Die katholische Kirche in Polen

Ein Akteur im Systemwechsel


Hausarbeit (Hauptseminar), 1997

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1.Die Geschichte der Kirche in Polen
2.2 Die Bedeutung der Kirche in der Volksrepublik Polen
2.3.1 Die Kirche als Akteur im Systemwechsel
2.3.1.1 Die moralische und kulturelle Opposition
2.3.1.2 Die Schiedsrichterrolle
2.3.1.3 Eine der wichtigsten Barrieren gegen die Willkür des Parteienapparates
2.3.1.4 De facto und quasi-Opposition
2.3.1.5 Potentiell und real stabilisierende Kraft
2.3.1.6 Die Kirche als soziale Gruppe und Ersatz für die Zivilgesellschaft
2.3.2 Die Kirche nach dem Systemwechsel

3. Fazit und Meinung

4. Literatur

1. Einleitung

Wenn man sich mit der Rolle beschäftigt, die die katholische Kirche für die polnische Geschichte im allgemeinen und für den politischen Systemwechsel im Speziellem spielte, wird die besondere Bedeutung gegenüber den Kirchen in anderen ehemals kommunistische Ländern schnell deutlich. Deshalb ist es interessant, die Geschichte der Kirche in Polen näher zu beleuchten, um die außergewöhnliche Machtposition zu verstehen. Wie kam es, daß die Katholiken eine so dominante Kraft in der polnischen Bevölkerung darstellten? Welche geschichtlichen Hintergründe gibt es dafür? Und wie sieht das Verhältnis der Polen zur Kirche nach dem Systemwechsel aus? Dies sind die zentralen Fragen, um die sich meine Hausarbeit drehen wird.

Zunächst gebe ich einen kurzen Überblick über die Geschichte der Kirche bis zur Gründung der polnischen Volksrepublik. Im nächsten Kapitel beschäftige ich mich mit dem Verhältnis zwischen dem kommunistischem Staat Polen und der katholischen Kirche - ein Zeitraum, in dem sich Annäherung und Konflikt immer wieder abwechselten. Im wichtigsten Abschnitt meiner Hausarbeit beleuchte ich die unterschiedlichen Rollen, die die Kirche für die Erosion der kommunistischen Regierung in Polen spielte und untersuche, wie sich der Einfluß der Kirche vor, während und nach dem Systemwechsel geändert hart. Abschließend werde ich versuchen, ein kurzes Fazit zu ziehen und meine eigene Meinung zu dem Themenkomplex beizusteuern.

2. Hauptteil

2.1.Die Geschichte der Kirche in Polen

Um zu verstehen, weshalb die Bedeutung der katholischen Kirche für das polnische Volk so groß ist, muß man sich mit der Rolle beschäftigen, die die Kirche schon in den letzten Jahrhunderten für Polen spielte.

Das Christentum wurde in Polen in den Jahren 966/967 angenommen; schon ein Jahr später fand die Gründung des Missionsbistums Posen statt. In den Jahren 1138 bis 1320, in denen Polen in zahlreiche Teilfürstentümer aufgespalten war, stellte dir Kirche das verbindende Element dar. In dieser Zeit finden sich die ersten Wurzeln dafür, daß die Kirche nie ein staatliches Instrument gewesen ist; stets war sie mit dem Volk, nicht mit dem territorialem Gebiet verbunden.

Im 16. Jahrhundert geriet die katholische Kirche in Polen unter Druck; sie durfte geistliche Würden nicht mehr unter Umgehung des Königs verleihen (1505), und 1543 wurden die Rechtsbefugnisse der geistlichen und weltlichen Gerichte von einander abgegrenzt. Wenig später, 1559, wurde in Preußen der Protestantismus zugelassen. Dem polnischen Adel, der sich den Reformation angeschlossen hatte, wurde 1573 völlige Bekenntnisfreiheit garantiert. In dieser Zeit war Polen eine Zufluchtstätte für Juden und "Häretiker", die in ihren Heimatländern verfolgt wurden. Diese großzügige, liberale Einstellung gegenüber Nichtkatholiken hielt jedoch nur knapp einhundert Jahre an. 1669 wurden alle Nichtkatholiken automatisch von der Königskandidatur ausgeschlossen: 1717 beschloß der Sejm, alle nach 1632 erbauten protestantischen Kirchen zu vernichten, und ein Jahr später wird der letzte evangelische Landbote aus dem Sejm ausgeschlossen. Das Land Polen liegt nun fest in katholischer Hand. Doch Ende des 18. Jahrhunderts wurde Polen geteilt; in dieser Zeit zwischen 1795 bis 1918 war es wieder - wie zu Zeiten der Teilfürstentümer - die katholische Kirche, die die getrennten Gebiete einte. "Da es keinen Staat gab, mußte die Kirche viele Aufgaben übernehmen, die unter normalen Umständen dem Staate zufallen. Während der Teilungszeit hat sich die Kirche endgültig mit der polnischen Nation identifiziert, das aber heißt, daß sich die Identifizierung auf das polnische Volk, nicht aber auf den Staat, der ja zu dieser Zeit nicht existierte, bezogen hat. Man kann also seit dieser Zeit mit Sicherheit von einem Volkskirchentum (...) sprechen." (Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 1986, S. 132). Als im Jahre 1918 der polnische Staat wiederhergestellt wurde, erklärte man den Katholizismus zur Staatsreligion. Trotz der konstitutionell verankerten Gleichberechtigung der Religionen von 1921 wurde die katholische Kirche bevorzugt behandelt. Die Oktoberrevolution und das Entstehen eines atheistischen Staates an Polens Ostgrenze bestärkte den Glauben der polnischen Katholiken, ein Bollwerk gegen den ungläubigen Osten bilden zu müssen.

Ein liberaler Antiklerikalismus hat sich - im Gegensatz zu Westeuropa - in der polnischen Intelligenz nie wirklich durchsetzen können; nur in der Vorkriegszeit gab es eine kleine Anzahl von sozialistischen und sozialdemokratischen Gruppen, die die Kirche und die Religion ablehnten.

1925 fand ein Konkordat mit dem Vatikan über neue Bistumsgrenzen und den Religionsunterricht an allen Schulen statt. Doch schon wenige Jahre nach dem Wiederaufleben des polnischen Staates wurde Polen von den deutschen Nationalsozialisten angegriffen und besetzt. Die polnischen Geistlichen, die sich aktiv am Widerstand beteiligten, wurden zu Tausenden in die KZs eingelieferten; viele von ihnen wurden dort ermordet. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges kündigt am 12. September 1945 die Regierung der Nationalen Einheit das 1924 geschlossene Konkordat auf; die Kirche wird entmachtet, behält aber - nicht zuletzt auch durch den Widerstand gegen die Nazis im Krieg - ihre moralische Vormachtstellung bei.

2.2 Die Bedeutung der Kirche in der Volksrepublik Polen

Polen war - wie alle Staaten des ehemaligen Ostblockes - ein religionsfeindlicher Weltanschauungsstaat. Nicht irgendwie geartete Jenseitsvorstellungen, sondern der Glaube an die Überlegenheit des Kommunismuses sollte das Leben der Menschen leiten. So wurde die Kirche in Pollen direkt nach dem zweiten Weltkrieg mit starken Restriktionen konfrontiert. Am 12. September 1945 kündigte die neue polnische Regierung der Nationalen Einheit das mit dem Vatikan geschlossene Konkordat von 1925 auf (vgl. Kapitel 2.1). In den Jahren 1946 und 1947 wurden die katholischen Druckereien verstaatlicht; die katholischen Druckerzeugnisse wurden verboten. 1948 fanden die Einschränkungen des kirchlichen Spielraums einen vorläufigen Höhepunkt durch den Beschluß, fortan alle kirchlichen Publikationen zu zensieren, die kirchlichen Rundfunksendungen einzustellen, die christlichen Jugendverbände und den Caritasverband aufzulösen, die kirchlichen Krankenhäuser zu verstaatlichen und den kirchlichen Grundbesitz zu enteignen.

Ohne es beabsichtigt zu haben, stärkte die Politik der polnischen Regierung die moralische und gesellschaftliche Stellung der Kirche mit diesen Maßnahmen mehr, als sie ihr schadete. Die Kirche stand - gegenüber den stets eher als Besatzern empfundenen Kommunisten - mit reiner Weste da; selbst jegliche Klassenunterschiede zwischen ihr und der Bevölkerung waren ausgewischt, da die Kirche praktisch völlig enteignet war. Sie konnte nicht als kapitalistischer, grundbesitzender Klassenfeind bewertet werden - davon abgesehen, daß die polnische Arbeiterbewegung nie sehr antiklerikial und überzeugt kommunistisch war; die polnische Arbeiterpartei PPR zählte 1945 gerade einmal 20 000 Mitglieder, kann also nicht als eine Massenbewegung bezeichnet werden (Bundeszentrale für politische Bildung, 1986, S.134). Trotz des Anfangs unnachgiebigen Kurses des Staates gegen die Kirche zeigte sich jedoch bald, daß die sozialen Probleme Polens ohne Unterstützung der Kirche nicht zu bewältigen waren. Schon bald mußten die ersten Kompromisse gemacht werden. So erkannte der Staat am 14. April 1950 die dogmatische, liturgische und katechetische Funktion der Kirche an, die ihrerseits dafür ihre finanziellen Forderungen aufgegeben hatte.

Trotzdem ging die antiklerikale Politik der Partei weiter. Im Jahre 1953 wurde die kirchliche Rechtsprechung der Staatsaufsicht unterstellt, ein Jahr später die katholischen Universitäten aufgelöst. Daraufhin bildeten sich bis in die Zeit der Wende hinein die "Fliegenden Universitäten", die - wie auch schon während des zweiten Weltkrieges unter deutscher Besatzung - im Untergrund operierten. Hier konnte weiterhin den theologischen und anderen "unmarxistischen" Studien nachgegangen werden.

Der Kardinal und Primas der polnischen Kirche, Stefan Wyszynski, wurde am 26./28. September 1953 verhaftete und seines Amtes enthoben. Er wurde in entlegenen Klöstern bis 1956 festgehalten. Kurze Zeit nach der Verhaftung, im Januar 1955, wurde der Religionsunterricht an den Schulen verboten. Mit diesen Schritten gegen die Kirche hatten die staatlichen Repressalien ihren Höhepunkt erreicht. Die Kirche war in ihrer Organisation geschwächt, dennoch behielt sie ihr Ansehen und ihre Bedeutung in der Bevölkerung.

Durch die katastrophale ökonomische Lage und die Umorientierung nach der in der Sowjetunion zu Ende gegangenen Ära Stalin sah sich die polnische Regierung gezwungen, den offen feindlichen Kurs gegen die Kirche etwas zu mildern. Die marxistische Weltanschauung hatte als eine Art Religionssurrogat in der polnischen Bevölkerung noch immer nicht Fuß fassen können, und das hohe Prestige der Kirche sollte den Legitimationsbedarf decken (vgl. Lee, 1993, S. 236). Am 28. Oktober 1956 durfte Kardinal Wyszynski nach Warschau zurückkehren; auch machte der Staat Zugeständnisse an die Katholiken. Der Religionsunterricht durfte wieder erteilt werden, und die kirchliche Wochenzeitung "Tygodnik Powszechny" konnte wieder erscheinen. Auch wenn die Maßnahmen von der Partei nur mit dem Hintergedanken vorgetragen wurden, ihr damals schwer angeschlagenes Image aufzupolieren - die Kirche nutze die Gelegenheit, um ihren offiziellen Status zu verbessern.

Das Tauwetter in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche hielt nicht lange an; die Partei verschärfte schon bald den Kurs wieder. Am 15. Juli 1961 mußte der Religionsunterricht an den Schulen wieder eingestellt werden. Als Reaktion darauf baute die Kirche ein dichtes Netz von sogenannten "katechetischen Punkten" auf (Lee, 1993, S. 236f.). Der direkte Kontakt vor Ort verbesserte und vertiefte die Beziehungen der kirchlichen Obrigkeit zum polnischen Volk und stärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl, der Staat hat also mit seiner antiklerikialen Politik der Kirche eher genutzt als geschadet - wie schon so oft in der Volksrepublik Polen.

1966 jährte sich zum tausendstem Mal die Annahme des Christentums in Polen. Die polnische Kirche bereitete neun Jahre lang die Feierlichkeiten vor ("Novene"), die zwar oberflächlich betrachtet - unpolitisch und rein religiös waren, in Wirklichkeit aber durch den Hinweis auf die lange Tradition der polnisch-katholischen Einheit politische Dimensionen besaßen (Bundeszentrale für politische Bildung, 1991, S. 449). Für die kulturelle und nationale Identität - und ihre Darstellung in den westlichen Medien - war diese Feier von großer Bedeutung. Der Kirche gelang es sogar, die offiziellen Milleniumsfeiern des Staates - fallen doch die Christianisierung und die polnische Staatsgründung zusammen - in den Hintergrund zu drängen.

Während der Dezemberunruhen von 1970 suchte die Parteispitze die Unterstützung der Kirche. Der erste Sekretär des ZK der PZPR, Edward Gierek, bat die Kirche um Hilfe, die innenpolitischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu überwinden. In diesem Licht ist wohl auch die noble Geste seitens des Staates zu werten, im Juli 1971 den ehemaligen deutschen Kirchenbesitz der polnischen katholischen Kirche zuzusprechen; die Rückendeckung durch den Kirchenapparat soll belohnt werden. Dennoch kann nicht davon ausgegangen werden, daß sich die Beziehungen nun vollständig stabilisiert hätten; eher kann man von einer Art Waffenstillstand sprechen, bei dem eine offene Konfrontation von beiden Seiten vermieden wird. Bei den Systemkrisen, die Polen ab 1976 erschütterten, versuchte der Staat den Dialog mit der Kirche zu verstärken. Das Regime fürchtete, die Kirche könne mit der Opposition verschmelzen und so eine zu starke Gegenkraft gegen die Partei bilden. Die Kirche selbst bemühte sich jedoch zu dieser Zeit sehr, dem offenen Konflikt mit dem Staat auszuweichen; sie sah sich immer noch als moralische, nicht als politische Instanz. Sie vermied es, sich irgendwelchen Organisationen außerhalb der Kirche selbst anzuschließen. Allerdings verkündete die Kirche nach der Juni- Bewegung ihre Unterstützung für das KOR (Komitee zur Verteidigung der Arbeiter), und es kam zu einer stillschweigenden Kooperation zwischen der demokratischen Opposition und der Kirche, auch wenn man nicht annehmen kann, daß sie sich mit den politischen Forderungen des KORs identifizierte.

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Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die katholische Kirche in Polen
Untertitel
Ein Akteur im Systemwechsel
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Politische Wissenschaft)
Note
2,0
Autor
Jahr
1997
Seiten
19
Katalognummer
V84952
ISBN (eBook)
9783638014533
ISBN (Buch)
9783638917568
Dateigröße
432 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kirche, Polen, Systemwechsel, Umbruch in Osteuropa, Kommunismus
Arbeit zitieren
Dr. Katja Gesche (Autor:in), 1997, Die katholische Kirche in Polen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84952

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