Entwicklungschancen und Optionen ostdeutscher Klein- und Mittelstädte anhand von drei Fallbeispielen


Examensarbeit, 2007

110 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Strukturwandel und Stadtentwicklung
2.1 Sozioökonomischer und soziodemographischer Strukturwandel in den neuen Bundesländern
2.1.1 Ausgangssituation 1989 und sozioökonomische Entwicklungen
2.1.2 Demographische Entwicklungen in den neuen Ländern bis zur Gegenwart
2.1.3 Demographische Prognosen
2.2 Die besondere Rolle der ostdeutschen Klein- und Mittelstädte
2.2.1 Das Städtesystem Deutschlands
2.2.2 Klein- und Mittelstädte: Begriffliche Eingrenzung
2.2.3 Klein- und Mittelstädte in Deutschland – Fakten und Entwicklungspfade
2.2.4 Besonderheiten ostdeutscher Klein und Mittelstädte
2.2.5 Divergierende Entwicklungen zwischen Ost und West

3 Schrumpfende Städte: Wahrnehmung und Folgen
3.1 Schrumpfung und ihre Rezeption in der Öffentlichkeit und der Forschung
3.2 Folgen der Schrumpfung auf die ursächlichen Prozesse
3.3 Auswirkungen der Schrumpfung auf abhängige Bereiche

4 Die Fallstudien: Methodik und Auswahlbegründung
4.1 Determinanten regionaler Entwicklung
4.2 Auswahl der Determinanten
4.3 Die Bertelsmann-Studie „Wegweiser Demographischer Wandel“
4.4 Auswahlbegründung: Finsterwalde, Oranienburg, Gardelegen

5 Fallstudie I: Finsterwalde
5.1 Allgemeine historische Entwicklung
5.2 Lagemerkmale und Verkehr
5.3 Zentralörtliche Einordnung und Förderbedingungen
5.4 Demographische Entwicklungstendenzen Finsterwaldes
5.4.1 Merkmale des Clusters „Schrumpfende und alternde Städte und Gemeinden mit hoher Abwanderung“
5.4.2 Allgemeine Bevölkerungsentwicklung Finsterwaldes
5.4.3 Alterung, Bildungswanderung und Attraktivität für Familien
5.5 Ökonomische Merkmale und Entwicklungstendenzen Finsterwaldes
5.5.1 Merkmale des Clusters „Schrumpfende und alternde Städte und Gemeinden mit hoher Abwanderung“
5.5.2 Merkmale und Entwicklungstendenzen Finsterwaldes
5.6 Bewertung und Perspektiven

6 Fallstudie II: Oranienburg
6.1 Allgemeine historische Entwicklung
6.2 Lagemerkmale und Verkehr
6.3 Zentralörtliche Einordnung und Förderbedingungen
6.4 Demographische Entwicklungstendenzen Oranienburgs
6.4.1 Merkmale des Clusters „Suburbane Wohnorte mit hohen Wachstumserwartungen“
6.4.2 Allgemeine Bevölkerungsentwicklung Oranienburgs
6.4.3 Familienwanderung
6.4.4 Bildungswanderung
6.4.5 Alterung
6.5 Ökonomische Merkmale und Entwicklungstendenzen Oranienburgs
6.5.1 Merkmale des Clusters „Suburbane Wohnorte mit hohen Wachstumserwartungen“
6.5.2 Merkmale und Entwicklungstendenzen Oranienburgs
6.6 Einschätzung und Perspektiven

7 Fallstudie III: Gardelegen
7.1 Allgemeine historische Entwicklung
7.2 Lagemerkmale und Verkehr
7.3 Zentralörtliche Einordnung und Förderbedingungen
7.4 Demographische Entwicklungstendenzen Gardelegens
7.4.1 Merkmale des Clusters „Stabile Mittelstädte und regionale Zentren mit geringem Familienanteil“
7.4.2 Allgemeine Bevölkerungsentwicklung Gardelegens
7.4.3 Attraktivität für Familien
7.4.4 Bildungswanderung
7.4.5 Alterung
7.5 Ökonomische Merkmale und Entwicklungstendenzen Gardelegens
7.5.1 Merkmale des Clusters „Stabile Mittelstädte und regionale Zentren mit geringem Familienanteil“
7.5.2 Merkmale und Entwicklungstendenzen Gardelegens
7.6 Bewertung und Perspektiven

8 Zwischenfazit
8.1 Überprüfung der Arbeitshypothesen
8.2 Gesamteinschätzung der Entwicklungschancen ostdeutscher Klein- und Mittelstädte

9 Handlungsoptionen
9.1 Vorbetrachtungen
9.2 Handlungsoptionen für „Schrumpfende und alternde Städte und Gemeinden mit hoher Abwanderung“
9.2.1 Herausforderungen
9.2.2 Empfehlungen
9.3 Handlungsoptionen für „Suburbane Wohnorte mit hohen Wachstumserwartungen“
9.3.1 Herausforderungen
9.3.2 Empfehlungen
9.4 Handlungsoptionen für „Stabile Mittelstädte und regionale Zentren mit geringem Familienanteil“
9.4.1 Herausforderungen
9.4.2 Empfehlungen
9.5 Hemmnisse und Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung nachhaltiger Entwicklungskonzepte

10 Resümee

Literatur:

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Aktuelle Bevölkerungsentwicklung Deutschlands

Abbildung 2: Trend der Bevölkerungsentwicklung bis 2020

Abbildung 4: Städtesystem in Deutschland

Abbildung 5: Zirkularität der Schrumpfung

Abbildung 6: Topographische Situation der Städte Finsterwalde, Oranienburg und Gardelegen

Abbildung 7: Die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung Finsterwaldes zwischen 2005 und 2020.

Abbildung 8: Die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung Oranienburgs zwischen 2005 und 2020.

Abbildung 9: Die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung Gardelegens zwischen 2003 und 2020.

Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 1: Prognostizierte Bevölkerungsentwicklung in Deutschland zwischen 1999 und 2020.

Tabelle 2: Stadttypen Deutschlands

Tabelle 3: Anteile der Bevölkerung/Arbeitsfähigen an den Stadttypen (bundesweit). Stand: 2004.

Tabelle 4: Ost-West-Vergleich der Bevölkerungsverteilung auf die unterschiedlichen Stadttypen, Stand: 2004

Tabelle 5: Demographierelevante Indikatoren.

Tabelle 6: Indikatoren zu Arbeitsmarkt und Wirtschaftsstruktur

1 Einleitung

Die ostdeutschen Städte und Gemeinden haben seit der politischen Wende im Jahr 1989 einen massiven Schrumpfungsprozess erlebt. Schrumpfung meint hierbei eine negative zirkuläre Dynamik von Wirtschaft und Demographie mit spezifischen Auswirkungen für andere Bereiche des städtischen Lebens (Lang, Tenz, 2003). Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig. Eine wesentliche Rolle spielte jedoch die schlagartig einsetzende Transformation der ostdeutschen Wirtschaft, gekoppelt an den Zusammenbruch des gesellschaftlichen Systems der DDR. Ganze Regionen wurden so ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage beraubt.

In besonderer Weise waren und sind in Ostdeutschland die Klein- und Mittelstädte von den Auswirkungen der Entwicklungen seit 1990 betroffen. Der Hauptgrund hierfür liegt in der häufig anzutreffenden Abhängigkeit der kleineren Kommunen von nur einem oder wenigen großen Arbeitgebern bis 1989, die entweder im Zuge des gesellschaftlichen Wandlungsprozesses ihre Legitimation verloren oder auf dem sich öffnenden Markt nicht länger wettbewerbsfähig waren. Ihr Verschwinden konnte in vielen Fällen bis heute nicht kompensiert werden. Die Folge des wirtschaftlichen Bruches war eine massive Abwanderung, die in der Mehrheit der Klein- und Mittelstädte der Neuen Länder bis zur Gegenwart anhält und einige von ihnen künftig vor ernsthafte Existenzprobleme stellen wird.

Doch die Klein- und Mittelstädte des Ostens präsentieren keineswegs ein Bild einheitlichen kommunalen Siechtums. Neben schrumpfenden und alternden Städten existieren in den Neuen Ländern durchaus auch wachsende und zunehmend prosperierende Klein- und Mittelstädte. Außerdem lassen die Entwicklungsprognosen der Raumforschung auf eine zunehmend divergierende Entwicklung der Kommunen schließen. Schrumpfung und Wachstum liegen dabei immer häufiger auch dicht beieinander.

Sechzehn Jahre nach der politischen Wende soll versucht werden, aus dem komplexen Bedingungsgefüge, in dem diese ostdeutschen Kommunen existieren, Rückschlüsse auf ihre künftigen Entwicklungschancen zu ziehen. Dabei soll vor allem der Frage nachgegangen werden, welche Konsequenzen heute anzutreffende Voraussetzungen für die weitere Entwicklung haben könnten. Ferner sollen Handlungs- und Profilierungsmöglichkeiten für die Zukunft vorgestellt werden, mit denen sich die Entwicklung der Kommunen von Seiten lokaler Akteure künftig positiv beeinflussen lässt.

Die Arbeit geht von folgenden Hypothesen aus:

1) Ostdeutsche Klein- und Mittelstädte sind bis zur Gegenwart mehrheitlich in besonderem Maße durch wirtschaftliche und demographische Schrumpfungsprozesse betroffen. Die demographische Schrumpfung ist im ostdeutschen Fall vorrangig die Folge des wirtschaftlichen Einbruchs nach 1989.
2) Klein- und Mittelstädte in ländlich-peripheren Regionen sind von Schrumpfungsprozessen besonders stark betroffen. Die Wirtschaft - vor allem der exportierende Basissektor - ist im Zuge des Transformationsprozesses häufig ersatzlos zusammengebrochen oder zumindest bedeutend geschrumpft. Sie hat sich bis heute nicht in genügender Weise erholen können. Die Klein- und Mittelstädte des ländlichen Raumes leiden folglich unter hohen selektiven Wanderungsverlusten (junge, qualifizierte Jahrgänge). Aufgrund der sich verschlechternden demographischen Merkmale und relativ ungünstiger Standortbedingungen besitzen sie überwiegend schlechte Entwicklungschancen.
3) Klein- und Mittelstädte in suburbanen Räumen sind von Schrumpfungsprozessen weniger stark betroffen. Sie profitieren von Wanderungsgewinnen durch den nachholenden Suburbanisierungsprozess nach der politischen Wende. Ferner stehen sie in komplexen Wechselbeziehungen zu den nahen Zentren. Aufgrund stabiler demographischer Voraussetzungen und günstiger Standortfaktoren (Agglomerationsvorteile) besitzen sie recht gute Voraussetzungen zum (Wieder-)Aufbau einer leistungsfähigen städtischen Wirtschaft.
4) Neben den Klein- und Mittelstädten im ländlichen sowie im suburbanen Raum existieren solche in Regionen mit besonderen Lagemerkmalen. Dies können zum Beispiel Grenzregionen sein. Das vorherrschende Lagemerkmal „ländlicher Raum“ oder „suburbaner Raum“ wird hier von den für die Lage spezifischen Einflüssen überlagert. Die Entwicklung dieser Kommunen ist daher zusätzlich von diesen spezifischen Merkmalen geprägt.

In der Arbeit soll zunächst die wirtschaftliche und demographische Entwicklung Ostdeutschlands nach der politischen Wende im Herbst 1989 nachvollzogen werden, um dem engen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und demographischer Entwicklung Rechnung zu tragen und den gesellschaftlichen Hintergrund der Entwicklungen zu erhellen. Dabei soll auch ein Ausblick auf die demographische Zukunft des Ostens gewagt werden. Anschließend sollen differenzierend die Rolle und die allgemeine Entwicklung der Klein- und Mittelstädte innerhalb Deutschlands beziehungsweise innerhalb der Neuen Länder näher beleuchtet werden.

Da unterstellt wird, dass Schrumpfungsprozesse die überwiegende Mehrheit der ostdeutschen Klein- und Mittelstädte betreffen, setzt sich ein weiteres Kapitel mit den Folgen der Schrumpfung auseinander. Dabei soll deutlich werden, welchen Problemen und Herausforderungen sich schrumpfende Kommunen gegenüber gestellt sehen. Es wird sowohl auf greifbare wirtschaftliche Folgen als auch auf die Auswirkungen in der öffentlichen Wahrnehmung sowie auf soziale Konsequenzen eingegangen. Chancen der Schrumpfung sollen hier aber noch nicht diskutiert werden.

In drei Fallstudien werden in den folgenden Kapiteln die Profile der Städte Finsterwalde, Oranienburg und Gardelegen in ihrem jeweilig spezifischen Kontext vorgestellt und ausgewertet. Dabei sollen von den vorhandenen Rahmenbedingungen und Entwicklungstendenzen ausgehend Rückschlüsse auf potentielle Stadtentwicklungen gezogen werden. Ein Zwischenfazit wird sich zur Aufgabe machen, die aufgestellten Hypothesen zu überprüfen und die Entwicklungschancen der ostdeutschen Klein- und Mittelstädte insgesamt zu bewerten.

Im letzten Kapitel sollen schließlich Handlungsmöglichkeiten und Entwicklungsoptionen für die vorgestellten Städtetypen aufgezeigt und reflektiert werden.

2 Strukturwandel und Stadtentwicklung

2.1 Sozioökonomischer und soziodemographischer Strukturwandel in den neuen Bundesländern

2.1.1 Ausgangssituation 1989 und sozioökonomische Entwicklungen

Durch die Transformation der DDR Planwirtschaft in die kapitalistische Marktwirtschaft de facto über Nacht wurden die eben entstandenen neuen Bundesländer ungeschützt mit den Bedingungen des Weltmarktes konfrontiert. Die plötzliche Marktöffnung, ein unrealistischer Umtauschkurs und erste Annäherungen der Gehälter im Osten an jene Westdeutschlands, begünstigten schnell einen massiven wirtschaftlichen Einbruch der ohnehin rückständigen und veralteten ostdeutschen Wirtschaftsstrukturen (Strubelt, 1996, S.40 ff; Lang, Tenz, 2003, S. 27 f; Hannemann 2003, S. 19; Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 557). Befördert wurde dieser Einbruch durch den mit der Öffnung des Marktes einsetzenden sektoralen Strukturwandel, der in den Neuen Ländern akut und räumlich nur wenig differenziert die Beschäftigtenzahlen im Land- und Forstwirtschaftssektor sowie im verarbeitenden Gewerbe (Industrie, Bergbau) schmälerte. Der Bankrott vieler veralteter und unproduktiver Betriebe, ja ganzer Industriereviere führte so zunächst zu einer räumlich umfassenden und ersatzlosen Deindustrialisierung in den meisten Regionen der ehemaligen DDR (Schätzl, 2000, S. 279 ff). Eine Tertiärisierung, das heißt die Substitution wegfallender Arbeitsplätze in Landwirtschaft und Industrie durch neue Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich, fand zunächst kaum statt. (Strubelt, 1996, S. 46, Hannemann, 2003, S. 16-23, Häußermann, 2005, S. 3-5).

Allerdings bildete die sich auflösende DDR keineswegs einen wirtschaftlichen Monolithen, der überall in gleichem Maße vom Zusammenbruch betroffen war. Vielmehr zeigte sich bald nach der Öffnung des Marktes, dass die verdichteten Regionen und solche mit gemischter industrieller Produktion Entwicklungsvorteile gegenüber peripheren ländlichen und monostrukturierten Gebieten besaßen. So waren industrielle Kerne wie Berlin, Leipzig, Dresden, Cottbus oder Chemnitz zwar auch tief greifend, aber relativ weniger stark als andere Landesteile vom wirtschaftlichen Zusammenbruch betroffen. Besonders ungünstige Entwicklungen vollzogen sich dagegen in den vielen ländlichen Kommunen, in denen die Wirtschaft im Wesentlichen von einem oder wenigen Großbetrieben abhing (Strubelt, 1996, S. 43, Friedrichs et al., 1996, S. 488; Hannemann, 2003, S. 18; Schätzl, 2000, S. 279 ff).

Obwohl 70 % des Arbeitsplatzabbaus im Gefolge der deutschen Einheit auf die Industrie entfielen, beschreibt das Phänomen der Deindustrialisierung die wirtschaftliche Situation der neuen Bundesländer nach 1990 nur unzureichend. Die wirtschaftliche Erosion ganzer Regionen wurde begünstigt durch drei weitere Faktoren: die Dekollektivierung der Landwirtschaft, den Wegfall der militärischen und paramilitärischen Einrichtungen der DDR sowie den Abbau der öffentlichen Verwaltung. Hannemann schlägt daher vor den Begriff der „Deökonomisierung“ zu verwenden: „Da der ökonomische Wandel nicht nur […] durch Deindustrialisierung verursacht ist, sondern einen allgemeinen wirtschaftlichen Strukturabbau umfasst […].“ (2003, S. 19).

So ging die Beschäftigung in der Landwirtschaft, die in der DDR in vielen Städten und Gemeinden neben der Industrie eine wirtschaftliche Hauptgrundlage bildete, zwischen 1985 und 1993 um fast 80 % zurück. Neue erfolgreiche Landwirtschaftsunternehmen entstanden zwar, sie trugen infolge des Strukturwandels aber nur noch unwesentlich zur Wirtschaftskraft bei (Ebd.).

Bezug nehmend auf die wirtschaftliche Bedeutung des Militärs ist festzuhalten, dass Volksarmee, Rote Armee, Grenztruppen, Staatssicherheit und andere Organisationen infolge des Kalten Krieges einen nicht geringen Beitrag zum Broterwerb vieler Regionen geleistet hatten, nicht zuletzt auch durch die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Eine besonders hohe Konzentration von militärischen Einrichtungen fand sich dabei in Städten nahe des innerdeutschen Grenzraumes und Berlins. Die meisten dieser Institutionen fielen nach der Wiedervereinigung ersatzlos weg. Zahlreiche NVA-Standorte wurden im Zuge der Überführung in die Bundeswehr zusammengelegt oder wegrationalisiert (Ebd.).

Die Ausdünnung des in der DDR sehr aufwendig strukturierten öffentlichen Verwaltungsnetzes durch die Abschaffung politischer Führungsstrukturen, Massenorganisationen und Verwaltungssitze trug ebenfalls wesentlich zum wirtschaftlichen Einbruch des Landes bei. Viele Kommunen verloren hierdurch nicht nur die Arbeitsplätze der Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung staatlicher Organe, sondern vor allem auch zentralörtliche Funktionen (etwa den Bezirks- oder Kreisstadtstatus) (Hannemann, 2003, S. 18; Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 563 f, Heineberg, 2001, S. 233).

Für die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands kam erschwerend hinzu, dass das Forschungs- und Entwicklungspersonal, wichtiges Humankapital also, de facto unberücksichtigt verschwand. Verursacht wurde dieser Prozess durch die Folgen der Deindustrialisierung, aber auch durch den Auflösungsprozess der DDR-Akademien und den nur schleppenden Aufbau eines neuen Hochschulnetzes (vor allem mit Personal aus den alten Ländern). Dieses endogene Entwicklungspotential, das die Neuen Länder für eine selbst gesteuerte Konsolidierung dringend benötigt hätten, blieb so ungenutzt (Strubelt, 1996, S. 43).

Die ostdeutsche Transformation darf so insgesamt nicht mit dem Phänomen des allgemeinen Strukturwandels gleichgesetzt werden, sie ist ein weltweit einmaliger Sonderfall. Sie beschreibt im Gegensatz zum Strukturwandel nämlich nicht den allmählichen Übergang einer industriellen in eine Dienstleistungsgesellschaft. Vielmehr ist die ostdeutsche Gesellschaft weitgehend und relativ plötzlich deindustrialisiert worden (Engler, 2001, S. 872 ff). Der Grund hierfür ist die Ingangsetzung und Überlagerung des Strukturwandels durch das Ende des DDR-Systems und das Aufgehen seiner problematischen Strukturen im kapitalistischen Markt. Dies hatte zur Konsequenz, dass weite Teile des Landes einer bis heute anhaltenden massiven wirtschaftlichen und demographischen Schrumpfung zum Opfer fielen, die es während des Strukturwandels etwa in den alten Ländern so nicht gegeben hat (Hannemann, 2004, S. 76).

Die vorhandene und die wahrgenommene Disparität zwischen den Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen führte in der Folge zu einer massiven Abwanderung der Bevölkerung, vor allem aus Städten und Gemeinden der ländlich-peripheren Räume (hier vor allem in den östlichen Grenzregionen). Vergleichbare Prozesse vollzogen sich aber auch in räumlich unterschiedlich situierten Kommunen monostrukturierter und altindustrieller Gebiete (Franz, 2005, S. 11). Umfragen aus dieser Zeit belegten, dass der wahrgenommene Nachteil der lokalen Lebensbedingungen gegenüber denen des Westens die Wanderungsbereitschaft besonders erhöhte (Strubelt, 1996, S. 42; Bullinger, 2002, S. 266). Nach einer anfänglichen Annäherung des Indikators „Zufriedenheit mit dem eigenen Wohnort“ an das westdeutsche Niveau zwischen 1990 (24 %) und 1998 (56 %), divergierte die Befindlichkeit in der Folgezeit (2002: 40 %). Die Ursachen für diese Entwicklung lassen sich wohl vor allem im plötzlichen Ende des Baubooms finden, das die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit im Osten weiter verschärfte (Gatzweiler, Meyer, Milbert 2003, S. 563 ff).

Von der wirtschaftlichen Unsicherheit sahen sich die Frauen in besonderer Weise betroffen. Die Folge war ein verheerender Einbruch der Geburtenzahlen, der so genannte Wendeknick (Strubelt, 1996, S. 42 ff, Gans, 1996, S. 144 ff; Bödeker 2002, S. 62). Diese Entwicklung löste ab 1992 den Bevölkerungsverlust durch Abwanderung als Hauptursache für die demographische Schrumpfung ab.

Als besonders dramatisch stellte sich dann im Verlauf der 1990er Jahre die Entwicklung der ländlichen Räume dar, die durch besonders niedrige Geburtenzahlen und durch anhaltend hohe Wanderungsverluste gekennzeichnet waren. Parallel zu diesen Prozessen wuchs die Gefahr, langfristig demographisch und damit wirtschaftlich „abgehängt“ zu werden. Denn die ländlichen Räume verloren das für ihre Entwicklung notwendige Humankapital und wurden damit zugleich um die Möglichkeit gebracht, ihre Bevölkerung zu reproduzieren (Strubelt, 1996, S. 45, Gans, 1996, S. 144 ff).

Insgesamt muss die demographische Entwicklung in Ostdeutschland so auch und vor allem als Sekundäreffekt der primär vorhandenen wirtschaftlichen Schrumpfung verstanden werden. Sie ist bis heute zum Normalfall geworden (Gatzweiler, Meyer, Milbert 2003, S. 558, 563 f; Bullinger, 2002, S. 266).

Seit 2004 haben nun einige ostdeutsche Zentren darunter vor allem Dresden, Potsdam und Jena, aber auch kleinere Standorte an den Verkehrsachsen Berlin – Hannover und Dresden – Thüringen – Hessen eine günstigere wirtschaftliche und demographische Entwicklung nehmen können. Bezüglich ihrer Zukunftsfähigkeit stehen vor allem die genannten Großstädte bereits auf Augenhöhe mit Top-Regionen Westdeutschlands. Das Wachstum ist bislang jedoch im Gegensatz zum Westen noch sehr punktuell und strahlt nur wenig in das Umland aus (Prognos, 2007a, S. 5).

Vor allem für die ländlichen Regionen Ostdeutschlands zeichnen sich aber auch mittelfristig kaum positive Entwicklungen ab. Der von der Prognos AG veröffentlichte Zukunftsatlas 2007 legt diesen Regionen nahe, sich damit anzufreunden ihre Rolle als „dünnbesiedelte Rückzugs- und Erholungsräume anzunehmen und aktiv zu gestalten.“ (Prognos, 2007a, S. 6). Licht und Schatten liegen so im Osten derzeit dicht beieinander.

Um den engen Zusammenhang zwischen den ursächlichen wirtschaftlichen Entwicklungen und den demographischen Folgeprozessen aufzuzeigen, soll im Folgenden die Entwicklung der neuen Bundesländer aus demographischer Perspektive nachgezeichnet werden (Hannemann, 2003, S. 16 ff; Lang, Tenz, 2003, S. 35 ff).

2.1.2 Demographische Entwicklungen in den neuen Ländern bis zur Gegenwart

Die neuen Bundesländer verloren einschließlich Berlins zwischen 1990 und 1999 in der Bilanz etwa 840000 Menschen und damit rund 4,6 % ihrer Bevölkerung. Fast zwei Drittel des ostdeutschen Bevölkerungsrückganges resultierte dabei aus Wanderungen nach Westdeutschland (Bucher, Schlömer, Lackmann, 2004, S.112; Beyer, Zupp, S. 90 f). Verstärkt und beschleunigt wurde diese Entwicklung aber durch die ebenfalls negative Veränderung der natürlichen Bevölkerungsentwicklung, das heißt durch sinkende Geburtenraten und ein verändertes generatives Verhalten (Heiratsalter, Alter der Frau bei der ersten Geburt, Kinder pro Frau) (Bödeker, 2002, S. 62).

Profitieren konnten die neuen Länder von Zuzügen aus dem Ausland, die die Kumulation von Abwanderung und natürlicher Bevölkerungsabnahme jedoch längst nicht kompensieren konnten (ca. 530000 Menschen) (Bucher, Schlömer, Lackmann, 2004, S. 119; Bödeker 2002, S. 62).

Im Zeitraum zwischen 1989 und 1993 wiesen alle ostdeutschen Regionen außer Berlin (+2,0 %) eine deutlich negative Bevölkerungsentwicklung von mindestens -3,5 % auf. In besonderem Maße (</= -7 %) waren hierbei wie bereits angedeutet die ländlich-peripheren Räume, aber auch altindustrielle und monostrukturierte Regionen, darunter zunächst auch die Großstädte (durchschnittlich -11 Promille/Jahr) betroffen. Konkret waren dies der Osten Mecklenburg-Vorpommerns, vor allem aber auch Sachsen, der Südosten Sachsen-Anhalts sowie die thüringischen Großstädte. Die Eingemeindungswelle zwischen 1993 und 1994 konnte diese Entwicklung nur optisch schönen, tatsächlich gestaltete sich die Abwanderung aus vielen Städten in den 1990er Jahren durchgehend massiv und stetig (Bödeker, 2002, S. 62). Suburbanisierungsprozesse waren bis 1994 kaum beobachtbar (Gans, 1996, S. 147 ff; Franz, 2005, S. 11). Einen positiven Wanderungssaldo verzeichnete der Osten allerdings bei der Wanderung Hochqualifizierter. So zogen zwischen 1992 und 1997 in der Bilanz rund 42000 Menschen mit Abitur und 26000 Menschen mit einem Fachhochschul- oder Hochschulabschluss in die neuen Länder (Lang, Tenz, 2003, S. 35). Waren unmittelbar nach der Wende noch die meisten Regionen Ostdeutschlands mehr oder weniger gleich stark von massiven Bevölkerungsverlusten betroffen, zeigte sich zwischen 1997 und 2001 bereits ein relativ differenzierteres Bild der demographischen Entwicklung. Diese Tendenz ist nicht zuletzt wohl auch dem Umstand geschuldet, dass verschiedene lokale Akteure zu diesem Zeitpunkt neue Handlungsoptionen erkannt und verfolgt hatten (Franz, 2005, S. 11) (vgl. Abb. 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Aktuelle Bevölkerungsentwicklung Deutschlands

Quelle: BBR, Raumordnungsbericht 2005.

Zwischen 1997 und 2001 verloren die neuen Bundesländer noch einmal 2, 3 % ihrer Bevölkerung bei wieder leicht steigender Tendenz nach einer Konsolidierungsphase zwischen 1993 und 1998 (Werz, 2001, S. 25 f). Erneut war ein starker Bevölkerungsschwund vor allem in den peripheren ländlichen Regionen zu beobachten. Das Umland zahlreicher großer Städte konnte nun jedoch durch die einsetzende nachholende Suburbanisierung zum Teil starke Zuwächse verzeichnen (Lang, Tenz, 2003, S. 46, ff).[1] Auch Städte und Gemeinden entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze wiesen stabile oder gar wachsende Einwohnerzahlen auf (Beispiele hierfür sind etwa Wernigerode, Eisenach oder Heiligenstadt) (Lang, Tenz; 2003, S. 48; Franz, 2005, S. 11). Als demographische Stabilitätsinseln des Ostens stellten sich aber immer mehr die suburbanen Regionen Berlins, Halle-Leipzigs, Rostocks, des thüringischen Städtebandes sowie Dresdens heraus, damit also auch Regionen, von denen einige noch wenige Jahre zuvor noch von starken Schrumpfungsprozessen betroffen waren. Wachsende und schrumpfende Regionen lagen dabei allerdings räumlich schon sehr dicht beieinander. In den letzten Jahren trat erneut eine gewisse Abflachung der Wanderungsbewegungen von Ost- nach Westdeutschland und eine demographische Konsolidierung der ostdeutschen Zentren ein. Die Wanderungsbilanz der Hochqualifizierten schlug zwischen 1997 und 2001 aus ostdeutscher Perspektive in den Negativbereich um. 25 % der aus Ostdeutschland Abwandernden waren zwischen 1997 und 1999 Hochqualifizierte (bei 10,4 % Bevölkerungsanteil in Ostdeutschland) (Bucher, Schlömer, Lackmann, 2004, S. 108 ff, BBR, 2005).

2.1.3 Demographische Prognosen

Im Zeitraum 1999 – 2020 wird die Bevölkerungszahl Deutschlands um etwa 0,76 % abnehmen (Schlömer, 2006, S. 5; Schmidt, Große Starmann, 2006, S. 11). Diese zunächst moderat erscheinende Bevölkerungsentwicklung wird bei breiter Streuung unterschiedlicher Entwicklungen allerdings vor allem den Osten Deutschlands und hierbei insbesondere die ländlich-peripher gelegenen Städte und Gemeinden treffen. Die Bertelsmann-Stiftung rechnet im Betrachtungszeitraum 2006-2020 in einigen Gemeinden Ostdeutschlands mit Bevölkerungsrückgängen von 30-40 %. Insgesamt werden im Jahr 2020 rund 2,6 % weniger Menschen in Ostdeutschland leben als noch 1999 (vgl., Tab. 1) (Schmidt, Große Starmann, 2006, S. 11; Schlömer, 2006, S. 5).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Prognostizierte Bevölkerungsentwicklung in Deutschland zwischen 1999 und 2020.

Quelle: Schlömer, 2006, S. 5.

Schrumpfung und Wachstum werden in Zukunft verstärkt auf engem Raum nebeneinander existieren und so zu einem ausgeprägten Patch-Work von Gewinner- und Verliererregionen führen, wie es sich heute bereits andeutet (BBR, 2006, S. 6 f) (Vgl., Abb. 1).

Demographisches Wachstum wird es auf immer kleiner werdenden „Inseln“ vermutlich noch in den suburbanen Räumen der großen Städte geben. Zu nennen sind hierbei vor allem die Umlandregionen von Berlin, Halle-Leipzig, Erfurt, Jena und Rostock. Verschiedene Prognosemodelle kommen hier aber zu unterschiedlichen Ergebnissen. So geht Schlömer (2006, S. 7) davon aus, dass sowohl suburbane als auch ländliche Räume bis 2020 ohne nennenswerte zwischenzeitliche Erholung kontinuierlich schrumpfen werden. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung hingegen prognostiziert für die Umlandregionen der Städte bis 2020 noch deutliche Bevölkerungsgewinne (BBR, 2005, S. 32; Müller, Siedentop, 2004, S. 14 ff). Die großen Kernstädte Ostdeutschlands sind derzeit in einer Konsolidierungsphase, allerdings auf sehr niedrigem Niveau. Sie werden vermutlich ab 2014 wieder vermehrt Einwohner verlieren. Diese Entwicklung wird dann aber weniger durch ökonomisch motivierte Wanderungsbewegungen als durch fehlende Geburten (Zweiter Geburtenknick aufgrund der fehlenden Müttergeneration) und eine einsetzende Überalterung begründet sein. Durch den derzeit beobachtbaren Trend zur Rückkehr in die Städte wird sie wohl allenfalls vorübergehend abgeschwächt werden (Schlömer, 2006, S. 6 ff; BBR, 2005, S. 31-38; Schmidt, Große Starmann, 2006, S. 13f, Müller, Siedentop, 2004, S. 23).

Die ländlich-peripheren Räume werden in jedem Falle weiter deutliche Bevölkerungsverluste hinnehmen müssen (Vgl., Abb. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Trend der Bevölkerungsentwicklung bis 2020.

Quelle: BBR, Raumordnungsbericht 2005.

Die klaren Grenzlinien zwischen suburbanen und ländlichen Räumen werden aber zunehmend verschwimmen. Wo die Bevölkerung auch außerhalb der Zentren wächst, wird dies primär durch wirtschaftliches Wachstum getragen (Gatzweiler et al., 2006, S. 26 f; BBR, 2006, S. 6 f). Langfristig ist von einer negativen Bevölkerungsdynamik sowohl in den ländlichen Regionen als auch in den Kernstädten und suburbanen Räumen des Ostens auszugehen (Schlömer, 2006, S. 7 f).

Besonders tragisch für die von Wanderungsverlusten betroffenen Regionen Ostdeutschlands ist der horrende Verlust an Human- und Sozialkapital als direkte Folge der selektiven Abwanderung junger, qualifizierter Menschen. (Schneider, 2005, S. 309-313, BBR, 2006, S. 6 f, Hannemann, 2004). Die anhaltend negative Wanderungsbilanz junger Menschen und der Geburtenknick der Nachwendezeit („Wendeknick“) verursachen durch den Ausfall künftiger Elterngenerationen außerdem eine Eigendynamik der demographischen Schrumpfung. Dies bestimmt eine negative natürliche Bevölkerungsentwicklung und eine nachhaltige Schmälerung des ostdeutschen Talentepools langfristig vorher. (Lang, Tenz, 2003, S. 100 f; Schmidt, Große Starmann, 2006, S.13; Schlömer, 2006, S. 8 f).

Ein zentraler Aspekt des künftigen demographischen Wandels ist neben dem Wachstum oder Rückgang auch die Verschiebung der inneren Struktur, insbesondere der Altersstruktur der Bevölkerung. Alle Kommunen Deutschlands werden künftig altern, aber die heute schrumpfenden Städte und Regionen der Neuen Länder werden infolge der hohen Bevölkerungsverluste und fehlender Reproduktion eine besonders negative Altersstruktur entwickeln. Der Ost-Westgegensatz insgesamt wird sich dabei nur noch bis zum Jahr 2009 verschärfen, um danach durch die Effekte der wieder leicht angestiegenen Fertilität in Ostdeutschland ab 1995 langsam abzunehmen (Schlömer, 2006, S. 9; Häußermann, 2005, S. 3-5).

Gut ablesbar ist der Trend zur Alterung am Anteil der unter 20jährigen an der Gesamtbevölkerung. In den neuen Ländern ist er in allen Teilregionen stark fallend (vgl., Abb. 3). Er ist gleichzeitig ein Indikator für schrumpfende Regionen. Tritt zur Abnahme der schulpflichtigen Jahrgänge gleichzeitig ein signifikantes Ansteigen des Anteils der Hochbetagten, ist die altersstrukturelle Verschiebung besonders bedeutsam. Derart betroffene Regionen besitzen damit äußerst problematische demographische Voraussetzungen und stehen dementsprechend unter einem hohen Anpassungsdruck (Schneider, 2005, S. 309-313). In weiten Teilen Ostdeutschlands kumulieren beide Aspekte, so dass beispielsweise 50 % der Bevölkerung von Guben, Wittenberge oder auch Hoyerswerda im Jahr 2020 älter als 58 Jahre sein werden (BBR, 2006, S. 6 f) (vgl., Abb. 3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Ausprägung von Komponenten des demographischen Wandels bis 2020.

Quelle: BBR, 2006.

Die Alterung wird durch Wanderungsgewinne (vor allem durch Außenwanderungsgewinne) zum Teil kompensiert, durch Wanderungsverluste hingegen begünstigt. Hierbei muss wiederum festgehalten werden, dass vor allem die von der Alterung weniger betroffenen städtischen Verdichtungsräume von Außenwanderungen profitieren (BBR, 2006, S. 6 f; Bucher, Schlömer, Lackmann, 2004, S.109; Schlömer 2006, S. 6 f).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass alle Teilräume Ostdeutschlands langfristig schrumpfen und altern werden, mittelfristig gestaltet sich dieser Prozess jedoch sehr differenziert. Die Verliererregionen sind dabei eindeutig die ländlich-peripheren Gebiete, für Städte mit hoher Zentralität und deren Einzugsgebiete gelten hingegen mittelfristig günstigere Prognosen.

2.2 Die besondere Rolle der ostdeutschen Klein- und Mittelstädte

2.2.1 Das Städtesystem Deutschlands

Deutschland besitzt aufgrund seiner langen föderalen Tradition und geschichtlicher Entwicklungspfade wie denen des verlorenen Zweiten Weltkrieges und der deutschen Teilung ein ausgesprochen dezentrales, mehrgipfeliges Städtesystem mit relativ flachen Hierarchien (Blotevogel, 2002, S. 42; Gatzweiler et al., 2006, S. 3). Obwohl Berlin in der Städtehierarchie an erster Stelle steht, ist der Unterschied zu anderen Großstädten im Vergleich zu zentralistisch organisierten Staaten wie etwa Frankreich ausgesprochen gering. Die Regionalmetropolen bilden in Deutschland so ein arbeitsteiliges Netz von – je nach Sichtweise - sechs bis elf Metropolregionen mit jeweils spezifischen Funktionen (BBR, 2004; Blotevogel, 2002, S. 42; Gatzweiler et al., 2006, S. 3; Heineberg 2001, S. 75 ff). Die gestreute Verteilung der Großstädte in Deutschland wirkt sich insofern günstig aus, als dass es kaum Regionen gibt, die im internationalen Vergleich sehr peripher liegen. Ein dichtes Netz von Oberzentren sichert bis heute auch in relativ marginalen Gebieten (noch) die Versorgung mit hochwertiger Infrastruktur. „Das städtische Siedlungssystem stellt aus sozioökonomischer und funktionaler Sicht ein eng vernetztes, polyzentrisches Gefüge von Städten und ihren jeweiligen Einzugsgebieten dar, in das die ländlichen Gebiete wirtschaftlich, sozial und kulturell mehr oder weniger stark eingebunden sind.“ (BMBau, 1996, S. 19) (Vgl., Abb. 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Städtesystem in Deutschland.

Quelle: BBR, 2004.

2.2.2 Klein- und Mittelstädte: Begriffliche Eingrenzung

Es existieren keine eindeutigen Definitionen dafür, welche Kenngrößen eine Stadt besitzen muss, um als Mittel- beziehungsweise als Kleinstadt zu gelten. Die deutsche Reichsstatistik etwa definierte Kleinstädte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als Kommunen mit einer Einwohnerzahl zwischen 5000 und 20000 und Mittelstädte als Gemeinwesen mit Einwohnerzahlen zwischen 20000 und 100000 Einwohnern (Adam, 2005, S. 496; Hannemann, 2004, S. 18). Die Raumforschung hingegen trägt stärker den anhaltenden Urbanisierungsprozessen des 20. Jahrhunderts Rechnung, entsprechend kennzeichnet sie Mittelstädte als Gemeinwesen mit 50000 bis 250000 Einwohnern (Adam, 2005, S. 496; (Klöpper, 1995, S. 913). Neben dem Faktor „Einwohnerzahl“ sind die Dichte der Bevölkerung und vor allem auch die Zentralität wesentliche Indikatoren für die Einordnung einer Stadt. Auch hier ist allerdings eine arithmetische Festlegung umstritten, nicht zuletzt weil die Raumforschung auch Formen der Kooperation räumlich gestreuter Unterzentren oder funktionale Verflechtungen im ländlichen Räumen als Stadtregionen ausweist. Was klein, mittel oder groß ist, wird schließlich auch durch den räumlichen Kontext festgelegt. So kommt einer Stadt mit 30000 Einwohnern in Mecklenburg-Vorpommern sicherlich eine andere Bedeutung zu als in den hoch verdichteten Stadtregionen Nordrhein-Westfalens (Adam, 2005, S. 495 ff). Die Zentralität einer Stadt ist geeignet um ihre Bedeutung für den sie umgebenden Raum herauszustellen, aber auch um ihre gegenwärtigen Potentiale zu eruieren. Sie ist somit für diese Arbeit von hohem Stellenwert. Im Folgenden werden daher die verschiedenen Zentralitätsstufen noch einmal konkretisiert (Sachs, 2002, S. 34 f):

- Unterzentren sind dadurch gekennzeichnet, dass sie (vor allem in ländlichen Regionen) die Grundversorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen und Gütern für den allgemeinen und kurzfristigen Bedarf sichern. Hierzu gehören etwa die Versorgung mit Lebensmitteln, allgemeinärztliche Betreuung, Friseur.
- Mittelzentren stellen Arbeitsplätze innerhalb einer bestimmten Region und bieten ferner Güter und Dienstleitungen für den gehobenen, mittelfristigen Bedarf (Fachärzte, Bekleidung, Gymnasien, Berufsschule, Amtsgericht, Volkshochschule).
- Oberzentren sind überregional bedeutsame Wirtschafts- und Arbeitsmarktzentren. Sie versorgen die Bevölkerung mit speziellen, hochwertigen und langfristigen Gütern und Dienstleistungen (Hochschulen, Landgerichte, Spezialkrankenhäuser, große Einkaufszentren)

Anlehnend an Kategorisierungen des BBR und Adams (2005, S. 496 f) sollen in dieser Arbeit unter Klein- und Mittelstädten Ostdeutschlands Stadtgemeinden verstanden werden, die sich auf dem Territorium der neuen Bundesländer befinden und eine Einwohnerzahl von weniger als 100000, aber mehr als 7500 besitzen (Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 558). Differenzierend sollen unter dem Begriff Mittelstädte alle Kommunen zusammengefasst werden, in denen zwischen 20000 und 100000 Einwohner leben und die wenigstens die Funktion eines Mittel-, häufig jedoch (partiell) die eines Oberzentrums besitzen (Ebd.; Sachs 2002, S. 34 f).

Kleinstädte sind dagegen all jene Kommunen mit Stadtrecht, in denen weniger als 20000 Einwohner leben, die aber mindestens die Funktion eines Unterzentrums oft jedoch auch (Teil-)Funktionen eines Mittelzentrums besitzen (Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 558; Sachs 2002, S. 34 f).

Ihnen gegenüber stehen einerseits die Großstädte mit Einwohnerzahlen von mehr als 100000 und oberer Zentralitätsstufe und andererseits die kleinen und großen Landgemeinden ohne Stadtrecht, die häufig grundzentrale Funktionen besitzen (Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 558) (Vgl., Tab. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Stadttypen Deutschlands.

Quelle: Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 558 f.

Klein- und Mittelstädte sind innerhalb des deutschen Städtesystems in einer relativ niedrigen Hierarchiestufe angesiedelt (Blotevogel, 2002, S. 42). Trotz dieser Gemeinsamkeit unterscheiden sich die beiden Stadttypen voneinander durch Einwohnerzahl, Siedlungsdichte und Zentralität. Diese Faktoren führen hier zu jeweils typischen Erscheinungsformen und Charakteristika des städtischen Lebens. Auch untereinander zeigen Kleinstädte und Mittelstädte äußerst heterogene Merkmale. So besitzt jede Stadt individuelle Kenngrößen in Hinblick auf ihre Einwohnerzahl, Zentralität, wirtschaftliche Basis, Bebauung und Geschichte sowie bezüglich ihres landschaftlichen und siedlungsstrukturellen Kontexts (Hannemann, 2004, S. 20 f).

Da die deutschen Klein- und Mittelstädte etwa im Zuge von Unternehmens- oder Verwaltungsentscheidungen schnell von Schrumpfungs- oder Wachstumsprozessen ergriffen werden können und somit im Vergleich zu Großstädten wirtschaftlich und demographisch relativ labil und abhängig sind, ist die Ausstattung mit zentralörtlichen Funktionen und ihre Fähigkeit diese beizubehalten bzw. auszubauen grundlegend. Zentralörtliche Funktionen sind als Standortfaktor für die Zukunftsfähigkeit von Städten dementsprechend von hoher Bedeutung. (Sachs 2002, S. 34 f, Heineberg, 2001, S. 87 ff). Zentren gleicher Hierarchie in räumlicher Nähe sind daher durch ein ausgesprochenes Konkurrenzverhältnis geprägt, soweit sie diesem nicht durch gezielte Kooperation begegnen. Dies wird vor allem in den verdichteten Stadträumen Westdeutschlands deutlich (Sachs, 2002, S. 34 f; Kersting, 2006).

2.2.3 Klein- und Mittelstädte in Deutschland – Fakten und Entwicklungspfade

Rund 48,5 Millionen Menschen lebten 2003 in den Klein- und Mittelstädten Deutschlands, dies entspricht knapp der Hälfte der Bevölkerung insgesamt. Damit bilden die beiden Stadttypen bundesweit die bevorzugte städtische Siedlungsform. Rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung ist dabei in den 884 Mittelstädten Deutschlands beheimatet, während die 1078 Kleinstädte nur ca. 1/8 der Bevölkerung aufnehmen (Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 559).

Etwa 48 % aller Beschäftigten arbeiten in Klein- oder Mittelstädten, ihr Anteil am Gesamtsteueraufkommen und am Kaufkraftvolumen beträgt 46,5 % beziehungsweise 47,7 %. Diese Merkmale lassen diese Kommunen auch in wirtschaftlicher Hinsicht bedeutend erscheinen, nach den Großstädten sind sie wichtigsten Träger der deutschen Volkswirtschaft (BBR, 2004; Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 559) (Vgl. Tab. 3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Anteile der Bevölkerung/Arbeitsfähigen an den Stadttypen (bundesweit). Stand: 2004.

Quelle: Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 559 f; 572 f.

Die deutschen Mittelstädte wiesen zwischen 1997 und 2001 im Mittel eine relativ positive Bevölkerungsentwicklung und eine überdurchschnittliche wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit auf. Anders allerdings die Kleinstädte: Als einziger Stadttyp verzeichneten sie im Betrachtungszeitraum eine Arbeitsplatzabnahme. Ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit war im Schnitt sogar geringer als die der großen Landgemeinden und nur die kleinen Landgemeinden besaßen ein noch geringeres wirtschaftliches Potential (Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 560).

In der früheren Bundesrepublik partizipierten Klein- und Mittelstädte in regional unterschiedlicher Weise vom Einwohner- und Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit. Als profitierende Regionen sind dabei die städtereichen Landesteile des Nordwestens und des Südwestens zu nennen. Diese bezogen allerdings auch die relativ großstadtfernen Gebiete Westfalens und des südlichen und östlichen Baden-Württembergs ein. Außerdem häufen sich die Klein- und Mittelstädte im Westen Deutschlands im Umland der Großstädte. Auch hier vollzogen sich enorme Wachstumsprozesse im Zuge der Nachkriegsentwicklungen seit 1945 (Blotevogel, Hommel, 1980, S. 156-158; Heineberg, 2001, S. 76).

In Ostdeutschland ist entsprechend dem Bevölkerungsschwerpunkt eine Häufung von Klein- und Mittelstädten vor allem im dichter besiedelten Süden und in der Metropolregion Berlin festzuhalten. Der Norden Ostdeutschlands ist hingegen dünner besiedelt und bis auf Rostock als bedeutender Hafenstadt strukturell relativ schwächer entwickelt (Heineberg, 2001, S. 76).

2.2.4 Besonderheiten ostdeutscher Klein und Mittelstädte

Die in der gesamtdeutschen Betrachtung für Klein- und Mittelstädte festgehaltenen demographischen und wirtschaftlichen Eigenschaften lassen sich bei isolierter Betrachtung Ostdeutschlands nicht aufrechterhalten. Das BBR spricht von hochsignifikanten Unterschieden (Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 561).

So liegt der Bevölkerungsschwerpunkt im Osten eindeutig in den Großstädten, außerdem ist der Anteil der Menschen, die in Kleinstädten leben, deutlich höher (Vgl., Tab. 4)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 4: Ost-West-Vergleich der Bevölkerungsverteilung auf die unterschiedlichen Stadttypen, Stand: 2004.

Quelle: Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 559 f; 572 f.

Daher besitzt die Kategorie der Großstädte für Ostdeutschland eine noch herausragendere wirtschaftliche Rolle als für den Westen. Der im gesamtdeutschen Vergleich hohe Anteil von Kleinstadtbewohnern lässt die Kleinstädte für Ostdeutschland ebenfalls bedeutsamer erscheinen (Heineberg, 2001, S. 76 ff; BBR, 2004).

Um die gegenwärtige Bedeutung und Entwicklung der ostdeutschen Klein- und Mittelstädte zu verstehen, ist ein Blick auf die historische Entwicklung dieser Stadttypen nötig. Hannemann (2004, S. 11 f) zufolge unterlagen viele dieser Städte einer mehrstufigen Marginalisierung, d. h. einem Bedeutungsverlust aufgrund ihres weitgehenden Ausschlusses von grundlegenden Innovationen und global relevanten Entwicklungen. Zunächst ist in diesem Zusammenhang das häufige Ausbleiben einer echten Industrialisierung und damit verbunden eine vergleichsweise geringe Verstädterung während des 19. Jahrhunderts zu nennen. Bereits hier setzte der Bedeutungsverlust der „zurückbleibenden“ Klein- und Mittelstädte ein und verschlechterte deren Zukunftspotentiale. Während sich dieser Entwicklungspfad noch auf viele Klein- und Mittelstädte Westdeutschlands übertragen ließe, folgten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zwei weitere ungünstige Weichenstellungen, die die kleinen und mittelgroßen Städte hier in ihrer Bedeutung weiter an den Rand drängen sollten.

Einerseits wurden die Kleinstädte während des Sozialismus „ […] Opfer einer an Großeinheiten ausgerichteten Industrialisierungspolitik.“ (Hannemann, 2004, S. 13). Wachstum und Stagnation waren von staatlichen Ressourcenzuweisungen abhängig, je nachdem ob eine Stadt für die sozialistische Planung eine Rolle spielte oder nicht. Bevorzugt wurden dabei Groß- und vor allem Mittelstädte, die als Zentren der Makrostruktur mit großen Industrieansiedlungen versehen wurden (zum Beispiel Schwedt, Hoyerswerda). Die Kleinstädte und Dörfer hingegen wurden offiziell bis in die 1970er Jahre und de facto bis zur Wiedervereinigung weitgehend vernachlässigt – sie verfielen, schrumpften und verloren an wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bedeutung (Hannemann, 2004, S. 13, 77 ff).

Andererseits folgte die industrielle Bevorzugung der Mittelstädte meist dem Prinzip „eine Stadt = ein Betrieb“, so dass diese für den folgenden Transformationsprozess ebenfalls strukturell äußerst ungünstige Startbedingungen erhielten.

Seit der Wiedervereinigung sind die Einwohnerzahlen in den meisten ostdeutschen Klein- und Mittelstädten stark rückläufig. Dies trifft nicht nur, aber vor allem auf die ländlichen Regionen zu. Der spezifische Transformationsprozess bildet hier damit den bislang letzten, zugleich aber erstmals einen Existenz bedrohenden Marginalisierungsschub, besonders für viele Kleinstädte. Er ist wohl zumindest mittelfristig irreversibel. (Hannemann, 2004, S. 13).

2.2.5 Divergierende Entwicklungen zwischen Ost und West

Die Städte der neuen Bundesländer verloren zwischen 1989 und 1999 bis zu einem Viertel ihrer Einwohner, Problemstädte wie Weißwasser, Hoyerswerda, Schwedt und Wolfen gar noch mehr. Die Großstädte Leipzig (-84000 Einwohner), Halle (-67000 Einwohner) und Chemnitz (-60000 Einwohner) verzeichneten dabei die höchsten absoluten Bevölkerungsverluste.

Die höchsten relativen Bevölkerungsverluste wiesen aber die Klein- und Mittelstädte Ostdeutschlands auf. Diese Tatsache korreliert mit einer sehr geringen Zufriedenheit mit den Lebensbedingungen am Wohnort (37 % für Klein-, 38 % für Mittelstädte). Beide Befunde lassen sich vor allem mit der ausgeprägt negativen wirtschaftlichen Entwicklung dieser Stadttypen begründen (Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 563). Der Sonderweg der ostdeutschen Klein- und Mittelstädte soll im Folgenden anhand einiger Merkmale noch einmal fassbar werden:

Deutlich mehr als die Hälfte (59,5 %) der ostdeutschen Mittelstädte schrumpfte zwischen 1997 und 2001. Beim Gesamtwanderungssaldo (GWS) wiesen sie eine Negativbilanz von -27 pro 1000 Einwohner auf. Die Mittelstädte der Neuen Länder verloren damit im genannten Zeitraum vor allem durch Migration rund 5,3 % ihrer Einwohner. In Relation zu ihrer Gesamtbevölkerung büßten sie so mehr Bevölkerung als die ostdeutschen Großstädte ein. Ein ähnlich negatives Bild bot sich auf dem Arbeitsmarkt. 9,8 % der Arbeitsplätze fielen im genannten Zeitraum in ostdeutschen Mittelstädten weg, während die ostdeutschen Großstädte einen Arbeitsplatzrückgang von „nur“ 4,5 % tolerieren mussten. Gleichzeitig wiesen die Mittelstädte eine sehr hohe Arbeitslosenquote von 18,7 Prozent auf (ostdeutsche Großstädte 15,5 %) (Ebd., 2003, S. 572).

Die westdeutschen Mittelstädte hingegen gewannen im Betrachtungszeitraum mit einem Plus von 0,8 % noch leicht an Einwohnern hinzu. Ursache hierfür waren vor allem Wanderungsgewinne aus den neuen Ländern und aus dem Ausland (GWS: 10/1000 EW) (Ebd., 2003, S. 572; Bödeker, 2002, S. 62 f). Gleichzeitig gestaltete sich die Arbeitslosigkeit hier unterdurchschnittlich (7,7 %), wobei zusätzlich noch leichte Arbeitsplatzgewinne zu verzeichnen waren (3,4 %).

Die ostdeutschen Kleinstädte hatten wie die größeren Mittelstädte des Ostens im Zeitraum von 1997 bis 2001 mit hohen Bevölkerungsverlusten zu kämpfen. So verloren sie durch Migration (GWS: -6,7/1000 EW), aber auch durch die natürliche Bevölkerungsentwicklung insgesamt 2,1 % ihrer Bevölkerung. Mit 9,2 % nahm die Zahl der Arbeitsplätze nahezu genauso massiv ab wie in den Mittelstädten. Ähnlich hoch war hier folgerichtig auch die Arbeitslosigkeit (17,1 %) (Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 573).

Die westdeutschen Kleinstädte verzeichneten – ähnlich wie die westdeutschen Mittelstädte – vor allem durch Wanderungsgewinne im gleichen Zeitraum leichte Bevölkerungsgewinne von 1,8 % (GWS: 13,6 je 1000 Einwohner). Zusätzlich konnten sie bei gleichzeitig niedriger Arbeitslosigkeit (5,9 %) in der Bilanz noch auf leichte Arbeitsplatzzuwächse verweisen (4,1 %) (Ebd.).

3 Schrumpfende Städte: Wahrnehmung und Folgen

3.1 Schrumpfung und ihre Rezeption in der Öffentlichkeit und der Forschung

Trotz immenser Transferleistungen aus den alten Ländern weist die ostdeutsche Wirtschaft bis heute große Strukturdefizite auf, ohne in der Fläche Erfolg versprechende Perspektiven zu bieten. Obwohl das Phänomen der Schrumpfung damit die überwältigende Mehrheit der ostdeutschen Städte, insbesondere die Klein- und Mittelstädte betrifft und in mittlerer Zukunft (etwa ab 2015) wohl auch zahlreiche Regionen Westdeutschlands erfassen wird (Prognos, 2007a, S. 5; Beyer, Zupp, 2002, S. 91; Sarcinelli, Stopper, 2006, S. 5), wurde es zumindest bis vor einigen Jahren von den städtischen Akteuren noch nicht als gravierend akzeptiert und häufig verdrängt (Hannemann, 2004, S. 95). Ob die Einstellung auf Seiten der städtischen Akteure sich inzwischen gewandelt hat, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. Anscheinend besteht zumindest in den bereits heute von Schrumpfung stark betroffenen ländlich-peripheren und altindustriellen Regionen eine ausgeprägte Sensibilität für das Thema. Bisher verschonte Regionen dagegen scheinen trotz eventuell bestehender negativer Prognosen diese tendenziell zu verdrängen und weiter auf Wachstum zu setzen (Sarcinelli, Stopper, 2006, S. 5 f). Zu beobachten ist insgesamt aber eine erhöhte Wahrnehmung des Themas in der Forschung und der Öffentlichkeit (Hannemann, 2004, S. 97 f; Häußermann, 2005, S. 3; Bertelsmann Stiftung, 2007; ARD, 2007).

Weil die überwältigende Mehrheit der ostdeutschen Klein- und Mittelstädte vom Prozess der Schrumpfung betroffen ist und weil Ursachen und Folgen dieses Prozesses häufig eindimensional gedacht werden, soll dieses Kapitel die Thematik noch einmal näher beleuchten.

Bei Schrumpfungsprozessen bedingen sich vor allem ökonomische und demographische Entwicklungen als ursächliche Prozesse in einem mehrdimensionalen, zirkulären Prozess und erfassen bei signifikanten Veränderungen nahezu alle Bereiche des städtischen Lebens (Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 564 f; Hannemann, 2004, S. 95 ff; Lang, Tenz, 2003, S. 97 ff) (Vgl., Abb. 5).

Die Diskussion über den Begriff der Schrumpfung wird aber vor allem von Seiten der Politik noch immer auf den Wohnungsleerstand und die demographische Entwicklung verengt (Lang, Tenz, 2003, S. 4; Franz, 2003, S. 21, Fuhrich, 2003, S. 597). Der von Politik und Verwaltung gewählte Begriff „Stadtumbau“ für das Leerstandsproblem in Ostdeutschland lässt den demographischen Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung zudem handhabbar erscheinen. Die Strategie der Verdrängung oder Verniedlichung des Problems ist jedoch wenig hilfreich. Die Themen „Wirtschaftsentwicklung“, „städtische Versorgungsfunktionen“, „Infrastruktur“, „Kommunalfinanzen“ sowie „Umwelt“, „Stadtgesellschaft oder Soziales“ werden so gar nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Das Wesen und die Dimensionen der Schrumpfung bleiben verborgen (Keim, 2001, S. 17 ff).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Zirkularität der Schrumpfung.

Quelle: Gatzweiler, Meyer, Milbert, 2003, S. 565.

Für Hannemann (2004, S. 97) ist die ostdeutsche Stadtschrumpfung geprägt durch die „ […] Konvergenz und wechselseitige Verstärkung verschiedener Rückbildungsprozesse“. Deökonomisierung, Depopulation und Deurbanisierung seien hierbei die bestimmenden Erscheinungen, die gemeinsam mit dem Abbau sozialstaatlicher Auffangmechanismen eine Abwärtsspirale in Gang setzten. Auch andere Autoren erkennen in einer länger währenden Schrumpfung vor allem zirkuläre Verstärkungsprozesse im Sinne einer Schrumpfungskette oder einer Schrumpfungsspirale (Bürkner, 2001, S. 41-67; Killisch, Siedhoff 2005, S. 63; BBR, 2007; Lang, Tenz, 2003, S. 97 ff).

[...]


[1] Suburbanisierung ist hier nicht mit der reinen Wohnsuburbanisierung gleichzusetzen. Sie meint die Auslagerung von Einzelhandel, Gewerbe und Wohnen in die Randlagen und das Umland der Kernstädte. Die Suburbanisierung vollzog und vollzieht sich in den neuen Ländern im Vergleich zum Westen schneller und phasenverschoben (Reihenfolge: Einzelhandel, Gewerbe, Wohnen, statt Wohnen, Einzelhandel, Gewerbe (Vgl., Lang, Tenz, 2003, S. 46 ff).

Ende der Leseprobe aus 110 Seiten

Details

Titel
Entwicklungschancen und Optionen ostdeutscher Klein- und Mittelstädte anhand von drei Fallbeispielen
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Geographie)
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
110
Katalognummer
V84746
ISBN (eBook)
9783638884563
ISBN (Buch)
9783638933605
Dateigröße
1756 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entwicklungschancen, Optionen, Klein-, Mittelstädte, Fallbeispielen
Arbeit zitieren
Alexander Walter (Autor:in), 2007, Entwicklungschancen und Optionen ostdeutscher Klein- und Mittelstädte anhand von drei Fallbeispielen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84746

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