Montessori-Pädagogik in der Hauptschule

Eine analytische und kritische Darstellung


Examensarbeit, 2007

79 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung

2. Die Reformpädagogik: Das Jahrhundert des Kindes
2.1 Ursprünge
2.1.1 Jean- Jacques Rousseau (1712 bis 1778)
2.1.2 Reformpädagogik (Ende 19. bis Anfang 20. Jahrhundert)
2.1.3 Peter Petersen (1884 bis 1952)
2.1.4 Célestin Freinet (1896 bis 1966)
2.2 Der offene Unterricht
2.3 Die Öffnung des Unterrichts durch Freiarbeit

3. Maria Montessori- Leben und Werk
3.1 Maria Montessoris Weg zur Pädagogik
3.2 Clara Grunwald als Wegbereiterin der Montessori-Pädagogik
3.3 Montessoris Kritik am Schulwesen
3.3.1 Kritik an der Schule als Institution
3.3.2 Kritik an der mangelnden Lebensorientierung der Schule
3.3.3 Kritik an der Rolle des Lehrers
3.3.4 Kritik an der herkömmlichen Erziehung Jugendlicher

4. Maria Montessoris Pädagogisches Konzept
4.1 Die sensiblen Phasen
4.1.1 Phase 1: Geburt bis 6 Jahre
4.1.2 Phase 2: 6 bis 12 Jahre
4.1.3 Phase 3: 12 bis 18 Jahre
4.2 Die Polarisation der Aufmerksamkeit
4.2.1 Der Verlauf der Polarisation der Aufmerksamkeit
4.2.2 Bedingungen für das Zustandekommen der Polarisation der Aufmerksamkeit
4.3 Der absorbierende Geist
4.4 Die vorbereitete Umgebung
4.5 Das Material
4.6 Die freie Wahl der Arbeit
4.7 Die Rolle der Lehrkraft
4.8 Jahrgangsmischung
4.9 Integration behinderter Kinder
4.10 Der Freiheitsbegriff nach Montessori
4.11 Der Fehler und seine Kontrolle
4.12 Kosmische Erziehung
4.12.1 Die kosmische Theorie
4.12.2 Das Konzept der kosmischen Erziehung
4.13 Die Stille
4.14 Bewegung
4.15 Montessori und Religion
4.16 Der Erdkinderplan
4.16.1 Die Erfahrungsschule des sozialen Lebens
4.16.2 Der Studien- und Arbeitsplan
4.16.3 Die Methoden
4.17 Exkurs: Marchtaler Plan
4.18 Ergebnisse der Montessori-Pädagogik

5. Montessoripädagogik in der Hauptschule
5.1 Hauptschüler und die Pubertät
5.2 Zur Problemlage der gegenwärtigen Hauptschule
5.3 Notwendigkeit eines alternativen Schulkonzepts

6. Die Integrative Montessori-Schule Sasbach e.V
6.1 Lehrer
6.2 Die Schüler
6.3 Das Material
6.4 Räumliche Bedingungen
6.5 Der Tagesablauf an der IMS
6.6 Die Freiarbeit
6.7 Die Dokumentation der Arbeit
6.8 Noten
6.9 Kritik an der Integrativen Montessori-Schule Sasbach e.V

7. Kritik
7.1 Kritik an der Reformpädagogik allgemein
7.1.1 Idealisiertes Menschenbild
7.1.2 Reform selbst muss reformiert werden
7.1.3 Ineffektives Lernen
7.1.4 Realisierbarkeit
7.2 Kritik speziell an der Montessori-Pädagogik
7.2.1 Zum Material
7.2.2 Überforderung
7.2.3 Verhältnis zwischen Erwachsenen und dem Kind
7.2.4 Generelle Vorwürfe
7.2.5 Mangel an Systematik
7.2.6 Utopie des Konzepts für die Sekundarstufe
7.3 Stellungnahme zur Kritik

8. Nachwort

Literaturverzeichnis

Internetquellen:

Anhang

Erklärung

Vorwort

Während meines Studiums besuchte ich zahlreiche Seminare zur Reformpädagogik und lernte dabei die Person Maria Montessori sowie ihr pädagogisches Konzept kennen.

Die praktische Umsetzung der Montessori-Pädagogik durfte ich dann im Rahmen meines zweiten Blockpraktikums an der Clara-Grunwald-Schule, einer Montessori-Grundschule in Freiburg-Rieselfeld, erstmals miterleben.

Von Beginn an war ich von Maria Montessori fasziniert und so stand die Wahl meines Themas für die Zulassungsarbeit zum ersten Staatsexamen recht schnell fest. Am häufigsten wird in Kinderhäusern und Grundschulen auf Basis der Montessori-Pädagogik gearbeitet. Es gibt jedoch auch einige Schulen, welche die Montessori-Methode im Sekundarbereich umsetzen. Da ich mich zu Beginn meines Studiums für den Stufenschwerpunkt „Hauptschule“ entschlossen hatte, interessiere ich mich ganz besonders für die Möglichkeiten und Grenzen einer Umsetzung der Montessori-Pädagogik in dieser Schulart.

Um mich dem Thema nicht nur über den Weg der Literatur anzunähern, sondern auch die praktische Umsetzung der Montessori-Pädagogik in der Sekundarstufe kennenzulernen, habe ich im Rahmen dieser Arbeit an der Integrativen Montessori Schule Sasbach e.V. hospitiert. Ich war von den Umsetzungsmöglichkeiten positiv überrascht. Mein Interesse an der Montessori-Pädagogik wurde hier sogar noch gesteigert.

1. Einleitung

Leistungsstanderhebungen wie PISA, bei denen der Leistungsstand 15-Jähriger geprüft wurde, bescheinigten Deutschland eine miserable Bildungssituation. Die Regelschulen stehen seither in einem schlechten Licht und das Nachdenken über alternative Schulkonzepte mehrt sich. Zu einem dieser alternativen Konzepte der Schulpraxis gehört der pädagogische Ansatz von Maria Montessori, um welches diese Arbeit sich dreht.

Die Fragestellung der Arbeit ist nun, inwieweit man die Montessori-Pädagogik als alternatives Schulkonzept in der Hauptschule umsetzen kann. Ich beabsichtige daher, einen Überblick über die Theorie und Praxis der Montessori-Pädagogik als Beispiel der Umsetzung eines reformpädagogischen Konzeptes in der Sekundarstufe zu geben. Es soll erläutert werden, warum die Montessori-Methode als geeignet angesehen wird und welche Lücken und Schwachpunkte sie dennoch aufweist.

Die Methodik des Vorgehens ist dabei, zunächst einen Überblick über die Prinzipien der Montessori-Methode zu geben, um diese dann an einem Praxisbeispiel zu beleuchten.

Im ersten Teil meiner Arbeit umreiße ich in kurzen Zügen die Reformpädagogik im Allgemeinen, um die Montessori-Pädagogik in den Reformpädagogischen Kontext einordnen zu können.

Daraufhin wird ein Überblick über Montessoris Leben und Werk gegeben und über die Arbeit Clara Grunwalds, die Wesentliches zur Verbreitung der Montessori-Pädagogik in Deutschland beigetragen hat. Ein Überblick über Montessoris Kritik am Regelschulsystem lässt im Folgenden Rückschlüsse auf ihre pädagogischen Motive zu.

Anschließend werden Maria Montessoris pädagogische Prinzipien dargestellt. Hier geht es trotz aller Ausführlichkeit nicht um eine vollständige Darstellung ihres Gesamtwerks, sondern nur um diejenigen Aspekte, die für diese Arbeit von Bedeutung sind.

Der praktische Teil dieser Arbeit analysiert und beschreibt die Umsetzung der Montessori-Pädagogik an der Integrativen Montessori Schule Sasbach e.V. Beschreibungen berufen sich in diesem Teil auf eigene Beobachtungen und zahlreiche Gespräche mit Lehrern und Schülern. Mein Einblick in die Integrative Montessori-Schule-Sasbach e.V. beschränkt sich bedauerlicherweise auf einen kurzen Zeitraum von insgesamt zehn Tagen, so dass leider keine wissenschaftlich begründeten Aussagen getroffen werden konnten.

Der Punkt „Kritik“ wird für die Bildung eines umfassenden Verständnisses der Thematik als wichtig erachtet. Dabei wird sowohl die Theorie, als auch die Praxis im Fallbeispiel beachtet.

Es gibt zahlreiche angrenzende Themen, die im Rahmen dieser Arbeit leider nicht behandelt werden konnten. Gerne hätte ich mehr psychologische Aspekte einfließen lassen. Interessant wäre es auch, die Umsetzung der Montessori-Pädagogik an einem weiteren Fallbeispiel aufzuzeigen und mit dem ersten zu vergleichen, doch dafür war in dieser Arbeit kein Raum.

Anmerkung:

Um ein flüssiges Lesen zu ermöglichen, verzichte ich in dieser Arbeit auf die Nennung der femininen Form. Wann immer eine Person oder Personengruppe in maskuliner Form genannt wird, impliziert dies gleichzeitig die feminine Form.

Aus datenschutzrechtlichen Gründen wurden die Namen aller genannten Personen im Praxisteil geändert.

2. Die Reformpädagogik: Das Jahrhundert des Kindes

2.1 Ursprünge

1902 verfasste die Schwedin Ellen Key ein Buch namens „Das Jahrhundert des Kindes.“ Die engagierte Sozialkritikerin äußert sich in diesem Werk kritisch zum damaligen Schulwesen, zur religiösen Erziehung und zur Kinderarbeit. Auch äußerte sie sich zu zahlreichen weiteren gesellschaftskritischen Themen, doch die eben genannten waren die einzigen, über die man heute noch diskutiert. Was bleibt, ist ihre Theorie von der Würde des Kindes in Anknüpfung an Rousseau. (Vgl. Hansen 1996)

Keys Schlagwort vom „Jahrhundert des Kindes“ hat die reformpädagogische Epoche, auf welche im Folgenden eingegangen wird, geprägt. Nie zuvor dachte man so nachhaltig über den Schutz, die Rechte und die Mitbestimmung von Kindern und darüber, wie man Schule anders gestalten kann, nach.

2.1.1 Jean- Jacques Rousseau (1712 bis 1778)

In seinem Buch „Emile oder Über die Erziehung“ zeigt er die Idee einer Erziehung gemäß der Natur auf.

Die drei Lehrer eines Menschen sind nach Rousseau die Natur, die Menschen und die Dinge. Erziehung gelingt auf optimale Weise, wenn diese drei Faktoren im Einklang miteinander stehen, wobei mit Rousseaus Leitsatz „Zurück zur Natur“ deutlich wird, dass er die Natur als die wichtigste Größe erachtet. (Vgl. Gervé 1998, S. 37 f.)

Rousseau war der Auffassung, dass alles gut ist, wie es die Natur hervorbringt, doch dass durch den Menschen alles entartet. Da der Säugling jedoch auf Erziehung angewiesen ist, muss er vor den schlechten Beeinflussungen der Gesellschaft geschützt werden. Die Erziehung eines Kindes sollte sich laut Rousseau also nach der Natur anstatt nach der Gesellschaft richten. Verweichlichungen seien daher unbedingt zu vermeiden, es sollte nur auf die natürlichen Bedürfnisse des Kindes eingegangen werden. Auch wenn dies hart klingen mag, ist Rousseau nur auf das Glück des Kindes bedacht, denn laut seiner Theorie wird es auf diese Weise stark. Sein Grundsatz der negativen Erziehung, also möglichst wenig Eingreifen von Seiten des Erziehers, setzt sich in der Reformpädagogik fort. Der Erzieher ist nach diesem Prinzip auch dafür verantwortlich, die Lernumgebung passend und naturgemäß zu gestalten. So soll sich das Kind frei und aus sich heraus entwickeln können. (Vgl. Gudjons 2003, S.83 f.)

2.1.2 Reformpädagogik (Ende 19. bis Anfang 20. Jahrhundert)

Unter Reformpädagogik versteht man eine historische Epoche, welche sich grob von 1890 bis 1933 datieren lässt. In dieser Epoche stellten zahlreiche Pädagogen fest, dass der Unterricht sich verändern sollte. Bedeutende Pädagogen setzen sich für die Hinwendung zum Kind und dessen Bedürfnissen innerhalb der Schule ein.

Ende des 19. Jahrhunderts gab es einen gesamtgesellschaftlichern Wandel. Man wollte raus aus den menschenverachtenden Zwängen, die das Leben bestimmten. Auch das bisherige Bildungssystem wurde in Frage gestellt. Es kam zu einer „Erziehung vom Kinde aus“. Erstmals wurde das Hauptaugenmerk der schulischen Erziehung auf die Eigentätigkeit des Schülers und auf handelndes Lernen gerichtet. Dies äußerte sich in Methoden wie der Kunsterziehungsbewegung, der Waldorfschulen, antiautoritärer und demokratischer Ansätze. (Vgl. Gervé 1998, S. 39)

2.1.3 Peter Petersen (1884 bis 1952)

Der zentrale Begriff in der Pädagogik Petersens ist die Sicherheit in der Gemeinschaft, in der das oberste Ziel ist, füreinander dazusein. Petersen entwarf auch den „Jena-Plan“, in dem verschiedene Reformpädagogische Richtungen miteinander verschmelzen:

Petersen spricht sich für den schülerzentrierten Unterricht aus, in dem weder Alters-, Geschlechter-, noch soziale Trennungen stattfinden. Für den Lehrer ergibt sich daraus nach Petersen, taktvoll und dennoch bestimmt zu handeln. Anstelle von Ziffernoten verteilt Petersen „Charakteristika“, um die Schüler und Eltern über den Leistungsstand zu informieren. Anstelle eines traditionellen Klassenzimmers gibt es nach der Petersenschen Methode eine persönlich gestaltete „Schulwohnstube“, in der die Schüler gemeinsam lernen, spielen, essen und feiern. Das Konzept sieht auch ein Helfersystem unter den Schülern vor. Im Jena-Plan wird außerdem der Unterricht nicht in 45-minütige Abschnitte unterteilt, sondern in einen Wochenplan. (ebd., S. 45 ff)

2.1.4 Célestin Freinet (1896 bis 1966)

Obwohl Freinet kein eigenes theoretisches System entwickelt hatte, lässt er sich zu den „Großen“ der Reformpädagogik zählen. Er nahm Elemente der Reformpädagogik auf und verband sie miteinander zu einer Schul- und Unterrichtskonzeption.

Freinet geht davon aus, dass der Mensch mit einer Lebensenergie ausgestattet ist, welche seine Entwicklung vorantreibt. Diese Entwicklung geschehe stets durch ein „tastendes Suchen“, was Freinet als Grundsatz allen menschlichen Handelns sieht. Für Freinet ist Erziehung immer eine Hilfe zum Wachsen für das Kind, welche anhand eigener Erfahrungen stattfindet. (Vgl. Gervé 1998, S. 56)

Einige seiner wichtigsten Prinzipien sind das Recht jeden Schülers auf Individualität und seinen eigenen Lernprozess, der Abbau jeglicher Selektionen und kein einfaches Eintrichtern von Lerninhalten, sondern das Fördern eigenen Denkens. (Vgl. Dietrich 1992, S. 49, zit. nach Gervé 1998, S. 58)

Die Schüler haben im Unterricht nach Freinet drei grundsätzliche Freiheiten:

1. Die Freiheit, sich zu organisieren. Sie haben die freie Wahl bezüglich der Arbeit, der Arbeitsform, der Zeitdauer und weiterer Aspekte
2. Die Freiheit, zu handeln. Entdeckendes Lernen spielt für Freinet eine Schlüsselrolle in der Erziehung.
3. Die Freiheit, sich auszudrücken und zu kommunizieren. Dies kann schriftlich, mündlich, grafisch, musikalisch, handwerklich oder körperlich, in Form von Bewegungstänzen, Theater oder Sport und Spiel geschehen. (Vgl. Jung nach Hecker u.a. 1991, M6/F, zit. nach Gervé 1998, S. 62)

2.2 Der offene Unterricht

Beim offenen Unterricht werden die Schüler mit einbezogen und als Person wahrgenommen. Sie dürfen mitbestimmen, mitverantworten und mitgestalten. Es werden verschiedenste Arten des Lernens integriert, um die Schüler auf zahlreichen Gebieten zu fördern, und zwar im „kognitiven, motorischen, aber auch im emotionalen und sozialen Bereich“. (Vgl. Gervé 1998, S.7)

Dies bedeutet natürlich nicht, dass die Reformpädagogik davon ausgeht, dass jeder alles lernen kann, wenn es auf die richtige Art und Weise vermittelt wird, doch Stärken und Schwächen der Schüler werden als Normalitäten angesehen, die man nicht beseitigen braucht. (Vgl. Potthoff 2000, S. 172)

Im offenen Unterricht wird der Term „lehren“ zu „lernen lassen“. Die Selbstaktivität der Schüler steht also im Vordergrund. Didaktische und methodische Herangehensweisen stellen beispielsweise die Freiarbeit oder die Wochenplanarbeit dar. (Vgl. Gervé 1998, S. )

Die Ziele des offenen Unterrichts, der prozess- anstatt produktorientiert ist,

liegen in der Entfaltung der Persönlichkeit jedes einzelnen Schülers, in dessen Selbstständigkeit und dem sozialen Lernen. Laut Gervé stellen die Begriffe Würde, Freiheit und Weltoffenheit beim offenen Unterricht zentrale Kategorien dar: Jeder Schüler wird mit all seinen Merkmalen und Fähigkeiten akzeptiert, gefördert und integriert. Die Würde anderer zu achten bedeutet gleichzeitig einen „toleranten und humanen Umgang miteinander“. Im Zusammenhang mit offenem Unterricht spricht man von Freiheit unter anderem im Bezug auf Entscheidungsfreiheit. Die Schüler können sich aussuchen, welche Lerninhalte und welche Methoden sie nutzen möchten. Dies ermöglicht ein „frei sein von fachlichen oder zeitlichen Grenzen, von Leistungsdruck, Konkurrenzkampf und Angst.“ Außerdem gelten soziale und freiheitlich-demokratische Umgangsformen. Mit der dritten Kategorie nach Gervé, der Weltoffenheit, ist gemeint, dass sich die Lehre an der Lebenswirklichkeit der Lernenden orientiert. Das Lernen erfolgt zukunfts- und handlungsorientiert, es geht über die Schule hinaus, steht jedoch unter deren Schutz. (ebd., 1998, S.9)

2.3 Die Öffnung des Unterrichts durch Freiarbeit

„Schränkte… das Lernen sich auf ein bloßes Empfangen ein, so wäre die Wirkung nicht viel besser, als wenn wir Sätze auf das Wasser schrieben; denn nicht das Empfangen, sondern die Selbsttätigkeit des Ergreifens und die Kraft, sie wieder zu gebrauchen, macht erst eine Erkenntnis zu unserem Eigentum“ (G.W.F. Hegel 1970, zit. nach Eichelberger 1997, S. 21)

In der Freiarbeit wird der Unterricht subjektorientiert umgesetzt. Durch zahlreiche innere Differenzierungen wird das Lernen individualisiert und selbständiges Lernen wird ermöglicht. Ohne direkte Einflussnahme seitens des Lehrers kommt es zu Selbsttätigkeit der Schüler. (Vgl. Krieger 1994, S. 1) Die Schüler wählen selbst aus einem vom Lehrer festgelegten Angebot didaktischer Materialien, was sie bearbeiten möchten. Sämtliche Materialien wurden zuvor eingeführt. Sie haben außerdem die Freiheit der Wahl bezüglich der Zeitdauer, in der sie eine Aufgabe bearbeiten möchten, der Sozialform, des Arbeitsplatzes, des Schwierigkeitsgrades und des Tempos. Alle Materialien haben die Möglichkeit zur Selbstkontrolle und es wird schriftlich, zum Beispiel in einem Wochenplan, festgehalten, was gearbeitet wurde. (Vgl. Gervé 1998, S. 11)

Zahlreiche Schulen arbeiten auch mit Pflichtaufgaben, denen die Schüler in der Freiarbeit nachkommen müssen. Oft werden diese im sogenannten „Wochenplan“ festgehalten. Freiarbeit ist in diesem Zusammenhang also nicht mit der Freiheit, sich Umfang und Intensität der Arbeit gänzlich selbst auszuwählen, gleichzusetzen. Ausschlaggebend ist die persönliche Verantwortlichkeit der Schüler, welche durch das Treffen eigener Entscheidungen entsteht. Auch der anteilige Umfang der Freiarbeit innerhalb des Stundenplans wird von Schule zu Schule unterschiedlich gehandhabt. (Vgl. Wallrabenstein 1994, S. 95)

Da die Schüler in der Freiarbeit selbst entscheiden, welchen Schwierigkeitsgrad

einer Lerneinheit sie bearbeiten möchten, lernen sie einerseits, sich selbst besser einzuschätzen und erfahren andererseits durch die Selbstkontrolle oftmals eine Steigerung des Selbstvertrauens, da sie nicht vom Lehrer korrigiert werden müssen. Sie fühlen sich durch die gewährten Freiheiten ernst genommen und mündig. Gleichzeitig lernen sie, selbständig zu werden und Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen. (Vgl. Gervé 1998, S. 11 ff.)

Auch auf den Lehrer warten zahlreiche neue Aufgaben. Die wohl wichtigste unter ihnen ist es, die Schüler zu motivieren. Ihm muss es gelingen, sich zurückzunehmen, um zu gewährleisten, dass die Schüler selbständig arbeiten können. (Vgl. Krieger 1994, S.3)

3. Maria Montessori- Leben und Werk

3.1 Maria Montessoris Weg zur Pädagogik

Im Rahmen dieser Arbeit erscheint es sinnvoll, einen kurzen Überblick über das Leben Maria Montessoris zu geben, um ihr Werk besser nachvollziehen zu können.

Maria Montessori wurde am 31. August 1870 in der Nähe von Ancona in Italien geboren. Sie war das einzige Kind von Alessandro Montessori, einem Beamten, und ihrer Mutter Renilde Montessori, geb. Stoppani, welche für die damalige Zeit äußerst gebildet war und eine liberale Einstellung hatte. Die Kindheit Maria Montessoris war recht ungleich der sonst im Italien dieser Zeit üblichen: Auf der einen Seite war Renilde Montessori der Meinung, man müsse mit Kindern streng umgehen. Maria wurde also keineswegs verhätschelt. Auf der anderen Seite genoss sie eine sehr liebevolle Erziehung in einer relativ demokratischen Familie und wurde oftmals beispielsweise zum Lesen ermuntert. Außerdem musste die kleine Maria täglich gewisse Pflichten erfüllen, welche ärmeren oder kranken Menschen in der häuslichen Umgebung zugute kamen. (Vgl. Kramer 1995, S. 24 ff.)

Im Jahre 1875 zog die mittelständische Familie wegen einer dienstlichen Beförderung des Vaters nach einigen vorhergehenden Umzügen nach Rom.

Eine Grundschulzeit wie die der Maria Montessori gibt es heute nicht mehr: Viele der schlecht bezahlten Lehrer konnten selbst gerade noch lesen, schreiben und ein wenig rechnen. Die Ausstattung der Schulen war nach heutigem Verständnis katastrophal. Es gab nicht genug Lernmaterial, zu wenige und zu kleine Klassenräume, welche oft auch dreckig waren. Der Unterricht war außerdem geprägt von Zucht und Gehorsam. (ebd., S. 30 ff.)

Doch Maria ging ihren eigenen Weg:

„Das Mädchen (…) ist selbstsicher, willensstark, ein wenig selbstgefällig. Sie hat jenes Pflichtgefühl, das manchmal zur Intoleranz gegenüber anderen führt. Kurzum, sie war die geborene Sozialreformerin und gewiss eine auffallende Einzelgängerin dort und damals“ (ebd., S.33)

Als Maria dreizehn Jahre alt war, besuchte sie gegen den expliziten Willen ihres Vaters, jedoch unter Zuspruch ihrer Mutter, ein technisches Gymnasium. Auch hier war alles anders als in Montessoris späterer Pädagogik. Bewegungslos saßen die Schüler in ihren Bänken, während sie alle gleichzeitig dieselben Aufgaben bearbeiteten, welche keinen größeren Zusammenhang erschließen ließen. Für Individualität und Selbstständigkeit gab es keinen Raum. Dennoch erreichte sie 1886 ausgezeichnete Zensuren bei den Abschlussprüfungen. (ebd., S. 34 ff.)

Die nächsten vier Jahre verbrachte sie auf dem Regio Istituto Tecnico Leonardo da Vinci, wo sie wiederum sehr erfolgreich Sprachen, Naturwissenschaft und Mathematik studierte. Der nächste Schritt ihres langen Weges bestand im Studium der Physik, Mathematik und Naturwissenschaften an der Universität Rom. Das Diplom, welches sie hier 1892 erlangte, berechtigte sie theoretisch zu einem Studium der Medizin. Zunächst stand jedoch die Tatsache im Weg, dass sie eine Frau war. Nach langen Kämpfen, bei denen sie ihre Mutter stets unterstützte, wurde ihr dann doch noch ein Studienplatz zugesagt. Dies war ein Skandal in der damaligen Zeit, denn somit war Montessori die erste Frau Italiens, die ein Medizinstudium absolvieren würde. Doch nachdem sich sogar Papst Leo XIII dafür ausgesprochen hatte, Frauen dies zu erlauben, beruhigten sich die Gemüter langsam. Maria Montessoris Anwesenheit an der Universität war jedoch nicht nur im Hinblick auf ihre Weiblichkeit, welche ihr das Universitätsleben oftmals schwer machte, andersartig. Sie fiel auch und vor allen Dingen durch ihre überdurchschnittlichen Leistungen und ihr Interesse auf. 1896 schloss sie ihr Studium mit Bravour ab und übte ihren Beruf in verschiedenen Krankenhäusern und in ihrer eigenen Praxis aus. Vor allem arbeitete sie im psychiatrischen Bereich und mit Kindern. (ebd., S. 42 ff.)

Sie beschäftigte sich mit den Werken von Itard und Séguin, welche zahlreiche Arbeiten über die Erziehung geistig behinderter Kinder verfasst hatten. Montessori wurde Leiterin des Heilpädagogischen Institutes in Rom, wo sie auch erste Materialien entwickelte. Im Verlauf ihrer Arbeit kam sie zu dem Schluss, dass für die geistig zurückgebliebenen Kinder keine medizinische, sondern vielmehr pädagogische Versorgung notwendig sei, um ihnen zu helfen. In der Zwischenzeit wurde Maria Montessori zu einer Person, die in der Öffentlichkeit bekannt war.

Ende des Jahres 1899 trat sie auch eine Stelle an einer der zwei Lehrerbildungsanstalten für Frauen in Italien an, wo mittlerweile 220 Studentinnen eingeschrieben waren. (ebd., S. 88 ff.)

An ebendieser Scuola Ortofrenica machte sie viele Versuche mit Materialien und Methoden. Hier entdeckte sie ihre Zuneigung zur Pädagogik. Montessori schaffte es auf ihre Art und Weise, vielen geistig behinderten Schülern Fertigkeiten beizubringen, von denen niemand glaubte, sie würden diese jemals beherrschen können. Dabei bezog sie die Lehren vieler Mediziner, Pädagogen und Anthropologen, wie zum Beispiel Fröbel, mit ein. Was sie hier über das Lehren und die Erziehung herausgefunden hatte, lehrte sie wiederum ihren Studentinnen. Die von Montessori unterrichteten Kinder nahmen auch an einem Wettbewerb teil an dem auch „gesunde“ Kinder teilnahmen. Viele Leute glaubten an ein Wunder, denn Montessoris Schüler schnitten ebenso gut ab wie die anderen. Montessori zog aus diesen Ergebnissen den Schluss, dass dies nur möglich sein konnte durch die andere Art des Unterrichtens. Sie fragte sich, wie dies auf „normale“ Kinder wirken würde. An diesem Punkt ihres Lebens, im Jahre 1901, entschloss sie sich, auch aus persönlichen Gründen, für den Weg weg von der Medizin und hin zur Pädagogik und nahm ein zweites Studium auf. Sie belegte Kurse in Pädagogik, Hygiene, Anthropologie und Experimentalpsychologie. Drei Jahre später hielt sie auch Vorlesungen über Anthropologie und deren Bedeutung für die Pädagogik und über Aspekte der Biologie, welche für die Pädagogik von Bedeutung sind. (ebd., S.110 ff.)

In der Zwischenzeit gebar sie ihren unehelichen Sohn Mario, den sie in der damaligen Gesellschaft aus diversen Gründen nicht selbst erziehen konnte und der daher in einer Pflegefamilie auf dem Land aufwuchs, lange Zeit ohne zu wissen, dass Maria Montessori seine Mutter war. Zu diesem vermutlich seitenfüllenden Thema sei nur soviel erwähnt, dass Maria Montessori zum ersten und einzigen Mal in ihrem Leben mit der Weggabe ihres Kindes dem Druck von Freunden und Familie nachgegeben hat. (ebd., S. 115)

Im römischen Stadtteil San Lorenzo entstanden mittlerweile Unterkünfte für sozial schwächere Familien. Die Kinder tobten den ganzen Tag auf den Straßen herum und machten vieles kaputt. Daher wurde Montessori von den Direktoren der Beni-Stabili- Gesellschaft gebeten, diese Kinder zu beaufsichtigen. Diese Aufgabe stellte sich anfangs als schwierig heraus. Montessori bekam keine Mittel für die Betreuung der Kinder, also sammelte sie zunächst Geld für Essen und Spielzeug. Im Januar 1907 wird das Casa dei Bambini eröffnet. Die Tochter des Hausmeisters zog als Leiterin in dieses Kinderhaus ein. Nun konnte Montessori ihre Methoden an nicht-behinderten Kindern ausprobieren: (ebd., S.133 ff.)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Maria Montessori gibt eine Materialeinführung (Uni Hamburg 2007)

Montessori zog sich nach und nach ganz aus ihrem Leben als Ärztin zurück und widmete ihre Zeit und Arbeit der Pädagogik. Sie hielt in vielen Ländern Vorträge und gab Kurse um ihre Methode zu verbreiten. Sie erhielt dabei meist „die Art von Anerkennung, nach der sie gehungert hatte – nicht nur öffentliche Beachtung, sondern die offizielle Unterstützung und die akademische Mitarbeit, die es ermöglichen würden, ihre Arbeit in neuen Richtungen zu erweitern, (…)“ (Kramer 2004, S. 325) Vielerorts entstanden nationale Montessori-Gesellschaften, welche sich 1929 zur „Association Montessori International“ zusammenschlossen.

Um dem Faschismus in Europa zu entfliehen, reiste Montessori 1939 nach Indien um dort die nächsten sieben Jahre zu leben und für ihr Ziel zu arbeiten. Zusammen mit ihrem Sohn Mario bildete sie in Indien rund 1000 Lehrer aus. (Vgl. BRO 2007)

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Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Montessori-Pädagogik in der Hauptschule
Untertitel
Eine analytische und kritische Darstellung
Hochschule
Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
79
Katalognummer
V85621
ISBN (eBook)
9783638900492
ISBN (Buch)
9783638949835
Dateigröße
1577 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Montessori-Pädagogik, Hauptschule, Eine, Darstellung
Arbeit zitieren
Katja Renkert (Autor:in), 2007, Montessori-Pädagogik in der Hauptschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85621

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