Der Traumapatient Chile

Vergangenheitsbewältigung in Realität und Fiktion am Beispiel von Ariel Dorfmans 'La muerte y la doncella'


Seminararbeit, 2007

15 Seiten, Note: 1, 7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Chile vor dem Putsch
1. 1 Staat und Gesellschaft
1. 2 Die kulturelle Identität

2. Pinochet und das Ende der Demokratie in Chile
2. 1 Die Veränderung der Medienlandschaft und der Literatur durch den Terror Pinochets
2. 1. 1 Die Medien unter dem Einfluss staatlicher Kontrollmechanismen
2. 1. 2 Die Literatur

3. Ariel Dorfman: La muerte y la doncella
3. 1 Inhalt und Handlungsaufbau
3. 1. 1 Die Figurenkonstellation und ihre repräsentative Funktion
3. 2 Die psychologische Dimension und ihre Aktualität

4. Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Der 11. September 1973 brachte Chile die Wende vom demokratischen Sozialismus zur Diktatur. Der Tod Salvador Allendes und die Machtübernahme durch General Pinochet, von den westlichen Demokratien begrüßt, war für Chile der Beginn eines bis heute andauernden Traumas.

Die vorliegende Arbeit setzt ihren Schwerpunkt in der kulturwissenschaftlichen Betrachtung der Ereignisse. Aufbauend auf der Ereignisgeschichte soll besonders die Zeit vor und unmittelbar nach dem Putsch untersucht werden. Dabei soll versucht werden, anhand kultureller Bereiche wie den Medien, dem Leser die tief greifenden Einschnitte und deren Bedeutung für die Gesellschaft vor Augen zu führen. In diesem Zusammenhang werden die Maßnahmen der Diktatur mit Statistiken belegt, aber auch durch Kommentare von Zeitzeugen ergänzt.

Ein weiterer Aspekt, der das Land bis heute nicht wirklich zur Ruhe kommen lässt, ist die gesellschaftliche Heterogenität, und die damit verbundenen unterschiedlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit. Hierzu zählen auch die Frage nach der Verantwortung des Staates und der Umgang der Betroffenen mit dieser Situation.

Den Schluss bildet die literarische Vergangenheitsbewältigung am Beispiel von Ariel Dorfmans La muerte y la doncella. Hier werden Parallelen von Fiktion und Realität aufgezeigt, und am Beispiel des Motivs der Angst das Trauma Chiles und seiner Bevölkerung, auch in der post-diktatorischen Zeit, erörtert.

Insgesamt hat die Arbeit zum Ziel die Ohmacht einer Generation und ihren Kampf um Gerechtigkeit aufgrund der verschiedenen Aspekte nachvollziehen zu können.

1. Chile vor dem Putsch

Um das Ausmaß des elften September für Chile, seine Bevölkerung und Kultur nachvollziehen zu können, ist es wichtig die politische Kultur als auch die historisch gewachsenen Strukturen zu untersuchen. Die tiefe Zäsur, die die Ereignisse des Septembers 1973 für ein Land bedeuten, dass sich fast siebzehn Jahre im Kriegszustand befand[1], kann nur aus diesem Kontext heraus begreiflich gemacht werden.

1. 1 Staat und Gesellschaft

Nach dem Niedergang des oligarchischen Herrschaftssystems am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts begann in Chile eine moderne Form kultureller Organisation. Die Kultur fand ihr endgültiges Zentrum in den Städten und wurde durch eine voranschreitende Säkularisierung begleitet.[2] Die aus dem spanischen Katholizismus abgeleitete Nationale Einheit wurde durch eine vielfältige laizistische Kultur abgelöst, in der schichtenspezifische Lebensstile in den Vordergrund traten. Grundlegend für diese Entwicklung war die Bildung. Sie ermöglichte nicht nur eine Integration der Massen, sondern darüber hinaus die Entwicklung einer Mittelschicht, bis hin zur Herausbildung einer Elite.[3] Einhergehend mit der Verbreitung von Wissen gewannen auch die Informationsmedien[4] immer mehr an Bedeutung. Diese allmählich im Entstehen begriffene Kulturindustrie kann seit den Sechzigern als Massenkultur bezeichnet werden.[5] Bis 1973 entwickelte sich in Chile „ un moderno sistema intelectual“.[6]

1. 2 Die kulturelle Identität

Im Gegensatz zu dem klassischen Modell, dass der Kapitalismus nach dem Paradigma der funktionalistischen Soziologie die Gesellschaft verändert, war in Chile die Modernisierung vor allem ein Produkt des Staates. In Chile organisierte der Staat die kulturelle Landschaft als auch die Demokratisierung der Politik.[7] Ganz im Gegensatz also zu den westlichen Demokratien, die vom Markt dominiert werden.

Das Entwicklungsstreben (desarrollismo) wurde in Chile zur Ideologie die das staatliche Handeln legitimierte. Dazu gehörte auch die Verbreitung der modernen Kultur durch den Staat. Zusammen mit dem Prinzip der maximalen Ausnutzung der durch den Staat vergebenen Vorteile bildeten diese Komponenten, aufbauend auf einer Kultur des Mittelstandes mit nicht bürgerlicher Form, die ethisch-kulturelle Basis des Konsensstaates.[8]

Doch dieser Estado Compromiso, der von 1930-1970 in Funktion war, zerbröckelte in den Sechziger Jahren. Der Grund für diese Entwicklung war das Anwachsen polarisierter gesellschaftlicher Tendenzen. Diese ergaben sich aus der Diskrepanz zwischen einem sich vom Bürgertum emanzipierenden Mittelstand auf der einen, und der bewussten Ausklammerung bestimmter Ethnischer Gruppen[9] auf der anderen Seite.[10] Die Folge dieser schwachen sozialen Integration und kulturellen Heterogenität war die ideologische Zerstückelung, die von einer politischen Radikalisierung begleitet wurde.[11]

Offenkundig wurde der Unmut der Massen als sich bei den Präsidentschaftswahlen die linke Opposition zu einem Volksbündnis formierte. An der Spitze stand der Präsidentschaftskandidat Salvador Allende Gossens[12] (* 26. Juli 1908 in Valparaíso; † 11. September 1973 in Santiago de Chile) mit einem Programm, das darauf abzielte soziale Ungerechtigkeiten abzubauen. Mit seinem Sozialismus der Freiheit wurde er, mit einem sozialistischen Regierungsprogramm, der erste demokratisch gewählte Präsident eines nicht-kommunistischen Landes. Doch seine Reformbestrebungen wurden durch die USA systematisch abgeschwächt[13] mit dem Ziel einer innenpolitischen Destabilisierung. Diese mündeten schließlich in durch die CIA unterstützte Straßenschlachten[14], und dem immer noch ungeklärten Tod Allendes am elften September 1973.

[...]


[1] Zwar wurde der Kriegszustand offiziell 1978 aufgehoben, die Repressiven Maßnahmen der Militärregierung hatten aber weiterhin bestanden.

[2] Vgl. Hugo Calderón, Veränderungen in der psycho-sozialen und politischen Kultur, in: Hugó Calderon, Jaime Ensignia (Hg.), Chile, Chancen der Demokratie nach Pinochet. 1. Aufl., S. 7-23, Hamburg 1986, S.26.

[3] Ebd., S.27.

[4] Die Presse wurde durch Radio und Fernsehen überholt. Von 1965, 50 Fernsehgeräte auf 1000 Einwohner, verzwanzigfachte sich diese Quote bis 1973.

[5] Ebd.

[6] Edward Shils, Los intelectuales en los Países en Desarrollo, Buenos Aires 1976, S.32.

[7] Vgl. Hans-Jürgen Puhle (Hg.), Lateinamerika. Historische Realität und Dependencia-Theorien. Hamburg 1977, S.119.

[8] Vgl. Calderón, S.28.

[9] Besonders betroffen waren die arme Landbevölkerung und indigene Völker wie die Mapuche.

[10] Vgl. José Joaquín Brunner, Kultur und nationale Identität, in: Hugo Calderón, Chile. S.25-52, S.29-31.

[11] Vgl. Peter Thiery, Transformation in Chile. Institutioneller Wandel, Entwicklung und Demokratie 1973-96. Schriftenreihe des Instituts für Iberoamerika-Kunde, Bd. 52. Diss.-Schrift 1998, Frankfurt a. M. 2000, S.20.

[12] 1969 wurde die Unidad Popular (UP) als Nachfolgerin der FRAP gegründet, ein Zusammenschluss von Sozialisten, Kommunisten und einigen kleineren Linksparteien. Als deren Kandidat errang Allende bei den Präsidentschaftswahlen am 4. September 1970 36,3% der Stimmen (weniger als 1964) und lag damit knapp vor dem konservativen Gegenkandidaten Jorge Alessandri, der 34,9% der Stimmen erhielt.

[13] Dazu gehörten Kreditsperre, Wirtschaftsembargo u.ä..

[14] Bereits im Oktober 1972 (Oktoberstreik) war Chile am Rande eines Bürgerkrieges. Dem Druck der Opposition musste nachgegeben werden und es wurden drei Militärs in die Regierung berufen (darunter der Oberbefehlshaber Prats als Inneminister). In der Anfangszeit der Regierung Allende konnte das Militär noch als loyal zur zivilen Autorität eingestuft werden. Vgl. Thiery, S.74.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Der Traumapatient Chile
Untertitel
Vergangenheitsbewältigung in Realität und Fiktion am Beispiel von Ariel Dorfmans 'La muerte y la doncella'
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Romanische Philologie)
Veranstaltung
Landeskunde Chile
Note
1, 7
Autor
Jahr
2007
Seiten
15
Katalognummer
V85385
ISBN (eBook)
9783638012911
ISBN (Buch)
9783640411429
Dateigröße
438 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Traumapatient, Chile, Landeskunde, Chile
Arbeit zitieren
Walter Scheufen (Autor:in), 2007, Der Traumapatient Chile, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85385

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