Von der Religionsschule zur liberalen Volksschule im Kanton Bern


Seminararbeit, 2005

20 Seiten, Note: 5.5 (CH!)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Fragestellung
1.2 Forschungsstand
1.3 Aufbau

2. Die politische Situation im Ancien Regime bis zur Regenerationszeit

3. Das Volksschulwesen des Kantons Bern im 18. Jahrhundert

4. Die Schulordnung von 1720

5. Das Volksschulwesen des Kantons Bern ab 1830

6. Gesetz über die öffentlichen Primarschulen von 1835

7. Fazit

8. Bibliographie
8.1 Literaturverzeichnis
8.2 Quellen

1. Einleitung

1.1 Fragestellung

„Seit Beginn des Schulwesens im Abendland (5. Jhd) bis zum 15. Jahrhundert sind praktisch alle Schulen kirchliche Einrichtungen, nämlich als Klosterschulen [...], als Domschulen und – in bedeutendem Masse vom 13. Jhd. an – als Pfarreischulen. Die Motive bei diesen Schulgründungen waren vor allem der Gedanke an den Nachwuchs für kirchliche Berufe, aber auch der Kulturauftrag des Evangeliums.“[1]Die konfessionellen Schulen waren lange Zeit vorherrschend in unserem Kulturraum und ihre primären Funktionen bestanden darin, die Berufsausbildung von Mönchen oder Priestern zu leisten und Teil klösterlicher Lebensform bzw. Teil eines sakralen Programms zu sein.[2]

Die Reformation teilte im 16. Jahrhundert den christlichen Glauben in zwei Konfessionen und führte somit auch eine Wandlung im Bildungswesen herbei, wobei aber die sakrale Komponente im Schulwesen nicht verschwand.

Mit der Glaubensspaltung im 16. Jahrhundert kam es zu zahlreichen Religionskriegen zwischen Protestanten und Katholiken, was die ehemalige religiöse Einheitswelt des Abendlandes in zwei verfeindete Lager spaltete. Die Politik musste erstmals Position beziehen und sich über die Forderungen der streitenden Religionsparteien stellen, um Frieden erwirken zu können. Diese Positionierung der Politik hatte entscheidenden Einfluss auf das beginnende Staatskirchentum.[3]Die Säkularisierung, welche so seinen Anfang nahm, leitete auch die Verstaatlichung des Bildungswesens ein.[4]Doch zunächst übten die Konfessionen noch einen beachtlichen Einfluss auf die Schulen aus, nahmen sie in den Dienst der kirchlichen Bestrebungen und stellten sie unter die Vormundschaft der Kirche und des nach kirchlichen Ideen umgestalteten Staatswesens.[5]Die radikalste Auffassung dieses Ansatzes vertritt Gerald Strauss, der die Unterweisung der Jugend in der Reformationszeit in die Nähe der nationalsozialistischen Beeinflussung der Jugend setzt.[6]Die Beachtung, die die Konfessionskirchen dem Bildungswesen zukommen liessen, erwuchs dem Bedürfnis, qualifiziertes Stabspersonal für die eigene Konfession zu schaffen – wollte man in der Konkurrenzsituation bestehen können. Mit dem Aufstieg der Nationalstaaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts kümmerte sich nun zunehmend der Staat um die Zweckbestimmung der Schulen. Die religiöse Volksschule der Konfessionalisierungszeit wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der Staatsschule abgelöst.[7]

In meiner Arbeit werde ich nun diese Entwicklung im Kanton Bern zeigen. Den Weg von der religiösen zur liberalen Volksschule der Regeneration will ich unter anderem anhand zweier Quellen zeigen. Der Schulordnung aus dem Ancien Regime von 1720 soll die Schulordnung der Regenerationszeit von 1835 gegenübergestellt werden. Die Analyse und der Vergleich dieser Schulordnungen sollen helfen, diese Entwicklung im bernischen Volksschulwesen zu belegen. Neben der Arbeit an den Quellen sollen in allgemeinen Kapiteln zum Volksschulwesen des 18. Jahrhunderts bzw. der Regenerationszeit weitere Anzeichen für diese Entwicklung angefügt werden.[8]

1.2 Forschungsstand

Die Volksschulen, die so genannten niederen Schulen, waren lange ein wenig erforschtes Gebiet. Im Zentrum der Forschung standen vielmehr die Lateinschulen und die Hochschulen. Mit der Zeit der Aufklärung erwachte aber auch das Interesse an der Volksschule, als man merkte, „dass in den niederen Schulen der Grund zu sehen sei, auf welchen aller Länder Heil bestehet.“[9]Die Aufklärer mussten feststellen, dass die Entdeckung des niederen Schulwesens nicht mit dessen Entstehung einherging, sondern sich nämlich bereits während der Zeit der Reformation und Gegenreformation ein Elementarschulwesen herausgebildet hatte.[10]Diese Zeit der Konfessionalisierung[11]hatte wie bereits angetönt gewichtige Auswirkungen auf das Schulwesen einerseits, andererseits aber auch auf die frühmoderne Staatsbildung in Europa.[12]Während zur Zeit der Konfessionalisierung nie beabsichtigt wurde, das Individuum zu selbstverantworteter Wahrheitsfindung zu befähigen, es sollte vor allem ein Mindestmass an vorgegebenen Inhalten reproduzieren können, versuchten die Aufklärer nun vermehrt das Bildungswesen zu verstaatlichen.[13]Wolfgang Schmale und Nan Dodde stellten fest, dass die europäische Bildungslandschaft durch Kirche, Staat und Gesellschaft beeinflusst ist und versuchten für die zweite Hälfte des 18. Jh. eine Typisierung der europäischen Länder vorzunehmen.[14]Wolfgang Schmale unterschied zwischen vier Bildungstypen, je nach Gewichtung des Einflusses von Staat, Kirche und Gesellschaft:[15]

Typ I: Vorrang der gesellschaftlichen Wirkkräfte
Typ II: Vorrang der staatlichen Wirkkräfte
Typ III: Vorrang der kirchlichen Wirkkräfte
Typ IV: Gleichberechtigtes Zusammenspiel der drei Wirkkräfte

Ein Vorrang einer bestimmten Wirkkraft soll nicht bedeuten, dass sie die einzige Wirkkraft gewesen war, er stellte viel mehr fest, dass die Kirche immer gewissen Einfluss auf die Bildung ausgeübt hatte.

Die Forschung zur bernischen Schulgeschichte bekam erst im Jahr 1874 einen ersten massgeblichen Beitrag. Die Schulgeschichte von Jakob Kummer gibt einen umfassenden Überblick der bernischen Schulgeschichte von der Gründung der Stadt bis zum Jahr der Niederschrift seiner Schulgeschichte.[16]Jakob Kummer trennte seine Schulgeschichte nicht von der Staatsgeschichte ab, was bereits erkennen lässt, dass wohl die ehemals enge Verzahnung von Staat und Konfession auch beträchtlichen Einfluss auf die Volksschule hatte, mit aufkommender Säkularisierung aber auch die Schule zunehmend vom Primat der Kirche befreit wurde. Ein weiterer wichtiger Beitrag zur bernischen Schulgeschichte erschien zum Beispiel von Ernst Schneider (1905). Schneider vertritt vor allem den liberalen Standpunkt und verurteilt in seinem Werk die Schule, welche unter kirchlichem Primat stand. Frieda Hurni (1986) verfolgt in ihrem Werk die Entwicklung der bernischen Landschulen am Beispiel der Gemeinde Köniz. Ein wichtiger Beitrag zur Schulgeschichte lieferte auch Pietro Scandola (1991). Er dokumentierte die Entwicklung des Schulwesens in der Eidgenossenschaft 1750-1830 am Beispiel der Kantone Bern und Zürich. Auch er trennte die Staatsgeschichte nicht von der Schulgeschichte ab und zeigte auch, welchen Einfluss die Zeit der Aufklärung auf die Schulgeschichte hatte.[17]

1.3 Aufbau

Keine Schulordnung ist wohl verständlich, wenn man nicht den politischen Hintergrund der jeweiligen Region kennt. Deshalb werde ich einen kurzen Überblick über die politische Situation in der Schweiz im Ancien Regime bis in die Regenerationszeit geben. Danach soll in einem allgemeinen Kapitel zum Schulwesen des 18. Jahrhunderts diese Zeit kurz beleuchtet werden. Die Schulordnung des Kantons Bern von 1720 wird dann exemplarisch für diese Zeit analysiert. Der zweite Teil der Arbeit soll allgemein das Schulwesen in der Zeit ab 1831 beleuchten und wiederum soll dazu exemplarisch die Schulordnung des Kantons Bern von 1835 angeschaut werden. Das Fazit wird einige grundlegende Überlegungen zum Schulwesen beinhalten.

2. Die politische Situation im Ancien Regime bis zur Regenerationszeit

„Ohne die Kenntnis seiner Staatsgeschichte kann die Schulgeschichte eines Landes nicht verstanden werden. Denn wenn in irgendeiner Einrichtung, so zeigt sich in der Organisation der Schule das Bewusstsein, welches der Staat von sich und seiner Aufgabe hat.“[18]Das aristokratische Bern, welches lange Zeit keine Gewaltentrennung kannte und in dem die Regierungsgeschäfte von einem Kreis weniger regierungsberechtigter Familien getätigt wurde, stand anders zur Schule als das liberale Bern, in welchem durch Volkswahlen die Legislative gebildet wurde und zudem für Gesetzesänderungen Volksabstimmungen nötig gewesen waren. Deshalb habe ich hier einige wichtige historische Zusammenhänge angefügt:

Die alte Eidgenossenschaft war lange kein Staat im modernen Sinn, sondern ein uneinheitliches Geflecht, bestehend aus vielen souveränen Kleinstaaten, die alle in unterschiedlichem Masse der Eidgenossenschaft angehörten. Es gab keine gemeinsame Verfassung und keine Zentralregierung, zusammengehalten wurde dieser Staatenbund lediglich durch eine Vielfalt unterschiedlicher Bundesbriefe und Sonderbündnisse. Den Kern bildeten die dreizehn alten Orte mit ihren Untertanengebieten und den Gemeinen Herrschaften.[19]

[...]


[1]Oggenfuss, Augustinus, Die Interpretation von Erziehungszielen als individueller und als kollektiver Prozess, Einsiedeln 1981, S. 17.

[2]Vgl. dazu: Hamann, Bruno, Geschichte des Schulwesens. Werden und Wandel der Schule im ideen- und sozialgeschichtlichen Zusammenhang, Bad Heilbrunn 1993, S. 24-26.

[3]Vgl. dazu: Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Schrey, Heinz-Horst (Hg.), Säkularisierung, Darmstadt 1981, S. 68-75.

[4]Vgl. dazu: Hamann, Geschichte des Schulwesens, S. 42-48.

[5]Vgl. dazu: Ehrenpreis, Stefan, Lotz-Heumann, Ute, Reformation und konfessionelles Zeitalter, Darmstadt 2002, S. 47-52.

[6]Strauss, Gerald, Luther’s House of Learning. Indoctrination of Young in the German Reformation. Baltimore, London 1978.

[7]Vgl. dazu: Ehrenpreis, Stefan, Erziehungs- und Schulwesen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung. Forschungsprobleme und methodische Innovationen, in: Schilling, Heinz, Ehrenpreis, Stefan (Hg.), Erziehung und Schulwesen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung, Münster 2003, S. 19–35.

[8]Vgl. dazu: Scandola, P., Von der Standesschule zur Staatsschule. Die Entwicklung des Schulwesens in der Schweizerischen Eidgenossenschaft 1750-1830 am Beispiel der Kantone Bern und Zürich, in: Schmal, Dodde (Hg.), Revolution des Wissens?. Europa und seine Schulen im Zeitalter der Aufklärung (1750-1825), Bochum 1991, S. 581-625.

[9]Böning, Holger, Die Entdeckung des niederen Schulwesens in der deutschen Aufklärung, in: Albrecht, Peter, Hinrichs, Ernst (Hg.), Das niedere Schulwesen im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, Tübingen 1995, S. 75.

[10]ebd., S. 76, vgl auch: Schmidt, Heinrich Richard, Die „Teutsche Schulen“ in Worb, in: Worber Geschichte, Bern 2005, S. 450.

[11]Zur Konfessionalisierungsforschung: Reinhard, Wolfgang, Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Zeitschrift für Historische Forschung 10 (1983), S. 257-279 und Schilling, Heinz, Die Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft – Profil, Leistung, Defizite und Perspektiven eines geschichtswissenschaftlichen Paradigmas, in: Reinhard, Wolfgang, Schilling, Heinz (Hg.), Die katholische Konfessionalisierung, Münster 1995, S. 1-50.

[12]Vgl. dazu: Schilling, Heinz, Einleitung: „Minderheiten“ und „Erziehung“ im Spannungsfeld von Staat und Kirche – zum Versuch eines deutsch – französischen Gesellschaftsvergleiches, in Zeitschrift für Historische Forschung (Beiheft) 31 (2003), S. 13.

[13]Vgl. dazu: Schmale, Wolfgang, Die europäische Entwicklung des Schul- und Bildungswesens im Verhältnis zu Kirche und Staat im 17. und 18. Jahrhundert, in Zeitschrift für Historische Forschung (Beiheft) 31 (2003), S. 175-180.

[14]Wolfgang, Schmale, Nan L. Dodde (Hg.), Revolution des Wissens? Europa und seine Schulen im Zeitalter der Aufklärung (1750-1825). Ein Handbuch zur europäischen Schulgeschichte, Bochum 1991.

[15]Vgl. dazu: Schmale, Wolfgang, Die europäische Entwicklung des Schul- und Bildungswesens im Verhältnis zu Kirche und Staat im 17. und 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung (Beiheft) 31 (2003), S. 175-191.

[16]Kummer, J., Geschichte des Schulwesens im Kanton Bern, Bern 1874.

[17]siehe dazu die Bibliographie.

[18]Kummer, Schulwesen, S. 3.

[19]Meyer, Helmut, Die Geschichte der Schweiz, Berlin 2002, S. 22.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Von der Religionsschule zur liberalen Volksschule im Kanton Bern
Hochschule
Universität Bern  (Historisches Insitut)
Note
5.5 (CH!)
Autor
Jahr
2005
Seiten
20
Katalognummer
V84753
ISBN (eBook)
9783638012393
Dateigröße
445 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Entspricht Note 1,5 in Deutschland.
Schlagworte
Religionsschule, Volksschule, Kanton, Bern
Arbeit zitieren
Reto Liniger (Autor:in), 2005, Von der Religionsschule zur liberalen Volksschule im Kanton Bern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84753

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Von der Religionsschule zur liberalen Volksschule im Kanton Bern



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden