Wundersame Tiere und Geschöpfe in der Literatur des Mittelalters

Werden wundersame Tiere und Geschöpfe in mittelalterlicher Literatur durchweg stereotypisch dargestellt?


Hausarbeit, 2007

23 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Rolle von Tieren und Fabelwesen in mittelalterlicher Literatur
2.1 Entstehung fantastischer Geschöpfe im Mittelalter
2.2 Funktion fantastischer Geschöpfe im Mittelalter als auch in der Neuzeit

3. Riesen

4. Der Wilde Mann

5. Schlangen

6. Drachen

7. Weitere wunderbare Geschöpfe
7.1 In ihrer Rolle als treuer Begleiter
7.2 In anderer Funktion

8. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Frodo und Harry Potter haben es vorgemacht: Nicht nur in der mittelalterlichen Literatur scheinen Fabeltiere und wundersame Geschöpfe Hochkonjunktur zu haben. Heutzutage, zwar eher in abgewandelter Weise (siehe nächstes Kapitel), begeistern sie nach wie vor Millionen von Menschen. Ursprünglich wurde unter dem Begriff „Fabeltier“ ein Mischwesen aus verschiedenen Tieren oder aus Tier und Mensch verstanden. Auch Wesen mit monströser Vervielfältigung einzelner oder mehrerer Körperteile fielen unter diesen Begriff. Wie schon in der griechischen Mythologie und homerischen Literatur wurden Fabeltiere häufig als reale Verkörperungen unheimlicher übernatürlicher Mächte angesehen, welche als Geschöpfe zwischen den Menschen und den Göttern entstanden. So stellen sie auch größtenteils eine Gefahr für den Menschen dar.

Nicht zu verwechseln sind die soeben skizzierten Fabeltiere jedoch mit jenen, welche sich in der so genannten „Fabel“ „tummeln“, bei der es sich um eine ursprünglich überlieferte Volksdichtung handelt, in deren Zentrum Tiere stehen, welche in einer erzieherischen Absicht dargestellt werden. (siehe Familienlexikon 1991, S. 394)

In der mittelalterlichen Literatur finden wir häufig Prototypen der wundersamen Geschöpfe, wie Riesen, Drachen oder Schlangen vor. Eher selten kommt gerade diesen soeben genannten Geschöpfen eine positive Natur zu. Es gilt fast ausschließlich jene zu bekämpfen. Als Sonderfälle stellen sich dann jene Erzählungen dar, in denen die prototypischen Geschöpfe schlicht und ergreifend „aus ihrer Rolle fallen“.

2. Die Rolle von Tieren und Fabelwesen in mittelalterlicher Literatur

Tiere sind aus der mittelalterlichen Welt kaum wegzudenken. Ihre Präsenz zeigt sich nicht nur in den literarischen Werken, sondern beispielsweise auch in der Architektur, Alltagskultur, Buchillustration, Heraldik oder Namengebung. Sie nehmen dabei die unterschiedlichsten Rollen ein, etwa als Fortbewegungsmittel (Pferd), als treuer und dankbarer Begleiter (z.B. in Iwein Iweins Löwe) oder als Kampfgegner (Drache). Auf Helmen und Schilden fungieren sie als Wappentiere und sie prophezeien sogar die Zukunft und deuten die Gegenwart menschlicher Protagonisten als Traumsymbole. Einsatzgebiete von Tieren und wunderbaren Wesen sind in der mittelalterlichen Welt sehr vielfältig.

Oftmals dienen sie als Metaphern oder Vergleich zur Veranschaulichung menschlicher Eigenschaften und Handlungen (so z.B. die Kampfeskraft des Löwen oder das Gesangstalent einer Nachtigall).

Im für das Mittelalter charakteristischen Zeichendenken gelten Tiere als Träger einer zweiten (allegorischen) Bedeutung, da sie als Teil der von Gott geschaffenen Natur und über die ihnen von Gott verliehenen Eigenschaften auf ihren Schöpfer und die Heilsgeschichte verweisen. Der Entschlüsselung der Tierbedeutungen, eben der Tierallegorese, ist im Mittelalter eine eigene Textgattung gewidmet: das Bestiarum, das sich in Tradition und Kontext des spätantiken Physiologus entwickelt hat. Ebenfalls eine genuin mittelalterliche Gattung ist das Tierepos (Ecbasis captivi, Ysengrimus, Roman de Renart und seine mhd., mndl. und mnd. Nachfolger), das seine Bausteine der Tradition der Tierfabel entnimmt, die sich im Mittelalter ebenfalls großer Beliebtheit erfreut. In seiner Begeisterung für die Tierfabel wird das Mittelalter nur noch von Humanismus und Aufklärung übertroffen. Mit den Cyrillusfabeln schafft sich das Mittelalter sogar einen eigenen Fabeltypus. Mit diesen Eckpunkten wird deutlich: Das Tier ist in der mittelalterlichen Literatur ein Sinnträger von ganz besonderer Intensität und Qualität. Insofern es dem Menschen in der Hierarchie des Seienden besonders nahesteht, unterscheidet sich das Tier von vergleichbaren Sinnträgern (wie z.B. Pflanzen und Edelsteinen, Zahlen und Farben) grundsätzlich durch seine Fähigkeit, den menschlichen Protagonist(inn)en mittelalterlicher (und nicht nur mittelalterlicher) Literatur als handelnde Figur zur Seite (oder gar – wie in der Tierepik – an ihre Stelle) zu treten. Das ist ein zentraler Schlüssel für das Verständnis mittelalterlicher Literatur. Ich beziehe mich in meinen Aussagen vor allem auf Werner Wunderlich (siehe MÜLLER/WUNDERLICH 1999), der betont, dass es begriffliche Unterscheidungen und Differenzierungen je nach Herkunft, Erscheinung oder Funktion gibt und eine unangreifbare Einteilung in „Dämonen“, „Monster“ und „Fabelwesen“ daher weniger sinnvoll ist und im Falle des Buchtitels nur ein thematischer Bereich umrissen werden soll.

Im nächsten Abschnitt des ersten Kapitels äußert sich Wunderlich zu der Rolle mythischer Geschöpfe heute. Er führt dazu diverse Beispiele auf, wie den Titelheld der gleichnamigen Fernsehserie Robocop, bei dem es sich um ein künstliches Geschöpf, um ein Produkt futuristischer Biomechanik und Computertechnologie handelt, das in seinem Aussehen einem mittelalterlichen Ritter mit Harnisch und Helm ähnelt. In der heutigen Wirklichkeit begegnen wir oftmals Mixturen aus menschlichen Lebewesen und elektronisch-mechanischen Apparaten. Die Rolle der „putzigen Märchenwichtel“ oder auch grauenhaften Sagenungeheuer des Mittelalters werden in der Neuzeit durch so genannte Androide, Humanoide oder auch Biomechanoide ersetzt.

Ein weiteres Beispiel, das aufgeführt wird, stellt die Filmreihe Alien dar, in welcher grauenhafte Bestien des Kosmos Astronauten bedrohen oder auch das beliebte Werk Star Wars, welches verfilmt wurde und in dem eine Vielzahl fantastischer Geschöpfe ferne Planeten bevölkern.

Heutzutage boomen makabere Kreuzungen zwischen menschlichen und außerirdischen Genen (z.B. Species) oder auch Geschöpfe, die direkt aus den Gen-Laboren moderner Wissenschaftler stammen (z.B. Jurassic Park).

Diese neuartigen Modifikationen fantastischer Geschöpfe sollen aber nun hier nicht weiter vertieft werden, denn thematisch möchte ich mich in dieser Arbeit den fantastischen Geschöpfen der mittelalterlichen Literatur widmen.

Besonders interessant soll hierbei die Frage sein, inwiefern den wundersamen Geschöpfen des Mittelalters eine sterile Bedeutung zukommt. Damit meine ich, dass wir beim Lesen mittelalterlicher Literatur größtenteils immer über ein derartiges Geschöpf „stolpern“ werden, sei es nun der immer wieder gern behandelte Drache, der Riese oder auch die Schlange und vermeintlich erkennen, dass den jeweiligen Geschöpfen immer die gleiche (oder ähnliche) Bedeutung zukommt. Der Riese ist in seinem Wesen immer böse und wild, der Drache immer Feind, den es zu besiegen gilt und die Schlange stellt größtenteils ein Hindernis dar, das es zu überwinden gilt. Ob diese Stereotypen tatsächlich immer so zutreffen, gilt es in dieser Arbeit herauszufinden.

Zu diesem Zweck habe ich eine Auswahl an Geschöpfen getroffen, die ich in ihrer Bedeutung und Funktion vorstellen und anhand ausgewählter Textstellen belegen möchte.

Das Mittelalter kennt natürlich hunderte von Geschöpfen, ich habe mich jedoch für die bekanntesten und vor allem im Zusammenhang mit der von mir gewählten Literatur relevanten entschieden.

2.1 Entstehung fantastischer Geschöpfe im Mittelalter

Schon in der Antike wurden bei Naturbeobachtungen fremde und unbekannte Kreaturen beschrieben, indem deren einzelne Körperteile mit denen schon bekannter Lebewesen verglichen wurden. Derartige Darstellungen wurden von vielen Zeichnern und Autoren beim Wort genommen, die dann groteske Kreaturen, wundersame Tiere, seltsame Menschen oder Hybride aus beiden schufen. Schon im Prolog des Johannesevangeliums lesen wir, dass alles durch das Wort geworden ist, ein Satz, der sich auf die Schöpfungsgeschichte bezieht. (DIE BIBEL 1987, S. 114, Johannes 1) Dass Worte die Welt erzeugen ist ein seit biblischen Zeiten unveränderter Grundsatz. Wundersame Geschöpfe sind somit immer Schöpfungen der menschlichen Fantasie gewesen.

Auch heute stehen die neuen Geschöpfe der Unwahrscheinlichkeit mittelalterlicher Schöpfungen in nichts nach. Es handelt sich bei ihnen lediglich und vorrangig um Technik- und Genfiktionen.

2.2 Funktion fantastischer Geschöpfe im Mittelalter als auch in der Neuzeit

Fantastische Geschöpfe, (der Abwechslung halber werde ich synonym auch den Begriff mythische, wundersame oder auch imaginäre Geschöpfe gebrauchen), dienen fast immer der Projektion psychischer Zustände und seelischer Verfassungen. Ob nun als triviale Stereotypen oder originelle Deutungsmuster tragen sie zum Verständnis von Welt bei und wollen menschliche Erfahrung, Angst und Hoffnung ausdrücken und verstehbar machen. (siehe MÜLLER/WUNDERLICH 1999, S.13)

Schon immer wurden Geschichten erzählt, wo man nichts Genaues wusste. So entstanden Mythen, die sich im Laufe der Zeit in verschiedenen Bereichen, wie dem Bereich der Religion oder Philosophie, manifestierten.

Der Mythos schafft nicht nur heilige Wahrheiten, sondern beispielsweise auch Vorbilder für Schuld und Unschuld. Er erklärt Gott und die Welt und macht Mensch und Natur begreiflich. Der Mythos greift immer dort, wo theoretisches Denken und abstrakte Rationalitätsentwürfe der Wissenschaft noch keine verbindlichen Erklärungen liefern können. Der Mythos erfüllt aber auch eine Komplementärfunktion. Ein Beispiel, das Wunderlich dazu aufführt, stellt das Böse dar, welches rational kaum als Teil unserer Wesenheit erklärt werden kann und es daher eines Mythos bedarf, nämlich dem Mythos vom Satan, der die Entstehung des Bösen in der Welt erklärt und somit hilft, religiöse Werte und moralische Normen für den ethischen und sozialen Umgang damit zu entwickeln.

Umso weiter technischer Fortschrift und moderne Wissenschaft voranschreitet, umso schwieriger wird es, Mythen aufrechtzuerhalten, denn jener verliert seine Überzeugungskraft da, wo Mysterien und Magie durch empirische Naturwissenschaft ersetzt werden. Natürlich werden Mythen noch solange bestehen, solange es keine Antworten bezüglich Herkunft und Ziel unserer Welt gibt, jedoch sprechen wir in der heutigen Zeit nicht mehr von mythischen Geschöpfen, die dann doch eher dem Mittelalter zuzuordnen sind.

Auf den Rändern bebildertet Manuskriptseiten in Codices oder auf Mauern und Mobiliar von Kirchen, Kathedralen und Klöstern findet sich ein stattliches Aufgebot an fantastischen Geschöpfen. (siehe MÜLLER/WUNDERLICH 1999, S. 14)

Bernhard von Clairvaux protestierte sogar heftig in seiner Apologia ad Guillelmum Abbatem von 1125 gegen derartige Abbildungen und warnte vor der Macht dieser Bilder, die die Mönche verwirren und von ihrer Frömmigkeit abbringen könnte.

Nichtsdestotrotz vermehrten sich die unzähligen hypbriden Monster , sowohl auf den Marginalien gotischer Kirchen, als auch auf den Handschriften gotischer Bestiarien, Fabeln, Sprichwort- und Rätselsammlungen oder Ritterepen.

Oftmals unterschied das mittelalterliche Bewusstsein wundersame Fantasiegeschöpfe nicht von realen Naturgeschöpfen. Die Gründe hierfür sind zum einen, dass die Bibel diesen Unterschied auch nicht macht, zum anderen, dass im Mittelalter nach allgemeiner Anschauung vom Begriff auch auf die Sache geschlossen wurde. Nach dem Wahrheitsgehalt und Wahrscheinlichkeitsgrad von Naturberichten und Tierkunden wurde durchaus gefragt, jedoch wurde grundsätzlich in Gottes Schöpfung nichts für unmöglich gehalten.

Tiere und imaginäre Geschöpfe lassen sich als Objekte immer auch analogisch deuten. Es ergibt sich daraus eine Vielzahl von Ding- und Sinnkombinationen, so werden wiederkäuende Tiere für rein gehalten, was die Pflicht, Gott zu gedenken, einschärfen soll oder Tiere mit gespaltenen Klauen versinnbildlichen die Dichotomie von Recht und Unrecht, um nur zwei Beispiele zu nennen. (siehe MÜLLER/WUNDERLICH 1999, S. 16)

Montagen aus Tieren und Menschen, welche von Scholastikern rational konstruiert wurden, sollen Laster und Tugenden begrifflich und inhaltlich vorstellbar machen.

Fantastischen Geschöpfen kommt im Mittelalter also sichtlich eine didaktische Funktion zu, die allerdings nur im religiösen Kontext greift. Bis in die frühe Neuzeit hinein werden durch derartiges Analogiedenken solche Kreaturen konstruiert. Eine besonders beliebte Allegorie stellen auch die sieben Todsünden dar, welche in dämonisch-monströsen Wesen veranschaulicht werden. Wunderlich führt hierzu die satansartig geflügte figura mundi (Frau Welt) auf, welche mit Hahnklaue und drachenköpfigem Schweif als fabulöse Verkörperung der Welt und Gegengestalt zur religio fungiert.

[...]

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Details

Titel
Wundersame Tiere und Geschöpfe in der Literatur des Mittelalters
Untertitel
Werden wundersame Tiere und Geschöpfe in mittelalterlicher Literatur durchweg stereotypisch dargestellt?
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Valentin und Namelos
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
23
Katalognummer
V85470
ISBN (eBook)
9783638013536
ISBN (Buch)
9783638917094
Dateigröße
454 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wundersame, Tiere, Geschöpfe, Literatur, Mittelalters, Valentin, Namelos
Arbeit zitieren
Julia Sonntag (Autor:in), 2007, Wundersame Tiere und Geschöpfe in der Literatur des Mittelalters, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85470

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