Das Demokratiedefizit in der Europäischen Union

Europa als Demokratie nach dem Muster der Nationalstaaten?


Seminararbeit, 2007

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Demokratiedefizit in der Europäischen Union

3. Warum traditionelle Legitimationsvorstellungen nicht auf das politische System der EU anwendbar sind

4. Warum das Parlament über ausreichende Kompetenzen verfügt
4.1 Warum das Parlament nicht gleichberechtigt neben dem Ministerrat stehen sollte
4.2 Das Europäische Parlament sollte nicht die Kommission wählen

5. Schluss

6. Literaturliste

1. Einleitung

Spätestens seit die Europäische Union nicht mehr ausschließlich auf den Gebieten der Friedenssicherung in Europa und der Bildung einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft verantwortlich zeichnet, wird über ihre demokratische Legitimierung angeregt debattiert und gestritten. Die öffentliche Diskussion nimmt hierzu teilweise hysterische Züge an, so hat die Tagesschau Autorin Sabine Klein gar „Angst vor einem europäischen Superstaat“ und angesichts solcher und ähnlicher Äußerungen hat man das von Marx beschworene Gespenst auf den Lippen, welches in Europa umgeht, nämlich das Gespenst einer undemokratischen Union.

Auf der Ebene der Nationalstaaten besteht weitgehende Deckungsgleichheit von Staatsbürgern, Trägern der Souveränität und einer öffentlichen Meinungsbildung. Dieses Verhältnis hat sich jedoch mit einer zunehmenden europäischen Integration verschoben (vgl. Kielmansegg 2006). Fast einhellig wird daher in der wissenschaftlichen Literatur ein Demokratiedefizit im politischen System der Europäischen Union beklagt (vgl. Kielmansegg 2006, Höreth 1999, Decker 2002, Scharpf 1999). Mit Ausweitung der Kompetenzen und der zunehmenden Übertragung von mitgliedsstaatlichen Hoheitsrechten auf die politische Bühne Europas wurde eine Thematisierung dieses Defizits auch notwendig, denn nicht wenige auf europäischer Ebene erlassene Rechtsakte wirken sich mitunter einschneidend auf die Bürger der Mitgliedsstaaten aus, so dass es nahe zu liegen scheint, zunächst die demokratische Legitimierung der europäischen Institutionen zu hinterfragen und dass bestehende demokratische Defizit durch strukturelle Veränderungen im politischen Prozess zu beseitigen. Das Defizit besteht folglich in der nur teilweise bestehenden Übereinstimmung von Betroffenen europäischer Beschlüsse auf der einen und Wählern der Herrschaftsinstanzen auf der anderen Seite.

Doch die Frage die sich dann entspinnt, scheint ebenso notwendig wie entscheidend für den fortschreitenden Integrationsprozess der Europäischen Union zu sein: Welches Maß an Demokratie ist auf europäischer Ebene tragbar, um eine effiziente politische Gestaltung durch die Organe der EU zu garantieren? Diese Frage steht im Mittelpunkt der folgenden Arbeit und es soll untersucht werden, ob eine völlige Politisierung und Demokratisierung europäischer Politikbereiche sinnvoll erscheint. Hierzu wird in einem ersten Schritt das Demokratiedefizit der Europäischen Union beschrieben. Dies wird jedoch betont knapp ausfallen, da nur die Grundzüge dieses Problems vorgestellt werden, auf dessen Folie der eigentlichen Diskussion der notwendige Platz eingeräumt wird. Anschließend wird die im Titel gestellte Frage ausführlich diskutiert werden. Anhand wissenschaftlicher Literatur wird nachgezeichnet, dass ein nationalstaatliches Demokratieverständnis auf das politische System der Europäischen Union nicht anwendbar ist und das Demokratische Defizit sich nicht dadurch beseitigen lässt, in dem man die Kompetenzen des Parlaments stärkt, wie es so oft gefordert wird. Vielmehr sollte das Defizit als ein notwendiges Übel angesehen werden, dass einerseits eine effektive Politikgestaltung auf europäischer Ebene erlaubt und zum zweiten die nationalen Demokratien schützt.

2. Das Demokratiedefizit in der Europäischen Union

Die Diskussion um das Demokratische Defizit findet in der wissenschaftlichen Literatur unterschiedliche Ansätze. Grob zu unterscheiden sind drei Analyseansätze: Erstens werden die einzelnen Institutionen der EU auf ihre demokratische Legitimität hin untersucht. Zweitens werden der Prozess der Entscheidungsfindung und die Qualität der Ergebnisse analysiert und drittens wird auf der Adressatenebene ein fehlender europäischer `Demos` konstatiert. In der folgenden Erläuterung werden die ersten beiden Ansätze im Mittelpunkt stehen, welche jedoch nicht isoliert voneinander betrachtet werden sollten, da sie sich durchaus gegenseitig bedingen.

Die institutionell-formale Legitimation bezieht sich vor allem auf die legislativen und exekutiven Organe der EU, namentlich den Ministerrat, die Kommission und das europäische Parlament. Was die legislativen Funktionen angeht, so kommt dem Ministerrat eine Schlüsselrolle zu (Kielmansegg 2006, S. 54). In ihm sind die Regierungsmitglieder der einzelnen Mitgliedsstaaten vertreten, die aus demokratischen Wahlen auf National­staatsebene hervorgehen und in diesen auch zur Verantwortung gezogen werden können. Wie Follesdal und Hix jedoch feststellen ist diese Legitimierungsübertragung von nationaler auf supranationale Ebene begrenzt, da nationale Wahlen keine Europawahlen sind – in ihnen wird nicht über konkurrierende europäische Politikrichtungen abgestimmt (Follesdal/Hix 2005, S. 5). Themen der Europäischen Union spielen in nationalen Wahlen eher eine untergeordnete Rolle. Aus den genannten Gründen ist es also schwierig aus einer nationalen Legitimation der Regierungen eine Befugnis für die europäische Gesetzgebung abzuleiten (Kielmansegg 2006, S.55). Der zweite defizitäre Aspekt, der beim Anlegen einer traditionellen Demokratiemesslatte, sichtbar wird sind die Abstimmungsverhältnisse im Ministerrat. Werden hier Rechtsakte im Einstimmigkeitsverfahren beschlossen, so wie es bis zur Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) 1987 für alle Be­reiche galt, kann jedes Land und damit seine Bevölkerung davon ausgehen, dass der jeweilige politische Wille umgesetzt wird. Mit Implementierung der EEA wurde auch die qualifizierte Mehrheitsregel als Abstimmungsmodus im Ministerrat eingeführt, wonach ein Beschluss als angenommen gilt, wenn mind. 50% aller Mitglieder diesem zustimmen und diese Mitglieder mind. 60% der Gesamtbevölkerung der EU repräsentieren. Diese Abstim­mungsregel stellt in den Bereichen der ersten Säule die Regel dar. Die qualifizierte Mehrheit bedeutet nun jedoch eine Lücke in der Legitimationskette, denn selbst über­stimmte Mitgliedsstaaten müssen das beschlossene europäische Recht auf nationaler Ebene umsetzen obwohl es mit dem nationalen politischen Willen kollidiert.

Hiermit stellt sich dann die Frage, ob dieser Verlust an intergouvernementaler Legitimation durch eine adäquate supranationale Legitimation kompensiert werden kann. In der Tat wurden die Kompetenzen des Europäischen Parlamentes (EP) seit Einführung der EEA sukzessive ausgeweitet und mit der Installierung des Kodezisionsverfahrens wurde das EP zu einem gleichberechtigten, direkt legitimierten Partner des Ministerrates mit einem echten Vetorecht. Jedoch bemängeln Follesdal und Hix, dass „a majority of EU legislation is still passed under consultation procedure, where the Parliament only has a limited power of delay“ (Follesdal/Hix, 2005, S. 5). Innerhalb des Kodezisionsverfahrens in seiner jetzigen Form, lässt sich jedoch feststellen, „dass die Lücke in der intergouvernementalen Legitimation durch Mehrheitsentscheidung im Rat über den supra­nationalen Legitimationsweg durch parlamentarische Verteidigung kompensiert wird“ (Holzinger 2005, S. 96), im Kooperations- und Konsultationsverfahren findet eine solche Kompensation jedoch weiterhin nicht statt. Dennoch ist das EP die zentrale Institution in der Diskussion um das Demokratische Dilemma in der Europäischen Union. Einerseits wird auf die relative Schwäche und die mäßigen Kontrollkompetenzen gegenüber Minister­rat und Kommission des EP hingewiesen und zum anderen ist die Absenz von echten europäischen Wahlen ein Faktor, der auf das EP und seine Parteien zurückwirkt (Follesdal/Hix 2005, S. 5f; Tömmel 2006, S. 221; Nugent 1991, S. 309; Holzinger 2005, S. 94ff).

Die Legitimationsbasis der Kommission hat sich dahingehend verbessert, als dass sich der Kommissionspräsident wie auch seine Kommissare einem Zustimmigkeitsvotum des EP unterziehen müssen. Ernannt werden sie jedoch weiterhin von den Regierungen der Mitgliedsstaaten im gegenseitigen Einvernehmen. Die Kommission ist also nur dahin­gehend legitimiert, als dass sie von direkt gewählten Regierungsmitgliedern ernannt wur­den und der Zustimmung eines direkt gewählten EP unterliegen, wobei ein Miss­trauens­votum des EP nur mit zwei Dritteln der Stimmen möglich ist und die gesamte Kommission als Kollegium entlassen wird. Gerade der letzte Punkt stellt eine psychische Hürde für das EP dar. Man kann also im besten Fall von einer indirekten Legitimation der Kommission sprechen. Die Konsequenzen dieser Legitimationslücke müssen vor allem vor dem Hintergrund der legislativen Kompetenzen der Kommission – durch das Initiativmonopol, Erlassen von Empfehlungen und Entscheidungen (vgl. Nugent 1995) – gesehen werden.

Der Prozess der Entscheidungsfindung innerhalb der Europäischen Union wird oft als technokratisch definiert (Radaelli 1999, S. 758), in dem die Bürger keine Akteure, sondern lediglich Adressaten supranationaler Entscheidungen sind. Werden Entscheidungen an nicht-gewählte und quasi unpolitische Expertengruppen weitergeleitet, sind sie einem demokratischen Entscheidungsprozess entzogen. Hierbei orientiert sich das politische System der EU an der Effizienz seiner Entscheidungen, da aufgrund der sehr wissen­schafts­orientierten Politikfelder tragbare Entscheidungen nicht ohne die Hilfe von Ex­perten­gruppen getroffen werden können (vgl. Radaelli 1999, S. 759). Eine solche „Output-Legitimität“ ist jedoch nur dann gerechtfertigt, „wenn Pareto-Verbesserungen allokativ neutral sind, keine indirekten Verteilungseffekte zwischen den Politikfeldern auftreten und Entscheidungen reversibel sind“ (Schäfer 2006, S. 187). Gerade die ersten beiden Punkte sehen jedoch Follesdal und Hix in den Entscheidungen auf der EU-Ebene nicht ver­wirklicht. Entlang eines Regulations-Redistributions-Kontinuums sind durchaus Gewinner und Verlierer europäischer Entscheidungen auszumachen: „Private producers for domestic markets are losers from the liberalisation of trade in a single market (...). Similarly, producers tend to suffer from environmental `process`standards, such as factory emissions standards“ (Follesdal/Hix 2005, S. 11).

Ziel dieser Arbeit ist es nun nicht, die Theorie vom Demokratischen Defizit zu widerlegen und Beweise zu erbringen, dass ein solches Defizit nicht existiert. Was im Folgenden vielmehr geleistet werden soll, ist gewissermaßen die Legitimierung des oben dargestellten, dass nämlich die Europäische Union auf Grund ihrer Kompetenzen, Beschränkungen und politischen Natur nicht mit nationalstaatlichen Demokratiekriterien betrachtet werden kann und das nicht nur, weil die EU kein Staat ist, sondern wegen der ihr zufallenden Aufgabenbreiche „traditional forms of democracy legitimacy no longer work“ (Mair 2005, S. 20). Es soll also bewusst gemacht werden, dass die Furcht vor einer undemokratischen Union von traditionellen Legitimtätsvorstellungen geleitet ist, die bei der Analyse des politischen Systems der EU nicht angewandt werden können.

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Das Demokratiedefizit in der Europäischen Union
Untertitel
Europa als Demokratie nach dem Muster der Nationalstaaten?
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Das Politische System der EU
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
15
Katalognummer
V85577
ISBN (eBook)
9783638014175
ISBN (Buch)
9783638917308
Dateigröße
484 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Demokratiedefizit, Europäischen, Union, Politische, System
Arbeit zitieren
Marcus Guhlan (Autor:in), 2007, Das Demokratiedefizit in der Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85577

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