Akzente Waltherscher Minnekonzeption


Seminararbeit, 2007

31 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zum Minnekonzept vor Walther von der Vogelweide am Beispiel Reinmar von Hagenau
2.1. Die traditionellen Rollen und ihre Ausprägungen
2.2. Die Rollen bei Reinmar von Hagenau
2.2.1. „ich wil allez gâhen []“ – Die Verherrlichung der Dame bei Reinmar

3. Zur Minnekonzeption Walthers von der Vogelweide
3.1. Die Walther-Rolle
3.2. Die neue Rolle der Frau
3.3. herzeliebez frouwelîn
3.4. Die Walther-Rolle und das Publikum

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

6. Anhang

1. Einleitung

Stirbe ab ich, sô ist sie tôt![1] Nicht nur mit diesen Worten bricht Walther von der Vogelweide mit dem in der höfischen Gesellschaft ritualisierten Konzept der hohen Minne, der Liebe zu einer Frau von hohem adligen Stand. Dieses ist nicht nur literarisch, sondern auch gesellschaftlich mit einer Auflehnung gegen gegebene Konventionen verbunden, und er gestaltet so ein neues, ein anderes Minnekonzept. So bewirkt Walther für den Minnesang, wie auch für die Sangspruchdichtung (die in dieser Arbeit jedoch vernachlässigt werden soll), einen „grundsätzlichen Funktionswandel“, der die „Gattungsentwicklung im 13. Jahrhundert entscheidend bestimmt hat“.[2] Schon deshalb ist Walther von der Vogelweide der bedeutendste und hervorragendeste Lyriker des deutschen Mittelalters. Ihm ist vorbehalten, in seinen Minneliedern eine Metaebene zu schaffen, auf der Minne und Minnesang in ihren Bedingungen und Funktionen gesehen und diskutiert werden können. Walther bringt eine neue Akzentuierung in traditionelle Vorstellungen ein, indem er nach dem Sinn, dem Wert, der Funktion und der Leistungsfähigkeit des „subtil ausbalancierten, paradoxienreichen Konstrukts der Minne und der Einrichtung Minnesang fragt.[3] Er knüpft an die traditionelle Ich-Rolle, den lebenslangen Werbungsdienst des ritterlichen Mannes um eine höfische Dame, an und definiert diese neu.[4] In dieser Rolle entwickelt er eine starke „Ichhaftigkeit“ und lässt ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein erkennen.[5] Diese „Kraft des Selbstgefühls“ ist der deutlichste Akzent in den Liedern Walthers. Bis zu seiner Schaffenszeit und auch während dieser Zeit gab es keinen anderen Dichter, „der so von sich selbst spricht, so in eigenem Namen spricht. Keiner zwingt uns so wie er den Eindruck persönlicher Präsenz auf.“[6]

Die folgende Arbeit wird sich mit diesem und weiteren Aspekten des Waltherschen Minnesangs beschäftigen, um zu klären, ob Walther von der Vogelweide tatsächlich Neuerungen in den Minnesang seiner Zeit einbrachte und diesen nachdrücklich reformierte. Zuvor soll jedoch kurz auf die Minnekonzeption vor Walther eingegangen und am Beispiel Reinmar von Hagenau vertieft werden. Zunächst beziehe ich mich zur Vertiefung auf die allgemeinen Rollenausprägungen im traditionellen Minnesang um anschließend näher auf die traditionellen Rollen bei Reinmar von Hagenau einzugehen. Diese werden zusätzlich an dem Beispiellied ich wil allez gâhen erläutert, um diese Konzeption im Anschluss mit dem Minnesang Walthers zu kontrastieren, auf dem der Hauptakzent dieser Arbeit liegt. An Hand eines ausgewählten Beispielliedes sollen die zuvor erläuterten Rollenausprägungen vorgeführt werden.

2. Zum Minnekonzept vor Walther von der Vogelweide am Beispiel Reinmar von Hagenau

Dieses Kapitel soll lediglich eine Übersicht über den klassischen Minnesang sowie das Verständnis von Minne vor Walther geben. Am Beispiel Reinmars von Hagenau werden in erster Linie die hauptsächlichen Unterschiede zum Minnesang Walthers herausgestellt. Diese sollen an Hand der traditionellen Rollen und Rollenausprä­gungen des Sängers, der Rolle der Angesprochenen, der Dame sowie am Beispiellied ich wil allez gâhen veranschaulicht werden.

2.1. Die traditionellen Rollen und ihre Ausprägungen

Die unabdingbare Voraussetzung für jeden, der überhaupt Freude in dieser Gesellschaft und dieser Welt erfahren will, besteht in der Minne. Im Zentrum befindet sich das hohe Minnelied, die Minnekanzone, das Werben um eine Frau, den Dienst an der höfischen Dame.

Diese verkörpert das eigentliche Ziel des Ichs, des Werbenden, sein Bedürfnis nach Sinn und Wert zu erfüllen. Der Werbende gewinnt dabei sein Selbstverständnis aus der gänzlichen Ausrichtung auf die Minnepartnerin als einen Anderen, Höheren, Vollkommenen[7], aus der Klage über die unnahbare Ferne und Höhe der Minnedame.[8]

Ich wirbe umbe allez, daz ein man

ze weltlichen vröiden iemer haben sol,

daz ist ein wîp [...][9]

Im klassischen wie auch im späteren Minnesang ist eine biographische Färbung der Minnelieder auszuschließen.[10] Nicht eigene Erfahrungen sollen widergespiegelt werden; der Sänger führt vielmehr „die gegenseitige Liebeseinheit zwischen Ritter und Dame [...] der Gesellschaft“ in einer Rolle vor. Auch Gerhard Hahn schließt biographistische Züge aus: „Gegen biographistische Mißverständnisse braucht man heute nicht mehr anzusprechen“.[11] Denn das Ich hat zunächst den Status einer literarischen Rolle. Diese ist mit bestimmten Merkmalen und Verhaltensweisen ausgestattet, die zwar variiert werden können, aber im Kern festgelegt sind. Die Rolle des Werbenden, die Ich-Rolle, ist hierbei sogar eher leer an Eigenschaften und wird vielmehr in der schematisierten Beziehung zu dem Partner bestimmt.[12]

„Minnesang ist wesentlich Rollenlyrik“, erklärt SCHWEIKLE und bestimmt damit das Genre.[13] Minnesang wird durch das Zusammenspiel der inszenierten Rollen derart geprägt, dass die Bezeichnung Rollenprogramm zulässig wird: das Rollenprogramm des Liebesdienstes.[14] Dieser Liebesdienst inszeniert sich zumeist als Ich-Auftritt des Sängers vor der höfischen Gesellschaft zur Freude, zur Unterhaltung dieser Gesellschaft.[15]

Der Sprecher, die Ich-Rolle, kann hierbei nicht mit dem realen, dem Autorsänger gleichgesetzt werden, auch wenn er in der Ich-Rolle des Werbenden auftritt, sondern hat vielmehr fiktiven Charakter.[16] Die zentrale Ich-Rolle im Minnesang ist die Ich-Rolle des Liebenden. Rollenvariationen des hohen Minnesangs bewegen sich im Bereich des Verehrenden oder Preisenden, des Hoffenden, des Klagenden, des Sehnenden, des Bittenden, des um Gnade flehenden, des von der Dame abhängigen, des Dienenden und des für seinen Lohn Fordernden. Kombinationen der Varianten sind in der Vielzahl der Minnelieder anzutreffen. Ein gemeinsames Merkmal jeder Liebhaber-Variation existiert jedoch: der Liebende wird (noch) nicht von der Dame erhört.[17] Das Verhalten der Dame hat dabei direkten Einfluss auf das Sänger-Ich: Verhalten, Verbote oder Gebote der fiktiven Partnerin können den

Sänger dazu bewegen, sein Singen aufzugeben, nach einer Unterbrechung fortzuführen oder in Klageliedern fortzufahren.[18]

2.2. Die Rollen bei Reinmar von Hagenau

Die absolute Überhöhung der Frau ist in erster Linie bei Reinmar der Fall, die sich in der Vielzahl seiner Lieder in der Umkreisung der Frau verdeutlicht. SCHWEIKLE spricht in diesem Fall von „Hypertrophierung“: Die Frau wird zunehmend spiritualisiert, als absolutes Idol gepriesen, ihr Wesen und das Lob darüber werden in das Nicht-Mehr-Überbietbare gesteigert.[19] Die idealistisch überhöhten Minnelieder Reinmars repräsentieren den Gedanken der reinen, hohen Minne, wobei ein trauernder, schmerzlich entsagungsvoller Ton vorherrscht. Die von ihm so dargestellte Vollkommenheit der Dame führt dazu, dass sie für das Sänger-Ich, das Lyrische Ich in unerreichbare Ferne rückt. Diese „Leidzelebration“[20], die Demonstration von kumber und lobelîche(r) swaere [21] , kann nur durch die moralische und ethische Vervollkommnung des beständigen Minnedienstes ausgefüllt werden.

Der Dienst an der Minne erfüllt also das Bedürfnis des Sänger-Ichs nach Bestätigung und Souveränität, wodurch die Rolle der Dame obsolet wird. Vielmehr dient sie dem lyrischen Ich als Projektionsfläche der männlichen Dienstbereitschaft und Souveränität und dient dem Mann der Feststellung seiner eigenen Befindlichkeit. Gleichwohl bemüht er sich in unerschütterlicher staete weiter, „kein ernsthaftes Wort gegen die gnadenlose und undankbare Herrin wagend.“[22] Aber Reinmar geht noch darüber hinaus: stirbet sî, sô bin ich tôt. Der Sänger ist also in seiner ganzen Existenz abhängig von der Dame[23]. Auch in dem folgenden Gedicht wird dieser Akzent des Reinmarschen Minnesang deutlich.

2.2.1. „ich wil allez gâhen […]“ – Die Verherrlichung der Dame bei Reinmar

Ich wil allez gâhen Will zu ihr nur gehen,

zuo der liebe, die ich hân die ich liebe Tag und Nacht.

sô ist ez niender nâhen, Doch ich kann nichts sehen,

daz sich ende noch mîn wân. was den Wunsch zur Wahrheit macht.

doch versúoche ich ez alle tage Trotzdem hoff' ich alle Tage,

und gediene ir sô, daz si âne ir danc und ich diene ihr so, dass sie schließlich
mit fröiden muoz erwenden doch in Freude muss verwandeln

kumber, den ich trage. den Schmerz, den ich trage.

Swaz in allen landen Was noch hier auf Erden

mir ze liebe mac beschehen, mir zur Freude kann gescheh'n.

daz stât in ir handen. Kann durch wird nur werden,

anders nieman wil ichs jehen. Ihre Wege will ich geh'n.

si ist mîn ôsterlîcher tac, Sie ist für mich der Ostertag.

und hân si in mînem herzen liep. Ich hab sie von ganzem Herzen lieb.

daz weiz er wol, dem nieman Das weiß auch der, den niemand

niht geliegen mac. zu täuschen vermag. [24]

Religiöse Anlehnungen werden von Reinmar verwendet, hier der Ostertag, um seine Ergebenheit der Dame gegenüber auszudrücken. Er vergleicht ihre mögliche, doch wahrscheinlich nie eintretende Zuwendung mit der Auferstehung Christi. Die Frau wird so „zur Verkörperung aller humanen Werte, zur Personifikation des Guten schlechthin, zu einem säkularisierten summum bonum der menschlichen Vollendung, einem irdischen Analogon zu Maria […].[25] Reinmar dient ihr also mit völliger Aufopferung und verharrt in dem Gedanken der Hoffnung, dass die Dame irgendwann einmal doch seinen Schmerz in Freude verwandeln wird. Aber dieses wird nie eintreten, da die unerreichbare Frauengestalt über der irdischen Erfahrungswelt steht, da Reinmar sie so entwirft: als seine Idee, seine frouwe.[26]

Der Vergleich der Geliebten des lyrischen Ichs bei Reinmar mit dem Ostertag stieß vor allem bei Walther von der Vogelweide auf Ablehnung. Das nächste Kapitel soll aufzeigen, in welcher Weise sich das Minnekonzept Walthers von ebensolchem Reinmars unterscheidet und gegen welche Aspekte von der Vogelweide anschrieb.

3. Zur Minnekonzeption Walthers von der Vogelweide

Während Reinmar als der eher steife und unattraktive Repräsentant der Tradition angesehen wird, gilt Walther vielmehr als der „kühne Erneuerer“[27]. Walther reagierte auf die Aporie Reinmars, die Unvereinbarkeit von minne und ére, wie dieser sie in seinen Liedern postuliert, indem er die Frau wieder auf die Ebene des lyrischen Ichs, des Sänger-Ichs zurückzuholen versucht und die Ebene der überhöhten Fiktionalität verlässt.

3.1. Die Walther-Rolle

Walther knüpft an die traditionelle Ich-Rolle des Minnelieds an und definiert sie neu. „Angelpunkt dieser Neuerungen scheint die aufgewertete Ich-Rolle zu sein. Sie wird zur Walther-Rolle.“[28]: „Dass die Rolle des Gesellschaftskünstlers und Artisten in der Rolle des Minnesangs ausbaufähig ist, zeigt sich vor allem im Liedoevre Walthers.[29]

Diese Aufwertung der Ich-Rolle zur „Walther-Rolle“ ist gekennzeichnet durch biographische Züge, durch den Anspruch Walthers, aus seinem eigenen Erleben zu handeln, zu agieren, zu reagieren und zu urteilen. Somit kann die Aussage der Ich-Rolle als Aussage Walthers verstanden werden.[30] Denn durch die Einbeziehung des gesellschaftlichen Aspekts kann Walther seine artistische Kompetenz benutzen, um auf die Rolle der Frau im Minnelied Druck auszuüben und so von ihr erhört zu werden. Dies tut er, indem er in der Ich-Rolle des Sängers seine Drohung artikuliert, Konsequenzen zu ziehen, die für das Publikum von vielmehr negativer Natur wären: Falls die Dame sich gänzlich unbeeindruckt von seinem Singen zeigt, so droht Walther, gibt er es auf. Darüber hinaus lädt sie den Unmut der Gesellschaft auf sich[31]:

Hêrre, waz sie flüeche lîden sol,

swenn ich nû lâze mînen sanc!

Alle die nû lobent, daz weiz ich wol,

die scheltent danne ân mînen danc.

Tûsent herze wurden frô

Von ir genâden; dius engeltent,

lât si mich verderben sô.[32]

[...]


[1] Walther: 73, 16.

[2] Ortmann, S. 17.

[3] In: Walther von der Vogelweide. Epoche – Werk – Wirkung, S. 75.

[4] Ortmann, Ragotzky, S. 239.

[5] Wehrli, S. 105.

[6] Hahn, S. 98.

[7] Hahn, S. 96.

[8] Händl, S. 13.

[9] Hahn, S. 97. Nach: Reinmar, Schachmatt-Lied.

[10] Händl, S. 13. Aus: Kuhn, Hugo: Soziale Realität und dichterische Fiktion am Beispiel der höfischen Ritterdichtung Deutschlands, S. 31.

[11] Händl, S. 95.

[12] Ebd., S. 95.

[13] Schweikle, S. 192.

[14] Warning, S. 138.

[15] Händl, S. 17. Aus: Kuhn, Hugo: Determinanten der Minne, S. 56.

[16] Ebd., S. 20.

[17] Ebd., S. 34.

[18] Ebd., S. 35.

[19] Schweikle, S. 182.

[20] Hahn, S. 100.

[21] Ragotzky/ Ortmann, S. 234 f.

[22] Stevens, S. 176. Aus: Maurer, Friedrich: Walther von der Vogelweide […], S. 25.

[23] Händl, S. 37.

[24] „Der Ostertag“: Hochdeutsche Nachdichtung: Lothar Jahn.

[25] Schweikle, S. 183.

[26] Ebd., S. 185.

[27] Stevens, S. 176. Aus: Maurer, Friedrich: Walther von der Vogelweide […], S. 25.

[28] Ortmann, S. 17.

[29] Händl, S. 36.

[30] Ortmann, S. 17 f.

[31] vgl. ebd., S. 37.

[32] Händl, S. 37. Nach: Walther: 73, 5-10.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Akzente Waltherscher Minnekonzeption
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Höfisches Ritual oder literarischer Text? Zur Lesbarkeit des Minnesangs
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
31
Katalognummer
V85281
ISBN (eBook)
9783638003346
Dateigröße
439 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Akzente, Waltherscher, Minnekonzeption, Höfisches, Ritual, Text, Lesbarkeit, Minnesangs
Arbeit zitieren
Lea Flieger (Autor:in), 2007, Akzente Waltherscher Minnekonzeption, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85281

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