuch möglich. Das gleiche Problem taucht beim Analphabetentum auf. Auch den Industrieländern ist das Analphabetentum - wenn auch in geringerem Ausmaß – bekannt. Allerdings besteht dort die Möglichkeit diesen Missstand zu beheben. Einzig die Unterernährung ist in den Industrieländern allgemein nicht vorhanden. Diese geht mit Hunger einher, was wiederum eine Frage aufwirft: Wie viel Nahrung benötigt der Mensch? In diesem Fall ist die Unterernährung nur unzureichend definiert worden.

Auch wenn Robert McNamaras Definition einige Schwächen aufweist, war sie doch zu seiner Zeit einzigartig und entfachte eine Diskussion, an der sich viele Wissenschaftler beteiligten und genauere Aussagen zu treffen versuchten. Dies führte dazu, dass einige Wissenschaftler mit den bisherigen Aussagen zur Armut nicht konform gingen und sie als diskriminierend zurückwiesen. Dazu zählte auch Wolfgang Sachs (1989), welcher Armut nicht an den Tatsachen der Entwicklung messen wollte, sondern vielmehr auf das „…was ihnen fehlt und was sie zu werden haben.“ (Nohlen & Nuscheler 1993:32) einging. Allerdings ist auch diese Aussage äußerst unzureichend, da auch hier nicht von einer Diskriminierung abgerückt wurde, Vielmehr hat es den Eindruck, dass entwickelte Länder einen Weg zum Wohlstand vorzuschreiben hätten. Dies würde im Rahmen der Theorie-Debatte der Dependenztheorie entsprechen, welche von Abhängigkeitsbeziehungen der Entwicklungsländer von den Industrieländern ausgeht. Diese Ansicht ist jedoch überholt, denn die Bekämpfung der Armut ist nicht nur ein Problem einzelner Länder, sondern betriff die gesamte Menschheit. Eine Unterteilung in Entwicklungs- und Industrieländer scheint in diesem Zusammenhang überflüssig, da die Verantwortung nicht allein bei den Industrieländern zu suchen ist.

Wie bisher gesehen, weisen alle Definitionen der Armut gewisse Erklärungsschwächen auf, woraufhin der Umgang mit diesen recht schwierig wird. Allerdings gibt Wöhlke (1989:31) eine schlüssige Definition, welche zwar auch Spielräume offenlässt, aber dennoch als Meilenstein betrachtet werden kann. Für ihn bedeutet Armut „…eine soziale Lage, in der die Befriedigung der Grundbedürfnisse nicht oder nur sehr prekär gesichert ist.“. In diesem Moment stehen die Grundbedürfnisse als nicht konkretisierte Werte da, wodurch diese Definition verwässert wird, da auch hier wiederum individuelle Faktoren hineinspielen. Um dem entgegen zuwirken verweist Wöhlke (ebd) auf die Definition der Grundbedürfnisse der ILO, welche die Erfüllung der Grundbedürfnisse mit einer „…Deckung des privaten Mindestbedarf einer Familie an Ernährung, Unterkunft, Bekleidung [angibt]. Sie umfasst ferner die Inanspruchnahme lebenswichtiger Dienste, wie die Bereitstellung von gesundem Trinkwasser, sanitärer Einrichtungen, Transportmitteln, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, und das Erfordernis, dass für jede arbeitsfähige und arbeitswillige Person eine angemessen entlohnte Arbeit zur Verfügung steht. Schließlich sollte sie auch die Erfüllung mehr qualitativer Bedürfnisse umfassen: eine gesunde, humane und befriedigende Umwelt sowie eine Beteiligung des Volkes an Entscheidungen, die sein Leben und seinen Lebensunterhalt sowie seine individuellen Freiheiten betreffen.“

Entscheidend für den Armutsbegriff ist demnach der Zugang zu Ressourcen, welcher den armen Bevölkerungsschichten versperrt bleibt. So bestehen nur geringe Möglichkeiten diesem Teufelskreis der Armut zu entkommen, denn aufgrund informeller Strukturen können Machtverhältnisse nicht durchbrochen werden. Der informelle Sektor bedient sich an Ressourcen, die auf legalem Wege nicht zu bekommen sind. Allein diese Definition zeigt die unzureichende Versorgung mit Ressourcen auf und sucht die Ursache der Armut in den Entwicklungsländern.

2.2. Unterscheidungsmöglichkeiten der Armut

Innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses wird häufig zwischen der absoluten und der relativen Armut unterschieden. Ein Kriterium für das Erfassen der Armut liegt im Vergleich. „Während relative Armut immer dann vorliegt, wenn Untersuchungseinheiten im Vergleich zu näher spezifizierenden „anderen“ „arm“ sind, charakterisiert absolute Armut ausschließlich die Situation der jeweiligen Untersuchungseinheit, ohne daß Vergleiche zu anderen gezogen werden.“ (Schubert 1994:14) Mit dem Konzept der relativen Armut „…wird [demnach] die Stellung von Personen bzw. Personengruppen in Relation zu dem durchschnittlichen Lebensstandard der jeweiligen Gesellschaft untersucht.“ (Witt 1998:31). Kurz gesagt, wird bei Vergleichen mit anderen Indikatoren von relativer Armut gesprochen.

Eine Unterscheidung der absoluten Armut ergibt sich aus der Art der vorherrschenden Mangelerscheinung. Ist ein Mangel hinsichtlich der physischen Subsistenz (Nahrung, Kleidung, Obdach) zu konstatieren, wird diese unter der primären (absoluten Armut) zusammengefasst. Dieser Ressourcenansatz zielt demnach auf die Unfähigkeit von Personen hin, ihr physisches Überleben zu sichern. Dies allein kann aber noch keine hinreichende Begründung für die Armut sein. Aus diesem Grund wurde dieser Ansatz erweitert. Im Lebenslagenansatz werden nun die Partizipation oder das Vorhandensein sozialer Netzwerke mit einbezogen. Es scheint allerdings keine Trennung beider Begriffe möglich, da ein Mangel an Partizipation und der damit einhergehende „…Ausschluss von der Teilnahme am gesellschaftlich üblichen Leben…“ (Schubert 1994:14) unweigerlich zu der absoluten Armut führt. Betrachtet man diesen Aspekt von der anderen Seite, so wird deutlich, dass ein Mangel an physischer Subsistenz durchaus den Ausschluss aus der Gesellschaft zur Folge haben kann. Hierbei ist zu beachten, dass Nahrung, Kleider oder Obdach zu den Ressourcen gehören, welche die menschliche Existenz bedingt. Von diesem Standpunkt aus entwickelte Hartmut Sangmeister (1993) eine Grundbedürfnishierarchie, welche die elementaren Lebensziele mit den minimal notwendigen Gütern kombiniert. Die Grundlage dafür ist die Grundbedürfnisstrategie, die besagt, „…daß die Versorgung mit bestimmten Güter und Diensten in angemessener Quantität wie auch Qualität für alle Menschen dauerhaft gesichert werden muß.“ (Witt 1998:36). Die minimale Verfügbarkeit von Nahrung und Trinkwasser dient demnach dem bloßen Überleben. Von diesem Punkt aus erhöhen sich die Lebensziele mit der zusätzlichen Verfügbarkeit von Gütern und Dienstleistungen. (vgl. Abb.1)

Während die Konzepte der absoluten und der relativen Armut auf das Lebensniveau der Individuen hinzielen, darf der Faktor Zeit nicht vergessen werden. Hierbei ist zu unterscheiden, ob ein Individuum ständig am Existenzminimum lebt, oder es nur vorübergehend in den Zustand der Armut gerät. Aus diesem Grund wurde das Konzept der transitorischen und der chronischen Armut eingeführt. Die transitorische Armut betrifft den vorübergehenden Zustand der Armut, welcher durch Missernten oder Krankheiten hervorgerufen werden kann. Können sich die Individuen aus diesem Zustand nicht befreien hält er mittel- bis langfristig an und es wird von einer chronischen Armut gesprochen. (vgl Witt 1998:29ff)

2.3. Messung der Armut

Grundsätzlich ist zu sagen, dass sich eine Messung der Armut als schwierig erweist. Vorraussetzung dafür sind zuerst einmal Grenzwerte, welche festgelegt werden müssen. Wie im vergangenen Absatz bereits dargestellt wurde, sind mehrere Grenzwerte verschiedener Institutionen bzw. Organisationen denkbar. Hier liegt es am Betrachter, welche Kriterien er für wichtig erachtet. Das UNRISD hat 1970 eine umfangreiche Liste der Grundbedürfnisse veröffentlicht, in welcher 16 Indikatoren zur Beurteilung des Entwicklungsstandes eines Landes herangezogen werden sollen. Schubert (1994) unterscheidet – wie bereits das UNRISD - zur Messung der Armut zwei Hauptkriterien. Zum einen bezieht sie sich auf die Subsistenzkriterien und zum anderen auf Einkommenskriterien. Auf den ersten Blick scheinen beide unabhängig zu stehen, denn bei genügend Einkommen können die Subsistenzkriterien erfüllt werden. In Entwicklungsländern ist dies allerdings nicht der Fall. Aus diesem Grund bietet sich eine Einteilung in zwei Gruppen an, denn entweder die betroffenen Bevölkerungsschichten leben oberhalb oder unterhalb der Armutslinie. Dadurch entsteht eine Art „Zweiklassengesellschaft“, welche einen groben Überblick über die globale oder länderspezifische Ausbreitung der Armut zulässt. Um eine genauere Analyse durchführen zu können ist eine weitere Unterteilung unumgänglich.

Zu diesem Zweck ist es nützlich, die einzelnen Kriterien zu hinterfragen. Die Weltbank unterteilte die Subsistenzkriterien in harte und weiche Grundbedürfnisse. Zu den harten Grundbedürfnissen zählen demnach die Ernährung und die Trinkwasserversorgung, welche durch statistische Werte abgegrenzt werden können. Die Ernährung wird laut der Weltbank in Kalorien angegeben, deren Bedarf bei unterschiedlichen Quellen zwischen 2300 Kcal und 2600 Kcal schwanken. Beim Trinkwasser geht man von der Verfügbarkeit sauberen Trinkwassers aus und legt eine Entfernung zur nächsten Quelle von weniger als 200 m fest. Die statistische Abgrenzung der weiteren Kriterien gestaltet sich jedoch schwieriger. Zum einen wird die Gesundheit angegeben, bei der die Bekämpfung verbreiteter Krankheiten sowie eine Ernährungs- und Hygieneberatung im Mittelpunkt steht. Bei welchem Wert wir davon ausgehen können ist statistisch unklar, da es keinen Messpunkt gibt. Zum anderen gilt die Unterkunft als weiteres Kriterium. Sie „…soll [den] Menschen dauerhaften Schutz vor klimatischen und anderen Umwelteinflüssen gewähren.“ (Schubert 1994:15). Die Quantifizierung der weichen Kriterien gestaltet sich schwierig. Daher fehlen für die Grunderziehung, die politische Partizipation, die menschlichen Freiheiten, die soziale Geborgenheit, das Selbstwertgefühl oder aber die Arbeitsbedingungen sämtliche Vorgaben. Bis auf Versuchen eine ausreichende Versorgung mit weichen Kriterien darzustellen, existieren darüber keine Angaben, da sie sich zu einer Quantifizierung nicht eignen. (vgl. Schubert 1994:16)

Die Beurteilung der Einkommenskriterien scheint auf den ersten Blick recht einfach zu sein. Es wäre möglich eine Armutsgrenze festzulegen, unter der ein menschenwürdiges Leben nicht möglich ist. Hierbei stößt man allerdings an die Grenze der Wertzuweisung. Eine Möglichkeit der Wertzuweisung besteht in der Aufstellung eines Warenkorbes, der aus Gütern und Dienstleistungen besteht. Daraus wird ein Preis errechnet, dessen Wert für ein Existenzminimum notwendig ist und welcher als Armutsgrenze fungiert. Es ist jedoch nicht möglich eine allgemeingültige Aussage über notwendige Güter und Dienstleistungen und deren Preise aufzustellen, da diese global unterschiedlich bewertet werden. Ein auf dieser Basis berechneter Durchschnittswert würde unweigerlich zu Verzerrungen führen, die ein falsches Bild der Realität abgeben. Eine weitere Möglichkeit wäre das - bereits erwähnte - Pro-Kopf-Einkommen, welches aber nicht die soziokulturellen Grundbedürfnisse erfasst. Des Weiteren muss hierbei wieder der informelle Sektor beachtet werden, der in diese Bewertung ebenfalls nicht mit einfließt. Eine grobe Einteilung sollte dennoch möglich sein, welche aber in keinem Fall ausreichend ist, die wahren Verhältnisse offen zulegen.

2.4. Statistische Grenzwerte und Indikatoren

Die Vielzahl der Organisationen und Institutionen, welche sich mit der Unterentwicklung und Armut beschäftigen, führte zu verschiedenen Grenzwerten oder Indikatoren. Weiterhin haben neue Erkenntnisse eine Überarbeitung und Änderung dieser Grenzwerte zur Folge gehabt. Die wichtigste Institution ist in diesem Zusammenhang die - bereits erwähnte - Weltbank. Ihre statistischen Erhebungen gelten als die zuverlässigsten und werden demnach häufiger herangezogen. Viele Autoren beziehen sich in ihren Arbeiten auf diese Daten, auf welche jetzt näher eingegangen werden soll.

Laut der Weltbank konzentrieren sich die Armen auf Südasien (ca. 510 Mio.), Südostasien (ca. 450 Mio.), Afrika (ca. 220 Mio.) und auf Lateinamerika mit 130 Mio. Menschen. Festhaltend an die Definition nach R. McNamara bezeichnet die Weltbank Krankheit, Analphabetentum, Unterernährung und Verwahrlosung als Merkmale der Armut. Krankheit kann hierbei als Folge der Unterernährung angesehen werden, welche wiederum durch den Mangel an Nahrung zustande kommt. Nach Schätzungen der Weltbank leiden rund 820 Mio. Menschen in den Entwicklungsländern an Unterernährung. Als Gründe hierfür sind die unzureichende „…subsistenzorientierte Nahrungsmittelproduktion […] und Bareinkünfte…“ (WEB 2003: 99) anzusehen, welche zu beschränkten Ressourcen führen. Als Folge der Unterernährung sind viele Menschen anfällig gegen Krankheiten und haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Das erklärt die geringen Lebenserwartungen, welche mit rund 50 Jahren angegeben werden. Ein Ausweg aus dieser Lage könnte eine ausreichende Schulbildung bewirken. Doch trotz des Ausbaus des Bildungswesens in den letzten Jahren wird die Zahl der Analphabeten auf einem hohen Niveau bleiben. Heutzutage haben rund 40 % der Bevölkerung in den Entwicklungsländern keine Schulbildung erhalten. Mit dem weiteren Anstieg der Bevölkerungszahlen kann der Ausbau des Schulwesens allerdings nicht mithalten, so dass eine steigende Tendenz zu erwarten ist.

Laut der IDA – einer Tochtergesellschaft der Weltbank – wird die Armutsgrenze anhand von fünf Kernindikatoren quantitativ bestimmt. Allen voran benutzt sie das Pro-Kopf-Einkommen eines Landes um dessen Entwicklungstand zu beurteilen. Es ergibt sich aus der Division des Bruttoinlandsprodukts durch die Bevölkerungszahl des Landes. Obwohl dieser Wert recht häufig angewandt wird, weist er doch eine erhebliche Schwäche auf. So werden nur marktwirtschaftlich bewertete Güter und Dienstleistungen einbezogen, ohne dabei den – in Entwicklungsländern enormen – informellen Sektor zu berücksichtigen. Güter und Dienstleitungen aus diesem Sektor werden nicht staatlich erfasst und fließen demnach in keine offizielle Statistik ein. Demnach besitzt dieser Wert eine geringe Aussagekraft über die Lebensbedingungen der Bevölkerung eines Landes. Weiterhin legte der IDA die Lebenserwartung als Indikator fest. Sie stufte die Länder, dessen Bevölkerung eine Lebenserwartung von 55 Jahren nicht überstieg, als Entwicklungsland ein. Auch anhand der Kindersterblichkeit, die mehr als 33 Sterbefälle pro Tag aufweisen soll, kann laut dem IDA der Entwicklungsstand einer Gesellschaft beurteilt werden. Schließlich wird zur Beurteilung noch eine Geburtenrate von mehr als 25 Geburten pro Tag hinzugenommen.[1] Diese Indikatoren scheinen durchaus zuverlässig zu sein, obwohl auch hier angemerkt werden muss, dass peripher gelegene Bevölkerungsschichten nicht einbezogen werden. Allerdings weisen diese oft so geringe Lebenserwartungen auf, dass keine Auswirkungen auf den landesweiten Durchschnitt zu erwarten sind.

Die ILO (International Labour Organisation) beschränkt sich bei der Festlegung der Grenzwerte lediglich auf den Arbeitssektor. Hierbei wird der Durchschnittsverdienst mit dem eines ungelernten Arbeiters in einem Großbetrieb der verarbeitenden Industrie in Indien verglichen. Allerdings kann dieser Durchschnittswert noch keine Auskunft über den tatsächlichen Entwicklungsstand eines Landes geben, denn dazu sind mehrere Indikatoren notwendig. Auch wenn die ILO diesen Wert als Grenze der Armut festlegt, sagt sie doch noch sehr wenig darüber aus.

[...]


[1] Bei diesen Daten wird jeweils mit den Durchschnittswerten gearbeitet.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Strukturen der Armut in Bolivien und deren Erfassung im Ländlichen Raum mit Hilfe ausgewählter Faktoren
Untertitel
Sowie (inter-)nationale Hilfsmaßnahmen
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
1,5
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V85750
ISBN (eBook)
9783638008280
Dateigröße
861 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Strukturen, Armut, Bolivien, Erfassung, Ländlichen, Raum, Hilfe, Faktoren
Arbeit zitieren
Daniel Hampicke (Autor:in), 2004, Strukturen der Armut in Bolivien und deren Erfassung im Ländlichen Raum mit Hilfe ausgewählter Faktoren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85750

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